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Die Anfänge des Protestantismus in Frankreich

Zum Autor: Michael Lausberg, Dr. phil (Politikwissenschaften), studierte Pädagogik, Philosophie, Politikwissenschaften und Neuere Geschichte sowie den Aufbaustudiengang Interkulturelle Pädagogik an den Universitäten Aachen, Köln und Amsterdam.“. Seit 2007 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und zudem als freier Publizist tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Theorie, extreme Rechte, Rassismus, Antiziganismus sowie Migration. Regelmäßige Veröffentlichungen im Migazin, in hagalil, Netz gegen Nazis, im DISS-Journal, bei Kritisch Lesen und in der Tabula Rasa.

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Einleitung
  3. Reformbestrebungen innerhalb der französischen katholischen Kirche
  4. Die Ausbreitung reformistischer Ideen in Frankreich
  5. Jean Calvin und die Entwicklung bis zum Massaker von Vassy
  6. Fazit
  7. Literatur

1. Einleitung

Die Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen war eines der bedeutendsten Ereignisse in der Frühen Neuzeit mit einer unvorhersehbaren Langzeitwirkung. Seit dem Frühjahr 1517 erlebte Luther immer häufiger, dass die Wittenberger der Beichte fernblieben und stattdessen in die auf stiftsmagdeburgischem bzw. anhaltischem Gebiet liegenden Städte Jüterbog und Zerbst gingen, um sich selbst, aber auch verstorbene Angehörige, von Sünden und Sündenstrafen durch den Erwerb von Ablassbriefen freizukaufen. Tatsächlich war der Missbrauch des Ablasses einer der wesentlichen Kritikpunkte Luthers. Die eine Hälfte der Einnahmen des Ablasshandels diente dem Bau des Petersdoms in Rom, während sich der Erzbischof Albrecht und die Ablassprediger die andere Hälfte teilten. Der Bischof benötigte die Einkünfte, um seine gegenüber den Fuggern aufgelaufenen Schulden abzuzahlen. Mithin waren die Thesen ein Angriff auf das päpstliche Finanzsystem.

Die als Antwort auf die Ablasspredigten Johann Tetzels veröffentlichten Thesen hatten eine eminente Auswirkung auf nahezu alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Strukturen – was Luther selbst kaum vorausgeahnt haben konnte. Die Reformbedürftigkeit der Kirche und damit der Kirchenverfassung war längst ein dringendes Problem. Die Veröffentlichung seiner Thesen war als Diskussionsgrundlage für fachkundige Theologen gedacht; sie verselbständigten sich jedoch sehr schnell und wurden oft als Handzettel nachgedruckt. Statt zur erhofften Diskussion kam es 1518 zunächst zum Ketzerprozess und schließlich sogar zum Kirchenbann.

Die Thesen formulieren eine Kritik an den damals herrschenden Zuständen auf der Grundlage der Bibel. Den Ablasshandel erklärt Luther in den Thesen für Menschenwerk, weil die Bibel keine Grundlage für dieses römisch-katholische Konzept enthält. Zwar lässt Luther zunächst den Ablass für Strafen, die von der Kirche auferlegt wurden, noch gelten; aber seine Kritik richtet sich strikt gegen die falsche Heilssicherheit, die aus einer falschen Handhabung des Ablasses herrühre. Auch der Papst wird von der Kritik nicht ausgenommen: Luther beginnt hier seine öffentliche Kritik an der Institution des Papsttums – ein geistiger Sprengsatz, der dann in den nächsten Jahren und Jahrzehnten seine volle Kraft entfaltete und schließlich zum Schisma, zur Spaltung der abendländischen Kirche, führte. Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, unterstützte ihn in dieser Haltung, weil auch er den Abfluss dieser Gelder aus dem eigenen Territorium nach Rom nicht dulden wollte.

Die rasche Verbreitung der Thesen Luthers in die westeuropäischen Nachbarstaaten machte auch vor Frankreich nicht Halt. In dieser Arbeit sollen die Anfänge des französischen Protestantismus bis zum Beginn der Hugenottenkriege beschrieben werden. Zunächst geht es um Reformbestrebungen innerhalb der katholischen Kirche in Frankreich Ende des 15. Jahrhunderts und Anfang des 16. Jahrhunderts. Dann wird die Ausbreitung reformistischer Ideen analysiert. Weiterhin geht es dann um das Leben und Wirken von Johannes Calvin und die Ereignisse bis zum Beginn der Hugenottenkriege. In einem Fazit werden die Thesen nochmals zusammengefasst.

2. Die Reformbestrebungen innerhalb der französischen katholischen Kirche

Die im Jahre 1484 in Tours einberufenen Generalstände verlangten eine Reform der Kirche von innen heraus und eine Erneuerung des geistlichen Lebens. Da die zu diesem Zweck einberufene Synode von Sens im Jahre 1485 keine neuen Ergebnisse erzielte, blieb die Kirchenreform auf einzelne Ordensleute und Weltkleriker beschränkt.[1]

In Paris bildete sich eine Predigergruppe heraus, die sich mit Fragen der Kirchenreform beschäftigte. Zu diesem Kreis gehörten der Franziskaner Olivier Maillard sowie die Prediger Jean Raulin, Jean Quentin sowie Jean Standonck. Franz von Paola, der Begründer des Ordens der Minimen, übte auf diese Gruppe seit dem Jahre 1490 einen starken Einfluss aus. Die Absicht, in Paris eine Gemeinschaft seines Ordens aufzubauen, führte die Pariser Predigergruppe mit Franz von Paola zusammen. Unter dem Einfluss von den Ideen Franz von Paolas vertrat Standonck im College Montaigu, dem er vorstand, gegenüber seinen Studenten einen ausgeprägten Rigorismus, damit sie zu späterer Zeit als Verkünder der Reform und Träger einer neuen Disziplin wirken sollten.

Neben der Pariser Predigergruppe kam es in verschiedenen Klöstern der Benediktiner (Cluny, Fontevrault, Marmoutier, Chezal-Benoist) und Zisterzienser (Citeaux, Morimond, Bonport) zu einer Reform des klösterlichen Lebens. Zur Beratung über kirchliche Missstände und Lösungsmöglichkeiten trafen sich im Jahre 1493 die Pariser Reformprediger und Angehörige der Reformklöster in Tours.[2]

Standonck legte in diesem Zusammenhang ein Reformprogramm für den gesamten Klerus vor und forderte die Wiederherstellung der freien Bischofswahlen. König Karl VIII. zeigte in der Frage der Kirchenreform eine dilatorische Haltung: einerseits ließ er Bistümer mit Klerikern seines Vertrauens besetzen, andererseits plädierte er vor den reformwilligen Kräften, ihren Weg der Erneuerung des Klerus fortzusetzen.[3]

Nach dem Tod Karls VIII. ließ sein Nachfolger Ludwig XII. in vielerlei Hinsicht Reformbereitschaft vermissen, was dem vorsichtigen Optimismus der reformorientierten Richtung die Basis entzog. Erst als der König Georges d’Amboise im Jahre 1503 zum Legaten sine praefinitione temporis ernannte, kam es zu einer Vorantreibung der Reform des Weltklerus und der Klöster. Da Georges d’Amboise bei seinem Vorhaben auf heftigen Widerstand bei Klerus, Parlament und Universität stieß, blieben seine Erfolgsbemühungen ohne erkennbare Wirkung.

Die Veröffentlichung von Luthers Thesen 1517 waren ein überfälliges Ereignis, was die gesamte christliche Welt in ihren Grundfesten erschütterte und zunächst von der Obrigkeit mit brutaler Repression begegnet wurde.[4] Genau ein Jahr vor dem Thesenanschlag in Wittenberg predigte Luther erstmals öffentlich gegen die Ablasspraxis. Im Sommer 1517 las er die vom Mainzer Erzbischof Albrecht verfasste Instructio Summarium, eine Anweisung für die im Land umherreisenden Ablassprediger. Mit einem Teil dieser Einnahmen wollte der Erzbischof seine Schulden bei den Fuggern bezahlen. Diese hatten ihm sein Kurfürstenamt finanziert. Dazu sandte er den Ablassprediger Johann Tetzel nach Sachsen.

Am 4. September 1517 stellte Luther zunächst 97 Thesen vor, um einen Disput über die scholastische Theologie unter seinen Mitdozenten anzuregen.[5] Im Oktober verfasste er weitere 95 Thesen, die direkt auf den Ablass Bezug nahmen, schickte sie in einem Brief an Albrecht und verbreitete sie unter Anhängern. Philipp Melanchthon zufolge soll er diese Thesen am 31. Oktober am Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen haben.[6] Fest steht allerdings, dass die Ablassthesen schon vor ihrem möglichen Anschlag an der Kirchentür bekannt waren und kursierten und von den Gelehrten diskutiert wurden, sodass der Aushang nicht erst als Anlass der ablasstheologischen Diskussion angesehen werden kann, sondern allenfalls bereits auf deren Höhepunkt stattfand.

Die Thesen fanden großen öffentlichen Widerhall, der die Reformation auslöste.[7] Luther protestierte darin weniger gegen die Finanzpraktiken der römischen Kirche, die auch vielen Fürsten und Bürgern missfielen, als gegen die im Ablasslösen zum Ausdruck kommende verkehrte Bußgesinnung. Der Ablasshandel war für ihn nur der Anlass, um der allgemeinen Forderung einer grundlegenden Reform der ganzen Kirche „an Haupt und Gliedern“ Ausdruck zu verleihen. Dabei griff er den Papst noch nicht direkt an, sondern wähnte ihn – zumindest rhethorisch – noch auf seiner Seite. Allerdings sah er die Funktion des Petrusnachfolgers beim Nachlass der Sündenstrafen nur in der Fürbitte für die Gläubigen und sprach ihm damit die verbindliche Schlüsselgewalt ab, die den Gläubigen nach der schultheologischen Ablasslehre letzte Gewissheit über die Aufhebung jenseitiger Sündenstrafen verschaffen sollte. Verständlich waren die Ablassthesen nur dem gelehrten Fachpublikum, das die Feinheiten der theologischen Debatten um die Wirkweise des Ablasses kannte. Für die breitere Bevölkerung verfasste Luther 1518 den in einfacher und verständlicher Weise abgefassten „Sermon von dem Ablass und Gnade“. Albrecht von Mainz, inzwischen zum Kardinal kreiert, zeigte Luther daraufhin in Rom an. [8]

Im Juni 1518 hatte die Kurie Luther nach Rom vorgeladen, um die Gefahr der Häresie in einem Verfahren zu untersuchen. Noch vor dem Termin wurde die Anklage auf notorische Häresie geändert: Spitzel in Luthers Wittenberger Vorlesungen hatten ihn mit gefälschten Thesen denunziert. Er ersuchte aus gesundheitlichen Gründen um eine Anhörung auf deutschem Gebiet, wobei er sich auf die Gravamina deutscher Nation berief. Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, der ihn ausliefern sollte, unterstützte ihn dabei.

