e-Portfolio von Michael Lausberg
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Tschad: Politik, Religion, Geschichte

Tschad liegt in Zentralafrika mit Grenzen zu Libyen, Niger, Nigeria, Kamerun, Zentralafrikanischer Republik und Sudan. Das Land besteht etwa zu einem Drittel aus der Sahara im Norden, der ariden Sahelzone in der Mitte und dem tropisch-feuchten Süden.

Im Vielvölkerstaat Tschad kämpften Ende der 1970/Anfang der 1980er Jahren verschiedene Fraktionen um die politische und wirtschaftliche Macht. Der ehemalige lybische Staatspräsident Gaddafi unterstützte die moslemischen Gruppen, die ihren Rückhalt hauptsächlich unter den Toubou des Tibesti-Gebirges hatten. Dabei ging es ihm aber nicht nur um Hilfe für die Glaubensbrüder, sondern er versuchte auch alte libysche Gebietsansprüche auf den nördlichen Aouzou-Streifen durchzusetzen. Die Rebellen wurden in Südlibyen ausgebildet und mit Infanteriewaffen versorgt. Zusätzlich kamen aber auch kleinere Einheiten der Islamischen Legion zum Einsatz. Da sich in ihren Reihen viele Flüchtlinge aus dem Tschad befanden, konnte man diese Aktionen gut als die von „Freiheitskämpfern“ ausgehen. Im Laufe der Jahre wuchs jedoch das libysche Engagement, bis schließlich einige tausend Soldaten im Norden des Tschads standen und feste Basen im Aouzou-Streifen errichteten. Auf internationalen Druck hin wurden die Kämpfe immer wieder unterbrochen und es wurde der Versuch unternommen, auf dem Verhandlungsweg zu einer Lösung zu kommen.

1979 konnten dann die beiden Toubou-Rebellenführer Habré und Goukouni in N’Djamena die Macht übernehmen. Bald kam es jedoch auch zwischen ihren Truppen zu Zusammenstößen, und Goukouni wurde mit seinen Anhängern aus der Hauptstadt vertrieben. Habré war sehr antilibysch eingestellt und dachte gar nicht daran Gaddafis Ansprüche auf den Aouzou-Streifen anzuerkennen. Dieser schloss daraufhin mit Habrés Konkurrenten Goukouni, der offiziell als Präsident galt, ein Freundschaftsbündnis und schickte Truppen in großer Zahl.

Neben gut 7.000 Mann der libyschen Armee kamen nun auch 7.000 Legionäre zum Einsatz. In Libyen ging man deshalb in großem Stil dazu über Arbeitsimmigranten und Flüchtlinge mit Täuschung und Zwang zu rekrutieren und ohne Ausbildung an die Front zu werfen. Die französische Zeitung Le Monde schrieb darüber: „Das Expeditionskorps von 15.000 Mann, das in den Tschad geschickt worden war, war eine sehr gemischte Gruppe, von äußerst begrenzten strategischen Fähigkeiten und wenig Motivation. Einige waren Berufssoldaten, dazu eine große Zahl schlecht ausgebildeter Reservisten; der Rest Ausländer. Araber oder Afrikaner, Söldner, die sich selbst verachteten; arme Teufel, die nach Libyen auf der Suche nach Arbeit gekommen waren und mit mehr oder weniger Gewalt dazu gezwungen worden waren sich zu melden und nun in einer unbekannten Wüste kämpfen sollten.“

Für weiteren Nachschub an Käpfern sorgten die libyschen Volksbüros, die in befreundeten Staaten unterhalten wurden und nun in großem Stil damit begannen Söldner zu rekrutieren. Man warb dabei nicht nur in arabischen Staaten, sondern auch in Westafrika, Bangladesch und Pakistan. Mit der Wahrheit nahm man es dabei nicht so genau. Viele „Freiwillige“ unterzeichneten Arbeitsverträge und dachten, sie würden in der Ölindustrie gutes Geld verdienen. So sollen 1981 einige tausend Pakistaner als Gastarbeiter nach Libyen geholt worden sein, um dann im Tschad zu kämpfen.

Habrés Truppen den libyschen Flugzeugen und Panzern nichts entgegen zu setzen. Sie mussten sich geschlagen in den Sudan zurückziehen, setzten aber von dort aus den Kampf fort. Gaddafi konnte nun seinen ersten großen Sieg feiern und verkündete kurz darauf die Vereinigung des Tschads mit Libyen. Allerdings kam dies bei der Bevölkerung nicht gut an. Die Libyer bevorzugten in allem die arabische Minderheit und versuchten das Land radikal zu arabisieren. Besonderen Unwillen erregte, dass zur Vereinigung der „untrennbaren Völker“ im Norden einheimische Frauen mit libyschen Soldaten verheiratet wurden. Dabei verstand sich von selbst, dass Toubou-Männer dafür natürlich niemals libysche Frauen erhielten. Diese Praxis wurde mit gutem Grund als rassistisch empfunden.

Bald kam es zu schweren Kämpfen zwischen der von Goukouni geführten GUNT und der Islamischen Legion, die den Großteil der Besatzungstruppen stellte. Die Legion hatte dabei schwere Verluste sowohl im Gefecht wie auch durch Desertionen zu beklagen. Schwerer wog allerdings der politische Druck der afrikanischen Staaten, und als dann auch noch Goukouni den Abzug der Libyer forderte, zogen sich diese Ende 1981 in den Aouzou-Streifen zurück.

