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Die ethischen Vorstellungen von G.H. Mead

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Kritik an der utilitaristischen und der Kantschen Ethik

3 Meads Konzept der Ethik

4 Fazit

5 Literatur

1 Einleitung

George Herbert Mead (1863-1931) war bis zu seinem Tode Professor für Philosophie und Sozialpsychologie an der Universität Chicago. Beeinflusst durch die Evolutionstheorie Darwins verstand Mead das Bewusstsein des Menschen als evolutionäres Projekt der Auseinandersetzung des Organismus mit seiner Umwelt. Neben Dewey, Pierce und James gilt er als Begründer des amerikanischen Pragmatismus.

Im Gegensatz zu vielen anderen Intellektuellen seiner Zeit engagierte er sich in sozialen Zusammenhängen. Ihm ging es vor allem um eine mögliche Begründung eines sozial engagierten Christentums angesichts der neuen und umwälzenden Entwicklungen in den Naturwissenschaften in seiner Zeit: Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit engagierte sich Mead in Chicago stark in sozialreformerischen Projekten. So war er zeitweise als Schatzmeister für das Hull House tätig, ein Projekt mitlebender Sozialarbeit vor Ort, durch das die übliche Distanz des Sozialarbeiters, der normalerweise nicht im Problemfeld der von ihm Betreuten lebte, durchbrochen werden sollte. Im Hull House wurden auch intellektuelle Diskussionsrunden organisiert. Mead engagierte sich zudem für Frauenrechte und setzte sich für eine pädagogisch orientierte Reform des Jugendstrafrechts ein. Er war Mitglied verschiedener Streikschlichtungskommissionen und mehrerer lokaler Reformkommissionen. Er war Mitglied und zeitweise Präsident des City Club, einer reformorientierten Vereinigung von Unternehmern und Intellektuellen, die sich bei der Demokratisierung der Lokalverwaltung, im Gesundheitswesen, bei der Integration von Zuwanderern und in der Berufsbildung einsetzte.

Mead selbst hat seine Theorie nie systematisch niedergelegt. Als Hauptwerk Meads gilt der Band „Geist, Identität und Gesellschaft aus der Perspektive des Sozialbehaviorismus“. Meads Überlegungen zur phylogenetischen Bildung des Bewusstseins und ontogenetischen Entwicklung der Identität unter Verwendung einer gemeinsamen Sprache bildeten den Grundstock für die Schule des symbolischen Interaktionismus[1], die von seinem Schüler Herbert Blumer begründet wurde. Diese Schulen ging von drei Gesichtspunkten aus: 1. Menschen handeln Dingen gegenüber auf Grund der Bedeutung, die diese Dinge für sie haben. 2. Diese Bedeutung entsteht durch soziale Interaktion. 3. Die Bedeutungen werden durch einen interpretativen Prozess verändert, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit der ihr begegnenden Dingen benutzt.

In dieser Arbeit geht es darum, die konzeptuellen Überlegungen von Mead zur Ethik herauszuarbeiten, die auf der Auseinandersetzung mit der utilitaristischen Ethik im Allgemeinen und mit der Ethik Immanuel Kants im Besonderen basieren. Dabei wird von folgender Prämisse ausgegangen: Meads Ethik ist vom Widerstand gegen jedes fixierte Wertesystem und gegen die Einebnung der Differenz von Wissenschaft und Ethik gekennzeichnet.

Die Thesen dieser Ausarbeitung werden in einem Schlusskapitel zusammengefasst und bewertet.

2 Kritik an der utilitaristischen und der Kantschen Ethik

Meads Ethik ist untrennbar mit seinem handlungstheoretischen Grundansatz und seiner sozialpsychologischen Konzeption verbunden.[2] Dies gilt nicht nur in dem Sinne, dass die Ethik unvermeidlicherweise die in Meads Werken wirkenden Motive ausdrücklich benennt und verteidigt.

Mead entwickelte den Ansatz seiner eigenen Ethik aus einer wechselseitigen Kritik der utilitaristischen und der Ethik von Immanuel Kant.[3]

Die utilitaristische Ethik propagiert die Bewertung gesellschaftlicher Zustände nach dem individuellen Nutzen der Gesellschaftsmitglieder und somit als normative Ethik zu verstehen. Grundlegend für die ethische Bewertung einer Handlung in einem utilitaristischen Rahmen ist das Nützlichkeitsprinzip, dargestellt als Grundformel: „Diejenige Handlung bzw. Handlungsregel (Norm) ist im sittlichen bzw. moralischen Sinne gut bzw. richtig, deren Folgen für das Wohlergehen aller von der Handlung Betroffenen optimal sind.“

Die Anfänge utilitaristischen Denkens im neuzeitlichen Europa finden sich bei Thomas Hobbes (Leviathan), dessen grundlegende ethische Aussage darin besteht, dass „richtiges“ Verhalten dasjenige ist, das unser eigenes Wohlergehen fördert.[4] Weiter: Die Berechtigung des gesellschaftlichen Moralkodex hängt davon ab, ob er das Wohlbefinden derjenigen begünstigt, die ihn befolgen. Bei Francis Hutcheson war das Kriterium für moralisch gutes Handeln, ob dadurch die Wohlfahrt der Menschheit gefördert wird. Dessen Nachfolger David Hume kam zu dem Schluss, dass Tugend und persönliches Verdienst in denjenigen unserer Eigenschaften ruhen, die für uns – und für andere – nützlich sind.

Diese Form der Ethik ist vom Kern her universalistisch, da das Glück und Leid jedes Individuums in dessen Überlegungen das gleiche Gewicht besitzt. Es kommt nicht nur auf das Glück der handelnden Person allein an, auch nicht auf das Glück einer Gruppe, Gesellschaft oder Kultur, sondern auf das Glück aller von einer Handlung Betroffenen. Damit ist der Utilitarismus keine egoistische, sondern vielmehr eine altruistische Ethik: Das kollektive Wohl ist dem Individualwohl übergeordnet.[5] Der Utilitarismus versucht die Entstehung und Geltung moralischer Normen und gesellschaftlicher Institutionen auf den Nutzen zurückzuführen, den sie für die Gesellschaft haben. Als eine normative Theorie setzt sie das Prinzip des Nutzens als ein moralisches Kriterium, an dem die Richtigkeit und Falschheit von Handlungen sowie Recht und Unrecht gesellschaftlicher Normen und Institutionen gemessen werden. Die utilitaristische Ethik fragt immer nach dem größten Glück aller Betroffenen.

In diesem Zusammenhang wird kein Gott, kein Mythos, kein Gewissen oder eine sonstige transzendentale Instanz als Garant für Moralität gefordert. Vielmehr beruhen moralische Entscheidungen auf rationalen Erwägungen, die jeder Mensch verstandesmäßig nachvollziehen kann.[6]

Die utilitaristische Ethik bildet die sozialphilosophische Basis der Wohlfahrtsökonomik. Die utilitaristische Wohlfahrtsökonomik basiert somit einerseits auf der normativen Festlegung, dass die Wertungen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder letztlich für wirtschaftliche Entscheidungen ausschlaggebend sein sollen. Andererseits soll das gesellschaftliche Vermögen zur Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt zur Disposition stehen. Umverteilungsmaßnahmen sind erwünscht und durchzuführen, wenn die gesellschaftliche Wohlfahrt dadurch erhöht werden kann. Ergebnis ist ein Spannungsverhältnis zwischen individuellen Präferenzen und der gesellschaftlichen Wohlfahrt, das in der Wohlfahrtsökonomik mithilfe von Wohlfahrtskriterien und Wohlfahrtsfunktionen formal gelöst wird.

Die utilitaristische Ethik stellt den Prototyp einer auf die Ergebnisse des Handelns beschränkten Moral dar.[7] Mead betrachtete dies durchaus auch als Gegenmittel gegen eine bloße Gesinnungsethik. Der Utilitarismus überwindet die Einschränkung des Guten auf eine Angelegenheit des inneren Wollens, wie sie vom protestantischen Christentum erzeugt worden war, und wendet die Ethik wieder in das Praktische, Gesellschaftsverändernde. Dies gelingt ihm allerdings nur dadurch, dass er das Band des Handelns zu den Motiven vollends durchschneidet: für den Utilitarismus existiert nur ein einziges gleich bleibendes Motiv; nämlich „desire for pleasure and the avoidance of pain.“[8]

Im gesellschaftlichen Zusammenhang folgt daraus, dass das moralisch beste Verhalten jenes sei, welches dieses Bedürfnis im quantitativ größten Ausmaße befriedigt: jedes Handeln ist gut, das zum bestmöglichen Glück der bestmöglichen Zahl beiträgt.