Damit wurde Luthers Prozess in politische Interessen verwickelt: Papst Leo X. brauchte den Kurfürsten für die anstehende Kaiserwahl und gab seinem Einwand im August 1518 daher statt. Kardinal Thomas Cajetan sollte Luther beim Reichstag zu Augsburg verhören. Vom 12. bis 14. Oktober 1518 sprach Luther dort vor. Er weigerte sich zu widerrufen, wenn er nicht aus der Bibel heraus widerlegt würde. Für Cajetan war er damit als Häretiker überführt und hätte ausgeliefert werden müssen. Doch Friedrich lehnte dies weiterhin ab. Luther entzog sich der drohenden Verhaftung in der Nacht vom 20. zum 21. Oktober 1518 durch Flucht aus Augsburg.

Die Reformbedürftigkeit der Kirche und damit der Kirchenverfassung war längst ein dringendes Problem.[9] Die Veröffentlichung seiner Thesen war als Diskussionsgrundlage für fachkundige Theologen gedacht; sie verselbständigten sich jedoch sehr schnell und wurden oft als Handzettel nachgedruckt. Statt zur erhofften Diskussion kam es 1518 zunächst zum Ketzerprozess und schließlich sogar zum Kirchenbann.

Die Thesen formulieren eine Kritik an den damals herrschenden Zuständen auf der Grundlage der Bibel. Den Ablasshandel[10] erklärt Luther in den Thesen für Menschenwerk, weil die Bibel keine Grundlage für dieses römisch-katholische Konzept enthält. Zwar lässt Luther zunächst den Ablass für Strafen, die von der Kirche auferlegt wurden, noch gelten; aber seine Kritik richtet sich strikt gegen die falsche Heilssicherheit, die aus einer falschen Handhabung des Ablasses herrühre. Auch der Papst wird von der Kritik nicht ausgenommen: Luther beginnt hier seine öffentliche Kritik an der Institution des Papsttums. Diese Kritik Luthers sprach sich auch schnell in Frankreich herum, wo Teile der religiösen Klasse dies mit Begeisterung aufnahmen. Öffentlich konnte dies jedoch nicht ausgedrückt werden, dafür war die Macht der katholischen Kirche zu stark.

Franz I., der Frankreich seit 1515 regierte, hatte zu dieser Zeit die katholische Kirche zunehmend zu einem Verwaltungsorgan des Staates aus- und umgebaut:[11] Seit dem Konkordat von Bologna 1516 hatte er das Recht, die hohen Ämter der französischen Kirche nach eigenem Willen zu besetzen. Franz erkannte darin die Superiorität des Papstes (über die Konzilien) und die Annaten (Abgaben für Übertragung eines geistlichen Amtes) an. Dafür erhielt er das Recht, die wichtigen Positionen in der französischen Kirche ohne Einmischung des Papstes zu besetzen. Die französische Kirche war somit organisatorisch dem König unterstellt. Er nutzte dies, um sie in die Verwaltung des französischen Staates einzubinden. Dadurch war der vom Papst forcierte Ablasshandel in Frankreich weit weniger aktiv als in Deutschland, wo die Kirche direkt dem Papst unterstellt war.

Er nutzte seine Machtposition geschickt, um den französischen Hochadel in den entsprechenden Positionen unterzubringen und ihn sich auf diese Weise zu verpflichten. Die Infrastruktur der Kirche war für Franz ebenfalls von Bedeutung:Ihre Präsenz in allen Städten und Dörfern, die hohe Reichweite, die die Pfarrer in ihren Gemeinden erzielen konnten, und die Familienregister, die die Pfarreien führten, waren Elemente, die er für verwaltungstechnische Aufgaben, z. B. zur Veröffentlichung von Edikten, einspannen konnte.[12]

Guillaume Briconnet den Franz I. im Dezember 1515 zum Bischof von Meaux ernannte, wurde von nun an zur zentralen Figur des Reformkatholizismus.[13] Sein Vorhaben, eine innere Erneuerung der Kirche durchzusetzen, realisierte er im Jahre 1518 mit einer umfassenden Reform seiner Diözese. Guillaume Farel, Gerald Roussel und andere vom Katholizismus verfolgte Personen fanden in Meaux eine Zufluchtstätte und wurden von Briconnet damit beauftragt, in zahlreichen Orten seines Bistums ihre konfessionelle Überzeugungen zu verbreiten und französische Übersetzungen der Evangelien und Episteln für die Sonn- und Festtage unter den Gläubigen zu verteilen.[14] Diese Ansammlung von reformorientierten und intellektuell begabten Gläubigen in Meaux wurde bald die Schule von Meaux genannt.

Das französische katholische Parlament und die ihm ergebene Universität, denen die Reformvorhaben von Briconnet ein Dorn im Auge waren, opponierten seit dem Jahre 1521 gegen die Schule von Meaux. Unter verstärktem Druck antireformerischer Vertreter des Katholizismus in Frankreich verdammte Briconnet auf der Synode von Meaux im Jahre 1523 Luthers Lehre von der Kirche und verbot die Lektüre sowie den Verkauf lutherischer Schriften in seinem Bistum. Da er aber trotzdem die Verbreitung französischer Übersetzungen der Evangelien erlaubte, entsandte das Pariser Parlament im Jahre 1525 eine Untersuchungskommission nach Meaux. Die Kommission verbot allen fremden Predigern die Wortverkündigung und verhörte zahlreiche Personen, die im Verdacht standen, mit der lutherischen Lehre in Verbindung zu stehen. Aus Angst löste Briconnet alle Verbindung zu den Anhängern der lutherischen Lehre und schrieb dem Pariser Parlament einen Brief, in dem er sich von seinen Reformansichten distanzierte, so dass der Prozess gegen ihn eingestellt wurde.[15] Seit dem Jahre 1525 kam es zu Verfolgungen von Anhängern der Schule; diejenigen, die nicht rechtzeitig die Flucht ergreifen konnten, wurden eingekerkert, mussten widerrufen und die Buße ablegen.[16]

Eine weitere Persönlichkeit, die in Ansätzen reformatorische Vorstellungen vertrat, war Jacques Lefevre d’Etaples, obwohl auch er einen offenen Bruch mit der katholischen Kirche vermied. Nach einem Theologiestudium und der Priesterweihe in Paris wurde Lefèvre Dozent für Philosophie an einem Kolleg der Sorbonne. Daneben begann er Altgriechisch zu lernen, womit er einer der ersten französischen Gräzisten wurde. Vielleicht schon vor 1486, auf jeden Fall aber 1491 und 1499 unternahm er Bildungsreisen nach Padua und Pavia als Zentren der schon voll erblühten humanistischen Gelehrsamkeit. Danach wurde er auch selber als humanistischer Gelehrter aktiv mit textkritischen Editionen zentraler Schriften des griechischen Philosophen Aristoteles, die er zudem, unter Abkehr von den mittelalterlichen Deutungstraditionen, neu kommentierte. Lefevre d’Etaples unterhielt enge Verbindungen mit Guillaume Briconnet und anderen Anhängern reformistischer Ideen in Frankreich.[17] In seinem Kommentar zu den Briefen des Paulus, der im Jahre 1512 erschien, ging er davon aus, dass allein die im Neuen Testament enthaltene Lehre von Jesus Christus für den Glauben maßgeblich ist. Demgegenüber verwarf er die im Laufe der Zeit entwickelten kirchlichen Bräuche, Lehren und Dogmen. Weiterhin zweifelte er die Wirksamkeit der von der katholischen Kirche als Mittel zur Erlangung des Seelenheils propagierten Handlungen wie Almosen, Pilgerfahrten und Totenfürbitten an. Lefevre d’Etaples vertrat dagegen die Auffassung, dass lediglich die Gnade Gottes den Menschen zum ewigen Seelenheil führen würde. Er stellte die Bibel als alleinige Quelle der christlichen Lehre den kirchlichen Traditionen gegenüber. Eine von ihm vorgenommene Übersetzung des Neuen Testamentes ins Französische erschien im Jahre 1523; zwei Jahre später gab er ein Übersetzung des Alten Testamentes heraus.[18]

Seit den 1530er Jahren waren reformatorische Tendenzen in der französischen Literatur zu finden.[19] Francois Rabelais, der nach langen Jahren der Mönchstätigkeit das Kloster verließ, schrieb im Jahre 1532 den zeitkritischen Roman „Pantagruel“, der sofort nach seinem Erscheinen von der theologischen Fakultät in Paris verurteilt wurde. Im Jahre 1546 erschien sein Hauptwerk „Gargantua“, in dessen Schlusskapiteln er den asketischen Idealen des Mittelalters eine neue zwanglosere Auffassung des Menschen gemäß der Zeit der Renaissance entgegenstellte. Rabelais schuf in diesem Werk die utopische Abtei Theleme, die das Gegenteil eines mittelalterlichen Klosters darstellte. Die Abtei enthielt eine Bibliothek, einen Theatersaal, Bäder, ein Ballhaus; in ihrer näheren Umgebung existierten ein Sportplatz, ein Schießstand und eine Reitbahn. Die grundsätzliche Regel für die Bewohner Thelemes lautete:[20] „Tu was du willst, da freie, wohlgeborene und gebildete Leute (…) von Natur einen Trieb und Ansporn in sich tragen, der sie stets zu tugendhaften Taten antreibt und vom Laster abhält.“

Rabelais verwarf die mittelalterliche Vorstellung, dass der Mensch seit dem Sündenfall verdorben war und seine gefährlichen „Triebe“ lediglich durch strenge Askese gebändigt werden könnten. Er vertrat dagegen die Ansicht, dass gerade Zwang und Askese im Menschen gefährliche Neigungen weckten. Die Mitglieder der Abtei sollten geistige und körperliche Bildung erfahren und die Möglichkeit besitzen, im Zweifelsfall jederzeit wieder aus dieser Gemeinschaft austreten zu können.

Verfolgten Personen, die die „Heilige Schrift in ihrem wahren Sinn“ verkündeten, sollte laut Rabelais Zuflucht in Theleme gewährt werden. Dies kann als Hinweis auf Rabelais’ Sympathien für die vom französischen Katholizismus verfolgten reformatorischen Prediger verstanden werden.

In seinem anderen bekannten Roman „Pantagruel“ schildert Rabelais in der Rolle des Ich-Erzählers und Domestiken Alcofrybas die Kindheit und Jugend, die Studienjahre sowie die erste militärische Bewährung des Protagonisten, doch führt er zu Beginn der Studienzeit eine zweite, zunehmend wichtige Figur in die Handlung ein, den ewigen Studenten und Tausendsassa „Panurge“, mit dem er sich offensichtlich mehr identifiziert als mit dem Ich-Erzähler. Am Ende macht er auch diesen selbst zur handelnden Person, die im Mund des jungen Riesen eine ganze Welt entdeckt, die der unseren ähnelt.

Der Erfolg des locker strukturierten, mit zahllosen burlesken Anekdoten, witzigen Zitaten und satirischen Seitenhieben versehenen Werkes war unmittelbar und beachtlich. Es wurde allein 1533 und 1534 acht Male, z. T. in Raubdrucken, neu aufgelegt. Die Theologen der Sorbonne allerdings stießen sich an Passagen, in denen ihre scholastische Haarspalterei karikiert und Positionen vertreten wurden, die dem Protestantismus der Reformatoren nahe stünden. Auch die hohen Richter des Parlaments fühlten sich verspottet. Die Reaktion war eine Verurteilung des Buches durch die Sorbonne. Dies verhinderte jedoch nicht, dass es unter der Hand weiter verkauft, gelesen und weiterverbreitet wurde.

