e-Portfolio von Michael Lausberg
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= Romane II =

Rowohlt Verlag, Hamburg 2017, ISBN: 978-3-8321-9838-1

Romane II

Im Folgenden sollen einige aktuelle Romane in deutscher Sprache von verschiedenen Verlagen vorgestellt werden, die es wert sind, besprochen zu werden.

Maja Lunde: Die Geschichte der Bienen, btb, München 2017, ISBN: 978-3-442-756841

Die Autorin Maja Lunde, die längere Zeit in Norwegen wegen ihrer Kinder- und Jugendbücher bekannt war, stand mit ihrem ersten Roman für Erwachsene lange in den Bestsellerlisten und bekam den norwegischen Buchhändlerpreis. Nun kommt das Buch übersetzt auf den deutschen Markt.

Das in unserer Zeit immer mehr belastete Verhältnis von Mensch und Natur wird anhand der Geschichte der Bienen illustriert. Sie stellt dabei eine Verbindung zwischen der Geschichte der Bienen und der Geschichte der Menschheit her. Im Vorfeld ihres Romans tauschte sie sich mit Fachleuten aus und las sich in das Thema Bienen intensiv ein.

Die Handlung wird in den drei verschiedenen Zeitepochen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzählt. Dabei handelt es sich um die Schicksale dreier verschiedener Protagonisten, die nur durch Imkerei oder Bienen einen Zusammenhang bieten. In der Vergangenheit geht um den Engländer William, im 19. Jahrhundert einen neuen Bienenkorb erfunden hat. In der Gegenwart erzählt die die Geschichte des Imkers George, der seine gesamten Bienenvölker verliert. Die dritte Hauptperson ist die Chinesin Tao, die im Jahre 2098 aufgrund des Fehlens von Bienen die Bestäubung selbst vornehmen muss. Die letzte Geschichte illustriert eindeutig, dass es in mehr als 80 Jahren keine Bienen mehr gibt und damit die Botschaft, dass die Natur kurz vor dem Aussterben steht, wenn nicht in der Gegenwart auf allen Ebenen umgesteuert wird. Dass in Europa alle bestäubenden Insekten vom Aussterben bedroht sind, wissen nicht nur Biologen.

Das Schicksal der drei Personen wird zwar auch intensiv geschildert, aber im Mittelpunkt des Buches steht der Appell an den Menschen, mit der Natur im Einklang zu leben und sie nicht zu zerstören. Man spürt in dem Roman auch den Einfluss ihrer Kinder- und Jugendbücher; manche Passagen sind voller Emotionalität und Einfühlungsvermögen geschrieben, dass ihr Erzählstil mitreißt und daher auch die eigentliche Botschaft ihres Buches besser herausgestrichen wird.

Léon Werth Als die Zeit stillstand Tagebuch 1940-1944. Mit einem Vorwort von Georges-Arthur Goldschmidt. Übersetzer: Tobias Scheffel, Barbara Heber-Schärer, Suhrkamp Verlag, München 2017, Preis € (D) 36,00 , ISBN: 978-3-10-397249-8

Der jüdisch-französische Schriftsteller und Kunstkritiker Léon Werth (1878-1955) machte sich mit seiner Kritik an Kirche sowie am Bürgertum einen Namen. Sein Roman „La maison blanche (Das weiße Zimmer)“ wurde 1913 für den Prix Goncourt vorgeschlagen. 1914 zog er als Soldat in den Ersten Weltkrieg, wo er bis zu seiner Verwundung 15 Monate an der Front kämpfte. Seine Erlebnisse fasste er in der pazifistischen Erzählung „Clavel Soldat“ zusammen, das nach dessen Erscheinen im Jahr 1919 einen Skandal in Frankreich auslöste. In der Zeit zwischen den Weltkriegen kritisierte er unter anderem in Cochinchine die koloniale Begeisterung Frankreichs zu dieser Zeit. Als kritischer Linker wandte er sich auch gegen Stalin und seinen Kult in der Sowjetunion und zeigte er sich besorgt über den aufkommenden Nationalsozialismus in der Weimarer Republik.

1996 erschien schon seine Erzählung 33 Tage in deutscher Sprache, die quasi den Prolog des jetzt erscheinenden Buches bildet. Dies ist eine kurze Erzählung, die wenige Wochen nach der Flucht 1940 geschrieben wurde. Léon Werth erzählt darin von seiner Flucht aus dem von Deutschen besetzten Paris zu seinem Ferienhaus in Saint-Amour im französischen Jura und der allgemeinen Lage in Frankreich. Das Manuskript vertraute er im Oktober 1940 seinem Freund Antoine de Saint-Exupéry an.

1992 wurde das Tagebuch Werths in Frankreich wiederaufgelegt und stieß auf großes Interesse. Dennoch dauerte es bis 2017, bis es auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel Als die Zeit stillstand erscheinen konnte. Dies ist ein historisches Dokument der deutsch-französischen Geschichte zwischen 1940-1944 in einer dunklen Zeit. Es ist eine Mischung aus „Zeitzeugenbericht, Reflexionen, Niederschrift gedanklicher Diskussionen mit den Autoren, die er in seiner Bibliothek findet, beständiger Selbstbefragung und Notaten zu den Ereignissen in Frankreich und der Welt, aber auch im unmittelbaren Umfeld“. (S. 16)

Seine Ängste, was passiert, wenn der Nationalsozialismus siegen würde, seine Hoffnung auf eine baldige Befreiung und seine Visionen von der Friedenszeit nach Beendigung des 2. Weltkrieges werden in dem Tagebuch ausgebreitet.

Es beschreibt sowohl die Zeit des besetzten Frankreichs zur Zeit des Vichy-Regimes der Jahre 1940 bis 1944 als auch die Ereignisse in seinem Fluchtort in einem Dorf im Jura. Flüchtlinge und Dorfbewohner leben hier zusammen, ohne regelmäßige Nachrichten von der Außenwelt, abgekapselt und doch ganz nah am Geschehen.

Seine Tagebuchbeschreibungen werden zu Recht als zeitlose Einsichten in menschliches Denken und Handeln, also auch auf die Gegenwart anwendbar, wo rassistische und nationalistische Parteien in Europa auf dem Vormarsch sind und in Frankreich selbst der extrem rechte FN eine mächtige Kraft darstellt.

In seinem Vorwort schreibt Georges-Arthur Goldschmidt: „Als die Zeit stillstand besteht aus dem Zusammenfallen von Erinnerung und Gegenwart. Jedes der täglichen Ereignisse findet vor einem historischen wie persönlichen Hintergrund statt, von dem man zur aktuellen Realität gelangt, der deutsche Besatzung Frankreichs 1940-1944, das Anekdotische wird zum Zeitdokument. Der ständige Wechsel zwischen Anekdoten, Beschreibungen und Reflexionen aller Art bilden die lebendige Substanz des Buches.“ (S. 8) Besser kann man die Faszination des Buches nicht zusammenfassen.