Die inneren Kämpfe und die allgemeine Unzufriedenheit nutzte Habré zu einem Einfall in den Osttschad. Gestärkt durch neue Allianzen eroberte er die Hauptstadt N’Djamena, den ganzen Süden und schließlich sogar die strategisch wichtige Oase Faya-Largeau im Norden, so dass die GUNT völlig ins Tibesti-Gebirge zurückgedrängt wurde.

Dies provozierte im Juni 1983 eine neue Offensive der Libyer mit der GUNT. Die Legion war daran nur gering beteiligt, da anscheinend erst noch die schweren Verluste von 1981 ersetzt werden mussten. Die Kämpfe konzentrierten sich auf Faya-Largeau, das mehrmals den Besatzer wechselte. Habré reorganisiert die verschiedenen Milizen nun als FANT, die ausgesprochen gut kämpfte. Dennoch konnte eine libysche Großoffensive nur durch massives französisches Eingreifen abgewehrt werden.

Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser hatte schon 1965 vor einer zu schnellen arabischen Vereinigung ohne vorangegangene wirtschaftliche Integration gewarnt. Nach Ägyptens Niederlage im Sechstagekrieg 1967, die ein Scheitern seiner Politik bedeutete, zog Nasser die ägyptischen Soldaten auch aus dem Nordjemenitischen Bürgerkrieg zurück, von Ägypten gingen zunächst keine Vereinigungsprojekte mehr aus. Libyen trat erst danach als panarabischer Akteur und Initiator arabischer Vereinigungsprojekte in Erscheinung.

Am 1. September 1969 putschte unter Führung Muammar al-Gaddafis eine Gruppe junger, proägyptischer Offiziere in Libyen und stürzte die Monarchie. Bereits im Mai 1969 hatte ein Militärputsch unter Führung Dschafar Muhammad an-Numairis auch im Sudan ein proägyptisches Regime an die Macht gebracht. Gaddafi, der als glühender Anhänger Nassers auftrat, versuchte sofort, sein Idol für eine Vereinigung Libyens und Sudans mit Ägypten zu gewinnen. Nasser unterstützte Libyen zwar beim Umbau des Bildungssektors und der Verwaltung mit ägyptischen Beratern, gleichzeitig soll er aber aus seiner Geringschätzung für Gaddafi keinen Hehl gemacht und nach dem ersten Treffen der beiden deutlich auf Distanz zu ihm gegangen sein.

Objektiv sprachen einige historische und wirtschaftliche Aspekte durchaus für einen Zusammenschluss Libyens mit seinen Nachbarstaaten. Von der Arabisierung bzw. Islamisierung Libyens im 7. Jahrhundert bis zur italienischen Kolonialzeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte der Osten des heutigen Libyen (zumindest Barqa) über viele Jahrhunderte hinweg immer wieder mehr oder weniger zu Ägypten gehört, der Westen Libyens (zumindest Tripolitanien) hingegen meist zu Tunesien. Der erst seit 1951 unabhängige Staat Libyen war und ist wegen seiner kleinen Bevölkerungszahl trotz seines Ölreichtums ein Land mit Arbeitskräftemangel. Seine wirtschaftlich ärmeren Nachbarländer Ägypten, Sudan, Tunesien und Tschad hingegen sind Staaten mit einem Bevölkerungs- bzw. Arbeitskräfteüberschuss. Die sich seit 1959 rasch entwickelnde Ölindustrie Libyens benötigte zunehmend Gastarbeiter aus den Nachbarländern. Gaddafis ausgreifende Bewässerungsprojekte schienen zudem Lebensraum für Millionen zusätzlicher Einwohner zu bieten, während die begrenzten fruchtbaren Gebiete am Nil die wachsende Bevölkerung allmählich kaum noch ernähren können. Die aus dem Ölgeschäft sprudelnden Milliardengewinne versprachen wiederum jene Lücken in den Staatshaushalten Ägyptens und Sudans zu füllen, die die Kriege gegen Israel bzw. gegen südsudanesische Rebellen hinterlassen hatten.

Pauschal wird zumeist der mit den Ambitionen der jeweiligen Unionspartner rivalisierende Führungsanspruch Gaddafis und seine vermeintliche Unberechenbarkeit als Grund für das Scheitern aller Vereinigungspläne angeführt. Für das jeweilige Scheitern sind aber immer auch spezifisch-politische, wirtschaftliche und historisch-bedingte Besonderheiten mitverantwortlich gewesen, die die beteiligten arabisch-afrikanischen Staaten und ihre Gesellschaften unterscheiden.

Gaddafis erster Vereinigungsversuch war zugleich Nassers letzter. Auf mehr als ein politisches Aktionsbündnis, eine Revolutionäre Arabische Front mit Libyen und Sudan, ließ sich der ägyptische Präsident aber zunächst nicht ein (Charta von Tripolis, Dezember 1969). Erst im April 1970 kam es zu einer trilateralen Föderationsvereinbarung, doch im September 1970 verstarb Nasser plötzlich.

Den nächsten Schritt vereinbarte Gaddafi mit Nassers Nachfolger Anwar as-Sadat. Ägypten, Libyen und Sudan bildeten Anfang November 1970 eine Vereinigte Politische Führung, die eine Föderation Arabischer Republiken vorbereiten sollte. Nach dem Putsch Hafiz al-Assads schloss sich Ende November 1970 auch das nichtafrikanische Syrien an, woraufhin sich Sudan allmählich zurückzog. Die Föderation wurde im April 1971 stattdessen von Ägypten, Libyen und Syrien geschlossen und trat im Januar 1972 formal in Kraft. Innerhalb der Föderation vereinbarten Gaddafi und Sadat im August 1972 sogar den vollständigen Zusammenschluss ihrer Staaten in einer Union bis September 1973.

