e-Portfolio von Michael Lausberg
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Symbolismus

Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten sich die ersten Kunstrichtungen, die zum Teil sogar gleichzeitig auftraten: Realismus, Impressionismus, Pointilismus, Symbolismus. Gemeinsam war den Künstlern all dieser Richtungen das Streben nach Neuem, die Absage an vorgefundenen Normen und Traditionen in der künstlerischen Ausbildung ebenso wie in Bezug auf Ausstellungswesen und Kunstmarkt. Ihre theoretischen Ansätze hielten die Künstler immer häufiger fest und sie hinterließen programmatische Schriften, in denen sie sich mit ihrem Sujet auseinandersetzten.

Beim Impressionismus ist ein Mangel an klaren, fest umgriffene Formen zu beobachten. Die Umrissformen der Objekte werden gezielt verwischt. Die Künstler stellten erstmals Farbigkeit von Schatten heraus. Es wurden ungebrochene Primär- und Sekundärfarben verwendet und auf der Leinwand gemischt, um der Helligkeit natürlicher Beleuchtung nahe zu kommen. Die Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie deren Komplementärfarben Grün, Lila und Orange wurden mit kurzen Pinselstrichen nebeneinander gesetzt. Somit entsteht erst bei angemessener Betrachtungsentfernung ein Bildeindruck.

Der Impressionismus erforderte auch Schnelligkeit, die die Absicht des Festhaltens momentaner Eindrücke verlangte. Somit bevorzugten die Impressionisten die Technik der Skizze. Die Perspektivenwirkung fiel weg und die Flächigkeit wurde betont. Die Impressionisten stellten den augenblicksgebundenen natürlichen Eindrucks eines Objektes dar. Milchfarben und lichte Töne wurden verwendet; dadurch entstand ein sinnlicher Eindruck. Der fragmentierte Pinselstrich war jedoch wesentlich mehr als ein bloßes Mittel zum schnelleren Malen. Durch geschicktes Ausnutzen von Kontrasten und Komplementärfarben gelang es den Impressionisten, mit dieser Technik die Leuchtkraft und Farbintensität ihrer Bilder ganz wesentlich zu steigern. Indem sie so ihre Aufmerksamkeit dem Licht und der Farbe selbst mit ihren gesetzmäßigen Wirkungen widmeten und nicht mehr dem Motiv, schufen sie eine bis dahin unerhört helle, lichtdurchflutete Malerei, die im völligen Gegensatz zur dunklen, von Schwarztönen dominierten akademischen Malweise stand.

Im Zusammenhang mit dem Malen in freier Natur steht auch die Prima-Malerei, deren Signifikanz darin bestand, das Werk in einem Arbeitsgang zu vollenden. Wurden die Gemälde normalerweise grundiert und exakt vorgezeichnet, änderte sich diese Vorgehensweise nun grundlegend. Die neue Maxime hieß, das Gemälde in einem Zug und mit der endgültigen Fassung auf die noch weiße Leinwand zu bringen. Auch diese Vorgehensweise unterliegt dem Grundsatz des Impressionismus, den Augenblick festzuhalten, den bestimmten Moment, der von der Natur mit allen ihren Farben und Formen wahrgenommen wird. Um diesen einzigartigen Augenblick so auf das Papier bringen zu können, wie er sich dem Betrachter in diesem Moment darstellt, sollte eine Vorzeichnung oder Überarbeitung eigentlich hinfällig machen. Dennoch kam es trotz aller Bemühungen nicht selten dazu, dass der Arbeitsgang unterbrochen werden musste und das Werk korrigiert wurde.

Eine weitere Eigenschaft des Impressionismus ist die charakteristische flüchtige Zeichentechnik, die Spontaneität und Unmittelbarkeit zum Ausdruck bringt. Da die Motive in der freien Natur ständigen Änderungen der Licht- und Schattenverhältnisse und verschiedenen Bewegungen, beispielsweise durch den Wind, unterworfen sind, sollte nur der flüchtige und transitive Augenblick festgehalten werden. Um diesen Eindruck der Unmittelbarkeit wiedergeben zu können, war eine „artistische Maltechnik“ nötig, denn nur durch jahrelanges Training konnte es gelingen, die Malzeit so zu verkürzen, dass man auch mit flüchtigen Phänomenen, wie beispielsweise dem von den Tageszeiten abhängigen Lichteinfall, mithalten konnte . So kristallisierte sich die Stricheltechnik heraus, die geprägt ist von spezifische Pinselstriche- oder Punkte, die einzelne optische Eindrücke wiedergeben. Auch die Nuancierung der Farben spielt hier eine große Rolle: die Farben werden nicht, wie es sonst in der Malerei üblich ist, mit weiß oder schwarz gemischt, sondern ihnen wird eine individuelle Note verliehen, um so das Bild in der Gesamtheit zu schaffen. Eine harmonische Synthese des Gemäldes kann deshalb nur gelingen, wenn die minimalistisch aufgetragenen einzelnen Nachbarfarben zusammen in Einklang gebracht werden können.

Eugène Delacroix zählt in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts neben Louis André Théodore Gericault zu den führenden Vertretern einer neuen künstlerischen Strömung, die als „Romantische Schule“ in Frankreich bekannt wird. Delacroix entwickelt zum wichtigsten geistigen Wegbereiter des Impressionismus in Frankreich. Der sterbende Mensch und das Erlöschen des Lebens bilden Delacroix` Grundthematik in seiner existentiellen künstlerischen Auseinandersetzung in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts. Im Bild „Das Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 thematisiert Delacroix explizit Zerstörung und Tod mit einhergehender Trauer und schmerzhaftem Leid inmitten eines Kriegsschauplatzes. Hier reiht sich das Gemälde „Der Tod des Sardanapal“ ein. Dargestelltes wird zum psychologischen Spiegelbild des Malers und des Betrachters.

Das Gemälde „La mort de Sardanapale“ des französischen Malers Eugène Delacroix zählt zu den brisantesten Bildern der Kunstgeschichte. Es entsteht 1827 in Frankreich an der Schwelle zwischen Klassizismus und Romantik. „Der Tod des Sardanapal“ bezieht sich auf Byrons Drama „Sardanapalus“ aus dem Jahr 1821 und zeigt das Ende des assyrischen Herrschers Sardanapal dessen Palast von Aufständischen belagert wird. In seiner Erwartung der bevorstehenden eigenen Ermordung durch die Eindringlinge lässt Sardanapal alle seine Reichtümer zerstören und seine Frauen umbringen.

Das großformatige Gemälde fügt sich in den Kontext einer sich herausbildenden romantischen Schule Frankreichs, bei der die subjektiven psychischen Zustände des Künstlers in sinnbildlichen Aspekten wie Hölle, Nacht und Traum zum Anlass und zum Thema künstlerischer Auseinandersetzung werden um dabei den idealisierten Helden aus dem formalen und inhaltlichen Bildzentrum zu vertreiben. Das Bild benennt die Geburtsstunde einer Malerei, bei der die Farbe selbst konkreter wird und zum Bildausdruck bzw. Bildinhalt heranwächst. Der klassizistische, plastisch theatralische Bildraum[2] und seine illustrative Gegenständlichkeit werden im Werk von Eugène Delacroix in radikaler Weise zu Gunsten der bevorzugten Rangstellung der Farbe zerstört. Die Bilder „Dante-Barke“ von 1822 und das „Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 gehen dem Bild „Der Tod des Sardanapal“ voraus. Parallel dazu entstehen Delacroix` „Faust Illustrationen“ in den Jahren 1824 bis 1827. Etwas später malt er „Die Freiheit führt das Volk“.

Nachdem „Der Tod des Sardanapal“ 1827 im Salon auf großes Entsetzen und kollektive Ablehnung stößt, wird das Bild erst wieder 1862 ausgestellt und schließlich 1921 vom Louvre in Paris angekauft, wo es heute zu sehen ist. Im Bild „Das Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 thematisiert Delacroix explizit Zerstörung und Tod mit einhergehender Trauer und schmerzhaftem Leid inmitten eines Kriegsschauplatzes. Hier reiht sich das Gemälde „Der Tod des Sardanapal“ ein. Dargestelltes wird zum psychologischen Spiegelbild des Malers und des Betrachters.

Delacroix sucht nach den verborgenen, dunklen Seiten des eigenen Ichs und der Seele des Körpers. Er untersucht eine schwarze Welt und die Verstrickungen der eigenen Psyche mit allen Widersprüchlichkeiten wie Erotik und Schmerz, Macht und Hingabe, Lust und Leid, Leben und Tod. Die eigene Psyche treibt den Maler Delacroix zum künstlerischen Umgang mit Farbe. Subjektive Betrachtungsweisen unter dem Gesichtspunkt der Erotik zeigen, dass es im „Tod des Sardanapal“ darum geht, die eigenen Begierden, die eigene Lust im Bild zuzulassen und sie als Antrieb und Thema künstlerischer Arbeit zu akzeptieren.

In dunkel anmutenden Sinnbildern von Hölle, Nacht und Traum entwickelt Delacroix im „Tod des Sardanapal“ vor einem „Schwarzthema“ leuchtende Farben, indem er sie aus dem Dunkel des Hintergrundes, wie aus dem Nichts, malerisch über Grauabstufungen nach vorn heraus treten lässt. Es entfalten sich intensive aufregende Farbwelten durch das kontrastreiche Gegenüber von Licht und Dunkel, in der Entsprechung von Leben zu Tod und anderen Gegensätzlichkeiten unterbewusster Ängste die interpretiert werden können. Die Farbe wird dabei zum eigentlichen Argument des Bildes. „Der Tod des Sardanapal“ setzt sich in diesem Aspekt eindringlich von dem etwas früher entstandenen Gemälde „Das Floß der Medusa“ ]von Jean Louis André Théodore Gericault aus den Jahren 1818 und 1819 ab, da es die dreidimensionale Illusion des Gegenstandes innerhalb eines plastisch angelegten Tiefenraumes negiert um zu einem malerischen Bildraum in der Fläche vorzudringen, also die konkret gemalte Farbigkeit an der Oberfläche und ihre innewohnende Dramaturgie, aufzuzeigen.

Eugène Delacroix selbst verwendet die Metapher des „Massakers“. Er nimmt Bezug zu seinem früheren Gemälde „Das Massaker von Chios“ und bezeichnet das Bild „Der Tod des Sardanapal“ als sein „Massaker Nr.2“. Zunächst benutzt er diese Metapher angesichts der extrem negativen Aufnahme des Bildes beim Publikum während der Ausstellung im Salon von 1827, um seinen Selbstzweifel zu benennen. Die öffentliche Meinung spricht vom „Ende alles Romantischen“. Darüber hinaus ist das „Massaker“ in erster Linie ein von Delacroix bewusst verwendetes künstlerisches Mittel um der angestrebten Zerstörung einer veralteten Kunstauffassung Ausdruck zu verleihen. Strenge klassizistische Kompositionsprinzipien innerhalb etablierter, idealisierter Heldenbilder haben kein Potenzial weil sie artig und nicht brisant genug sind. Nur durch deren Überwindung können neue gestalterische Wege gefunden und mit modernen inhaltlichen Problematiken verknüpft werden.

Delacroix hinterfragt andere zeitgenössische künstlerische Standpunkte seiner Zeit radikal. Er entwirft psychologisch komplexe Gestalten in denen die dunkle Seite dominiert und benutzt keine vorgefundenen, gesellschaftlich sanktionierten Vorbilder oder Idealgestalten: Der Held weicht in den Hintergrund. Delacroix deckt neue Ausdrucksformen auf um letztlich individuelle Konfliktpotenziale mit gesellschaftlichen Spannungspotenzialen zu vereinen. Gegensätzlichkeiten werden jetzt zum Bildthema.

Das Gemälde schwankt zwischen erotisch-intimen Aspekten und der Darstellung eines historischen Ereignisses, der Belagerung des Palastes des Sardanapal, hin und her. Der Schrecken einer Untergangsstimmung und die Schönheit des Rausches einer nächtlichen Orgie begegnen sich in zwiespältig dramatischer Gegensätzlichkeit im Bild. Eine gewalttätige Szenerie mit dem Ineinander von Erotik und Gewalt löst ein bildzentrales Chaos aus. Hingabe und Zerstörung bestimmen das monumentale Gemälde. Hier wird das Motiv des Orients benutzt, weil freie Erotik und Sexualität in einer Kanalisierung von familiärer Ehe, unter dem Druck der Moralvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft, nicht möglich sind. Der Orientalismus ermöglicht hier ein gemeinschaftlich akzeptiertes Spiegelbild der westlich-europäischen Gesellschaft zu gestalten, weil der Orient als etwas Fremdes angesehen werden kann.

Am 29.4.1874 schrieb der Kunstkritiker Jules Castanary in der Zeitung Le Siecle folgendes: „Sie sind Impressionisten in dem Sinn, daß sie nicht eine Landschaft wiedergeben, sondern die von ihr hervorgerufenen Sinneswahrnehmung.“ Dabei bezog er sich auf eine Ausstellung der Künstler Camille Pissarro, Claude Monet, Alfred Sisley, Auguste Renoir und Berthe Morisot. Erst zwei Jahre zuvor hatte Monet der künstlerischen Richtung zu ihrem Namen verholfen. Auf einer Ausstellung nach dem Titel eines Werkes gefragt, das eine Hafenansicht im Nebel zeigte, antwortete der Maler, es handele sich einfach um eine Impression, einen Sinneseindruck.

Nicht nur an dem einfachen Motiv, auch an der Technik und insbesondere an der Skizzenhaftigkeit des Werkes störten sich Publikum und Kunstkritiker. Zusammen mit diesem Bild stellte Monet im Jahre 1874 den Boulevard des Capucines aus, von dem zwei Fassungen existieren. Mit einzelnen Pinselstrichen sind Häuser, Bäume und Menschen wiedergegeben. Eine eindeutige Perspektive ist nicht erkennbar, ebenso wenig sind die dargestellten Figuren durch Konturen abgegrenzt. Zwei Herren mit Zylinder, die auf einem Balkon stehen, verschwinden größtenteils am rechten Bildrand. Formen und Bildraum lösen sich nur durch farbliche Kontraste aus der Fläche. Monets Anliegen war es dabei, den flüchtigen Eindruck des Lichtes und das Farbenspiel in der Natur zu einer bestimmten Tageszeit wiederzugeben. In kurzen Pinselzügen trug er reine, ungemischte Farbe auf die Leinwand auf. Dabei griff er zurück auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen der Beobachter in der freien Natur weniger eine einzelne Gegenstandsfarbe ausmacht als ein Gemisch von Farbtönen, die sich erst im Auge zu Flächen formen.

In skizzenhafter Malweise die Stimmung eines kurzen Moments zu zeigen, was allerdings nicht nur Monets Anliegen. Schon Mitte der 1860er Jahre malten Frédéric Bazille, Auguste Renoir und Alfred Sisley zusammen mit Monet im Wald von Fontainebleau Landschaften, in denen sie den Wechsel des Lichts festhielten. Die Aufwertung der Landschaftsmalerei trug dazu bei, dass sich das Malen in freier Natur größerer Beliebtheit erfreute. Monet zeigte in seinen Bilderserien auch die verschiedenen Stimmungen, die durch die Brechungen des Lichts entstanden. Seine gewählten Motive waren vielfältig: die Kathedrale von Rouen, Seerosen oder ein einfacher Heuschober. Einige Bilder von Monets Künstlerkollegen zeigen ihn beim Malen in der freien Natur, etwa in seinem Garten in Giverny, wo auch die Seerosen-Bilder entstanden.

Die impressionistischen Künstler haben aber nicht ausschließlich unter freiem Himmel gemalt. Diese Möglichkeit der Ölmalerei unter freiem Himmel bot sich überhaupt erst durch eine technische Neuerung: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten die Künstler Ölfarben in Tuben kaufen und waren nicht mehr auf das aufwendige Mischen von Bindemitteln und Pigmenten angewiesen.

Für die Impressionisten war jede Veränderung der Lichtstimmung von Bedeutung, die Tageszeit, die Jahreszeit, die Wetterlage ergaben jeweils neue Ansichten desselben Motivs und deren Wiedergabe war vor allem eine Frage der Farben. 1890/91 entstand eine Serie mit einem im ländlichen Gebiet alltäglichen Motiv, dem aufgetürmten Heu auf den Wiesen. In Claude Monets Gemälde Heuhaufen im Spätsommer herrscht ein goldgelber Grundton mit bläulichem Schatten vor. In seinem anderen Werk Verschneite Heuhufen im Winter verwendet er kalte Farbtöne, doch auch der von der blassen Wintersonne beleuchtete Schnee hat blaue Schatten.

Die Metropole Paris übte auch eine große Faszination für die Künstler des Impressionismus aus und bot ihnen zugleich unzählige Motive und Studienobjekte. Auguste Renoir liebte es, gesellschaftliche Anlässe wie Ballabende und Volksfeste darzustellen, während das Treiben auf den Straßen und Boulevards, flanierende Menschen und Passanten sowie die Lichter der Großstadt, das Thema zahlreicher Studien Camille Pissarros wie in dem Bild Boulevard Montmartre bei Nacht aus dem Jahre 1897 war.

Die Seine-Landschaft mit ihrem langen und gewundenen Flussverlauf, bot den impressionistischen Künstlern die Möglichkeit, das Spiel der Farben und die Reflexe des Wassers in allen Variationen zu studieren. Monet mal 1869 das Gemälde La Grenouillere, das dafür als Beispiel dienen kann. Die Pariser Bevölkerung liebte es, die Sonntage im Freien zu verbringen, in öffentlichen Parks und Gärten oder bei den zu jener Zeit sehr beliebten Regatten. Die impressionistischen Maler bannten einfach das auf die Leinwand, was sie sahen. Sie fanden bei diesen Anlässen unzählige Motive und Sujets für ihre Bilder.

Das Interesse der Impressionisten galt neben dem Licht, der Landschaft und der Atmosphäre auch den Szenen aus dem Alltag und den diversen Vergnügen im gesellschaftlichen Leben. Edgar Degas bevorzugte in seinen Werken als Hauptmotiv die menschliche Figur in Bewegung und stellte sie vor allem in Innenräumen dar. Das klassische Ballett erfreute sich auch in Paris zu jener Zeit großer Beliebtheit. Degas malte daher unzählige Schülerinnen in duftigen weißen Kostümen auf der Bühne oder während des Tanzunterrichtes. Das Werk Tanzstunde aus dem Jahre 1879 gibt dies beeindruckend wieder. Eine weitere Leidenschaft der Pariser Bevölkerung war der Gesellschaftstanz. Ballabende und Volksfeste verzeichneten einen unerwartet großen Zulauf. Sie sind das Thema dreier großer Gemälde von Renoir, wo glückliche und heitere Menschen dargestellt werden.

Von seinem Boot aus malte Monet bevorzugt Flusslandschaften, die er dann nachher häufig in seinem Atelier überarbeitete. Der Pariser Maler Edouard Manet hielt im Jahre 1874 Monet mit Camille in seinem Atelier-Boot auf Leinwand fest. Der junge Maler wurde von berühmten Künstlern wie Franz Hals, Diego Velázquez, Tizian, Tintoretto, Goya und Delacroix beeinflusst. Dieser Bann macht sich in seinen Werken motivisch und maltechnisch bemerkbar. Er kopierte diese Gemälde meist aus dem Louvre oder auf ausgedehnten Auslandsreisen nach Deutschland, Österreich, Italien, Niederlande und Spanien. 1856 bezieht Manet mit einem Freund sein erstes Atelier in Paris. Er malte Genrebilder, auf denen er das Alltagsleben der armen Menschen darstellte. Aber in dieser Zeit entstanden auch Kaffeehausszenen und Stierkampfszenen. 1859 versucht er das erste Mal im Salon auszustellen, doch Manets Bilder werden abgelehnt, weil seine Bilder zu realistisch sind, wie zum Beispiel „Der Absinthtrinker“. 1860 richtet er sich ein neues Atelier ein und bezieht gemeinsam mit seiner Frau Suzanne und seinem Sohn eine Wohnung. 1861 wird das erste Bild von Manet im Pariser Salon ausgestellt. Mit einer Auszeichnung für das Bild "Gitarrenspiel", bekam er die ersehnte Bestätigung als Künstler. Ein Jahr darauf stirbt sein Vater und Manet wird durch sein Erbe reich. 1863 wollte der Künstler wieder im Salon ausstellen und stößt wiederum auf Ablehnung.

Daraufhin werden seine Bilder im Salon des Refusés ausgestellt, wo abgewiesene Maler ihre Kunstwerke präsentieren können. Das Gemälde „Frühstück im Grünen“ (1861) verursacht einen großen Skandal und Entrüstung. 1865 stellt Manet weitere Bilder aus, unter ihnen lösen seine Gemälde die "Verspottung Christi" und die "Olympia" erneut Empörung aus. Im gleichen Jahr reiste Manet nach Spanien. Außerdem besucht er das Café Guerbois, wo er sich mit jungen Pariser Malern trifft, wie zum Beispiel Nadar, De Nittis, Fantin-Latour, Bazille, Degas, und Monet. 1867 wird Manet von der Pariser Weltausstellung ausgeschlossen und so macht er seine eigene Messe, aber nicht mit dem erhofften Erfolg. Seine Bilder anlässlich der Erschießung Kaiser Maximilians 1869 in Mexiko werden verboten.

Die Jahre darauf zeigt er einige Gemälde wie zum Beispiel das „Porträt Zolas“ und „Frühstück im Atelier“ im Salon. 1870 geht Manet freiwillig zur Nationalgarde im Deutsch-Französischen Krieg. Manet verkauft Bilder und stellt im Salon aus, mit einigen Gemälden hat er große Erfolge. Durch die Beeinflussung von Claude Monet beschäftigte sich Manet mit der Freiluftmalerei. Er holte sich Anregungen für Lichteffekte und Farbkombinationen. Die Konsequenz daraus war, dass er eine freundlichere, lockere und sanftere Pinselführung entwickelte. Seine Farbpalette hellte sich auf und seine Themen wandelten sich von Landschaften, Alltagsszenen bis hin zum Stillleben. Er verstand es eine große Farbfläche aufzulösen und somit die Zweidimensionalität zu unterstreichen. Manet löste sich in seinen Bildern von dem perspektivischen und leitete somit ein Teil der modernen Kunst ein. Er wird auch als Bahnbrecher des Impressionismus genannt. Manet selbst bezeichnete sich nie als Impressionist und hatte sich den jungen Künstlern nur freundschaftlich angeschlossen. Er lehnt sogar eine Teilnahme an der ersten Gruppenausstellung seiner Freunde ab. Aber für die jungen Maler war Manet ein Vorbild und so hatte er großen Einfluss auf die Entwicklung des Impressionismus.

1876 gibt es erste Anzeichen einer Rückenmarksschwindsucht, welche als solche nicht erkannt wird. Trotz seiner Erfolge in den vergangenen Jahren, werden 1877 einige Kunstwerke immer noch zurückgewiesen und nicht zur Ausstellung zugelassen, wie zum Beispiel der „Nana“. So bleibt Manet stets umstritten. Doch die Weltausstellung 1878 in Paris und auch Jahre später in New York und Boston sind große Erfolge gewesen. Er bekommt auf einige Bilder Medaillen und wird zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

Seine Krankheit zwang ihn auf das Malen im Freien zu verzichten. Manet beschäftigte sich also mit der Pastell-Technik und der Miniaturmalerei, welche ihm noch ermöglichten weiter zu malen. Damals entstanden sehr viele Porträts, die in der Öffentlichkeit mit großer Begeisterung aufgenommen wurden sind. Außerdem entstanden emotionale und empfindsame Gemälde, wie zum Beispiel die „Blonde Frau mit entblößten Brüsten“ (1878).

Manet malte im Sommer 1874 zusammen mit Monet und Renoir im südlich von Paris gelegenen Argenteuil. Unter dem Einfluss von Monet nahm Manet die impressionistische Malweise auf. Er verzichtete auf eine Modellierung seiner Figuren mit Licht und Schatten und wandte sich starken Farbkontrasten zu Auch der Maler vor seiner Leinwand ist nur durch die hellen Farben seiner Kleidung abgegrenzt. Die Darstellung von Figuren im Freien erforderte eine schnelle Arbeitsweise, da sich die Lichtverhältnisse im Gegensatz zum Atelier rasch veränderten. Der Fluss zum Beispiel ist in Manets Arbeiten mit breiten Pinselstrichen in Blau, Weiß- und Gelbtönen zusammengesetzt, die die Brechung des Lichts dann wiedergeben. Manets Herkunft aus dem französischen Großbürgertum gestattete ihm größere Freiheiten. Er nahm an keiner der insgesamt acht Impressionistenausstellungen zwischen 1874 und 1886 teil, reichte ganz im Gegenteil viele seiner Bilder zu den Salonausstellungen ein. Sein Bild von Monet im Atelier-Boot stellte einen Wendepunkt in seinem Schaffen dar, denn seit dieser Zeit malte Manet auch oft in freier Natur.