Erdmut Wizisla im Auftrag der Akademie der Künste: Benjamin und Brecht: Denken in Extremen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, ISBN: 978-3-518-42083-6

Bertolt Brecht, Schriftsteller und Regisseur, war einer der bedeutendsten Autoren der Arbeiterliteratur zur Zeit der Weimarer Republik, einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit und einer der einflussreichsten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Sein Gesamtwerk umfasst mehr als 30 Theaterstücke, über 2500 Gedichte und Lieder, drei Romane, mehrere Dramen- und Romanfragmente sowie über 150 Prosaarbeiten, dazu Tagebücher und Briefe. Er gilt als Begründer des sogenannten „Epischen Theaters“.

Am 28. Februar verließ Brecht aus Angst vor den Nationalsozialisten mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete ins Ausland. Seine ersten Exilstationen waren Prag, Wien, Zürich und Paris. Auf Einladung der Schriftstellerin Karin Michaelis reiste Helene Weigel mit den Kindern nach Dänemark. Brecht stand im April 1933 auf der „Schwarzen Liste“ der Nazis deshalb wurden seine Bücher am 10. Mai 1933 verbrannt und am Tag darauf seine gesamten Werke verboten. Brecht wurde 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.

In Paris richtete Brecht 1933 die Agentur DAD ein, den „Deutschen Autorendienst“. Dieser sollte emigrierten Schriftstellern Publikationsmöglichkeiten vermitteln. Zusammen mit Kurt Weill erarbeitete Brecht sein erstes Exilstück, das Ballett Die sieben Todsünden, das im Juli 1933 im Théâtre des Champs-Elysées uraufgeführt wurde. Kurz darauf erwarb Brecht ein Haus in Dänemark und verbrachte dort mit seiner Familie die nächsten fünf Jahre. 1938 entstand das Leben des Galilei. Außer Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. Im Jahre 1939 verließ er Dänemark, lebte ein Jahr in einem Bauernhaus in Lidingö bei Stockholm und im April 1940 in Helsinki. Während des Sommeraufenthalts 1940 in Marlebäck schrieb Brecht das Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti, das erst am 5. Juni 1948 in Zürich uraufgeführt wurde. Erst im Mai 1941 erhielt Brecht sein Einreisevisum in die USA und machte sich mit seiner Familie via Russland mit dem Schiff nach in die USA auf. Erst nach Ende des 2. Weltkrieges kehrte er nach Berlin zurück.

Der Philosoph und Soziologe Walter Benjamin hinterlässt einen großes philosophisches Werk, indem er versuchte, rationale Wissenschaft, linke Politik und Mystik zu verbinden. Seine jüdischen Wurzeln führten ihn früh zur Kabbala. Er war eng befreundet mit Gershom Scholem, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Hannah Arendt, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und vielen anderen heute bekannten Philosophen und Schriftsteller.

Die „Machtergreifung“ der Nazis zwang Benjamin, im September 1933 nach Paris ins Exil zu gehen. Hier traf er auch Hannah Arendt, die den fast mittellosen Benjamin unterstützte. Von beiden ist ein reger Briefwechsel überliefert. Finanzieren konnte sich Benjamin fast ausschließlich durch ein schmales Mitarbeitergehalt, das ihm das inzwischen nach New York emigrierte, von Max Horkheimer geleitete Institut für Sozialforschung überwies. In den Pariser Exiljahren arbeitete Benjamin vor allem an seinem Fragment gebliebenen Passagen-Werk. Außerdem verfasste er den Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 1936 in der Zeitschrift für Sozialforschung veröffentlicht, und Studien zu Baudelaire.

Von 1937 bis 1939 war Benjamin Mitglied des von Georges Bataille, Michel Leiris und roger Caillois gegründeten College de Sociologue sowie Batailles Geheimgesellschaft Acéphale, obgleich er den Bestrebungen des Collège, den Faschismus mit seinen eigenen Mitteln zu bekämpfen, kritisch gegenüberstand. Ein geplanter Vortrag Benjamins über die Mode konnte wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr stattfinden. Benjamin wurde für drei Monate mit anderen deutschen Flüchtlingen im Lager Vernuche bei Nevers interniert.

Nach der Rückkehr aus der Haft im November 1939 schrieb Benjamin seinen letzten Text, die Thesen „Über den Begriff der Geschichte“. Benjamin flüchtete nach Lourdes, von wo er zunächst weiter nach Marseille reiste, bevor er im September 1940 den Versuch unternahm, nach Spanien zu gelangen und von dort über Portugal mit seinem USA-Visum auszureisen. Im spanischen Grenzort Portbou, wo er trotz erfolgter Grenzüberschreitung die Auslieferung an die Deutschen noch immer befürchtete, nahm er sich in der Nacht vom 26. auf den 27. September 1940 das Leben.

In einer Ausstellung der Akademie der Künste in Berlin vom 26.10.2017 bis 28.1.2018 geht es um die Beziehung zwischen Walter Benjamin, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die Höhen und Tiefen dieser spannenden Annäherung zweier Denker in der Weimarer Republik, die im Exil intensiv fortgesetzt wurde. Dabei liest sich „diese Begegnung dieser im Grunde unvereinbaren Charaktere wie ein Versuch, sich in die Extreme zu begeben, ohne den anderen aus den Augen zu verlieren. Es war ein äußerst spannungsvolles Gespräch, das in Berlin begann, vermutlich im Spätherbst 1924, seinen ersten Höhepunkt im Mai 1929 ebendort erlebte, zu gemeinsamen Vorhaben führte und nach der Vertreibung 1933 immer wieder aufgelegt wurde. Das Exil erzwang eine Konzentration, und es ermöglichte – bedingt durch die langen gemeinsamen Sommer – eine Freundschaft, die stärker war, als die Differenz von Prägung, Arbeitsweise und Mentalität.“ (S. 8) Die tiefe Trauer Brechts über den Selbstmord des Freundes belegt die gewachsene Beziehung.

Ihre Diskussionen über Kunst, Philosophie und Politik sind auch heute noch Gegenstand von Kontroversen, haben also eine aktuelle Dimension.

In verschiedenen Clustern sind in diesem Buch zur laufenden Ausstellung von jeweils unterschiedlichen Autoren Benjamin und Brecht im Gespräch zu erleben. Die Dialoge gehen zurück auf Protokolle von Gesprächen und werden manchmal recht frei interpretiert. Daneben geben es noch Stellungnahmen von Freunden und Gegnern und ein Überblick über die Rezeption des Austausches der beiden Denker.