Mead beschäftigte sich ausführlich mit der Frage, wie bei den Hauptvertretern dieser Richtung, Bentham[9] und Mill[10], das Gesellschaftliche in einer über diese äußerliche Weise hinausragende Form auftauchen kann.[11] Er arbeitete heraus, wie bei Bentham das Glück des anderen nur als Mittel auf dem Weg zum eigenen Glück auftritt, während beim jüngeren Mill durchaus das unmittelbare Wollen des Guten für eine andere Person als Ziel gedacht wird. Dieser versuchte, das Phänomen des Gewissens im Rahmen der utilitaristischen Theorie zu analysieren und entwickelte zu diesem Zweck eine assoziationspsychologische Erklärung, in der Denken an andere als habitualisierte Eigenschaft gedacht wird.

Es wird deutlich, dass Mead die Versuche der sozialreformerischen utilitaristischen Theoretiker, den Altruismus auf dem Boden einer egoistischen Interesse-Theorie zu begründen, für gescheitert hielt.

Kants Ethik ist für Mead dagegen die reflektierteste und beeindruckendste Form reiner Gesinnungsethik.[12] Nicht das Resultat ist entscheidend für die moralische Qualität einer Handlung, sondern die Absicht, aus der heraus die Handlung geschah. Kant ging vom Faktum des Gewissens und der Autonomie des Willens aus und sah in der möglichen Theorie des Einsehens die Voraussetzungen für die rationale Gestaltung der Gesellschaft.[13] Im „kategorischen Imperativ“ formulierte er den Grundsatz einer Ethik, die Universalität im Motiv des Handelnden selbst verankern will.[14] Nicht die Religion, gesunder Menschenverstand oder die empirische Praxis können die Voraussetzungen und die Möglichkeit moralisch verbindlicher Sollensaussagen beantworten, sondern nur die praktische Vernunft.

Der „kategorische Imperativ“ gebietet allen endlichen vernunftbegabten Wesen und damit allen Menschen, ihre Handlungen darauf zu prüfen, ob sie einer für alle, jederzeit und ohne Ausnahme geltenden Maxime folgen und ob dabei das Recht aller betroffenen Menschen, auch als Selbstzweck, also nicht als bloßes Mittel zu einem anderen Zweck behandelt zu werden, berücksichtigt wird. Der „kategorische Imperativ“ ist nach Kant keine inhaltliche Norm, sondern das einzige Handlungs- und Normenprüfkriterium.[15] Wer wissen will, ob eine beabsichtigte, ausgeführt werdende oder schon geschehene Handlung moralisch richtig ist, muss die jeweilige Handlungsbeschreibung durch Abstraktion von den involvierten Personen in eine allgemeine Regel verwandeln und dann beurteilen, ob er diese Regel als allgemeines Gesetz ohne Widerspruch denken und wollen kann. Unmoralische Handlungen erkennt man so an einer Form von Widersprüchlichkeit.[16]

Die Konstruktion eines Ideals des guten Willens ist Voraussetzung für seine Ethik. Sein Ausgangspunkt ist, dass eine Handlung durch praktische Vernunft bedingt sei. Weiter seien die Faktoren, welche das Handeln bedingen, keine Naturgesetze, sondern praktische Grundsätze: Dies sind erstens die Maximen (subjektive Grundsätze); selbstgesetzte Handlungsregeln, die ein Wollen ausdrücken. Zweitens sind dies Imperative (objektive Grundsätze). Diese sind durch praktische Vernunft bestimmte Ratschläge oder moralisch relevante Grundsätze.

Ohne Freiheit wäre der kategorische Imperativ unmöglich, umgekehrt ist die Freiheit erst aus dem Sittengesetz erweislich, denn rein theoretisch lässt sie sich nicht sichern. Wenn der Mensch nach dem Sittengesetz handelt, so ist er von sinnlichen, auch triebhaften Einflüssen unabhängig und daher nicht fremdbestimmt (heteronom), sondern autonom. Als autonomes Wesen verfügt er nach Kants Auffassung über Menschenwürde. Voraussetzung der Menschenwürde ist für Kant jedoch nicht, dass ein Mensch sittlich handelt, sondern, dass er zu sittlichem Handeln fähig ist.[17]

Kant entwickelt sein Freiheitsverständnis in Auseinandersetzung mit den zu seiner Zeit verbreiteten Meinungen zur Willensfreiheit.[18] Hume beispielsweise behauptet, der Mensch sei ganz und gar ein natürliches Wesen, das ausschließlich den Kausalketten unterworfen sei, denen auch die übrige Natur unterliegt. Kant versucht dagegen, den Widerspruch zwischen dem Denken in natürlichen Kausalitätsketten und der Notwendigkeit des freien Willens für die Moral aufzulösen.[19] Dazu betrachtet er den Menschen aus doppelter Perspektive: Zum einen sieht er den Menschen als ein empirisches Wesen, das wie bei Hume den Naturgesetzen unterliegt. Zugleich ist der Mensch jedoch auch ein intelligibles Wesen, das sich an moralischen Prinzipien orientieren und den Gesetzen folgen kann, die sich die Vernunft selbst gibt, und gehört damit zugleich dem „Reich der Freiheit“ an.[20]

Ein freier Wille ist für Kant also nur ein Wille unter sittlichen Gesetzen.[21] Wegen der Ausrichtung am Forderungscharakter des moralischen Gebots ist Kants Ethik ihrem Ansatz nach eine Pflichtethik[22] im Gegensatz zu einer Tugendethik, wie sie Aristoteles vertritt. Auch nach Kant strebt jeder Mensch unvermeidlich nach „Glückseligkeit“, doch die Vielfalt der subjektiven Meinungen über das menschliche Glück erlaubt es nicht, objektive Gesetze einer eudaimonistischen Ethik abzuleiten. An die Stelle des Glücks setzt Kant in der Folge die „Würdigkeit zum Glück“, die aus dem sittlichen Verhalten entsteht. Nur wenn der Mensch seine Pflicht erfüllt, ist er der Glückseligkeit würdig. Das Glücksverlangen wird nicht geleugnet und auch nicht kritisiert, bestritten wird von Kant jedoch, dass es bei der Entscheidung der Frage nach dem moralisch Erforderlichen eine Rolle spielen dürfe.

Wo Kant in seinen anderen Schriften zur praktischen Philosophie nicht von den Grundlegungsfragen handelt, sondern von den konkreten ethischen Phänomenen, zeigt sich, dass seine Ethik kein leerer Formalismus und auch keine rigoristische Überforderung des Menschen ist, sondern sich durchweg darum bemüht zeigt, die Vielfalt menschlicher Handlungsweisen zu erfassen.

Im menschlichen Leben ist Kants Meinung nach nicht das volle Glück, sondern nur die „Selbstzufriedenheit“ erreichbar.[23] Darunter versteht er die Zufriedenheit des Menschen damit, dass er sich in seinem Handeln an der Sittlichkeit orientiert. Es gehört für Kant zu den sittlichen Pflichten, das Glück anderer Personen durch Hilfsbereitschaft und uneigennütziges Handeln in Freundschaft, Ehe und Familie zu befördern.[24]

Mead teilte die Intention der Universalität, kritisierte jedoch Kants ethische Vorstellungen in mehreren Punkten. Mead argumentierte, dass die Einschränkung der Universalität moralischer Handlungen auf ein Handeln aus Pflicht die Pflicht in einen unaufhebbaren Gegensatz zur Neigung rückt und einen wirklichen dialogischen und situationsbedingten Charakter moralischen Handelns verhindert.

Weiterhin erwähnt Mead die Kritik Friedrich Schillers[25] an Kant, die auf die moralische Qualität einer aus Neigung kommenden guten Tat verwies, und ging auf den bedürfnisrepressiven Charakter von Kants Ethik ein. Dieser enthält nach Mead keine Möglichkeit, die Bedürfnisse selbst zum Gegenstand der Willensbildung zu machen. Ein wirkliches dialogisches Verfahren wird verhindert, da das Sittengesetz bei Kant in seinem transzendentalen Status nicht als Inbegriff der Anforderungen gleichberechtigter Zusammenarbeit transparent wird. Im Gegensatz zu Kant vertrat Schiller das Ideal einer Moralität, das Neigung und Pflicht zu verbinden suchte. Diese Möglichkeit sah er im Bereich des Ästhetischen. Durch die Kunst sollten sich die geistigen und sinnlichen Kräfte harmonisch ausbilden.[26]

Den größten Nachdruck legt Mead darauf, dass das Selbstprüfungsverfahren des „kategorischen Imperativs“ dort seine Grenze hat, wo es nicht um die Bestimmung der Pflicht selbst geht, sondern um die Lösung einer Pflichtenvermengung oder vielmehr um die Bestimmung des konstruktiven Weges, der Pflicht zu genügen. Mit der Frage nach dem nicht schon vorgegebenen, sondern schöpferisch zu findenden Weg der Pflichterfüllung sprengt Mead das Gehäuse der Gesinnungsethik.

