e-Portfolio von Michael Lausberg
Besucherzäler

= Romane Zusammenfassung =

Rowohlt Verlag, Hamburg 2017, ISBN: 978-3-518-42585-5

Romane Teil 3

Camilla Läckberg: Die Eishexe. Kriminalroman, Aus dem Schwedischen übersetzt von Katrin Frey List Verlag, Berlin 2018, ISBN-13 9783471351079, 22 Euro

Camilla Läckberg gilt als die augenblicklich erfolgreichste Kriminalautorin in Schweden. Läckbergs Bücher spielen in der Gegend ihres Geburtsorts Fjällbacka, einem kleinen Hafenort an der Westküste Schwedens in der Region Bohuslän. Hauptfiguren in den Romanen sind die Schriftstellerin Erica Falck und der Polizist Patrik Hedström. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und erschienen in 30 Ländern in einer Auflage von über sechs Millionen Exemplaren.

In ihrem zehnten Krimi der Reihe geht es um ein Mysterium aus dem 17. Jahrhundert, die Eishexe und um die vermisste Linnea Berg, nach der fieberhaft ganz Fjällbacka sucht. Dieser Fall ruft grausame Erinnerungen an die Vergangenheit wach: Vor 30 Jahren wurde schon einmal ein Mädchen, Stella Strand in den umliegenden Wäldern getötet. Damals bekannten sich zwei 13-Jährige zu dem Mord, widerriefen aber um wenig später ihr Geständnis, so dass der Fall niemals aufgeklärt wurde. Auch seltsam war, dass der Chef der Polizeistation Tanum Selbstmord kurz nach der Tat Selbstmord beging. Ein Schuldeingeständnis?

Und dann kommt noch die Eishexe bei den hysterischen Bewohnern von Fjällbacka ins Spiel, die laut Mythos schon im 17. Jahrhundert ein Mädchen misshandelt haben soll. Hauptkommissar Patrik Hedström und seine Frau, die Schriftstellerin Erika Falck, ermitteln in dem Fall wieder gemeinsam.

In dem Kriminalroman geht es oft um die Aufarbeitung der mysteriösen Vergangenheit, also dem Tod Linnea Bergs und dem Mysterium der Eishexe. Indem die Bewohner Fjällbackas immer noch an das Phänomen der Eishexe glauben, ist der Spannungsbogen zwischen Moderne und tradierter Saga immer virulent. Auf zwei Zeitebenen ermitteln Erica Falck und Patrik Hedström, was immer wieder zu Sprüngen in der Geschichte führt. Neben der eigentlichen Handlung spielt die Sage der Eishexe noch eine Rolle wie auch die aktuelle Diskussion um Flüchtlinge und Rassismus in Schweden und auch das Privatleben des Ermittlungspaares eine Rolle. Dies tut der Geschichte gut, weil metathematisch und nicht nur mit augenblicklicher Spannung, die es natürlich auch gibt, gearbeitet wird. Nach und nach setzen sich dann die einzelnen Puzzleteile des Falles zusammen. Manchmal ist der Sprung der Zeitebenen zu direkt und stiftet ein wenig Verwirrung, sonst ist das Buch aber flüssig lesbar und bietet eine spannungsreiche Unterhaltung für trübe Winterabende.

Jeffrey Archer; Winter des Lebens. Aus dem Englischen von Martin Ruf, Heyne Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-453-42177-6, 9,99 Euro

Jeffrey Archer zählt heute zu den erfolgreichsten Autoren Englands. Sein historisches Familienepos „Die Clifton-Saga“ stürmt auch die deutschen Bestsellerlisten und begeistert eine stetig wachsende Leserschar. Nach seinem Werken „Spiel der Zeit“, „Das Vermächtnis des Vaters“, „Erbe und Schicksal“, „Im Schatten unserer Wünsche, „Wegen der Macht“ und „Möge die Stunde kommen“ kommt nun mit „Winter eines Lebens“ der siebte und letzte Band, der Clifton-Saga.

Das Buch spielt in den 1980-iger und 1990iger Jahren des letzten Jahrhunderts und schildert das finale Schicksal der Cliftons und Barringtons. Es beginnt wie gewohnt mit einem Prolog über die Ereignisse und des Plots des letzten Bandes. Emma Clifton, die im Verlauf den Protagonisten Harry Clifton heiratete und die familiäre Schifffahrtsgesellschaft Barrington leitete, reiht sich im finalen Band nun auch in der Politik ein. Neben Giles verfolgt man nun auch noch Emmas politische Karriere unter der konservativen und marktradikalen Margret Thatcher. Es werden viele Informationen über die politische Entwicklung der Zeit, die geistige Stimmung Ende des letzten Jahrhunderts und vor allem die Wahlen. Das hatte den Charakter eines eigenen Sachbuches in einer Familiensaga, was vielleicht nicht alle Leser fesselt. Dies ist aber Teil der Persönlichkeit des Autors, der lange in der Politik aktiv war und zum Teil eine Art Abrechnung aus der Retrospektive mit den politischen Seilschaften ist.

Nach diesem sachlichen-informativen Teil wechselt der Spannungsbogen zum Positiven und im weiteren Verlauf des Romans kommen so langsam alle Teile der Erzählung zu einer runden Form zusammen.

Jeder Bücherwurm, der gerne spannende Familiensagen liest und die englische Zeitgeschichte der letzten siebzig Jahre miterleben möchte, kann man besten Gewissens diese Reihe empfehlen. Es ist eine Mischung aus Historisch-Politischem und einer schicksalsreichen Familiengeschichte. Der letzte Band ist etwas zäh zu lesen, kriegt aber doch noch die Kurve und ist ein würdiger Abschluss der Clifton-Saga.

Juli Zeh: Leere Herzen, Luchterhand Literaturverlag, München 2017, ISBN: 978-3-630-87523-1

Nach ihren erfolgreichen Gesellschaftsromanen legt Julia Zeh mit diesem Werk eine Dystopie mit spannendem Verlauf vor. Sie entwirft ein fiktives, zukunftspessimistisches Szenario von einer Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt, und stellt somit einen Gegenentwurf zur positiv verbrämten Utopie dar. Sie möchte mit Hilfe eines pessimistischen Zukunftsbildes auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen und vor deren Folgen warnen.

Die Handlung spielt in einer Kleinstadt, die Hauptfigur Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi haben mit der „Brücke“ ein Unternehmen gegründet, das auf den ersten Blick wie eine Therapieeinrichtung für Suizidgefährdete wirkt, in Wahrheit aber einen völlig neuen Geschäftszweig mit dem Tod sich entdeckt hat. Als sie mächtige Konkurrenz bekommen, tun die beiden alles, um diese auszuschalten, wissen aber nicht, dass ihr Leben in Gefahr ist.

In der fiktiven dystopischen Gesellschaft benutzt die Autorin Elemente aus dem Hier und Jetzt, die dem Leser aus seinem eigenen Erfahrungshorizont bekannt sind. Wenn der Leser die Muster oder Trends identifizieren kann, die unsere heutige Gesellschaft potentiell in das fiktive Dystopia führen könnten, wird die Beschäftigung mit der Fiktion zu einer fesselnden und wirkungsvollen Erfahrung. In diesem Sinne nutzt Juli Zeh die Dystopie wirksam, um ihre eigene Besorgnis über gesellschaftliche Trends zum Ausdruck zu bringen. „Da. So seid ihr“ heißt es auf einer Seite nach dem Titel.

Das Werk liefert einen von vielen möglichen Zugängen zu einer unglaublich bedrückenden Zukunftsvision der BRD und den darin vorherrschenden Verhältnissen. Anhand der Darstellerin Britta und ihren inneren Monologen sieht man, dass sie in einer Welt lebt, wo das Herz leer ist und keine positiven Werte und Träume mehr entwickelt. Eine unmenschliche Welt, die gruselig erscheint und von kaltem Egoismus und Pragmatismus beherrscht wird. Ohne direkt darauf hinzuweisen, ist es eine Kritik an der kapitalistischen und utilitaristischen Gesellschaft, die mit Spannung aufbereitet wird.

Es gibt sicherlich besser geschriebene Dystopien oder Gesellschaftskritik im Allgemeinen, trotzdem ist es ein gutes nachdenklich machendes und spannendes Buch.

Joachim Meyerhoff: Die Zweisamkeit der Einzelgänger. Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, ISBN: 978-3-462-04944-2

Sein Projekt Alle Toten fliegen hoch war im Burgtheater Wien ein großer Erfolg. In diesem autobiografischen, in sechs Teile unterteilten Programm erzählt Meyerhoff seine eigene Geschichte und die seiner Familie. Er berichtet von seinen Geschwistern, seinen Großeltern in München, seinem Vater, Direktor einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in Schleswig, dem Aufwachsen auf dem Anstaltsgelände sowie seinem Austauschjahr in Amerika. Die ersten drei Teile dieser Serie wurden zum Berliner Theatertreffen 2009 eingeladen. 2011 erschien der erste Teil (Amerika) in Buchform bei Kiepenheuer & Witsch, der zweite Teil Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war, dann 2013. Der dritte Teil Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke kam 2015 raus.

In diesen Teilen ging es um Joachim Meyerhoffs Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend sowie an die Jahre an der Schauspielschule.

Im nun herausgekommenen vierten Band geht es vor allem um die ersten Liebeserfahrungen. Der Schauspieler als Hauptfigur versucht sich als „Beziehungsjongleur“ (S. 399), was zu erheblichen Komplikationen führt. Gleich drei Geliebte beherrschen seine Gefühlwelten, die sich gar nicht ähneln und eigenwillige Charakterzüge besitzen. Zuerst lernt er in Bielefeld die Studentin Hanna kennen, eine belesene, aber mit destruktiven Minderwertigkeitskomplexen ausgestattet. Nach dem Umzug nach Dortmund lernt er die hübsche Tänzerin Franka kennen, die ihn aber mit ihrer überdrehten Lebensfreude vollends einnimmt. Außerdem gibt es da noch die wesentlich ältere Bäckersfrau Ilse, die sich mütterlich nicht nur um sein leibliches Wohlergehen kümmert. Sie ist wenig attraktiv, aber einen unkomplizierteren Charakter als die beiden anderen. Immer wieder gibt es eine Retrospektive in die Kindheit und Jugend der Hauptperson, wo seine Familie und auch die Großeltern Teil der Geschichte werden.

Dies ist keine romantische Geschichte aus der Gattung Rosamunde Pilcher, sondern eine verworrene, lustige und mit viel Charme erzähltes Beziehungsgeflecht des Hauptdarstellers, in dem er selbst nach und nach die Orientierung verliert. Die drei eigenwilligen Charaktere der Frauen machen neben Pleiten, Pech und Pannen die Faszination des Buches aus. Eine leichte Lektüre, die aufgrund ihrer Wendungen immer spannend bleibt.

Sabrina Janesch: Die Goldene Stadt. Roman, 2. Auflage, Rowohlt Berlin, Berlin 2017, ISBN: 978-3-87134-838-9

Erst seit kurzem wurde bekannt, dass das sagenumwobene Machu Picchu in Peru von dem Deutschen Augusto Berns entdeckt wurde. 2008 fand der Forscher Paolo Greer in der Nationalbibliothek von Lima Briefe, Papiere und Prospekte über Augusto Berns. Auf mehreren handgefertigten Karten war die genaue Lage von Machu Picchu verzeichnet. Er hatte als erster Europäer die Ruine entdeckt – mehr als 30 Jahre bevor der Amerikaner Hiram Bingham sie fand.