Im Jahre 1537 veröffentlichte der französische Schriftsteller Bonaventure Des Periers seinen satirischen Roman „Cymbalum mundi“, in dem deutlich seine Distanz gegenüber allen dogmatischen Glaubensbekenntnissen zum Ausdruck kam. In seinem Werk greift Des Periers das Motiv vom „Stein des Weisen“ auf, der zu Pulver verrieben im Sand einer Arena verstreut worden ist. Verschiedene Personen, deren Namen auf kirchliche Persönlichkeiten der damaligen Zeit anspielen, behaupten trotzdem, den Stein der Weisen gefunden zu haben und geraten in Streit miteinander. Im Verlaufe dieses Streits macht sich Des Periers in satirischer Weise über die Intoleranz und den Dogmatismus der anwesenden Personen lustig.

Kurz nach ihrer Veröffentlichung wurde die Schrift aufgrund ihres brisanten Inhalts verboten und Des Periers, der am königlichen Hofe angestellt war, entlassen. Nach seiner Entlassung musste der sich über die konventionellen Maßstäbe seiner Zeit hinwegsetzende Des Periers weitere Verfolgungen seitens der katholischen Kirche über sich ergehen lassen, bevor er im Jahre 1544 Selbstmord verübte.

Margarete, die Schwester des französischen Königs Franz I., unterstützte gemäßigte reformatorische Tendenzen in Frankreich.[21] Sie blieb aber ein Ausnahmefall, die meisten einflussreichen Persönlichkeiten Frankreichs hatten kein Interesse an einer Ausbreitung des Protestantismus. Sie stand in enger Verbindung mit Briconnet und Lefevre d’Etaples und gewährte Schriftstellern und Dichtern, die dem Protestantismus zuneigten, einen gewissen Schutz, solange diese gewisse Grenzen nicht überschritten.

3. Die Ausbreitung reformistischer Ideen in Frankreich

Seit dem Jahre 1520 breiteten sich die Gedanken Luthers in Paris, Avignon, Lyon und anderen Städten Frankreichs aus.[22] Am 15.04.1521 verwarf die Sorbonne die Lehre Luthers, zwei Monate später verbot das Parlament die Verbreitung seiner Schriften. Der Vorwurf „heresie lutherienne“ kam einem Todesurteil gleich; am 08.08.1523 wurde der mit den lutherischen Ideen sympathisierende Augustinermönch Jean Valliere in Paris verbrannt. Im Gegensatz zu Parlament und Universität reagierte König Franz I. auf die neue Entwicklung ambivalent. Einerseits ging er teilweise mit großer Härte gegen die Lutherianer vor, andererseits tolerierte er reformatorische Tendenzen und schützte Personen in seinem näheren Umfeld, die verdächtigt wurden, dem sich ausbreitenden Protestantismus aufgeschlossen gegenüberzustehen.

In den 1530er Jahren breitete sich das Luthertum in allen Provinzen Frankreichs mit Ausnahme der Bretagne und Auvergne aus. Neben vielen Personen aus den Unter- und Mittelschichten bekannten sich auch zahlreiche Intellektuelle zu der neuen Religion. Jedoch gab es zu diesem Zeitpunkt weder eine feste Organisationsstruktur noch eine ideologische Leitfigur, die als maßgebende theologische Instanz dienen könnte.

Zu einer Zuspitzung der konfessionellen Gegensätze kam es im Herbst 1534, als in Paris und anderen Städten zahlreiche Plakate mit scharfen Angriffen gegen die katholische Messe, besonders gegen die Vorstellung von der körperlichen Gegenwart Christi in Brot und Wein, angebracht wurden. Franz I. reagierte mit unerbittlicher Härte auf diese Aktion, nach feierlichen Sühneprozessionen wurden zahlreiche Protestanten in verschiedenen Städten Frankreichs verbrannt. Um die laufenden Verhandlungen mit den im Schmalkaldischen Bund[23] organisierten deutschen Protestanten nicht zu gefährden, wurden die Verfolgungen einige Zeit später eingestellt und alle Protestanten durch das Edikt von Coucy vom 16.7.1535 aufgefordert, sich innerhalb von sechs Monaten zum Katholizismus zu bekennen. Eine weitere Reaktion auf die Plakataffäre (affaire des placards) war die verschärfte Kontrolle des Buchdrucks durch einen königlichen Erlass, um die Verbreitung protestantischer Schriften zu verhindern.

Es bleibt festzuhalten, dass die Plakataffäre zum Scheitern der Verständigung über religiöse Grundsatzfragen zwischen Protestanten und Katholiken und zur Verhärtung der konfessionellen Gegensätze beitrug.

Trotz des nun zunehmenden Verfolgungsdruckes breitete sich die Reformation in Frankreich weiter aus, wobei ihr jedoch weiterhin der organisatorische Zusammenhalt fehlte. Entscheidend geprägt wurde der französische Protestantismus von Guillaume Farel (1489-1565) und Jean Calvin (1509-1564).

Guillaume Farel, der die erste französische reformistische Liturgie begründete, musste aufgrund seiner protestantischen Gesinnung im Jahre 1523 aus Frankreich in die Schweiz fliehen.[24] In Genf konnte Farel erst 1533 festen Fuß fassen und verteidigte bei dem Religionsgespräch im Januar 1534 dem Rat gegenüber die reformierte Lehre so erfolgreich, dass der Genfer Rat im August 1535 die Reformation annahm. Von hoher Bedeutung für die Reformation in Genf war, dass Farel 1536 den durchreisenden Calvin zum Bleiben zu bewegen vermochte. Im Jahre 1535 rief Farel durch eine Predigt im Dom von Bern einen Bildersturm hervor, dem die Abschaffung der Messe und die förmliche Annahme der Reformation folgten, so dass im Januar 1536 die protestantische Gottesdienstordnung eingeführt wurde. Er führte von Neuchatel aus die Reformation der französischen Schweiz und der benachbarten französischen Gebiete (Metz, Straßburg)[25] durch.[26].

Farel sorgte dafür, daß auch die Ideen der Reformatoren Bucer und Zwingli in Frankreich zur Kenntnis genommen werden. Ab 1530 kommen die neuen “ketzerischen” Ideen vor allem aus der Schweiz. Die Protestanten, die zu dieser Zeit unterschiedslos als “Lutheraner” bezeichnet werden, gehören vornehmlich der gesellschaftlichen Führungsschicht an, die lesen kann : Geistliche, Schulmeister, Studenten, Staatsdiener, aber auch Buchdrucker und ihre Gesellen sowie Handwerksmeister aus dem Textilbereich und der Lederverarbeitung. Die neuen Ideen finden vor allem durch die Prediger und Lehrer eine weite Verbreitung.

4. Jean Calvin und die Entwicklung bis zum Massaker von Vassy

Jean Calvin gab der französischen Reformation ihr theologisches System. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Paris wurde Calvin ungefähr im Jahre 1533 ein leidenschaftlicher Anhänger der Reformation.[27] Im Haus seines Wohnungsgebers, des reichen Tuchhändlers Étienne de la Forge, der Martin Luthers Gedanken verbreitete, traf sich heimlich ein Kreis „Evangelischer“ Christen. Dazu gehörte auch Gérard Roussel, Prediger am Hof des Königs. Roussel floh in der Folgezeit aus Frankreich, wo er der Häresie angeklagt wurde, und verbrachte einige Jahre in Straßburg bei Wolfgang Capito. 1535 kehrte er auf Einladung des französischen König Franz I. zurück und wurde Bischof von Oléron (1536), wo er den Schutz Margarete von Angoulême genoss. Als Bischof hielt er zahlreiche Predigten und betonte das Studium der Bibel und die Abendmahlfeier, wofür er von der Sorbonne verdammt wurde. Roussel starb in Mauléon an seinen Verletzungen, die ihm ein katholischer Fanatiker beim Angriff auf die Kanzel, von der er predigte, mit einer Axt zugefügt hatte. Calvin, der an diesen Versammlungen teilnahm, beschäftigte sich mit der reformatorischen Lehre. Im April 1532 veröffentlichte er als erste Frucht seiner humanistischen Studien einen Kommentar zu Senecas De clementia („Über die Milde“), der Kritik an dem großen Humanisten Erasmus von Rotterdam übte naturgemäß aber nur für ein kleines Publikum bestimmt war.

Als in Paris der Verfolgungsdruck des Katholizismus zu stark wurde, siedelte er im Jahre 1535 nach Basel über. Mit Louis du Tillet reist Calvin Ende März 1536 über die Alpen in die Lombardei, um mit Renate von Frankreich, der Schwester Franz I. eine persönliche Bekanntschaft anzuknüpfen. Ihr Hof in Ferrara war ein Sammelpunkt für Künstler und Gelehrte, aber auch der Zufluchtsort für verfolgte Protestanten. Dort begegneten sie unter anderem dem bekannten Dichter Clément Marot, der im Herbst 1534 aus Paris nach Ferrara geflohen war. Auf einer Reise zu seinen Geschwistern kommt er durch Genf und wird vom dortigen Reformator Farel aufgehalten und eindringlich gebeten, beim Aufbau der Reformation in Genf mitzuhelfen. Nach einigem Zögern willigt Calvin ein. Seine Tätigkeit ist zunächst die Bibelauslegung, dann auch die Predigt und die Mithilfe bei der Organisation der Genfer Kirche. 1537 macht Calvin einige Reformvorschläge, die dem Rat der Stadt aber zu weit gehen. Er führt den Psalmengesang und den katechetischen Unterricht ein und schreibt einen (an Luthers Kleinen Katechismus angelehnten) ersten Genfer Katechismus. Aber er fordert auch alle Einwohner Genfs auf, sich per Unterschrift zur Reformation zu bekennen. In Genf wachsen vor allem deshalb die Spannungen zwischen den Altgläubigen und den reformatorisch Gesonnenen. Bei Wahlen 1538 siegen die Reformgegner. Der Widerstand gegen Calvin wächst, und nach einigem Hin und Her werden Calvin und Farel Ostern 1538 ihres Amtes enthoben und aus Genf verwiesen, weil sie Ostern gepredigt hatten, obwohl ihnen das der Rat der Stadt verboten hatte. Im Jahre 1541 erließ der Rat der Stadt Genf eine von Calvin verfasste Kirchenordnung (Ordonnances ecclesiastiques), die von nun an das religiöse, sittliche und soziale Leben der Bürger Genfs regelten.