Die von ihm gesehenen Mängel der utilitaristischen und der Kantschen Ethik erweisen sich für Mead als komplementär: „Die Moral kann von den Utilitaristen nicht mit dem Motiv und von Kant nicht mit dem Ziel verbunden werden. Die gemeinsame Ursache für diese Mängel liegt in einem falschen Begriff der Handlung, der Motiv und Objekt der Handlung künstlich zerreißt.“[27]

Für Mead ist ein Motiv, das nicht auf ein handelndes Erreichen eines Objekts gerichtet ist, kein eigentliches Motiv. Er deutet diese Trennung als Ausdruck des empiristischen Erfahrungsbegriffs, der auch Kants Begriff der Neigung unterschwellig charakterisiert. Mead setzt dem entgegen: „Wir legen die Scheuklappen der Utilitaristen und Kantianers ab, wenn wir erkennen, dass das Verlangen auf das Objekt und nicht auf die Lust gerichtet ist. Sowohl Kant als auch die Utilitaristen sind im Grunde hedonistisch, da sie annehmen, unsere Neigungen seien auf unsere eigenen subjektiven Zustände gerichtet – auf die Lust, die sich aus der Befriedigung ergibt. Wenn das das Ziel ist, dann sind natürlich alle unsere Motive subjektiv. Aus der Sicht Kants sind sie schlecht, aus der Sicht der Utilitaristen sind sie für alle Handlungen gleich und somit neutral. Nach der modernen Auffassung ist aber das Motiv wertvoller, wenn das Objekt selbst wertvoller ist.“[28]

Meads erster Schritt zur Überwindung der schlechten Alternative von bloßer Gesinnungs- bzw. Verantwortungsethik ist die Kritik des „hedonistischen Fehlschusses“: „Der hedonistische Fehlschuss liegt darin, dass man aufhört, nach dem eigenen Genuß zu streben, sobald man anfängt, ihm seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.“[29]

Nicht erst eine ungenügende Lösung der intersubjektivitätstheoretischen Problematik, sondern schon die hedonistische Psychologie schreibt den unüberwindbaren Partikularismus der Neigungen und Antriebe des Einzelnen fest. Erst wenn die Einsicht erreicht ist, dass nicht die Selbstempfindung des partikularen Individuums handlungsmotivierend wird, sondern das Erreichen objektiver Handlungsziele, erst dann nimmt der Begriff des Motivs selbst eine verallgemeinerungsfähige Form an, so dass in der Sphäre der Intersubjektivität der Anspruch auf Verallgemeinerung geprüft werden kann.[30]

Mead versucht diese Kritik an den psychologischen Voraussetzungen der kritisierten ethischen Vorstellungen Kants und des Utilitarismus im Allgemeinen durch den immanenten Nachweis zu stützen, dass auch Kants bewusst formale Ethik um die Einführung eines material-wertvollen Inhalts nicht herumkommt: „Kant erklärt zwar, dass es keinen Inhalt gibt, aber indem er den Menschen zu einem Zweck in sich selbst und somit die Gesellschaft zu einem höheren Zweck macht, führt er den Inhalt ein. Dieses Bild eines Reiches der moralischen Zwecke kann nur schwer von der Lehre Mills unterschieden werden, da in beiden Fällen die Gesellschaft als Endziel eingesetzt wird. Beide müssen zu irgendeinem Ziel kommen, das allgemein ist. Der Utilitarist erreicht es im allgemeinen Gut, im allgemeinen Glück der ganzen Gesellschaft; Kant findet es in einer Organisation vernunftbegabter menschlicher Wesen, die die Rationalität auf die Form ihrer Handlungen anwenden. Beide können sie das Ziel nicht im Rahmen des vom einzelnen gewünschten Objekts bestimmen.“[31]

Mead will darauf hinaus, dass es sich so zunächst zeigt, dass es in sich wertvolle Handlungsziele gibt und es sich dabei um die Einordnung des individuellen Handelns in die Universalisierung gesellschaftlicher Strukturen handelt.[32]

Die Kritik an Kants Kategorischen Imperativ von Hegel wird bei Mead nicht diskutiert, obwohl sie wohl eine der wichtigsten Anknüpfungspunkte ist. Hegel kritisierte den „kategorischen Imperativ“ als bloß formales Prinzip der Handlungsbeurteilung, das jede beliebige materiale Norm zu rechtfertigen erlaube. Weil die Vernunft mit dem Kategorischen Imperativ nur ihre Selbstgewissheit zum Kriterium der Moralität machen könne, ließen sich beliebige Willensbestimmungen als moralisch beurteilen, solange diese mit der Vernunft selbst verträglich erscheinen. Angewendet auf die Praxis produziere der Kategorische Imperativ nur „Tautologien“.[33]

Mead geht auch nicht auf die theologischen Varianten der Ethik ein, scheinbar sind sie für ihn zu vernachlässigen. Viele antiken und mittelalterlichen christlichen Theologen haben eine Tugendethik und Tugendlehre vertreten, welches gutes menschliches Handeln geprägt sieht durch habituelle Vermögen.[34] Prägend für mittelalterliche Tugendlehren sind neben der platonischen Tradition unter anderem auch Boethius (Tugend als habitus des wohlgeordneten Geistes) und Macrobius (politische, reinigende, kontemplative, exemplarische Tugenden). In der begrifflichen Fassung und funktionalen Verwendung des Tugendbegriffs wird, anders als in der Axiologie, vielfach an Aristoteles angeschlossen. Schon Petrus Abaelardus verbindet platonische und aristotelische Tugendbegriffe. Er betont auch gesinnungsethische Perspektiven und versteht das sittliche Gute als Zustimmung (consensus) zum objektiv Guten. Voraussetzung der Tugenden ist eine demütige Geisteshaltung im Gehorsam gegenüber Gott, welche der Klugheit als Mitte der Tugenden entspricht. Im 13. Jh. wird durch Robert Grosseteste die aristotelische Nicomachische Ethik im lateinischen Westen zugänglich und von Albertus Magnus 1250-52 kommentiert. Dabei tritt eine Eigenständigkeit der Moralphilosophie auch gegenüber der Gotteslehre und Metaphysik hervor. Er bezieht die aristotelischen „intellektuellen“ Tugenden auf das Ziel, die „moralischen Tugenden“ auf den Träger und sieht die Vernunft als Quelle tugendhafter Handlungen an und nimmt ein keimhaftes, formbestimmtes natürliches Vermögen an, tugendhaft zu handeln.[35] Thomas von Aquin integriert ebenfalls aristotelische Ideen, etwa was den Gerechtigkeitsbegriff betrifft, der er als medium rei der Tugenden reinterpretiert. Von Aquin hält die vier Kardinaltugenden für ausschließlich, stellt ihnen aber theologische Tugenden zur Seite. Die Tugend vervollständigt für ihn den natürlichen Antrieb des Menschen, muss diesen also nicht erst von Grund auf korrigieren; der Wille richtet sich von Natur aus auf das Gute, so dass eine gewisse Kontinuität zwischen Vorhof (praeambula) und Gnadengeschenk besteht.

Verweise oder Auseinandersetzungen mit den oben erwähnten Denkern oder mit Kategorien von theologischer Moral allgemein finden sich bei Mead nicht. Religion scheint für ihn kein Bezugspunkt darzustellen, um in wissenschaftlicher Weise den Fragen nach Gerechtigkeit, Tugend oder Moral nachzugehen.