In diesem Buch gibt es aber mehr zu entdecken als den Austausch über weltanschauliche Fragen und die Freundschaft der beiden verschiedenen Denker. Es liefert zugleich ein Psychogramm von Brecht und Benjamin und ist weiterhin ein zeithistorisches Dokument vor allem für die Vertreibung durch die Nazis und des Lebens im Exil. Auch für die Brechtforschung sowie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Benjamin ist das Buch ein Gewinn. Das Buch macht auch Appetit auf die Ausstellung, in der die Liaison der beiden Denker noch vertieft wird.

Brigitte Riebe: Marlenes Geheimnis. Roman, 432 Seiten, Diana Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-453-29205-5, 19,90 Euro

Dieses Buches der Schriftstellerin Brigitte Riebe handelt von der Zeit des 2. Weltkriegs und den unmittelbaren Folgen, die in einer Familie bis in die heutige Generation noch Auswirkungen hat. Der Roman hat autobiographischen Charakter, da die ihre Familie mütterlicherseits aus dem früheren Nordböhmen stammt und von dort nach dem Ende des NS-Staates flüchten musste.

Die Geschichte handelt von dem Leben einer sudetendeutschen Familie in Böhmen, die ein relativ gutes und beschauliches Leben vor dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 führte, wo die Tschechoslowakei musste ihr gesamtes Grenzgebiet zum Deutschen Reich mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung (Sudetenland) an dieses abtreten musste. Die Schreckensherrschaft Heydrichs, die im Massaker von Lidice einen Höherpunkt fand, führte zu wachsenden Deutschfeindlichkeit. Eines von den tschechischen Kindern, die das Massaker von Lidice überlebt hatte, und ohne Eltern dastand, kam unter die Obhut der Hauptprotagonistin Marlene, die es nach ihrer Flucht aus dem Sudetenland infolge der Benes-Dekrete im Aufnahmelager als ihr leibliches Kind ausgab. Als dann ihr Vater aus der französischen Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, gingen sie nach Überlingen an den Bodensee. Als dieser nochmals von der französischen Besatzungsmacht verhaftet wurde, standen die beiden wieder alleine da. In der Not lernte sie einen Mann kennen, mit dem sie eine gutgehende Schnapsbrennerei aufmachte und auch dann heiratete. Die Integration in die Dorfgemeinschaft verlief schleppend, da es dort Vorbehalte gegenüber Fremden gab, eine Parallele zur heutigen Zeit. Durch verschiedene Intrigen wird deren Leben wieder aus der Bahn geworfen….

Mit diesem Roman trifft die promovierte Historikerin Brigitte Riebe den Nerv der Zeit; Zwangsmigration, Flucht und Integration lassen sich in der augenblicklichen Epoche gut vermarkten und trifft auf ein gesteigertes Interesse der Leser. Das Buch ist eine spannende Erzählung der jüngeren Zeitgeschichte, die alle Gefühlsfacetten anspricht. Sehr spannend geschrieben mit vielen Wendungen und auch tiefergehendem Inhalt. Das Schicksal von geflohenen Deutschen nach dem 2. Weltkrieg hat viel gemeinsam mit der heutigen Flüchtlingssituation, daher ist der Hinweis der Autorin nach mehr Empathie und Verständnis für heimatlose Menschen nur zu begrüßen.

Das Buch hat das Zeug zum Bestseller, in denen sich viele ältere Menschen wiederfinden werden.

Grégoire Hervier: Vintage. Roman, Diogenes, Zürich 2017, ISBN: 978-3-257-07002-4

Die Gibson Moderne ist ein 1957 entworfenes, seltenes Solidbody E-Gitarren-Modell mit auffällig asymmetrischem Korpus. Wie das Modell Explorer hat die Moderne einen geradlinigen asymmetrischen Korpus, der mit seinem unten doppelt gepfeilten Korpusumriss jedoch auch Ähnlichkeit mit dem Modell Flying V aufweist. Die ebenfalls asymmetrische Kopfplatte des Modells ist nach oben deutlich verbreitert und hat weit auseinanderliegende Stimmmechaniken in 3:3-Anordnung, was die Führung von vier der sechs Saiten über Umlenkrollen auf der Kopfplatte erforderlich macht. Die Gitarre galt zunächst als Flop und gewann erst später durch das Interesse von Sammlern an Wert.

Dieses exklusive Instrument ist jetzt Gegenstand eines Musikromans geworden, von dem niemand weiß, ob es wirklich existiert, was dem Roman seine Spannung gibt. Der Roman ist musikalisch passend in Intro, Strophen, Bridge, Solos, Refrain und Outro untergliedert ist.

Die Rahmengeschichte ist die folgende: Thomas Dupré, Musikjournalist und Mitglied in erfolglosen Bands arbeitet auch in exklusivsten Gitarrenladen, wo es auch besonders seltene Stücke gibt, von Paris aushilft. Als der reiche Schotte Lord Winsley ein solch spezielles Exemplar kauft, soll es ihm bringen. Der Millionär zeigt ihm seine eindrucksvolle Sammlung zeigt und weiht er ihn dann in ein Geheimnis ein: Noch vor kurzem besaß er angeblich eine Gibson Moderne“, die ihm gestohlen wurde und es kommt zu einem Deal: Dupré soll es entweder wiederbeschaffen oder aber einen Beweis für seine Existenz erbringen. Denn die Gitarre ist mit zehn Millionen Dollar versichert, die Lord Winsley nur dann erhält, wenn er die Versicherungsgesellschaft davon überzeugen kann, dass es diese Gitarre tatsächlich gibt. Duprés Anreiz sind zwar vordergründig die eine Million Dollar, die er erhalten soll, wenn er den geforderten Beweis liefert, aber auf seiner langen Reise von Frankreich über Schottland und Sydney bis in die Südstaaten der USA nach Memphis sind es vor allem seine Leidenschaft und Neugier, die ihn antreiben.

Diese Suche nach der Vintage führt ihn zu allerlei Begegnungen mit skurrilen Menschen, die natürlich ihm nicht alle wohlgesonnen sind. Trotzdem sind alle durch ihre Leidenschaft für die Musik einander verbunden. Manchmal geht diese Leidenschaft auch so weit, einen Mord zu begehen. Durch Duprés Begegnungen bekommt der Leser einen Einblick in das Leben und Schaffen einer ganzen Reihe von echten und imaginierten Gitarrenkünstlern. Weiterhin geht der Autor auch zwischendurch immer wieder auf bekannte Gitarren, ihrer Geschichte und verschiedene Songs ein. Dies ist jedoch kein Fachchinesisch, sondern in einer Sprache, die für Laien verständlich ist. Seine Leidenschaft ist in diesen Passagen, wo über Musik gesprochen wird, deutlich zu spüren. Immer wieder gibt es eine neue Wendung in der Suche nach der Vintage, so dass die Geschichte immer spannend bleibt.

