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Charlotte Wiedemann: Der neue Iran

Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten

dtv, 2. Auflage, München 2017, ISBN: 978-3-423-28124-9

Der Staat Iran besteht zum größten Teil aus hohem Gebirge und trockenen, wüstenhaften Becken. Seine Lage zwischen dem Kaspischen Meer und der Straße von Hormus am Persischen Golf macht ihn zu einem Gebiet von hoher geostrategischer Bedeutung mit langer, bis in die Antike zurückreichender Geschichte. Nach dem Übergreifen der islamischen Expansion auf Persien, in deren Verlauf der Zoroastrismus durch den Islam ersetzt wurde, wurden persische Gelehrte zu Trägern des Goldenen Zeitalters. In der Moderne führte die Unterdrückung der liberalen, kommunistischen und islamischen Opposition führte zu vielseitigen Spannungen, die in der Revolution von 1979 und dem Sturz des Schahs kulminierten.

Seit der Islamischen Revolution ist der Iran eine theokratische Republik, die von schiitischen Geistlichen geführt wird, an deren Spitze der Religionsführer die Macht auf sich konzentriert. Kontrolliert wird er nur vom Wächterrat. Regelmäßige Wahlen werden abgehalten, aber aufgrund der umfassenden Einhegung durch die Machthaber, Manipulationsvorwürfen und der unbedeutenden Stellung des Parlamentes sowie des Präsidenten als undemokratisch kritisiert. Der iranische Staat missachtet Menschenrechte, seine Kontrolle auf religiöse und ideologische Konformität durchdringt das Leben aller Bürger und beschneidet die Freiheit des Einzelnen und bedroht das Existenzrecht Israels.

Es gibt in der letzten Zeit Versuche, den Iran aus seiner augenblicklichen Rolle eines international unberechenbaren Staates herauszuholen und die kulturelle Seite zu würdigen. Die  Ausstellung Iran. Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste in der Bundeskunsthalle Bonn, die vom 13.4 bis 20.8.2017 stattfindet, beschäftigt sich mit den iranischen Kulturen der Frühzeit, vom 7. Jahrtausend v. Chr. bis zum Aufstieg der Achämeniden im 1. Jahrtausend v. Chr.

In diesem Buch berichtet die Journalistin Charlotte Wiedemann über den modernen Iran, der sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten herausgebildet hat: einen politisch unabhängigen Vielvölkerstaat mit starkem Nationalbewusstsein. (S. 16) In ihrem Gesellschaftsportrait stellt sie die These auf, dass der heutige Iran nur noch wenig mit dem der Islamischen Revolution von 1979 zu tun hat. Sie nennt als Beispiel dafür die überdurchschnittlich gebildeten Frauen, die die männlich geprägte Religiosität in Frage stellen. Der technologische Fortschritt des Landes lässt auch die alten Gesellschaftsstrukturen hinter sich. Der Iran als wichtigster geopolitischer Akteur im Nahen und Mittleren Osten ist säkularer geworden und sie berichtet von vielen Menschen, die eine kulturelle und wirtschaftliche Annäherung an den Westen befürworten: „Wenn westliche Besucher besonders zuvorkommend behandelt werden, hat das noch einen anderen Grund. Viele Iraner wünschen sich sehnlich, die Isolation zu überwinden und wieder als geachtetes Mitglied der Gemeinschaft der Nationen zu gelten.“ (S. 11)

Sie berichtet weiterhin von den alltäglichen Sorgen der normalen Bevölkerung, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Sie berichtet vom radikalen islamischen Humanismus und ihren Vertretern ebenso wie den jungen Neureichen, die Schweizer Luxusuhren für 100.000 Euro mal eben kaufen. Die Widersprüchlichkeit des Landes ist eine typische Facette, die Technikgläubigkeit und Fortschrittsgläubigkeit mit dem Bau von Atomkraftwerken und die Ausweitung der Genforschung eine andere.

Charlotte Wiedemann beschreibt Innenansichten eines Landes, das viele Überraschungen bereithält. Die Vielfältigkeit seiner Kultur und seiner Menschen werden hier in profunder Weise dargestellt. Vorurteile wie rückwärtsgewandt und islamistisch werden aufgehoben zugunsten der Sichtweise auf einen modernen Iran, der für die Welt nicht nur wegen seiner großen Reserven an Erdgas interessant ist. Die weitere Demokratisierung und Säkularisierung des wichtigsten geopolitischer Akteur im Nahen und Mittleren Osten wäre zu begrüßen. Allerdings sind die Hypotheken aus der Vergangenheit sehr groß: Die Holocaustleugnungskonferenz im Iran und der Konfrontationskurs gegenüber dem Westen unter Ahmadinedschad sind die besten Beispiele. Die antisemitische Holocaustleugnungskonferenz im Iran war ein von der Regierung des Iran initiiertes Treffen am 11. und 12. Dezember 2006 in Teheran, bei dem Antisemiten, Neonazis und Islamisten aus 30 Staaten den Holocaust in Frage stellten oder leugneten und das Existenzrecht Israels bestritten. Die Veranstaltung wurde im März 2006 vom damaligen Staatspräsidenten des Iran, Mahmud Ahmadinedschad, angeordnet. Dieser hatte seit seinem Amtsantritt 2005 einen Konfrontationskurs zum Westen eingeschlagen und in diesem Kontext wiederholt den Holocaust angezweifelt oder geleugnet.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-423-28124-9 .