3 Das Konzept der Ethik bei Mead

Meads Ethik ist vom Widerstand gegen jedes fixiertes Wertesystem und die Einebnung der Differenz von Wissenschaft und Ethik gekennzeichnet.[36] Sein Aufsatz „Scientific Method and the Moral Sciences“ ist diesem Thema gewidmet. Er schließt sich dort der naturwissenschaftlich motivierten Kritik von Huxley an teleologischer Geschichtsphilosophie und kosmologischer Verankerung von Werten an und kommt so zu der Frage: „Kann die Welt der Naturwissenschaften der Welt des sozialen und moralischen Verhaltens Inhalte geben?“[37]

Bei der Beantwortung dieser Frage sagt er, dass die Wissenschaft als solche keine Ziele vorgebe und insofern die Frage zu verneinen sei.[38] Mead beschreibt den geschichtlichen Prozess, in dem die zunehmende Rationalität der Mittel nicht von einer zunehmenden Rationalität der gesellschaftlichen Zielbestimmung begleitet wird. Wissenschaft ist für ihn die Untersuchung der Relationen von Zielen und Mitteln, Ethik die der Relation der Ziele selbst. Er hält es aber für undenkbar, dass der Anspruch der Vernunft auf die Rationalität der Wahl der Mittel begrenzt bleibt: „Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass der wissenschaftlichen Methode nur bei der Herausbildung und Auswahl von Mitteln anwendbar ist und nicht verwendet werden kann, wo ein Problem miteinander konfligierende soziale Ziele und Werte beinhaltet.“[39]

Andererseits legt die Wissenschaft die Werte auch nicht fest: „Wir greifen nicht auf die wissenschaftliche Methode zurück, um festzulegen, was das gemeinschaftlich Gute ist, obwohl wir gelernt haben, uns der Wissenschaft bei einigen unserer gemeinsamen Anstrengungen und Praktiken in der Verfolgung des Guten zu bedienen. Die wissenschaftliche Methode ist kein Dienstbote, der dem Geist fremd wäre und beliebig herbeigerufen oder fortgeschickt werden könnte. Sie ist ein integraler Bestandteil der menschlichen Intelligenz, und wenn die einmal an die Arbeit gesetzt worden ist, kann sie nur dadurch wieder außer Kraft gesetzt werden, dass die Intelligenz außer Kraft gesetzt wird.“[40]

Aus diesem Vertrauen in die Unteilbarkeit der Vernunft erneuert Mead am Ende des Aufsatzes den kosmologischen Anspruch der Moral:[41] „Die Ordnung des Universums, in dem wir leben, ist die moralische Ordnung. Sie ist zur moralischen Ordnung geworden, weil sie die ihnen selbst bewusste Methode von Mitgliedern einer menschlichen Gemeinschaft geworden ist. Wir sind keine Pilger und Fremdlinge. Wir sind in unserer eigenen Welt zu Hause, aber diese Welt ist nicht die unsere, weil wir sie geerbt, sondern weil wir sie erobert haben. Die Welt, die aus der Vergangenheit auf uns kommt, beherrscht und kontrolliert uns. Wir beherrschen und kontrollieren die Welt, die wir entdecken und erfinden. Und dies ist die Welt der moralischen Ordnung.“

Moralische Probleme zu lösen erfordert nach Mead kreative intellektuelle Leistung und die Berücksichtigung aller in der Situation relevanten Werte.[42] Wo die Lösungswege unaufhebbar riskant sind, ist Moral ohne Sachwissen unmöglich; wo bloße Gesinnungsethik überwunden ist, gehört die experimentelle Reflektion über die Folgen der eigenen Handlungsalternativen zum innersten Kern der Moralität. Mit der Forderung nach der Berücksichtigung aller Werte, die Mead mit der Forderung an den Wissenschaftler nach Berücksichtigung aller Tatsachen ausdrücklich parallelisiert, ist über die Dimension des Handelns hinaus die Dimension der Intersubjektivität angesiedelt.[43]

Meads Begriff des Wertes ergibt sich aus seinem handlungstheoretischen Grundrahmen. Er wehrt sich gegen einen objektivistischen Begriff des Wertes ebenso wie gegen einen subjektivistischen: „Werte sind nicht einfach objektive Gegebenheiten unabhängig von menschlicher Existenz, sie sind aber ebenso wenig nur Ausfluss subjektiven Wertens von prinzipiell dieser Wertung indifferent gegenüberstehenden Objekten.“[44]

Die Wertung ist für Mead vielmehr Ergebnis einer Interaktion von Subjekt und Objekt, Organismus und Umwelt. Diese praktische Beziehung von menschlichem Organismus und Umwelt erläutert Mead mit seinem Handlungsmodell, das die Phasen des Handlungsantriebs, der Wahrnehmung und der bedürfnisbefriedigenden Handlungsvollendung (consummation) enthält. Der Wert eines Objektes ergibt sich dann aus der Relation zur „consummatory phase“. Damit wird der Wert des Objektes im praktischen Wechselspiel von Subjekt und Objekt konstituiert, vom Subjekt aber notwendig als objektive Eigenschaft der erfahrbaren Objekte erlebt.[45] Die Wertbeziehung ist damit für Mead zwar eine objektiv existierende Beziehung von Subjekt und Objekt, aber sie wird nicht mit einer Erkenntnisbeziehung gleichgesetzt. Mead unterscheidet Wertbeziehung und Erkenntnisbeziehung; aber nicht im Sinn des nur subjektiven Charakters des Wertens gegenüber einem objektiven Anspruch des Erkennens. Ihre Differenz liegt in der Zuordnung zu verschiedenen Phasen der Handlung.

Die Erkenntnis der primären Qualitäten wie der Masse wird durch die Manipulationsphase, die der sekundären Qualitäten wie der Farben und Töne durch die Wahrnehmungsphase konstituiert.[46] Zwischen primären Qualitäten, sekundären Qualitäten und Werten könnte zwar eine Gefälle der Objektivität in dem Sinne bestehen, dass die anthropologische Konstruiertheit der Erfahrung bei der Manipulation am größten sei, während die Distanzwahrnehmung kulturell prägbarer und für die Wertung das ganze Spektrum der historisch, kulturell und individuell verschiedene Bedürfnislagen ausschlaggebend sei.[47]

Es wird deutlich, dass Meads handlungstheoretische Deutung des Wert-Begriffes einen tief ansitzenden Widerstand gegen ein von Naturwissenschaften beeinflusstes mechanistisches Weltbild erfordert. Um die Wahrheitsfähigkeit moralischer Fragen zu begründen, muss Mead die Kritik an dem Weltbild leisten, das nur den Primärquellen objektive Realität zugesteht.[48]

Mead bewahrt also den Objektivitätsanspruch evoluativer Prädikale, ohne diese auf empirische zu reduzieren. Innerhalb dieser Handlung ist deshalb für ihn keine Ableitung der einen von den anderen, des Sollens vom Sein, möglich. Es bleiben aber alle empirischen Prädikale auf die Konstitution in einem wertbezogenen Handlungsrahmen angewiesen. Mead weigerte sich ausdrücklich, das Moralische dem Kognitiven und dem Expressiven einfach gleichzustellen und einen unlösbaren Konflikt der unterschiedlichen Wertsphären anzunehmen. Nur das Moralische wohne der Handlung als ganzer inne, während die anderen Leistungen von Phasen der Handlung abstrahiert seien.

In der Arbeit „Die philosophische Grundlage der Ethik“ trägt Mead einen Gedanken vor, der auf ein wichtiges Problem verweist, das in der fragmentarisch gebliebenen werttheoretischen Position Meads nicht abschließend durchdacht wurde.[49] Er wehrt sich dort gegen eine subjektivistische Konstitutionstheorie der Handlung mit dem Argument, dass damit Moralität der Handlung äußerlich bleiben muss, weil der soziale Charakter sowohl der Moralität der Handlung äußerlich bleiben muss, weil der soziale Charakter sowohl der Moralität wie der individuellen Handlungsfähigkeit undurchschaut bleibt. Wenn das Individuum nur für subjektive Ziele handelt, ob diese nun als selbstgesetzt oder als natural festgelegt gedacht werden, dann ist die moralische Aufgabe der Erreichung gemeinsamer Ziele durch individuelles Handeln verfehlt: „Die moralische Notwendigkeit des Verhaltens ist unter diesem Gesichtspunkt ziemlich unabhängig vom Handeln selbst. Weit davon entfernt, die grundlegende Wirklichkeit zu sein, ist sie ein Derivat, durch das (…) das Individuum für etwas handelt, was ihm nur indirekt eigen ist – für ein entferntes Ziel, durch eine soziale ‚Dressur’. Es ist selbstverständlich, dass diese Theorie eher den Ausbildungsprozess zu einem Mittel machen will, durch den die Menschen unbemerkt zu gesellschaftlich wertvollem Handeln gebracht werden, als das unmittelbare Verhalten eines Individuums, das sich einem moralischen Problem konfrontiert sieht.“[50]