Dies inspirierte die Autorin Sabrina Janesch eigene Nachforschungen über Augusto Berns in Lima anzustellen: „Was die Dokumente nicht erzählten, war seine Lebensgeschichte als Unternehmer. (…) Über ein Jahr lang forschte ich in Archiven (…) in Deutschland, Panama und Peru, bis ich zurückverfolgen konnte, wo Berns aufgewachsen war und wie er seine Kindheit und Jugend verbrachte.“ (S.521)

Sabrina Janesch hat sich auf die Spuren des vergessenen Entdeckers begeben und erzählt seine aufregende Geschichte: „Als ich diese Nachricht las, war ich bereits mehrfach in Südamerika gewesen, zweimal in Peru, und hegte längst eine Liebe für dieses Land und seine Kultur. Ich hatte mehrere Bücher von Hiram Bingham gelesen, kannte also die bis dato erforschte Geschichte Machu Picchus. In gewisser Weise fiel also die Nachricht über den mysteriösen Deutschen A. R. Berns auf fruchtbaren, bereiteten Boden. Ich wollte seine Geschichte lesen. Es gab sie nicht; also schrieb ich sie.“

Der Roman ist eine Mischung zwischen Wahrheit und Fiktion. Berns’ Lebensdaten Aufenthaltsorte, Tätigkeiten oder Partner sind historisch richtig, während seine Gefühle und sein Charakter frei erfunden sind und von der Autorin beigefügt wurde. Mittlerweile gilt es als gesichert, dass Machu Picchu eine Art Landsitz des Inka Pachacútec Yupanqui war, und somit keine großen Goldansammlungen aufweisen konnte.

Berns kommt 1887 in Peru an und wird sofort zum Helden im Spanisch-Südamerikanischen Krieg. Die politischen Verantwortlichen waren hingerissen von Berns und seinem Versprechen, die Schätze der goldenen Stadt zu bergen und die peruanische Regierung erließ ein Dekret, was seinen Plan unterstützte. Im Roman wird er als „ein Mann der Tat, ein Macher, ein ganz großer Realist“ (S. 14) beschrieben. Gemeinsam mit dem amerikanischen Abenteurer Harry Singer besteigt er auf der Suche die Höhen der Anden und schlägt sich durch den unzugänglichen Dschungel der Cordillera Vilcabamba, um die legendenumwobene goldene Stadt finden.

Zu den Lieblingsbüchern von Sabrina Janesch als Kind zählten Stevensons „Die Schatzinsel“, Jack Londons „Ruf der Wildnis“ und „Wolfsblut“, Conan Doyles „Die Vergessene Welt“. Dies merkt man in diesem Abenteuerroman. Die spannende Erzählweise, die bildliche Sprache, die Visionen Berns‘ und die großen Gefühle der Entdecker auf ihrem Weg mit unmenschlichen Strapazen und den Kraftvollen Beschreibungen der Natur machen dieses Buch aus. Dass die Autorin für dieses Buch den Annette-Droste-von-Hülshoff-Preis 2017 bekommen hat, überrascht nicht. Es ist eine Melange zwischen Wahrheit und Fiktion, die hier erzählt wird, mit einem überraschenden Ende.

Sarah Lark: Das Geheimnis des Winterhauses. Roman, Lübbe Ehrenwirth, 527 Seiten, ISBN: 978-3-431-04079-1, 19,90 Euro

Sarah Lark ist das Pseudonym einer deutschen Schriftstellerin. Sie hat mit dem Thema Neuseeland bekannt und schaffte auch den internationalen Durchbruch. Die Familiengeschichte „Das Geheimnis des Winterhauses“ spielt ebenfalls in Neuseeland, aber auch in Dalmatien.

Die Protagonistin dieses Romans ist Ellinor, die durch die Nierenerkrankung ihrer Cousine Klara erfährt, dass beide nicht miteinander verwandt sind. Ihre Mutter beichtet Ellinor, das ihre Großmutter Dana ein Adoptiertes Kind ist. Das lässt ihr keine Ruhe und sie macht sich gemeinsam mit ihrem Ehemann auf die mühevolle Suche der wahren Familie ihrer Großmutter. Die Reise führt zunächst nach Dalmatien, dort stellt sich der erste Erfolg ein: Die Eltern ihrer Großmutter waren Liliana, die von ihren Freund Frano Zima sitzen gelassen wurde, und bei Nacht und Nebel verschwand. Er ist mit seinem Freund auf nach Neuseeland. Nach der Geburt nahm man ihrer Urgroßmutter Liliana das Kind fort und gab es zur Adoption frei. Zum Widerwillen ihres Mannes setzt Ellinor durch, auch noch nach Neuseeland zu fahren, um die Suche fortzusetzen. Dort lüftet sich das dunkle Geheimeis um Frano zu lüften und das Geheimnis des Winterhauses.

Der Leser wird also mitgenommen in die große weite Welt, um ein Familiengeheimnis zu lüften. Sarah Lark schafft es, dass man sich mit der Protagonistin Ellinor und ihren liebenswerten Wesen identifiziert, während ihr Mann den Gegenpart einnimmt. Die Geschichte lebt aber nicht nur von den Figuren und der Spannung um das familiäre Geheimnis: Die Beschreibungen von den Naturschönheiten Neuseelands und Dalmatiens und andere landestypische Charakteristika prägen ebenfalls das Buch. Es ist flüssig und fesselnd geschrieben, so dass man es kurzweilig lesen kann, ohne Phase der Wiederholungen oder Langeweile. Große Gefühle wie Liebe, Sehnsucht, Hoffnung und ihre Ambivalenz werden angeregt, so dass das Buch zur Lektüre empfohlen werden kann.

James Lee Burke: Weißes Leuchten. Ein Dave-Robitcheaux-Krimi, Pendragon Verlag, Bielefeld 2017, ISBN: 978-3-86532-591-4

James Lee Burke wurde seit Ende der 1980er Jahre zu einem der bekanntesten Kriminalautoren. Seine Bücher rund um den Südstaaten-Ermittler Robicheaux wurden mit vielen renommierten Preisen ausgezeichnet und mehrere seiner Werke verfilmt.

James Lee Burkes beliebtester Charakter, Dave Robicheaux, kehrt in diesem melodramatischen atmosphärischen Kriminalroman zurück, der in den Städten und Feuchtgebieten von Louisiana spielt und rund um reiche Familienclans, Mafiastrukturen und düstere Geheimnisse geht.

Hier finden sich alle Klischees und Wahrheiten über die Südstaaten wieder, als wäre die Zeit stehengeblieben: Rassismus, Korruption, weiße Herrenhäuser, locker sitzende Waffen, Gewalt und natürlich Verbrechen. Die moderne Mafia ist präsent, sie schätzt Louisiana vor allem als Umschlagplatz für eingeschmuggelte Drogen aus Südamerika. Eine besondere Brisanz gewinnt der Krimi, da Dave Robicheaux mit privat bekannten Menschen aus seiner Vergangenheit zu tun bekommt.

Auf den neureichen Ölmagnaten Weldon Sonnier wurde ein Mordanschlag verübt, nun obliegt es Robicheaux, den oder die Täter zu ermitteln. Die Hintergründe bleiben zunächst im Dunkeln, auch weil sich das Opfer wenig auskunftsfreudig gibt. Die Befragungen sind auch für Robicheaux eine Reise in die Vergangenheit: Mit Weldons Bruder Lyle diente er in Vietnam, mit der Schwester Drew hatte er in seiner Jugend eine kurze Beziehung, die noch nicht ganz aufgearbeitet scheint. Morde gibt es genug noch im Laufe der weiteren Entwicklung, auch die Auseinandersetzung mit dem rassistischen Erbe der Südstaaten und der finsteren Gegenwart wird geführt. Der im Hintergrund immer wieder erwähnte verschollene und geistig labile Vater Sonnier sorgt für zusätzliche Spannung. Mehr soll erstmal nicht verraten werden.

Das Buch ist hintergründig auch eine Art Anklage an die Situation in Louisiana, wo familiäre und öffentliche Gewalt, Rassismus, Gesetzlosigkeit und Verbrechen mit zum Alltag gehört. Die Charaktere stehen wieder im Mittelpunkt des Krimis, allen voran der Ermittler mit seinen früheren Erlebnissen mit der Familien Sonnier selbst. Überraschendes ist garantiert, es wird niemals langweilig.

Matteo Righetto: Das Fell des Bären. Roman. Blessing Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-89667-599-6, 19,99 Euro

Dieser Roman hat eine traurige Vorgeschichte, nämlich der Tod seiner Mutter: Der 12-jährige Sohn Domenico leidet unter der Trauer seines Vaters Pietro, der immer mehr zum Sonderling mutiert und nur in der freien Natur der Dolomiten glücklich ist.

Die Situation ändert sich schlagartig, als Pietro eine Wette annahm, dass er den geheimnisvollen und gefährlichen Bären erlegen will, der in der Umgebung für Angst und Schrecken sorgt. Mit einer Mischung aus Aberglauben und Angst erzählen Kinder Horrorgeschichten über den Bären: „Mein Opa sagt, dass der Bär direkt aus der Hölle kommt. „ In Cencenighe erzählen sie, dass sie so ein mächtiges Tier noch nie gesehen haben.“ „In Rucva hat er einen Stall zertrümmert und zwei Kühe gerissen“ (S. 19) Die Erlegung von El Diaol, den Teufel, soll Pietro wieder Anerkennung in der Dorfgemeinschaft verschaffen und ein wenig Geld der Belohnung.

Pietro will mit seinem Sohn in die Berge, wo sich der Bär versteckt hält und sie brechen dann in ein waghalsiges Abenteuer auf, nur mit zwei alten Gewehren bewaffnet. Für Domenico ist es zuerst aufregend und heldenhaft, später erlebt er dann die lebensgefährliche Seite des Abenteuers. Ihre Liebe zur Natur wird in den Dolomiten auf eine harte Probe gestellt, immer wieder müssen Vater und Sohn gegen Naturgewalten kämpfen. Das Neue ist, dass die beiden sich bei dem Abenteuer wieder menschlich näherkommen, die verstorbene Mutter taucht immer wieder auf und ist Teil der Geschichte.

Der Roman wird aus den Augen des kleinen Domenico geschrieben und ist in einfacher Sprache und Gefühlsebene gehalten. Die Geschichte bietet sehr viel: die Entdeckung der Natur der Dolomiten, der Kampf Mensch gegen Naturgewalten, den Aberglauben der Dorfbewohner noch immer Mitte der 1960er Jahre, der Kampf um Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft und die gemeinsame Verarbeitung der Todes der Mutter. Die Jagd nach dem Bären ist sehr spannend geschildert, an manchen Stellen ist es ein Abenteuerroman mit wechselnder Dramaturgie. Durch die einfache Sprache lässt sich das Buch leicht lesen, emotionale Tiefe und phantasievolle Muster machen den Roman zu einem kurzweiligen Leseerlebnis in den trüben Tagen des Spätherbstes.

Martina Sahler: Die Stadt des Zaren. Der große St. Petersburg-Roman, List Verlag, Berlin 2017, ISBN: 978-3-471-35154-3

Die russische Metropole Sankt Petersburg, im Newadelta am Finnischen Meerbusen gelesen, hat eine wechselvolle Geschichte: Nach der Stadtgründung firmierte sie unter dem Namen St. Petersburg, zwischen 1914 und 1924 wurde der Name in Petrograd verändert, 1924 wurde sie nach dem Revolutionsführer in Leningrad umgewandelt. Erst 1991 nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus in der Sowjetunion bekam sie wieder ihren ursprünglichen Namen St. Petersburg.

Die Stadtgründung von Sankt Petersburg ist Gegenstand eines um Peter den Großen gewobenen politischen Mythos. Danach soll der weitsichtige Zar bereits bei deren erstem Anblick eine unbewohnte und öde Sumpflandschaft an der Newa-Mündung zum Standort seiner zukünftigen Hauptstadt, eines „Fensters nach Europa“ für Russland, ausgewählt haben. Die wortmächtigste und am häufigsten zitierte Ausformulierung dieses Mythos von der eine „Hauptstadt aus dem Nichts“ erschaffenden Willenskraft Peters des Großen findet sich in dem Gedicht Der eherne Reiter (1834) von Alexander Puschkin.

Tatsächlich ignoriert diese populäre Erzählung von den Ursprüngen Sankt Petersburgs jedoch, dass der Bereich der unteren Newa schon lange zuvor Teil einer Kulturlandschaft war, des Ingermanlandes. Dort lebten seit dem 10. Jahrhundert Vertreter verschiedener finno-ugrischer Völker größtenteils von der Landwirtschaft. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts stritten Schweden und Nowgorod unentschieden um eine Kontrolle über das Gebiet. Eine als Landskrona überlieferte schwedische Siedlung an diesem Ort wurde angeblich im Jahr 1301 zerstört. Danach einigte man sich darauf, die Region als Pufferzone zwischen den Einflusssphären zu betrachten, in der keine Festungen errichtet werden durften.

