e-Portfolio von Michael Lausberg
Besucherzäler

Chris Kraus: Das kalte Blut

Roman

Diogones, Zürich 2017, ISBN: 9783257069730

Seit sechzehn Jahren beschäftigte sich Chris Kraus mit seiner eigenen Familiengeschichte. Dabei fand er heraus, dass sein Großvater Mitglied einer SS-Einsatzgruppe und an der Ermordung zahlreicher Juden beteiligt war. Bei seinen Archiv-Recherchen traf er auch auf Nachkommen von Holocaust-Opfern, die über das Schicksal ihrer Verwandtschaft forschten. Daraus entstand die Grundidee zum Film, das Thema Holocaust aus der Perspektive der dritten Generation zu beleuchten.

Der Film Die Blumen von gestern stammt aus dem Jahr 2016. Die Uraufführung war am 25. Oktober 2016 bei den 50. Internationalen Hofer Filmtagen deren Eröffnungsfilm Die Blumen von gestern war. Der Kinostart in Deutschland war am 12. Januar 2017, in Österreich am 13. Januar 2017. Der Film porträtiert den Forscher Totila Blumen, genannt Toto. Der Enkel eines prominenten Generals der Waffen-SS leidet unter seiner Herkunft, seiner Karriere und seiner Misanthropie.

Das Drama Das kalte Blut erzählt die Geschichte zweier deutschbaltischer Brüder, Hub und Koja Solm, im 20. Jahrhunderts, das von Riga über Moskau, Berlin und München bis nach Tel Aviv führt. Koja möchte wie sein Vater als Künstler leben, doch politische Umbrüche und finanzielle Sorgen machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Dies führt dazu, dass Koja in den dreißiger Jahren sich von seinem großen Bruder Hub in die NS-Bewegung in Lettland und später in Berlin hineinziehen lässt. Als ihre geliebte Adoptivschwester Ev jüdische Wurzeln besitzt, kann Koja, inzwischen Obersturmführer der SS, sie vor der Vernichtung bewahren.

Nach dem Krieg und seiner Rückkehr aus sowjetischer Gefangenschaft verstrickt sich Koja als Doppelagent immer mehr in Verrat und Lüge auch Ev gegenüber. Koya zieht dann mit Ev nach Israel zieht, die es von nun an als Lebensaufgabe ansieht, die reine Wahrheit über die Täter von damals zu Tage fördern.

Dieses Buch legt die Lüge des unmittelbaren Westdeutschlands in der Nachkriegszeit, mit dem Nationalsozialismus abgeschlossen zu haben und in den Kreis der demokratischen Staaten zurückkehren zu können, offen. Das Scheitern der Entnazifizierung, die Fälle Globke, Oberländer und Kiesinger und das Aufkommen des Neonazismus waren nur die Spitze des Eisberges.

Kraus meinte selbst: „Nachhaltige Wirkung auf mich und ganz direkt auf die Handlung hatte auch die brillante und nach einer dreißig Jahren immer noch erschreckend aktuelle Standardwerk von Jörg Friedrich Die Kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik, dessen Thesen (…) in die letzten Kapitel meines Buches eingeflossen sind.“ (S. 1181)

Kein Wunder, dass dieses Buch zu völlig unterschiedlichen Bewertungen führt: die nationalistische Frankfurter Allgemeine Zeitung hetzt gegen das Buch, während es in linken Medien gefeiert wird. Das Buch ist nicht nur ein Drama, es berührt die unmittelbare Zeitgeschichte der Bundesrepublik und damit hochaktuell. Ein sehr mutiges Buch, das leider etwas zu umfangreich ist, dennoch zur Lektüre nur zu empfehlen.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 9783257069730 .