Es gibt für Mead weder ein festes, religiös oder anderweitig verbürgtes Wertsystem noch eine biologische Wurzel moralischen Verhaltens. Biologisch determiniertes oder nominativ festgelegtes Verhalten liegen vor der eigentlichen Situation.[51] Diese entsteht dann, wenn die Werte des Handelnden miteinander kollidieren. Ethische Probleme sind also durch und durch gesellschaftlichen Charakters; sie sind gesellschaftliche Probleme, die den Individuen zur Lösung unmittelbar überlassen sind: „Ethische Ideen entwickeln sich innerhalb der jeweiligen menschlichen Gesellschaft im Bewusstsein der einzelnen Mitglieder der diese Gesellschaft aus dem Umstand der gemeinsamen gesellschaftlichen Abhängigkeit aller dieser Mitglieder untereinander (…) und aus ihrem Bewusstsein von dieser Tatsache. Ethische Probleme treten aber für die einzelnen Mitglieder jener menschlichen Gesellschaft immer dann auf, wenn sie einzeln mit einer gesellschaftlichen Situation konfrontiert werden, auf die sie sich nicht sofort einstellen können, in der sie sich nicht sogleich verwirklichen oder in die sie ihr eigenes Verhalten nicht unmittelbar integrieren können.“[52]

Die Untersuchung dieser moralischen Problemsituation steht im Mittelpunkt von Meads ethischen Analysen. Die moralische Situation ist laut Mead eine Krise der gesamten Persönlichkeit.[53] In der moralischen Situation erfährt der Einzelne einen Konflikt zwischen bestimmten eigenen Werten und anderen eigenen Werten oder den Werten von Partnern. Mead denkt sich diesen Wert nach dem Modell einer Diskussion oder einer Gerichtsverhandlung. Jeder Wert wird physisch repräsentiert durch einen Geltung fordernden Vertreter. In dem Aufsatz „The Social Self“ schreibt er: „Wenn wir wie ich vom wesentlich sozialen Charakter ethischer Zwecke ausgehen, dann sehen wir in der moralischen Reflektion einen Konflikt, in dem bestimmte Werte in der alten Identität oder deren vorherrschenden Teilen ihren Fürsprecher finden, während andere Werte, die anderen Bestrebungen und Antrieben entsprechen, dem entgegenstehen und für ihre Sache andere Fürsprecher finden.“[54]

Der Konflikt dieser verschiedenen Ansprüche legt aber das Handeln lahm und führt der Tendenz nach zu einer Desintegration der alten Identität. Dies kann nur in eigener Tätigkeit in schöpferischer Weise überwunden werden.[55] Die alte Identität wird immer versuchen, durch Abwehr- und Ausweichstrategien das Problem zu umgehen, wird aber immer wieder darauf zurückgeworfen. Das Beharren bei der alten Identität, ohne diese zumindest durch die argumentative Auseinandersetzung mit den neuen Zumutungen zu erweitern, bringt das Individuum um seine eigenen Entwicklungschancen. Egoistisches Verhalten deutet Mead deshalb als Abschnürung des Ichs, das seinen gesellschaftlichen Charakter zu vergessen versucht. Um die moralische Problemsituation zu lösen, müssen die mitgebrachten Wertvorstellungen, Erwartungen und Impulse reflektiert und im Fall der Einsicht in die Notwendigkeit ihrer Änderung umstrukturiert werden. Nur durch den Entwurf einer situationsangemessenen, praktikablen moralischen Strategie werden eine Lösung des Wertkonflikts und eine Reintegration der Identität möglich.

Im Unterschied zur wissenschaftlichen Problemsituation muss dieser Entwurf aber unter den Bedingungen situativen Entscheidungsdrucks und der Involviertheit der ganzen Person getroffen werden.[56] Aus der Lösung des moralischen Problems gehen weder die Identität des Handelnden noch der gesellschaftliche Wertzusammenhang unverändert hervor. Die Identität des Handelnden entwickelt sich durch die Berücksichtigung der Werte und Interessen anderer Personen. Um seine Identität zu realisieren, ist damit die Teilhabe an den zentralen gesellschaftlichen Wertdiskussionen nötig. Mead stellt damit Identitätsbildung hinein in die gesellschaftliche und politische Praxis. Er versucht, Stufen der Identitätsbildung als Stufen der moralischen Entwicklung und zugleich als Stufen der Entwicklung von Gesellschaft zur Herrschaftsfreiheit zu beschreiben.

Über diese und über Konflikte zwischen verschiedenen generalisierten Anderen geht die Orientierung an immer umfassenderen sozialen Einheiten und schließlich an einer universalistischen Perspektive eines Ideals umfassender Entfaltung der Menschengattung. Diese Perspektive hebt den Menschen aus jeder konkreten Gemeinschaft hinaus und führt dazu, alle gültigen Standards auf ihre Legitimität hin zu befragen.[57]

Mead postuliert, dass Kommunikation der Faktor ist, der die Entwicklung des Menschen als sozialem Wesen bedingt, weil die typische menschliche Kommunikation und Interaktion über signifikante Symbole stattfindet. Diese Symbole sind Allgemeinbegriffe, d.h. dass das Symbol bei einem selbst das Gleiche auslöst wie bei den Anderen. Der Sinn oder die Bedeutung eines Symbols wird von allen Mitgliedern der Gesellschaft gleich interpretiert.

An Meads Theorieansatz wird deutlich, dass das Verständnis der Moralität als Sozialität nicht auf eine Anpassungsmoral hinausläuft, sondern dass die Opposition des Individuums gegenüber bestimmten gesellschaftlich gültigen Werten moralisch gefordert sein kann.[58]

Nicht Anpassung an eine gegebene Gesellschaft, sondern Förderung eines der Gesellschaftlichkeit des Menschen immanenten Prinzips ergibt ein universalisierbares Prinzip. Universalität kann deshalb nur in der Sozialität selbst begründet werden, weil sie durch Sozialität ermöglicht wird: „Die Sozialität ist Ursache der Universalität ethischer Urteile.“[59]

Universalität ist nach Mead nur durch die Universalität der Fähigkeit der Rollenübernahme möglich. Universalistische Orientierung ist für ihn deshalb nicht die Orientierung an einer identischen Aktivität wie der der anderen, sondern ein Handeln als Glied eines idealen Kooperationsprozesses. Die Kommunikation der Menschen selbst und die ihr zugrunde liegende Elementarfähigkeit der Rollenübernahme enthalten ein formales Ideal: „Das universale Gespräch ist also das formale Ideal der Kommunikation.“[60]

Mead bezeichnet die Kommunikation als Kern der Rationalität des Menschen und damit als logische Basis einer konsistenten Gesellschaftskritik: „Wenn man Symbolisierung als einen Akt primitiver Kommunikation verstehen kann, dann gehört jedes spezifisch menschliche Weisen potentiell einer größeren Einheit an als der, zu der es sich gerade zugehörig fühlt. Das liegt tatsächlich im rationalen Charakter des Wesens Mensch begründet. Diese übergreifenden Formen bieten der Kritik bestehender gesellschaftlicher eine Basis; sie haben die Tendenz, sich sogar unbewusst im gesellschaftlichen Verhalten durchzusetzen.“[61]

Mead will mit einem anthropologischen Begriff der Sozialität ein Konzept idealer Vergesellschaftung einführen, dem er als einzigem einen nicht willkürlichen Wertcharakter und eine wirkende Kraft in der Richtung der eigenen Realisierung zuspricht. Mead begründet seinen Begriff der idealen Sozialität aus der Analyse der moralischen Situation: „Dieses Gefühl für eine gesellschaftliche Struktur, die in der gegenwärtigen steckt, läßt edlen Charaktern keine Ruhe. Es führt zum Gefühl einer Verpflichtung, die über jeden Anspruch hinausgeht, den die vorhandene gesellschaftliche Ordnung ihnen auferlegt. Es ist eine ideale Welt, die ihnen gegenüber einen Anspruch anmeldet, doch es handelt sich eben um eine ideale Welt, die sich aus der gegebenen Welt entwickelt und unleugbar in ihr steckt. Es ist möglich, die Ansprüche dieser idealen Welt in mancher Hinsicht näher zu bestimmen. Ein menschliches Wesen ist Mitglied einer Gemeinschaft und dadurch Ausdruck von deren Sitten, Gebräuchen, Kultur, Symbolik sowie Verkörperung ihrer Normen und Werte. Diese Gebräuche erscheinen im Individuum als Gewohnheiten und gute Eigenschaften geraten nun miteinander in Konflikt. Aus solchen Konflikten entwickeln sich in der menschlichen Sozialerfahrung die Bedeutung der Dinge und die rationale Lösungen der Konflikte. Eine rationale Lösung der Konflikte macht jedoch die Umgestaltung sowohl der Gewohnheiten wie der Werte erforderlich, und das bringt eine Transzendierung der Ordnung einer Gemeinschaft mit sich. Eine hypothetisch angenommene andere Ordnung drängt sich auf und wird zum Ziel des Verhaltens. Sie ist ein soziales Ziel und muss bei anderen in der Gemeinschaft Gefallen und Anklang finden.“[62]

Die rationale Bewältigung moralischer Problemsituationen Meads besteht darin, alle in der Situation auftretenden Werte zu berücksichtigen und zu verstehen.[63] Dies bedeutet nicht, diese urteilfrei mit relativistischem Charakter nebeneinander zu stellen. Vielmehr bedeutet es die Frage nach dem Recht jedes dieser Werte unter dem Aspekt der Herstellung einer universalen Kommunikations- und Kooperationsgemeinschaft. Umfassende Verständigung mit anderen Menschen in der moralischen Situation und die Orientierung an der Realisierung dieser idealen Gesellschaft sind nach Mead die beiden Regeln die Lösung moralischer Situationen.