Man merkt sehr schnell, dass Grégoire Hervier hier in diesem Buch seine große Leidenschaft, die Musik, auslebt. Seine Leidenschaft überträgt sich auf den Leser, da dieser Musikkrimi alles andere als nüchtern geschrieben ist. Lehrreich, spannend, mit vielen neuen Wendungen und Erinnerungen an die Stücke und Orte des Blues und Rock’n‘Roll wird er nicht nur Musikfans in seinen Bann ziehen.

David Lagercrantz nach Stieg Larson: Verfolgung, Heyne Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-453-27099-2

Um diesen Roman angemessen beurteilen zu können, erfolgt zunächst eine kleine Hintergrundstory, die vermutlich nicht alle potentiellen Leser mitverfolgt haben.

Der schwedische Autor Stieg Larsson hinterließ bei seinem Tod die ersten drei von zehn geplanten Büchern: die Millenium-Trilogie mit dem Werk Verblendung aus dem Jahre 2005, Verdammnis aus dem Jahre 2006 und Vergebung, die Schweden posthum veröffentlicht wurden. Die drei Romane wurden mit weltweit bislang 63 Millionen verkauften Exemplaren zu einem internationalen Erfolg. Das vierte ist zu einem Teil noch von Larssen begonnen worden, die anderen zwei liegen nur als Exposé vor.

Weder Larssons Vater Erland und sein Bruder Joakim, die gemeinsam die Rechte an dessen Werken halten, noch seine Lebensgefährtin, Eva Gabrielsson, wollten zunächst, dass der vierte Band von einem anderen Autor zu Ende geschrieben und veröffentlicht wird, da dies nicht im Sinne von Stieg Larsson wäre. Im Dezember 2013 gab allerdings der schwedische Verlag Norstedts bekannt, dass der Journalist und Schriftsteller David Gunnar Fransiscus Lagercrantz an einem neuen vierten Millennium-Roman arbeite. Der Roman wird aber ohne Beteiligung von Eva Gabrielsson und auch ohne Verwendung des unvollendeten vierten Manuskripts geschrieben und ist als freistehende Fortsetzung mit den Romanfiguren Larssons konzipiert. Larssons Vater und sein Bruder haben der Veröffentlichung allerdings zugestimmt.

Lagercrantz arbeitete bis 1992 als Kriminalreporter bei der Tageszeitung Expressen und schaffte mit seinem 2011 erschienenen Buch Ich bin Zlatan, einer Biographie über den schwedischen Fußballstar Zlatan Ibrahimovic seinen Durchbruch als Schriftsteller.

Im August 2015 wurde nun der vierte Teil der Millennium-Serie veröffentlicht und und gelangte unter dem deutschen Titel Verschwörung“ auf den Markt. David Lagercrantz knüpfte an die Millennium-Trilogie an und entwickelte die bekannten Figuren Mikael Blomkvist, Henrik Vanger und Lisbeth Salander weiter, schuf dabei aber in „Verschwörung“ eine neue Episode. Darin beschäftigte er sich nun größtenteils mit den Ereignissen Lisbeth Salanders Vergangenheit und lernt die Personen, unter denen sie in ihrer Kindheit schlimm zu leiden hatte. Das Innenleben von Lisbeth Salander rückt stärker in den Fokus, so dass sich der Leser mit der Romanfigur noch stärker identifizieren kann.

Vergleichbar mit den vorherigen Romanen Larssons gibt es aber einige Unterschiede. Lagercrantz schreibt flüssiger, verzichtet aber weitgehend auf den von Larsson so geliebten Spannungsbogen und die exakte Beschreibung der grausigen Verbrechen. Letzteres ist ganz gut, aber durch das Weniger an Spannung schleppt sich der Roman so vor sich hin, dass die Geschichte dröger und weniger erlebnisreich macht. Insgesamt gesehen gibt es Brüche zum Erzählstil Larssons und dadurch verliert das Buch an Qualität. Es lebt meist von den von Larsson schon eingeführten Hauptcharakteren und deren Eigenschaften, die eine gewisse Vertrautheit hervorrufen. Es kann nicht an die Maßstäbe der Millenium-Trilogie anknüpfen.

Die Veröffentlichung des Buches bzw. die Weiterführung der Romane Larssons mit einem anderen Schriftsteller ist schon in Schweden auf scharfe Kritik gestoßen. Dieses Konzept musste sich den Vorwurf der Verfälschung von Larssons Art zu Schreiben und die Schmückung Lagercrantz‘ mit fremden Vorschusslorbeeren gefallen lassen. Beides ist nicht von der Hand zu weisen, da eine bloße Kopie des Stils von Larsson gar nicht möglich ist. Sowohl Lagercrantz als auch der Verlag haben sich mit der Fortsetzung keinen Gefallen getan.

Oskar Negt: ÜberlebensGlück. Eine autobiographische Spurensuche, Steidl Verlag, 2. Auflage, Göttingen 2017, ISBN: 978-3-95829-212-3

Der Soziologe Oskar Negt ist einer breiteren Öffentlichkeit als Repräsentant der Frankfurter Schule bekannt. Im Verlauf der Studentenbewegung von 1968 war Negt einer der Wortführer der Außerparlamentarischen Opposition (APO).

In diesem autobiographischen Roman geht es vordergründig um seine Jugenderlebnisse als Flüchtling und der Zerstörung verlässlicher Orientierung und Identität. Negt wurde 1934 auf dem ostpreußischen Gut Kapkeim nahe dem ehemaligen als jüngstes von sieben Kindern geboren. Er stammt aus einer Familie von Kleinbauern und Arbeitern. Negt floh im Januar 1945 mit zwei Schwestern über Königsberg und Gotenhafen nach Dänemark, wo er zweieinhalb Jahre lang getrennt von den Eltern mit den beiden Schwestern in einem Flüchtlingslager lebte, ehe er nach Niedersachsen übersiedelte.

Nach dem Abbruch eines Studiums der Rechtswissenschaften in Göttingen wechselte dann aber nach Frankfurt am Main, wo er bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno Soziologie und Philosophie studierte. Nach seiner Promotion bei Adorno war er Von 1962 bis 1970 war er Assistent von Jürgen Habermas an den Universitäten in Heidelberg und Frankfurt am Main. Im Jahre 1970 wurde er auf den Lehrstuhl für Soziologie der Universität Hannover berufen, an der er bis zu seiner Emeritierung 2002 lehrte.