Gaddafis und Sadats Beweggründe und Zielsetzungen waren allerdings sehr verschieden. Gaddafi sah sich als ideologischer Erbe Nassers und wollte dessen Nachfolger Sadat auf eine Fortsetzung der Politik Nassers festlegen, doch zunächst war Gaddafi noch zur Unterordnung unter den über 23 Jahre älteren Sadat bereit. Der ebenfalls noch im Schatten von Nassers Charisma stehende Sadat strebte danach, seine Position durch einen erneuten Krieg gegen Israel und die Rückeroberung der unter Nasser 1967 verlorenen Gebiete (Sinai, Gaza) zu festigen. Für diesen Krieg war das ägyptisch-syrische Militärbündnis wichtiger als die Union mit Libyen, welche keine bedeutende militärische Verstärkung darstellte. Auch Syrien war mehr an militärischer Unterstützung zur Rückeroberung der israelisch besetzten Golanhöhen als an einer vollständigen Vereinigung interessiert. Libyen wiederum, das keine Gebiete verloren hatte, hielt einen solchen Krieg für Ressourcenverschwendung und war gerade mit der Eroberung des tschadischen Aouzou-Streifens beschäftigt.

Sadat taktierte und zögerte die Verwirklichung der ägyptisch-libyschen Union immer wieder heraus. Frustriert über die Stagnation des Vereinigungsprozesses versuchte Gaddafi im Juli 1973, die Verwirklichung der Union durch einen friedlichen Einheitsmarsch tausender Libyer nach Kairo zu erzwingen, doch Sadat ließ die Demonstration an der ägyptischen Grenze stoppen, womit die Union faktisch schon gescheitert war. Im Oktober 1973 lösten Ägypten und Syrien den Krieg aus, ohne Libyen in die Vorbereitungen eingebunden oder auch nur konsultiert zu haben. Dennoch sandte Gaddafi unmittelbar nach Ausbruch der Kämpfe etwa 40 libysche Mirage-Kampfflugzeuge und Milliarden von US-Dollars zur Unterstützung. Den infolge des militärischen Patts nach ägyptischer Offensive und israelischer Gegenoffensive abgeschlossenen Waffenstillstand mit Israel lehnte er ab und stoppte deshalb im März 1974 die finanzielle Unterstützung für Ägypten. Sadat holte daraufhin im April 1974 provokativ den von Gaddafi gestürzten libyschen Ex-König Idris nach Kairo. Die Föderation war damit faktisch beendet. Die ägyptisch-libyschen Beziehungen verschlechterten sich rasch und führten schließlich im Juli 1977 zu einem kurzen ägyptisch-libyschen Grenzkrieg, doch erst nach Sadats Jerusalem-Reise im November 1977 verließen Libyen und Syrien auch formal die Föderation.

Einer der ungewöhnlichsten libyschen Vereinigungspläne war die Union mit dem zwischen Südeuropa und Nordafrika liegenden Inselstaat Malta. Die 1972 von Gaddafi und Maltas sozialistischem Premier Dom Mintoff (Malta Labour Party) angekündigte Libysch-Maltesische Bundesrepublik kam jedoch trotz der Zahlung von 1 Milliarde US-Dollar an Malta nie zustande.

Gaddafi und Mintoff betonten dennoch weiterhin die arabischen Wurzeln Maltas. Maltesisch ist ein Ableger des Arabischen, aber unter gemeinsamer (christlicher) Herrschaft standen Tripolis und Malta zuletzt im 16. Jahrhundert. Trotz späterer Phasen zwischenzeitlicher Verstimmungen und christdemokratischer Wahlsiege blieben die Beziehungen während der langen Regierungszeit Mintoffs und auch nach dessen Abgang 1984 mehr oder weniger freundschaftlich, vor allem auch weil sie von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt sind. Auch Malta hat einen Arbeitskräfteüberschuss, selbst während der Zeit der westlichen Sanktionen arbeiteten Malteser auf libyschen Ölfeldern und libysche Firmen investierten auf Malta. Vor dem US-amerikanischen Angriff 1986 wurde Libyen von Malta gewarnt. (Gaddafi hielt sich daraufhin nicht in seiner Residenz auf und überlebte so den US-Bombenangriff.) Malta ist heute das EU-Mitglied mit den besten Beziehungen zu Libyen.

Schon im Dezember 1972 hatte Gaddafi den prowestlichen, sozialdemokratischen Präsidenten Tunesiens, Habib Bourguiba aufgefordert, sein Land an die Föderation Arabischer Republiken anzuschließen, was Bourguiba damals noch abgelehnt hatte. Bourguiba hatte sich jedoch im September 1973 für einen späteren Zusammenschluss Algeriens, Tunesiens und Libyens ausgesprochen („Vereinigte Staaten von Nordafrika“). Nach dem Scheitern der Föderation bzw. der Union Libyens mit Ägypten schlossen der damals 30-jährige Gaddafi und der bereits 70-jährige Bourguiba am 12. Januar 1974 im tunesischen Djerba eine Vereinbarung über die Bildung einer gemeinsamen Arabischen Islamischen Republik, der Bourguiba völlig überraschend doch noch zugestimmt hatte. Obwohl Bourguiba nur drei Tage später nach Widerständen innerhalb seiner alleinregierenden Destur-Partei von der Vereinbarung wieder zurücktrat, indem er am 14. Januar 1974 die für den 20. März 1974 vorgesehene Volksabstimmung auf unbestimmte Zeit verschob, wurde in Libyen die Volksabstimmung am 18. Januar 1974 durchgeführt. Der als panarabisch geltende Außenminister Tunesiens, Muhammad Masmudi, der sich besonders für das Zustandekommen der Vereinigungsvereinbarung eingesetzt hatte, wurde noch im Januar 1974 entlassen. Die libysch-tunesischen Beziehungen verbesserten sich erst wieder 1977 etwas und verschlechterten sich 1980 erneut, als Libyen Unruhen in Tunesien schürte.