In seinem Hauptwerk „Institutio religionis christianae“[28], das im Jahre 1541 in französischer Sprache erschien, formte Calvin aus den umlaufenden Lehren ein einheitliches theoretisches Konstrukt, das sich zur geistigen Grundlage des Kalvinismus in Frankreich entwickelte. Dabei war Calvin von der Verfolgung seiner Glaubensgenossen in Frankreich bewegt und wollte darlegen, dass sie mitnichten Ketzer und Aufwiegler seien, sondern seriöse Erneuerer des biblischen Glaubens und der wahren Kirche. Er widmete die Institutio dem französischen König Franz I.. Calvin vollendete die Institutio, die zunächst sechs Kapitel umfasste, am 23. August 1535. Im März 1536 wurde sie dann beim Basler Buchdrucker Thomas Platter gedruckt und veröffentlicht. Bis 1559 wurde die Institutio fortlaufend erweitert, wuchs zu einem als bedeutend geltenden Lehrwerk des christlichen Glaubens im reformatorischen Sinne heran und wurde zunächst ins Französische, dann später in viele andere Sprachen übersetzt. Anschließend übersetzte er die im Jahre 1539 auf 17 Kapitel erweiterte lateinische Ausgabe erstmals ins Französische und veröffentlichte diese Ausgabe im Jahr 1541. Eine weitere überarbeitete lateinische Ausgabe erschien 1543 mit 21 Kapiteln, die französische Übersetzung wurde im Jahr 1545 veröffentlicht. Bei der vorletzten Überarbeitung aus dem Jahr 1550 (französische Übersetzung: 1551) wurden die Kapitel zusätzlich wegen des großen Umfangs in Paragraphen unterteilt. Die letzte deutlich erweiterte Ausgabe der Institutio in Latein ließ Calvin durch den Genfer Buchdrucker Robert Estienne im Jahr 1559 publizieren, die französische Übersetzung erschien im Jahr 1560.

In der „Christianae Religionis Institutio“ erläutert Calvin den für seine Lehre zentralen Begriff der Erwählung oder Prädestination:

"Gott hat in seinem ewigen und unwandelbaren Ratschluss einmal festgestellt, welche er einst zum Heil annehmen und welche er andererseits dem Verderben anheim geben will. Dieser Ratschluss ist, das behaupten wir, hinsichtlich der Erwählten auf Gottes unverdientes Erbarmen begründet, ohne jede Rücksicht auf menschliche Würdigkeit. Den Menschen aber, die er der Verdammnis überantwortet, denen schließt er nach seinem zwar gerechten und unwiderruflichen, aber unbegreiflichen Gericht den Zugang zum Leben zu! ... Wie aber der Herr seine Auserwählten durch die Berufung und Rechtfertigung kenntlich macht, so gibt er den Verworfenen durch ihren Ausschluss von der Erkenntnis seines Namens und der Heiligung seines Geistes wie durch Zeichen bekannt, was für ein Gericht ihrer wartet."[29]

Calvin verfasste Kommentare zu fast allen Büchern des Alten und Neuen Testamentes und theologische Traktate, in denen er die Reformation verteidigte oder seine eigene Position darlegte. Er entwickelte in seinen Schriften den Gedanken der Prädestination, die aus dem Glauben an die absolute Souveränität Gottes resultierende Erwählung oder Verwerfung des Menschen, die ausschließlich dem persönlichen Willen Gottes entsprang und vom menschlichen Handeln unabhängig war.[30] Wie die anderen Reformatoren ließ Calvin als Sakramente nur die Taufe und das Abendmahl gelten. Dieses ist ein wirksames Zeichen. In ihm ist Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig und wirksam. Die Predigt hat sakramentalen Charakter, denn sie macht den Glaubenden der Gemeinschaft mit Gott teilhaftig. Calvin konnte sich mit dem Vorschlag, das Abendmahl jeden Sonntag zu feiern, nicht durchsetzen. Daraufhin wurde es in Genf viermal im Jahr gefeiert. Das Innere der Kirchen war betont schlicht gehalten, um die Menschen nicht vom Wesentlichen – Schriftlesung, Predigt, Gebet, gemeinsames Singen – abzulenken. Calvin förderte das Kirchenlied, hauptsächlich Psalmen, die in Strophen- und Versform gebracht und vertont wurden. So gab er 1539 erstmals den Genfer Psalter heraus.

Die erste Konsequenz aus der Lehre Calvins war die außerordentlich starke Aufwertung der Laien in der Kirche durch Calvins Vierämterlehre.[31] Die erwachsenen männlichen Gemeindeglieder wählten aus ihrer Mitte auf Zeit Älteste (Presbyter, Kirchengemeinderat), die zusammen mit den Geistlichen die Kirchengemeinden leiteten. In Genf waren die Ältesten zugleich gewählte Mitglieder des Rats der Stadt. Die Hugenotten, die sich als verfolgte Minderheitskirche nicht auf weltliche Instanzen stützen konnten, ergänzten dieses Presbyterialsystem auf regionaler und nationaler Ebene durch gewählte Synoden, in denen die Laien und die Geistlichen ebenfalls gleichberechtigte Mitglieder waren. Die anderen reformierten Kirchen übernahmen diese Kirchenordnung, teils mit einigen kleineren Veränderungen. Quäker, Baptisten und Methodisten sind in ähnlicher Weise organisiert. Somit praktizierten die von Calvin geprägten oder beeinflussten reformatorischen Christen eine kirchliche Selbstregierung, die eine repräsentative Demokratie darstellte.

Die Kirche ist für Calvin die „Mutter“ der Glaubenden.[32] Denn in der Kirche begegnen ihnen die Predigt des Wortes Gottes und die Sakramente. Calvin war es wichtig, dass die Kirche von den weltlichen Obrigkeiten unabhängig ist. In seiner Kirchenordnung von 1541 führte er nach dem Vorbild der urchristlichen Gemeinden das Amt der Ältesten (anciens) ein. Diese Ältesten waren zugleich Mitglieder des weltlichen Rates der Stadt Genf. Zusammen mit den Pfarrern (pasteurs. ministres), die für das gottesdienstliche Leben zuständig waren, bildeten sie das Konsistorium (consistoire), also eine Synode, d.h. eine selbständige Kirchenleitung. Weitere Ämter hatten die Lehrer (docteurs) inne, die für den kirchlichen Unterricht sorgten, und die Diakone (diacres), die die Armenpflege ausübten.[33]

Calvin übte eine strenge Kirchenzucht aus, die von dem Betroffenen nicht als Strafe, sondern als Hilfe verstanden werden sollte.[34] Die Maßnahmen reichten je nach Schwere des Falles von Ermahnung bis zu Verbannung und Hinrichtung. Ihre Härte mag teilweise durch die großen Flüchtlingsströme motiviert gewesen sein. Zu den rund 10.000 Einwohnern von Genf kamen innerhalb von 30 Jahren etwa 15.000 Flüchtlinge hinzu, zumeist Hugenotten. Die Probleme, die dieser hohe Anstieg der Bevölkerung mit sich brachte, begünstigten die die Entscheidung zum Einsatz besonderer und harter Maßnahmen, die der Stadtrat und das Konsistorum je für sich durchsetzten. Calvin war in tiefer Sorge wegen der harten Verfolgung seiner hugenottischen Landsleute und der Waldenser in Südfrankreich, die sich der Reformation angeschlossen hatten.

Die Waldenser stammten von Petrus Waldes ab.[35] Waldes, ein reicher Kaufmann aus Lyon, gab nach einem Läuterungserlebnis sein Vermögen auf, organisierte um 1176/77 Armenspeisungen und hielt mit seinen Anhängern Wanderpredigten auf Basis volkssprachlicher Evangelienübersetzungen ab. Es kam unausweichlich zum Konflikt mit der Katholischen Kirche, weil diese das Recht auf Predigt ihrem eigenen Klerus vorbehalten sah und weil die Freigabe des Predigtrechts an Laien die Kirche in ihrer Existenz grundlegend in Frage gestellt hätte.[36] Waldes wurde 1182/83, nachdem er dem durch den Lyoner Erzbischof verhängten Predigtverbot nicht Folge leisten wollte, von diesem exkommuniziert und mit seinen Anhängern aus der Umgebung der Stadt vertrieben. Die Waldenser verbreiteten sich danach zunächst in Südfrankreich und von dort aus in viele Gegenden Europas. Die frühen Anhänger von Waldes, sowohl Männer als auch Frauen, verzichteten auf persönlichen Besitz, lebten vom Betteln, trugen einfache Gewänder und Sandalen und wurden deshalb in Südfrankreich als Arme von Lyon bezeichnet.[37] Sie ließen sich die Bibel in die Volkssprache übersetzen und hielten als Wanderprediger Predigten ab. Zwar wurden Missstände in der katholischen Kirche von den Armen von Lyon stets kritisiert, doch betrachteten sie sich selbst zunächst durchaus noch als Mitglieder dieser Kirche. Dies änderte sich, nachdem die Armen von Lyon trotz Predigtverbot die öffentliche Verkündigung der Evangelien nicht aufgeben wollten und die Armutsbewegung förderten, weshalb sie von kirchlicher Seite zunehmend als Häretiker betrachtet wurden. Nach ihrer Vertreibung aus Lyon 1182/83 gewannen die Waldenser vor allem im südfranzösischen Languedoc neue Anhänger, waren aber bereits um 1184 auch in Oberitalien aktiv.[38] In Spanien und Nordostfrankreich tauchten sie in den 1190er Jahren auf. Wenig nach 1200 dürften die Waldenser den süddeutschen Sprachraum erreicht haben. Bis 1250 existierten hier bereits starke Gemeinden, insbesondere im österreichischen Donauraum und in Bayern, aber auch in Schwaben und im oberen Rheinland.[39]

Katholiken wurden in Genf nicht eingekerkert oder hingerichtet. Anders als die katholische Kirche sowie manche Lutheraner und Reformierte soll Calvin auch die Hinrichtung von Täufern abgelehnt haben.[40] Calvin setzte sich für die Einheit der Kirche ein. Deshalb arbeitete er bei Einigungsversuchen auch mit katholischen Theologen zusammen. Nachdem sich das Konzil von Trient (1545–1563) scharf gegen die Reformation abgegrenzt hatte, beschränkte Calvin seine Anstrengungen darauf, eine Einigung der evangelischen Kirchen herbeizuführen.

Der konkrete Lebensvollzug des Christen geschieht insbesondere im Beruf, wo er mit dem Nächsten verbunden ist und ihm dient. Gewisse Vorstellungen von Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit sind dem Menschen „eingeboren“.[41] Wie sich Calvin bei der Gotteserkenntnis der natürlichen Theologie nähert so in der Ethik naturrechtlichen Gedankengängen, ohne in beiden Fällen daraus eine explizite Lehre zu machen. Diese rudimentären ethischen Vorstellungen werden durch die Zehn Gebote und das christliche Liebesgebot bestätigt und verstärkt (sozialethische Prinzipien). Daraus folgt für Calvin, dass eine Reihe von Rechten unantastbar sind und allen staatlichen Gesetzen zugrunde gelegt werden müssen.

Da die Absichten Gottes den Menschen verborgen bleiben, müsse jeder im Sinne einer tugendhaften Lebensführung handeln, also so, als ob er von Gott auserwählt sei.[42] Unbändiger Fleiß, individueller und wirtschaftlicher Erfolg können in der Folge als Zeichen für den Gnadenstand gewertet werden.[43] Jedoch hat der Mensch keinerlei Einfluss auf die göttliche Entscheidung. Ob jemand nach dem Tod in der Hölle landet oder zum Himmel auffährt, wurde bereits zu Anbeginn der Zeit festgelegt. Was der Mensch nun versucht, ist, sich selbst durch seine Tugendhaftigkeit Gewissheit darüber zu verschaffen, dass er auserwählt sein müsse. Calvins Gottes- und Menschenbild enthält strenge Züge, aber auch starke Elemente der Freiheit, die ab dem 17. Jahrhundert zunehmend entfaltet wurden. Sie betrafen hauptsächlich Staat und Gesellschaft. Die strikte Trennung von Kirche und Staat war von den Hugenotten und den ebenfalls verfolgten Täufern, die trotz ihrer Leiden geduldig Religionsfreiheit forderten, bereits seit ihrem Entstehen im 16. Jahrhundert praktiziert worden.

