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Robert Neil MacGregor: Deutschland

Erinnerungen einer Nation

2. Auflage 2017. 640 S.: mit 335 farbigen Abbildungen und 8 Karten. ISBN 978-3-406-67920-9, 39,95 €

Robert Neil MacGregor war 2002 bis 2015 Direktor des British Museums. Er wurde im Mai 2015 zum Intendanten des Berliner Humboldtforums berufen. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er a die Serie A History of the World in 100 Objects vorstellte, die auf Deutsch als Buch mit dem Titel Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten erschien. Dieses Buch wurde als Wissensbuch des Jahres 2012 ausgezeichnet. Ende des Jahres 2014 organisierte er die Ausstellung Germany – memories of a nation im British Museum in London, die ein großer Erfolg wurde. Die Deutsche Nationalstiftung verlieh ihm am 16. Juni 2015 in Berlin den Deutschen Nationalpreis für sein Wirken um ein besseres Verständnis Deutschlands in Großbritannien. Ebenfalls 2015 wurde MacGregor mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet.

Nun legt Mac Gregor eine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte vor, die aus dem Blickwinkel eines Briten geschrieben wurde. Darin beschreibt er, Erinnerungen die angeblich allen Deutschen gemeinsam sind. Das Buch, vor allem mit vielen eindrucksvollen Bildern, liefert einen profunden Querschnitt durch die wechselvolle deutsche Geschichte.

Es ist aber kein Wunder, dass in Zeiten, wo Nationalismus wieder en vogue ist, ein solcher Ansatz wieder gewählt wird. Dieses Ansinnen macht es nicht besser, dass der Autor Brite ist und nicht deutscher Staatsbürger ist.

Seit der Entwicklung von Territorialstaaten und Nationen seit dem 18.Jahrhundert existierte ein Zwang zur Homogenisierung, da neben anderen nationalen Identifikationsobjekten die uniformierte Nationalsprache den Zusammenhalt der Nationalstaaten nach innen gewährleisten sollte. Diese räumliche Homogenisierung beinhaltete ein identitätsstiftendes Einschluss- und ein ausgrenzendes Ausschlussdenken. Die Rechte und die Kultur von Minderheiten wurden systematisch unterdrückt, Differenz und Vielfalt als Bedrohung wahrgenommen.

Im Zeitalter der Globalisierung bilden nicht mehr die Nationalstaaten, sondern die kosmopolitische Weltgesellschaft den Referenzrahmen des alltäglichen Denken und Handelns. Die Bedeutung der Nationalstaaten schwindet, da sie ihre ökonomische, soziale und kulturelle Steuerungsfunktion nur noch in begrenztem Maße wahrnehmen können. Die interagierende Weltgesellschaft mit ihrer kulturellen Vielfalt kann nur durch interkulturellen Dialog und Kooperation bestehen.

Der sich immer stärker durchsetzender Globalisierungsprozess ist für die weltweite Vernetzung von Nationen in allen Bereichen (z. B. Politik, Wirtschaft, Kommunikation und Kultur) verantwortlich. Die Globalisierung wurde vor allem durch die Fortschritte in den Kommunikations- und Transporttechniken angetrieben und fördert zugleich die Berührungspunkte zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen. Auf den kulturellen Sektor bezogen kommt es noch stärker als in den bisherigen Epochen der Geschichte zu zunehmenden wechselseitigen Verflechtungen und Beeinflussungen.

Der Begriff „Nation“ ist in der wissenschaftlichen Forschung schon längst als Konstrukt entlarvt worden. Ernest Gellner kam zu dem Schluss: „Nationalismus ist keineswegs das Erwachen von Nationen zu Selbstbewußtsein: man erfindet Nationen, wo es sie vorher nicht gab.“[1] Balibar und Wallerstein diagnostizierten: „Sicher ist indessen, dass es uns beiden gleichermaßen wichtig erscheint, die Nation und das Volk als historische Konstruktionen zu denken, dank derer die heutigen Institutionen und Antagonismen in die Vergangenheit projiziert werden können, um den ‚Gemeinschaften‘ eine relative Stabilität zu verleihen, von denen das Gefühl der individuellen ‚Identität‘ abhängt.“[2] Benedict Anderson definiert „Nation“ als „eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist die deswegen, weil ihre Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“[3]

Die Geschichte der Ein- und Auswanderung nach bzw. aus Deutschland zeigt eindeutig, dass es immer wieder zu einer Vermischung und Neuschöpfung von Kultur in jeglicher Form gab.[4] Gerhard Paul bemerkt richtigerweise: „‘Autochtone‘ Kulturen gibt es nicht. So gibt es keine reine oder ‚wahrhaft‘ deutsche Kultur.“[5]

Langfristig wird es auch das Ziel sein, der Idee der Nation zu überwinden und die Realität einer kosmopolitanen Einwanderungsgesellschaft anzuerkennen, die eine neue transkulturelle Identität jenseits eines nationalen Identifikationsmusters benötigt.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-406-67920-9 .

Fußnoten

  1.  ↑ Gellner, E.: Thought and Change, London 1964, S. 13
  2.  ↑ Balibar, E./Wallerstein, I.: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin 1990, S. 15
  3.  ↑ Anderson, B.: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, 2. Auflage, Frankfurt/Main 2006, S. 15
  4.  ↑ Bade, K.J.: Europa in Bewegung: Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000 oder Bade, K.J. (Hrsg.), Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992
  5.  ↑ Paul, Einführung in die interkulturelle Philosophie, a.a.O., S. 19