Nachdem die Föderation Arabischer Republiken mit der Jerusalem-Reise Sadats im November 1977 endgültig auseinandergebrochen war, lud Gaddafi Syrien sowie andere progressive arabische Regimes zur Bildung einer Front der Standhaftigkeit gegen den 1978 geschlossenen ägyptisch-israelischen Separatfrieden von Camp David ein. Ein anderer Aspekt dieser von Libyen und Algerien inszenierten Frontbildung war das Bemühen Gaddafis um militärischen Schutz vor einer ägyptischen Invasion. Der kurze ägyptisch-libysche Grenzkrieg vom Juli 1977 hatte bereits die hoffnungslose Unterlegenheit der kleinen libyschen Armee gegenüber der zehnmal größeren Streitmacht Ägyptens offenbart. Gaddafi hoffte, die anderen „Standhaftigkeitsländer“ würden gegebenenfalls Truppen zum Schutz seines Regimes entsenden und Libyen so den Rücken während seines Eingreifens in den Tschadischen Bürgerkrieg freihalten. Schließlich holte Gaddafi noch das nichtarabische und nichtislamische (kommunistische) Regime Äthiopiens in die Front.

Syrien hatte nach dem Wegfall des militärischen Bündnispartners Ägypten zunächst Ersatz gesucht im Irak, der bereits 1972 einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion geschlossen hatte. Auch unter dem Druck des israelischen Einmarsches in den Südlibanon ab April 1978 wurde am 26. Oktober 1978 vorübergehend eine syrisch-irakische Aussöhnung erreicht und sogar eine Vereinigung beider baathistischen Staaten beschlossen. Doch nach dem Machtantritt Saddam Husseins kündigte der Irak im Juli 1979 die beschlossene Union auf. Ein erster Aufstand der Muslimbrüder und der sich seit Juli 1980 ankündigende Irakisch-Iranische Krieg verschlimmerte die militärische Lage des isolierten Syrien weiter. In eiliger Parteinahme für den Iran hatte Syrien der (von Nachschub und Ersatzteilen aus den USA abgeschnittenen) iranischen Luftwaffe zahlreiche syrische Kampfflugzeuge „geliehen“, und über 1.000 syrische Panzer waren drohend an den Grenzen zum Irak und zu Jordanien aufgefahren. Die Sowjetunion hatte daraufhin die Lieferung weiteren Kriegsmaterials bis zur Begleichung der syrischen Schulden ausgesetzt.

Aus Furcht vor einem Zweifrontenkrieg wandte sich Syrien daher wieder Libyen zu. Gaddafi beglich zunächst gegenüber der Sowjetunion syrische Schulden in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar und schlug am 1. September 1980 Assad den Zusammenschluss Libyens und Syriens zu einem sozialistischen Einheitsstaat vor. Assad stimmte dem Vereinigungsvorschlag zu und schon am 10. September wurde eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet, die eine „Organische Union“ bzw. die Verschmelzung beider Staaten binnen eines Monats vorsah. Die Rolle der Sowjetunion hinter dieser Diplomatie blieb unklar, doch nach der Ankündigung der Union schloss die Sowjetunion im Oktober 1980 auch mit Syrien einen Freundschaftsvertrag.

Die Unterschiedlichkeit Syriens und Libyens erschwerte einen Zusammenschluss grundsätzlich. Anders als noch 1971 war die Etablierung der libyschen Dschamahirija 1980 bereits fortgeschritten. Diese Staatsform war trotz gemeinsamer „sozialistischer Orientierung“ mit dem militärisch-bürokratischen Beamtenstaat Syrien kaum kompatibel. Bei einem libysch-syrischen Gipfeltreffen vom 15. bis 17. Dezember 1980 in Banghazi wurden daher Abstriche am Zeitplan für die Vereinigung gemacht, womit das Projekt faktisch gescheitert war. Gaddafi und Assad beschlossen nur die Einsetzung einer Kommission, die erst einmal eine gemeinsame Verfassung erarbeiten sollte.

Kritik kam vor allem von der irakischen Führung. Iraks Außenminister Tariq Aziz wies 1981 auf den geringen militärischen bzw. geostrategischen Wert des geplanten Zusammenschlusses hin. Wie die Kriege von 1967 und 1973 gelehrt hätten, benötige das schwache Syrien im Falle eines Kriegs gegen Israel ein starkes Hinterland, das natürlich nur der Irak, nicht aber das weit entfernte und militärisch schwächere Libyen sein könne. Libyen könne aus geographischen Gründen bestenfalls Ägyptens Hinterland sein, doch benötige ein starkes Ägypten kein solches Hinterland und sei ohnehin nicht Teil des geplanten Zusammenschlusses.„Die Fläche Libyens spielt keine Rolle bei dem arabisch-zionistischen Konflikt, nur dann, wenn Libyen als strategische Tiefe für Ägypten genutzt wird. Aber Ägypten, wohlgemerkt, verfügt über eine große Landfläche und bedarf dieser Tiefe auch in seinem Kampf gegen den zionistischen Feind nicht. Das ist ganz verschieden zum Beispiel von den syrisch-irakischen Beziehungen. Aufgrund der kleinen Bevölkerungszahl und des niedrigen Niveaus… der technologischen Entwicklung Libyens ist es kaum in der Lage, eine militärische Streitmacht aufzustellen, die eine entscheidende Bedeutung… haben kann.