Der Versuch, das künstlerisch wiederzugeben, was man sieht, nicht das, was man weiß, erstreckte sich nicht nur auf die freie Natur: Paris mit seinen Boulevards und Plätzen, Cafés und Varietés voller Menschen, mit Parks, Bahnhöfen oder Pferderennbahnen bot ebenso zahlreiche Motive. Auch die Wiedergabe von Bewegung faszinierte viele Impressionisten, nicht nur in Frankreich. In den deutschen Kunstzentren Berlin und München malten Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth im impressionistischen Stil.

Während sich Realisten und Impressionisten mit der sichtbaren, erfassbaren Wirklichkeit auseinandersetzten, bildete sich in den 1880er Jahren eine gänzlich anders orientierte Richtung heraus. Jenseits der Errungenschaften der Moderne wendeten Literaten und Künstler in Europa sich zeichenhafter Bildsprache zu. In den Jahren nach der Vereinigung Deutschlands 1871 entwickelt sich ein neureiches, selbstzufriedenes Bürgertum. Die Väter der Intellektuellen und Künstler kommen meistens aus dem Bürgertum, und der Konflikt mit den Vätern wird ein wichtiges Motiv vor allem in der Literatur dieser Zeit. In der Kunst wiederum werden auch neue Tendenzen spürbar. Der Historismus wird als theatralisch immer mehr abgewertet und der Realismus verliert seine innovative Kraft.

Der Symbolismus entstand in Frankreich teilweise als Reaktionen auf klassizistische und realistische Strömungen: „Au total, le symbolisme a libéré les esprits de la tyrannie du positivisme sous sa double forme parnassienne et naturaliste.“. Das gemeinsame Merkmal mit den anderen Stilrichtungen der Jahrhundertwende besteht darin, dass sie alle als Gegenströmungen zum Naturalismus auftreten. Der Symbolismus ist aber am weitesten vom Naturalismus entfernt. Der Begriff wird doppelsinnig in der Literaturwissenschaft gebraucht: Einerseits ist so eine historische begrenzte Epoche der europäischen Literatur im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert benannt, und andererseits bezeichnet der Begriff eine Summe von dichterisch-lyrischen Techniken und Methoden, die ihre Wirkung auch im 20. Jahrhundert fortsetzt. Vertreter dieser Richtung stellen in keinem europäischen Land eine einheitliche Gruppe dar, da die Art und der Grad der Einwirkung unterschiedlich ist. Sie sind von Spanien bis Russland zu finden: In Belgien Maeterlinck, in Italien d’Anunzio, Ungaretti, in Russland Brjussov, Balmont, Blok, Belyi, in Spanien Garcia Lorka, Alberti.

Symbolistische Werke sind durch ein strenges Form-, sowie Sprachbewusstsein geprägt. Die Form bestimmt das Thema eines Gedichtes. Nicht der vordergründige Gedichtinhalt ist wichtig, sondern der hintergründige Gedichtgehalt, der durch die formbewusste Sprache vermittelt wird. Alles an der Form eines Gedichtes, jedes Wort, jeder Wortzwischenraum ist bewusst und wohlüberlegt gewählt. In dieser Epoche stehen die Forderung nach Selbstlegitimation der Poesie und der schöpferische Dichter im Vordergrund. Die Kunst sollte eine „reine Schöpfung“ sein, die zu nichts bedingt und zu nichts verpflichtet ist, außer zum Dienst an sich selbst (l’art pour l’art). Poetologisch ist der Symbolismus damit eine „poésie pure“ und unterliegt keinen Fremdzwecken wie der Beschreibung oder Belehrung. Schlagwörter, die die Dichtung der symbolistischen Epoche charakterisieren, sind „Abgrenzung und Legitimation.“ Eine geschärfte sinnliche Wahrnehmung wie im Realismus und Naturalismus ist zwar auch im Symbolismus vorhanden, allerdings bleibt diese nicht konkret, sondern führt durch das Mittel der Abstraktion zu einer neuen Betrachtungsweise.

Bei Rilke äußert sich diese neue Betrachtungsweise meist in der detaillierten, wenn auch unkonkreten Beschreibung eines Dinges. Grundlegend für die poetische Verfahrensweise des Symbolismus ist die „Methode des Andeutens“, denn ein „direktes Benennen ist in der Poetik des Symbolismus ja auch ausdrücklich verpönt.“ Dieses Andeuten kann neben der Verwendung von Metaphern durch vielerlei Vorgehensweisen erreicht werden. So gibt es beispielsweise die Tendenz zur Abstraktion in der die Realität abgehoben von einer wirklichen Abbildung abstrahiert dargestellt wird. Auch die Technik des suggestiven Aussparens und schnell wechselnde Bildpunkte innerhalb eines Gedichtes fördern diese Art des Umschreibens, in der nichts konkret genannt wird. Auch die Isolation eines Wortes durch Enjambement schafft Ambiguitäten und das Diffundieren von Gegensätzen führt dazu, dass an das Verständnis des Lesers hohe Ansprüche gestellt werden. Außerdem spielt das Gebot der Kürze eine wichtige Rolle. Allein durch dieses Gebot sind Autoren aus der Epoche des Symbolismus zu einer Indirektheit des Ausdrucks gezwungen. Sie stehen im Spannungsverhältnis zwischen der Kürze auf der Ebene der Form und der Fülle an darstellungswürdigen Gedanken auf der Ebene des Inhalts. Die wohl prägende, kennzeichnende und auch namensgebende Rolle für die literarische Epoche spielt die Verwendung von Symbolen. Symbole dieser Epoche folgen allerdings nicht unserem heutigen Alltagsverständnis und dürfen nicht als Zeichen verstanden werden, denen eine konkrete Inhaltsseite zugeordnet ist;

Schlüsseltext des Symbolismus wurde Charles Baudelaires Gedichtzyklus Die Blumen des Bösen, das im Jahre 1857 erschienen war.

Mit Charles Baudelaire begann eine neue Epoche in der Geschichte der europäischen Lyrik. Er brachte neue faszinierende Themen wie das Morbide, Paradoxe und Abgründige in die Poesie und verlieh als einer der Ersten dem Empfinden des modernen Großstadtmenschen Ausdruck. In einer hässlich gewordenen Welt wollte er das Schöne durch Imagination und Erinnerung in der Dichtung wiedergewinnen.Sein dichterisches Hauptwerk „Die Blumen des Bösen“ (1857) bereitete formal und thematisch die moderne europäische Lyrik vor. Von der emotionalen Bekenntnislyrik der Romantik hob sich Baudelaire klar ab. Dichtung war für ihn ein intellektueller Prozess. Die radikal veränderte Thematik ging einher unbedingtem Formwillen, der sich in der genauen Komposition und in strengen Gedichtformen niederschlug. Wesentliche Kennzeichen seines Stils sind suggestive Bilder und Metaphern, rhythmische Sprache und die poetische Kraft der Symbole.Das einleitende Gedicht „Segen“ verweist auf die Eigenart des Zyklus als angebliche Ausgeburt einer höllischen Fantasie. „Ennui“ bezeichnet jenes Gefühl, zu dem der moderne Mensch verdammt ist, eine Mischung aus Schwermut, Langeweile und Lebensüberdruss. Ob aus der Übersättigung oder aus dem Verlust an Illusionen erwachsen, „ennui“ bildet eines der widerlichsten und gefährlichsten  Gebrechen der modernen Zivilisation. Der Dichter nimmt die Pose desjenigen ein, der sich in Verstellung und Schein darstellt, Mime, Saltimbanque, Bouffon und Bohemien sind seine erratischen Identifikationsfiguren. Die Künstlichkeit der Großstadt, der Rausch und die Blasphemie bieten nur scheinbar Fluchtpunkte. Die Gedichte der ersten, umfangreichsten Gruppe „Spleen et idéal“ (von Stefan George mit „Trübsinn und Vergeistigung“ übersetzt) spiegeln das Ringen des Dichters wider, seine Aufschwünge, Stürze und seine Resignation. Dem „ennui“ beziehungsweise “ spleen“, den Walter Benjamin als „Katastrophe in Permanenz“ definierte, stellt Baudelaire die Sehnsucht nach dem Ideal, das „Streben nach dem Grenzenlosen“ entgegen. Die moderne Zivilisation ist für ihn eine entfremdete Welt, in der kaum einer die Erfüllung seines Lebenssinns findet. In den Hymnen auf die dunkle Geliebte und ihre Attribute sind die auf den Tropeninseln gemachte Entdeckung einer antikanonischen, bizarren, regelwidrigen Schönheit eingeflossen, deren Haar, deren Duft, deren Gang er Lobgesänge in einer kühnen Assoziationstechnik gewidmet hat.

Die unter dem Titel „Pariser Bilder“ zusammengefassten Gedichte begründeten Baudelaires Ruhm, als erster die zivilisatorischen Reize der modernen Großstadt in die Poesie einbezogen zu haben. Die Gedichte enthalten Bilder, Träume und Visionen von Paris, der „schrecklichen Landschaft“, die bevölkert wird von Blinden und Bettlern, Buckligen und Greisen. Selbst das Grauen kann den müßigen „Flaneur“ faszinieren. Haussmanns neue Boulevards mit ihren glatten Bürgersteigen und asphaltierten Straßenflächen erzeugten überhaupt erst jenes Großstadt-Durcheinander, die schiebende und geschobene Menge, ohne das Baudelaires Gedicht „Einer Vorübergehenden“ nicht hätte entstehen können: „Es tost betäubend in der strassen raum…“ In den Gedichten der Gruppe „Der Wein“ geht der Dichter den bewusstseinserweiternden Wirkungen von Rauschgiften nach und singt dem Wein ein Loblied, da er das Elend vergessen ließe und die Liebenden in das Paradies der Träume führe. Doch letztlich bringt auch die Flucht in den Rausch keine Erlösung. Aus den Gedichten der Gruppe „Blumen des Bösen“ und den blasphemischen Versen von „Aufruhr“ spricht die Stimme der Verzweiflung, aus der kein Weg mehr hinauszuführen scheint. Die Gedichte „Der Tod“ und „Die Reise“ beschreiben die letzte Reise in den Tod, die Erlösung bringt vom „ennui“. Der Dichter unternimmt die Reise, gleich, ob sie zum Himmel oder zur Hölle führt, da er auf dem Grund des Unbekannten Neues zu finden hofft.

Baudelaires neue Sensibilität analysiert die neue Epoche nicht mehr nach dem üblichen Schema – wie Fortschritt oder Verfall –, sondern im Erspüren der Atmosphäre, im Wahrnehmen ganz neuer sozialer und seelischer Befindlichkeiten, im Bewusstsein, dass eben nur dieses gleichzeitig exakte und intuitive dichterische Erkundungswagnis das Bild der Zeit liefern würde. Er zerriss die Träume von einem bürgerlichen Reich der Vernunft, Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenliebe, Harmonie und Schönheit und schilderte stattdessen die Kehrseite dieser Illusionen: die Herrschaft des Egoismus, der Rohheit und Sinnlichkeit. Er zerschlug das Traumbild einer schönen Natur, in der sich die Menschen in Harmonie und Glück begegnen.

Als Gegenbild führte er die Welt der bürgerlichen Zivilisation in die Dichtung ein, welche die ganze Existenz, auch die Natur durchwaltet und die Menschen sich fast nur noch in der Enge der Stadt zu Hause fühlen lässt. Die Gestaltung der Entfremdung zwischen den Menschen verlangte den Verzicht auf eine den unmittelbaren Kontakt von Mensch zu Mensch herstellende Gefühlslyrik, statt der „Poesie des Herzens“ eine „fühllose“, kühle Dichtung. Mit Baudelaire beginnt die Entpersönlichung der modernen Lyrik, auch die Tendenz der Verdinglichung, die Neigung, Personen Dinge anzuverwandeln.

Der Erfolg des Gedichtbandes war zu Lebzeiten Baudelaires eher gering. Erst spätere Dichtergenerationen wie die Symbolisten und die Surrealisten erkannten die neuartige suggestive Sprachmagie der Lyrik. Baudelaires entscheidender Einfluss ist im Werk von Dichtern wie Verlaine, Rimbaud und Stéphane Mallarmé, Paul Valéry, Georg Trakl, Rilke oder Paul Celan erkennbar.

Im Jahr 1859 lernte Baudelaire Édouard Manet kennen und war bis zu seinem Tod mit ihm befreundet. 1862 gab Manet ihm einen Platz in seinem Gemälde Musik im Tuileriengarten. Im gleichen Jahr malte er auch das Porträt der Jeanne Duval. Nach Baudelaires Tod fertigte er verschiedene Radierungen mit seinem Porträt an und hielt seine Bestattung in dem Gemälde Das Begräbnis fest. In der postum erschienenen Gedichtsammlung Le Spleen de Paris widmete Baudelaire die Geschichte La Corde (Der Strick) Édouard Manet. Hierin beschrieb Baudelaire den Suizid von Manets Ateliergehilfen Alexandre.

Manets Bild Musik im Tuileriengarten besitzt mehrere Details, die scharf umrissen sind - vor allem die Figuren männlicher Flaneure und weiblicher Flaneusen auf dem linken Bildflügel, des stehenden Flaneurs über dem aufgespannten Sonnenschirm und des in seinem Rücken nach rechts gewendeten Mannes, der den Hut lüftet. Die Dame gegenüber dem stehenden Flaneur allerdings und die von beiden Figuren zwickelartig gerahmte Bildmitte sind eklatant unscharf gehalten und offenbar absichtlich, weil vom oberen Bildrand her ein Stück blauen Himmels wie ein Richtungspfeil auf diese Bildvertikale weist. Die hier zu sehenden gelben und grauen Farbflecken stellen sich aus der Entfernung betrachtet so wenig plastisch dar wie einige Figuren auf dem rechten Bildflügel, die der Maler, in einem sprunghaften Wechsel von Schärfe zu Unschärfe im selben Bildsegment, lediglich skizziert.

Dargestellt ist eine Szene aus dem berühmten Tuileriengarten in Paris. Manet hatte dort viele Sommernachmittage verbracht und unter den neugierigen Blicken der Spaziergänger erste Skizzen angefertigt. Dieses Gemälde vollendete er allerdings in seinem Atelier. Die Stühle im Vordergrund des Bildes sind authentisch, im Sommer 1862 wurden nämlich alle Holzstühle des Gartens durch eben solche Eisenstühle ausgewechselt, wie sie besonders deutlich rechts vorne im Bild zu sehen sind. Außerdem hat Manet in dem Bild einige bekannte Gesichter versteckt: Freunde, Bekannte, Kritiker und Meinungsmacher. Augenfällig ist der Flaneur in der Bildmitte mit der weißen Hose, der sich nach links wendet: Es ist Manets Bruder Eugène. Direkt hinter ihm vor dem Baum befindet sich das Porträt des Komponisten Jacques Offenbach, es wirkt wie eine Karikatur.

Sich selbst hat Manet, vom linken Bildrand überschnitten, neben seinem früheren Ateliergenossen, dem Maler Albert de Balleroy stehend porträtiert. Wendet man den Blick von den zwei Malern etwas nach rechts, sind weitere Gesichter zu erkennen: Die sitzende männliche Person, deren Gesicht neben einem spitzen gelben Hut erscheint, ist der Journalist Zacharie Astruc, hinter ihm stehend der Mann mit dem Schnauzbart sein Kollege Aurélien Scholl. Bei dem etwas weiter rechts stehenden Mann, der den Betrachter anzuschauen scheint, handelt es sich um den Maler Henri Fantin-Latour. Weitaus undeutlicher, aber von Kennern identifiziert, ist die Personengruppe, die sich direkt über den gelb gewandeten Damen befinde. Diese Gruppe ist mit der schwarzen Baumbahn verknüpft, die den linken Bildflügel symbolisch zentriert.

Zu sehen sind das Profil Charles Baudelaires, dicht neben ihm das Dreiviertelporträt des Dichters Kunstkritikers Théophile Gautier, der sich gegen den Baumstamm zu lehnen scheint, und beiden gegenüber die Profilfigur des Museumsbeamten Baron Isidor Taylor. Über diese Dreiergruppe erschließt sich das ästhetische Programm des Bildes, das erstmals der schwedische Kunsthistoriker Nils Gösta Sandblad erkannte.

Taylor hatte 1835 im Auftrag des Bürgerkönigs Louis-Philippe in Spanien Gemälde von Velázquez, Zurbaran, Murillo und Goya aufgekauft, die ab 1838 in der Galerie espagnol des Louvre zu sehen waren. Auch Théophile Gautier hatte Spanien während der Julimonarichie bereist und 1845 seinen Reisebericht veröffentlicht. Diese Spanienbegeisterung der älteren romantischen Generation hatte durch die Heirat von Napoleon III. mit der spanischen Prinzessin Eugénie de Montijo im Januar 1853 neuen Aufwind erhalten und erreichte 1862, als Manet "Musik im Tuileriengarten" malte, einen neuen Höhepunkt. In diesem Sommer gastierte eine spanische Ballettgruppe mit der berühmten Tänzerin Lola de Valence im Hippodrome von Paris und lockte unzählige Besucher an, unter ihnen auch Manet, der die Vorführungen gemeinsam mit Baudelaire besuchte und einige Bilder (Gemälde, Zeichnungen, Radierungen) der Tänzerin Lola, des Tänzers Don Mariano Cambrubi sowie der spanischen Ballett-Truppe schuf. Mit der Dreiergruppe Baudelaire, Gautier, Taylor schrieb Manet seinem Gemälde die Genealogie seiner Ästhetik ein.

Zunächst bildete Manet einige Figuren seines Bildes dem 1851 vom Louvre angekauften Gemälde "Die kleinen Kavaliere" nach, das man damals für ein Werk von Velázquez hielt; nach diesem Werk hatte Manet 1861-62 eine kolorierte Radierung geschaffen. Der bildbestimmende Kontrast von "Schwarz" und "Weiß" allerdings orientiert sich weder an den "Kleinen Kavalieren" noch an der Porträtmalerei von Velázquez, sondern in seiner Härte an der Mal- und Radierkunst von de Goya. Während der Enthusiasmus für die spanische Kunst insgesamt den jüngeren Baudelaire mit Gautier und Taylor als Vertreter der älteren romantischen Generation verbindet, ergibt sich über Goya die nähere Verbindung zu Manet.

Denn über Eugène Delacroix hinaus nennt Baudelaire Goya in seinem Gedicht Les Phares als Vorbild seiner pessimistischen Ästhetik. 1857 veröffentlichte er einen Essay über Goyas Radierungen als Ausdruck des "absolut Komischen". Unter dem absolut Komischen verstand Baudelaire eine Ästhetik bitterster Ironie, wie sie insgesamt seine "Blumen des Bösen" verwirklichen. Dieses absolut Komische unterscheidet Baudelaire vom "historisch Komischen" des französischen Malers und Karikaturisten Honoré Daumier, der nach Baudelaires Ausführungen einen zwar unbestechlichen, doch wohlwollenden Blick auf die Schattenseiten der modernen Gesellschaft und das moderne Großstadtleben richtete, wie es sich seit dem Umbau der Stadt unter dem Baron Georges-Eugène Haussmann gestaltete. 1859 lernt Baudelaire den damals weitgehend unbekannten Constantin Guys kennen, dessen Zeichnungen und Aquarelle er mit Daumiers Bildästhetik in Verbindung bringt, und beginnt im Winter 1859, einen Aufsatz über Guys zu schreiben. Dieser Aufsatz erscheint vier Jahre nach seiner ersten Konzeption im November und Dezember 1863 unter dem Titel "Der Maler des modernen Lebens" in der Zeitschrift Le Figaro.

Damit schließt sich der Kreis: Neben der Radierkunst von Rembrandt war die von Baudelaire gewürdigte Radierkunst Goyas ein wichtiges Vorbild der im Frühjahr 1862 gegründeten Société des Aquafortistes. Die Gründungsurkunde dieser Gesellschaft nennt berühmte Maler und Radierer der romantischen Generation und Vertreter einer neuen Künstlergeneration, darunter Manet und seinen Freund Henri Fantin-Latour. Im April 1862 schreibt Baudelaire einen ersten Artikel über die neue Gesellschaft und ihre jüngeren Mitglieder, im September desselben Jahres einen zweiten. Während Manet im ersten Artikel als bloßer Name auftaucht, stellt Baudelaire Manet in seinem zweiten Artikel als neues großes Talent in der Nachfolge von Gustave Courbet vor. In diesem Beitrag spricht Baudelaire Manets Malerei "spanische Würze" zu. Zudem hebt er Manets "entschiedenen Geschmack" für die "moderne Wirklichkeit" hervor und kündigt diejenige Ausstellung für das kommende Frühjahr an, in der "Musik im Tuileriengarten" zu sehen sein wird, die Ausstellung in der Galerie Martinet. Entgegen einer anders lautenden Legende, die von Manets Biografen Antonin Proust stammt, zeigt der Vergleich der Artikel, dass sich Manet und Baudelaire im Frühjahr 1862 über die "Gesellschaft der Radierer" kennen lernten und im Sommer desselben Jahres enge Freundschaft schlossen. Insofern ist "Musik im Tuileriengarten" zunächst ein Dokument der neuen Freundschaft Manets mit dem wichtigsten Dichter und Kunsttheoretiker seiner Zeit.

Henri Fantin-Latours Gemälde Hommage à Delacroix bezeugt diese Freundschaft im Kreis der jungen Mitglieder der Gesellschaft der Radierer, jedoch in anderer Form. Im Vergleich zu diesem Gemälde wird die Neuheit der Formensprache Manets besonders deutlich. Sie besteht darin, dass Manet in kontrastierenden und diskontinuierlich gesetzten malerischen "Flecken" das Bild einer dicht gedrängten Menge von Zeitgenossen in einem konzentrierten Moment ihrer Wahrnehmung verwirklicht. Weil die Protagonisten innerhalb der Menge einerseits still stehen und andererseits in Bewegung sind, malt Manet ihre Wahrnehmungsbilder im selben Bild dicht benachbart scharf und unscharf zugleich. Diese neuartige Verwirklichung einer Wahrnehmungsästhetik verbindet "Musik im Tuileriengarten" mit Baudelaires viel diskutierter Theorie ästhetischer Modernität, wie er sie im Essay über den "Maler des modernen Lebens" entwickelt. Eine Pointe ist, dass Manets "Musik im Tuileriengarten" Baudelaires Modernitätstheorie eineinhalb Jahre vor dem erstmaligen Erscheinen des Essays als eine gemalte Kunsttheorie vor Augen stellt.

Erstmals machte der Kritiker Alfred Sensier auf die Verbindung der Ästhetik Baudelaires und Manets aufmerksam, als er 1865 über Manets Olympia schrieb: "Malerei der Schule Baudelaires, ausgeführt von einem Schüler Goyas". Die zweite Pointe liegt darin, dass sich "Musik im Tuileriengarten" in einer wichtigen Hinsicht von den aquarellierten Zeichnungen des Constantin Guys und mittelbar von Baudelaires Modernitätsästhetik unterscheidet. Anders als Guys nämlich arbeitet Manet nicht mit den Tonwerten von Hell und Dunkel. Vielmehr übersetzt er Licht und Schatten in die kontrastierenden Farben seiner Malerei. Durch den Verzicht auf einen mittleren Ton, der die Pole von Hell und Dunkel verbindet, gab Manet den traditionellen Schein einer ästhetischen Einheit der Bildwelt auf, an dem nach Goya, Delacroix, Daumier und Constantin Guys auch Baudelaire im "Maler des modernen Lebens" festhielt. Diesem Schein gegenüber verfährt Manets Malerei kontrastiv diskontinuierlich und nimmt einen materiellen Charakter an.

In "Musik im Tuileriengarten" akzentuiert Manet den Unterschied seines malerischen Verfahrens zu Baudelaires Vorstellungen von der Hell-Dunkel-Malerei, indem er die Profile Baudelaires, Gautiers und Taylors schattenumwoben zeigt. Sofern er das ältere Hell-Dunkel allein auf diese Gruppe konzentriert, distanziert Manet sich im Namen einer neuen Ästhetik von Gegenwärtigkeit von der romantischen Ästhetik der Erinnerung. Zugleich schließt sich Manet, indem er sich selbst am linken Bildrand im neuen Licht seiner kontrastscharf kühlen Malerei porträtiert, mit der dargestellten Menge zusammen. Baudelaire, Gautier und Taylor hingegen zeigt er inmitten der bewegt fixierten Menge kühl blickender Flaneure und Flaneusen als letzte Vertreter der älteren romantischen Generation.