Mead vertritt eine Politisierung der universalistischen Moral.[64] Er spricht nicht nur vom Recht, sondern von der moralischen Pflicht, zur gesellschaftlichen Veränderung beizutragen: „Der Dialog setzt voraus, dass der Einzelne nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hat, zur Gemeinschaft zu sprechen, deren Mitglied er ist, um jene Veränderungen herbeizuführen, die durch das Zusammenspiel der Individuen zustande kommt. Das ist die Art und Weise, in der sich die Gesellschaft weiterentwickelt, nämlich durch eine wechselseitige Beeinflussung, wie sie sich dort vollzieht, wo eine Person etwas zu Ende denkt. Wir verändern ständig in einigen Aspekten unser gesellschaftliches System, und wir können das intelligent tun, weil wir denken können.“[65]

Mead arbeitet besonders in seinem Aufsatz „Philanthropy from the point of View of Ethics“ die ethischen Implikationen von Gegenseitigkeit heraus. Er sieht in der bloßen Wohlfahrt die unterste Stufe von Hilfsangeboten an Bedürftige.[66] Sozialarbeit ist durch ihren gezielten und methodischen Einsatz der bloßen Fürsorge an Rationalität überlegen, sie erreiche aber noch nicht die Stufe, die mit dem Begriff der Gerechtigkeit zu verbinden ist. Die höchste Stufe wird erreicht, wo der von Armut betroffene Mitmensch nicht mehr als Objekt des Mitleids oder Hilfe aufgefasst wird, sondern als Subjekt, das durch seine eigene Organisation politische Abhilfe für seine Situation schafft.

Mead spricht sogar von einer Entprofessionalisierung von Wissenschaft und ihre Wiedereingliederung in die unmittelbare Kommunikation der Mitglieder der Gesellschaft: „Erst wenn die Wissenschaft zu einer Disziplin geworden ist, die das Forschungsvermögen eines jeden Geistes aus jeder Klasse der Gesellschaft anzuziehen vermag, kann sie im strengen Sinn wissenschaftlich werden. Und erst wenn ihre Ergebnisse so formuliert werden können, dass sie für jeden aufgeklärten Geist interessant sein müssen, können sie universalen Wert besitzen.“[67]

Diese radikalen Konsequenzen aus seiner ethischen Vorstellungen zielt auf die Herausbildung jener gesellschaftlichen Bedingungen, in denen erst allen Menschen Identitätsbildung bis zu den höchsten Stufen moralischer Entscheidungsfähigkeit möglich wird und um die ständige Veränderung aller Institutionen zur Beseitigung aller Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen.[68] Er wendet sich gegen einen Sozialstaat, der es bei der bloßen Alimentierung leistungsschwacher oder kranker Mitglieder belässt und ihnen die Mitwirkungsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft schwer macht oder gar verweigert. Damit outet er sich als liberalistischer Vordenker, der aus seiner Auslegung des Christentums heraus sozialreformerische Impulse für die Gesellschaft bereitstellen möchte und sich gegen jegliche Exklusion eines Mitgliedes der Gesellschaft ausspricht. Seine soziale Grundhaltung darf jedoch nicht mit einer Vorliebe für sozialistische Ideen oder Interpretationen verwechselt werden.

Der moralische Wert einer Gesellschaft ergibt sich daraus, inwiefern in dieser ein vernünftiges Einigungsverfahren der Gesellschaftsmitglieder und die Offenheit aller Institutionen für kommunikative Änderung gegeben sind. Eine solche Gesellschaft nennt Mead Demokratie. Demokratie bezeichnet er „die institutionalisierte Revolution“.[69] Das Wesen der Demokratie liegt für Mead darin, keine gesellschaftliche Struktur für unabänderlich zu erklären, sondern alle gesellschaftlichen Einrichtungen der kollektiven, herrschaftsfreien Willensbildung zu unterwerfen. In Interpretation von Hobbes, Locke und Rousseau zeigt er die Unmöglichkeit eines für alle Zeiten fixierbaren Katalogs gesellschaftlicher Güter. Er fordert die Suspendierung des angeblichen Naturrechts auf Eigentum, wenn dieses die Einrichtung gesellschaftlicher Zustände verhindert, die angeblich durch es ermöglicht werden sollen: Freiheit und Unabhängigkeit des Individuums.[70]

Mead wendet sich gegen jede Form von egoistischer Ethik, da sie nicht alle Gesellschaftsmitglieder in den Blick nehmen würde und Einzelinteressen nicht über das Gesamtwohl gestellt werden dürften. Vor allem in der Wirtschaft kommt solch eine Ethik oft vor; ökonomische Rationalität wird vielfach als reine Zweck-Mittel-Rationalität verstanden, die dem ökonomischen Prinzip folgt, wonach man mit vorhandenen Mitteln einen maximalen Nutzen erzielen oder ein bestimmtes Ziel mit minimalem Aufwand verwirklichen möchte. Die Konzentration auf eine rein instrumentelle Rationalität führt zu einem ethischen Egoismus, der andere Wertebenen (Gemeinschaft, Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit) und Zielsysteme (Sinn des Lebens, Frieden, Religion) ausblendet.

Mead geht es um die objektive oder institutionelle Gerechtigkeit. Hier geht es immer um Pflichten innerhalb einer Gemeinschaft, die das Gleichheitsprinzip berühren. Dagegen rückt die personale Gerechtigkeit, die sich sich auf das Verhalten oder die ethische Grundhaltung einer Einzelperson bezieht, in den Hintergrund. Eine Person kann gerecht handeln ohne gerecht zu sein und umgekehrt. Damit im Zusammenhang steht die kantische Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität. Legale Handlungen sind nach außen hin betrachtet in Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, geschehen aber nicht ausschließlich aufgrund moralischer Beweggründe, sondern z. B. auch aus Angst, Opportunismus etc..

4 Fazit

George Herbert Mead (1863-1931) gilt als einer der Begründer des amerikanischen Pragmatismus. Dem Pragmatismus zufolge sind es die praktischen Konsequenzen und Wirkungen einer lebensweltlichen Handlung oder eines natürlichen Ereignisses, die die Bedeutung eines Gedankens bestimmen. Dabei ist das menschliche Wissen für die Pragmatisten grundsätzlich fehlbar. Es lässt sich festhalten, dass aus der wechselseitigen Kritik der utilitaristischen und der Kantschen Ethik die Grundlagen der Ethik Meads entwickelt werden.

Mead hielt die Versuche der sozialreformerischen utilitaristischen Theoretiker, den Altruismus auf dem Boden einer egoistischen Interesse-Theorie zu begründen, für gescheitert.

Er teilte die Intention der kantschen Universalität, kritisierte jedoch Kants ethische Vorstellungen in mehreren Punkten. Mead argumentierte gegen die Kantsche Ethik, dass die Einschränkung der Universalität moralischer Handlungen auf ein Handeln aus Pflicht die Pflicht in einen unaufhebbaren Gegensatz zur Neigung rückt und einen wirklichen dialogischen und situationsbedingten Charakter moralischen Handelns verhindert. Weiterhin ist er der Ansicht, dass das Selbstprüfungsverfahren des „kategorischen Imperativs“ dort seine Grenze hat, wo es nicht um die Bestimmung der Pflicht selbst geht. Nicht das Selbstempfindung des partikularen Individuums ist handlungsmotivierend, sondern das Erreichen objektiver Handlungsziele.

Meads Ethik ist vom Widerstand gegen jedes fixierte Wertesystem und gegen die Einebnung der Differenz von Wissenschaft und Ethik gekennzeichnet.