Angesichts der Konfrontation zwischen Libyen und der US-Flotte im Golf von Syrte im August 1981 erklärte Assad zwar erneut seine Solidarität mit Libyen, und Gaddafi verhandelte in Syrien noch immer über die Union, militärisch jedoch stand Libyen in diesem Konflikt und beim Bürgerkrieg im Tschad ebenso allein wie Syrien bei der israelischen Annexion der Golanhöhen im Dezember 1981 bzw. beim Aufstand der Moslembrüder in Hama und beim Libanonkrieg 1982. Dennoch trat das libysch-syrische Oberste Politische Komitee noch am 20. Mai 1985 zu einer (letzten) gemeinsamen Sitzung zusammen, Libyen gehörte zu diesem Zeitpunkt aber bereits einer anderen Union an (Arabisch-Afrikanische Föderation mit Marokko). Syrien hat sich seitdem an keinerlei weiteren Einigungsprojekten mehr beteiligt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Unionsprojekten mit Libyens Nachbarstaaten führte das Scheitern des libysch-syrischen Projekts nicht zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Libyen und Syrien – auch nicht während des Kuwait-Krieges 1990/91, als Syrien sich der antiirakischen Koalition anschloss, Libyen aber eine proirakische Haltung einnahm.

Nach dem vorläufigen Scheitern der panarabischen Einigungspläne widmete sich Gaddafi zunächst der panislamischen Mission in den angrenzenden afrikanischen Sahel-Staaten und folgte damit zumindest indirekt einer Mission, die schon im 19. Jahrhundert von libyschen Senussi begonnen worden war. Dabei konzentrierte er sich auf das südliche Nachbarland Tschad, dessen sehr dünn besiedelte Nordregionen vor der französischen Kolonialherrschaft (1899/1907–1960) von den Senussi dominiert worden waren. Gaddafis Mission wurde allerdings seit seiner Verdammung durch die Islamische Weltliga (1983) erschwert.

Im Schatten des Tschadischen Bürgerkriegs annektierte Libyen 1973 den Aouzou-Streifen und unterstützte 1979 die gegen die Regierung in N’Djamena kämpfenden FROLINAT-Rebellen um den aus dem Nordtschad stammenden Goukouni Oueddei. Zu diesem Zweck hatte Gaddafi 1974 die „Islamische Legion“ geschaffen – eine von Libyen ausgebildete, ausgerüstete und finanzierte Art Fremdenlegion muslimischer Revolutionäre und nichtmuslimischer Söldner vor allem aus Westafrika.

Mit Hilfe libyscher Truppen übernahm Oueddei 1980 als Präsident einer Übergangsregierung (GUNT) die Macht in N'Djamena. Die 1981 verkündete Union mit Libyen aber isolierte Oueddei. nach dem Abzug der Libyer wurde er 1982 mit französischer Hilfe von Verteidigungsminister Hissène Habré gestürzt und nach Norden vertrieben. Eine erneute libysche Invasion zugunsten Oueddeis wurde 1983 und 1984 durch direktes französisches und zairisches Eingreifen gestoppt („Operation Manta“). Nördlich der von Frankreich festgelegten „roten Linie“ (zuerst 15. bzw. ab 1984 dann 16. Breitengrad) aber konnte Oueddeis GUNT sich in Faya-Largeau sowie der gesamten Borkou-Tibesti-Region behaupten und ein mit Libyen verbündetes bzw. von Libyen abhängiges Regime errichten. Im nordtschadischen Ouadi Doum errichteten die Libyer eine Luftwaffenbasis, in Bardai residierte die GUNT-Gegenregierung. Bei GUNT-internen Kämpfen förderte Gaddafi 1986 den arabisch-stämmigen Acheikh ibn Oumar gegen den erfolglosen Oueddei, während sich Oueddei zunächst mit Habré, dann aber wieder mit Gaddafi und Ibn Oumar aussöhnte. Sofort griffen tschadische Truppen in die Kämpfe ein und mit französischer Hilfe vertrieben sie die Libyer bis 1987 aus dem gesamten Norden des Landes („Operation Epervier“ 1986, „Toyota wars“ 1987). Allein den Aouzou-Streifen konnte Gaddafi nach einer libyschen Gegenoffensive zunächst noch behaupten. 1988 verbündete sich auch Ibn Oumar mit Habré, so dass sich Libyen 1989 gezwungen sah, die Entscheidung über den Aouzou-Streifen dem Internationalen Gerichtshof zu überlassen.

Ähnlich Nassers Eingreifen in den Nordjemenitischen Bürgerkrieg (1962–1967) hatte auch Gaddafis Tschad-Abenteuer Libyen überfordert und nur Verluste eingebracht: Die kleine Armee war geschwächt, der Krieg hatte mehrere Milliarden US-Dollar und viel internationales Ansehen gekostet.

Ebenso erfolglos blieben Gaddafis Versuche, in Niger, Mali oder dem Sudan durch Putschversuche und die Unterstützung von Rebellengruppen prolibysche Regime an die Macht zu bringen, die sich dann wiederum mit Libyen zu den „Vereinigten Staaten des Sahel“ oder den „Vereinigten Staaten von Nordafrika“ zusammenschließen sollten. Malis und Nigers Tuareg-Rebellen bot Gaddafi wiederholt Libyen als Rückzugsgebiet an und erklärte Libyen sogar zu deren vermeintlicher Urheimat. In Zentralafrika und Uganda intervenierten libysche Truppen vergeblich zur Unterstützung der Regimes Bokassas und Idi Amins (später auch zugunsten Patassés). Allein in Burkina Faso errichtete Gaddafis Bewunderer Thomas Sankara 1983 ein mit Libyen verbündetes Regime, das Gaddafi stolz als „die zweite Dschamahirija in der Welt“ bezeichnete. Mit der Ermordung Sankaras 1987 durch prowestliche Putschisten endete allerdings auch dieses Bündnis.