Auch Siegmund Freuds Beiträge zur Erforschung der menschlichen Psyche hatten großen Einfluss auf die Kunstschaffenden des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Darstellung von Ideen, von Unterbewussten und Verdrängtem war das Ziel vieler Künstler.

Sigmund Freud wurde 1856 als Sohn eines Wollhändlers und dessen Ehefrau in Freiberg (Mähren) geboren. Er studierte Medizin an der Wiener Universität und interessierte sich nach seinem Studium hauptsächlich für seelisch bedingte Erkrankungen. Aus diesem Grund ging er Forschungstätigkeiten am Wiener Physiologischen Institut nach und später eröffnete er eine neurologische Praxis in Wien. Gemeinsam mit Josef Breuer stellte er in den „Studien über die Hysterie" die Methode der freien Assoziation vor. Da die Ursache seelischer Störungen verdrängte traumatische Erfahrungen seien, kann der Analytiker durch Deutung spontaner Äußerungen von Patienten auf deren verschlüsselte Ängste schließen und den Patienten von seiner Neurose befreien. Sein Hauptwerk „Die Traumdeutung“ erschien 1900. Zwei Jahre später erhielt Freud die Professur für Neuropathologie an der Wiener Universität. Danach folgte die Gründung des „Zentralblatts für Psychoanalyse" und der „Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung". 1916 hielt Freud an der Wiener Universität zum letzten Mal die Vorlesung „Einführung in die Psychoanalyse". 1939 starb Freud in London.

Sigmund Freud konzipierte seine Theorie als eine medizinisch psychologisch orientierte Therapie. Die Erkenntnisse für seine Theorie gewann er vor allem aus der Behandlung von Patienten. Seine psycho-sexuellen Entwicklungsphasen kann man zudem als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Sozialisation betrachten. Das Durchlaufen der Phasen führt durch die Interaktionen zwischen den Individuen und der Umwelt zur Herausbildung der psychischen Strukturen. Seine psychoanalytische Theorie soll dazu verhelfen, die Entstehung und den Aufbau der Persönlichkeit eines Individuums in Abhängigkeit zu anderen Menschen zu erklären.

Der psychische Apparat dient als Grundlage des Verständnisses für die psycho-sexuellen Phasen nach Freud. Laut Freud teilt sich der psychische Apparat in drei „Instanzen“ auf, das Es, das Ich und das Über-Ich Nach Freud wird das Es als das „Älteste“ dieser drei Instanzen bezeichnet. Das Es entsteht ab der Geburt und stellt den Bereich des Unbewussten dar. Demnach sind mit dem Es die instinkthaften Energien und Triebe gemeint, wie zum Beispiel Hunger, Aggression und Sexualität. Die instinkthaften Energien und Triebe des Es kennen keine Vernunft oder Verbote, sie streben nur nach sofortiger Befriedigung. Das Es gehorcht dem unerbittlichen Lustprinzip. Die Energie des Es kann durch Handlungen oder „Objekte“ oder aber Phantasievorstellungen entladen werden, wodurch die Triebe befriedigt werden.

Das Ich arbeitet nach dem Realitätsprinzip und ordnet dabei die Umwelt so, dass das Es befriedigt wird. Das Ich umfasst geistige Tätigkeiten wie Wahrnehmung, logisches Denken, Problemlösen und Gedächtnisleistung. Das Ich hat die Aufgabe für das Individuum den günstigsten Zeitpunkt und die gefahrenloseste Art zur Befriedigung der Triebe zu suchen. Das Ich kann also entscheiden, ob und wie die Triebwünsche zugelassen werden, wodurch es die Herrschaft der Triebansprüche gewinnt. Das Aufschieben, Verzögern oder das Unterdrücken der Triebbefriedigung ist nur durch die Kontrollfunktion des Ichs möglich, die so genannten „Abwehrmechanismen“ des Ichs. Das Ich muss also zwischen dem Es und der Außenwelt vermitteln. Damit es diese Rolle spielen kann, muss es lernen die Kontrolle über das Es zu erlangen und seine Wünsche der Außenwelt anzupassen.

Das Über-Ich entwickelt sich nach der Bewältigung des Ödipuskomplexes und der Identifizierung mit den Eltern. Es entsteht sowohl durch den Einfluss der Eltern, als auch durch „Rassen- und Volkstradition“ in Verbindung mit den jeweiligen „Milieus“. Das Über-Ich teilt sich in zwei Komponenten, das „Gewissen“ und das „Ich-Ideal.“ Das Gewissen bezieht sich auf die Verbote und die moralischen Normen und Werte der Eltern, die das Kind einhalten soll. Bei falschem Verhalten wird das Individuum durch Schuldgefühle bestraft. Dagegen ist mit dem „Ich-Ideal“ die Wunschvorstellung, wie das Kind selbst von anderen wahrgenommen werden will, gemeint. Wenn das Kind sich seinem „Ich-Ideal“ entsprechend verhält, wird es mit einem hohen Selbstwertgefühl und Stolz belohnt. Das Über- Ich übernimmt die Aufgaben des Belohnens, des Bestrafens und stellt die elterlichen und gesellschaftlichen Anforderungen dar. Es versucht das „Lust- und Realitätsprinzip“ zu bewältigen. Es übernimmt die Kontrollinstanz des Ichs in Bezug auf das Verhalten und der Gedanken.

Nach den ersten Lebensmonaten erfahre ein Neugeborenes immer deutlicher, dass es von Dingen und anderen Menschen unterschieden ist. Es entwickle ein erstes Bewusstsein von den eigenen Körpergrenzen und Selbstwahrnehmungen. „In den folgenden vier Lebensjahren lernt ein Kind die Fragen zu beantworten: ‚Wer bin ich?‘ – ‚Was kann ich?‘ und somit sein Selbstbewusstsein auch inhaltlich zu füllen.“ Um das Es herum wird also eine Zone aufgebaut, die man als frühes Ich bezeichnen kann. Das frühe Ich, das sich wie eine Hülle um das Es legt, wird somit von den frühen Körperrepräsentanzen und den frühen Selbstrepräsentanzen gebildet. Die frühen Körperrepräsentanzen seien die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte über Körperbereiche. Zu den frühen Selbstrepräsentanzen zählen die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte bezüglich der eigenen Person.

Ein wichtiges Vorbild vieler Künstler war die Philosophie Ernst Cassirers der symbolischen Formen. Mit seiner Philosophie der symbolischen Formen legte Cassirer den systematischen Entwurf einer Kulturphilosophie vor, die als eine bedeutungstheoretische Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen verstanden wird. Diese Kulturphilosophie war eine wissenschaftlich ausgearbeitete allgemeine philosophische Anthropologie auf symboltheoretischer Grundlage. Cassirer nannte die regelmäßig vorkommenden, typischen Weisen der Symbolisierung, die sich zu einem eigenständigen Sachgebiet oder einer eigenständigen Methode gleichsam institutionalisieren „symbolische Formen“.

Cassirer lehnte ein als einheitliches System analog zum Idealismus ausgebildete Philosophie ab. Stattdessen entwickelte er den Begriff der symbolischen Formen als Deutungsschema des Menschen für dessen Erlebnisse. Philosophie bedeutete für ihn ein Metadiskurs, der den Zusammenhang und die spezifischen Leistungen einzelner, teils sich in ihren Geltungsansprüchen konträr verhaltender symbolischer Formen am Konkreten zeigt. Die von ihm vertretene Kulturphilosophie war nicht weniger als eine allgemeine philosophische Anthropologie auf symboltheoretischer Grundlage. Kultur war für Cassirer der Inbegriff und das System aller möglichen Weisen der Sinnerzeugung durch Symbolisierung. In Anlehnung an Paul Natorp erweiterte er den Begriff der Erkenntnis zum Leitbegriff des Erlebens. Die Erkenntnisse Kants von Anschauung und Verstand wurden bei Natorp zu Materie und Form der Erkenntnis. Seine Erkenntnistheorie baute auf der transzendentalen Logik Kants und deren Begriff der „synthetischen Einheit“ auf. In der Entfaltung dieser Einheit, verstanden als Grundrelation des Einen und Mannigfaltigen erblickte Natorp das Gesetz des Erkenntnisprozesses. Dies nannte er korrelativistischer Monismus. Für ihn waren Raum und Zeit Denkbestimmungen der Relation und Größe. Erkenntnisse seien niemals als subjektiv aufzufassen, sondern in der gesetzlichen Bestimmung der Erscheinungen zu objektivieren. Gegenstand von Cassierers Kulturphilosophie war die Erkenntnis, dass es ein „Erleben“ außerhalb der gegliederten Wissenschaften gibt, das sich in der Sprache ebenso ausdrückt, wie in Mythen, der Religion, der Kunst, Geschichte, Moral oder Politik. Der Mensch sei das animal symbolicum, das symbolerzeugende Wesen. Der Philosophie wird eine Einheit in der Vielheit stiftende Funktion zugewiesen. Die philosophische Betrachtung verstand er als eine Einstellung oder Haltung des Denkens, die das Ganze überblickt, ohne das Besondere aus den Augen zu verlieren und beides durch philosophische Systematik verbindet.

Sein Symbolbegriff umfasste „das Ganze jener Phänomene (...), in denen überhaupt eine wie immer geartete ‚Sinnerfüllung‘ des Sinnlichen sich darstellt; - in denen ein Sinnliches, in der Art seines Daseins und So-Seins, sich zugleich als Besonderung und Verkörperung, als Manifestation und Inkarnation eines Sinns darstellt."[1] Die Symbole bedeuteten eine „Freiheit vom Sinnlichen“, denn „in jedem sprachlichen ‚Zeichen‘, in jedem mythischen oder künstlerischen ‚Bild‘ erscheint ein geistiger Gehalt, der an und für sich über alles Sinnliche hinausweist."[2] Die wissenschaftliche Hermeneutik war immer schon im Begriff des Symbolischen enthalten: „Die symbolischen Zeichen (...) sind nicht erst, um dann über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeutung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung. Ihr Gehalt geht rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf.“[3]

Das Orientierungsvermögen des Menschen war für ihn an Bedeutungen und Bedeutungszusammenhänge gebunden. Im Unterschied zu den Instinkten beim Tier ist der Mensch dank seines Verstandes in der Lage, die Situation zu verstehen, in welcher er sich befindet und auf welche er reagieren soll. Das Tier verfügt über eine praktische, konstruktive Intelligenz, während allerdings der Mensch eine andere, weitreichendere Form entwickelt hat: eine symbolische Phantasie und symbolische Intelligenz.

In der Einleitung zum ersten Band der „Philosophie der symbolischen Formen“ formulierte Cassirer sein Anliegen wie folgt: „Neben der reinen Erkenntnisfunktion gilt es, die Funktion des sprachlichen Denkens, die Funktion des mythisch-religiösen Denkens und die Funktion der künstlerischen Anschauung derart zu begreifen, dass daraus ersichtlich wird, wie sie in ihnen allen eine ganz bestimmte Gestaltung nicht sowohl der Welt, als vielmehr eine Gestaltung zur Welt, zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen sich vollzieht.“ [4]

Für Cassirer stellte Sprache eine symbolische Form dar, in der sich symbolisches Verhalten und symbolisches Denken manifestiert.[5] In seiner sprachphilosophischen Erörterungen stützte sich Cassirer vor allem auf die Thesen von Wilhelm von Humboldt. Von Humboldt stellte einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Sprache und dem Bewusstsein des Menschen her. Erst durch den Prozess des Spracherwerbs erlangt das Individuum eine eigene Weltanschauung. Eine Vorstellung der objektiven Welt und diese Vorstellung floß wiederum in die Sprache mit ein. Aus diesem Grund kann für von Humboldt eine genaue Definition von Sprache erst dann erfolgen, wenn der Prozess des Sprechens als solcher Beachtung findet. Humboldt sah die Sprache nicht als etwas Beständiges oder Ewiges, sondern betrachtete ihre Entwicklung als einen kontinuierlichen Prozess, der einem ständigen Wandel unterworfen sei. Eine monistische Auslegung von Sprache lehnte er ab: „Wir müssen, um die Sprache zu verstehen, nicht bei ihren Gebilden stehen bleiben, sondern dem inneren Gesetz des Bildens nachspüren – wir dürfen sie nicht als ein Fertiges und Erzeugtes, sondern wir müssen sie als eine Erzeugung, als eine sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes betrachten.“ [6]

Cassirer erkannte in der Sprache kein einfaches oder gleichförmiges, sondern vielmehr ein aus verschiedenen Elementen bestehendes Phänomen. Er sprach von einer „emotionalen Sprache“.[7] Sie sei von besonderer Bedeutung, da jegliche Formen der Kommunikation, und zwar sowohl die menschliche Sprache im engeren Sinne als auch die der tierischen Ausdrucksmöglichkeiten, zu einem gewissen Teil eine Sprache der Emotionen beinhalten. Um die Bedeutung der symbolischen Vorstellung für den Menschen und für seine Kultur zu verdeutlichen, grenzte Cassirer seine Sprachphilosophie deutlich von der „Sprache“ der Tiere ab.

Cassirer berief sich außerdem auf die Theorie des symbolischen Interaktionismus von G.H. Mead[8], wonach sich die Bedeutung eines Objektes aus dem Verhältnis des Wahrnehmenden und Handelnden zu diesem Objekt ergibt.[9] Mead selbst ging auch vom Begriff des Symbols aus, im Gegensatz zu Cassirer allerdings entstehen bei ihm aber die Bedeutungen bestimmter Symbole durch Erziehung. Abhängig von den gesellschaftlichen Normen und Werten entstehen für Mead durch die Wiederholung und positive bzw. negative Sanktionierung von Interaktion sogenannte ,,soziale Institutionen“.[10] Dies bedeutet letztendlich, dass die Bedeutung von Dingen also das Ergebnis von Erfahrungen ist. Cassirer legte dagegen den Fokus seiner Betrachtung eher auf die Freiheit des Menschen, seine Umwelt zu benennen, also mit Symbolen zu versehen und dadurch so zu strukturieren, dass sie für ihn verständlich wird. Mit seiner Philosophie der symbolischen Formen legte Cassirer den systematischen Entwurf einer Kulturphilosophie vor, der sich als eine bedeutungstheoretische Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen versteht.

Cassirer bezog sich in seiner Philosophie der symbolischen Formen auch auf den US-amerikanischen Semiotiker und Philosophen Charles William Morris. Auf der Grundlage des amerikanischen Pragmatismus, des Logischen Positivismus, des Empirismus und Behaviorismus entwickelte Morris eine Zeichentheorie, die er als ein Instrument zur Unifizierung der Wissenschaften verstand. In seinem Hauptwerk „Grundlage der Zeichentheorie“ bemerkte Morris, dass die Grundlage für alle semiotischen Überlegungen die Eigenschaft des Zeichens sei, „für etwas anderes zu stehen“. Das Zeichen, das von ihm Bezeichnete und derjenige, der es benutzt (Sender oder Empfänger) bilden das semiotische Dreieck, zwischen dessen Eckpunkten vielfältige Beziehungen stehen. Für Cassirer sind Metainformationen über die Kultur ist als ein System symbolischer Bedeutungen zu verstehen, die sich in semiotisch vermittelten Darstellungsformen äußern. Die Zeichenprozesse wie bei Schimpansen sind mit dem menschlichen symbolischen Sprachgebrauch nicht zu vergleichen. Die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Zeichen“ und „Symbol“ ist hier für Cassirer besonders wichtig, um überhaupt einen definitorischen Zugang zu den symbolischen Formen zu bekommen. Der Unterschied zwischen den tierischen Zeichen- und Signalprozessen und der typisch menschlichen Symbolik liegt darin, dass ein Zeichen immer einen physischen, konkreten Hintergrund hat. Im Gegensatz dazu hat das menschliche Symbol diesen Zusammenhang nicht mehr, es hat einen bloßen Funktionswert und kann damit eine reale oder auch irreale Situation durch einen gedachten Bedeutungszusammenhang ersetzen.

In seiner Schrift „Essay on Man“ baute Cassirer seine kulturphilosophische Theorie der symbolischen Formen zu einer anthropologischen Philosophie aus. Unterscheidungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften mit Erklären und Verstehen als Wissenschaftsprinzipien lehnte Cassirer ab. Einheitliche philosophische Systeme wie zum Beispiel beim Idealismus wurden von ihm ebenfalls verworfen. Die Philosophie Cassirers wurde zunächst dem naturwissenschaftlich orientierten Neukantianismus der Marburger Schule zugeordnet, was nachweislich nicht stimmt. Cassirer setzte sich durch die Tatsache deutlich vom Neukantianismus ab, dass für ihn nicht nur Begriffe zur Erkenntnis beitragen. Vielmehr sei jede Form des Weltbezugs auf die Symbolisierung angewiesen. Für seine kulturphilosophische Theorie war die Ausformulierung der symbolischen Prägnanz wichtig. Cassirer definierte: „Unter symbolischer Prägnanz soll also die Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis, als ‚sinnliches‘ Erlebnis zugleich einen bestimmten nicht-anschaulichen ‚Sinn‘ in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt.“[11]

Die symbolische Formgebung lief für ihn beim Menschen zugleich mit der sinnlichen Wahrnehmung ab: „Unter einer symbolischen ‚Form‘ soll jene Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem innerlich zugeeignet wird.“[12] Symbolische Formen seien somit Grundformen des Verstehens, die universell und intersubjektiv gültig sind und mit denen der Mensch seine Wirklichkeit gestaltet. Cassirer unterschied dabei zwischen Wahrnehmungs- und Bedeutungsprägnanz: Die Wahrnehmungsprägnanz verleiht dem Wahrgenommenen einen Umriss und Deutlichkeit, die die Bedeutungsprägnanz in einen Kontext einbindet. Da sich in der Formgebung und Symbolisierung eine Objektivierung vollzieht, bringen diese Prozesse den Menschen in eine verfügende Distanz zu seinen Emotionen, Wünschen oder Anschauungen. So wird es dem Menschen ermöglicht, sich frei zu ihnen zu verhalten. Cassirer definierte die „freie Persönlichkeit“ folgendermaßen: „Sie (die freie Persönlichkeit, M.L:) ist nur dadurch Form, daß sie sich selbst ihre Form gibt, und deshalb dürfen wir in ihr (…) nicht lediglich eine Schranke sehen, sondern wir müssen sie als eine echte und ursprüngliche Kraft erkennen und anerkennen. Das Allgemeine, das sich uns im Bereich der Kultur, in der Sprache, in der Kunst, in der Religion, in der Philosophie enthüllt, ist daher stets zugleich individuell und universell. Denn in dieser Sphäre läßt sich das Universelle nicht anders als in der Tat der Individuen anschauen, weil es nur in ihrer Aktualisierung, seine eigentliche Verwirklichung finden kann.“[13]

Der Mythos war für Cassirer Ursprungsphänomen aller menschlichen Kultur. Für Cassirer war das mythische Denken und Wahrnehmen die grundlegende symbolische Form, aus welcher alle anderen erst hervorgehen. Die mythische Welt steht für eine synthetische Lebensauffassung, welche die Grenze von Menschen, Tieren sowie der Natur überschreitet und das Leben als einen allumfassenden Prozess auffasst. Die Mythos gilt über den Tod und das Jenseits hinaus und bildet ein einigendes Band aller Menschen.

Anhand der Symbole kann der Mensch ein ideales, rein im Denken bestehendes Weltbild entwerfen.[14] Die mythische Wahrnehmung der Welt geschieht vor allem durch Affekte und Emotionen. Für Cassirer gehörte diese emotionale Qualität wesentlich zur Wirklichkeit dazu und war auch für Kulturen jenseits des mythischen Bewusstseins von Bedeutung. In Cassirers letztem Werk „Der Mythus des Staates“ setzte er sich mit den kulturhistorischen Voraussetzungen und der Entstehung des Nationalsozialismus auseinander. Hier stellte sich Cassirer die Frage, welche Rolle der Mythos innerhalb der Philosophiegeschichte, speziell in der Geschichte der Staatstheorie, spielt und ob er kontinuierlich dem rationalen Denken, dem Logos weichen musste. Ab dem 19. aber vor allem im 20. Jahrhundert sah Cassirer „einen radikalen Wechsel in den Formen politischen Denkens“.[15] Das mythische Denken unterstand nicht länger der Vernunft, das rationale Denken wurde immer mehr zurückgedrängt. Schließlich setzte sich der politische Mythos in der Rassenideologie und im Genozid des Nationalsozialismus und dient im Rahmen der Propaganda gleichsam als Stifter einer „germanischen Identität“.

Die Kulturphilosophie war eine neu etablierte kritische Philosophie unter den Bedingungen von Wissenschaftsentwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts.[16] Der jungen Disziplin der Kulturphilosophie wurden vielfach fehlende Eindeutigkeit und ungenaue Grundlagen vorgeworfen, da eine systematische Bestimmung des Menschen und seines Wirklichkeitsbegriffs noch nicht entwickelt war. In seinem 1939 erschienenen Aufsatz „Naturalistische und humanistische Begründung der Kulturphilosophie“ schrieb Cassirer: „Von all den einzelnen Gebieten, die wir innerhalb des systematischen Ganzen der Philosophie zu unterscheiden pflegen, bildet die Kulturphilosophie vielleicht das fragwürdigste und das am meisten umstrittene Gebiet. Selbst ihr Begriff ist nicht scharf umgrenzt und eindeutig festgelegt. Hier fehlt es nicht nur an festen und anerkannten Lösungen der Grundprobleme, es fehlt vielmehr an der Verständigung darüber, was sich innerhalb dieses Kreises mit Sinn und mit Recht fragen lässt. Diese Unsicherheit hängt damit zusammen, dass die Kulturphilosophie die jüngste und den philosophischen Disziplinen ist und dass sie nicht gleich ihnen auf eine gesicherte Tradition, auf eine jahrhunderte lange Entwicklung zurückblicken kann."[17]

Johannes Seibel fasste folgendermaßen die Philosophie Cassirers zusammen: „Ernst Cassirers ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ ist in diesem Sinne als ein Versuch zu lesen, eine gleichsam immanente Transzendenz als Kern menschlicher Existenz zu entfalten und festzuhalten – das heißt, er wollte die Sinnhaftigkeit menschlicher kultureller Tätigkeit und ihrer Sinngebilde als etwas retten, was mehr ist, als das bloße Produkt von etwa mit Hilfe der Chemie, Physik oder Biologie stofflich quantifizierbarer, exakt mathematisierbarer Vorgänge, ohne dafür gleichzeitig metaphysische oder theologische Annahmen in Anspruch nehmen zu müssen. So ist die Philosophie Ernst Cassirers ein gleichsam immerwährender, umfangreicher, im Prinzip unabschließbarer Versuch, den Strukturen und Bedingungen menschlicher Sinnproduktion und ihrer Gebilde auf die Spur zu kommen, ohne dafür einen wissenschaftlichen Materialismus, eine Ontologie oder religiösen Glauben als Letzterklärung zu benutzen. In anderen Worten ausgedrückt: Er wollte mit seiner ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ systematisches und historisches Denken versöhnen.“ [18]

Eine Schlüsselfigur ist auch Theophil Gautier. Der französische Schriftsteller und Kritiker Theophile Gautier wurde im südwestfranzösischen Tarbes geboren und wuchs in Paris auf. 1829 schloss er sich dem „Cénacle“ um Victor Hugo (1802-1885) an und erschien bei der Uraufführung von Hugos Stück Hernani (1830) provozierend im roten Wams. Er wurde zu einem der Hauptrepräsentanten des Literaten- und Künstlermilieus der „Bohème“ in Paris. Mit Gérard de Nerval (1808-1855) verband ihn eine lebenslange Freundschaft und sie gingen schon zusammen in die Schule. Beide verehrten Victor Hugo als den Wortführer der romantischen Bewegung und gehörten der Gruppierung junger Künstler an, die unter dem Namen „Junges Frankreich“ (Jeunes-France) in die Literaturgeschichte einging en. Im Nachruf an seinen Freund Nerval, den Gautier am 27. Januar 1855 in La Presse veröffentlichte, erinnerte er an das Zwillingspaar Kastor und Pollux und damit an ihre brüderliche Konstellation in ihrer gemeinsamen Tätigkeit für das Feuilleton dieser Zeitschrift.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Romans Spirita (1865) war Gautier keineswegs mehr ein unbeschriebenes Blatt. Er galt als enfant terrible der ersten Reihen der Bataille d’Hernani, als Begründer des l’art pour l’art durch seinen frühen Roman Mademoiselle de Maupin (1835) und er hatte bereits seinen Albertus (1823) und Les Jeunes-France (1833) veröffentlicht.