In den folgenden Jahrhunderten wurde das Gebiet zumindest als Landungsstelle für die Newa befahrende Schiffe, möglicherweise aber als Handelsplatz genutzt. Letzteres gilt sicher für die Zeit einer erneuten schwedischen Dominanz in der Region nach der Errichtung der Festung Nyenschanz im Jahr 1611 und der sie bald umgebenden Siedlung Nyen. Beide lagen auf dem Stadtgebiet des heutigen Sankt Petersburg am nördlichen (oder rechten) Ufer der Newa. Es gibt Hinweise auf größere städtebauliche Ambitionen der Schweden für Nyen im 17. Jahrhundert. Allerdings erlebten diese einen herben Rückschlag, als Siedlung und Festung 1656 während des Zweiten Nordischen Krieges von russischen Truppen zerstört wurden.

Dem baldigen Wiederaufbau folgte am 1. Mai 1703, während des Großen Nordischen Krieges, die endgültige Eroberung von Nyenschanz durch die newaabwärts vorrückenden Russen unter Scheremetew. Nyen war zu diesem Zeitpunkt bereits von den Schweden selbst präventiv geräumt und teilweise zerstört worden. Das Ende von Nyen und Nyenschanz markierte gleichzeitig den Beginn der Stadtgeschichte von Sankt Petersburg. Offiziell verbindet man diesen mit dem Datum 16. Mai. 1703. An diesem Tag wurde auf einer Nyenschanz gegenüber gelegenen Insel im Newa-Delta der Grundstein für die nach dem Namenspatron des Zaren benannte Peter-und-Paul-Festung gelegt. In Urkunden und Karten aus der Gründungszeit finden sich neben der deutschen Bezeichnung Sankt Petersburg die niederländisch klingenden Sankt Piter Bourgh oder St. Petersburch.

Sankt Petersburg ist nach Moskau die zweitgrößte Stadt Russlands und ein wichtiges Kultur- und Wirtschaftszentrum. Die Stadt hat mehr als 5 Millionen Einwohner, mit den Banlieus in der Umgebung vielleicht sogar 6 oder 7 Millionen. In Sankt Petersburg existieren etwa 40 Hochschulen, zahlreiche Forschungsinstitute und wissenschaftliche Einrichtungen, etwa 50 Museen, darunter die weltberühmte Eremitage, unzählige Bibliotheken, Kultureinrichtungen und Theater. Die Russische Nationalbibliothek ist die zweitgrößte Bibliothek Russlands und eine der drei Nationalbibliotheken des Landes. Sie wurde 1795 durch Katharina II. gegründet und hat einen Bestand von über 30 Millionen Medien, davon über 450.000 Handschriften (Ostromir-Evangeliar, Codex Petropolitanus Purpureus, Codex Leningradensis u. a.). In ihrem Bestand befinden sich Bücher in 85 Sprachen. Die 1714 gegründete Bibliothek der Akademie der Wissenschaften weist über 20 Millionen Bände auf. Die Puschkin-Bibliothek besitzt mit 5000 Werken einen wertvollen Bestand von Werken aus der privaten Bibliothek des Dichters.

In wirtschaftlicher Hinsicht war und ist Sankt Petersburg ein wichtiger Hochsee- und Binnenhafen mit Kanalverbindung zum Kaspischen und Weißen Meer.

Zur Verteidigung der im Nordischen von den Schweden zurückeroberten Gebiete begann Zar Peter I. 1702/03 mit der Errichtung der Festungen Kronstadt und Schlüsselburg. Der Baubeginn der Peter-und-Pauls-Festung im Mai 1703 auf einer Insel der Newamündung galt als Gründung der Stadt. Vor einer Bebauung des sumpfigen Geländes waren umfangreiche Entwässerungensanlagen notwendig. Ab 1704 entstand die Schiffswerft (Admiralität). Mit der Verlegung der Hauptstadt von Moskau nach Sankt Petersburg, was unter den Moskowitern nicht gerne gesehen wurde, setzte ein rascher Aufschwung ein. Der Stadtbrand 1737 bremste die Entwicklung der Stadt, im Anschluss daran mussten zahlreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt werden.

Dem raschen Wachstum der Stadt und ihren Bewohnern entsprach ein Aufschwung von Handel, Handwerk und Industrie, besonders nach dem Bau der ersten Eisenbahn von Sankt Petersburg nach Zarskoje Selo 1837. Maschinenbau und Papierfabriken ergänzten die traditionellen Industriezweige Textil- und Baustoffindustrie.

Die schlechte soziale Lage der Arbeiter und wirtschaftliche Krisen 1902-1904 führten zu einer Reihe von Aufständen. Die Oktoberrevolution nahm hier mit dem Sturm auf das Winterpalais ihren Anfang. Während des 2. Weltkriegs war die Stadt 900 Tage lang von Ende 1941 bis Frühjahr 1944 von der deutschen Wehrmacht belagert (Leningrader Blockade), was zu mehr als 600.000 Opfer führte. Die Kriegsschäden in historischen Kern der Stadt wurden bald nach 1945 behoben und zu einer typischen Stadt in der sozialistischen Sowjetunion. Die frühere Residenz der Zaren als elitäres Element der Tyrannei sollte möglichst an den Rand gedrängt werden. In den Folgejahren hielt die Stadt ihren Ruf als große Industriestadt und eines der wissenschaftlichen Zentren der Sowjetunion. Das politisch-kulturelle Zentrum Russlands und der Sowjetunion lag zu dieser Zeit aber klar in Moskau.

Drei Bauepochen verleihen St. Petersburg ihr unverwechselbares Erscheinungsbild: bis 1725 entstanden erste einfache Barockbauten unter niederländischem-deutschen Einfluss (Architekt D. Trezzini), bis 1760 die italienischen barocken Großbauten unter dem Architelt Rastrelli und 1760-1850 klassizistische Bauwerke. Als erstes größeres Bauensemble entstand seit 1703 die Peter-und-Pauls-Festung mit der Peter-und-Pauls-Kathedrale (1712-1732), die 1787 noch umgebaut wurde. Trezzini erbaute den Sommerpalais Peters des Großen 1714, ungefähr gleichzeitig mit dem Menschikow-Palais durch D. Fontana und G. Schädel und der Kunstkammer 1718-1734 auf der Wassiljewinsel.

Diese Gründung St. Petersburgs, was das Fenster zum Westen darstellen soll, wird hier in diesem historischen Roman verwoben mit fiktionalen Handlungssträngen dargestellt. Im Mittelpunkt stehen die Person Zar Peter der Große, seine Familie und sein engster Umkreis. Die monumentale Aufgabe, eine Stadt aus dem Boden zu stampfen, lockt zahlreiche verschiedene Charaktere an: Schweizer Architekten, eine deutsche Arztfamilie, Tischler aus Amsterdam, italienische Schneider und Architekten. Die Stadt wird von russischen Leibeigenen und schwedischen Kriegsgefangenen unter Einsatz ihres Lebens errichtet. Einzelne Geschichten über Intrigen, Liebe, Tod, Eifersucht und Größenwahn umrahmen die Gründungsphase St. Petersburg. Ein sehr kurzweiliger Roman mit einem anspruchsvollen Genre, mit viel mehr Hintergrund als viele andere historische Romane.

Elena Favilli/Francesca Cavallo:: Good Night Stories for Rebel Girls, 3. Auflage, Hanser Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-446-25690-3

Dieses Buchprojekt, das über Crownfunding realisiert wurde, enthält 100 Geschichten über 100 beeindruckende Frauen, die die ihr Engagement in den verschiedensten Bereichen ein wenig die Welt verändert haben. Dieses Buch wurde von über 60 Künstlerinnen aus aller Welt illustriert. Diese Kurzportraits über starke Frauen sollen Mädchen aus aller Welt die Kraft, die Hoffnung und den Mut zu geben, an sich selbst und an ihre Träume zu glauben: „Jede der hundert Geschichten in diesem Buch beweist, dass ein Herz voller Vertrauen, die Kraft hat, die Welt zu verändern. Mögen diese mutigen Pionierinnen euch inspirieren. Mögen ihre Portraits in unseren Töchtern den festen Glauben verankern, dass Schönheit in allen Formen und Farben in jedem Alter zum Ausdruck kommen kann. Möge jede Leserin wissen, dass dies der größte Erfolg ist: ein Leben voller Leidenschaft, Neugier und Großmut.“ (S. 12)

In einer immer noch zum großen Teil von Männern bestimmten Welt sollen die vorgestellten Frauen aus Vergangenheit und Gegenwart mehr Selbstbewusstsein bei jungen Mädchen wecken. Von der Mathematikerin Ada Lovelace bis zur Architektin Zaha Hadid werden in alphabetischer Reihenfolge die Protagonistinnen auf einer Seite kurz vorgestellt, auf der nächsten Seite mit einer typischen Illustration. Die Texte sind nicht schwer zu verstehen, es wird immer hervorgehoben, dass die Frauen ihr Leben selbst in die Hand genommen haben und Mut bei all ihren Leistungen gezeigt haben. Pädagogisch wertvoll ist es bestimmt, um bei jungen Mädchen das Wissen zu wecken, auch in einer männlich dominierten Welt, ihren eigenen Weg zu gehen. Ob dies immer unbedingt Spitzenleistungen sein müssen, ist etwas fragwürdig, wichtig ist erstmal, authentisch zu bleiben und zu tun, was wirklich ausfüllend ist.

Brigitte Riebe: Marlenes Geheimnis. Roman, 432 Seiten, Diana Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-453-29205-5, 19,90 Euro

Dieses Buches der Schriftstellerin Brigitte Riebe handelt von der Zeit des 2. Weltkriegs und den unmittelbaren Folgen, die in einer Familie bis in die heutige Generation noch Auswirkungen hat. Der Roman hat autobiographischen Charakter, da die ihre Familie mütterlicherseits aus dem früheren Nordböhmen stammt und von dort nach dem Ende des NS-Staates flüchten musste.

Die Geschichte handelt von dem Leben einer sudetendeutschen Familie in Böhmen, die ein relativ gutes und beschauliches Leben vor dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 führte, wo die Tschechoslowakei musste ihr gesamtes Grenzgebiet zum Deutschen Reich mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung (Sudetenland) an dieses abtreten musste. Die Schreckensherrschaft Heydrichs, die im Massaker von Lidice einen Höherpunkt fand, führte zu wachsenden Deutschfeindlichkeit. Eines von den tschechischen Kindern, die das Massaker von Lidice überlebt hatte, und ohne Eltern dastand, kam unter die Obhut der Hauptprotagonistin Marlene, die es nach ihrer Flucht aus dem Sudetenland infolge der Benes-Dekrete im Aufnahmelager als ihr leibliches Kind ausgab. Als dann ihr Vater aus der französischen Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, gingen sie nach Überlingen an den Bodensee. Als dieser nochmals von der französischen Besatzungsmacht verhaftet wurde, standen die beiden wieder alleine da. In der Not lernte sie einen Mann kennen, mit dem sie eine gutgehende Schnapsbrennerei aufmachte und auch dann heiratete. Die Integration in die Dorfgemeinschaft verlief schleppend, da es dort Vorbehalte gegenüber Fremden gab, eine Parallele zur heutigen Zeit. Durch verschiedene Intrigen wird deren Leben wieder aus der Bahn geworfen….

Mit diesem Roman trifft die promovierte Historikerin Brigitte Riebe den Nerv der Zeit; Zwangsmigration, Flucht und Integration lassen sich in der augenblicklichen Epoche gut vermarkten und trifft auf ein gesteigertes Interesse der Leser. Das Buch ist eine spannende Erzählung der jüngeren Zeitgeschichte, die alle Gefühlsfacetten anspricht. Sehr spannend geschrieben mit vielen Wendungen und auch tiefergehendem Inhalt. Das Schicksal von geflohenen Deutschen nach dem 2. Weltkrieg hat viel gemeinsam mit der heutigen Flüchtlingssituation, daher ist der Hinweis der Autorin nach mehr Empathie und Verständnis für heimatlose Menschen nur zu begrüßen.