Die Idee einer Vereinigung Marokkos und Libyens in einer Union ging eher von König Hassan II. als von Gaddafi aus. Das war zunächst umso überraschender, weil Libyen 1971/72 zwei republikanische Putschversuche in Marokko und seit 1979 die gegen Marokko kämpfende Frente Polisario unterstützt hatte.

In der Region waren beide Staaten um 1984 mehr oder weniger isoliert – Marokko wegen des Westsaharakonflikts, Libyen wegen der zunehmenden Konfrontation mit der US-Mittelmeer-Flotte in der Großen Syrte sowie wegen der libyschen Unterstützung für Rebellen im Tschad und im Südsudan. 1982 und 1983 hatten Ägypten und Sudan bestimmte Integrationsschritte und Militärkooperationen unternommen, die sich vor allem gegen Libyen richteten. POLISARIO-Hauptförderer Algerien wiederum hatte 1983 eine Allianz mit Tunesien und Mauretanien geschlossen, die sich zwar hauptsächlich gegen Marokko richtete, aber auch Libyen ausschloss. 1984 sah sich Marokko gezwungen, aus der Organisation für Afrikanische Einheit auszutreten, die sich ebenfalls auf die Seite der POLISARIO gestellt hatte.

Die am 13. August 1984 im ostmarokkanischen Oujda geschlossene und durch Volksabstimmungen in beiden Ländern mit jeweils über 97 % bestätigte Arabisch-Afrikanische Föderation (wörtlich eigentlich: Arabisch-Afrikanische Union) Marokkos und Libyens führte faktisch zu keinerlei Verschmelzung der ungleichen Partner. Die wohlhabende, antiwestliche und sozialistisch-orientierte Volksrepublik gab der verarmten, konservativen und prowestlichen Monarchie aber Wirtschaftshilfe, im Gegenzug dazu vermittelte Marokko zwischen Frankreich und Libyen ein Stillhalteabkommen, das den Tschad faktisch entlang des 16. Breitengrads teilte. Libyen wiederum stellte seine Unterstützung für die POLISARIO ein, ohne jedoch die Anerkennung der Sahara-Republik zurückzunehmen. Drei Tage vor seinem Sturz im April 1985 behauptete der sudanesische Militärdiktator Dschafar Muhammad an-Numairi, Gaddafi habe ihm 5 Milliarden US-Dollar für einen Beitritt auch des Sudan zur Arabisch-Afrikanischen Föderation angeboten.

Die auf Konfrontation mit Libyen ausgerichtete US-Politik der Regierung Reagan konnte oder wollte Marokko kaum beeinflussen. Wegen des US-amerikanischen Embargos gegen Libyen kam im Januar 1986 zwar nochmals der gemeinsame Wirtschaftsausschuss der Föderation zusammen, doch die US-Angriffe vom März 1986 und April 1986 konnte oder wollte Marokko nicht abwenden. Libyen warf Marokko vor, den von Großbritannien kommenden US-Bombern den Überflug gestattet zu haben (anders als etwa Frankreich, Italien oder Spanien. Damit war die Föderation faktisch gescheitert; Libyen begann, sich mit Marokkos Gegner Algerien zu versöhnen. Zum endgültigen Bruch kam es erst, als König Hassan am 22. Juli 1986 den damaligen israelischen Premier Schimon Peres zu (ergebnislosen) Gesprächen in Marokko empfing. Bei einem Besuch des syrischen Präsidenten Assad in Tripolis verurteilte Gaddafi am 24. August 1986 das marokkanisch-israelische Treffen als Verstoß gegen den Föderationsvertrag. Daraufhin kündigte Hassan am 28. August 1986 per Telegramm die Föderation.

Mit dem Sturz Numairis hatte sich seit April 1985 zunächst die Chance auf eine Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Beziehungen zum Sudan ergeben. Am 11. Juni 1985 schlug Gaddafi vor, die Arabische Liga in eine Arabische Union mit gemeinsamen legislativen, exekutiven und judikativen Organen umzuwandeln. Vorbild waren die Europäischen Gemeinschaften (aus denen später die Europäische Union wurde) bzw. das Europäische Parlament, die Europäische Kommission usw.

Der Vorschlag wurde noch am gleichen Tag dem Föderationspartner Marokko sowie Sudan, am 12. Juni Syrien und am 13. Juni Jordanien unterbreitet. Am 23. Juni 1985 erklärte Gaddafi, der libysche Vorschlag sei bereits bei Syrien, Saudi-Arabien und der Jemenitischen Arabischen Republik (Nordjemen) auf Zustimmung gestoßen. Am 6. Juli 1985 stimmte auch der Föderationspartner Marokko zu. Daraufhin schuf Libyen eine „arabische Staatsbürgerschaft“ für alle in Libyen lebenden Staatsangehörigen arabischer Bruderländer, wies aber ab dem 5. August 1985 jene nichtlibyschen Araber aus, die diese Staatsbürgerschaft nicht annehmen wollten (offiziell, um weiteren Devisenabfluss zu verhindern). Bis zum 13. Oktober 1985 waren von den Ausweisungen 100.000 Bürger arabischer Staaten, vor allem Tunesiens (30.000) und Ägyptens, aber auch des verbündeten Syriens, betroffen.[21 ] Ausgenommen von den Ausweisungen waren nur Gastarbeiter aus Marokko und Sudan.