In seinem ersten Erfolgsroman Mademoiselle Maupin (1835) schildert er die Geschichte einer jungen Frau, die als Mann verkleidet in homo- und hetero-erotischen Erfahrungen ihr Liebesideal zu verwirklichen versucht, dies in einer schönen Nacht auch schafft, dann aber auf jede Fortsetzung verzichtet, um nicht in der Routine einer Beziehung zu versanden. Gautier wurde damit wegweisend für die Bewegung des Ästhetizismus. In seinem 1834 verfassten Vorwort zu Mademoiselle de Maupin formulierte er die Idee des l'art pour l'art (Kunst um der Kunst willen), erklärte dass Kunst völlig zweckfrei zu sein habe und provozierte die Leser mit den Worten: „Ich würde voller Freude auf meine Bürgerrechte als Franzose verzichten, um ein echtes Gemälde von Raffael oder eine schöne nackte Frau zu sehen – die Prinzessin Borghése zum Beispiel, als sie für Canova Model saß, oder Giulia Grisi, wie sie ins Bad steigt.

Dadurch wurde diese Idee bekannt und einem breiten Publikum zugänglich. In seinem Artikel Über das Schöne in der Kunst (1848) entwickelte er diesen Gedanken ausführlicher: L´art pour l´art bedeutet nicht Form um der Form Willen, sondern Form um des Schönen Willen, frei von jeder fremden Idee, von jeder Nebenabsicht zugunsten irgendeiner Doktrin, frei von jedem unmittelbaren Nutzen.

Neben der gezielten Provokation zeigt sich darin auch ein Bekenntnis zu einer bestimmten Form der Sinnlichkeit. „Die Vergöttlichung des menschlichen Körpers und die Heiligung der Schönheit war immer das Ziel der Malerei und Skulptur gewesen“ schrieb er in seinem Salonbericht von 1837. Plechanow sah darin „die Idealisierung der Verneinung der bürgerlichen Lebensweise“, die aus dem Zwiespalt zwischen den Künstlern und dem sie umgebenden gesellschaftlichen Milieu entstanden ist. In den 1870er Jahren wurden seine Ideen zum Programm einer französischen Kunsttheorie, die besonders von den sogenannten Parnassiens vertreten wurde.

Gautiers analytischer Blick ist der des ursprünglichen Malers und Kunstkritikers, der alles, was er sieht, wie ein Bild betrachtet und den jedes Detail interessiert. Sein kunstkritisches Urteil war durch sein anfängliches Studium der Malerei im Atelier von Louis-Edouard Rioult mit sachlichen Argumenten und technischen Details fundiert worden. Daraus erklären sich auch die große Bedeutung, die er der Beschreibung von Farben in all ihren Nuancen in seinen Texten beimisst und sein Anspruch, ein literarisches Abbild des Gesehenen in der realistischen Präzision der Photographie widerzugeben („notre humble mission de touriste descripteur et de daguerréotype litteéraire“). Entsprechend definiert er in seiner Schrift L’Art moderne auch die Aufgabe des Malers, die sich auf seine literarische Ästhetik übertragen lässt: „Ce que le peintre doit chercher avant tout, c’est l’interprétation et non le calque des objets; qu’il rende lápparence et non la réalité”. (Das was der Maler vor allen Dingen suchen muss, das ist die Interpretation und nicht die Kopie des Objekts; dass er die Erscheinung und nicht die Realität zeigt). Er bezeichnete sich selbst als: „voyageur enthousiaste et descriptif qui, la lornette en main, s’en va prendre le signalement de l’univers“.

In seiner Dichtung geht er häufig von den Darstellungen weiblicher Schönheit aus und die Frau und ihre Reize sind in seinem dichterischen Werk omnipräsent. Die Bacchante aus dem Louvre wird verführerisch in seinem Gedicht „Lied“ (1854) dargestellt. Im Gedicht Musée secret, das er im September 1850 während eines Venedigaufenthaltes an Marie Mattei schickte, führt er in 22 vierzeiligen Strophen in Oktosyllaben die Darstellung der weiblichen Scham durch die Darstellung des Nackten in der Kunst vor. Von der griechischen Skulptur ausgehend (v. 1-28) kommt er zur Darstellung der Psyche, welche mit einer Lampe in der Hand die Identität ihres göttlichen Geliebten - Amor – aufdecken möchte (v. 19-20). Weitere weibliche Figuren sind die Venus (v. 42) und vier Danae-Darstellungen (v. 49-52), wobei deutlich wird: „Kunst wie Mythologie werden für die freizügige Beschreibung des weiblichen Geschlechts benutzt“.

Das Besondere bei Gautier liegt in seiner Kenntnis der Kunst und seinem Umgang damit durch Transposition in Form eines sprachlichen Neu-Erschaffens „einer dem Dichter eigenen Idealvorstellung von Schönheit und Form unter Rückgriff auf für seine Ästhetik zentrale Kunstwerke“. Er überträgt deshalb oft Motive der Malerei oder Bildhauerei in dichterische Sprache im Sinne einer transposition d’art (Übertragung von Kunst zu Kunst). Die Malerei, so Gautier damals, sei der Spiegel, in dem sich der Mensch unterschiedlicher Zeitalter je selbst auslegte: „l’artiste doit fare le poème de l’homme et non sa monographie“.

Die antiken Formen, mit ihrer ästhetisierten Sinnlichkeit, inspirierten ihn etwa zu Dichtungen wie zum Poème de la femme in den Emaillen und Kameen Der zehn Jahre jüngere Charles Baudelaire (1821-1867) ließ keinen Zweifel an seinem Kunstverständnis, als er hinter der Titelseite seines epochemachenden Gedichtbandes Les Fleurs du Mal (die Blumen des Bösen) schrieb: Dem vortrefflichen Dichter, dem vollendeten Zauberer der französischen Literatur, meinem sehr teuren und sehr verehrten Meister und Freund Théophile Gautier, widme ich - mit dem Ausdruck tiefster Ergebenheit - diese krankhaften Blumen.“

Die Fähigkeit, Bezüge zwischen den verschiedenen Künsten aufzudecken, bildete eine Essenz seines dichterischen Schaffens und spielte eine große Rolle für seine Auffassung des Schönen und Erotischen. Die griechische Kunst der Antike, in der er eine perfekte Darstellung des menschlichen Körpers und das Ideal des Schönen verwirklicht sah, war für ihn die Grundlage seiner Ästhetik. Umso interessanter ist die Wendung in seinem Roman Sprita, in dem die vollendete Schönheit einer jungen, gräflichen Witwe uninteressant wird und sich der Romanheld stattdessen in den Geist einer Verstorbenen verliebt.

Im Leben und Werk von Théophile Gautier spielt der Orient und damit Griechenland eine besondere Rolle. Gautier bereiste den Orient 1852 und bekam Athen zu Gesicht. Zwischen Oktober 1852 und Mai 1853 erschienen von ihm sechs Artikel in Pariser Zeitschriften, die er seinem kurzen Aufenthalt in Griechenland widmete. Gautier schilderte dabei Griechenland nicht voraussetzungslos, sondern mit vorgeprägten Begriffen und Anschauungen, im Kontext seiner Zeit. Seine Reiseberichte wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich verfasst, zu einer Zeit, in der ein großes Interesse an weitabgelegenen Ländern, an der dortigen Natur und den Gebräuchen der Menschen entstanden war.

Die Begriffe exotique und exotisme tauchten auf und in den Tagebüchern der Brüder Goncourt findet sich mit dem Datum 23. November 1863 Gautiers Definition dieser Begriffe, der zwischen einem räumlichen und einem zeitlichen Exotismus unterscheidet. Das Griechenlandbild in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich war durch zahlreiche und vielgelesene Reiseberichte über Griechenland, von der Wirkung der französischen Aufklärung, durch die Werke und Ideen von Voltaire und Montesquieu und durch die Französische Revolution geprägt.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde Paris zum Zentrum der orientalistischen Studien in Europa. Der Orient wurde von vielen als „wahre Heimat“ erlebt und man wollte dort vor allem den „Schauplatz der griechischen Antike mit eigenen Augen sehen“. Von jeher diente Griechenland als „Sehnsuchtsland“, „Land der Antike“ und „Ursprung der westlichen Kultur“, als kultureller Projektionsraum. Der Bezug zur Antike bekam neue Impulse durch Friedrich Nietzsche (1844-1900), der im Todesjahr von Gautier, 1872, in seiner Schrift Die Geburt der Tragödie (1872) die Idee einer dionysischen Antike entwickelte. Später hob Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) nochmals die therapeutische und verklärende Wirkung der Antike auf das Individuum hervor.

In der Malerei brachte diese Herangehensweise keinen einheitlichen Stil hervor, als gemeinsame Kriterien können jedoch der Verzicht auf perspektivische Darstellungen sowie der Vorrang der Subjektivität und des Dekorativen festgehalten werden, wie der Schriftsteller Jean Moréas im Symbolischen Manifest 1886 darlegte. Der etablierte Impressionismus wird als überfeinerte, sich in der Darstellung der reinen Oberfläche des Daseins erschöpfend Kunstrichtung, bereits von manchen abgelehnt. Die Merksätze des Impressionismus: ,,Kunst ist nicht Natur, Kunst ist Bearbeitung der Natur durch den formenden Geist. Sie verwandelt mit Hilfe des Ordnungsgefüges der farbigen Formen, die dem Auge erscheinende Welt in eine in menschlichem Geist wirklich werdende Welt" lässt eine Kunst als Harmonie parallel zur Natur entstehen, die in der Form von zwei Richtungen erscheint:

Seurat und Cézanne entwickeln exakt durchdachte bildbahnende Elemente. Das Bild als Ordnungsgefüge aus gesetzmäßig lagernden rhythmischen farbigen Formen. Gauguin und van Gogh dagegen verwandeln durch genaue Befragung der Mittel die linearen Elemente in Ausdrucksarabeske und die farbigen Elemente in Ausdrucksfarbe. So tritt der Maler nach und nach in ein aktives Antwortverhältnis zu den Dingen. Er formt es nicht als Erscheinung ab, sondern schafft ein Bezug, sichtbar in Formen. Das ist die notwendige Folge des Lebensentwurfs, der den Kampf und Bewältigung dieser Menschen gegen die Welt beinhaltet. Natur wird als ,,etwas anderes" empfunden und somit als Angriff verstanden. Bereits Monét beginnt die Gegenstände in Farbe aufzulösen und erreicht einen hohen Auflösungsgrad des Dinglichen.

Symbolismus ist in den letzten 200 Jahren stets ein Mittel des Protestes gewesen. Seit der Romantik um 1800 richtet er sich gegen die Verendlichung der Welt. Nun wird er zu einer Art Filter einer geistigen Bewegung, in dem der aufgetauchte Widerspruch zwischen der sinnlichen und der geistigen Welt auf Lösung dringt. Courbet, ein Realist, lehrt: ,,Malerei ist zur Folge ihres Wesens eine konkrete Kunst und kann nur in der Wiedergabe wirklich existierender Dinge bestehen. Ein abstraktes nicht existierendes Objekt, gehört nicht der malerischen Domäne an."

Im Symbolismus aber beginnt man zu begreifen, dass gerade die Malerei ,,jene Kunst ist, die die Wege ebnen wird, in dem sie den Widerspruch zwischen der sinnlichen und geistigen Welt löst." ( Achilles Delaroche.) Das abstrakte, nicht existierende Objekt tritt ein. Auch die symbolistische Dichtung setzt an als Protest gegen den naturalistischen Lebensentwurf und die Materialisierung und Mechanisierung des Daseins. Im Reflex der Romantik ist der Traum vom Universum gewisser als jede Wirklichkeit. Metaphorische Zeichen und das Spiel mit realen und imaginierten Sinneseindrücken verleihen der Kunst eine geheimnisvolle magisch-mystische Atmosphäre von großer Intensität. Die Schönheit für sich wird zum Ziel und Ideal der Kunst. Die Poesie soll von Bindung an Zweck, Belehrung, Moral und Realität befreit werden. Nicht die äußere Wirklichkeit sondern die innere Welt, die Ideen und Träume sind interessant. Motive der Visionen, mit religiöser Mystik bereichert, tauchen auf. Und auch Musik wird als schöpferische geistige Erleuchtung betrachtet, denn sie sei im Stande das Unfassliche und nicht darstellbare Wesen der Welt wiederzugeben. ,, Und da die Harmonie aus Dissonanzen zusammengesetzt wird, muss auch die Kunst Dissonanzen haben, um auf den Menschen zu wirken, da die Seele des Menschen gleichermaßen Dissonanzen aufweist." (Bergson)

Die Bilder basieren auf sensiblen assoziativen Verbindungen, sind voller Andeutungen. Sie verflechten die literarischen und musikalischen Erkenntnisse der gegenwärtigen Künstler in sich. Emotionale Darstellungen der Natur, die tragisch melancholische Stimmungen enthalten, die empfundene Natur, jedoch nicht expressiv, sondern melancholisch, morbide, geheimnisvoll und von einem Schicksal bestimmt, das als ungeheuer mächtig gefühlt wird, das alles spiegelt die Atmosphäre des ausgehenden Jahrhunderts wieder.

Das Unsagbare, also die innere Wirklichkeit ist nur durch die Symbolkraft des schönen künstlerischen Ausdrucks vermittelbar, und der Gehalt dieser Schöpfung ist die Schönheit allein, sie hat nichts mit der realen äußeren Welt zu tun, erkennen die Symbolisten der Jahrhundertwende: ,,Die Versenkung in die Dinge, das Bild, das sich aus den Träumen löst, die Dinge hervorrufen, das ist dichterischer Gesang. Ein Ding direkt benennen, heißt dreiviertel vom Wert des Gedichtes unterdrücken, das in dem Glück besteht, nach und nach in die Tiefe zu ahnen. Andeuten, nahelegen, da liegt der Traum. Das ist der vollkommene Gebrauch dieses Geheimnisses, dass das Symbol bildet. Ein Ding nach und nach heraufrufen, um einen seelischen Zustand zu zeigen oder umgekehrt, ein Ding wählen und daraus durch eine Reihe von Entzifferungen einen seelischen Zustand ablösen," erklärt Stephane Mallarmé, der als Meister der Zeit gilt, an seine Schüler.

Die Symbolisten glauben, in der Kunst durch ein Mittel intuitiv das göttliche Geheimnis zu ergründen. Sie streben von der sichtbaren Realität zum Zeitlosen, zum ideellen Wesen der Welt und ihrer transzendentalen Schönheit zu gelangen. Unter dem Schlagwort ,,L′art pour L′art" treffen sich Literaten und bildende Künstler zu einem neuen bewussten Kunstwollen. Ganz allgemein erwartet man in einer sehr den Materiellen anhängenden Zeit eine Erneuerung des geistigen Lebens durch die Kunst. Die Ideen der deutsch-klassischen Romantik und deutschen Idealismus brechen ein. Die neue Einsicht das Universum sei aus unseren Ideen gebildet, wird zum philosophischen Hintergrund. ,,Die Welt ist meine Vorstellung." (Schopenhauer). Die Traumlyrik von Edgar Allen Poe, die Empfindsamkeit von Shelley beeindrucken die Symbolisten.

Man wendet sich auch den Präraphaelliten zu und lernt ihre Darstellungsweise zu schätzen. Die Malerei der Präraph. entwickelt sich in Großbritannien Mitte des 19. Jh. Eine Mischung von realistischen und idealisierenden Tendenzen bleibt eine spezifisch englische Sonderform. Da vielen jungen Malern die Lehrmethoden und Maßstäbe der Akademien einengend erscheinen, suchen sie ihre Vorbilder in der von Ihnen als unverdorben eingeschätzten Kunst vor Raphael, bei den italienischen Quattrocentisten, da sie glauben in der archaischen Aufrichtigkeit der alten Meister liege der Schlüssel zur Wiederbelebung der zeitgenössischen Kunst.

Diese Einstellung findet ihren Ausdruck vor allem in der Vorliebe für christliche und nicht zeitgenössische Themen wie z. B. der Historie, Literatur und Sagen entsprungen. Die Bevorzugung der alten Kunst ist als Suche nach einer neuen Position zu betrachten, dennoch wirkten die alten Meister noch in einer weiteren Hinsicht auf ihre Art von Malerei: Durch Abnahme des total vergilbten Firnisses auf einigen Bildern des 15. Jh. wurde erstmals wieder deren überraschende Farbigkeit entdeckt. Obgleich viele Zeitgenossen diesen Eingriff als Entstellung empfinden, da man den dunklen gewohnten Galerieton für authentisch hielt, greifen die Präraphaelliten die neuen Erkenntnisse auf und geben ihren Bildern eine leuchtend bunte Farbigkeit. Darüber hinaus weist ihre Malerei eine überscharfe Detailgenauigkeit auf, die sich auf Sorgfältiges recherchieren von Einzelheiten und intensives Naturstudium gründet.

Das Neue an den Werken der Maler des Symbolismus ist also, dass sie nicht wie zuletzt die Impressionisten die Wiedergabe der äußeren Erscheinungen und ihrer atmosphärischen Ausstrahlung anstreben, sondern das Dargestellte symbolhaft auffassen und verstanden wissen wollen. Sie bedienen sich bei der Gestaltung des Symbolischen einer reichen Verkleidung mit dekorativen Formen.

Das griechische Wort ,,symbolen" bedeutet Zeichen, Sinnbild. Symbolistische Kunst soll also Zeichen oder Gegenstände finden, die über das Dargestellte hinaus auf einen tieferen Sinn weisen, daher gewinnen Phantasie, Traum, Halluzination, Vision eine neue Bedeutung. Auf das Durchscheinen des Anderen, Größeren, Umfassenderen durch das an der Oberfläche Dargestellte wird viel Wert gelegt. Die Bildwelt des Symbolismus` ist wiederum sehr vielfältig. Landschaften, Kultbilder und Kulträume, Kosmisches, Eros, Träume, Masken, Tiere, Blumen und vieles andere können symbolisch aufgeladen sein: ,,Das symbolisierte Motiv erscheint stets in neuen Zusammenhängen. Zunächst in einem bald rationalen, bald irrationalen Gedankenzusammenhang. Dann in einer teils bewußten teils unbewußten Ideenassoziation. Schließlich in verschiedenen persönlichen Erlebniszusammenhängen, die der gleichen objektiven Erfahrung einen jeweils verschiedenen Sinn geben. Das gleiche Symbol mag für den Autor etwas anderes bedeuten als für den Betrachter. Und für den einen Betrachter etwas anderes als für den anderen (...) Es muß vielmehr überdeterminiert sein und zum Teil Ursprünge haben derer sich weder der Künstler noch das jeweilige Publikum voll bewußt sind." ( Arnold Hauser 1958.)

In diesen Zusammenhängen wird die Beschäftigung mit Okkultem und Forschung des Unbekannten sowohl zu einer verbreiteten Modeerscheinung als auch zu einer ernstzunehmenden Bewegung. Es sind die Blütenjahre von Mystizismus, Okkultismus und religiösem Dilletantismus. In der Zeit sehen viele Künstler den Okkultismus und die neusten Wissenschaften als gleichwertige Wege auf Ihrer Suche nach bislang unsichtbaren Realitäten. Die beiden Richtungen werden nicht mehr genau unterschieden. ,, Die Behauptung, die Grenzen unsres Wissens und unserer Beobachtung bestimmen die Grenzen der Realität, ist unwissenschaftlich," schreibt Camille Flamm-Marion, Astronom und Okkultist. Die Vorstellung von vierdimensionalem Raum aus n-dimensionalen Geometrien gelangt Ende 19.Jhd. in das Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit. Die vierte Dimension wird mit der idealistischen Philosophie als möglicher Ort von Platus` ,,Welt der Ideen" und Kants ,,Ding an sich" in Verbindung gebracht und sowohl in wissenschaftlichen als auch okkulten Zusammenhängen diskutiert.

In theoretischen Schriften in nahezu allen Bewegungen der Kunst spielt sie eine wichtige Rolle. ,, Die Kunst befindet sich außerhalb jeglicher Logik, außerhalb der dreidimensionalen Sphäre, sie bringt dem Menschen die geheimnisvolle vierdimensionale Welt näher... Die Kunst ist wie alles was aus der Emotion entsteht dem Wesen nach unlogisch." (Uspenski)

Die Idee der gegenseitigen Abhängigkeit alles Bestehenden in irdischen und kosmischen Maßstäben, und die Vielschichtigkeit der Welten leiten die Künstler zum Ziel, den Reichtum unbewusster Empfindungen des Künstlers darzustellen. In diesem Umfeld entsteht auch die Theosophische Bewegung, die für viele Künstler eine große Bedeutung annimmt und die ihre Lebensphilosophien und kreative Motivfindungen beeinflusst und leitet. 1874 trifft Colonel Henry Steel Oclott Helena Blawatsky, und ein Kreis von Wissenschaftlern, Anwälten, Ärzten, Predigern, Spiritisten und Journalisten versammelten sich um sie zu einer okkulten Vereinigung. Von Blawatsky eigentlich als Erneuerung der Maisonnerie, der Verbindung der Freimaurer gedacht, übernimmt die theosophische Gesellschaft bald ähnliche Verhaltensweisen und Regeln, wie Beschluss der Geheimhaltung, Erkennungszeichen und Teilung der Gesellschaft in drei ,,Kasten" - Meister, die Wissenden und die Einzuführenden. Die Zielsetzungen der Theosophen werden 1888 festgesetzt. Sie lauten: - Bildung eines Kerns der allgemeinen Bruderschaft der Menschen (Ethnie, Glaube, Hautfarbe, Geschlecht, gesellschaftliche Stellung sind unwichtig)

Da die Theosophie allen Religionen der Welt ein zu Grunde liegendes System von Wahrheiten hat, verkündet sie Lehren, die in allen Religionen vorkommen oder vorkamen. Auch lenkt sie ihre Blicke auf Heilige Schriften Indiens und der Kaballa. Dieser tolerante Standpunkt jeder Religion und Lebensphilosophie gegenüber vereinigt somit alle Lehren in ihrem Lehrsystem und erlaubt folglich jedem Theosophen eine eigene Methode zum Erwerb des Wissens vom Höheren auszuwählen, durch das Kombinieren oder Auswählen aus verschiedenen Religionen und anderen Glaubensrichtungen. Der Theosoph selbst sieht Theosophie nicht als Religion sondern als die Wahrheit, die hinter allen Religionen steht. Die Kombination aus Philosophie, Religion und Wissenschaft sollen Methoden zur Beschleunigung der Entwicklung des Körpers und Seele zu Vollkommenheit, also Loslösung von Materiellem weisen. Durch die Meister, die ihren Jüngern ihr Wissen weitergeben, sowie auch durch besondere bestimmte Übungen, durch die verborgenen Fähigkeiten entwickelt werden sollen, wird der Mensch selbst und die Menschheit allgemein zu einem höheren Niveau der geistigen Entwicklung aufsteigen, bis die ganze Menschheit die göttliche Stufe erreicht und in ihrem Ursprung aufgeht.

Die künstlerische Umsetzung theosophischer Denkweisen nimmt ab 1895 ganz unterschiedliche Züge an. Übergeordnete Denkweise als Leitmotiv erlaubt eine individuelle Gestaltungsweise der jeweiligen Kunstwerke, visuelle und konstruktive Elemente variieren also in ihrer Art und Bedeutung. Im Jahre 1888 findet sich in Paris unter geistiger Führung von Paul Serusier und Maurice Denise, beide Theosophen, die Künstlergruppe der Nabis (Hebräisch: die Erleuchteten) zusammen. Serusier doziert über esoterische und idealistische Philosophie und Literatur, Plautin und Pythagoras, Proportion und goldenen Schnitt: ,,Kunst ist eine universelle Sprache, die sich durch Symbole ausdrückt" Er verlangt erste, auf religiöse Ideen gegründete Kunst, von fester einfacher Zeichnung und einem expressivem Dekor der Farbe. Auch inhaltlich wollen sie die Kunst zu der Einfalt ihrer frühen Anfängen zurückführen, als ihre dekorative Bestimmung zu Schmuck und Anrufung eines Heiligen noch unbestritten war.