Er diagnostiziert anhand seines eigenen Fluchterlebnisses einen Orientierungsnotstand und sieht ein kulturelles Problem der Flüchtlinge als „Verfolgte ihres Elends“. Beim aktuellen Flüchtlingsdiskurs kommen ihm selbst „ein ganzer Kranz an Assoziationen hoch, die auch meine eigene Lebensgeschichte betreffen.“ (S. 10) Indem er in seinem Buch daran erinnert, dass viele Deutsche nach dem 2. Weltkrieg selbst Flüchtlinge waren und in die DDR oder BRD integriert werden konnten, nimmt er den Befürwortern der so genannten „Grenzen der Belastbarkeit“ heute den Wind aus den Segeln. Er selbst befürwortet einen humaneren Umgang mit Flüchtlingen: „Die sichtbaren Orte, diese Freistätten des würdigen Überlebens werden in der Welt immer knapper und schwerer zugänglich: Wäre es nicht an der Zeit, dass die reichen Länder darüber nachzudenken beginnen, Orte des Asyls, also sichere Orte, zu erweitern und neu zu schaffen, statt sie einzuschränken und die Last des Flüchtlingselends auf die armen Länder abzuschieben.“ (S. 292)

Über die Aufarbeitung seiner eigenen Biographie als Flüchtling hinaus nimmt Negt auch zu aktuellen Fragen dezidiert und mutig Stellung. Weiterhin stellt er die wichtige Frage nach Identität und Zugehörigkeit in der Biographie von Geflüchteten und verleiht der Debatte um Flucht und Migration um eine kulturelle Komponente. Eine sehr lesenswerte Abhandlung, die vom Biographischen ins Soziologische und Philosophische herausreicht.

Salman Rushdie: Golden House. Roman, C. Bertelsmann, München 2017, ISBN: 978-3-570-10333-3

Der römische Kaiser Nero wurde zum Sinnbild für Tyrannenwahn und Dekadenz. Viele seiner Nachfahren erschien seine Herrschaftsform als Entartung. Neros Herrschaft erschien. Ein weiterer Grund waren Neros unberechenbare Handlungen, wie die Familienmorde, die Hinrichtungswellen oder unterstützten Selbstmorde, sowie seine Vernachlässigung des Staates und seine Haltung gegenüber dem Senat. Er ruinierte für seinen Palast den Staatsschatz, verbrannte Rom und verfolgte die Christen Christliche Autoren späterer Jahrhunderte, die Nero schon wegen der Hinrichtung ihrer Glaubensbrüder nach dem Brand von Rom verurteilten, prägten endgültig das Bild des Kaisers als eines größenwahnsinnigen Tyrannen. Im Mittelalter galt er geradezu als Verkörperung des Antichrists. Trotz einer versuchten Rehabilitierung in jüngster Zeit hält sich das oben gezeichnete Bild bis heute.

In diesem Roman tradiert Salman Rushdie diese negativen Bilder und Eigenschaften Neros weiter und erweitern ihn um den Komplex der Gier nach Geld und grenzenlose Selbstüberschätzung. Rushdies Nero heißt Nero Golden, der in New York nicht in einem Palast, aber einem großen Haus lebt und als Immobilienmakler seinen Reichtum auf Betrug und Skrupellosigkeit aufgebaut hat. Um die Ausschweifungen und Geschehnisse in dem Golden House, in dem noch seine drei Söhne und seine geldgierige Frau leben, geht es in diesem Buch. Nebenan wohnt der junge Filmemacher Réné und ist fasziniert von diesen Geschehnisse, dem Klima und den seltsamen Gästen. Für ihn sind die Ereignisse im Golden House wie ein Film, in dem er selbst später noch eine tragende Rolle spielt.

Das Buch ist ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft in der Amtszeit Obamas bis zur Wahl Trumps zum Präsidenten: Selbstüberschätzung, Größenwahn, Geldgier und Egozentrik verbunden mit asozialen Verhalten, diese Eigenschaften prägen die bestimmende Akteure in der amerikanischen Gesellschaft in Wirtschaft und Politik, die der Demokratie schaden und den Staat und den Anstand verrohen lassen. Wie kurz allerdings der Schritt zum Scheitern und zur Überdehnung seiner Allüren ist, erfährt auch Nero Golden am eigenen Leib.

Der Leser kann sich auf politischen, ethischen und gesellschaftskritischen Roman mit vielen Wirrungen freuen. Die Aktualität seines Werkes ist dabei nicht zu übersehen. Die dunkle Seite der Macht wird von Rushdie raffiniert dargestellt, eine Mischung zwischen Komödie und Zeitkritik.

Mirko Bonné: Lichter als der Tag, Roman, Schöffling & Co, Frankfurt/Main 2017, ISBN: 978-3-89561-408-8

Der Hamburger Schriftsteller Mirko Bonné wurde durch seine tiefgründigen wie auch unterhaltsamen Romane bekannt, die in den letzten Jahren immer als Anwärter auf den Deutschen Buchpreis gehandelt wurden. In seinem neuesten Roman „Lichter als der Tag“ geht es um die Sehnsucht der Hauptperson Raimund Merz nach dem Ausbruch aus der Dunkelheit seines Lebens. Der Titel stammt aus einer Zeile des barocken Lyrikers Andreas Gryphius, der in seinen Tragödien und Gedichten das Leid und den moralischen Verfall während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sowie die Unruhe, Einsamkeit und Zerrissenheit der Menschen thematisierte.

Die Metaphorik von Licht und Schatten, von Tag und Nacht ist kennzeichnend für den gesamten Roman. Das Licht bzw. der Tag steht für einen aufgehellten glücklichen Seelenzustand, während Schatten bzw. Nacht eine dunkle, depressive innere Verfasstheit charakterisiert.

Dabei orientiert er sich an verschiedenartigen Vorbildern. Im Christentum steht das Licht in der Selbstbezeichnung Jesu Christi für die Erlösung des Menschen aus dem Dunkel der Gottesferne. In der biblischen Schöpfungsgeschichte ist das Licht das zweite Werk Gottes, nach Himmel und Erde. Die Kunstgeschichte ist die Geschichte der Gestaltung des Lichts von den Fenstern der gotischen Kathedralen über das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch bis hin zu den kalifornischen "Light and Space"- Wahrnehmungskünstlern der 1960er-Jahre. In der Literaturgeschichte finden sich massenhaft Verwendungen des Themas Licht und Schatten so zum Beispiel bei William Shakespeare in „Sein oder nicht sein“ oder „Mit einem Kuss sterben“, bei Goethe in „Faust“ und „Der Erlkönig“, bei Heinrich Heine in „Die Beschwörung“ und „Ein besseres Lied“ oder bei Edgar Allen Poe in „Der Rabe“.