Das Buch hat das Zeug zum Bestseller, in denen sich viele ältere Menschen wiederfinden werden.

David Lagercrantz nach Stieg Larson: Verfolgung, Heyne Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-453-27099-2

Um diesen Roman angemessen beurteilen zu können, erfolgt zunächst eine kleine Hintergrundstory, die vermutlich nicht alle potentiellen Leser mitverfolgt haben.

Der schwedische Autor Stieg Larsson hinterließ bei seinem Tod die ersten drei von zehn geplanten Büchern: die Millenium-Trilogie mit dem Werk Verblendung aus dem Jahre 2005, Verdammnis aus dem Jahre 2006 und Vergebung, die Schweden posthum veröffentlicht wurden. Die drei Romane wurden mit weltweit bislang 63 Millionen verkauften Exemplaren zu einem internationalen Erfolg. Das vierte ist zu einem Teil noch von Larssen begonnen worden, die anderen zwei liegen nur als Exposé vor.

Weder Larssons Vater Erland und sein Bruder Joakim, die gemeinsam die Rechte an dessen Werken halten, noch seine Lebensgefährtin, Eva Gabrielsson, wollten zunächst, dass der vierte Band von einem anderen Autor zu Ende geschrieben und veröffentlicht wird, da dies nicht im Sinne von Stieg Larsson wäre. Im Dezember 2013 gab allerdings der schwedische Verlag Norstedts bekannt, dass der Journalist und Schriftsteller David Gunnar Fransiscus Lagercrantz an einem neuen vierten Millennium-Roman arbeite. Der Roman wird aber ohne Beteiligung von Eva Gabrielsson und auch ohne Verwendung des unvollendeten vierten Manuskripts geschrieben und ist als freistehende Fortsetzung mit den Romanfiguren Larssons konzipiert. Larssons Vater und sein Bruder haben der Veröffentlichung allerdings zugestimmt.

Lagercrantz arbeitete bis 1992 als Kriminalreporter bei der Tageszeitung Expressen und schaffte mit seinem 2011 erschienenen Buch Ich bin Zlatan, einer Biographie über den schwedischen Fußballstar Zlatan Ibrahimovic seinen Durchbruch als Schriftsteller.

Im August 2015 wurde nun der vierte Teil der Millennium-Serie veröffentlicht und und gelangte unter dem deutschen Titel Verschwörung“ auf den Markt. David Lagercrantz knüpfte an die Millennium-Trilogie an und entwickelte die bekannten Figuren Mikael Blomkvist, Henrik Vanger und Lisbeth Salander weiter, schuf dabei aber in „Verschwörung“ eine neue Episode. Darin beschäftigte er sich nun größtenteils mit den Ereignissen Lisbeth Salanders Vergangenheit und lernt die Personen, unter denen sie in ihrer Kindheit schlimm zu leiden hatte. Das Innenleben von Lisbeth Salander rückt stärker in den Fokus, so dass sich der Leser mit der Romanfigur noch stärker identifizieren kann.

Vergleichbar mit den vorherigen Romanen Larssons gibt es aber einige Unterschiede. Lagercrantz schreibt flüssiger, verzichtet aber weitgehend auf den von Larsson so geliebten Spannungsbogen und die exakte Beschreibung der grausigen Verbrechen. Letzteres ist ganz gut, aber durch das Weniger an Spannung schleppt sich der Roman so vor sich hin, dass die Geschichte dröger und weniger erlebnisreich macht. Insgesamt gesehen gibt es Brüche zum Erzählstil Larssons und dadurch verliert das Buch an Qualität. Es lebt meist von den von Larsson schon eingeführten Hauptcharakteren und deren Eigenschaften, die eine gewisse Vertrautheit hervorrufen. Es kann nicht an die Maßstäbe der Millenium-Trilogie anknüpfen.

Die Veröffentlichung des Buches bzw. die Weiterführung der Romane Larssons mit einem anderen Schriftsteller ist schon in Schweden auf scharfe Kritik gestoßen. Dieses Konzept musste sich den Vorwurf der Verfälschung von Larssons Art zu Schreiben und die Schmückung Lagercrantz‘ mit fremden Vorschusslorbeeren gefallen lassen. Beides ist nicht von der Hand zu weisen, da eine bloße Kopie des Stils von Larsson gar nicht möglich ist. Sowohl Lagercrantz als auch der Verlag haben sich mit der Fortsetzung keinen Gefallen getan.

Salman Rushdie: Golden House. Roman, C. Bertelsmann, München 2017, ISBN: 978-3-570-10333-3

Der römische Kaiser Nero wurde zum Sinnbild für Tyrannenwahn und Dekadenz. Viele seiner Nachfahren erschien seine Herrschaftsform als Entartung. Neros Herrschaft erschien. Ein weiterer Grund waren Neros unberechenbare Handlungen, wie die Familienmorde, die Hinrichtungswellen oder unterstützten Selbstmorde, sowie seine Vernachlässigung des Staates und seine Haltung gegenüber dem Senat. Er ruinierte für seinen Palast den Staatsschatz, verbrannte Rom und verfolgte die Christen Christliche Autoren späterer Jahrhunderte, die Nero schon wegen der Hinrichtung ihrer Glaubensbrüder nach dem Brand von Rom verurteilten, prägten endgültig das Bild des Kaisers als eines größenwahnsinnigen Tyrannen. Im Mittelalter galt er geradezu als Verkörperung des Antichrists. Trotz einer versuchten Rehabilitierung in jüngster Zeit hält sich das oben gezeichnete Bild bis heute.

In diesem Roman tradiert Salman Rushdie diese negativen Bilder und Eigenschaften Neros weiter und erweitern ihn um den Komplex der Gier nach Geld und grenzenlose Selbstüberschätzung. Rushdies Nero heißt Nero Golden, der in New York nicht in einem Palast, aber einem großen Haus lebt und als Immobilienmakler seinen Reichtum auf Betrug und Skrupellosigkeit aufgebaut hat. Um die Ausschweifungen und Geschehnisse in dem Golden House, in dem noch seine drei Söhne und seine geldgierige Frau leben, geht es in diesem Buch. Nebenan wohnt der junge Filmemacher Réné und ist fasziniert von diesen Geschehnisse, dem Klima und den seltsamen Gästen. Für ihn sind die Ereignisse im Golden House wie ein Film, in dem er selbst später noch eine tragende Rolle spielt.

Das Buch ist ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft in der Amtszeit Obamas bis zur Wahl Trumps zum Präsidenten: Selbstüberschätzung, Größenwahn, Geldgier und Egozentrik verbunden mit asozialen Verhalten, diese Eigenschaften prägen die bestimmende Akteure in der amerikanischen Gesellschaft in Wirtschaft und Politik, die der Demokratie schaden und den Staat und den Anstand verrohen lassen. Wie kurz allerdings der Schritt zum Scheitern und zur Überdehnung seiner Allüren ist, erfährt auch Nero Golden am eigenen Leib.

Der Leser kann sich auf politischen, ethischen und gesellschaftskritischen Roman mit vielen Wirrungen freuen. Die Aktualität seines Werkes ist dabei nicht zu übersehen. Die dunkle Seite der Macht wird von Rushdie raffiniert dargestellt, eine Mischung zwischen Komödie und Zeitkritik.

Mirko Bonné: Lichter als der Tag, Roman, Schöffling & Co, Frankfurt/Main 2017, ISBN: 978-3-89561-408-8

Der Hamburger Schriftsteller Mirko Bonné wurde durch seine tiefgründigen wie auch unterhaltsamen Romane bekannt, die in den letzten Jahren immer als Anwärter auf den Deutschen Buchpreis gehandelt wurden. In seinem neuesten Roman „Lichter als der Tag“ geht es um die Sehnsucht der Hauptperson Raimund Merz nach dem Ausbruch aus der Dunkelheit seines Lebens. Der Titel stammt aus einer Zeile des barocken Lyrikers Andreas Gryphius, der in seinen Tragödien und Gedichten das Leid und den moralischen Verfall während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sowie die Unruhe, Einsamkeit und Zerrissenheit der Menschen thematisierte.

Die Metaphorik von Licht und Schatten, von Tag und Nacht ist kennzeichnend für den gesamten Roman. Das Licht bzw. der Tag steht für einen aufgehellten glücklichen Seelenzustand, während Schatten bzw. Nacht eine dunkle, depressive innere Verfasstheit charakterisiert.

Dabei orientiert er sich an verschiedenartigen Vorbildern. Im Christentum steht das Licht in der Selbstbezeichnung Jesu Christi für die Erlösung des Menschen aus dem Dunkel der Gottesferne. In der biblischen Schöpfungsgeschichte ist das Licht das zweite Werk Gottes, nach Himmel und Erde. Die Kunstgeschichte ist die Geschichte der Gestaltung des Lichts von den Fenstern der gotischen Kathedralen über das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch bis hin zu den kalifornischen "Light and Space"- Wahrnehmungskünstlern der 1960er-Jahre. In der Literaturgeschichte finden sich massenhaft Verwendungen des Themas Licht und Schatten so zum Beispiel bei William Shakespeare in „Sein oder nicht sein“ oder „Mit einem Kuss sterben“, bei Goethe in „Faust“ und „Der Erlkönig“, bei Heinrich Heine in „Die Beschwörung“ und „Ein besseres Lied“ oder bei Edgar Allen Poe in „Der Rabe“.

In seiner Jugendzeit bildeten die Hauptperson Raimund Merz, Moritz, Floriane und Inger, die Tochter eines dänischen Künstlers, eine verschworene Gemeinschaft, die sich immer in einem wilden Garten traf. Inger entscheidet sich gegen Raimund und für Moritz, Raimund und Floriane entwickeln sich aus Trost auch zum Paar.

Raimund wird Vater zweier Kinder und Angestellter bei einem Nachrichtenmagazin. Seine Arbeit erfüllt ihn nicht mit Glück und schöne Momente in seinem Alltag sind selten. Als er dann seine Jugendliebe Inger wiedertrifft, vergegenwärtigt er sich seines unglücklichen Lebens und macht sich Gedanken über Sinn und Glück im Leben. Die Erinnerung an seine glückliche Jugendzeit und die immer noch existierende Liebe zu Inger sind die Versatzstücke der Erinnerung, die ihn aus dem Dunkel ins Licht führen. Diese nie verwundenen Liebeswünsche geben seinem Leben eine neue Wendung und er wagt als Fünfzigjähriger einen radikalen Neuanfang und den Ausbruch aus seiner bürgerlichen Existenz. Er gesteht sich selbst ein, die falsche Partnerin geheiratet zu haben und ist von nun an bestrebt, sein unglückliches Leben zu revidieren und umzukrempeln. Er entführt seine eigene Tochter und ist von nun an ein Gesuchter und Getriebener. Das schon am Anfang des Romans wie belanglos eingebaute Bild des französischen Malers Camille Corot „Weizenfeld im Morvan“ ist für ihn das Synonym für Glück und so reist er zum Originalschauplatz, dem Granitmassiv Morvan in Zentralfrankreich. Corot fand in Italien zu seiner Landschaftsmalerei mit freier, aber straffer Komposition und gedämpfter Farbigkeit, die er nach 1850 zu einer reinen Stimmungsmalerei weiterentwickelte. Corot war einer der Hauptvertreter der Schule von Barbizon. In seinen späten Jahren war er die Vaterfigur der Pariser Kunstszene und galt als der führende Landschaftsmaler Frankreichs und als Vorläufer des Impressionismus.