Der Synthetismus, also eine zusammenziehende Formvereinfachung um prägnantesten Ausdruck zu erreichen, Japonismus, Ideismus und Neotraditionismus von Maurice Denis führen zu Zusammenhängen mit ältesten Traditionen. Das Ägyptische, das Frühgriechische, das Gotische, die Traditionsströme der Volkskunst geben neue Impulse für Ideen und Gestaltung der Bilder der Nabis. ,,Nicht die Seelenzustände durch ein dargestelltes Thema ausrufen, sondern das Bildgefüge ist es selbst, das die Ergriffenheit vor einer anfänglichen Wahrnehmung übermittelt und ihr Dauer verleiht." (Maurice Denis) Der Gruppe gehören Pierre Bonnard, Roussel Vuillard, Vallotton und Maillol an. Während die älteren Maler des Symbolistenkreises - Puvis, Redon, Moreau mehr aus dichterischen Argumenten leben und ihre innere Erregung durch vorgeformte Formen ausdrücken, gebrauchen die Nabis mehr das Dekor des Bildes, die gesteigerte Harmonie der farbigen Formen und schwungvolle Arabesken, um den Ausdruck zu vermitteln, erklären sich weniger durch Thema und Sujet. Sie benötigen kein klares Motiv mehr, sie nehmen es nur als Anlass, um eine blühende Komposition und klangvollen Dekor zu verwirklichen. Senkrechte und Waagerechte verspannen das Muster in dem die Arabeske spielt, und Strenge im Bildaufbau bleibt erhalten.

So verbleiben die Symbolisten als keine einheitliche, lokalisierbare zusammenhängende Bewegung und der Symbolismus eines Moreau unterscheidet sich stark von dem Symbolismus eines Redon, der wiederum große Unterschiede zu dem von Böcklin aufweist. Sie alle jedoch verbindet ihre Zeit und die in ihren Bildern gefangene Atmosphäre, die bis heute ihre magische Wirkung nicht verloren hat. In Holzschnitten und Leinwandbildern, Allegorien und Landschaften stellten die symbolistischen Künstler die Konflikte ihrer eigenen Existenz, ihre Ängste und Verunsicherung in den Mittelpunkt ihrer Werke.

Im Gegensatz zur Strömung des Impressionismus, die zunächst als ausschließlich französisch betrachtet werden kann, lässt sich in der Bewegung des Symbolismus eine geographisch breitere Dimension erkennen. So finden sich die Wurzeln der symbolistischen Bewegung außerhalb Frankreichs. Zum einen hat die angloamerikanische Kultur, insbesondere durch Edgar Poe, Thomas Carlyle, Swinburn und der reformatorischen Künstlergruppe der Präraphaeliten einen großen Einfluss auf die Ausbildung der neuen Strömung. Darüber hinaus trägt auch die deutsche Kultur zum Entstehen des Symbolismus bei. Hier gilt es vor allem den Einfluss der deutschen Romantik durch Wagner und Schopenhauer zu erwähnen. Die spirituelle Ausprägung des Symbolismus hat ihren Ausgang im russischen Roman.

Die kosmopolitische Dimension der Bewegung lässt sich jedoch vor allem zu jener Zeit in Frankreich, insbesondere in Paris feststellen. Die französische Hauptstadt kann als Anziehungspunkt der symbolistischen Künstler verschiedener Nationen bezeichnet werden und somit ist bald erkennbar, dass viele Protagonisten des französischen Symbolismus ausländische Wurzeln besitzen. Als Beispiel lässt sich der Grieche Jean Moréas nennen, Verfasser des Manifests des französischen Symbolismus.[6] Darüber hinaus lassen sich Francis Vielé-Griffin und Stuart Merrill erwähnen.[7] Die beiden Amerikaner spielen eine große Vermittlerrolle zwischen Europa und Amerika. Auch Téodor Wyzewa, Dichter polnischer Herkunft, kann als Beispiel dienen. Er publiziert gemeinsam mit Édouard Dujardin die bekannte Zeitschrift La revue wagnérienne. Ein weiteres Indiz für die kosmopolitische Ausrichtung des französischen Symbolismus ist die Tatsache, das zwei Drittel der in französischer Sprache dichtender Symbolisten belgischen Ursprungs ist.

Neben der kosmopolitischen Atmosphäre in Frankreich lässt sich eine Ausdehnung der Bewegung auf viele europäische Länder erkennen – nicht immer wird die neue Stilrichtung jedoch mit dem Begriff Symbolismus betitelt. In Belgien spricht man beispielsweise vom Jeune Belgique, in Skandinavien vom Young Scandinavia.

Als eine wichtige Ursache für die rasche Ausbreitung der neuen künstlerischen Bewegung kann die Tatsache gelten, dass um die Jahrhundertwende in viele Länder ähnliche gesellschaftliche Umwälzungen erkannt werden können. Künstler und Literaten verschiedener Nationen erleben die Entwicklung der Technik, die Mechanisierung und die fortschreitende Industrialisierung und suchen nach einer geeigneten Ausdrucksform ihrer Erfahrungen. Der Symbolismus dient ihnen als künstlerische Lösung der aufkommenden gesellschaftlichen und politischen Probleme. Darüber hinaus suchen zu jenem Zeitpunkt viele Künstler nach einer neuen Ausdrucksform, da das künstlerische Schaffen oft nur noch eine Nachahmung von schon Geschaffenem darstellt. Die Strömungen dieser Zeit hatten sich selbst überlebt und so heißen Schriftsteller und Künstler den Symbolismus als Werkzeug gegen den Traditionalismus und Konservativismus willkommen.

Frankreichs Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, die wirtschaftliche Stagnation und die schlechte soziale Lage des Landes, bringen gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen „esprit de décadence“ hervor, aus dem eine literarische Bewegung entsteht. Es handelt sich nicht um eine Schule, die eine spezifische Gesellschaftstheorie vertritt, sondern um eine Betrachtungsweise, die sich durch „Naturfeindlichkeit, Künstlichkeit, Nervosität, Überfeinerung, krankhaft übersteigerte Reizempfänglichkeit, Schönheitskult […], Lebensüberdruß und Todessehnsucht, Hinfälligkeit, kurz: Verfall“ auszeichnet. Gestützt auf Théophile Gautiers Préface zu „Mme Maupin“ und „Fortunio“, die den Dekadenten später als Manifest ihrer Bewegung gelten wird, bildet sich eine Gruppe von Autoren heraus, die in dem Bewusstsein leben, sich in Zeiten politischen Untergangs zu befinden. Auch die unsichere wirtschaftliche und soziale Situation trägt zu der Niedergangsstimmung bei, die jeglichen Fortschrittsoptimismus der bürgerlichen Welt als Illusion auffasst.

Ursprünglich sollte der Begriff Dekadenz die neu entstandene Dichterbewegung abwerten, die den Verfall zum Thema ihrer Poesie macht und ihn darin als ästhetisch darstellt: „Die Literatur der Décadence hat die Faszination des sinkenden Lebens entdeckt: die Zauber der Welt im Licht des, soleil agonisant’, der sterbenden Sonne […]“. Doch die Poeten nehmen sich dieses Begriffes an und belegen ihn positiv, indem sie die Periode des politischen Untergangs als fruchtbare Schaffenszeit ansehen. Der Niedergang wird als Voraussetzung für Neues angesehen und somit wird die décadence zur „Quelle einer neuen Kunst“. Die positive Konnotation wird besonders von Baudelaire geprägt, für den der Dekadenzbegriff eine ehrende Bezeichnung einer „sensibilisierenden Kunst“18 darstellt. Durch ihn wird der Terminus immer mehr auf den literarischen Bereich übertragen, in welchem das Zeitgeschehen verarbeitet wird.

Das Verhältnis von Künstler und Publikum ändert sich in dieser Zeit, da der dekadente Autor nunmehr nur für sich schreiben soll. Anatole Baju, Herausgeber der Zeitschrift „Le Décadent“, erkennt denjenigen dekadenten Autoren an, der seiner eigenen Eingebung folgt, statt nach dem Geschmack des Publikums zu gehen. Auf der Grundlage der individuellen Intuition sollen die subjektiven Eindrücke wiedergegeben werden, wie sie empfunden werden. Die Aufgabe des Dichters besteht in der Suche nach seiner Vorstellung von Schönheit. Um diese auf individuelle Weise in Poesie verwandeln zu können, benötigt er Freiheiten in Form und Inhalt. Da die herkömmlichen sprachlichen Mittel für den nötigen Ausdruck des Unbewussten nicht exakt genug sind, suchen die Anhänger der Dekadenzbewegung nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, um die aus zeitgenössischer Sicht unkonformen Gedanken in ihrer Dichtung wiedergeben zu können. Die neuartige Sprache ist von Vieldeutigkeiten und Neologismen geprägt. Die ästhetische Form der Poesie wird in melodischen Klängen und neuen Rhythmen gesucht, die die traditionellen Regeln der Lyrik durchbrechen. Der freie Vers löst traditionelle Gedichtsformen mit vorgegebener Struktur wie das Sonett ab.

Die neuen Schaffensformen bestehen in einem ersten Schritt darin, sich aus der gefestigten Formenstrenge der parnass'schen Lyrik herauszulösen. Die Dichtergruppe des Parnass, die als einflussreichste Schule der Zeit auch Verlaines erstes Werk prägt, verschrieb sich der strengen Versform und der Ästhetik. Ihre Kunst sollte zwecklos und nur um ihrer selbst Willen bestehen, was ihnen von den Dekadenten den Vorwurf einbrachte, sie verträten „l’art de parler pour ne rien dire.“ Dieses Konzept der L ’ Art pour l ’ Art , das auf Théophile Gautier zurückgeht, verfolgt keinerlei politische oder gesellschaftliche Interessen und ist frei von religiösen und moralischen Normen. Die décadence hingegen ist sehr wohl sozio-politischer Natur und rebelliert gegen das Bürgertum, indem es sich auf literarischer Ebene den anerkannten Formen und Ausdrucksmöglichkeiten nicht anpasst.

Durch die nicht zu akzeptierende Lebenssituation, die von Überdruss und einem Gefühl des Unverstandenseins seitens der dekadenten Poeten gezeichnet ist, stehen melancholische Gedichte, die den Rückzug in die eigene Gedankenwelt suchen. Es werden ästhetische Kunstwelten geschaffen, die oft dem Okkultismus nahe stehen und nicht selten sadistische und satanistische Motive enthalten, wobei letzteres auf die Abwendung der Dekadenten vom christlichen Glauben verweist. Das Fehlen der göttlichen Existenz spielt für die neue Definition des Lyrischen Ichs eine große Rolle. Die antibürgerlichen Welten entstehen als Kehrseite des Alltags in der Konsequenz aus der Ablehnung der gesellschaftlichen Werte. Die Reise ist daher ein häufiges Motiv der poésie décadente, das z.B. in Verlaines „Paysages belges“ zu finden ist.

Als Inkarnation des Dekadenten gilt der Dandy, der in seinem Auftreten als Gentleman seinen Lebenszweck findet. Er verkörpert den „Versuch durch Hypertrophierung der aristokratischen äußeren Formen die neue bürgerliche Gesellschaft ad absurdum zu führen.“ Als ein solcher Exzentriker gilt Huysmans adliger Romanheld Des Esseintes, der in „A Rebours“ oft „la Bible du décadentisme“ genannt, vor seinem realen Leben flieht, da er das Bürgertum mit seinem Ehrgeiz und Streben nach Erfolg und finanzieller Absicherung ablehnt. Er konzentriert sich in der Folge nur auf sich selbst.

Der Begriff Dandy kam Mitte des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts auf und bezeichnet nach Friedrich Kluges etymologischem Wörterbuch „junge Leute, die in auffälliger Bekleidung Kirche oder Jahrmarkt besuchen“.

Im Gegensatz zum Macaroni, der die Mode der südlichen Länder nachzuahmen versucht, zum Beau oder zum deutschen Pendant, dem Stutzer, verabscheut der britische Dandy alles Grelle, Laute, Parfümierte. Er ist gelegentlich ein Snob. Er kultiviert seine Kleidung, sein Auftreten, auch Witz und Bonmot. Die originelle, aber jederzeit passende, elegante Kleidung zum sport (Zeitvertreib), kombiniert mit den formvollendeten Manieren eines Gentlements, wird zum einzigen Lebenszweck erhoben. Die Niederungen anstrengender Erwerbsarbeit passen hingegen nicht zum großstädtischen, blasierten, echten Dandy.

Berühmte Vertreter waren Beau Brummel, Beau Nash, Chales Baudelaire, Lord Byron, Casanova, der Fürst Hermann von Pückler-Muskau, Benjamin Disraeli, später auch die Vertreter des Ästhetizismus wie Oscar Wilde. Einer der bekanntesten Dandys des 20. Jahrhunderts war der Prince of Wales (kurzzeitig König Eduard VIII.), späterer Herzog von Windsor. Auch der US-amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe tritt mit seinen typischen weißen Anzügen als moderner Dandy auf. In Deutschland erfuhr der Dandyismus in den 1990er Jahren eine Aktualisierung durch Vertreter der Popliteratur wie Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre.

Im 18. Jahrhundert lehnten die Engländer die französische Hofkultur zunehmend ab. Das neue Körperbewusstsein, das sich durch die Beschäftigung mit antiker Plastik herausbildete, fand seine Umsetzung in der Schneiderei. Diese Einflüsse ließen den modernen Herrenanzug entstehen, der körpernah geschnitten die V-Silhouette des Mannes hervorhob und der meist aus festem Stoff in gedeckten Farben bestand und bis heute besteht.

Dieser Anzug wurde von Beau Brummell auf die Spitze getrieben, der als erster Vertreter des Dandytums gilt. Er propagierte bereits die neue Schlichtheit, als adlige Kreise noch ganz der höfischen französischen Mode folgten. Viele Legenden ranken sich um seine Person. So soll er seine Handschuhe stets von zwei verschiedenen Fabrikanten herstellen haben lassen, einer für die Daumen, die er besonders geschickt zu gebrauchen verstand, ein anderer für die Finger. Er wechselte, entgegen den Gepflogenheiten seiner Zeit, mehrmals täglich seine Wäsche, dabei verachtete er Schmuck und Parfüm. Den Aufwand, den er trieb, sah man nicht auf den ersten Blick, umso argwöhnischer wurde er von Zeitgenossen betrachtet. Er endete im Irrenhaus von Caen, nachdem er sein geerbtes Vermögen verausgabt hatte und von Gläubigern verfolgt wurde. Anekdoten und Aufsätze über Beau Brummell sind von Baudelaire, Fürst Pückler, Beerbohm und Virgenia Woolf überliefert.

Die Ästhetizisten öffneten die von bürgerlicher Enge und vom Moralismus geprägte viktorianische Gesellschaft für eine neue Sinnlichkeit in Farben und Formen. Sie bekämpften den herrschenden Geschmack des mainstream mit ritualisirter Ästhetik. Viele Dandys waren Künstler, Dichter oder Essayisten und vertraten ihren Stil auch literarisch. Dandyismus ist eine Lebenseinstellung, zu der Selbstinszenierung, Schlagfertigkeit sowie ein eher ungezwungenes Verhältnis zum Geld (viele hatten Spielschulden) gehören. Ebenfalls wichtig ist die Unabhängigkeit von bürgerlichen Zwängen wie Lohnarbeit oder Ehe.

Der Dandy Wildescher Prägung ist ein typisches Phänomen des fin de siecle. Seiner Lebensphilosophie liegt die Annahme zugrunde, dass die Welt in ihrer Ordnung schlecht und zum Untergang bestimmt ist. Politisches oder soziales Engagement, selbst die Einhaltung der bürgerlichen Normen sind daher nicht nur sinnlos, sondern geradezu Ausdruck (klein)bürgerlicher Dumpfheit. Den Sinn, den er im Leben vermisst, kompensiert der Dandy durch die Form, die er seinem Selbst gibt, durch narzisstische Inszenierung. Er stilisiert sich zum decadent und genießt das Gefühl, damit zur Avantgarde zu gehören.

Im ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts hatte sich in England ein wahrer Kult des Ästhetizismus entwickelt. Aufgrund verschiedener historischer Ursachen, die hier nicht weiter besprochen werden sollen, kam es in herrschenden Kreisen zu Luxusbedürfnissen die schließlich zur Anbetung des Schönen in Mode, Kunst und Literatur führten.

Oscar Wilde (1854-1900) war einer der bedeutendsten Vertreter und sogar die führende Figur des Ästhetizismus und der Dekadenz-Bewegung des Fin de Siècle in England, die in den achtziger und neunziger Jahre ihren Höhepunkt erreichte. Dabei verdankte er diese Rolle weniger seinem literarischen Werk, als vielmehr seiner Lebensweise als Dandy und exentrischer Plauderer sowie seinem amoralischen Lebenswandel, der schließlich Anstoß erregte und ihn ins Gefängnis führte.

Wilde hinterfragte das Wirklichkeitsverständnis der Religion, der Wissenschaft, der Natur und des Lebens und schuf damit erste Ansätze einer neuen Kunst- und Weltauffassung, die Horstmann mit den Begriffen des „Ästhetizismus und Dekadenz“ bezeichnet hat. Unter den Widersprüchen und der Hohlheit seiner Zeit leidend empfand er diese als Zeichen einer niedergehenden Welt: „Fin de siècle“ (frz.: Ende des Jahrhunderts) und „Fin du globe“ (frz.: Ende der Welt). Seine Reaktion als Ästhet war die Flucht aus der bedrückenden Wirklichkeit in das Reich der Kunst. Dabei ersetzte Ästhetik die Moral und ethische Werte lösten sich in Geschmacksurteile auf. Aus gut und böse wurde schön und hässlich und zum Maßstab seiner ästhetischen Lebensgestaltung wurde der Stil. Der Künstler wird zum Schöpfer aller Dinge, das Leben ein Kunstwerk und jeder Mensch ein Künstler. Sein Dandytum, „das Paradoxon in der Sprache der Kleidung“, war der Versuch einer künstlerischen Lebensumwertung. Seine daraus resultierende ästhetische Weltsicht fasste er in die Worte zusammen: Durch Kunst und nur durch Kunst erreichen wir Vollkommenheit. Durch Kunst und nur durch Kunst entgehen wir den grauenhaften Gefahren des Alltags.

In seinem 1891 erschienenen einzigen Roman, Das Bildnis des Dorian Gray, thematisiert er durch alle Kapitel hindurch die Frage der Wechselwirkung zwischen Kunst und Leben sowie Kunst und Moral, indem er seine Protagonisten in langen Gesprächen darüber diskutieren lässt. Er vollführt in seiner literarischen Figur des Dorian Gray die Gestaltung des eigenen Lebens als Kunstwerk, womit seine Kunst-Philosophie zum Bildnis wird und Gestalt annimmt.

Steckt hinter diesem Impuls ein tieferes Weltverständnis oder sogar eine Erkenntnistheorie oder ist darin lediglich eine Fluchtbewegung aus der dekadenten Gesellschaft seiner Zeit zu sehen? Dazu werden die Begriffe „Ästhetizismus“ und „Dekadenz“ in Verbindung mit dem „fin de siècle“ genauer untersucht, die Rezeption der Idee des „l'art pour l'art“ und die intertextuellen Bezüge zu Théophile Gautier. Zum genaueren Verständnis seines Kunstbegriffes und der daraus resultierenden ästhetischen Weltsicht ist es darüber hinaus notwendig, weitere Werke Oscar Wildes hinzuzuziehen.

Die Begriffe „Ästhetizismus“ und „Dekadenz“ werden meistens im Zusammenhang mit dem „fin de siècle“ und der „Dekadenzdichtung“ benutzt, entstanden in der Romantik und beschreiben die kulturelle oder geistige Haltung am Ende des 19. Jahrhunderts. Die in der Romantik entstandene frühe Form des Ästhetizismus kann als Reaktion auf die Aufklärung und ihrem Primat der Vernunft verstanden werden.

In gehobener Umgangssprache ist Ästhetizismus eine Kunstanschauung und Lebenshaltung, die im Schönen den höchsten Wert sieht und Ethik, Moral, Erkenntnis, Religiosität und Soziales dem „Schönen“ untergeordnet. Zugleich beschreiben beide Begriffe eine Kunstrichtung, die sich gegen den politischen Nutzen von Kunst richtete und sich als Gegenbewegung zum Naturalismus, der die Wirklichkeit so abbildet, wie sie ist, verstand. Der aus dem Englisch-Schottischen stammende Begriff des Dandy bezeichnet den Ästhetizismus als Lebensform.

Als wegweisend für die Bewegung des Ästhetizismus wird der französische Autor Théophile Gautier (1811-1872) angesehen, der in seinem 1834 verfassten Vorwort zu seinem Roman Mademoiselle de Maupin (1835) die Idee des l'art pour l'art (Kunst um der Kunst willen) entwarf und vertrat, dass Kunst völlig zweckfrei zu sein habe. Dadurch wurde die Idee aufbereitet und einem breiten Publikum zugänglich. Gautier formulierte diesen Gedanken ausführlich in seinem Artikel Über das Schöne in der Kunst (1848):

L´art pour l´art bedeutet nicht Form um der Form willen, sondern Form um des Schönen Willen, frei von jeder fremden Idee, von jeder Nebenabsicht zugunsten irgendeiner Doktrin, frei von jedem unmittelbaren Nutzen. Er provozierte seine Leser in seinem Vorwort zu Mademoiselle de Maupin mit den Worten: Ich würde voller Freude auf meine Bürgerrechte als Franzose verzichten, um ein echtes Gemälde von Raffael oder eine schöne nackte Frau zu sehen – die Prinzessin Borghése zum Beispiel, als sie für Canova Model saß, oder Giulia Grisi, wie sie ins Bad steigt.

Neben der gezielten Provokation zeigt sich darin jedoch ein Bekenntnis zu einer bestimmten Form der Sinnlichkeit. „Die Vergöttlichung des menschlichen Körpers und die Heiligung der Schönheit war immer das Ziel der Malerei und Skulptur gewesen“, schrieb Gautier in seinem Salonbericht von 1837. Plechanow sah darin „die Idealisierung der Verneinung der bürgerlichen Lebensweise“, die aus dem Zwiespalt zwischen den Künstlern und dem sie umgebenden gesellschaftlichen Milieu entstanden ist.

Die antiken Formen mit ihrer ästhetisierten Sinnlichkeit entsprachen ganz Gautiers Geschmack und inspirierten ihn zu Dichtungen wie zum Poème de la femme in den Emaillen und Kameen, die Wilde in seinem Roman zitiert. Gautier überführte, so Peters, „die Romantik in die Kunstauffassung des l'art pour l'art“. Der Begriff der Schönheit wurde von ihm einzig dem Zweckfreien zugeordnet und alles Nützliche als hässlich bezeichnet. Auch der zehn Jahre jüngere Charles Baudelaire (1821-1867) ließ keinen Zweifel an seinem Kunstverständnis, als er hinter der Titelseite seines epochemachenden Gedichtbandes Les Fleurs du Mal (die Blumen des Bösen) schrieb:

Dem vortrefflichen Dichter, dem vollendeten Zauberer der französischen Literatur, meinem sehr teuren und sehr verehrten Meister und Freund Théophile Gautier, widme ich - mit dem Ausdruck tiefster Ergebenheit - diese krankhaften Blumen.

In den 1870er Jahren wurde diese Idee zum Programm einer französischen Kunsttheorie, die besonders von den sogenannten Parnassiens[14] vertreten wurde. Ihnen diente vor allem die berühmte Gedichtsammlung Gautiers, die Émaux et camées („Emaillen und Kameen“, 1852), als Vorbild. Wilde lässt Dorin Gray wörtlich eine Stelle aus den Camées lesen (14, S. 184), unmittelbar nachdem er Basil Hallward ermordet hatte. Neben verschiedenen Anspielungen und Zitaten aus den Camées wird Gautier in Das Bildnis des Dorian Gray wörtlich viermal erwähnt.

Etwa zeitgleich zur Entstehung von Wildes Roman lieferte Friedrich Nietzsche (1844-1900) eine theoretische Grundlage für einen emanzipatorischen Ansatz der Kunst. In Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) sprach Nietzsche von „der Kunst als der höchsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen Tätigkeit dieses Lebens“ und erklärte: „Nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt.“ Damit spielte er eine zentrale Rolle als Kritiker der europäischen Dekadenz. Trotzdem betrachtete Nietzsche das l´art pour l´art als Symptom einer „europäischen Krankheit“ und behandelte in seiner Götzendämmerung die Kunstautonomie skeptisch indem er schrieb: L´art pour l´art. – Der Kampf gegen den Zweck in der Kunst ist immer der Kampf gegen die moralisierende Tendenz in der Kunst, gegen ihre Unterordnung unter die Moral. L´art pour l´art heißt: „der Teufel hole die Moral!“ – Aber selbst noch diese Feindschaft verrät die Übergewalt des Vorurteils. Wenn man den Zweck des Moralpredigens und Menschenverbesserns von der Kunst ausgeschlossen hat, so folgt daraus noch lange nicht, dass die Kunst überhaupt zwecklos, ziellos, sinnlos, kurz l´art pour l´art – ein Wurm, der sich in den Schwanz beißt – ist.