Ethische Probleme sind also gesellschaftlichen Charakters; sie sind gesellschaftliche Probleme, die den Individuen zur Lösung unmittelbar überlassen sind. Um die moralische Problemsituation zu lösen, müssen die mitgebrachten Wertvorstellungen, Erwartungen und Impulse reflektiert und im Fall der Einsicht in die Notwendigkeit ihrer Änderung umstrukturiert werden. Nur durch den Entwurf einer situationsangemessenen, praktikablen moralischen Strategie werden eine Lösung des Wertkonflikts und eine Reintegration der Identität möglich. Die rationale Bewältigung moralischer Problemsituationen Meads besteht darin, alle in der Situation auftretenden Werte zu berücksichtigen und zu verstehen. Er beschreibt Stufen der Identitätsbildung als Stufen der moralischen Entwicklung und zugleich als Stufen der Entwicklung von Gesellschaft zur Herrschaftsfreiheit. Eine weitreichende Form der Selbstbestimmung des Menschen ist für ihn ein wichtiges Anliegen seiner theoretischen Überlegungen.

Durch die Übernahme der Haltungen der Anderen entwickelt sich bei den Menschen die Identität und konsistentes Selbstbewusstsein. Eine Identität eines Menschen besteht aus elementaren Identitäten, die den verschiedenen Aspekten des gesellschaftlichen Prozesses entsprechen. Die Struktur der vollständigen Identität ist somit eine Spiegelung des vollständigen gesellschaftlichen Prozesses. So wird die Identität nur möglich, wenn ein Mensch in einer Gemeinschaft oder in einer gesellschaftlichen Gruppe lebt.

Das Verständnis der Moralität als Sozialität läuft nicht auf eine Anpassungsmoral hinaus; die Opposition des Individuums gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Werten wird moralisch gefordert. Mead plädiert für eine Politisierung der universalistischen Moral; er spricht von der moralischen Pflicht, zur gesellschaftlichen Veränderung beizutragen. Der moralische Wert einer Gesellschaft ergibt sich daraus, inwiefern in dieser ein vernünftiges Einigungsverfahren der Gesellschaftsmitglieder und die Offenheit aller Institutionen für kommunikative Änderung gegeben sind.

Mead geht aber nicht auf das Kardinalproblem ethischer Fragen ein: das Problem der praktischen Umsetzung. Das Durchsetzungsproblem der Ethik besteht darin, dass die Einsicht in die Richtigkeit ethischer Prinzipien zwar vorhanden sein kann, daraus aber nicht automatisch folgt, dass der Mensch auch im ethischen Sinne handelt. Die Einsicht in das richtige Handeln bedarf einer zusätzlichen Motivation oder eines Zwangs. Das Problem erklärt sich daraus, dass die Ethik einerseits und das menschliche Eigeninteresse als Egoismus andererseits oft einen Gegensatz bilden.

Sein Schüler Herbert Blumer arbeitete nach dessen Tod Meads Überlegungen zur Bildung des Bewusstseins und Entwicklung weiter aus und begründete daraus die Schule des symbolischen Interaktionismus.

Ein weiterer Schüler von ihm war der US-amerikanische Semiotiker und Philosoph Charles William Morris, der hauptsächlich dafür verantwortlich war, dass Meads Theorien einem breiteren Publikum bekannt wurden. Auf der Grundlage des amerikanischen Pragmatismus, des Logischen Positivismus, des Empirismus und Behaviorismus entwickelte Morris eine Zeichentheorie, die er als ein Instrument zur Unifizierung der Wissenschaften verstand. Für Morris ist die Grundlage für alle semiotischen Überlegungen die Eigenschaft des Zeichens „für etwas anderes zu stehen“.[71] Das Zeichen, das von ihm Bezeichnete und derjenige, der es benutzt (Sender oder Empfänger) bilden das semiotische Dreieck, zwischen dessen Eckpunkten vielfältige Beziehungen stehen. Erst durch die symbolische Verdichtung unserer unmittelbaren Erfahrung von Ereignissen und Menschen kann man diese auch dann in das Bewusstsein rufen, wenn sie gerade nicht gegenwärtig und somit nicht mit unseren Sinnen erfahrbar sind, und zwar als eine Erinnerung, die immer symbolisch ist, denn das Symbol ist wie die Erinnerung lediglich ein Stellvertreter für die tatsächlich gemachte Erfahrung.

Der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Cassirer, dem nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 als Juden in Hamburg der Lehrstuhl entzogen wurde, berief sich auf die Theorie des symbolischen Interaktionismus von Mead. Cassirer legte aber den Fokus seiner Betrachtung eher auf die Freiheit des Menschen, seine Umwelt zu benennen, also mit Symbolen zu versehen und dadurch so zu strukturieren, dass sie für ihn verständlich wird.[72] Mit seiner Philosophie der symbolischen Formen legte Cassirer den systematischen Entwurf einer Kulturphilosophie vor, der sich als eine bedeutungstheoretische Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen versteht. Seine Kulturphilosophie war eine wissenschaftlich ausgearbeitete allgemeine philosophische Anthropologie auf symboltheoretischer Grundlage. Unterscheidungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften mit Erklären und Verstehen als Wissenschaftsprinzipien lehnte Cassirer ab. Cassirer nannte die regelmäßig vorkommenden, typischen Weisen der Symbolisierung, die sich zu einem eigenständigen Sachgebiet oder einer eigenständigen Methode gleichsam institutionalisieren „symbolische Formen“.[73] Für Cassirer stellte Sprache eine symbolische Form dar, in der sich symbolisches Verhalten und symbolisches Denken manifestiert.

