e-Portfolio von Michael Lausberg
Besucherzäler

Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917 – 1991

Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates

C.H. Beck, Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung München 2017, 2. Aktualisierte Auflage, ISBN: 978-3-406-71408-5, 49,95 Euro

Und zum besseren Verständnis

Manfred Hildermeier: Geschichte Russlands

Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution

Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung, C. H. Beck, 3. Auflage, München 2013, ISBN: 978-3-406-64551-8

Der Autor Manfred Hildermeier ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Göttingen und gilt als Experte für die russische Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Er war u.a. Mitglied des Kuratoriums des Historischen Kollegs/München, der deutsch-russischen Historikerkommission, des Beirats des Deutschen Historischen Instituts Moskau sowie der Berlin-Brandenburgischen und der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Zudem war er Mitherausgeber mehrerer Fachzeitschriften und von 2000 bis 2004 Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands.

Zum Anlass des 100. Jahrestages der Oktoberrevolution legt er eine auf die Innenpolitik konzentrierte Studie der Sowjetunion von ihrer Gründung 1917 bis zum Niedergang 1991 vor.

Dieses Buch ist eine stark überarbeitete Fassung des Autors gegenüber der ersten Ausgabe von 1997. Im Zuge des Aufarbeitungsprozesses, den Jelzin gegen die KPdSU anstrengte, mussten die Archive ihre Quellen der Öffentlichkeit zugänglich machen, was natürlich zu zahlreichen Neubewertungen der Geschichte der Sowjetunion führte. Der Autor vertritt dabei den Standpunkt: „Die neuen Quellen illustrieren ihren jeweiligen Gegenstand zwar mit vielen neuen Details, aber sie geben keinen Anlass, die Geschichte der Sowjetunion in ihren wesentlichen Abläufen und Merkmalen neu zu schreiben.“ (S. 16) Eine gründliche Überarbeitung seines früheren Werkes würde ausreichen.

Das Ziel des Buches bleibt im Wesentlichen bestehen: Es sollte der Frage nachgehen, „was den ersten Staat auf dieser Welt, der sich als Verwirklichung des Sozialismus in der Lenin’schen Interpretation des Gedankengebäudes von Marx und Engels begriff, als solchen auszeichnete, wie er seine Ziele angesichts einer sperrigen Wirklichkeit umzusetzen versuchte, warum er das 20. Jahrhundert in gut siebzig Jahren so tief prägen konnte wie außer ihm nur noch die Vereinigten Staaten, und warum er schließlich in eine tiefe Krise stürzte, aus der er auch ohne den dramatischen Putsch vom August 1991 in der alten Form nicht hätte wiederauferstehen können.“ (S. 13)

Um die Ursachen des Sturzes der zaristischen Autokratie und das Revolutionsjahr 1917 besser verstehen zu können, bietet sich die Lektüre des Endes des Buches Geschichte Russlands (siehe oben) von demselben Autor an. Die beiden Bücher sind als zusammenhängende Forschungsarbeiten zu sehen, die die monumentale Geschichte Russland vom Mittelalter eindrucksvoll wiederspiegelt. Vor allem die Kapitel XXXII Punkt 3 über die ersten Revolutionäre und der gesamte 6 Teil, wo die Innenpolitik, die allgemeine Politik bis 1917, die Außenpolitik, die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Kultur und die weitere revolutionäre Entwicklung ausführlich dargestellt werden mitsamt den vielfältigen Gründen, die zum Sturz des zaristischen Systems führen sollten, sollten vor der Lektüre des Buches Geschichte der Sowjetunion ausführlich gelesen werden.

Im ersten Kapitel geht es um die Ursachen und Voraussetzungen für die Oktoberrevolution der Bolschewiki. Dabei werden die Gründe in der Vorzeit der Februarrevolution und das demokratische Intermezzo und der Aufstieg der Bolschewiki geschildert. Dann geht es um den Aufbau des Sowjetstaates, darunter besonders die Aspekte der neuen Gesellschaft, der Kulturpolitik und die Rolle des Staates, der Partei und anderer Satellitenorganisationen. In einem kurzen Kapitel werden auch der Bürgerkrieg mit reaktionären Kräften und Anarchisten und die innenpolitischen Folgen präsentiert.

Dann geht es um die innenpolitische Revolution von oben (1919-1933) unter Lenin und die prägenden Elemente der Schreckensherrschaft Stalins. Weiterhin stehen der Eintritt in den 2. Weltkrieg der Sowjetunion und der Kampf gegen das mörderische Naziregime im Vordergrund. Auch die Folgen für die Innenpolitik, Wirtschaft und Gesellschaft werden benannt. Die Nachkriegszeit und der Beginn des Kalten Krieges werden nur zum Teil außenpolitisch beleuchtet, sondern eher die innenpolitischen Folgen des Spätstalinismus analysiert. Anschließend geht um die Abrechnung mit dem Stalinismus durch Chruschtschow und die Merkmale der Herrschaft Breschnews und dessen „entwickelten Sozialismus“.

Das geht es um die Voraussetzungen des Zusammenbruchs der Sowjetunion eingeleitet durch Gorbatschows Politik der Perestroika und der Zurückdrängung der alten KP-Kader.

Die Gründe des Zusammenbruchs der Sowjetunion sind für den Autor vielschichtig, sieht jedoch in der „monokratischen Organisation von Herrschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur“ das wesentliche Faktur, das „Lern- und Erneuerungsfähigkeit mittelfristig lähmte.“ Außerdem erwiese es sich als „Quadratur des Kreises, Menschen auf der einen Seite immer besser auszubilden und sie auf der anderen Seite in politischer Unmündigkeit zu halten.“ (S. 1122f)

In einer ausführlichen Analyse der postkommunistischen Ära bis in die Gegenwart geht der Autor von einer „erstickten Demokratie“ aus und den Weg Putins zu einer Art Präsidialdiktatur aus. Alte autoritäre Strukturen behinderten bisher den Weg zu einer wahren Demokratie nach westlichen Maßstäben.

Die sozialen, ideologischen und wirtschaftlichen Grundlagen der russischen Revolution und seine weltgeschichtliche Bedeutung bringt er fachlich sauber rüber und erschließt somit neue Leserkreise für die historische Bedeutung des Jahres 1917. Die hauptsächlich auf die innenpolitischen Entwicklungen basierende weitere Entwicklung wird in Grundzügen bis zur Öffnung Gorbatschows anschaulich und mit vielen Hilfsmitteln (Tabellen usw.) geschildert. Den inneren Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution hätte man noch etwas tiefgründiger darstellen können.

Insgesamt gesehen ist es sehr schwer, einen solchen Themenkomplex mit einer unüberschaubaren Fülle von Quellen lesbar und gut strukturiert rüberzubringen. Hildermeier, mit diesen beiden Veröffentlichungen zum Nestor der osteuropäischen Geschichte aufgestiegen, schafft es insgesamt gesehen ganz gut, die Prinzipien der kulturellen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Sowjetunion zu beschreiben und zu deuten. Das Buch hat auch aufgrund der zahlreich angerissenen Unterkomplexen das Zeug, sich zu einem Grundlagenwerk zu entwickeln, das nach dem Ende der Sichtung der russischen Quellen natürlich noch modifiziert werden muss.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-406-71408-5 .

Und:

ISBN: 978-3-406-64551-8 .