Bei tieferer Betrachtung sind die Begriffe Ästhetizismus und Dekadenz allerdings schwierig zu definieren, nicht klar voneinander abzugrenzen, überschneiden und beeinflussen sich gegenseitig. Während Horstmann in beiden Begriffen Kategorien sieht, sehen andere darin eine parallel verlaufende Strömung der Literatur und betrachten die Dekadenz als Folge des Ästhetizismus oder als eine der Strömungen des Ästhetizismus]. Nach Horstmann ist das auffälligste Charakteristikum des Ästhetizismus die Verweigerung gesellschaftlicher Erwartungen und Normen hinsichtlich Religion, Sexual- und Verbotsmoral oder die Forderung nach Humanismus und Wahrhaftigkeit, wofür das Leben und Werk Oscar Wildes Beispiel par exellence ist. Er definierte die Kunst über ihre Nicht-Übereinstimmung mit der Wirklichkeit: „Art begins with the abstract decoration, with purely imaginative and pleasurable work dealing with what is unreal and non-existent“.

Zweifellos war Oscar Wilde eine Hauptfigur der Ästhetizismus- und Dekadenz-Bewegung des Fin de Siècle in England. Sein Vorwort zu Das Bildnis des Dorian Gray wurde zu einer Art Manifest des Ästhetizismus. Die Gespräche der Protagonisten des Romans über die Frage der Wechselwirkung zwischen Kunst, Leben und Moral durchziehen alle Kapitel. Wilde führt immer wieder geschickt Betrachtungen über die Kunst und das Schöne ein und stellt intertextuelle Bezüge zu Théophile Gautier her. Im Gespräch mit dem Maler Basil Hallward resümiert Dorian Gray: War es nicht Gautier, der einst über die ‚Consolation des Arts‘ schrieb? Ich erinnere mich, dass ich eines Tages in Ihrem Atelier ein kleines, in Pergament gebundenes Buch aufnahm und zufällig auf diesen köstlichen Satz stieß. Nun, ich bin nicht mehr wie jener junge Mann, von dem Sie mir erzählten, als wir zusammen in Marlow waren, jener junge Mann, der behauptete, gelber Atlas könne einen für alle Missgeschicke im Leben trösten. Ich liebe schöne Dinge, die man anfassen und benutzen kann. Alte Brokate, grüne Bronzen, Lackarbeiten, Elfenbeinschnitzereien, eine erlesene Umgebung, Luxus und Pracht, all das vermag einem viel zu geben. Aber die künstlerische Stimmung, die sie erzeugen oder auf jeden Fall offenbaren, bedeutet mir mehr. (9, S. 126 f.)

Im elften Kapitel wird geschildert, wie Dorian Gray als „wahre Verkörperung eines Typs“ angesehen wird, „der etwas von der echten Kultur des Gelehrten mit der ganzen Anmut, Vornehmheit und den vollendeten Manieren eines Weltbürgers verband. Er schien ihnen zu der Gemeinschaft jener zu gehören, von denen Dante sagt, ‚sie suchen‚ sich zu vervollkommnen durch die Verehrung der Schönheit‘. Wie Gautier war er einer, für den die sichtbare Welt existiert. Und zweifellos war für ihn das Leben selbst die höchste, die bedeutendste aller Künste, für die alle anderen Künste nur eine Vorbereitung zu sein schienen.“ (11, S. 146 f.) Als Beispiel für seine erlesene Ästhetik sei hier exemplarisch geschildert, wie Dorian Gray „ein- oder zweimal monatlich im Winter und an jedem Mittwochabend in der Saison“ sein Haus der Welt öffnete. Er ließ dazu …seine Gäste von den berühmtesten Musikern des Tages mit den Wundern ihrer Kunst bezaubern. Seine kleinen Diners, bei deren Vorbereitung ihm stets Lord Henry behilflich war, zeichneten sich ebenso durch die sorgfältige Auswahl und Sitzordnung der Geladenen aus wie durch den erlesenen Geschmack, der sich in der Tischdekoration mit ihren fein abgestimmten Arrangements exotischer Blumen, ihren gestickten Tafeldecken und ihrem alten Gold- und Silbergeschirr offenbarten.“ (11, S. 146) Er selbst wird zum Kunstwerk und zelebriert sein Dandytum.

Die Mode, durch die das wirklich Launenhafte für einen Augenblick allgemein wird, und das Dandytum, das auf seine Weise ein Versuch ist, die absolute Modernität der Schönheit zu verfechten, hatten natürlich ihren Reiz, für ihn. Seine Art sich zu kleiden und der besondere Stil, den er von Zeit zu Zeit bevorzugte, übten einen bemerkenswerten Einfluss auf die jungen Herren von Welt aus, welche die Mayfair-Bälle und die Fenster des Pall-Mall-Klubs bevölkerten und ihn in allem nachahmten, was er tat und den zufälligen Reiz seiner anmutigen, von ihm nicht ganz ernst genommen Modetorheiten ebenfalls hervorzubringen suchten. (11, S. 147)

Indem er in seinem Roman die Figur des Dorian Gray und die Welt nach ausschließlich ästhetischen Kriterien beurteilt, führt er eine konsequente Darstellung eines amoralischen Ästhetizismus durch. Dorian setzt sich darin über moralische Richtlinien hinweg zugunsten von ästhetischen Grundsätzen, denn die Gesellschaft fühlt instinktiv, wie er meint: „dass Manieren wichtiger sind als Moral, und nach ihrer Ansicht ist die höchste Ehrbarkeit viel weniger wertvoll als der Besitz eines guten Kochs.“ (11, S. 161)

Doch was auf den ersten Blick wie eine Huldigung eines ästhetischen Lebensentwurfes aussieht, enthält doch eine moralische Verurteilung des Ästhetizismus. Nach Köster stellt die Konstruktion des Romans in eine moralische Verurteilung des Ästhetentums dar, weil „der Leser eine ästhetische Lebensform dargeboten bekommt, die vor allem moralisch abstoßend wirkt“. Dorian, als unmoralischer Ästhet, altert körperlich nicht, während stattdessen sein gemaltes Abbild die Anzeichen seines Alters und seines unmoralischen Lebensstils zeigt.

Damit thematisiert Wilde den Widerspruch und die Frage der Vereinbarkeit zwischen Ästhetik und Moral. Natürlich vernachlässigt eine radikal ästhetizistische Weltsicht unweigerlich moralische Wertmaßstäbe und Moral. Den Primat der moralischen Wertmaßstäbe innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung brachte Seeba auf die Formel: „Weil die Welt nun einmal ‚moralisch’ sein muss, darf es in ihr nicht nur ‚ästhetisch’ zugehen“.

Köster vertritt die Auffassung, der Wildes Roman basiere „auf der Annahme, es gebe einen Parallelismus von moralischer und ästhetischer Erscheinung“ und die hässliche Erscheinung Dorians auf dem Bild wird als Folge eines rein auf ästhetischen Maßstäben beruhenden Lebens interpretiert. Indem der Roman Ästhetizismus als Verfehlung gegenüber moralischen Grundsätzen bewertet, so Köster, sei er „bei aller beschriebenen Unmoral, eine höchst moralische Geschichte“[

Schon der Name „Dorian" bezieht sich einerseits auf das hellenistische Schönheitsideal dorischer Kunstwerke und verweist auf die dorische (homoerotische) Knabenliebe. Das lebensechte Porträt erinnert an den göttlichen Schöpfungsakt selbst, wobei hier Basil Hallward derjenige ist, der Dorian Gray nach seinem Bilde schafft. Entsprechend ist der Name des Malers vom Autor gewählt: „Basil" leitet sich vom griechischen „basileus", dem Wort für "König" ab. Der noch „unbefleckte“ Jüngling dient ihm als Leinwand zur Darstellung seiner eigenen Lebensmaximen, worauf wiederum der Nachname „Gray" hinweist: Die „reine Seele“ von Dorian ist noch farblos und grau. Die dekadente, sinnentleerte und gottlose Welt, die für Wilde jeder allgemeingültigen Wahrheit entbehrt, ist für ihn nur noch als ästhetisches Phänomen denkbar. Wahrnehmung wird zur losen Abfolge subjektiver Projektionen und zum Ausdruck von Nervenreizen und Stimmungen. Deshalb lässt er Lord Henry sprechen: „Das Leben ist eine Sache von Nerven, Fasern und langsam aufgebauten Zellen, in denen sich das Denken verbirgt und die Leidenschaft ihre Träume hat. Du magst dich sicher fühlen und dich für stark halten. Doch ein zufälliger Farbton in einem Zimmer oder am Morgenhimmel, ein bestimmtes Parfum, das du einmal geliebt hast und das subtile Erinnerungen weckt, eine Zeile aus einem vergessenen Gedicht, auf das du wieder gestoßen bist, eine Kadenz aus einem Musikstück, das du nicht mehr gespielt hattest - ich sage dir, Dorian, von solchen Dingen hängt unser Leben ab.“ (19, S. 240).

Viele der hier genannten Motive, wie die Flucht ins eigene Innenleben und der Mystizismus sind auch Teil der Poesie der Symbolisten, bei denen dieser Roman ebenfalls Anklang fand. Wie Des Esseintes fühlen sich die jungen Poeten des fin de siècle von der Gesellschaft in ihrer negativen Grundhaltung und mit ihren neuen literarischen Formen nicht verstanden und bezeichnen sich auf der Basis von Verlaines „Les Poètes Maudits“ (1884) als verfemt. Sie Kunstideal leben. Sie ziehen sich in ihr Schreiben zurück, da sie jegliches Engagement auf politischer Ebene ablehnen und flüchten so vor dem ennui, den die bürgerliche Welt für sie darstellt („Dans ce désert d’ennui qu’était la société bourgeoise aux yeux de ces anachorètes tourmentés par le seul démon de l’écriture […]“).

Der Dekadente bleibt Zuschauer statt Handelnder des Geschehens zu werden, und so entsteht ein nie da gewesener Abstand zwischen Gesellschaft und Poet. In der Lyrik schlägt sich der Beobachterstatus im effacement du je nieder, d.h. das Lyrische Ich wird nicht mehr explizit genannnt. L ’ ennui, dieses Gefühl von Erschöpfung und Verlorensein rührt von der Monotonie des allzu seichten Lebens her, d.h. von der „existence sans relief, sans épaisseur, sans caractère“37 an der die Dekadenten leiden. Der ennui führt zur Lethargie, und nimmt als „ mal de siècle “die Dimension einer mentalen Krankheit an. Das pessimistische Lebensgefühl, aus dem kein Ausweg zu finden ist, zieht sich durch das gesamte Schaffen des Dichters: „C’est par abscene d’intérêt, parce qu’ayant sondé le fond des choses il n’a trouvé que le vide, […] il se réfugie […] en prétendant qu’il n’y a rien qui vaille la peine d’être vécu.“

Aus der Einstellung, gemäß derer alles Handeln vergebens sei, lässt sich der Glaube an die Determiniertheit schließen. Besonders anschaulich wird das fatale Gefühl der Leere in Marthe Roberts Betrachtungen über sein Leben beschrieben, das von dem ennui bestimmt ist: „Cet avenir par avance vidé de toute valeur caractérise bien le vécu de l’ennuyé, ce présent sans présence.“

Viele der hier genannten Motive, wie die Flucht ins eigene Innenleben und der Mystizismus sind auch Teil der Poesie der Symbolisten, bei denen dieser Roman ebenfalls Anklang fand. Wie Des Esseintes fühlen sich die jungen Poeten des fin de siècle von der Gesellschaft in ihrer negativen Grundhaltung und mit ihren neuen literarischen Formen nicht verstanden und bezeichnen sich auf der Basis von Verlaines „Les Poètes Maudits“ (1884) als verfemt. Sie Kunstideal leben. Sie ziehen sich in ihr Schreiben zurück, da sie jegliches Engagement auf politischer Ebene ablehnen und flüchten so vor dem ennui, den die bürgerliche Welt für sie darstellt („Dans ce désert d’ennui qu’était la société bourgeoise aux yeux de ces anachorètes tourmentés par le seul démon de l’écriture […]“).

Der Dekadente bleibt Zuschauer statt Handelnder des Geschehens zu werden, und so entsteht ein nie da gewesener Abstand zwischen Gesellschaft und Poet. In der Lyrik schlägt sich der Beobachterstatus im effacement du je nieder, d.h. das Lyrische Ich wird nicht mehr explizit genannnt. L ’ ennui, dieses Gefühl von Erschöpfung und Verlorensein rührt von der Monotonie des allzu seichten Lebens her, d.h. von der „existence sans relief, sans épaisseur, sans caractère“37 an der die Dekadenten leiden. Der ennui führt zur Lethargie, und nimmt als „ mal de siècle “die Dimension einer mentalen Krankheit an. Das pessimistische Lebensgefühl, aus dem kein Ausweg zu finden ist, zieht sich durch das gesamte Schaffen des Dichters: „C’est par abscene d’intérêt, parce qu’ayant sondé le fond des choses il n’a trouvé que le vide, […] il se réfugie […] en prétendant qu’il n’y a rien qui vaille la peine d’être vécu.“

Aus der Einstellung, gemäß derer alles Handeln vergebens sei, lässt sich der Glaube an die Determiniertheit schließen. Besonders anschaulich wird das fatale Gefühl der Leere in Marthe Roberts Betrachtungen über sein Leben beschrieben, das von dem ennui bestimmt ist: „Cet avenir par avance vidé de toute valeur caractérise bien le vécu de l’ennuyé, ce présent sans présence.“

Die Dekadenz ist „eine in ganz Europa verbreitete literarische Strömung im Ausgang des 19. Jahrhunderts, in der menschliches Leben vornehmlich unter dem Aspekt des Verfalls und Niedergangs betrachtet wird.“ In diesem Sinne soll Dekadenz im Weiteren verstanden werden. Der Begriff wird somit auf einen bestimmten Zeitabschnitt festgelegt und wird nicht als geistliche Strömung allgemein verstanden, die bereits vor dem Ende des 19. Jahrhunderts existierte. In Übereinstimmung mit dieser Definition steht der auf Individualismus und Pessimismus aufbauende „esprit fin de siècle, auf den Heistein verweist. Der esprit gilt ihm jedoch nicht als Synonym für Dekadenz. Im Gegensatz dazu benutzt Prill den Dekadenzbegriff sehr wohl gleichbedeutend zur Bezeichnung fin de siècle , obwohl jener nur einen Teil der verschiedenen Stimmungen und Strömungen ist, die sich zu Ende des Jahrhunderts bildeten.

Die Strömung muss in Bezug zu anderen Epochen betrachtet werden, um den Begriff einzugrenzen. Die Bewegung ist in Abgrenzung zur Spätromantik, dem Parnass oder als Gegenbewegung innerhalb des fin de siècel zu sehen: Die décadence als eine intellektuelle Revolte, die sich gegen den Materialismus der Zeit und den Positivismus der Wissenschaft richtete.

Statt auf wissenschaftliche Untersuchungen zurückzugreifen, soll die neue Kunst aus dem Unbewussten hervorgehen. Die Intuition gilt als neue Quelle, die das literarische Schaffen antreibt. Für die Poesie impliziert dies eine subjektive Sichtweise, durch die der Dichter alles Erlebte filtert. Die Umwelt wird so in individueller Weise von dem Künstler durch sich selbst gesehen und damit wird „das Individuum selbst zum Thema seiner Suche“. Das bedeutet, dass der Poet sich auf sich selbst konzentriert und so rücken Gefühle, Herz und Seele statt Ratio und Wissenschaft in den Vordergrund. Traum und Mysterien werden wichtige Elemente der Poesie als Sphären der Dimension des Unbewussten, bzw. Unfassbaren.

Allgemein mit Niedergang oder Verfall übersetzt, deutet das Wort décadence selbst auf die pessimistische Haltung hin, die die Dekadenten einnahmen. Die neuartigen Gedichte waren geprägt von Finsternis und Sehnsucht, wobei die dekadenten Dichter selbst das Besondere ihres Stils kaum zu analysieren oder zu erklären versuchten: „Le décadisme s’est forgé une esthétique origniale en peu d’années, mais sans la formuler.“ Für Warning und Wehler entspricht diese Tatsache dem esprit, der hinter der Bewegung steht, denn da die Suggestionen an die Stelle von Beschreibungen treten soll, muss auch die Poetik unbestimmt bleiben. Diese Idee lässt sich treffender auf die symbolistische Poetik anwenden, wie später zu zeigen sein wird, doch übertragen die Autoren sie auf die Dekadenz: „Nicht anders findet die Poetik der Décadence […] nur mehr in einer höchst bildhaften, selbst wiederum poetischen Sprache Ausdruck.“ Aus den zahlreichen Motiven der Dekadenz lassen sich bestimmte Komponenten hervorheben, um die Bewegung zu charakterisieren und zu definieren. Carter gilt der Aspekt der exotischen Sexualität als so bemerkenswert, dass er ihn zum wichtigsten Definitionsmerkmal seines Dekadenzbegriffes macht. Ebenso lässt dieser sich aber als spezifische ästhetische Form begreifen. Diesen Definitionen ist gemein, dass sie einen bestimmten Gesichtspunkt der Strömung hervorheben, aber durch den Abgrenzungsversuch unvollständig sind.

Eine ausführliche begriffliche Einschränkung, die ebenfalls eine bestimmte Komponente unterstreicht, findet sich bei den von Fick vorgestellten Ansätzen, die sich in verschiedenen Varianten auf das Kranke, welches das Wort Dekadenz impliziert, konzentrieren. Hervorgehoben wird vor allem die übersteigerte Reizempfindsamkeit des dekadenten Künstlers, wie nun kurz erläutert wird: Koppen definiert die Dekadenz in der Ablehnung der bürgerlichen Werte wie dem Streben nach Sicherheit und Wohlstand, dem Glaube an den Fortschritt durch Forschung, sowie Sitten und Moral. Statt sich an die Gesellschaft anzupassen, nimmt man im Gegenzug eine den bürgerlichen Normen entgegenstehende, pessimistische Haltung ein. Man schafft sich Kunstwelten, in die man sich flüchten kann, und in der die herkömmliche Bedeutung von krank und gesund umgedreht wird. Das Kranke - „ein Schwelgen im Abnormalen und Kranken, wozu auch die übersteigerte Reizempfänglichkeit und Verfeinerung der Empfindung gehören; Naturfeindlichkeit, die in sexueller Perversion gipfelte.“ - wird also nicht nur betont, sondern ins Positive gekehrt. Durch Neurosen, Neurasthenie und Überreiztheit sollen verfeinerte Wahrnehmungen möglich sein. Krankhafte Zustände gelten Rasch als Symptome von Degeneration. Künstliche Paradiese und sexuelle Perversion gelten ihm als nötiger Ausgleich zu einem krankhaften Zustand.

Die bezeichnensten Auswirkungen hat der französische Symbolismus auf die belgischen, russischen, englischen und deutschen Künstler. In Deutschland spielen vor allem die drei Dichter Stefan George, Hugo von Hoffmannsthal und Rainer Maria Rilke eine herausragende Rolle. Bezüglich des englischen Symbolismus ist die schon erwähnte Künstlergruppe, die Präraphaeliten, der Schriftsteller John Ruskin sowie Arthur Symons hervorzuheben. Letzterer breitet den französischen Symbolismus mit seiner Studie The Symbolist Movement in Literature bis nach Japan aus.

Der französische Symbolismus beeinflusst des Weiteren das Goldene Zeitalter in Russland. Der Dichter Valéry Brioussov entdeckt Charles Baudelaire, Paul Verlaine sowie Maurice Maeterlinck und führt die franko-belgische Bewegung in Russland ein. Darüber hinaus gilt es Alexandre Blok zu erwähnen, dessen Werk Cantiques de la Belle Dame die beiden Strömungen Parnass und Symbolismus zugleich in Russland bekannt werden lässt.

Im Hinblick auf die belgischen Symbolisten ist zu konstatieren, dass diese vor allem zu einer europäischen Orientierung des Symbolismus beitragen. Jedoch bewahren herausragende Künstler wie Emile Verhaeren, Georges Rodenbach, Maurice Maeterlink und Van Leberghe immer auch die nationalen Besonderheiten einer belgischen Literatur in französischer Sprache. Für den belgischen Symbolismus ist bezeichnend, dass hier weniger der Inhalt, sondern vielmehr die Form thematisiert wird. Auch das übersetzen von Bildern bzw. Gemälden in Worte kann – vor allem durch Verhaeren – als Charakteristikum genannt werden.

Den Fragen, inwieweit die literarische Bewegung in Deutschland eine Rolle spielt und welchen Einfluss der französische Symbolismus auf die deutschen Ausprägungen hat, soll im Folgenden nachgegangen werden. Um die Jahrhundertwende wird sich Deutschland seines literarischen, vor allem dichterischen Rückstandes bewusst. Zwischen 1880 und 1890 entstehen zahlreiche neue literarische Strömungen, die kaum in ein Muster oder eine Reihenfolge zu bringen sind. In diesem vielfarbigen Neben- und Durcheinander gelangt auch die „art pur, détaché des déclamations sociales comme des joliesses artistes“, die sich vornehmlich gegen den Naturalismus richtet, nach Deutschland. Bezeichnend ist die Nähe des literarischen Symbolismus zur künstlerischen Strömung, die so auch in Frankreich zu erkennen ist.

Personen, auf die der Symbolismus in Deutschland Bezug nimmt, sind Hölderlin, Novalis und Nietzsche. Die äußeren Voraussetzungen für eine symbolistisch-poetische Bühne schafft Wagner mit seiner Reform des Theaters.. Als wichtigste Vertreter des deutschen Symbolismus lassen sich – neben Stefan George – Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke und Karl Gustav Vollmoeller nennen. Ihnen dienen als Vorbilder vor allem die französischen Symbolisten Mallarmé, Valéry, aber auch der Vorreiter des Symbolismus Charles Baudelaire. Auch Vertreter, die der stofflich bestimmten Neuromantik oder dem literarischen Jungendstil zugerechnet werden, sind zum Teil vom Symbolismus beeinflusst. Für andere Schriftsteller hingegen – wie Hermann Hesse, Thomas und Heinrich Mann – bedeutet der Symbolismus lediglich eine Übergangsphase.