In seiner Jugendzeit bildeten die Hauptperson Raimund Merz, Moritz, Floriane und Inger, die Tochter eines dänischen Künstlers, eine verschworene Gemeinschaft, die sich immer in einem wilden Garten traf. Inger entscheidet sich gegen Raimund und für Moritz, Raimund und Floriane entwickeln sich aus Trost auch zum Paar.

Raimund wird Vater zweier Kinder und Angestellter bei einem Nachrichtenmagazin. Seine Arbeit erfüllt ihn nicht mit Glück und schöne Momente in seinem Alltag sind selten. Als er dann seine Jugendliebe Inger wiedertrifft, vergegenwärtigt er sich seines unglücklichen Lebens und macht sich Gedanken über Sinn und Glück im Leben. Die Erinnerung an seine glückliche Jugendzeit und die immer noch existierende Liebe zu Inger sind die Versatzstücke der Erinnerung, die ihn aus dem Dunkel ins Licht führen. Diese nie verwundenen Liebeswünsche geben seinem Leben eine neue Wendung und er wagt als Fünfzigjähriger einen radikalen Neuanfang und den Ausbruch aus seiner bürgerlichen Existenz. Er gesteht sich selbst ein, die falsche Partnerin geheiratet zu haben und ist von nun an bestrebt, sein unglückliches Leben zu revidieren und umzukrempeln. Er entführt seine eigene Tochter und ist von nun an ein Gesuchter und Getriebener. Das schon am Anfang des Romans wie belanglos eingebaute Bild des französischen Malers Camille Corot „Weizenfeld im Morvan“ ist für ihn das Synonym für Glück und so reist er zum Originalschauplatz, dem Granitmassiv Morvan in Zentralfrankreich. Corot fand in Italien zu seiner Landschaftsmalerei mit freier, aber straffer Komposition und gedämpfter Farbigkeit, die er nach 1850 zu einer reinen Stimmungsmalerei weiterentwickelte. Corot war einer der Hauptvertreter der Schule von Barbizon. In seinen späten Jahren war er die Vaterfigur der Pariser Kunstszene und galt als der führende Landschaftsmaler Frankreichs und als Vorläufer des Impressionismus.

"Lichter als der Tag" ist ein hintergründiger Roman mit zahlreichen Wandlungen und einem doch letztlich Zusammenbringen von einzelnen Puzzleteilen, die bewusst vom Autor gestreut sind. Dieser Liebesroman ist die Suche eines Mannes auf dem Weg zu sich selbst in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Suche nach einem späten Glück und den damit verbundenen Neuanfang suggeriert, dass es nie zu spät ist für Veränderungen im Leben. Nachhaltig wird der empfehlenswerte Roman, wenn der Leser oder die Leserin bereit ist, das eigene Leben zu reflektieren.

Jean-Francois Parot: Commissaire Le Floch & das Geheimnis der Weißmäntel, Blessing, München 2017, ISBN: 978-3-89667-573-6

Das 18. Jahrhundert war bis zur Französischen Revolution 1789 die Phase des Hochabsolutismus unter König Ludwig XV. Paris behielt in dieser Phase den Rang der wichtigsten Stadt in Frankreich. Während das Leben am königlichen Hofe prunkvoll gestaltete, wurden die Mittelschicht und die Unterschicht immer ärmer. Unter Ludwig XV. entstanden die grandiosen Bauten von Ange-Jacques Gabriel. Der weitaus imposanteste, von weit her sichtbare Bau aus dieser Zeit ist jedoch das Panthéon ein Kuppelbau, der sowohl in die sakralen als auch in die profanen Bauten der Stadt eingereiht werden kann, da er mehrmals seine Bestimmung gewechselt hat.

Der Schriftsteller Jean-Francois Parot ist von dem Paris des 18. Jahrhunderts schon zu Studienzeiten fasziniert. 1969 verfasste er eine Arbeit über die Strukturen dreier typischer Pariser Stadtviertel der Aufklärungsepoche. Nach dem Militärdienst schlug er die diplomatische Laufbahn ein.

Seine historischen Paris-Krimis und sein Held Nicolas Le Floch haben von Buch zu Buch ein Publikum von Enthusiasten von Morden, Intrigen und historischer Alltagsgeschichte aufgebaut. Seine Romanreihe um Commissaire Le Floch wurde nicht nur in Frankreich, sondern auch in vielen anderen Ländern ein großer Bestseller-Erfolg. Sein Bezug zu Paris kann man schon am Cover ablesen. Dieses nun auf Deutsch erscheinende Buch handelt von Le Flochs Nachforschungen im Pariser Karneval des Jahres 1761, wo sich der Fall immer mehr zu einem Drama zur Rettung des Königs und Aufdeckung einer Verschwörung. Zum Schluss bekommt er als Dank das seltene Privileg, den König bei der Jagd zu begleiten.

Der sich in der Großstadt hocharbeitende Homo Novus Nicolas Le Floch schafft es immer wieder, mit klugen Schachzügen und messerscharfen Verstand diesen verzwickten Fall zu lösen. Immer wieder im Mittelpunkt steht auch das Leben in Paris zu dieser Zeit, seinen Höhen (König) und Tiefen (Bordelle), so dass historisch Interessierte auf ihre Kosten kommen. Einer –dank des Glossars- von den leicht verständlichen historischen Romanen, der sich auch in der BRD durchsetzen könnte.

Ulla Hahn: Wir werden erwartet. Roman, DVA, München 2017, ISBN: 978-3-421-04782-3

Der Roman „Wir werden erwartet“ ist der letzte Teil einer Tetralogie nach ihren frühen Werken „Das verborgene Wort“, „Aufbruch“ und „Spiel der Zeit“. Ulla Hahn erzählt mit Hilfe ihres Alter egos Hilla Palm ihre Autobiographie, ihre Hoffnungen und Träume, ihre Enttäuschungen und Verletzungen aus der Retrospektive. Die Aufarbeitung ihres eigenen Lebens ist eine Blaupause der frühen Nachkriegsgeschichte der BRD.

Am Anfang geht es um eine junge Frau in der Selbstfindungsphase, die der Enge ihrer katholisch-konservativen Welt entfliehen will. Bei ihrem Germanistikstudium in Köln glaubt sie wie viele andere junge Menschen auch eine bessere, gerechtere, friedliche Welt. Nach den Ereignissen des Jahres 1968 tritt sie 1971 in die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und lebt für die Verwirklichung des Kommunismus. Nach einer Reise in die DDR und dem damaligen Abbild des real existierenden Sozialismus 1975 trat eine ideologische Ernüchterung ein und sie brach mit dem Marxismus und der DKP. Die Morde der RAF besonders im „deutschen Herbst“ 1977 taten ihr Übriges. Am Ende entwickelt sie sich zu einer reifen Frau, die von einer kommunistischen Avantgardistin zu einer Befürworterin des parlamentarischen Kapitalismus entwickelte.