Der Calvinismus stieg nach 1555 durch seine Festsetzung in ganz Westeuropa zu einer einflussreichen Religionsform auf.[44] Sein Zentrum verlagerte sich bald nach Calvins Tod von der Schweiz in die Niederlande einerseits, nach Schottland und England andererseits und von dort im Zuge des Ausbaus des englischen bzw. britischen Weltreichs zudem indessen Kolonien.[45] Calvins Glauben und Denken prägte nicht nur die Presbyterianer und Kongregationalisten, sondern hatte auch starken Einfluss auf die Kirche von England und deren Bekenntnisgrundlage, die 39 Artikel, sowie Quäker, Baptisten, Methodisten und eine Reihe anderer Kirchen, vor allem in den Vereinigten Staaten.[46] Trotz unterschiedlicher Auffassungen hauptsächlich in der Abendmahls- und Prädestinationslehre sowie der Kirchenverfassung gab es einen sehr breiten Grundstock gemeinsamer protestantischer Überzeugungen und Verhaltensweisen und vielfältige Querverbindungen, auch zu den Lutheranern. Durch die Testakte von 1673 wurden schließlich in England neben Katholiken auch die calvinistischen Puritaner (Kongregationalisten), Baptisten, Quäker und ab Ende des 18. Jahrhunderts die Methodisten aus allen Staatsämtern und dem Parlament ausgeschlossen, wodurch sie in privatwirtschaftliche Bereiche gedrängt wurden. Im 18. Jahrhundert waren beinahe die Hälfte der englischen Erfinder, Kaufleute und Unternehmer Calvinisten, obwohl diese in der britischen Gesamtbevölkerung eine Minderheit darstellten.[47]

Calvin gründete im Jahre 1559 die Genfer Akademie, die wesentlichen Anteil daran hatte, den Protestantismus Calvinscher Prägung sowohl in der Schweiz als auch in anderen Ländern bekannt zu machen.[48] Viele Schüler seiner Akademie stammten aus den protestantischen Hochburgen Frankreichs, die seine religiösen Überzeugungen nach ihrer Rückkehr in ihren Heimatgemeinden weiterverbreiteten. Kurz nach Calvins Tod wurde die Akademie durch die Schaffung medizinischer, juristischer und philologischer Lehrstühle zu einer Universität ausgebaut. Die Akademie wurde in zwei Stufen aufgegliedert: Die untere war die „schola privata“, in der zunächst lediglich Lesen und Schreiben gelehrt wurde. Danach stand Philosophie, Literatur, Griechisch, Hebräisch und Latein auf dem Stundenplan. Bei erfolgreicher Absolvierung der „schola privata“ konnte jeder Schüler in die „schola publica“aufrücken, in der akademische Übungen und Vorlesungen abgehalten wurden. [49]

Die Tatsache, dass Farel und Calvin Franzosen waren und ihre Landsleute in ihrer Muttersprache ansprechen konnten, war der entscheidende Pluspunkt dafür, dass sich die französische Reformation ohne große innere Konflikte an Calvins Lehren orientierte.

In der Forschungsliteratur existieren zwei voneinander abweichende Darstellungen über Herkunft und Sinn des Begriffs „Hugenotten“. Gemäß den Ausführungen Miecks stand bei der Auseinandersetzung der Stadt Genf mit dem Herzog von Savoyen der herzoglichen Partei der „Mamelucks“ die mit den Schweizern verbündete Fraktion der „Eyguenots“ gegenüber. Der Ausdruck „Eyguenots“ wurde laut Mieck aufgegriffen und im Laufe der Zeit in der Form „huguenots“ als Bezeichnung für die französischen Kalvinisten verwandt.[50]

Dagegen stellte der Vorsitzende der Gesellschaft für die Geschichte des französischen Protestantismus, Paul Lienhardt, fest:[51] „Der Name hat sein ursprüngliches Geheimnis zum Teil bewahrt. Wie der Name ‚Christ’ war ‚Hugenot’ ursprünglich ein Schimpfwort. Aus einer Handschrift aus Perigueux, in der einstigen Guyenne in Südwest-Frankreich geht hervor, dass zum allerersten Mal anno 1551 Bilderstürmer als ‚böse Hugenottenrasse’ bezeichnet wurden. Doch erst 10 Jahre später, 1560, verbreitete sich das Wort in der Stadt Tours an der Loire, um die im Entstehen begriffene protestantische Partei zu bezeichnen. Diese ist erstmals bei der Verschwörung von Amboise in Erscheinung getreten. Diese Verschwörung sollte den jungen König Francois II. dem Einfluß der fanatischen Partei der Guise entziehen. Das unvorsichtige Unternehmen schlug fehl. Die unerbittlichen Repressionen brachten den Verschwörern und den Anhängern der neuen Religion einen Namen aus dem örtlichen Wortschatz, der soviel besagte wie ‚Teufelsbrut’, ‚suppots de Satan’. Seither hießen sie Hugenotten. Inzwischen hat der Name seinen bösen Klang verloren. Die protestantische Partei legte sich den Namen zu, so dass er seither aufgrund der Geschichte der französischen Protestanten und ihre Nachkommen in aller Welt bezeichnet. Entgegen den (…) vorfindlichen Erklärungen rührt der Name Hugenotte nicht vom allemanischen Eidgenossen her. Die Auslegung sollte die Hugenotten als ‚Partie des Auslands“ diskriminieren.“

Im Ketzeredikt vom 24.6.1539, das sich auf das gesamte Königreich bezog, wurden sämtliche Rechtsinstanzen aufgefordert, Frankreich von den Ideen des Protestantismus zu befreien. Das Edikt versprach Denunzianten unter der Bevölkerung ein Viertel der unter Umständen konfiszierten Güter. Das Edikt von Fontainebleau vom 1.6.1540 übertrug den Parlamenten die Autorität für Glaubensprozesse; lediglich Kleriker mit höheren Weihen wurden weiterhin vor geistliche Gerichte gestellt. Im Jahre 1543 gab die theologische Fakultät von Paris als Entscheidungshilfe eine Auflistung der dogmatischen Kernpunkte heraus und veröffentlichte eine Liste mit 65 Schriften, die sie als häretisch ansah.

Die Verfolgung der Protestanten wurde zunehmend verschärft, Massenverbrennungen von Hugenotten sind aus dem Jahre 1545 in La Rochelle und aus dem Jahre 1546 in Meaux bekannt.[52]

Im Tal der Durance und im Luberon-Gebiet führte das Parlament eine Vernichtungsaktion gegen die dort ansässigen Waldenser (Vaudois) durch. Die Waldenser waren Anhänger der von Petrus Waldes in Lyon zwischen 1170 und 1176 innerhalb der katholischen Kirche Südfrankreichs zur Verkündigung des Evangeliums gegründeten Laienbruderschaft, die gemäß dem Vorbild Jesu in Armut lebte.[53] Seitdem die Waldenser sich auf der Synode von Chanforan der reformierten Genfer Kirche angeschlossen hatten, folgten sie in ihrem Bekenntnis und ihrer Kirchenorganisation in wesentlichen Punkten den Hugenotten. Sie waren zwar Anhänger der Reformation, befanden sich aber rechtlich im Status einer vom König gewährten befristeten Tolerierung (pardon conditionnel). Im April 1545 wurden die Städte Merindol und Cabrieres sowie ungefähr 30 Dörfer zerstört, 1000-2000 Waldenser ermordet, verletzt oder zum Galeerendienst verbannt.

Heinrich II. (1547-1559) gründete im Jahre 1547 beim Parlament eine Spezialkammer für „Ketzerprozesse“ (Chambre ardente)[54], die in den drei Jahren ihres Bestehens etwa 500 Verhaftungen von Protestanten veranlasste. Im Edikt von Chateaubriant vom 26.7.1551, das aus 46 Artikeln bestand, wurden alle Einzelheiten der Verfolgung der Hugenotten geregelt. Das Edikt von Compiegne vom 24.7.1557 legte sowohl für das öffentliche als auch das geheime Bekenntnis zum protestantischen Glauben einheitlich die Todesstrafe fest. Die Verschärfung der Verfolgung der Hugenotten erklärte sich als Reaktion aus der Tatsache, dass die Zahl der Hugenotten in Frankreich nicht abnahm, sondern stetig anstieg.

Der Konflikt zwischen der katholischen Kirche und dem aufkommenden Protestantismus machte auch vor der einfachen Bevölkerung Frankreichs nicht Halt. Aufgehetzt durch katholische Würdenträger entstand innerhalb großer Teile der katholischen Bevölkerung das Bild der häretischen Protestanten, die die Heilige Schrift umdeuteten und für ihre Zwecke missbrauchen sowie die Ehre Gottes angriffen, indem sie Maria erniedrigten und die Verehrung der Heiligen, ihrer Bilder und Reliquien ablehnten.[55] Die Protestanten verleugneten die heilige Wandlung und verkündeten, dass während des Abendmahles Jesus Christus nicht körperlich, sondern lediglich geistig anwesend ist. Weiterhin wurde den Protestanten zum Vorwurf gemacht, die heilige lateinische Messe durch Gottesdienste zu ersetzen, während denen ausschließlich Französisch gesprochen wurde. Laut den katholischen Vorstellungen verstießen die Protestanten gegen die Auffassung Jesu, indem sie den Papst nicht als Christi Stellvertreter auf Erden anerkannten.

Die unterschiedlichen Auffassungen über Glaubensinhalte wie die Priesterehe, das Abendmahl, das Totengebet und das Fegefeuer verschärften nochmals den Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken.

Im Süden Frankreichs, wo der Protestantismus eine besonders starke Stellung einnahm, kam es häufig vor, dass sich die wohlhabenden Schichten zur protestantischen Religion bekannten, während die Katholiken in Armut lebten. In dieser Situation fiel es katholischen Dorfpriestern oder Klostermönchen nicht schwer, die katholische Bevölkerung gegen die Protestanten aufzuhetzen.

Die oben geschilderten Vorurteile der katholischen Bevölkerung wurden von Generation zu Generation vererbt und in vielen Fällen durch Dorfpfarrer im Religionsunterricht noch verstärkt.

Anlässlich kleinerer Auseinandersetzungen beruflicher oder gesellschaftlicher Art zwischen Katholiken und Protestanten brachen die konfessionellen Unterschiede hervor und uferten in gewaltsame Konfrontationen aus.[56] In manchen katholisch dominierten Regionen Frankreichs kam es zu Steinigungen von Kalvinisten und Schändungen protestantischer Gräber.