"Lichter als der Tag" ist ein hintergründiger Roman mit zahlreichen Wandlungen und einem doch letztlich Zusammenbringen von einzelnen Puzzleteilen, die bewusst vom Autor gestreut sind. Dieser Liebesroman ist die Suche eines Mannes auf dem Weg zu sich selbst in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Suche nach einem späten Glück und den damit verbundenen Neuanfang suggeriert, dass es nie zu spät ist für Veränderungen im Leben. Nachhaltig wird der empfehlenswerte Roman, wenn der Leser oder die Leserin bereit ist, das eigene Leben zu reflektieren.

Ulla Hahn: Wir werden erwartet. Roman, DVA, München 2017, ISBN: 978-3-421-04782-3

Der Roman „Wir werden erwartet“ ist der letzte Teil einer Tetralogie nach ihren frühen Werken „Das verborgene Wort“, „Aufbruch“ und „Spiel der Zeit“. Ulla Hahn erzählt mit Hilfe ihres Alter egos Hilla Palm ihre Autobiographie, ihre Hoffnungen und Träume, ihre Enttäuschungen und Verletzungen aus der Retrospektive. Die Aufarbeitung ihres eigenen Lebens ist eine Blaupause der frühen Nachkriegsgeschichte der BRD.

Am Anfang geht es um eine junge Frau in der Selbstfindungsphase, die der Enge ihrer katholisch-konservativen Welt entfliehen will. Bei ihrem Germanistikstudium in Köln glaubt sie wie viele andere junge Menschen auch eine bessere, gerechtere, friedliche Welt. Nach den Ereignissen des Jahres 1968 tritt sie 1971 in die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und lebt für die Verwirklichung des Kommunismus. Nach einer Reise in die DDR und dem damaligen Abbild des real existierenden Sozialismus 1975 trat eine ideologische Ernüchterung ein und sie brach mit dem Marxismus und der DKP. Die Morde der RAF besonders im „deutschen Herbst“ 1977 taten ihr Übriges. Am Ende entwickelt sie sich zu einer reifen Frau, die von einer kommunistischen Avantgardistin zu einer Befürworterin des parlamentarischen Kapitalismus entwickelte.

Das Buch ist spannend, hintergründig und aufrichtig geschrieben. Wenn man ihre früheren Werke kennt, kann man manche Dinge viel besser einordnen, daher ist die Lektüre der gesamten Tetralogie zu befürworten. In der Figur Hilla Palm werden sich viele Leser wiederfinden, die 1968 und seine Folgen hautnah miterlebt haben. Die Lektüre bringt den Leser weiter, stellt viele Fragen und lädt zum weiteren Nachdenken an. Ein tiefsinniger politischer Roman, nur in der entscheidenden Frage mit viel zu wenig kritischer Tiefe.

Das Thema dieses Buches – besonders in ihrer Retrospektive ihrer Aktivität in der DKP- ist Freiheit. In ihrem Lob der bürgerlichen Freiheit erinnert sie ein wenig an die Reden Joachim Gaucks, der dieses Wort als Synonym für sein politisches Handeln begriff und eine sehr enge, unkritische Deutungsebene damit verband.

Über die Frage, was Freiheit eigentlich bedeutet, sind schon Regale von Büchern zu allen Epochen der Menschheitsgeschichte erschienen. Die Deutungshoheit der jeweiligen geistigen Elite bestimmt immer dabei den näheren Inhalt. Der Siegeszug des Kapitalismus und der parlamentarischen Demokratie in der jetzigen Epoche nach 1989 bezeichnet sich selbst als „den freiesten Staat, den es jemals in Deutschland gab.“ Tatsächliche Herrschaftsverhältnisse wie die Macht des Geldes, der Hochfinanz, eines starken Staates, der seine Bürger immer stärker überwachen lässt, eines Verfassungsschutzes, der bestimmt, was und wer freie Meinungsäußerung betreibt und wer „Extremist“ ist. Die Unfreiheit von hunderttausenden Obdachlosen oder illegal in der BRD lebende Menschen oder andere zu Randgruppen gemachte Gruppen, ihre Rechte in der Gesellschaft zu artikulieren, wird hier ausgespart.

Der Germanistin Ulla Hahn sei die Auseinandersetzung mit Leo Kofler: „Zur Kritik bürgerlicher Freiheit“, VSA, Hamburg 2000 und den Anhängern des antiautoritären Sozialismus empfohlen. Die beiderseitige Ausgestaltung von Gemeinschaft und Individualität existiert in den freien Vereinbarungen von libertären Denkern. Die Erkenntnis, dass der real existierende Sozialismus in Osteuropa die autoritäre Herrschaft einer Parteiclique ohne freiheitliche Züge war, ist nichts Neues.

Michael Quetting: Plötzlich Gänsevater. Sieben Graugänse und die Entdeckung einer faszinierenden Welt, Ludwig Verlag, München 2017, 4. Auflage, ISBN: 978-3-453-28091-5

Der Autor Michael Quetting arbeitet seit 6 Jahren für das Max Planck Institut für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee. Für ihn zählt das Fliegen, ob mit Gleitschirm, Drachen, Flugzeug zu seinen Leidenschaften.

In dem Buch geht es um eine skurrile Symbiose zwischen Mensch und Tier. Der Autor soll zu Forschungszwecken Graugänsen beibringen, ihm und seinem Ultraleichtflugzeug zu folgen. Das Projekt, in dem er es mit sieben Graugänsenküken zu tun hat, entwickelt sich zu einem menschlichen. Im Laufe der Zeit entwickelt er Gefühle für die sieben Küken und entwickelt sich selbst zum Gänsevater. Für ihn selbst verlangsamt sich sein Leben und er lernt bei der Aufzucht „seiner“ Küken, im Einklang mit der Natur und dem Rhythmus seiner sieben Gänse zu leben. Er gibt den Küken Namen wie seinen Kindern und vergisst den Hintergrund seines Forschungsprojektes völlig. Der Leser erlebt den Sommer mit seinen sieben Küken hautnah mit. Wie bei Säuglingen wird der Lebensweg der Gänse geschildert: Vom Schlüpfen, den ersten Erfahrungen in der neuen Umgebung bis hin zu den ersten Flugversuchen durchlebt er zusammen mit ihnen einige Abenteuer. Er betrachtet die Gänse mit ganz anderen Augen: Der Leser teilt die Sorge der verschiedenen Stadien der Gefühle wie Freude, Sorge und das Beschützen „seiner“ Jungen mit. Seine persönlichen Veränderungen durch dieses Abenteuer beschreibt der Autor eingehend und mit einer Prise Humor und Selbstironie. Als er am Ende Abschied von den flügge gewordenen Gänsen nimmt, ist er

„stolz wie ein richtiger Papa“ (S. 238).

Man lernt in dem Buch mehr als grundlegende Fakten über Gänse: Es bedient das Bedürfnis nach der Harmonie des Menschen mit Tieren oder der Natur, das etwas über das Artensterben, die Verschmutzung der Weltmeere oder des Klimawandels hinwegtröstet. Es ist sehr einfühlend geschrieben, man merkt, dass ein Tierliebhaber der Autor war. Die Lektüre ist unterhaltsam und hat auch eine Botschaft für die Leser. Nicht nur für Tierliebhaber geeignet.

Viet Thanh Nguyen: Der Symphatisant. Roman, Blessing Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-89667-596-5

Der Autor Viet Thanh Nguyen floh als Kind mit seiner Familie aus Saigon und kam aus dem Flüchtlingslager in Fort Indiantown Gap kam er zu einer amerikanischen Familie. Er machte eine Hochschulkarriere an der University of Southern California. Sein erster Roman The Sympathizer erhielt 2016 den Pulitzer-Preis und weitere Auszeichnungen, darunter die Andrew Carnegie Medal sowie den Edgar Allan Poe Award in der Kategorie „Bester Debütroman“. Dieser neue nun auch auf Deutsch erschienene Roman über den Vietnamkrieg ist aber keine Beschreibung seines bewegten Lebens. Es ist eher eine subjektive kritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Vietnamkrieges. Er begann nach Vietnams Teilung (1954) als Bürgerkrieg in Südvietnam (1955–1964). Dabei wollten die Việt Minh, aus denen 1960 die Nationale Front für die Befreiung Südvietnams („Vietcong“) hervorging, die antikommunistische Regierung Südvietnams stürzen und das Land wiedervereinigen. Das kommunistisch regierte Nordvietnam unterstützte die NLF, die USA unterstützten Südvietnam militärisch. Daraufhin unterstützten die Sowjetunion und die Volksrepublik China Nordvietnam, sechs Staaten unterstützten die USA und Südvietnam militärisch. Man schätzt die Zahl der vietnamesischen Kriegsopfer auf mindestens zwei bis zu über fünf Millionen, darunter über 1,3 Millionen Soldaten. Zudem fielen 58.220 US-Soldaten und 5.264 Soldaten ihrer Verbündeten. Mehrere Millionen Vietnamesen wurden verstümmelt und dem hochgiftigen Entlaubungsmittel Agent Orange ausgesetzt

In diesem Bestseller geht es unterbewusst um die Frage nach Identität, nach Zugehörigkeit und ethischen Maßstäben und Grundsätzen des unbekannten Erzählers. Dieser namenlose Doppelagent, der an den vietnamesischen Spion Pham Xuan erinnert, arbeitet während des Vietnamkrieges für die USA und deren Verbündete, aber auch als Doppelagent die kommunistische Regierung mit Informationen unterstützt und sich dabei selbst verliert. Dieser mysteriöse Doppelagent sitzt in einer Zelle und erzählt sein bewegtes Leben. Dabei lästert über den Dreh von „Apocalypse Now“ und erzählt Horrorgeschichten von vietnamesischen Straflagern und sinniert über Fragen der Existenz.

Die innere Zerrissenheit des unbekannten Erzählers ist überall spürbar: „Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei gesichtern bin. Da ist es vielleicht kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin. (…) Ich besitze einfach die Fähigkeit, alles von zwei Seiten zu betrachten.“ (S. 9)

Der Roman kann als moderne Rezeption des Gottes Janus eingebettet in die Logik des Kalten Krieges gesehen werden. Janus war der römische Gott des Anfangs und des Endes. Er gehört zu den ältesten römischen Göttern und zur ursprünglichen römischen Mythologie. Er ist ein rein römischer Gott und hat keine Entsprechung in der griechischen Mythologie. Sein Kult war in Rom äußerst bekannt, fand sich aber auch in einigen römischen Kolonien, wie in Kroatien an der Adria, wieder. Die frühesten Abbildungen von Janus zeigen ihn mit einem Doppelgesicht, vorwärts und rückwärts blickend. Janus symbolisiert die Dualität in den ewigen Gesetzen, wie etwa Schöpfung/Zerstörung, Leben/Tod, Licht/Dunkelheit, Anfang/Ende, Zukunft/Vergangenheit, Links/Rechts usw. Er ist die Erkenntnis, dass alles Göttliche immer einen Gegenspieler in sich birgt. Beide Seiten der Dualität entziehen sich dabei immer einer objektiven Wertung und sind damit weder gut noch schlecht. Diese Logik zieht sich durch das gesamte Buch durch.

Das Buch ist als Spionagethriller sehr spannend geschrieben, hat jedoch etwas Melancholisches und Nachdenkliches. Eine facettenreiche Darstellung, die niemals langweilig wird und noch nach Ende der Lektüre zum Nachdenken anregt. Der Krieg, die Flucht, das hat alles einen Touch der Aktualität.

Ariel Lewy: Gegen alle Regeln. Eine Geschichte von Liebe und Vernunft, Knaur Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-426-21430-5

Dieses Buch basiert auf dem Artikel „Thanksgiving in Mongolia“ von Ariel Levy, der am 18.11.2013 im Kulturmagazin New Yorker erschienen ist. Diese Reportage wurde mit dem National Magazine Award for Essays and Criticism ausgezeichnet. Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel „The rules do not apply“ beim Verlag Random House.