Das Buch ist spannend, hintergründig und aufrichtig geschrieben. Wenn man ihre früheren Werke kennt, kann man manche Dinge viel besser einordnen, daher ist die Lektüre der gesamten Tetralogie zu befürworten. In der Figur Hilla Palm werden sich viele Leser wiederfinden, die 1968 und seine Folgen hautnah miterlebt haben. Die Lektüre bringt den Leser weiter, stellt viele Fragen und lädt zum weiteren Nachdenken an. Ein tiefsinniger politischer Roman, nur in der entscheidenden Frage mit viel zu wenig kritischer Tiefe.

Das Thema dieses Buches – besonders in ihrer Retrospektive ihrer Aktivität in der DKP- ist Freiheit. In ihrem Lob der bürgerlichen Freiheit erinnert sie ein wenig an die Reden Joachim Gaucks, der dieses Wort als Synonym für sein politisches Handeln begriff und eine sehr enge, unkritische Deutungsebene damit verband.

Über die Frage, was Freiheit eigentlich bedeutet, sind schon Regale von Büchern zu allen Epochen der Menschheitsgeschichte erschienen. Die Deutungshoheit der jeweiligen geistigen Elite bestimmt immer dabei den näheren Inhalt. Der Siegeszug des Kapitalismus und der parlamentarischen Demokratie in der jetzigen Epoche nach 1989 bezeichnet sich selbst als „den freiesten Staat, den es jemals in Deutschland gab.“ Tatsächliche Herrschaftsverhältnisse wie die Macht des Geldes, der Hochfinanz, eines starken Staates, der seine Bürger immer stärker überwachen lässt, eines Verfassungsschutzes, der bestimmt, was und wer freie Meinungsäußerung betreibt und wer „Extremist“ ist. Die Unfreiheit von hunderttausenden Obdachlosen oder illegal in der BRD lebende Menschen oder andere zu Randgruppen gemachte Gruppen, ihre Rechte in der Gesellschaft zu artikulieren, wird hier ausgespart.

Der Germanistin Ulla Hahn sei die Auseinandersetzung mit Leo Kofler: „Zur Kritik bürgerlicher Freiheit“, VSA, Hamburg 2000 und den Anhängern des antiautoritären Sozialismus empfohlen. Die beiderseitige Ausgestaltung von Gemeinschaft und Individualität existiert in den freien Vereinbarungen von libertären Denkern. Die Erkenntnis, dass der real existierende Sozialismus in Osteuropa die autoritäre Herrschaft einer Parteiclique ohne freiheitliche Züge war, ist nichts Neues.

Ken Follett: Das Fundament der Ewigkeit. Historischer Roman, Lübbe, Köln 2017, ISBN: 978-3-7857-2600-6, 36,00 Euro

Ken Follett gilt als der Meister des historischen Romans schlechthin. Seine 31 Bücher wurden in über 80 Ländern und in 33 Sprachen veröffentlicht. Die Gesamtauflage seiner Romane in der BRD beträgt mehr als 37 Millionen Exemplare.

Mit dem „Fundament der Ewigkeit“ erschien im September 2017 sein insgesamt dritter Kingsbridge-Roman. Die fiktive Stadt in England war bereits bei seinem Welterfolg „Die Säulen der Erde“ 1990 und „Die Tore der Welt“ 2007 Schauplatz des Geschehens.

Der historische Roman behandelt das Elisabethianische Zeitalter in England von 1558 bis 1603. Im 1558 bestieg Elisabeth I. den Thron. Die neue, protestantische Königin wurde vom Volk begeistert aufgenommen. Vom Beginn ihrer Herrschaft an war eine mögliche Heirat der Königin das bestimmende Thema. Mehrfach forderten Parlamente sie dazu auf, mit dem Ziel, einen männlichen Thronfolger zu erhalten.

Elisabeth förderte religionspolitisch den Protestantismus. Noch im Jahr ihrer Thronbesteigung hob sie die römische Hoheit über die englische Kirche wieder auf. 1559 ließ sie sämtliche Beamte, darunter alle Geistlichen, einen Eid auf sich als Oberhaupt der Kirche schwören. 17 Bischöfe, die von Maria eingesetzt worden waren, verweigerten diesen Eid und wurden ihrer Ämter enthoben. Die religiöse Konformität der einfachen Bevölkerung wurde im gleichen Jahr mit einer Pflicht zum Gottesdienstbesuch festgeschrieben. Theologisch wurde die Anglikanische Kirche 1563 mit den vom Klerus erstellten 39 Articles endgültig auf den Protestantismus ausgerichtet, die 1571 Gesetzeskraft erhielten. Rom reagierte auf die Hinwendung zum Protestantismus 1570 mit der Exkommunikation Elisabeths und einer gezielten Gegenreformation. Ab 1574 sickerten katholische Geistliche, bald auch Jesuiten, nach England ein. Insgesamt sollen während der Regierungszeit Elisabeths 650 katholische Priester in England gewirkt haben. Elisabeth reagierte mit scharfen antikatholischen Gesetzen. Ab 1585 wurde die Todesstrafe gegen entdeckte katholische Priester verhängt. Insgesamt ließ Elisabeth 133 Priester und 63 katholische Laien hinrichten.

Dann kam Maria Stuart, die Witwe Franz II. von Frankreich, nach Schottland und machte ihre Ansprüche auf den Thron geltend. Da sie erbrechtlich die legitime Thronfolgerin war, akzeptierten auch die protestantischen Adligen zunächst die katholische Königin. Nachdem Maria jedoch 1567 ihren schottischen Gatten töten ließ, brach ein allgemeiner Aufstand gegen sie los, der sie dazu zwang, zu Gunsten ihres einjährigen Sohnes Jakob auf die Krone zu verzichten und einen protestantischen Regenten anzuerkennen. Im Mai 1568 floh Maria Stuart nach England und begab sich unter den Schutz Elisabeths. Diese befand sich damit in einer politischen Zwickmühle: Maria war eindeutig die legitime, durch einen Aufstand vertriebene Königin Schottlands. Hätte Elisabeth diesen Anspruch aber unterstützt, wäre im Nachbarland wieder eine katholische Herrscherin auf den Thron gekommen. Obwohl die Parlamente wiederholt auf die Hinrichtung Maria Stuarts drängten, erfolgte diese erst am 8. Februar 1587.