Allerdings liegen auch Quellen vor, die von einem weitgehend friedlichen Zusammenleben von Protestanten und Katholiken berichten.[57] In einer Gemeinde der Gascogne-Mauvezin spielten die familiären Bindungen eine größere Rolle als die Konfessionszugehörigkeit. Bei der Ernennung eines Taufpaten entschieden sich Katholiken in einigen Fällen für einen protestantischen Angehörigen aus ihrer Verwandtschaft. Die Eheschließungen zwischen Vertretern verschiedener Konfessionen waren keine Seltenheit; im Regelfall wurden die Jungen in der Konfession des Vaters und die Mädchen in der Konfession der Mutter erzogen. Die Heirat bot in diversen Fällen einen Anlass zur Konversion, ohne dass es zu erbitterten Auseinandersetzungen oder gar Gewaltakten kam.

Die Ursachen für die Ausbreitung des Protestantismus in Frankreich lagen in der schlechten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation breiter Bevölkerungsschichten.[58] Aufgrund der anhaltenden Kriege mit den Habsburgern wurden die Steuern drastisch erhöht, was die Bauern schwerwiegend belastete und die Absatzmöglichkeiten des städtischen Gewerbes minderte. Außerdem wurden sämtliche Lohnempfänger durch die Folgen der Preisrevolution sehr stark belastet. Große Teile des Adels gerieten weiterhin in finanzielle Schwierigkeiten, was sich erheblich auf die innenpolitische Situation auswirkte. Die andauernden Kriege, an denen die Adeligen zum großen Teil auf eigene Kosten teilnehmen mussten, brachten in den wenigsten Fällen Gewinne ein. Des Weiteren wurde durch die Preisentwicklung der Wert der grundherrlichen Geldrenten in hohem Maße gemindert. Lediglich jene Adeligen, die am Hofe des Königs über Beamtenstellen oder andere Einnahmequellen verfügten, waren von der prekären wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation nicht betroffen. Insbesondere der Adel in den südfranzösischen Regionen blieb von dieser Entwicklung nicht verschont.

Angesichts dieser schwierigen ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse konnte sich der Kalvinismus in Frankreich seit dem Jahre 1555 weiter weiterentwickeln.[59] Neben zahlreichen desillusionierten Personen aus den bäuerlichen und städtischen Unter- und Mittelschichten schlossen sich in zunehmendem Maße Adelige aus den südfranzösischen Provinzen dem Protestantismus an. Die in ihrer Zahl wachsenden protestantischen Gemeinden stellten sich verstärkt unter den Schutz einflussreicher Adeliger. Eine spezielle Rolle spielten dabei Angehörige der durch das Adelsgeschlecht der Guisen zurückgedrängte Familie Bourbon. Seit dem Jahre 1557 bekannten sich Anton von Navarra, sein Bruder, Prinz Ludwig von Conde, die Brüder Francois d’Andolot und der Admiral Gaspard de Coligny[60] zur protestantischen Religion.

Somit führte die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten, zahlreicher Gruppierungen des Adels sowie die Opposition des bourbonischen Adelsgeschlechts dazu, dass der Kalvinismus in Frankreich eine verstärkte politische und gesellschaftliche Bedeutung erhielt.

In den 1550er Jahren bildete sich ein Netz organisierter kalvinistischer Gemeinden heraus, das sich fast über das gesamte Königreich erstreckte.

Ende Mai 1559 fand in Paris eine Nationalsynode von Vertretern der hugenottischen Religion statt.[61] Die Repräsentanten von zwölf großen Provinzialkirchen beschlossen zwei bedeutsame Dokumente, die seitdem die Grundlagen der hugenottischen Kirche bildeten: die „Gallicarum ecclesarium confessio fidei“[62] oder „Confession de Foi“, das Glaubensbekenntnis, sowie die „Discipline ecclesiastique des eglises reformees de France“[63], die die Regeln für Kirchenverfassung und –zucht festlegte.[64] Während am Wortlaut der confession unverändert festgehalten wurde, entstand aus den ursprünglich vierzig Artikeln der Kirchenordnung im Verlauf eines Jahrhunderts die Sammlung von ungefähr 400 Paragraphen.

Die beiden protestantischen Adeligen Anton von Navarra und Ludwig von Conde planten Anfang des Jahres 1560 ein Attentat auf ihre katholischen Rivalen Franz von Guise und seinen Bruder Karl, den Kardinal von Lothringen.[65] Zu diesem Zweck nahmen sie Verbindung zu Godefroy La Renaudie, einem protestantischen Adeligen aus dem Perigord, auf. Dieser Komplott, auch als Verschwörung von Amboise bekannt, wurde noch vor seiner Durchführung aufgedeckt. Conde wurde am 26.11.1560 durch ein Sondergericht, das auf die Initiative der Guisen eingesetzt wurde, zum Tode verurteilt. Der Tod des Königs Franz II. verhinderte die Hinrichtung Condes. Er wurde auf freien Fuß gesetzt und vom königlichen Hof verbannt.[66]

Die Mutter des Königs Karl IX., Katharina von Medici, leitete im Jahre 1560 eine neue Konfessionspolitik ein. Mit dem Gnadenedikt von Amboise am 2.3.1560 billigte sie den Hugenotten eine Teilamnestie zu und gewährte ihnen ein kollektives Versammlungsrecht. Zu diesem Zeitpunkt gewann Katharina von Medici die Überzeugung, dass aufgrund der zahlenmäßigen Stärke der hugenottischen Fraktion der Protestantismus in Frankreich nicht länger zu unterdrücken wäre. Sie ging von der Annahme einer konfessionellen Koexistenz aus, die es nun zu organisieren galt. Hinter diesem Gedanken der religiösen Toleranz standen aber auch machtpolitische Überlegungen.[67] Katharina von Medici verfolgte die Absicht, ein gewisses Gleichgewicht zwischen Bourbonen und Guisen herbeizuführen, um so ihre eigene Stellung festigen und ausbauen zu können.[68]

Um die konfessionelle Aussöhnung voranzutreiben, setzte sie eine Politik der Beschwichtigung bei den 1560/61 in Orleans versammelten Generalständen durch. In der Eröffnungsrede setzte sich der Vertreter Katharinas, Kanzler L’Hopital, nachdrücklich für eine friedliche Beilegung der Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken ein.[69] Weiterhin erklärte er, dass die Beseitigung der kirchlichen Missstände das geeignetste Mittel sein würde, um die Protestanten wieder zum katholischen Glauben hinzuführen. Das Ergebnis der Versammlung der Generalstände war eine am 31.1.1561 veröffentlichte Ordonnanz, in der die Beseitigung verschiedener Missstände in der kirchlichen und staatlichen Ordnung hervorgehoben wurde. Wesentliche Punkte in der Ordonnanz waren die Senkung der Steuern, die Verminderung des Beamtenapparates und die Beseitigung der Käuflichkeit der Ämter. Diese verabschiedeten Forderungen wurden in der Folgezeit jedoch nur minimal umgesetzt.

Dies führte dazu, dass die vorhandenen Animositäten gegenüber der katholischen Kirche offener zum Ausdruck kamen. Auf einer weiteren Versammlung der Generalstände, die im August 1561 in Pontoise stattfand, stellten Vertreter des dritten Standes die Forderung auf, den weltlichen Besitz der Kirche einzuziehen, um auf diesem Wege die Staatsschulden begleichen zu können. Um die wachsende Empörung zu besänftigen, sah sich der Klerus dazu gezwungen, von sich aus Gelder zur Entschärfung der wirtschaftlichen Krise Frankreichs zu bewilligen.

Die Zugeständnisse Katharinas an die Hugenotten stießen auf entschiedenen Widerstand innerhalb der katholischen Fraktion. Franz von Guise, Konnetabel de Montmornecy und Marshall de Saint-Andre versuchten, die aus ihrer Sicht prohugenottische Haltung Katharina von Medicis zu unterlaufen. Sie strebten ein Bündnis mit Spanien und dem Papst sowie Verhandlungen mit den lutherischen Fürsten in Deutschland an.[70]

Katharina von Medici konnte gegen erhebliche Widerstände durchsetzen, dass ein erneuter Gedankenaustausch zwischen den zerstrittenen konfessionellen Parteien möglich wurde. Jedoch brachte das im September/Oktober 1561 stattfindende Kolloquium von Poissy nicht die gewünschte Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte.[71]

Da die katholische Fraktion zur Festigung ihrer Position engere Verbindungen zu König Philipp II. von Spanien aufnahmen, kam es zu einer Annäherung im Sinne ihrer Gleichgewichtspolitik mit den Protestanten. Das Ergebnis dieser Annäherung war das Toleranzedikt von St.Germain vom 17.1.1562.[72] Das Toleranzedikt gestattete den Hugenotten den reformierten Gottesdienst tagsüber außerhalb der Städte. Das Edikt erlaubte außerdem Hausgottesdienste und Bibelstunden in allen Städten des Königreiches. Die Hugenotten durften weiterhin Synoden und Konsistorien abhalten.

Vom 15-18. Februar 1562 kam es zu einem Treffen zwischen Franz von Guise und dem Herzog von Württemberg. Im Verlaufe des Gesprächs überzeugte Franz von Guise den Herzog davon, dass die Hugenotten für das Scheitern des Kolloquiums von Poissy verantwortlich waren und er ihnen keine finanzielle und militärische Unterstützung zukommen lassen sollte.

Die praktische Unwirksamkeit der von Katharina von Medici herausgegebenen Edikte zeigte sich am 01.3.1562, als Franz von Guise mit seinen Truppen auf der Rückreise aus Württemberg in der Stadt Vassy ungefähr sechzig Teilnehmer eines protestantischen Gottesdienstes ermordete. Köller und Töpfer beschrieben den Verlauf des Massakers:[73] „Auf der Reise nach Paris zog Herzog Franz von Guise mit seinem bewaffneten Gefolge am 1. März.1562 durch das Städtchen Vassy in der Champagne. Dort fand in einer Scheune ein kalvinistischer Gottesdienst statt. Als einige Gefolgsleute des Herzogs gewaltsam eindringen wollten, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Hinzueilende Soldaten eröffneten das Feuer auf die in der Scheune eingeschlossenen, von denen eine beträchtliche Zahl getötet wurde. Überall in Frankreich bemächtigte sich darauf der Hugenotten eine kaum noch zu zügelnde Erregung“

Eine Versammlung von solcher Größenordnung war ungesetzlich und musste laut französischem Gesetz aus Sicherheitsgründen von Truppen überwacht werden. Damit beauftragt war der Herzog Franz von Guise, der der verdienstvollste französische Feldherr der damaligen Zeit war. Durch sein Zutun zur Eskalation der Situation bei Wassy, die er entweder provozierte oder aber zuließ, handelte er gezielt gegen die Intentionen der Regentin Katharina von Medici.

Mieck stellt zu Recht fest, dass dieses Massaker eine Reaktion auf die konfessionelle Ausgleichspolitik Katharinas von Medici darstellte.[74] Zu der unversöhnlichen Haltung gegenüber dem Protestantismus existierte bei der katholischen Adelsfraktion die Befürchtung, die politische Macht in Frankreich in Zukunft mit den zum Kalvinismus konvertierten Kreis um Anton von Bourbon, Conde und Coligny teilen zu müssen. Die Zukunft ganzer katholischer Adelsdynastien und ihrer Karrieren in der Verwaltung, Armee und Kirche schien in hohem Maße gefährdet. Diese Faktoren bewirkten einen tiefen Hass gegen die Hugenotten und Katharina von Medici, die die Kalvinisten unter den Schutz des Toleranzediktes vom 17.01.1562 stellte.