Dieses Buch handelt von der persönlichen Geschichte der Journalistin Ariel Levy. Sie arbeitet für das renommierte Kulturmagazin New Yorker, hat eine glückliche Beziehung und erwartet ein Kind. Ein perfektes Leben, das daran zerbricht, dass auf einer arbeitsbedingten Reise nach Ulan Bator in die Mongolei durch eine Fehlgeburt zerbricht. Für einige Minuten bekommt sie ihren Sohn noch zu Gesicht, bevor er vor ihren Augen stirbt. Völlig am Ende nach dem Verlust ihres Sohnes muss sie auch noch mit ansehen, dass ihre Partnerin Lucy sich immer mehr dem Alkohol zuwendet und die Beziehung daran zerbricht. Als Ariel Levy noch das Haus aufgeben muss, steht sie vor einem Scherbenhaufen. Sie empfindet nur noch Trauer und Schmerz: „Die vermeintliche Zukunft, an der sich in Luft aufgelöst, und mit ihr ist jede Vorstellung von dem Leben verschwunden, von dem ich dachte, dass es mir zustünde.“ (S. 9) In ihrer Hoffnungslosigkeit macht sie sich Gedanken über das Leben und ihre eigenen Erwartungen und kommt zu dem Schluss, dass man im Leben niemals all das bekommen kann, wonach man sich sehnt. Mit wenig zufrieden sein und dies hoch einschätzen, ist die Botschaft an die Leser.

Die einzige Hoffnung war für sie die Liebe zur Sprache und daher verarbeitete sie ihre schrecklichen Erlebnisse in besagtem Artikel und ihrem Buch: „Während alles um mich herum auseinanderfällt, bleibt das Einzige intakt, was immer zu mir gehörte, das, was aus mir einen Schriftsteller gemacht hat: Neugier, Hoffnung.“ (S. 234)

Dieses äußerst persönlich geschriebene Buch geht unter die Haut. Mit ihrer Bewältigung dieser Schicksalsschläge gibt sie Lesern Mut, in der Hoffnungslosigkeit doch noch ein Stück eigene Stärke zu finden.

Marie N’Diaye: Die Chefin. Roman einer Köchin, Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, ISBN 9783518427675, 333 Seiten, 22,00 EUR

Marie N’Diaye, einer der besten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Frankreichs mit senegalesischen Wurzeln, schaffte ihren internationalen Durchbruch mit dem Roma Trois femmes puissantes (Drei starke Frauen) über persönlichkeitsstarke Grenzgängerinnen, für den Sie den 2009 den Prix Concourt als erste dunkelhäutige Frau erhielt. Ein Jahr später bekamm die den Internationalen Literaturpreis- Haus der Kulturen der Welt zusammen mit Claudia Kalscheuer, die Übersetzerin ihres Werkes ins Deutsche.

In ihrem neuen Roman geht es um eine begnadete Köchin, die sich aus bescheidenenen Verhältnissen hochgearbeitet hat und ein Restaurant in Bordeaux „La Bonne Heure“ aufmacht, das sogar mit einem Stern ausgezeichnet wird. Im gesamten Roman wird der Name der Frau nicht genannt. Der Erzähler des Romans, langjähriger Mitarbeiter der Chefin und ihr in unerfüllter heimlicher Liebe verbunden, schildert die Biographie der fantastischen Köchin und auch aus seiner Sicht fantastischen Frau. Er berichtet von ihrem Leben, ihrem Charakter, ihrer Ausbildung, der Kunst der Kochkomposition, dem privaten wie öffentlichen Umgang, manche Fragen des Lesers sollen jedoch gewollt unbeantwortet bleiben. Ihre ganze Liebe gilt jedenfalls der Kochkunst, daneben gibt es nichts anderes. Kurz nach dem Tod der Verehrten macht er sich daran, eben ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben, die nun der Leser teilen darf.

Dabei erfährt man im Laufe des Romans auch mehr über den Ich-Erzähler und Liebhaber. In die leidenschaftliche Zuneigung mischt sich auch Bewunderung für ihr Talent. Dies kommt vor allem zum Ausdruck, als der Ich-Erzähler die zubereiteten Speisen im ihrem Restaurant aufgezählt werden: Flusskrebspastete, Lammhirnkrapfen mit Sardellensoße, Kalbsklößchen, im Ofen gebackener Thunfisch oder Rinderbraten mit Lavendelhonig. Bei der Begegnung mit dieser so begnadeten Frau, die er tagtäglich um sich hat und auch doch nicht, muss er dieser Situation etwas Positives abgewinnen: er schildert deshalb ausführlich die (angeblichen) Vorzüge unerfüllter Liebe. Er hebt hervor, dass er viel Zeit mit seiner Chefin allein, und zwar beim Ausprobieren neuer Gerichte verbringt. Zu keinem anderen Menschen hat seine Chefin eine solche Nähe. Keiner kennt sie auch so gut wie er.

Eine hintergründige Botschaft hat der Ich-Erzähler auch noch für die Leser: Er suggeriert, dass die schöpferische Kraft eines Menschen, egal auf welchem künstlerischem Gebiet im Kern unerklärbar bleibt.

Diese biographische Entdeckungsreise, die von einem leidenschaftlichen Liebhaber erzählt wird, ist abwechslungsreich und trotz des Sujets der unerfüllten Liebe sogar manchmal komisch. NDiaye beschreibt wieder mal eine starke Frau, die es beruflich zu einer Spitzenköchin bringt, und ein aus ihrer Sicht erfülltes Leben führt. Der Leser merkt aber schnell, dass doch etwas fehlt, nämlich die Wahrnehmung der restlichen Welt neben ihrer Arbeit. Die Einengung des Lebens in einen einzigen Bereich (Arbeit) versagt der Hauptprotagonistin andere Freuden wie Liebe, Familie, Hobby und menschliche Beziehungen.

Soman Chainani: The School for Good and Evil. Und wenn sie nicht gestorben sind, übersetzt von Ilse Rothfuss, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2017, ISBN: 978-3-473-40145-1

Der dritte Teil des New-York- Times-Bestseller des Schriftstellers und Drehbuchautor Soman Chainani erscheint in dieser Ausgabe erstmals in deutscher Sprache. Die Idylle am Ende des 2. Bandes gerät aus den Fugen: Agatha ist mit Tedros im Schlepptau nach Gavaldon zurückgekehrt und hat Sophie in der Schule von Gut und Böse zurückgelassen. Das Böse in Form des Schulmeisters löst eine Welle von Tod und Verdammnis aus und Sophie steht als verletzte Königin, die die Aussicht auf Happy End aufgegeben hat, auf seiner Seite. Der Kampf zwischen Gut und Böse steht wieder im Mittelpunkt des dritten Bandes. Ewige Dunkelheit droht mal wieder der Märchenwelt. (Angebliche) Liebe und Freundschaft stehen sich gegenüber, was sich durchsetzen wird, kann noch nicht beantwortet werden.

Das Böse ist in dieser Geschichte mit solcher Macht und Kraft am Werk, dass es unmöglich scheint es zu besiegen. Werden die Helden untergehen und wird der Schulmeister sein Ziel erreichen und die Welt zerstören mit Sophie an seiner Seite? Oder ist da noch ein kleines Fünkchen Hoffnung, welches in Sophie weiterlebt und doch noch alles anders werden kann? Das Ende soll hier nicht vorschnell verraten werden.

Das Buch verspricht auf jeden Fall sehr viel Spannung, Wendungen, Aussagekraft und vor allem Emotionen, die das gesamte Buch durchdringen und einen interessanten Schluss bieten. Lesenswert für Menschen, die schon die ersten beiden Teile kennen, ansonsten ist es schwer, sich in die Geschichte und die Charaktere hineinzufinden.

Carsten Jensen: Der erste Stein, Knaus Verlag, München 2017, Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 640 Seiten, 15,0 x 22,7 cm, ISBN: 978-3-8135-0741-6 € 26,00 [D]

Carsten Jensen ist einer der profiliertesten politischen Journalisten Dänemarks, Literaturkritiker und Buchautor. Der Roman wurde in Dänemark mit literarischen Preisen bedacht und wurde nun von Ulrich Sonnenberg ins Deutsche übersetzt. Für die Recherche des Romas „Der erste Stein“ verbrachte er längere Zeit in Afghanistan und lernte dort den Alltag aus verschiedenen Sichtpunkten kennenlernen. Jensen ist ein überzeugter Kritiker des Militäreinsätze des Westens in Afghanistan, was auch in diesem Roman deutlich wird.

Jensen schildert in seinem pazifistischen Roman die Komplexität des Krieges und der darin verwickelten Personen: Die Banalität des Bösen, Trauer, Hoffnungslosigkeit, monotone Tage, alltägliche Gewalt Mordlust und die gesamten psychische Bandbreite von Gefühlen der Hauptprotagonisten.

Die Handlung spielt im seit Jahrzehnten umkämpften Afghanistan. In einem dortigen Militärcamp sind die Soldaten und Soldatinnen des 3. Zuges der dänischen Einheit in Afghanistan stationiert. Deren Charaktere, besonders die Soldatin Hannah und der Anführer Rasmus Schroder werden ausführlich vorgestellt. Die motivierte Truppe verbringt die ersten Tage monoton mit Warten und ist von Langeweile geplagt. Dann sterben durch eine Landmine zwei Menschen, was eine beeindruckende und bewegende Schilderung des Krieges und des Vorgehens beim Einsatz. Die immer wieder aufflackernde Gewalt gerät schließlich außer Kontrolle und die Grausamkeit des Krieges wird plastisch geschildert. Die Abgründe der menschlichen Psyche wie Liebe, Tod und Freundschaft zeigen sich, als Schroder seine Kameraden und Kameradinnen verrät. Was mit einem Menschen geschieht, wenn er solchen extremen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt ist und was mit einem Menschen, wenn man tatsächlich einen anderen Menschen tötet, passiert, wird hier in schonungsloser Brutalität deutlich.

Von verschiedenen Standpunkten aus lernt man in diesem Buch Innenansichten über den Afghanistan- Krieg kennen. Es gibt tiefere Einblicke in ein Land, das seit Jahrzehnten von Krieg und Gewalt bestimmt ist. Die detaillierten Beschreibungen von Verletzungen und Verstümmelung der Soldaten und andere Szenen schockieren, sind aber auch ein Zeichen einer authentischen Reportage. Jensens umfangreiche Recherchen im Vorfeld des Romans in Afghanistan tragen hier Früchte.

Das Buch lebt von der Aktualität des Genres und die immer wieder entflammte Diskussion des Pro und Contras von westlichen Militäreinsätzen in Krisengebieten. Es ist keine leichte Unterhaltungslektüre, sondern zeigt die Schonungslosigkeit und Brutalität des Krieges. Was jedoch etwas fehlt, ist die Sicht auf die Zivilbevölkerung, die immer am meisten unter einem Krieg und seinen Folgen leidet.

Victoria Aveyard: Die rote Königin, Carlsen Verlag, Hamburg 2015, ISBN: 978-3-551-58326-0, 19,90 Euro

Die Autorin Victoria Aveyard ist eine Newcomerin, und schaffte in den USA ihren Durchbruch mit einer Fantasy-Serie, wovon das Buch „Die rote Königin“ der erste Teil ist Alle bisher erschienen Bände des Vierteilers - „Die rote Königin“, „Gläsernes Schwert“ und „Goldener Käfig“ – sind Bestseller.

Im ersten Band „Die rote Königin“ erwartet den Leser eine Welt, die strikt nach Roten und Silbernen getrennt ist. Doch Mare, eine Rote mit den Fähigkeiten einer Silbernen, sprengt dieses starre Konzept. Dort gibt es Lügen und Intrigen, Freundschaft und Loyalität, gefährliche und kühne Pläne und der Kampf um Freiheit. Daher gibt sie ihr Möglichstes, in der Welt der Silbernen zu überleben und gleichzeitig ihre eigenen Ziele zu verwirklichen. Immer wieder kommt es zu Gewissenskonflikten Mares in den Fantasyroman, ihr Lavieren zwischen der silbernen und der roten Welt. Die Geschichte hat kein Ende, denn es gibt noch mehrere Fortsetzungsbände.

Die Handlungsstränge sind abwechslungsreich gestaltet und miteinander verwoben, mitunter auch spannend, das Niveau des Romans ist eher seicht und nicht besonders anspruchsvoll. Es ist eher eine leichte Strandlektüre als ein anspruchsvoller Fantasyroman, der wenig Lust auf eine Fortsetzung macht. Für einen Spiegelbestseller eher eine Enttäuschung.