Im Jahre 1569 brach im Norden Englands ein von Spanien unterstützter Aufstand los, den Elisabeth nur mit massiver Gewaltanwendung und dank der Unterstützung durch die protestantischen Kräfte Schottlands niederschlagen konnte. Elisabeth intensivierte darauf ihre Unterstützung für die inzwischen organisierten Aufständischen in den Niederlanden um Wilhelm von Oranien. 1574 entspannte sich die Lage vorübergehend, als Philipp II. und Elisabeth I. ein Abkommen schlossen, das ihnen gegenseitig die Unterstützung von Rebellen untersagte und den Handel zwischen beiden Reichen wieder anlaufen ließ. Schließlich beschloss Philipp 1585 eine groß angelegte Invasion Englands, bei der er vom Vatikan finanziell massiv unterstützt wurde. 1588 besiegte die technisch überlegene englische Flotte die Armada in einer Reihe von Seeschlachten im Kanal. Stürme vernichteten die fliehende spanische Flotte endgültig. Damit begann Englands Aufstieg zur See- und Kolonialmacht. Der englisch-spanische Krieg endete erst 1604.

Ab 1590 begann der Rückhalt für Elisabeth I. zu schwinden. Zudem hatte Elisabeth ein System aus Ämtern am Hof, im Justizsystem und der Kirche sowie wirtschaftliche Privilegien geschaffen, mit der sie wichtige Magnaten belohnte. Dieses System verschlang in den Jahren vor ihrem Tod 1603 immer größere Summen und belastete den Haushalt zusätzlich.

Der fiktive Erzähler des Romans und zugleich eine der Hauptfiguren ist Ned Willard, der aus Kingbridge stammt und dorthin auch im späteren Leben zurückkehrt. Die real existierende historische Hauptfigur ist die englische Königin Elisabeth Tudor, die als starke Frau dargestellt wird in einer Welt, wo Männerherrschaft immer noch unantastbar war.

Die beiden fiktiven Hauptfiguren Ned Willard und Margery Fitzgerald verlieben sind am Anfang des Romans ineinander, aber sie können nicht heiraten weil sie katholischen Glaubens ist und er protestantischen, wodurch die unversöhnlich erscheinenden Glaubensgegensätze dieser Zeit repräsentiert werden. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Ned für die Königin von England als eine Art Geheimdienstler unterwegs ist und arbeitet. Margery Fitzgerald lehnt sich gegen die Religionspolitik Elisabeths auf und schmuggelt katholische Priester nach England. Ihre Zerrissenheit zwischen diesen Polen durchzieht ihr ganzes Leben und auch diesen Roman: Einerseits möchte sie nach den Regeln der katholischen Glaubens leben, anderseits aber auch Neds Frau werden. Auch Ned stürzt diese Situation in ein moralisches Dilemma und Gefühlschaos aus Pflichtgefühl und Liebe. Im Roman geht es aber nicht um positive Seiten, auch Verrat, Gier und Machtstreben sind enthalten.

Ein wichtiges Thema im Roman nimmt die religiöse Toleranz ein, nach der eine freie Wahl der Religion für die Menschen möglich ist. Dieses aktuell wieder hochbrisante Thema wird von Follett hintergründig anhand historischer Ereignisse aufgebracht.

Fazit: Follett schafft es, dass sich der Leser in die Gefühle der jeweiligen Personen hineinversetzen kann und es zu einer emotionalen Auseinandersetzung mit ihnen kommt. Aktuelle Bezüge wie die Forderung nach religiöser Toleranz und die Anfänge des heutigen Geheimdienstes gibt es auch. Das Buch ist auch eine ausgezeichnete historische Aufarbeitung der Herrschaft Elisabeths I. und ihrer Hauptprobleme. Spannend geschrieben, nicht zu langatmig, historisch treffend: das Buch ist nur zu empfehlen.

Yaa Gyasi: HEIMKEHREN. Roman. Übersetzung: Anette Grube, 416 Seiten, DuMont Verlag, Köln 2017, ISBN 978-3-8321-9838-1

Ihr Debüt-Roman Homegoing wurde von einem Ausflug nach Ghana, Gyasis erster Reise nach Ghana inspiriert, seit er das Land als Kleinkind verlassen hat. Der Roman wurde im Jahr 2015 fertig gestellt und nach den ersten Lesungen von Verlagen mit zahlreichen Angeboten begegnet,

„Heimkehren“ ist ein Debütroman der aus Ghana stammenden Amerikanerin Yaa Gyasi. In dem 400 Seiten starken Buch wird die Familiengeschichte der Halbschwestern Effia und Esi über mehrere Generationen hinweg abwechselnd erzählt. Die Lebensgeschichte der beiden Schwestern und ihrer Nachfahren verläuft sehr unterschiedlich, u.a. auch, weil sich beide nie kennen lernen. Effia wird mit einem britischen Kolonialisten zwangsverheiratet und lebt ein mehr oder weniger gutes Leben bei ihrem Mann auf der Festung Cape Coast in Ghana.

Esi hingegen wird durch die Briten als Sklavin nach Amerika verkauft, um dort als Besitz eines Sklavenhalters – täglichen Misshandlungen und Vergewaltigungen ausgesetzt – dessen Plantagen bewirtschaften zu müssen.

Das ganze Buch lebt davon, dass jedes Kapitel einem anderen Protagonisten gewidmet ist, denn abwechselnd kommen Effia und ihre Nachkommen (ungerade Kapitel) sowie Esi und ihre Nachkommen (gerade Kapitel) zu Wort. Man ist teilweise etwas wehmütig, wenn man eine Protagonistin / einen Protagonisten über ein Kapitel begleitet hat und dies endet, da man die Charaktere innerhalb der relativ kurzen Kapitel (max. 35 Seiten) sehr lieb gewinnt. Durch die Nachkommen, erhält man glücklicherweise einen Einblick, wie es der vorherigen Generation weiterhin ergangen ist. Andererseits ist der Charakteren- und Zeitenwechsel die Stärke dieses Buches, da man über Generationen hinweg die Familie begleitet und viel von der geschichtlichen Entwicklung mitbekommt.

Alle Charaktere sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben und durch politische und soziale Gegebenheiten entwurzelt. Hierzu trägt nicht nur die durch Amerikaner und Briten praktizierte Sklaverei bei, sondern auch die Stammeskriege sowie Sklaverei innerhalb der afrikanischen Völker (im Buch werden die Erzählungen aus Sicht der Völker ‚Asante’ und ‚Fante’ erzählt).

Das Buch macht einen sehr gut recherchierten Eindruck ohne als Geschichtsbuch daherzukommen. Man bekommt jedoch einen Überblick über das Leben der schwarzen Bevölkerung vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Spannend war hierbei der Einblick in die afrikanischen Kulturen, bedrückend die Sklaverei und Rassentrennung sowie Unterdrückung, die auch heute noch spürbar ist. Ein starkes Buch, was ich allen ans Herz legen möchte, die sich für Generationsromane und vor allem afroamerikanische Geschichte interessieren.

 

Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:

ISBN: 978-3-8321-9838-1 .