Das Massaker von Vassy leitete das Zeitalter der Hugenottenkriege ein, die bis zum Jahre 1598 die innenpolitische Situation in Frankreich bestimmen sollten. Die Warnung von Jean Calvin, die er bereits im Jahre 1559 an die Hugenotten richtete, wurde nicht beachtet:[75] „Ihr werdet Trost bei Gott finden, wenn Ihr Euch mit Tränen und Gebeten demütigt, nicht aber, wenn Ihr unwillig werdet und die Zähne gegen die Tyrannen zeigt, wie einige es tun“.

Die mehr als drei Jahrzehnten andauernden Kämpfe zwischen den Hugenotten und der katholischen Fraktion erfassten praktisch ganz Frankreich, es gab kaum eine Region, die von Verwüstungen und Plünderungen verschont blieb. Innerhalb verschiedener Provinzen kristallisierte sich die Situation heraus, dass zwei Gouverneure unterschiedlicher Konfession sich gegenseitig bekämpften. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen katholisch dominierten Dörfern und Ortschaften, wo der Protestantismus stark verbreitet war, waren keine Seltenheit.[76] Neben der innen- und wirtschaftspolitischen Destabilisierung des Landes forderten die Hugenottenkriege eine hohe Zahl an Menschenleben. Lediglich für die letzte Kriegsphase seit dem Jahre 1585 wird die Zahl der Opfer auf ungefähr eine Million Menschen geschätzt. [77]

5. Fazit

Ende des 15. Jahrhunderts bildete sich in Paris bildete sich eine Predigergruppe heraus, die sich mit Fragen der Kirchenreform beschäftigte. Zu diesem Kreis gehörten der Franziskaner Olivier Maillard sowie die Prediger Jean Raulin, Jean Quentin sowie Jean Standonck. Guillaume Briconnet, Bischof von Meaux, wurde zur zentralen Figur des Reformkatholizismus. Sein Vorhaben, eine innere Erneuerung der Kirche durchzusetzen, realisierte er im Jahre 1518 mit einer umfassenden Reform seiner Diözese. Lefevre d’Etaples unterhielt enge Verbindungen mit Guillaume Briconnet und anderen Anhängern reformistischer Ideen in Frankreich. In seinem Kommentar zu den Briefen des Paulus, der im Jahre 1512 erschien, ging er davon aus, dass allein die im Neuen Testament enthaltene Lehre von Jesus Christus für den Glauben maßgeblich ist. Margarete, die Schwester des französischen Königs Franz I., unterstützte gemäßigte reformatorische Tendenzen in Frankreich. Sie stand in enger Verbindung mit Briconnet und Lefevre d’Etaples und gewährte Schriftstellern und Dichtern, die dem Protestantismus zuneigten, einen gewissen Schutz, solange diese gewisse Grenzen nicht überschritten.

Die Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen war eines der bedeutendsten Ereignisse in der Frühen Neuzeit mit einer unvorhersehbaren Langzeitwirkung. Die Veröffentlichung seiner Thesen war als Diskussionsgrundlage für fachkundige Theologen gedacht; sie verselbständigten sich jedoch sehr schnell und wurden oft als Handzettel nachgedruckt. Die Thesen formulieren eine Kritik an den damals herrschenden Zuständen auf der Grundlage der Bibel. Den Ablasshandel erklärt Luther in den Thesen für Menschenwerk, weil die Bibel keine Grundlage für dieses römisch-katholische Konzept enthält. Zwar lässt Luther zunächst den Ablass für Strafen, die von der Kirche auferlegt wurden, noch gelten; aber seine Kritik richtet sich strikt gegen die falsche Heilssicherheit, die aus einer falschen Handhabung des Ablasses herrühre. Lutherbeginnt hier seine öffentliche Kritik an der Institution des Papsttums, was zu heftigen Gegenreaktionen seitens der katholischen Würdenträger führte.

Die rasche Verbreitung der Thesen Luthers in die westeuropäischen Nachbarstaaten machte auch vor Frankreich nicht Halt. Ab dem Jahre 1530 breitete sich das Luthertum in allen Provinzen Frankreichs aus. Neben vielen Personen aus den Unter- und Mittelschichten bekannten sich auch zahlreiche Intellektuelle vor allem in Südfrankreich zu der neuen Religion. Der französische Protestantismus wurde in entscheidender Weise von Guillaume Farel (1489-1565) und Jean Calvin (1509-1564) geprägt, der der französischen Reformation ihr theologisches System gab. Im Jahre 1535 rief Farel durch eine Predigt im Dom von Bern einen Bildersturm hervor, dem die Abschaffung der Messe und die förmliche Annahme der Reformation folgten, so dass im Januar 1536 die protestantische Gottesdienstordnung eingeführt wurde. Farel sorgte dafür, daß auch die Ideen der Reformatoren Bucer und Zwingli in Frankreich zur Kenntnis genommen werden. In seinem Hauptwerk „Institutio religionis christianae“[78], das im Jahre 1541 in französischer Sprache erschien, formte Calvin aus den umlaufenden Lehren ein einheitliches theoretisches Konstrukt, das sich zur geistigen Grundlage des Kalvinismus in Frankreich entwickelte. Dabei war Calvin von der Verfolgung seiner Glaubensgenossen in Frankreich bewegt und wollte darlegen, dass sie mitnichten Ketzer und Aufwiegler seien, sondern seriöse Erneuerer des biblischen Glaubens und der wahren Kirche. Calvin verfasste Kommentare zu fast allen Büchern des Alten und Neuen Testamentes und theologische Traktate, in denen er die Reformation verteidigte oder seine eigene Position darlegte. Wie die anderen Reformatoren ließ Calvin als Sakramente nur die Taufe und das Abendmahl gelten. Calvin gründete im Jahre 1559 die Genfer Akademie, die wesentlichen Anteil daran hatte, den Protestantismus Calvinscher Prägung sowohl in der Schweiz als auch in anderen Ländern bekannt zu machen.

Die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten, zahlreicher Adelsfamilien sowie die Opposition des bourbonischen Adelsgeschlechts führten dazu, dass der Kalvinismus in Frankreich eine gesteigerte politische und gesellschaftliche Bedeutung erhielt. Im Ketzeredikt vom 24.6.1539, das sich auf das gesamte Königreich bezog, wurden sämtliche Rechtsinstanzen aufgefordert, Frankreich von den Ideen des Protestantismus zu befreien. Anlässlich kleinerer Auseinandersetzungen beruflicher oder gesellschaftlicher Art zwischen Katholiken und Protestanten brachen die konfessionellen Unterschiede hervor und uferten in gewaltsame Konfrontationen aus. In manchen katholisch dominierten Regionen Frankreichs kam es zu Steinigungen von Kalvinisten und Schändungen protestantischer Gräber. Allerdings gab es auch religiöse Toleranz, wo Katholiken und Protestanten friedlich zusammenlebten und ihre Differenz akzeptierten. Ende Mai 1559 fand in Paris eine Nationalsynode von Vertretern der hugenottischen Religion statt. Die Repräsentanten von zwölf großen Provinzialkirchen beschlossen zwei bedeutsame Dokumente, die seitdem die Grundlagen der hugenottischen Kirche bildeten. Die Mutter des Königs Karl IX., Katharina von Medici, leitete im Jahre 1560 eine neue Konfessionspolitik ein. Mit dem Gnadenedikt von Amboise am 2.3.1560 billigte sie den Hugenotten eine Teilamnestie zu und gewährte ihnen ein kollektives Versammlungsrecht. Das Toleranzedikt von St.Germain gestattete den Hugenotten den reformierten Gottesdienst tagsüber außerhalb der Städte. Das Edikt erlaubte außerdem Hausgottesdienste und Bibelstunden in allen Städten des Königreiches. Die Zugeständnisse Katharinas an die Hugenotten stießen auf entschiedenen Widerstand innerhalb der katholischen Fraktion. Spätestens seit dem Massaker von Vassy wurde deutlich, dass Katharina von Medicis Toleranzpolitik gescheitert war.

Das Massaker von Vassy, bei dem der katholische Herzog Franz von Guise ungefähr 60 Teilnehmer eines protestantischen Gottesdienst ermorden ließ, leitete das Zeitalter der Hugenottenkriege ein, die bis zum Jahre 1598 die innenpolitische Situation Frankreichs bestimmen sollten.

Neben der innen- und wirtschaftspolitischen Destabilisierung des Landes forderten die Hugenottenkriege eine hohe Zahl an Menschenleben. Lediglich für die letzte Kriegsphase seit 1585 wird die Zahl der Opfer auf ungefähr eine Million Menschen geschätzt.