Cameron Bloom/Bradley Trevor Greive: Penguin Bloom. Der kleine Vogel, der unsere Familie rettete, Knaus-Verlag, 5. Auflage, München 2016, ISBN: 978-3-8135-0761-4

Das Original erschien unter dem Titel „Penguin Bloom“ bei Harper Collins Publishers in Sydney/Australien und erscheint nun in deutscher Übersetzung.

Das Buch handelt von den tragischen Erlebnissen der Familie Bloom, die Penguin, ein kleines Elsterküken, das von Windboen aus ihrem Netz geworfen wurde und diesen schrecklichen Sturz nur knapp mit durch die sofortige Hilfe des Sohnes Noah überlebte. Durch die Pflege des kranken Vogels, der bald eine Art Familienmitglied wurde, kam besonders die nach einem Unfall querschnittsgelähmte Sam Bloom wieder nach psychischer Krankheit zurück in das Leben. In ihrem Rückblick schreibt sie: „In dieser Hinsicht war Penguin für mich ein wunderbarer Gegenüber. Penguin hörte stets aufmerksam zu, ohne sichtbar erschüttert zu sein, und gab niemals aus Versehen eine unbedachte Antwort. (…) Natürlich hat nicht jeder einen Vogel wie Penguin, und man kann einem Menschen, der das nicht erlebt hat, was sie und ich aushalten müssen, die Dinge nur bis zu einem gewissen Punkt mitteilen.“ (S. 192) Der kleine Vogel brachte Liebe und Freundschaft in die Familie zurück: „Dieser kleine Vogel zeigte uns, dass es in der Welt viel mehr Liebe gibt, als wir uns hätten vorstellen können.“

Die wahre Geschichte soll anderen Menschen, die sich in einer ähnlichen schlimmen Lage befinden, Mut machen und neue Hoffnung geben. Dieses Buch berührt und geht unter die Haut, nicht umsonst ist es in der Spiegel-Bestsellerliste vertreten. Der tiefgründige Text wird immer wieder durch schöne Aufnahmen unterbrochen, die auch den Reiz dieses Buches ausmachen. Eine sentimentale Lektüre, die nicht nur für Menschen ohne Hoffnung reizvoll ist.

Postulat zur Autonomie

Das Buch von Alexandra Reinwarth ist bewusst provokativ: Leben soll mehr Freiheit, Muße und Selbstbestimmung haben. Die Leser sollen erfahren, wie kleine Entscheidungen einen großen Effekt auf Ihre Lebensqualität haben können. Es soll gleichzeitig die Leser ermuntern, ebenfalls die persönliche Lebensqualität zu verbessern und sich von nervigen und negativen Verpflichtungen zu befreien.

Das Sujet des Buches wird am besten im „Nachwörtchen“ zusammengefasst: „Ich wollte Ihnen nur an meinen Beispielen veranschaulichen, wie wunderbar es ist wegzulassen, was einen nicht froh macht. Naturgemäß sind das bei mir ganz andere Dinge als bei Ihnen. Wenn Sie Lust bekommen haben haben, sich ebenfalls das eine oder andere am Arsch vorbeigehen zu lassen: Niemand kann Sie aufhalten!“ (S. 185) Dieses Lebensgefühl, was die Autorin vermitteln will, ist in verschiedenen Lebenssituationen gegliedert (die eigene Person, Familie, Beruf, Liebe usw.).

Dieses Buch ist ein Postulat zur Autonomie. Im Vergleich zu einem fremd regulierten Verhalten gleicher Motivationsstärke ist autonom reguliertes Verhalten durch größere Effizienz, insbesondere in Bezug auf Problemlöseverhalten und Durchhaltevermögen, durch größeres Wohlbefinden sowie bessere Integrationsfähigkeit in das eigene Selbst gekennzeichnet. Dies bedeutet nicht Asozialität, sondern eher die Selbstbestimmung, dies zu tun, was man will, und dies abzulehnen, was einem selbst Schaden zufügt. Das Buch ist flüssig zu lesen und die Hauptaussage, das Leben lockerer zu nehmen und vieles einfach laufen zu lassen, nur zu unterstreichen.

Alexandra Reinwarth: Am Arsch vorbei geht auch ein Weg, mvg Verlag, ISBN 978-3-86882-666-1

Jussi Adler Olsen: Selfies. Der siebte Fall für das Sonderdezernat Q in Kopenhagen, dtv-Verlag, ISBN-13: 978-3423281072

Der dänische Autor Jussi Adler Olsen, der nach Eigenangabe die Schriftsteller John Steinbeck, Charles Dickens, Victor Hugo Peter Bichsel, Jerzy Kosinski und Erlend Loe sehr schätzt, ist durch die die Fälle des Kommissars Carl Mørck und des Sonderdezernats Q in Kopenhagen einem breiten Publikum in Deutschland bekannt geworden.

In diesem siebten Thriller Adler Olsens geht es hauptsächlich um die Aufarbeitung der persönlichen Vorgeschichte Roses, der mit Carl Mørck im Sonderdezernat Q arbeitet, die sich mit den aktuellen Fällen des Sonderdezernates überschneidet. Drei sozial Schwache und psychisch kranke Frauen versuchen mit Gelegenheitsstraftaten, ihre Lebenssituation zu ändern. Deren Betreuerin vom Sozialamt, die Bedürftige als „Schmarotzer“ sieht, verfolgt die drei regelrecht und wird dann selbst in deren Geschäfte involviert. Verschiedene Fälle, die auf den ersten Blick keinen Bezug zueinander haben, verknüpfen sich im Laufe der Geschichte zu einem spannenden Puzzle mit einem überraschenden Ende, das hier nicht verraten werden soll.

Der gut lesbare Thriller bietet vieles: persönliche Schicksale, psychische Krankheiten und deren Folgen, spannende Wendungen, menschliche Abgründe und vor allem keine Langeweile. Adler Olsens erste sechs Bücher über die Kopenhagener Ermittler wurden allesamt Verkaufsschlager. Der siebte Band könnte es auch werden, auch wenn er sehr düster und nachdenklich ist.

Donna Leon: Stille Wasser, Diogenes Verlag 2017, ISBN-13: 978-3257069884

Der Held in Donna Leons Kriminalromanen ist der intelligente, aber eher unscheinbare venezianische Commissario Guido Brunetti. Seine Frau Paola ist die Tochter eines Grafen aus der Familie Falier, eine der ältesten Familien Venedigs. Dessen ruhiges und beschauliches Leben mit seiner Familie kontrastiert oft mit abscheulichen Verbrechen, die Brunetti natürlich immer aufklärt. Nicht nur den spannenden Fällen ist es zu verdanken, dass Donna Leons Krimi-Serie so erfolgreich ist. Auch die Marotten des liebenswürdigen und kultivierten Brunetti und immer wieder auftauchenden Charaktere aus seinem beruflichen Umfeld machen den Erfolg aus. Die Autorin nimmt als eine Art zweite oder dritte Handlungsstränge in ihren Romanen aktuelle Themen aus Sicht der Venezianer auf, z.B. Bestechung in Behörden, Umweltskandale, Umgang mit Asylanten, oder sexueller Missbrauch von Kindern. Auch in diesem Roman neben die Themen Stadtverschmutzung durch zu viele Touristen und die Umweltzerstörung einen breiten Raum ein.

In diesem Roman geht es darum, dass der erholungsbedürftige und krankgeschriebene Brunetti eigentlich in einer Villa von Verwandten seiner Frau Paola in der Lagune von Venedig schonen soll. Dort stößt er auf den Hausverwalter, einem alten Freund seines Vaters, und verbringt mit ihm viel Zeit. Der Hausverwalter beschäftigt sich zusammen mit einer Biologin mit dem Bienensterben in der Lagune. Als dann der Verwalter spurlos verschwindet, ermittelt Brunetti diesmal also nicht im staatlichen Auftrag, sondern aus freundschaftlicher Motivation. Dieser Fall ist wiederum spannend geschrieben und sehr verzwickt und wieder mit dem (vertrauten) Ende, dass die Verbrecher wieder ohne Strafe davonkommen. Mehr sollte nun wirklich nicht verraten werden.

Ein kurzweiliges Leseerlebnis wie auch bei den anderen Büchern mit Kommissar Brunetti.

Chris Kraus: Das kalte Blut, Diogones, Zürich 2017, ISBN 9783257069730

Seit sechzehn Jahren beschäftigte sich Chris Kraus mit seiner eigenen Familiengeschichte. Dabei fand er heraus, dass sein Großvater Mitglied einer SS-Einsatzgruppe und an der Ermordung zahlreicher Juden beteiligt war. Bei seinen Archiv-Recherchen traf er auch auf Nachkommen von Holocaust-Opfern, die über das Schicksal ihrer Verwandtschaft forschten. Daraus entstand die Grundidee zum Film, das Thema Holocaust aus der Perspektive der dritten Generation zu beleuchten.

Der Film Die Blumen von gestern stammt aus dem Jahr 2016. Die Uraufführung war am 25. Oktober 2016 bei den 50. Internationalen Hofer Filmtagen deren Eröffnungsfilm Die Blumen von gestern war. Der Kinostart in Deutschland war am 12. Januar 2017, in Österreich am 13. Januar 2017. Der Film porträtiert den Forscher Totila Blumen, genannt Toto. Der Enkel eines prominenten Generals der Waffen-SS leidet unter seiner Herkunft, seiner Karriere und seiner Misanthropie.

Das Drama Das kalte Blut erzählt die Geschichte zweier deutschbaltischer Brüder, Hub und Koja Solm, im 20. Jahrhunderts, das von Riga über Moskau, Berlin und München bis nach Tel Aviv führt. Koja möchte wie sein Vater als Künstler leben, doch politische Umbrüche und finanzielle Sorgen machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Dies führt dazu, dass Koja in den dreißiger Jahren sich von seinem großen Bruder Hub in die NS-Bewegung in Lettland und später in Berlin hineinziehen lässt. Als ihre geliebte Adoptivschwester Ev jüdische Wurzeln besitzt, kann Koja, inzwischen Obersturmführer der SS, sie vor der Vernichtung bewahren.

Nach dem Krieg und seiner Rückkehr aus sowjetischer Gefangenschaft verstrickt sich Koja als Doppelagent immer mehr in Verrat und Lüge auch Ev gegenüber. Koya zieht dann mit Ev nach Israel zieht, die es von nun an als Lebensaufgabe ansieht, die reine Wahrheit über die Täter von damals zu Tage fördern.

Dieses Buch legt die Lüge des unmittelbaren Westdeutschlands in der Nachkriegszeit, mit dem Nationalsozialismus abgeschlossen zu haben und in den Kreis der demokratischen Staaten zurückkehren zu können, offen. Das Scheitern der Entnazifizierung, die Fälle Globke, Oberländer und Kiesinger und das Aufkommen des Neonazismus waren nur die Spitze des Eisberges.

Kraus meinte selbst: „Nachhaltige Wirkung auf mich und ganz direkt auf die Handlung hatte auch die brillante und nach einer dreißig Jahren immer noch erschreckend aktuelle Standardwerk von Jörg Friedrich Die Kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik, dessen Thesen (…) in die letzten Kapitel meines Buches eingeflossen sind.“ (S. 1181)

Kein Wunder, dass dieses Buch zu völlig unterschiedlichen Bewertungen führt: die nationalistische Frankfurter Allgemeine Zeitung hetzt gegen das Buch, während es in linken Medien gefeiert wird. Das Buch ist nicht nur ein Drama, es berührt die unmittelbare Zeitgeschichte der Bundesrepublik und damit hochaktuell. Ein sehr mutiges Buch, das leider etwas zu umfangreich ist, dennoch zur Lektüre nur zu empfehlen.