Der norwegische Maler Edvard Munch bezeichnete den Symbolismus als „eine Kunst, in der der Künstler die Wirklichkeit seinen eigenen Gesetzen unterwirft, in der (…) die Wirklichkeit nur als Symbol gebraucht wird.“ Der Symbolismus stach nicht etwa durch einen besonderen Stil hervor, sondern durch eine im 19. Jahrhundert neue Weltanschauung, in der Antithesen zur Bürgerlichkeit, Konvention und Moral im Vordergrund standen. Edvard Munch, der diese Auffassungen voranschreitend begleitet hat, verarbeitete in seinem Werk die am häufigsten gebrauchten Bildthemen der Symbolisten, wie z.B. Tod, Liebe, Nacht, Schatten, Krankheit, Vergänglichkeit und Leben. Ziel war es, aus der vorgegebenen, moralisch geprägten Welt zu flüchten und dafür „die Welten der Fantasie und des Traums, die sich einer rationalistischen Festlegung entziehen, wiederzugeben.“

Einer so genannten Boheme, die für „eine bessere, gerechtere Gesellschaftsordnung (…) gegen das die natürlichen Triebe unterdrückende Christentum“ (mit künstlerischen Mitteln) kämpfte, trat Munch nur halbherzig bei, da er in einem ständigen Zwiespalt zwischen dieser Gruppe, also einem unkonventionellen und unmoralischen Leben und dem religiösen, gesitteten Leben bei seiner Familie pendelte. Der Grund, aus dem sich der Norweger nicht voll und ganz der Boheme anschließen konnte, waren wohl die neun Regeln, die unter anderem forderten, „die Wurzeln (…) [der] Familie zerschneiden“[5] und sich „das Leben nehmen“[6] zu sollen. Denn vor allem die Erlebnisse, die Munch, auch schon früh in seiner Familie mitbekommen hat, waren primärer und relevanter Inspirationsquell für seine Arbeit, was ein Abwenden von der geliebten Familie unmöglich machte: Der Tod der Mutter als Munch fünf Jahre alt war, der Tod der Schwester Sophie neun Jahre später, die lebenslange Depression und Melancholie der Schwester Laura, der frühe Tod des Bruder Andreas 1895 und der bis zum Ableben 1889 ausgefochtene Streit um Religionsauffassung mit dem Vater, der seinen Glauben bis in den Wahnsinn steigerte, waren Themen, die Munch folgendermaßen kommentierte: „Krankheit, Wahnsinn und Tod hielten wie schwarze Engel Wache an meiner Wiege und begleiteten mich seitdem durchs Leben.“

Daraus resultierte für den Künstler eine ständige Angst, geisteskrank zu werden: „Zwei der schrecklichsten Feinde der Menschen erbte ich, die Anlage zur Auszehrung und zur Geisteskrankheit.“. Auf der anderen Seite gestand er sich aber auch ein: „Die Lebensangst hat mich begleitet, solange ich mich erinnern kann. Meine Kunst ist ein Selbstbekenntnis gewesen. (…) Ohne Lebensangst und Krankheit wäre ich eine Schiff ohne Ruder gewesen.“

Munch hatte lange Zeit Wahnvorstellungen und fühlte sich ständig hintergangen. Flüsterten Menschen in seiner Gegenwart, dachte er, dies sei gegen ihn gerichtet. Auch vermied er es, sich auf offener Straße umzudrehen und litt unter Platzangst und Schwindelgefühl. Trotzdem wollte er keinen Arzt konsultieren, da er davon ausging: “daß diese Krankheit, die gespannten Nerven, ihm zum Malen verhalfen. Er wollte ja kein Bürger sein, nicht seine besondere Prägung verlieren.“ Obwohl Munch sich nicht vollkommen mit der Boheme identifizierte, hatte er einen sehr eigenständigen Stil, der meist für Skandale sorgte (z.B. 1892 bei einer Ausstellung in Berlin) und aufgrund dessen ihn die Menschen auch für einen „geisteskranken norwegischen Maler“ hielten. Eben dieser Aspekt, dass seine Kunst in der Öffentlichkeit und besonders in Norwegen kritisiert und verspottet wurde, ging nicht unbemerkt an dem Künstler vorbei: „Ich bin niemals verrückt gewesen (…), aber jahrelang hat sich ein Gewirr von Ereignissen, Intrigen mit anschließenden Aufregungen angesammelt. Und der übermäßige Alkoholgenuss hat zum Schluss diese Nervenkrise ausgelöst.“. Somit verbrachte auch Munch einen Klinikaufenthalt 1908 in Kopenhagen. In welchem Zustand er zu dieser Zeit war, verarbeitete er in dem „Selbstportrait mit Weinflasche“ (1906)[, in dem er sich „selbst demaskiert“ zeigt.

Aus diesen vielfältigen Gründen resultierten die Ideen für seine Gemälde. Ein anderer Aspekt war, dass der Norweger auf einer Sinnsuche war, den Sinn des Lebens hinterfragte und den dringlichen Wunsch hatte, Menschen, die über die Bilder „gelächelt oder den Kopf geschüttelt haben“ zu zeigen, dass „ein Baum rot oder blau ist oder ein Gesicht blau oder grün“. „Ich habe geglaubt, anderen helfen zu können, sich über das Leben klar zu werden.“.

Diese biographischen Hintergründe wurden in vielfältigen Gemälden verarbeitet, von denen nun drei in den Zusammenhang der Melancholie gebracht werden sollen. Das Bild „Abend-Melancholie-Eifersucht“ aus dem Jahre 1892 handelt von dieser Thematik. Auf dem querrechteckigen Gemälde ist rechts im Vordergrund vor einem Strand und Wasser ein schwarz- und kurzhaariger Mann abgebildet, dessen Gesichtszüge nur schemenhaft bzw. maskenhaft gezeichnet sind. Der weite Strand, der sich hinter der Figur, die der Natur den Rücken zukehrt, aufreiht, ist in vier horizontal verlaufende Ebenen gegliedert. Links außen verläuft hellblaues Wasser mit dem schlierenhaft in schwungvollen queren Linien gemalten Himmel, der in abwechselnd weißen und bläulichen Streifen gehalten ist. Es folgt ein vom Wasser verdunkeltes Stück Sand, auf dem einige sichtbare Steine liegen, die vom sich zurückziehenden Wasser umspült werden. Oberhalb der Bildmitte ragt ein roter Steg ins Wasser. Rechts daneben liegen auf hellerem Sand große, abgerundete Steine, die teils in der Farbigkeit ein Pendant zum rechts dahinter liegenden, gelben Boot bilden. Dieses wird ebenfalls nur schemenhaft umrissen und nimmt etwa die gleiche Größe wie der schwarz gekleidete Mann ein, von dem nur der Kopf und die rechte Schulter zu sehen sind. Seine Augen sind von breiten, tief schwarzen Augenbrauen verdeckt und lassen sich nur als kleine Punkte darunter erahnen. Dieses, dem Gesicht einen düsteren Ausdruck verleihende Element wird durch die nach vorne zugespitzten Gesichtszüge verstärkt. Der Mund ist schmal und dünnlippig, die Nase lang. Die Hand ist so an das Gesicht gelehnt. Durch die Sicht des Betrachters von oben auf die Figur entsteht der Eindruck, als habe der Mann keine Hals, was seine Haltung gebückt aussehen lässt.

Munch thematisierte in seinen Bildern auch das individuell erfahrene Leid. Als Kind erlebte er den Tod seiner Mutter, in späteren Jahrzehnten den Verlust vieler weiterer Familienangehöriger, ein psychischer Zusammenbruch folgte diesen Erlebnissen. Sein Bild Der Schrei von 1893 stellte eine Erfahrung des Malers dar, als er einen Sonnenuntergang im Meer sah: „Die Sonne ging unter – die Wolken färbten sich rot, wie Blut. Ich empfand das alles wie einen Schrei. Ich glaubte, einen Schrei zu hören. (…) Die Farben schrien.“ Auf einer hölzernen Brücke, die diagonal in die Bildfläche stößt, steht eine Figur, das Gesicht zu einer schreienden Totenkopfmaske verzerrt. Die Luft transportiert den Schrei bis in den blutroten Himmel. Munch betrachtete seine Werke eher als Skizzen denn als vollendete Bilder, im Vordergrund stand für ihn der erzielte Ausdruck.

Dies wird auch in seinem Bild Das Kind und der Tod aus dem Jahr 1899 deutlich. Das Bild ist etwas höher als breit. In der linken Bildhälfte ist, leicht von oben gezeigt, ein kleines Kind mit blonden Haaren zu sehen, das, frontal dem Betrachter zugewandt, vor dem Bett einer toten oder sterbenden Frau steht, dem es den Rücken zukehrt. Seine Arme sind erhoben, die Hände scheinen gegen die Ohren gedrückt, der Kopf leicht gesenkt. Sein Gesichtsausdruck ist unglücklich, die blauen Augen weit geöffnet. Das Kind trägt ein weißes Oberteil, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen reichen oder dorthin zurückgerutscht sind, unter einem knielangen, blasslila Kleidchen, dazu schwarze Strümpfe und dunkle Stiefel. Die Fußspitzen erreichen beinahe den unteren Bildrand. Der Schattenwurf fällt von hier aus schräg nach rechts hinten, so dass er eine Verbindung zwischen der vom Bett abgewandten Kinderfigur und der liegenden Gestalt im Hintergrund herstellt. Diese ist auf ein Bett oder Sofa gebettet, dessen Unterkante als Waagerechte etwa auf Höhe des untersten Bilddrittels beginnt und dessen Kopfende sich auf der rechten Bildseite befindet. Der Kopf der dunkelhaarigen Frau ist im Profil zu sehen und ruht mit geschlossenen Augen tief in einem weißen, bauschigen Kissen. Auch ein Teil ihres weiß verhüllten Oberkörpers ist zu sehen; die Arme scheinen auf der Brust gekreuzt. Die grünliche Decke ist bis etwa unterhalb des Brustkorbes zurückgeschoben. Ihre Farbe geht fast unmerklich in die der graugrünlichen Wand hinter dem Bett über, während das stumpfe Orange des Fußbodens sich im Schattenwurf an beiden Seiten des Kopfkissens wiederholt und hier die Assoziation mit Blutflecken erlaubt. Die tote Frau selbst wirkt extrem hager und ausgezehrt und die Farbe ihrer Haut unterscheidet sich kaum von der des Kissenbezugs. Sie kontrastiert stark mit der gesunden Hautfarbe und der angespannten Haltung der Kindergestalt, die sich offenbar gegen die Eindrücke des Todes zu wehren versucht.

Das Gemälde lässt Assoziationen mit traumatischen Erlebnissen aus der Kindheit und Jugend des Malers zu. Munch verlor im Alter von fünf Jahren seine Mutter, die an Tuberkulose starb, und neun Jahre später eine seiner Schwestern, Sophie, die an derselben tödlichen Krankheit gelitten hatte. Seine Schwester Laura wurde depressiv. Munch schuf, so ein Kommentar zu dem Bild, „erschütternde Ausdrucksfiguren, die den Betrachter unmittelbar berühren. Das stille Entsetzen des Kindes angesichts der toten Mutter“ erweise sich „als eine Variante des berühmten Bildes Der Schrei.“

Der Symbolist Arnold Böcklin ( 1827-1901) stammte aus Basel. Studienreisen führten Ihn in verschiedene europäische Städte, bevor er sich 23jährig in Rom niederließ. Ihn zog es nicht in die Kunstmetropole Paris, die immer mehr an Bedeutung gewann, sondern in die ,,ewige Stadt" nach Rom. Diese Verlagerung des Lebensmittelpunktes in eine Stadt mit kultureller Tradition eines fremdes Landes deutete bereits darauf hin, dass es ihm nicht um eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Erscheinungen oder gar aktuellen Problemen ging, sondern, dass er seine geistige Heimat in einer kulturellen Tradition suchte, die von Idealen bestimmt war, an denen er sich orientierte. Schwer krank kam er nach Jahren des Misserfolges nach München und stellte ein Bild aus. Da man glaubte der Künstler sei bereits gestorben hängte man einen Kranz unter das Gemälde. Der bayrische König kaufte es für seine Pinakothek, und Böcklin wurde berühmt.

Die beste akademische Maltradition fortführend entwickelt er dennoch eine lebensvolle, farbige, fast volkstümliche Bildersprache. Die Wahl seiner Motive aus der griechischen Mythologie, Märchen und Sagen des Altertums verhilft ihm im Sinne der Klassik menschliche Themen von zeitloser Gültigkeit darzustellen. Der Reichtum seiner Kunst, die eine sinnvolle Interpretation aus unterschiedlichsten Blickwinkeln auf verschiedenen Ebenen zulässt, hängt auch damit zusammen, dass er seine Motive auch aus anderen musischen Gebieten schöpft, wie der Literatur und Musik.

Das Aufnehmen und Verarbeiten künstlerisch vorgeformter Motive zählt zum Gebiet der wichtigsten Quelle Böcklins, zur ,,geschauten Wahrheit", denn er möchte nicht illustrieren sondern darstellen. Ein Aufgreifen von Bildmotiven, die dem eigenen Thema jene Bildhaftigkeit leihen, die auf das Verständnis von Menschen rechnen darf, welche nicht primär aus Farbe und Form erleben können und doch eine Veranschaulichung von nicht leicht in Worten Fassbarem brauchen. Die Mythologien werden als eine Art Rahmenhandlung verwendet innerhalb derer sie psychosoziale Strukturen der Zeit transportieren. Ein vom Bildungsbürgertum allgemein verstandener Code der klassischen Mythologie wird zum Ausdrucksträger gesellschaftlicher Grundkonstellationen in einem bestimmten historischen Zeitzusammenhang. Seine eindringlichsten Bilderfindungen resultieren aus seinem intuitiven Zugang zum Bereich des menschlichen Unbewussten, lange vor der Entwicklung der Psychoanalyse.

Böcklin macht selten Skizzen von seinen Ideen, lehrt auch seine Schüler direkt an der Staffelei zu arbeiten, damit die Vorstellung der Realität sich vor Arbeitsbeginn an einem Bilde vollkommen gefestigt hat. Die Geschaute, selbsterlebte Wirklichkeit ist für ihn sehr wichtig, da der Reflexion voraus immer die Wahrnehmung, Seherfahrung und seelisches Erleben vorausgeht: ,,Naturbeobachtung und Naturerlebnis bewahren vor dem Ausgleiten ins Konventionelle Fabulieren und führen zum Lohn für die selbstgeübte Zucht zu sicher tragender künstlerischer Formfindung.“

Die enge Verflechtung zwischen realistischer Natursicht, starker Sensibilität, naiver fast bedenkenloser Wahl der Motive und dem Einsatz unkonventioneller Darstellungsmittel (bei Farbe, Zeichnung, Komposition) schafft gekonntes Heraufbeschwören der Stimmungen und Spannungen zwischen Naturalismus und Idealität. Montagen von Realitätsteilen, die eine Überwirklichkeit erzeugen, verwischen die Barrieren zwischen Erlebnis und optischer Erfahrung, sind gefühlsgeladen und ausdrucksstark: ,,Man soll nicht ein Stück Natur zu einem Bild verarbeiten, sondern man soll etwas erfinden und die Natur zu Rate ziehen." Böcklins Absicht ist es die Phantasie des Betrachters selbst mit seinem Bildbestand weiterarbeiten zu lassen. Seine arkadischen Landschaften wirken als real betretbar. Die Inszenierung geht in die Tiefe. Farben, Kontraste haben raumklärende Funktion. Häuser, Bäume, Menschen sind Masseneinheit. Es gibt auch Elemente und Prinzipien, die immer wieder kehren: Ausblick aufs Meer, Zypressen, Felsen, stille Wiesen, suggestive bedrohliche Bewölkung, dramatische Lichtgebung, betonte Senkrechte als Ausdruck feierlich verhaltenen Ernstes. Häufige Wiederaufnahmen von Motiven zeigen die Suche nach geschlosseneren Fassung, nach präziser Vereinfachung, damit Detail und Gesamtentwurf zu klarer Übereinstimmung gelangen, um den Bildgedanken zu klären, bis der geistigen Thematik ein vollkommener Ausdruck verliehen ist. Seine mythische Kraft beruht weniger auf seinen Motiven, sondern vielmehr auf seiner Fähigkeit geschaute und erfundene Natur in solcher Eindringlichkeit wiederzugeben, dass das Resultat die Kraft und Dichte von Traumbildern besitzt.

Böcklin sucht nach einer Ganzheit im Gesamtwerk, malt Zyklen mit sich ergänzenden und kontrastierenden Motiven (Toteninsel - Lebensinsel). Thematisch und formal akzentuiert Böcklin durch Kontraste, in dem das Gegensätzliche zu Ganzheit führt. Immer wieder setzt sich Böcklin in seinem Werk auch mit dem Thema Tod auseinander. Im Selbstbildnis von 1872 malt er sich mit dem fiedelten Tod, der ihm über die Schulter schaut. Auch privat wird Böcklin zu oft mit dem Tod konfrontiert: Seine erste Verlobte stirbt 14 Tage nach der Verlobung, 8 von seinen 14 Kindern sterben. Oft erhält er Aufträge Portraits von verstorbenen Kindern auszuführen. Die blutig niedergeschlagene Arbeiterrevolution im Juni in Paris erlebt Böcklin ganz nah, und die Grausamkeit des Vorfalls berührt ihn zutiefst. Kampf, Krieg, Bedrohung und Tod sind fortan Themen, die aus seinem Werk nicht mehr bald verschwinden.

Die Toteninsel inspirierte Rachmaninov und Reger zu gleichnamigen Tondichtungen. Richard Wagner versuchte Böcklin fürs Theater zu gewinnen. Und auch viele andere Dichter und Musiker wurden von Böcklins Werk inspiriert und begeistert. Die Technik der Collage und Verfremdung, absurder Montage haben Surrealisten und Dadaisten aufgenommen und fortgeführt. Auch de Chirico und Max Ernst berufen sich dabei ausdrücklich auf Böcklin. Zum Teil ist die Darstellung der Traumbilder auch eine Wirklichkeitsbewältigung, Befreiung von Zwängen des gründerzeitlichen Existenzkampfes, vom Druck der politischen Verhältnisse, letztendlich auch die Lösung der menschlichen Psyche aus Konvention und Moral. Allerdings weisen zahlreiche Reproduktionen nicht auf Verdrängungsprozess verschiedener Bevölkerungsschichten sondern auch auf die allgemeine emotionale Gültigkeit Böcklins Bilder.

Die Entstehung des russischen Symbolismus beginnt 1893 mit Dmitrij Merežkovskijs programmatischem Essay „Über die Ursachen des Niedergangs und über neue Strömungen der zeitgenössischen neuen Literatur“. Wie der Literaturwissenschaftler Reinhard Lauer feststellt, wird hier das Aufbegehren gegen die positivistisch-utilitaristische Ästhetik deutlich: „Nicht mehr das `Leben` mit der Betonung des für die Gesellschaft Nützlichen wurde als Gegenstand der Kunst angesehen, sondern die Transzendenz, das eigentliche Sein.“

Die positivistische Weltanschauung des Realismus wurde abgelegt. Tiefe Skepsis dem Realismus gegenüber und Zukunftshoffnungen am Ende des 19. Jahrhunderts sowie die Angst vor Entfremdung von dem eigenen Geschichtsbewusstsein riefen zahlreiche Kritiker auf den Plan. Da war eben Merežkovskij einer der Kulturkritiker, der die Geringschätzung des Dichterischen anprangerte und seinem Unbehagen an der bisherigen Kunst Ausdruck gab. Merežkovskijs Absicht war es folglich, die Kunst nicht mehr auf rührende oder moralische Tendenzen auszurichten, sondern es auf die sog. „Wahrheitsliebe“ (pravdivost‘) des Künstlers ankommen zu lassen.[3] Er kritisierte das rationale Konzept der Naturwissenschaft und Technik und wies insbesondere in seinem Essay auf die Sprachverderbnis und die Stagnation der Künste hin. So sollte seiner Meinung nach die Dichtung wieder als eigenständige Schöpfungs- und Erkenntniskraft wirken. Merežkovskij kritisierte ferner die realistische Erzählkunst. Dieser wurde ein Verfall bescheinigt und tatsächlich widmeten sich am Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt zweitklassige und epigonale Schriftsteller dem Roman als Gattung. Neuzeitliche Schriftsteller produzierten ab 1880 vermehrt kleinere literarische Formen wie Skizzen, Porträts und Etuden.

Die Auffassung der symbolistischen Kunst war eine andere als die des Realismus. Merežkovskij beschrieb diese folgendermaßen: „Sie (die symbolistische Kunst, M.L.) vergeistigt die schöne Form, den poetischen Stil, das heißt den künstlerischen Stoff, macht sie transparent und läßt auf diese Weise das wahrhaftige Sein, die Transzendenz, ahnbar werden. Auch der Sprache sollte eine neue bzw. wichtigere Funktion verliehen werden: Das Wort sollte nicht mehr als Begriff oder Terminus funktionieren wie in der denotativen Semantik des Realismus, sondern als dynamische Energie, die die erstrebte Transparenz zum Ewigen hin ermöglichte. So sollte der Leser durch Wörter hypnotisiert und durch mystische Inhalte der Realität entzogen werden. Durch Lautstrukturen, Alliterationen, Metaphern und weitere Stilmittel haben die Symbolisten den Sinn ihrer Werke anders wiedergegeben und der literarischen Sprache auf diese Weise große Aufmerksamkeit geschenkt.

Der russische Symbolismus vollzog sich in zwei Schritten. Die erste Dekade der Strömung bestimmte die so genannte „Erste Generation“ oder „Ältere Symbolisten“, zu denen Minskij, Merežkovskij, Bal´mont, Sologub und Zinaida Gippius gehörten und die sich der mystisch-idealistischen Richtung der Symbolistik verschrieben haben. Sie waren Anhänger des französischen Symbolismus, der als dekadent galt. Geistig-ideelle Werte und philosophische Grundzüge prägten das Denken der älteren Symbolisten. Bereits der frühe Symbolismus stand im Zeichen mystischer und apokalyptischer Visionen und Vorahnungen. Der russisch-japanische Krieg und die erste russische Revolution von 1905 bestätigten diese Vorahnungen der Literaten. Der Symbolismus war die ideale Möglichkeit, diese Visionen sprachlich zu verarbeiten. Dem vorausgegangenen Positivismus würde eine solche Poesie widerstreben und deshalb nicht gelingen.

Viele bekannte Namen dieser literarischen Strömung spielen in der Literatur eine große Rolle. Man kennt beispielsweise solche Vertreter, wie Balmont, Bely, Block, Brjussow, Mereshkowski oder Sologub. Der russische Symbolismus ist geprägt von der Umbruchstimmung des damals zaristischen Russlands in der Zeit zwischen 1890 und 1910. Der russische Symbolismus war daher ein Ausdruck für die komplizierten nationalen Gesellschafts- und Kunstverständnisse in der Übergangszeit Russlands, in der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution. So stellen die russischen Symbolisten die Krisensituationen der Menschen in einer scheinbar wohlgeordneten Gesellschaft dar, die aber in Wirklichkeit eine unheilvolle, soziale und politische Realität bietet.

Man muss hinzufügen, dass der russische Symbolismus daher nicht nur eine dichterische Ausdrucksform darstellte, er wurde sogar zu einer Philosophie erhoben. So fand die symbolistische Weltanschauung und Ästhetik gewisse Unterstützung in der Philosophie Arthur Schopenhauers und Friedrich Nietzsches. Aus diesem Grund findet man auch gewisse Parallelen zu Schopenhauers Weltanschauung in den Werken Sologubs.

Im Symbolismus ist der Künstler die zentrale Figur, sein Wesen, seine Empfindung, sein Denken steht dabei im Vordergrund. Anders als in der Romantik drückt der Autor hier keine Gefühle aus, sondern eher sich selbst, wobei er mit Hilfe von Symbolen eine andere Welt erschafft. So existieren für die Symbolisten zwei Welten, die reale, wahrnehmbare Welt und auf der anderen Seite eine „jenseitige“ Welt. Man kann daher sagen, was auch im Rahmen des Seminars deutlich zum Vorschein gekommen ist, dass ein Leser, der ohne jegliche Grundkenntnisse über die Epoche oder das Leben des Autors an ein symbolistisches Werk herangeht, es schwer haben wird, den Sinn des Werkes aus dem Symbolismus zu erfassen. Für die Symbolisten war insbesondere die Lyrik, auf Grund ihrer sprachlichen Mittel von Bedeutung. Fast alle Symbolisten, zumindest anfangs sind daher als Lyriker bekannt. So beinhaltet auch die Prosa eine lyrische, poetische Sprache und verwendetet von jeher Symbole. Für eine kurze Zeit, in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts, prägte der Symbolismus die Literatur Russlands maßgeblich. Es war eine Zeit, die literarisch so fruchtbar war, dass man sie heute auch das „Silberne Zeitalter“ nennt.

Im Symbolismus ist der Künstler die zentrale Figur, sein Wesen, seine Empfindung, sein Denken steht dabei im Vordergrund. Anders als in der Romantik drückt der Autor hier keine Gefühle aus, sondern eher sich selbst, wobei er mit Hilfe von Symbolen eine andere Welt erschafft. So existieren für die Symbolisten zwei Welten, die reale, wahrnehmbare Welt und auf der anderen Seite eine „jenseitige“ Welt. Man kann daher sagen, was auch im Rahmen des Seminars deutlich zum Vorschein gekommen ist, dass ein Leser, der ohne jegliche Grundkenntnisse über die Epoche oder das Leben des Autors an ein symbolistisches Werk herangeht, es schwer haben wird, den Sinn des Werkes aus dem Symbolismus zu erfassen. Für die Symbolisten war insbesondere die Lyrik, auf Grund ihrer sprachlichen Mittel von Bedeutung. Fast alle Symbolisten, zumindest anfangs sind daher als Lyriker bekannt. So beinhaltet auch die Prosa eine lyrische, poetische Sprache und verwendetet von jeher Symbole. Für eine kurze Zeit, in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts, prägte der Symbolismus die Literatur Russlands maßgeblich. Es war eine Zeit, die literarisch so fruchtbar war, dass man sie heute auch das „Silberne Zeitalter“ nennt.

