e-Portfolio von Michael Lausberg
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Deborah Feldman: Überbitten

Secession Verlag für Literatur, Zürich 2017, ISBN: 978-3-906910-00-0

Deborah Feldman ihrem autobiografischen Debütroman Unorthodox beschrieb sie ihre Kindheit und Jugend in einer traditionalistischen jüdischen Glaubensgemeinschaft im New Yorker Stadtteil Williamsburg. In Unorthodox beschreibt Feldman, dass sie schon als junges Mädchen unter strengen Kleidungsvorschriften litt. Kontakte zu Nicht-Juden waren verpönt, es gab zunächst nicht einmal ein Radio im Haus, um sich von amerikanischer Popkultur und Nachrichten abzuschirmen. Für Mädchen und Frauen galten besonders während der Menstruation strenge Vorschriften bezüglich der rituellen Unreinheit des weiblichen Körpers. Das Buch war in den USA sehr erfolgreich und wurde millionenfach verkauft, 2016 erschien es in deutscher Sprache.

Ihr neues Werk ist als eine Art Fortsetzungsroman von Unorthodox zu verstehen, in denen sie autobiographisch die inneren und äußeren Entwicklungen der Jahre beschreibt, wo sie ihre chassidische Gemeinde in New York verlässt und auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben für sich und ihren Sohn nach Europa reist und dort in Berlin eine neue Heimat findet.

Nach der Lektüre vieler Klassiker der europäischen Literatur wechselt sie ihren Lebensmittelpunkt und zieht nach Europa, um sich dort auf Spurensuche ihrer vertrauten Großmutter zu begeben, die den Holocaust überlebt hat: „Ich spürte die magnetische Wirkung des europäischen Kontinents, jenes Raumes, den meine Gemeinschaft zu verbrannter Erde erklärt hatte, und ich bereiste ihn, um diesen großen Mythos, der über meine Kindheit schwebte, aus nächster Nähe zu betrachten. Aber wo ich erwartete, auf Ödnis zu stoßen, fand ich im Gegenteil eine Vielzahl von Arten vor.“ (S. 14f) Ihre Großmutter war die einzige, bei der sie sich während ihrer Kindheit in Williamsburg vertraut und verstanden fühlte: „Ihre Liebe zur Harmonie war es, die mich lehrte, wie die unvereinbaren Teile meines Selbst zusammenzubringen waren. (S. 16)

In dem Roman geht es besonders um ihre persönliche innere und äußere Entwicklung, die sie in Europa durchlief und es sie schließlich in das Land der Täter verschlug. Genauer in die Stadt, die Hitler in seinen Wahnideen als künftige Welthauptstadt Germania auserkoren hatte. In Europa habe sie sich endlich als Persönlichkeit gefunden: „Inzwischen sind genau sieben Jahre seit meiner Flucht vergangen, und jenen beiden Persönlichkeiten, die sich Seite an Seite und doch getrennt voneinander entwickelt hatten, war es schließlich erlaubt, sich zu verflechten, und damit ging das erste wirkliche Gefühl für ein vollständiges Selbst einher, hier in dieser alten und neuen Welt.“ (S. 15)

Deborah Feldmann zeigt sich als charakterstarke Persönlichkeit, die ihre Träume verfolgt und ihrem Sohn ein tolerantes und undogmatisches Umfeld bieten will. Das Buch ist spannend und fesselnd geschrieben und nur zu empfehlen. Es steht ihrem ersten Roman Unorthodox in nichts nach.

Das immer in dem Roman durchdringende Thema ist die Versöhnung. Ihre Versöhnung mit einem Deutschland, das in ihrer chassidischen Community als Übel schlechthin galt. Dies mag ein Gefühl sein, das viele Juden heutzutage haben, wenn es um das Thema Holocaust geht. Eine kleine radikale Minderheit in Deutschland sieht das allerdings anders: Sie vertritt nach wie vor antisemitische Positionen und werden den Juden ewig den Holocaust vorwerfen.

Ein Blick in die Realität zeigt: Für viele Juden in Berlin ist Antisemitismus jeder Spielart Alltäglichkeit. Mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust müssen jüdische Einrichtungen in Berlin wie das Jüdische Museum immer noch aus Angst vor Anschlägen von bewaffneten Kommandos der Polizei geschützt werden. Ein Blick in die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre oder in bestimmte Meinungsumfragen genügt, um zu verstehen, dass eine kleine radikale Minderheit in der BRD nichts aus dem Holocaust gelernt hat. Nicht nur Björn Höcke.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-906910-00-0 .