Nach der Aufkündigung der Föderation mit Marokko warb Gaddafi bei einem Besuch in Khartum erneut für seinen Arabischen Unionsplan und schlug dem sudanesischen Premierminister Sadiq al-Mahdi am 9. September 1986 zudem eine bilaterale Union vor. Al-Mahdi wies jedoch darauf hin, dass nach der langen Zeit der Diktatur zuerst die innere Einheit des Sudans durch eine Friedenslösung für den Südsudan und die Demokratisierung des gesamten Landes erreicht werden müsse

Da die Franzosen aber auf keinen Fall einen langwierigen Krieg wünschten, einigten sie sich schließlich mit Gaddafi auf einen gegenseitigen Truppenabzug. Die Franzosen verließen daraufhin die Region, und die Libyer bauten Wadi Doum im Aouzou-Streifen zu einer gewaltigen Militärbasis aus. Die Zeit drängte, denn die FANT wurde immer stärker. Frankreich lieferte Milan-Panzerabwehrraketen, die USA Boden-Luft-Raketen und schnelle Geländewagen, wodurch die FANT enorm an Mobilität gewann.

Außerdem liefen nun auch im Norden immer mehr GUNT-Kämpfer zur FANT über, da der Kampf gegen Libyen zunehmend als nationale Angelegenheit betrachtet wurde. Im Februar 1986 fühlte sich Gaddafi stark genug und startete eine Großoffensive mit über 10.000 Mann – GUNT, Libyer und Legionäre -, hunderten von Panzern und zahlreichen Flugzeugen. Nach ersten Rückschlägen schickte er nur weitere Truppen und noch mehr Material. Doch die Lage hatte sich grundlegend geändert. Mit Hilfe der schnellen Geländewagen kehrte die FANT zur Taktik des ihr vertrauten Wüstenkrieges zurück. Die schwerfälligen Panzerkolonnen der Libyer wurden überraschend an den Flanken angegriffen, einzelne Einheiten isoliert und aufgerieben.

In N'Djamena haben am 15. Juni 2015 wahrscheinlich islamistische Attentäter Einrichtungen der Polizei angegriffen, dabei gab es mehr als 20 Tote und Verletzte. In der Hauptstadt des Tschads soll das Hauptquartier der Boko-Haram-Eingreiftruppe errichtet werden.

Zur Verhinderung von Anschlägen islamischer Terroristen wurden im Juni 2015 Schleier und Turbane, die das Gesicht einer Person bis auf die Augen verbergen, ab sofort verboten. Diese Maßnahme im Kampf gegen den Terror besaß Pioniercharakter und wurde in dem mehrheitlich islamischen Land in breiten Bevölkerungsschichten nicht akzeptiert.

Die tschadsche Regierung unter Premierminister Kalzeube Pahimi Deubet verkündete diese Maßnahme am Vorabend des Ramadan, der einmonatigen muslimischen Fastenzeit. Die Burka, bei der selbst die Augen hinter einem Netz verborgen bleiben, aber auch der Nikab, ein von Frauen bevorzugter Gesichtsschleier, der nur die Augenpartie offen lässt, galten als „verbotene Tarnkleider“. In den nächsten Tagen und Wochen kontrollierte die Polizei landesweit Kleiderauslagen von Märkten und Geschäften und ließ beanstandete Waren beschlagnahmen und verbrennen.

Das Verbot erfolgte nach einem Doppelanschlag von Selbstmordattentätern in der Hauptstadt. Bei dem Angriff auf das Polizeikommissariat und die danebenliegende Polizeischule waren 33 Menschen getötet und hunderte verletzt worden.

Der Tschad hatte seit Dezember 2014 eine regional führende Rolle bei der Bekämpfung der islamischen Terrororganisation Boko Haram übernommen, obwohl das Land gemessen an Wirtschaftskraft und militärischer Ausrüstung viel schlechter dasteht als das Nachbarland Nigeria, wo sich das Hauptrückzugsgebiet von Boko Haram befindet. Der Einsatz der beweglichen und im Wüstenkampf gestählten tschadischen Armee stärkte indirekt auch die Moral und die Erfolgsaussichten der nigerianischen Truppen. Seit dem Eingreifen des Tschads wendete sich das Kriegsgeschehen immer mehr gegen Boko Haram.

Für den Anschlag in N’Djamena hatte zwar niemand offiziell die Verantwortung übernommen, aber für Experten und Behörden stehen fest, dass dahinter Angehörige der Boko-Haram-Miliz stehen. Boko Haram hatte den Tschad und andere Staaten, die Nigeria im Kampf gegen den islamistischen Terror unterstützten, mehrmals Rache geschworen.

Im Tschad kam es bisher nur zu Angriffen auf Dörfer am Tschadsee durch Kämpfer von Boko Haram. Nachdem sich zuvor getroffene Sicherheitsvorkehrungen als ungenügend erwiesen haben, um Terrorangriffe in der Hauptstadt zu verhindern, erweiterte die Regierung des Tschads nun die militärischen Massnahmen.

Der Tschad ist der erste mehrheitlich muslimische Staat in Afrika, der ein Verschleierungsverbot verhängte. Bei den eskalierenden Bombenanschlägen in Nigeria seit mehr als einem Jahr setzte Boko Haram vermehrt Selbstmordattentäterinnen ein, die die tödlichen Sprengkörper unter ihrer islamischen Tracht verbargen und so unerkannt am Bewachungspersonal Märkten oder Moschee-Vorplätzen vorbeikamen. Im Tschad sind zwar Verschleierungen seltener im Stadt- und Strassenbild anzutreffen als in den Städten im Norden Nigerias, trotzdem sorgte diese Vorkehrung besonders bei muslimischen Geistlichen und in der Bevölkerung für Unmut, obwohl die wenigsten mit den radikalen islamischen Ansichten oder mit den Morden Boko Harams sympathisieren.