Die Vielfältigkeit der Themen des russischen Symbolismus ist sehr groß. So sind für Sologubs Erzählungen auch die folgenden Themen ausschlaggebend: Bei Sologub ist das Thema der „Welt als Vorstellung“ sehr oft zu finden. Die vorgestellte Welt ist für die Symbolisten eine Gegensätzliche zu der realen Welt. Man kann hier daher auch gewisse Parallelen zu Schopenhauer aufzeigen, der sich mit diesem Thema in seinem Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ auseinander setzte.

Die Symbolisten stellen die reale Wirklichkeit als trostlos, traurig und ausweglos dar. So flüchten die Hauptpersonen der Erzählung in ihre eigene Traumwelt, die ihnen für kurze Zeit Trost bietet. Bei den Symbolisten kann man daher zwei Traumzustände betrachten: den Nachttraum und den Tagtraum. Der Nachttraum spielt bei Sologub eher eine untergeordnete Rolle und wird hier daher auch nicht betrachtet. Der Tagtraum ist bei Solugub ein Gedankenspiel, wo der Träumende bei Bewusstsein ist und seinen Traum selbst gestalten kann. So erscheint die Wirklichkeit der Figur der Erzählung meist verzehrt oder wird vollkommen ausgeblendet. Dieses Traumgeschehen überlagert dann meist die reale, wirkliche Welt, die aber nicht ganz ausgeblendet wird. Wichtig zu erwähnen ist, dass es bei Sologub auch Erzählungen gibt, wo der Tagtraum und die reale Wirklichkeit in einander übergehen, ohne dass das Traumgeschehen und das Wirklichkeitsgeschehen als getrennt betrachtet werden. Das ist bei der Erzählung „Tod per Annonce“ der Fall. So hat der Träumende Schwierigkeiten zwischen dem wirklichen Ich und dem im Traum Handelnden zu unterscheiden.

Die „Jüngere Generation“ profilierte sich unmittelbar nach der Jahrhundertwende. Als wichtigste Vertreter sind hier Aleksandr Blok und Andrej Belyj zu nennen. Nach der misslungenen Revolution von 1905 beginnt in der russischen Literatur die Suche nach nationaler Identität verbunden mit nationalen Mythenbildungen. Der altslavische Mythos ist bei der Suche genauso zu finden wie eine christlich-sektiererische Komponente und die Auswirkungen der griechisch-hellenistischen Antike.

Andrej Belyj, oder mit bürgerlichem Namen Boris Bugaev, 1880 in Moskau als Sohn eines namhaften Mathematik-Professors geboren, war einer der bekanntesten Vertreter des russischen Symbolismus. Belyjs Bemühung bestand darin, den Symbolismus auch theoretisch (dichtungstheoretisch, ästhetisch, logisch) zu begründen und auf diese Weise die Beziehungen zwischen Mythos und Logos zu knüpfen. Seine Schriften über das Wesen des Symbolismus haben einen hohen Stellen- und Aussagewert, auch über das rein Literarische hinaus. Belyjs Schaffen und seine geistige Entwicklung stehen im Zeichen Solovews, Nietzsches und Schopenhauers. Auch Rudolf Steiners Theosophie und der Neukantianismus begründen seine Werke. So hat Belyj als einer der ersten den Versuch unternommen, die russische Literatursprache zu revolutionieren. Neben den stilistischen Mitteln ist die programmatische Sichtweise Andrej Belyjs innerhalb des Symbolistenkreises von Bedeutung. Kenntnisse darüber erleichtern zum einen das Verständnis seiner Werke und geben zum anderen auch die Möglichkeit, die Mystik und die okkulten Züge seiner Werke zu deuten.

Wie kein anderer verstand es Belyj, die russische Literatur zu erneuern, indem er das „Prinzip der Instrumentalisierung“ einführte. Bereits in seinem ersten Symphonien-Band „Dramatičeskaja“ präsentierte Belyj die bis dahin in Russland unbekannte literarische Gattung, die maßgeblich für das erste Viertel des 20. Jahrhunderts sein wird. Diese musikalisch anmutende und systematisch angelegte Prosa mit ihren Klängen und Symbolen war einzigartig. Das 1902 erschienene Werk war das erste der auf dem Prinzip der Instrumentalisierung fußenden lyrisch-prosaischen Symbolismusliteratur von Belyj.

Neu an dieser symphonischen Prosa war nicht das Thematische, „(…) die ständige Präokkupation, das Schicksal Rußlands und der ganzen Welt aus ominösen Zeichen zu ergründen“; neu waren vielmehr die musikalischen Gestaltungsmittel, die Belyj auf allen Textebenen zu realisieren suchte. So revolutionierte Belyj die russische Literatursprache in seinen Prosawerken. Als Lyriker ist es ihm allerdings nicht gelungen, seinen Altersgenossen Aleksandr Blok qualitativ zu erreichen. Seine Gedichtsammlungen wie beispielsweise „Zoloto v lazuri“ (1904), „Pepel“ (1909) und „Urna“ (1909) waren nicht so einflussreich bzw. bedeutend und enthielten nichts sonderlich Aufsehenerregendes.

Paul Gauguins Stil entwickelte sich vom Impressionismus zum Symbolismus weiter. Im Januar des Jahres 1885, zu einer Zeit, da Gauguin noch rein impressionistisch malt, entwickelt er in einem Brief an seinen Pariser Freund Emile Schuffenecker seine Idee von der Malerei, die der praktischen Ausübung weit voraus ist: „Seit langer Zeit denken die Philosophen über Erscheinungen nach, die uns übernatürlich vorkommen, die man aber trotzdem deutlich fühlt. Und darin liegt alles begründet! Beobachten sie einmal die ungeheuer reiche Schöpfung der Natur, und sie werden feststellen, dass trotz der vielfältigsten Möglichkeiten keine Gesetzmäßigkeit besteht, um die menschlichen Gefühle, die den Dingen entsprechen, mit diesen zusammen wiederzugeben. Betrachten Sie einmal eine dicke Spinne oder einen Baumstumpf im Wald. Ohne daß wir uns darüber Rechenschaft ablegen, verursachen alle beide ein schreckliches Gefühl in uns. Kein Verstandesurteil kann vor diesen Empfindungen bestehen. Alle unsere fünf Sinne dringen direkt ins Gehirn, beeindruckt von einer Unzahl von Dingen, welche von keiner Erziehung abgelenkt werden können“

Wenn wir aus Gauguins Worten eine Abkehr vom Impressionismus herauslesen können, so wird auch sofort deutlich, dass sie sich nicht gegen die Technik richten, sondern gegen die Sehweise dieser Kunst, gegen die Haltung, die vor der Wirklichkeit eingenommen wird. Wollten die Impressionisten in ihrem Verhältnis zur Natur vor allem wahr sein und ließen deshalb jenen romantischen Schleier des Gefühls zwischen Natur und Auge nicht aufkommen, um die Welt mit wirklicher Objektivität zu sehen, so verloren sie doch zugleich einen Gesichtspunkt: Sie vergaßen, dass ein Gegenstand nicht nur in der zufälligen Erscheinung besteht, sondern, dass er ein typisches Wesen mit Unvergänglichkeit und Dauer besitzt. Aber unter Wesen und Dauer versteht Gauguin letztlich etwas anderes: nicht die Ordnung und Struktur der Dinge innerhalb der sichtbaren Wirklichkeit, sondern deren magische Tiefenschicht, ihren Zusammenhang mit der unkontrollierbaren Hintergründlichkeit, mit der sie erlebt wird. Das ist das Mythische, das dem Gegenstand selbst immanent ist:

Die Mittel, die dem Künstler zur Verfügung stehen, um solches auszudrücken, hat Gauguin damals schon erkannt: „Ich schließe, dass es edle Linien, heuchlerische Linien usw. gibt. Die gerade Linie führt ins Unendliche, die Kurve begrenzt die Schöpfung. Infolge ihrer Macht auf das Auge sind die Farben noch aussagekräftiger, wenn auch weniger vielfältig als Linien. Es gibt edle und gemeine Töne, ruhige, tröstliche Harmonien und andere, die uns durch ihre Kühnheit reizen. Mit einem Wort: wir sehen in der Graphologie die Züge freimütiger Menschen und andere von Lügnern; warum sollten uns die Linien und Farben nicht auch den mehr oder weniger grandiosen Charakter des Künstlers enthüllen?“ Diese Ideen, die weit über den Impressionismus hinausführen, versucht Gauguin noch jahrelang in impressionistischen Bildern auszudrücken.

Zu einer wirklichen Veränderung im Stil Gauguins kam es im Verlauf von dessen zweitem Aufenthalt in Pont-Aven in der Bretange, im Jahre 1888. Zwei bedeutende Umstände hatten diesen Wandel eingeleitet, der zur Abkehr vom Impressionismus führen sollte: die regelmäßige Arbeit im Atelier des Keramikers Ernest Chaplet ab dem Frühjahr 1886 und eine Reise nach Panama und Martinique von April bis Oktober 1887. Die tropische Natur mit ihren klaren, lebendigen Farben vermittelte ihm eine großzügigere, weniger analytische Auffassung von der Landschaft. Die in Martinique einsetzenden Vereinfachungen lenkten seine Kunst in abstraktere und mysteriösere Bahnen. Das „einfache Leben“ der Eingeborenen in der Südsee mit ihrem ursprungsnahen Denken und Fühlen wird für ihn zu einem Idealbild..

Die Neigung des zivilisationsmüden Malers zu der wilden Natur rührte zum einen von seinem Charakter her. Er selbst nannte sich „ ein Wilder aus Peru“, anspielend auf seine peruanischen Wurzeln. Wie er betonte, habe er ein instinktives und unmittelbares Wesen, was auf seine peruanischen Vorfahren zurückgehe. Zum anderen ist diese Neigung auch Folge seiner Philosophie über die Rolle der Natur in der Kunst. Er erklärte seine neuen Ideen folgendermaßen: „Es gibt unveränderliche Prinzipien in der Kunst, die getrennt von der Natur existieren; Dieses Wissen war sowohl den Naturvölkern als auch den japanischen Künstlern bekannt, es gründete auf einer perfekten Harmonie der Farben und Linien. Diese ästhetischen Überlegungen verbunden mit der Idee der Persönlichkeit des Künstlers, verwandelten das Verständnis des Kunstwerks ausgehend von einer mechanischen Illustration hin zu einem Ausdruck der poetischen Abstraktion der Natur.“

Die Darstellung einer subjektiven, erdachten Welt war wichtig für ihn. Ausgangspunkt dieser Reaktion war der gleiche, von dem auch die Impressionisten ausgegangen waren: es war die Anschauung. Während aber die Impressionisten ihre Staffelei in der freien Natur aufstellen, hatte Gauguin gefordert, dass der Maler sich meditativ in den darzustellenden Gegenstand versenken und ihn anschließend im Atelier aus der Erinnerung neu erschaffen solle. Was sich der Künstler von dem Gegenstand gemerkt hat, weil es ihm wichtig erschienen war, enthalte dann notwendigerweise die Essenz des Gesehenen. Er sagte: „Ich bin kein Maler, der nach Natur malt, heute weniger denn je. Bei mir spielt sich alles in meiner verrückten Phantasie ab“

Gauguin wollte dem Traum, dem Geistigen und dem Seelischen zu seinem Recht verhelfen. Er strebte nach einer Synthese, die den harmonischen Einklang von Menschen und Natur zum Ausdruck bringe. Jungen Malern in seinem Umfeld riet er dazu, nach dem Gedächtnis zu malen und nur das Wesentliche eines Motivs festzuhalten – wenige schlichte Linien, ein paar reine Farbtöne – und sich vom Erlernten freizumachen, um den wirklichen Empfindungen auf die Spur zu kommen. Er erklärte: „Bilder müssten aus dem Inneren kommen, wenn sie die Gedanken des Künstlers zum Ausdruck bringen sollen und dürfen keine Wiedergabe der Wirklichkeit sein, sondern Abbild einer subjektiven Sicht der Welt“.

Gauguins Streben nach einem einfachen, ursprünglichen und unverbildeten Leben spiegelt sich in seiner Motivwahl wider. Obwohl er einen großen Teil seines Lebens in Paris verbrachte, malte er städtische Themen sehr selten, nach 1888 offenbar nur ein einziges Mal (Das verschneite Paris, 1894). Er bevorzugte die ländliche Bretagne, ihre Landschaft und ihre Menschen, später die von ihm als ursprünglich empfundene Welt der Tropen.

Am bekanntesten ist Gauguin für seine Gemälde mit Motiven der Südsee. Mit ihren leuchtenden Farben, der üppigen Pflanzenwelt, den müßiggängerischen, bunt- und leichtbekleideten Menschen geben sie nicht die Wirklichkeit wieder, sondern das exotische Paradies, das der Maler sich erträumt, aber in der Realität vergeblich gesucht hatte. Zum Paradies gehört die „Eva“, die meist die Züge von Gauguins jeweiliger Partnerin trägt. Obwohl oft leicht- oder unbekleidet, wirken diese Frauengestalten nicht eigentlich verführerisch. Hier spiegelt sich Gauguins Vorstellung vom paradiesischen Urzustand, dem Nacktheit und Sexualität selbstverständlich sind.

Eine ganze Reihe von Gemälden bezeugt Gauguins Auseinandersetzung mit Themen der Religion und der Theosophie, unter anderem Die Vision nach der Predigt oder Der Kampf Jakobs mit dem Engel (1888), Der Geist der Toten wacht (1892), Gottes Sohn (1896), Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? (1897). Das entsprach dem Geist der Zeit; auch auf einige von Gauguins Freunden unter den Nabis „[…] hatte das mystische und religiöse Gedankengut der Theosophie und der esoterischen Wissenschaft großen Einfluss.“

Auf Tahiti bemühte der Maler sich, Genaueres über die Mythen des Volkes in Erfahrung zu bringen – vergeblich, denn die mündliche Überlieferung war abgerissen, und eine Schriftsprache hatte es nie gegeben. Als Zeichen seiner Beschäftigung mit den Legenden der Südsee findet sich auf mehreren Gemälden (Der Geist der Toten wacht, Gottes Sohn) ein kleines dunkelhäutiges, schwarz gekleidetes Wesen, das als ‚Geist der Toten‘ interpretiert werden kann.

Als Gauguin sich dazu entschließt Frankreich zu verlassen, um sich im exotischen „Paradies“ der Südsee niederzulassen, ist dies die Konsequenz seiner Abscheu vor der europäischen „Zivilisationskrankheit“. In Tahiti verortet er die künstlerische Inspiration, in einer Gesellschaft, von der er annimmt, dass sie ihre Ursprünglichkeit bewahrt hat. Diese Ursprünglichkeit, die Unschuldigkeit, die er so sehr sucht, zeigt sich in seinen Werken vor allem durch die Einbettung der Frauen in die Natur. Er schafft für sich in seinen Werken das Ideal, das er sich erhofft hatte zu finden. Er malt Momente und lässt sie so immer gültig erscheinen, schenkt ihnen so die Unsterblichkeit und trägt den Mythos weiter.

„An diesem Tag hatte sie ihr schönstes Kleid angezogen, eine Blume hinter das Ohr gesteckt, (...). Die schwarzen Haare fielen lose über ihre Schultern; so war sie wirklich hübsch.“ Dieses kurze Zitat zeigt deutlich wie er die Frauen, wenngleich es auch eher Mädchen waren, idealerweise sieht, oder sehen will. Gauguins Buch NOA NOA, in deutscher Übersetzung nach seiner ersten Handschrift von Rosemarie Aegerter (1988), ist als anthropologische Quelle, wie auch als schriftstellerisches Werk nicht zu ignorieren, gibt es doch eine große Bandbreite an Informationen preis. Er beschreibt, wie er die Menschen beobachtet, bei ihren Arbeiten, seine Kontaktaufnahme und natürlich seine Frauen.

Dazu zählt die idealisierte Figur des edlen Wilden, also eines von der (europäischen) Zivilisation unverdorbenen „Naturmenschens“.[19] Die Vorstellung vom „Edlen Wilden“ setzt das Aufeinandertreffen einer „Zivilisations-“ mit einer „Naturgesellschaft“ voraus. Eine solche Situation bestand während der Expansionszeit europäischer Mächte (Spanien, Portugal, Frankreich, England, Niederlande) seit Ende des 15. Jahrhunderts. Die entstehende Kolonialisierung in Afrika, Asien, Amerika und im Pazifik führte zur Vereinnahmung der dortigen Kulturen in den Machtbereich der Eroberer. Was als zivilisiert zu gelten hat, bleibt dabei in der Definitionsmacht der weißen Kolonialisten.

Trotz dieser positiv gedeuteten Verharrung im „Naturzustand“ wird dieser Mensch weiterhin als „wild“ betrachtet, der im Gegensatz zu dem europäischen „Kulturmenschen“ auf einer „minderwertigen“ Kulturstufe steht. Für dieses die europäischen Geistesgeschichte prägende Bild ist vor allem Jean-Jacques Rousseau mit seinem Werk Discours sur l'inégalité über den Naturzustand des Menschens verantwortlich. Vorher schon ist in Montaignes Essay ,,Des Cannibals" von 1580 ein ähnliches Bild zu finden wie bei Rousseau. Montaigne sieht die Ureinwohner Amerikas in einem gesellschaftlichen Idealzustand, ,,frei von allen korrumpierenden Zwängen der Zivilisation" Louis Antoine de Bougainvilles Reisebericht seiner Weltumsegelung, wo er die Einwohner_innen Tahitis als positiven Gegenpart zur europäischen Kultur darstellte, führte Rousseaus Motiv weiter aus und gab ihm einen praktischen Anknüpfungspunkt.[20] In seinem ab 1569 in drei Teilen erschienen Epos „La Araucana“ prangerte der spanische Schriftsteller Alonso de Ercilla y Zúñiga die aus Gier nach Gold und Macht entstandenen Greueltaten seiner Landsleute an. Gleichzeitig verklärte er aber die einheimischen Araukaner als edle Wilde. Besonders im 17. und 19. Jahrhundert florierte diese romantische Wunschvorstellung über Urvölker. Ebenso stilisierte der Botaniker Philibert de Commerson Tahiti gar als ,Utopia' hoch und schuf damit inhaltlich dieses Paradies, in dem Menschen wohnten, die dieses nicht zerstörten, sondern mit ihm im Einklang lebten.[21]

Ein edler ,Wilder' bekommt diese Attribute zugewiesen, wie er gewisse Kriterien (oberflächlich oder tatsächlich) erfüllt: Er ist unschuldig, unvoreingenommen, ruhig und lebt in Harmonie mit Natur und anderen Menschen in einer lebensfrohen Weise. Zudem wurden den ,edlen Wilden' im 18. Jahrhundert ,,naturgegebene ethisch-moralische Qualitäten, eine Sinnlichkeit und Vitalität zugeschrieben, von denen sich der rational geleitete Zivilisierte weit entfernt habe".[22]

Gauguins Darstellungen von Tahitianerinnen, die Vahine, hat - um seinem Ideal zu entsprechen - nichts Europäisches an sich, sie ist sehr erdverbunden, in wunderschöne, farbenvolle Stoffe gehüllt, hat lange schwarze Haare, die sie offen trägt, ist geschmückt mit oder umgeben von Blumen, und hin und wieder zeigt sie sich barbusig. Ihr Blick ist zumeist kindlich neugierig, in sich gekehrt, oder sie scheint sich der Beobachtung nicht bewusst zu sein. Bei Gauguin wirkt die Vahine noch in ihre Umwelt, in die Natur eingebettet, ja beinahe beschützt, wenngleich sie bereits längst zum Objekt des (männlichen) Betrachters gemacht worden ist. In ihrer Schönheit will man(n), will Gauguin die Gutartigkeit ihres Wesens sehen, selbst in Momenten des Zweifels. „Ich wusste sehr wohl, dass ihre berechnende Liebe aus Dingen bestand, die sie in unseren europäischen Augen zur Hure macht. Aber für einen Beobachter bedeutet es etwas anderes. Diese Augen und dieser Mund konnten nicht lügen. Bei allen ist die Liebe so sehr angeboren – ob käuflich oder nicht, es ist immer Liebe.“

Gauguin, mit der Erwartung das Paradies vorzufinden - in der Natur wie in den Frauen - fand es für sich und hielt es für seine Nachwelt fest, in Bildern wie in Worten. All diese Momente, Mittel, derer er sich bediente, um die Stimmung und Atmosphäre festzuhalten – die Einbettung in die Natur, die heimliche Beobachtung, die kräftigen Farben, ... all dies setzt sich in der Fotografie fort, auch wenn mit der Zeit der romantische Rahmen den sexuellen Reizen der Mädchen immer weiter weichen wird.

Vahine heißt übersetzt Frau. Eine Vahine ist schlank und gut gebaut, sie ist jung und wunderschön. Sie ist keine Mutter, oder Hausfrau, sie ist ein Mädchen und eine Frau zugleich. Sie ist unschuldig und verführerisch, Madonna und Hure. Sie ist hier, um zu sein was die westlichen Entdecker in ihr gefunden zu haben glaubten. Die Konstruktion des „Anderen“, um sein eigenes Bild ein wenig vollständiger und aufregender zu gestalten.

Die Vahine existiert als Mythos, als Wunschvorstellung einer männlichen Fantasie, die in ihr „Exotik“ und „Erotik“ vereint, als ewig Wartende auf die neuen Abenteurer, die kommen, um ihr „Xenotopia“ zu erobern.

Fußnoten

  1.  ↑ Cassirer, E.: Versuch über den Menschen - Einführung in eine Philosophie der Kultur, Hamburg 1996 S. 47ff.
  2.  ↑ Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3, 1990, S. 109
  3.  ↑ Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, S. 42
  4.  ↑ Ebd., S. 15
  5.  ↑ http://www1.uni-hamburg.de/cassirer/intro/krois.html
  6.  ↑ Cassirer, E.: Die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt. In: Symbol, Technik, Sprache (Aufsätze 1927-1933), Hamburg 1985. S. 121-151, hier S. 125
  7.  ↑ http://www1.uni-hamburg.de/cassirer/intro/krois.html
  8.  ↑ George Herbert Mead (1863-1931) war bis zu seinem Tode Professor für Philosophie und Sozialpsychologie an der Universität Chicago. Beeinflusst durch die Evolutionstheorie Darwins verstand Mead das Bewusstsein des Menschen als evolutionäres Projekt der Auseinandersetzung des Organismus mit seiner Umwelt. Neben Dewey, Pierce und James gilt er als Begründer des amerikanischen Pragmatismus. Meads Überlegungen zur phylogenetischen Bildung des Bewusstseins und ontogenetischen Entwicklung der Identität unter Verwendung einer gemeinsamen Sprache bildeten den Grundstock für die Schule des symbolischen Interaktionismus.
  9.  ↑ Mead, G.H.: Philanthrophy from the Point of view of Ethics, in: Faris, F./Lause, F./Todd, A.J.: Intelligent Philanthrophy, Chicago 1930, S. 130-152
  10.  ↑ Wagner, H.-J.: Strukturen des Subjekts. Eine Studie im Anschluss an George Herbert Mead, Opladen 1993, S. 61
  11.  ↑ Cassirer, E.: Philosophie der symbolischen Formen, Band III, Darmstadt 1982, S. 235
  12.  ↑ Cassirer, E.: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. 1910, Hamburg 2000, S. 161
  13.  ↑ Zitiert nach Schwemmer, O.: Ernst Cassirer. Ein Philosoph der europäischen Moderne. Berlin 1997, S. 145
  14.  ↑ Ebd., S. 129
  15.  ↑ Cassirer, E. ''Mythus des Staates. Philosophische Grundlagen politischen Verhaltens,'' Hamburg 2002, S. 7
  16.  ↑ http://www1.uni-hamburg.de/cassirer/intro/krois.html
  17.  ↑ Zitiert in: Orth, E. W.: Von der Erkenntnistheorie zur Kulturphilosophie, Studien zur Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, Würzburg 1996, S. 192
  18.  ↑ http://www.zenit.org/de/articles/ernst-cassirer-philosophie-der-symbolischen-formen
  19.  ↑ Ellingson, T.: The Myth of the Noble Savage, Berkeley u. a. 2001, S. 14
  20.  ↑ Kohl, K.-H.: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation'','' Berlin 1981, S. 22f
  21.  ↑ Vgl. Urs Bitterli: Die Wilden und die Zivilisierten. München 1991, S. 388
  22.  ↑ Vgl. Anja Hall: Paradies auf Erden? Mythenbildung als Form von Fremdwahrnehmung: Der Südsee-Mythos in Schlüsselphasen der deutschen Literatur. Würzburg 2008, S. 90