6. Literatur

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Fußnoten

  1.  ↑ Mieck, I.: Die Entstehung des modernen Frankreich 1450-1610. Strukturen, Institutionen, Entwicklungen, Stuttgart u.a. 1982, S. 230
  2.  ↑ Ebd.
  3.  ↑ Ebd., S. 231
  4.  ↑ Aland, K.: Die Reformatoren: Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin; mit einem Nachwort zur Reformationsgeschichte, 4. Auflage, Gütersloh 1986, S. 65ff
  5.  ↑ Bellmann, F./Harksen, M.L./Werner, R. (Hrsg.): Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg, Weimar 1979, S. 44
  6.  ↑ Aland, K.: Die Reformatoren: Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin; mit einem Nachwort zur Reformationsgeschichte, 4. Auflage, Gütersloh 1986, S. 66
  7.  ↑ Bornkamm, H.: Thesen und Thesenanschlag Luthers: Geschehen und Bedeutung. Töpelmann, Berlin 1967, S. 35
  8.  ↑ Bellmann, F./Harksen, M.L./Werner, R. (Hrsg.): Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg, Weimar 1979, S. 62
  9.  ↑ Bildheim, S.: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main u. a. 2001, S. 17
  10.  ↑ Aus Angst vor dem Fegefeuer und dass man keine Vergebung finden würde, kauften die Leute Ablassbriefe. Es hieß, wenn man einen Ablassbrief kauft, wäre man von seinen Sünden befreit. Der Preis bei unterem und mittlerem Einkommen entsprach einem Monatslohn. Luther belastete, dass die Sünder keine Buße taten. Aufgrund dieses Anliegens schrieb Luther 1517 einen Brief an seinen zuständigen Bischof, welcher aber keine Beachtung fand..<
  11.  ↑ Deutsches Historisches Museum Berlin (Hrsg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa, Dresden 2009, S. 67
  12.  ↑ Mager, W.: Frankreich vom Ancien Regime zur Moderne, 1630-1830. Wirtschafts-, Gesellschafts- und politische Institutionengeschichte, Stuttgart 1980, S. 15
  13.  ↑ Berger, S.: Le Proces de Guillaume Briconnet, in: Bulletin de la Societe du Protestantisme francais, 1900, S. 136-154, hier : S. 137 f. Vgl. dazu auch : Vienot, J. E.: Histoire de la Reforme francaise des origines a l’Edit de Nantes, Paris 1926, S. 45 ff
  14.  ↑ Ebd. S. 139
  15.  ↑ Imbart de la Tour, P.: Les origines de la Reforme. III : L’evangelisme, Paris 1914, S. 110
  16.  ↑ Ebd. S. 150 ff
  17.  ↑ Köller, H./Töpfer, B.: Frankreich. Ein historischer Abriss von den Anfängen bis zum Tode Heinrichs IV, Teil 1, Berlin 1977, S. 236
  18.  ↑ Ebd.
  19.  ↑ Ebd. S. 238
  20.  ↑ Zitiert aus: Ebd.
  21.  ↑ Ebd. S. 237
  22.  ↑ Mieck, Die Entstehung des modernen Frankreich 1450-1610, a.a.O., S. 232
  23.  ↑ Der Schmalkaldische Bund war ein am 27.02.1531 gegründeter Zusammenschluss zahlreicher deutscher protestantischer Fürsten und Städte unter der Führung Kursachsens und Hessens während des Dreißigjährigen Krieges. Er ermöglichte die friedliche Ausbreitung der Reformation und wurde von Philipp I. von Hessen dazu genutzt, Württemberg zurückzuerobern und Herzog Ulrich wieder in sein Amt einzusetzen. Die ersten Auflösungserscheinungen des Bundes zeigten sich im abweichenden Verhalten einzelner Reichstände Anfang der 1540er Jahre. Im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 zerfiel der Bund endgültig.
  24.  ↑ Donald, H.: Farel. Reformer of the Swiss Romand. His Life, His Writings and His Theology, New York 1954, S. 25
  25.  ↑ Farels Wirken in Nordfrankreich wird ausführlich beschrieben in Carriere, V.: Guillaume Farel. Propagangiste de la Reformation, in: Revue d’Histoire de l’Eglise de France 20, 1934, S. 35-52, hier S. 37 ff
  26.  ↑ Burger, J.-P.: La conversion de Farel, in: Bulletin de la Societe de l’Histoire du Protestantisme Francais 91, 165, S. 192-204, hier: S. 199. Farel schrieb seine religiösen Ansichten in verschiedenen Zeugnissen nieder, die für die damalige Zeit besonders in Nordfrankreich zu einer gewissen Bedeutung gelangten. Vgl. Baum, J.W. (Hrsg.): Sommaire, c’est une brieve declaration d’aucuns lieux fort necessaires a chacun chretien, pour mettre sa confiance en Dieu te a ayder son prochain, Genf 1867 ; Baum, J. W. (Hrsg.) : Du vrai usage de la croix de Jesus Christ et de l’abus et idolatrie commise autour d’icelle et de l’authorite de la parole de Dieu et des traditions humaines, Genf 1865
  27.  ↑ Seine bewusste Hinwendung zum protestantischen Glauben beschrieb Calvin folgendermaßen: „Durch die Neuheit abgestoßen, lieh ich jenen Lehren nur ungern mein Ohr; mit leidenschaftlichem Eifer widerstand ich ihnen; vor allem eins machte meinen Sinn abgeneigt: die Ehrfurcht vor der Kirche. (…) Wie durch einen plötzlichen Lichtstrahl getroffen erkannte ich, in welchem Abgrund von Irrtümern, in welchem Schmutz ich mich befunden hatte. So tat ich, o Herr, was meine Pflicht war, und begab mich, erschreckt und mit Tränen für mein früheres Leben verdammend, auf deinen Weg.“ Zitiert aus: Gloede, G.: Zucht und Weite. Calvins Weg und Werk, 4. Auflage, Zürich 1959
  28.  ↑ Die deutsche Übersetzung dieses Werkes bietet Weber, O. (Hrsg.): Unterricht in der christlichen Religion, 2. Auflage, Berlin 1955
  29.  ↑ Zitiert aus Pettegree, A.: Calvinism in Europe, 1540–1620, Cambridge 1994, S. 56
  30.  ↑ van Ess, J.: Zwischen Hadith und Theologie. Studien zum Entstehen prädestinatianer Überlieferung, Berlin 1975, S. 25 f
  31.  ↑ Bildheim, S.: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main u. a. 2001, S. 23
  32.  ↑ Erbstößer, M.: Strukturen der Waldenser in Deutschland im 14. Jahrhundert, in: Tanz, S. (Hrsg.): Mentalität und Gesellschaft im Mittelalter. Beiträge zur Mentalitätsgeschichte 2, Frankfurt am Main 1993, S. 95–106, hier S. 98
  33.  ↑ Ebd., S. 100
  34.  ↑ Pettegree, A.: Calvinism in Europe, 1540–1620, Cambridge 1994, S. 27
  35.  ↑ Audisio, G.: Die Waldenser. Die Geschichte einer religiösen Bewegung. München 1996, S. 16
  36.  ↑ Erbstößer, M.: Sozialreligiöse Strömungen im späten Mittelalter. Geißler, Freigeister und Waldenser im 14. Jahrhundert. Berlin 1970, S. 55
  37.  ↑ Erbstößer, M.: Strukturen der Waldenser in Deutschland im 14. Jahrhundert, in: Tanz, S. (Hrsg.): Mentalität und Gesellschaft im Mittelalter. Beiträge zur Mentalitätsgeschichte 2, Frankfurt am Main 1993, S. 95–106, hier S. 96
  38.  ↑ Biller, P: The Waldenses, 1170–1530. Between a religious order and a church, Aldershot 2001, S. 49
  39.  ↑ Biller, P: The Waldenses, 1170–1530. Between a religious order and a church, Aldershot 2001, S. 46
  40.  ↑ Deutsches Historisches Museum Berlin (Hrsg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa, Dresden 2009, S. 28
  41.  ↑ Pettegree, A.: Calvinism in Europe, 1540–1620, Cambridge 1994, S. 36ff
  42.  ↑ Koch, E.: Das konfessionelle Zeitalter – Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563–1675), Leipzig 2000, S. 46
  43.  ↑ Gorski, P.S.: The Disciplinary Revolution. Calvinism and the Rise of the State in Early Modern Europe, Chicago u. a. 2003, S. 63
  44.  ↑ Bildheim, S.: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main u. a. 2001, S. 27ff
  45.  ↑ Bots, H./ Bastiaanse, R.: Die Hugenotten und die niederländischen Generalstaaten, in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten, a.a.O., S. 55-72; Gibbs, G.C.: Some Intellectual and Political Influences of the Hugenot Emigres in the United Provinces, c. 1680-1790, in: Bijtragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenes der Nederlanden, 30 (1975), S. 254-287 oder Bolhuis, H.H.: La Hollande et les deux refugies, in: Bulletin de la Societe du Protestantisme francais, 115, (1969), S. 407-428
  46.  ↑ Gorski, P.S.: The Disciplinary Revolution. Calvinism and the Rise of the State in Early Modern Europe, Chicago u. a. 2003, S. 76
  47.  ↑ Heussi, K: Kompendium der Kirchengeschichte; 11. Auflage, Tübingen 1956, S. 78
  48.  ↑ Brunner, E.: Das Vermächtnis Calvins, Bern 1936, S. 13
  49.  ↑ Deutsches Historisches Museum Berlin (Hrsg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa, Dresden 2009, S. 85
  50.  ↑ Mieck, Die Entstehung des modernen Frankreich 1450-1610, a.a.O., S. 234
  51.  ↑ Lienhardt, P.: Der Ursprung des Namens „Huguenot“, in: Die Hugenottenkirche, 45 Jg., Nr.12, Dezember 1992, S. 45-52, hier: S. 46 ff
  52.  ↑ Mieck, Die Entstehung des modernen Frankreich 1450-1610, a.a.O., S. 235
  53.  ↑ Vgl auch dazu Roll, E.: Die Waldenser, Stuttgart 1982
  54.  ↑ Baudoin-Matuscek, M.-N./Merlin-Chazelas, A. (Hrsg.): Catalogue de actes de Henri II., Paris 1979, S. 178
  55.  ↑ Bluche. F.: Im Schatten des Sonnenkönigs. Alltagsleben im Zeitalter Ludwigs XIV. von Frankreich, Freiburg/Würzburg 1986, S. 314 f
  56.  ↑ Ebd., S. 315
  57.  ↑ Joutard, F.: 1685-Ende und neue Chance für den französischen Protestantismus, in: von Thadden/Magdelaine, Die Hugenotten 1685-1985, a.a.O., S. 11-25, hier: S. 16 und Labrousse, E.: Les conversion au XVIIeme siecle, Actes des XIIeme colloque du C.M.R. (17 janvier 1982), Marseille 1983, S. 161-177
  58.  ↑ Köller/Töpfer, Frankreich, a.a.O., S. 243
  59.  ↑ Ebd.
  60.  ↑ Die Bekehrung de Colignys zum Protestantismus ist nachzulesen in: Hotman, F.: La vie de Gaspard de Coligny, seigneur de Chastillon sur Loin, gouverneur pour le roi de l’Ile de la France et la Picardie, colonel general de l’infantrie francois et admiral de France, Lyon 1586
  61.  ↑ Köller/Töpfer, Frankreich, a.a.O., S. 244
  62.  ↑ Vgl. dazu Böckel, E.G.A.: Die Bekenntnisschriften der evangelisch- reformierten Kirche, Leipzig 1847, S. 471
  63.  ↑ Vgl. dazu die deutsche Übersetzung von Jacobs, P. (Hrsg.): Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung, Neukirchen 1949, S. 123
  64.  ↑ Gahrig, W.: Unterwegs zu den Hugenotten im Land Brandenburg. Historische Ausflüge, Berlin 2000, S. 20
  65.  ↑ Baker, J.: The House of Guise and the Church c. 1550-1588, Oxford 1995, S. 57 ff
  66.  ↑ Ebd. S. 58
  67.  ↑ Heritier, J.: Catherine de Medicis, Paris 1942, S. 127
  68.  ↑ Töpfer/Köller, Frankreich, a.a.O., S. 245
  69.  ↑ Ebd.
  70.  ↑ Baumgartner, F.: France in the Sixteenth Century, New York 1995, S. 146
  71.  ↑ Vgl. dazu Sutherland, N.M.: The Cardinal of Lorraine and the Colloque of Poissy 1561: A reassessment, in: Ders.: princes, Politics and Religion 1547-1589, London 1984, S. 113-137
  72.  ↑ Töpfer/Köller, Frankreich, a.a.O., S. 246
  73.  ↑ Zitiert aus: Ebd. S. 247
  74.  ↑ Mieck, Die Entstehung des modernen Frankreich 1450-1610, a.a.O., S. 239
  75.  ↑ Köller/Töpfer, Frankreich, a.a.O., S. 244
  76.  ↑ Romier, L. Les origins politiques des guerres de religion, 2. Band, Paris 1913, S. 35
  77.  ↑ Salmon, J.H.M. (Hrsg.): The French Wars of Religion, Boston 1967, S. 186
  78.  ↑ Die deutsche Übersetzung dieses Werkes bietet Weber, O. (Hrsg.): Unterricht in der christlichen Religion, 2. Auflage, Berlin 1955