5 Literatur

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Fußnoten

  1.  ↑ Vgl. dazu Kaesler, D./Vogt, L. (Hrsg.): Hauptwerke der Soziologie, Stuttgart 2000, S. 298f
  2.  ↑ Mead, G.H.: Philanthrophy fort he Point of view of Ethics, in: Faris, F./Lause, F./Todd, A.J.: Intelligent Philanthrophy, Chicago 1930, S. 92-107, hier S: 101
  3.  ↑ Joas, H.: Praktische Intersubjektivität, Frankfurt/Main 1980, S: 121f
  4.  ↑ Höffe, O.:: ''Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische Texte. ''2. überarbeitete Auflage, Tübingen 1992, S. 18ff
  5.  ↑ Nasher, J.: ''Die Moral des Glücks. Eine Einführung in den Utilitarismus,'' Berlin 2003, S. 68f
  6.  ↑ Gesang, B.: ''Eine Verteidigung des Utilitarismus'', Stuttgart 2003, S. 43f
  7.  ↑ Höffe, O.:: ''Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische Texte. ''2. überarbeitete Auflage, Tübingen 1992, S. 103
  8.  ↑ Morris, C.: Purice, Mead and Pragmatism, in: Philosophical Review, 47, 1938, S. 100-121, hier S. 110
  9.  ↑ Höffe, O.: Zur Theorie des Glücks im klassischen Utilitarismus, in: Ders., Ethik und Politik. Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie, Frankfurt a.M. 1979, S. 120–159
  10.  ↑ Vgl. dazu: Jakobs, H.: Rechtsphilosophie und politische Philosophie bei John Stuart Mill, Bonn 1965, besonders S. 112-118
  11.  ↑ Nieddu, A.: G.H. Mead, Sassari 1978, S. 23f
  12.  ↑ Joas, Praktische Intersubjektivität, a.a.O., S. 123
  13.  ↑ Höffe, O.: Immanuel Kant, München 1983, S: 44
  14.  ↑ Joas, Praktische Intersubjektivität, a.a.O., S. 122
  15.  ↑ Paton, H. J.: ''Der kategorische Imperativ: eine Untersuchung über Kants Moralphilosophie,'' Berlin 1962, S. 63
  16.  ↑ Schubert, A./Glockenhaus, E.: Moralität in der Moderne, Berlin 1994, S. 44
  17.  ↑ Patzig, G.: ''Der Kategorische Imperativ in der Ethik-Diskussion der Gegenwart'', in: Ders. (Hrsg.): ''Ethik ohne Metaphysik.'' 2. Auflage, Göttingen 1983, S. 148–171, hier S. 152
  18.  ↑ Ebd., S. 154
  19.  ↑ Ludwig, R.: Kant für Anfänger. Der kategorische Imperativ. Eine Leseeinführung, München 1995, S. 16f
  20.  ↑ Höffe, O.: Zur Theorie des Glücks im klassischen Utilitarismus, in: Ders., Ethik und Politik. Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie, Frankfurt a.M. 1979, S. 120–159, S. 132
  21.  ↑ Nürnberger, M.: Verhaltenskategorien und Pluralität in der modernen Leistungsgesellschaft, Duisburg 1987, S. 76
  22.  ↑ Die Pflichtethik (Deontologie) ist eine ethische Theorie, die Handlungen unabhängig von ihren Konsequenzen zuschreiben, intrinsisch gut oder schlecht zu sein. Entscheidend ist dabei, ob die Handlung einer verpflichtenden Regel gemäß ist und ob sie aufgrund dieser Verpflichtung begangen wird. Deontologische Theorien schreiben bestimmten Handlungen zu, in sich schlecht zu sein, und leiten daraus ab, dass diese Handlungen verboten sind. Lügen oder das Töten Unschuldiger sind häufig gewählte Beispiele solcher Handlungen. Hierbei ist entscheidend, dass eine Lüge auch verboten bleibt, wenn sie zu besseren Konsequenzen führen würde. Sie bleibt sogar verboten, wenn durch sie eine größere Zahl von Lügen verhindert werden könnte. Ein solcher Fall, in dem die Maximierung des Guten ausdrücklich verboten ist, kann ausschließlich in deontologischen Theorien auftreten. Solche deontologischen Verbote sind daher charakteristisch für deontologische Theorien.
  23.  ↑ Schubert, A./Glockenhaus, E.: Moralität in der Moderne, Berlin 1994, S. 56
  24.  ↑ Patzig, G.: ''Der Kategorische Imperativ in der Ethik-Diskussion der Gegenwart'', in: Ders. (Hrsg.): ''Ethik ohne Metaphysik.'' 2. Auflage, Göttingen 1983, S. 148–171, hier S. 170
  25.  ↑ In seiner philosophischen Abhandlung „Über Anmut und Würde“'' ''schrieb Schiller: „In der Kantischen Moralphilosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davon zurückschreckt und einen schwachen Verstand leicht versuchen könnte, auf dem Wege einer finstern und mönchischen Asketik die moralische Vollkommenheit zu suchen. Wie sehr sich auch der große Weltweise gegen diese Mißdeutung zu verwahren suchte, (…) so hat er (…) doch selbst durch die strenge und grelle Entgegensetzung beider auf den Willen des Menschen wirkenden Prinzipien einen starken (obgleich bei seiner Absicht vielleicht kaum zu vermeidenden) Anlass dazu gegeben.“ Kindlers Neues Literatur-Lexikon. Bd. 14. Friedrich Schiller: Über Anmut und Würde, München 1991, S. 942
  26.  ↑ Spierling, V.: Kleine Geschichte der Philosophie. Neuzeit. Im Umkreis des Deutschen Idealismus. München 2004, S. 133
  27.  ↑ Zitiert aus Wagner, H.-J.: Strukturen des Subjekts. Eine Studie im Anschluss an George Herbert Mead, Opladen 1993, S. 61
  28.  ↑ Mead, G.H.: Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1968, S. 435
  29.  ↑ Zitiert aus: Wagner, Strukturen des Subjekts. Eine Studie in Anschluss an George Herbert Mead, a.a.O., S. 67
  30.  ↑ Wenzel, H.: George Herbert Mead zur Einführung, Hamburg 1990, S. 54
  31.  ↑ Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 433
  32.  ↑ Nürnberger, M.: Verhaltenskategorien und Pluralität in der modernen Leistungsgesellschaft, Duisburg 1987, S. 102
  33.  ↑ Moldenhauer, E./Michel, K.M.: Hegel: Phänomenologie des Geistes. Theorie-Werkausgabe, Band. 3, S. 317
  34.  ↑ Vgl. dazu Herrmann, C. (Hrsg.): Leben zur Ehre Gottes. Themenband zur Christlichen Ethik Bd. 2: Konkretionen, Witten 2012; Honecker, M.: Einführung in die Theologische Ethik. Grundlagen und Grundbegriffe, Berlin/New York 1990; Honecker, M: Grundriss der Sozialethik, Berlin/New York 1995 ; Körtner, U.H.J.: Evangelische Sozialethik. Grundlagen und Themenfelder, Göttingen 1999
  35.  ↑ Hauerwas, S.: Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik, Neukirchen-Vluyn 1995, S. 73f
  36.  ↑ Joas, Praktische Intersubjektivität, a.a.O., S. 126
  37.  ↑ Mead, G.H.: Scientific Method and the Moral Sciences, International Journal of Ethics, 33, 1923, S. 229-247, hier S. 230
  38.  ↑ Ebd., S. 231
  39.  ↑ Ebd., S. 232
  40.  ↑ Ebd., S. 233
  41.  ↑ Zitiert aus Wagner, Strukturen des Subjekts. Eine Studie in Anschluss an George Herbert Mead, a.a.O., S. 75
  42.  ↑ Joas, H.: Intersubjektivität bei Mead und Gehlen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 65, 1929, S: 105-121, hier S. 107f
  43.  ↑ Wenzel, H.: George Herbert Mead zur Einführung, Hamburg 1990, S. 106
  44.  ↑ Zitiert aus Ebd., S. 109f
  45.  ↑ Joas, H.: Intersubjektivität bei Mead und Gehlen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 65, 1929, S: 105-121, hier S. 111
  46.  ↑ Nieddu, A.: G.H. Mead, Sassari 1978, S. 172
  47.  ↑ Mead, G.H.: Natural Rights and the Theory of the Political Institutions, in: Journal of Philosophy, 12, 1915, S. 141-155, S. 151
  48.  ↑ Wenzel, H.: George Herbert Mead zur Einführung, Hamburg 1990, S. 72
  49.  ↑ Nieddu, A.: G.H. Mead, Sassari 1978, S. 83ff
  50.  ↑ Mead, G.H.: The philosophical Basis of Ethics. International Journal of Ethics, 18, 1908, S. 311-323, hier S. 313
  51.  ↑ Wagner, Strukturen des Subjekts. Eine Studie in Anschluss an George Herbert Mead, a.a.O., S. 82
  52.  ↑ Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, a.a.O., S. 368f
  53.  ↑ Nieddu, G.H. Mead, a.a.O., S. 85
  54.  ↑ Mead, G.H.: The Social Self, in: Journal of Philosophy, 10, 1913, S. 374-380, hier S. 378
  55.  ↑ Nieddu, A.: G.H. Mead, Sassari 1978, S. 109
  56.  ↑ Joas, H.: Intersubjektivität bei Mead und Gehlen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 65, 1929, S: 105-121, hier S. 118
  57.  ↑ Wagner, Strukturen des Subjekts. Eine Studie in Anschluss an George Herbert Mead, a.a.O., S. 92
  58.  ↑ Wenzel, H.: George Herbert Mead zur Einführung, Hamburg 1990, S. 98
  59.  ↑ Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, a.a.O., S. 211
  60.  ↑ Ebd., S. 376
  61.  ↑ Reck, A. (Hrsg.): G.H. Mead. Selected Writings, Indianapolis 1964, S. 214
  62.  ↑ Zitiert aus Ebd., S. 104
  63.  ↑ Wagner, Strukturen des Subjekts. Eine Studie in Anschluss an George Herbert Mead, a.a.O., S. 103
  64.  ↑ Joas, H.: Intersubjektivität bei Mead und Gehlen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 65, 1929, S: 105-121, hier S. 119
  65.  ↑ Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, a.a.O., S. 211
  66.  ↑ Mead, Philanthrophy from the Pint of View of Ethics, a.a.O., S. 104
  67.  ↑ Ebd., S. 107
  68.  ↑ Wagner, Strukturen des Subjekts. Eine Studie in Anschluss an George Herbert Mead, a.a.O., S. 126
  69.  ↑ Mead, G.H.: Natural Rights and the Theory of the Political Institutions, in: Journal of Philosophy, 12, 1915, S. 141-155, hier S. 146
  70.  ↑ Ebd., S. 152
  71.  ↑ Morris, C.W.: Pragmatische Semiotik und Handlungstheorie, Frankfurt am Main 1977, S. 165, S. 175
  72.  ↑ Schwemmer, O.: Ernst Cassirer. Ein Philosoph der europäischen Moderne. Berlin 1997, S. 15ff
  73.  ↑ Hütig, A.: Kultur als Selbstbefreiung des Menschen. Kulturalität und kulturelle Pluralität bei Ernst Cassirer, in: Ders./Gerlach, H.-M./Immel, E. (Hrsg.): Symbol, Existenz, Lebenswelt. Kulturphilosophische Zugänge zur Interkulturalität Frankfurt 2004, S. 121-138, hier S. 124