Marlon James: Eine kurze Geschichte von sieben Morden (aus dem Englischen übersetzt Guntrud Argo, Robert Brack, Michael Kellner, Stephan Kleiner, Kristian Lutze), Heyne Verlag, München 2017, 858 Seiten, 27,99 Euro

In seinem 2014 veröffentlichten dritten Roman A Brief History of Seven Killings (dt. Titel: Eine kurze Geschichte von sieben Morden), der in den Slums seiner Heimat Kingston spielt, erzählt Marlon James die fiktiven Geschichte um den tatsächlich geschehenen Mordanschlag auf den jamaikanischen Sänger Bob Marley im Dezember 1976. Die Filme von Tarantino kommen dem Leser schon nach wenigen Seiten ins Gedächtnis. James selbst verweist aber auf David Cronenberg (A history of violence, Eastern Promises) als Vorbild für seine Werke, in denen auch explizit Gewalt und Sex einen hohen Anteil einnehmen.

Der Titel ist völlig irreführend. In dem Buch kommen mehr als sieben Morde vor, die auch noch zum Teil ausführlich und blutrünstig beschrieben werden. Der Mittelpunkt des Romans stellt keinen Mord dar, sondern der gescheiterten Mordversuch an Bob Marley am 3.10.1976, wo sieben Täter in dessen Haus eindringen und ihn selbst durch Schüsse nur leicht verletzen, dagegen seine Frau und seinen Manager schwer. Da dieser Mordversuch niemals aufgeklärt wurde, kann James bei der Schilderung der Geschehnisse und der Folgen seiner Phantasie freien Lauf lassen. Man merkt bei der Lektüre des Romans, dass er eine große Vorliebe für das Fantasy-Genre, darunter die Gormenghast-Romane hat.

Obwohl für jeden ersichtlich ist, dass Bob Marley eine der Hauptrollen im Roman spielt, erwähnt ihn James nicht namentlich im Buch und spricht nur von dem „Sänger“. Der Grund dafür bleibt wie vieles in dem Buch rätselhaft.

Ein breiter Teil des Romans beleuchtet die Verhältnisse Jamaikas der 1970er Jahre. Kriminelle einflussreiche Syndikate in verschiedenen Stadtvierteln Kingstons bekriegen sich gegenseitig. Mit Hilfe der Verbrechersyndikate kämpfen die regierende PNP und die rechte JLP um die politische Macht in Jamaika, was auf Kosten der einfachen Bevölkerung stattfindet. CIA-Agenten sorgen für ein wenig Spionage-Atmosphäre, ein Reporter des berühmten Musikmagazins „Rolling-Stone“ wird von den Tätern des Marley-Attentats verfolgt, weil sie um ihre Anonymität fürchten. Die oben genannten Personen erzählen aus ihrer subjektiven Perspektive, was vor dem Mordversuch und noch lange Zeit danach passiert. Dabei kommt es zu einer Abwechslung untereinander, so dass manche Situationen auf den ersten Blick unverständlich sind.

Dann tritt Marley wieder in den Vordergrund. Beim One Love Peace-Friedenkonzert 1978 sorgt er für einen Händedruck der Vorsitzenden der beiden politischen Lager Jamaikas, was die innenpolitische Situation bis zu seinem Krebstod 1981 entkrampfte. Danach kommen dieselben Verhältnisse wie vor dem Händedruck wieder, was Bob Marley als Friedensbotschafter letztlich scheitern lässt.

Dann kommt es zu einem abrupten Wechsel in der Handlung: War vorher Jamaika und vor allem Kingston der Schauplatz der Ereignisse, spielt der Roman zwischen 1985 und 1991 in Miami und New York, wo die jamaikanischen Syndikate inzwischen den Crack-Handel der Hauptstadt kontrollieren. Dabei werden sie immer wieder von der Vergangenheit der 1970er Jahre in Kingston eingeholt.

A Brief History of Seven Killings gilt als das bisher beste Buch von Marlon James. 2015 bekam er dafür neben dem Anisfield-Wolf Book Award auch den American Book Award. Als erster jamaikanischer Schriftsteller erhielt er den britischen Man Booker Prize. Der US-amerikanische Fernsehprogrammanbieter HBO sicherte sich an dem Buch die Rechte für eine Fernsehserie.

Dieser dicke Roman mit vielen Erzählperspektiven und Genres ist spannend geschrieben und daher leicht zu lesen. Die vielen Perspektivwechsel machen es allerdings mitunter schwer selbst einem geübten Leser schwer, dem Geschehen einen Sinn zuzuordnen. Wer bisher Jamaika mit Sonne, Palmen, Joints und Musik verbunden hat, bekommt ein düster gezeichnetes realistischeres Bild der 1970er Jahre auf der Insel geboten, wo Gewalt, Macht und Korruption alltäglich ist. James‘ unangemessen detailreiche Schilderungen von Gewalt, Mord und Prostitution können auch Leser abschrecken und stumpfsinnig werden lassen. Der nicht nachzuvollziehende Titel des Buches könnte Ironie sein, dann aber eine schlechte.

Langweilig ist der Roman sicher nicht, die verschiedenen Handlungsstränge und wechselnden Erzählorte sorgen schon allein dafür. Sein Schreibstil ist allerdings nur für Liebhaber von Tarantino-Stücken als komisch oder anspruchsvoll einzuschätzen. Tiefsinnig ist der Roman nur in der Kritik der Verhältnisse Jamaikas der 1970er Jahre. Ein bahnbrechender, außergewöhnlicher Roman ist A Brief History of Seven Killings sicher nicht. Nur bedingt zu empfehlen!

Rezension des Romans von Peter Prange: Unsere wunderbaren Jahre. Ein deutsches Märchen, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016, 22,99 Euro

Für den freien Schriftsteller Peter Prange bedeutete die Familiengeschichte „Das Bernstein-Amulett“, die 2004 als Zweiteiler für die ARD verfilmt wurde, den internationalen Durchbruch als Romanautor. Sein bisher bekanntestes Werk ist die „Weltenbauer-Trilogie“, die aus den drei historischen Romanen „Die Principessa“ (2003), „Die Philosophin“ (2003) und „Die Rebellin“ (2005) besteht. Neben Romanen schreibt Prange auch Sach- und Drehbücher. Seine Werke wurden in insgesamt 19 Sprachen übersetzt und haben eine Gesamtauflage von mehr als 2 Millionen Exemplaren.

Der Roman „Unsere wunderbaren Jahre“ bedeutet für Prange „das persönlichste Buch, das ich je geschrieben habe und vermutlich auch je schreiben werde.“ (S. 971) Dieser eigentlich fiktive Roman beinhaltet auch reale Begebenheiten aus dem Leben des Schriftstellers. So spielen er selbst und sein Vater kleinere Nebenrollen in den Geschichten.

In dem Roman setzt kurz vor der Teilung Deutschlands ein und schildert die Geschichte der beiden deutschen Staaten über die Vereinigung 1990 bis zum Jahre 2002 hinaus anhand einer Familie und ihrer Mitglieder. Dies ist die Unternehmerfamilie Wolf aus dem sauerländischen Altena, der Heimatstadt des Schriftstellers. so erfahren auch die Figuren dieses Romans ein bewegtes Auf und Ab in ihrem Leben. Die Generationen der Familie Wolf bzw. ihre guten und schlechten Lebensphasen sind der Hauptgegenstand des Buches. Nebenbei treten eigene zeithistorische Ereignisse in den Vordergrund, wie die Auseinandersetzung zwischen Nazis und Kommunisten während eines Schützenfestes. Anhand der charakterlich völlig verschiedenen Mitglieder der Familie Wolf sind deren Entwicklungsphasen für den Leser spannend nachzuverfolgen. Die Unterteilung des voluminösen Romans in verschiedene Bücher und Teile hilft dabei, die jeweiligen historischen Ereignisse nachzuvollziehen und einen roten Faden zu finden.

„Was wir wurden, was wir sind“, „Ihre Schicksale sind gleichzeitig dramatische Familiengeschichte und episches Zeitporträt von 1948 bis 2001“ „Es ist der Roman der Bundesrepublik. Es ist unsere Geschichte“ „Der große Deutschland-Roman aus der Zeit, als die D-Mark unsere Währung war.“ So pathetisch überhöht und mit kitschigem patriotischem Gestus überschwemmt wird der Roman auf der Coverrückseite angepriesen. Durch diese Aufmachung soll sich jeder Deutsche als möglicher Käufer des Buches angesprochen fühlen.

Durch den mehrfachen Gebrauch von Kollektivausdrücken wie „unsere Geschichte“, „unsere Währung“ usw. wird ein Zusammengehörigkeitsgefühl suggeriert, das nur zu einem Teil wirklich existiert. Menschen leben zwar in einem Land zusammen und erleben auf übergeordneten Ebene gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Höhen und Tiefen, aber jedes Mitglied hat seine persönliche und einzigartige Geschichte, die niemals kollektiviert werden kann.

Aus diesem Grunde kann auch der Versuch, die Lebensgeschichte von einer Familie von 1948 bis 2001 als Beispiel für die Entwicklung der Menschen aus zwei deutschen Staaten nur fehlschlagen. Zeithistorischer Patriotismus und ewige Verweise auf nostalgische Erinnerungen sollen im potentiellen Leser die eigene Lebensgeschichte nochmal erlebbar machen. Ein netter Versuch, der auch nicht wirklich rüberkommt.

In der Huffington Post wird Prange mit Lobeshymnen überschüttet: „‘Unsere wunderbaren Jahre‘ ist ein wunderbarer Roman, welcher mit vielen Einzelschicksalen die Geschichte Deutschlands zur Zeit der Trennung beleuchtet. Dieser Romanstoff wird Filmproduzenten herausfordern, ihn zu verfilmen und mindestens in einem Mehrteiler auf den Fernsehschirm zu bringen. Die Teilung und die Wiedervereinigung Deutschland anhand einer einzigen Familie zu schildern, ist ein Muss für jeden ehrlich interessierten Leser. Geschichte als spannende Unterhaltung erlebbar zu machen, kann kaum besser gelingen.“

Diese Elogen sind jedoch kaum nachzuvollziehen. Es handelt sich um zwar spannend geschriebenen, aber doch durchschnittlichen zeitgeschichtlichen Roman, der kaum Potential für eine Ausstrahlung im Fernsehen haben dürfte. Nach den anderen Werken aus der Feder von Peter Prange eher eine Enttäuschung.

Christoph Hein: Trutz. Roman. Suhrkamp, Berlin 2017, ISBN: 978-3-518-42585-5

Bekannt geworden ist Christoph Hein durch seine sehr erfolgreiche Novelle Der fremde Freund, die 1982 in der DDR veröffentlicht wurde. Sein erfolgreichstes Stück Die Wahre Geschichte des Ah Q wurde 1983 publiziert. Als Übersetzer bearbeitete er Werke von Jean Racine und Molière. Von 1998 bis 2000 war Christoph Hein erster Präsident des gesamtdeutschen PEN-Clubs, dessen Ehrenpräsident er seit Mai 2014 ist. Er war bis Juli 2006 Mitherausgeber der Wochenzeitung Freitag.

In seinem neuen großen Roman geht es um biographische Portraits auf, die Diktatur und Willkür in Form der Diktatur unter Stalin ausgesetzt sind. Rainer Trutz ist Schriftsteller, Waldemar Gejm ist Professor für Mathematik und Linguistik an der Lomonossow-Universität, der seit Jahren in der Stalin-Diktatur ein neues Forschungsgebiet entwickelt: das der Mnemotechnik, der Lehre von Ursprung und Funktion der Erinnerung. Beide werden samt ihrer Familien dann durch das politische System umgebracht. Nur die beiden Söhne, Maykl Trutz und Rem Gejm, überleben und begegnen sich Jahrzehnte später, im wiederhergestellten Deutschland und machen fast dieselben Erfahrungen wie ihre Väter. Es handelt sich um einen generationsübergreifenden Roman, der den Versuch unternimmt, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden.

Dieses Werk Heins, als Jahrhundertroman konzipiert, hält jedoch nicht den Erwartungen stand. Es ist ein eher schon ausreichend diskutiertes Themenspektrum, das nicht fesselnd ist und eher langweilig wirkt. Aus diesem Grund ist die Lektüre des Romans eher nicht zu empfehlen.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-518-42585-5 .