Truppen des afrikanischen Landes Tschad sind bei ihrem Einsatz gegen Boko Haram erstmals auf nigerianischen Boden vorgedrungen. Nach Armeeangaben starben bei Gefechten 200 Kämpfer der Terrorgruppe. Im Kampf gegen Boko Haram war die tschadische Armee am Dienstag erstmals von Kamerun aus auf das Gebiet Nigerias vorgedrungen. Nach tagelangen Luftangriffen auf mutmaßliche Stellungen der Rebellen in Gamboru überquerten etwa 2000 tschadische Soldaten den Grenzfluss. Zudem wurden auch an der Grenze zwischen dem Niger und Nigeria tschadische Truppen zusammengezogen.

Wie der tschadische Generalstab mitteilte, starben bei den Kämpfen in der nigerianischen Grenzstadt Gamboru zudem neun tschadische Soldaten.

Die Islamisten starteten unterdessen eine Gegenoffensive in Kamerun. Die Zahl der toten Boko-Haram-Kämpfer könne noch steigen, weil Gamboru noch durchkämmt werde, hieß es seitens des tschadischen Generalstabs. Nach Angaben aus kamerunischen Sicherheitskreisen flohen Kämpfer der Islamisten angesichts der Gefechte über die Grenze nach Kamerun. Dort wurden sie am Mittwoch in der Stadt Fotokol von der kamerunischen Armee und tschadischen Soldaten heftig bekämpft.

Einwohner berichteten, Boko-Haram-Kämpfer hätten Zivilisten die Kehle durchgeschnitten und die Hauptmoschee der kamerunischen Grenzstadt in Brand. Die dort lebenden Kanuri stellen den bei weitem größten Teil der Mitglieder von Boko Haram. Kanuri ist ein Volk in der zentralen Sudanzone und am Tschadsee. Sie sehen sich als das Staatsvolk des alten Reiches Bornu. Die Kanuri sind seit dem 11. Jahrhundert Muslime und haben ca. 5 Millionen Angehörige. Die bei Boko Haram gelebte extreme Version des Islams ist schon seit Jahrhunderten Teil ihrer Kultur.

Angesichts der Kämpfe in Kamerun kehrten tschadische Soldaten am Mittwoch von Nigeria aus wieder zurück in das Nachbarland, um dort in der Grenzstadt Fotokol die kamerunischen Truppen zu unterstützen. Wie in der nigerianischen Grenzstadt Gamboru durchsuchten die Soldaten aus dem Tschad auch die kamerunische Grenzstadt Fotokol nach dort verschanzten Boko-Haram-Kämpfern.

Die beiden Grenzstädte sind durch eine 500 Meter lange Brücke voneinander getrennt. Von einigen nigerianischen Grenzdörfern bei Gamboru aus ist der Übergang nach Fotokol einfach. Für die nigerianische Armee, der es bisher nicht gelang, Boko Haram Herr zu werden, bedeutet die Präsenz tschadischer Soldaten in Nigeria nach eigenen Angaben keine Verletzung der "territorialen Integrität" des Landes.

Auch an der Grenze zwischen Niger und Nigeria bezogen tschadische Truppen Stellung. Ein Kontingent von etwa 400 Armeefahrzeugen und Panzern sei zwischen den ostnigrischen Ortschaften Mamori und Bosso stationiert, berichtete der nigrische Radiosender Anfani. Nur der Fluss Komadougou Yobé trennt die beiden Orte von Nigeria.

Die Region im Nordosten Nigerias ist eine der Hochburgen von Boko Haram. Nicht ausgeschlossen wurde ein Angriff tschadischer Tuppen auf den von Boko Haram kontrollierten nigerianischen Ort Malam Fatori auf der anderen Seite des Flusses.

Der aktuelle Kommandeur der radikal-islamistischen algerischen Terrororganisation "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" (GSPC), Abu Musab Abdul Wadoud, verkündete die aktuelle Namensumwandlung der GSPC in „al-Qaida Organisation für den islamischen Maghreb". Unterfüttert war die Erklärung mit Hinweisen auf eine Absprache der GSPC mit al-Qaida Chef Osama bin Laden und seinem Stellvertreter Ayman al-Zawahiri.

Israelische Anti-Terror-Spezialisten sehen in der neuen Namensgebung nicht nur einen semantischen Kurswechsel der GSPC hin zur al-Qaida Strategie und Ideologie, sondern befürchten die Umkehrung der Maghreb Region in eine weitere Front des Dschihad ähnlich der Situation auf dem Balkan. Denn der Maghreb umfasst ein riesiges geopolitisches Gebiet, das sich auf Nordwest Afrika, Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko, Tunesien und die westliche Sahara erstreckt.

Die Namensänderung zeigt die Intention der neu ausgerichteten GSPC. Nicht nur die säkulare algerische Regierung soll bekämpft und gestürzt werden. Entsprechend der Gesamtstrategie der globalen Dschihad-Agenda zielen die Kader der maghrebinischen al Qaida auch auf den Sturz anderer moderater arabischer Regierung in dieser Region.

Hervorgegangen ist die GSPC aus einer Abspaltung von einer anderen Terrorgruppe im Spektrum des in den 90er Jahren in Algerien tobenden Bürgerkriegs, der GIA (Bewaffnete Islamische Armee). 1998 gründete ein ehemaliger regionaler Anführer der GIA, Hassan Hattab, die GSPC. Im Gegensatz zur einstigen "Urzelle" des Terrors in Algerien, der "Islamischen Heilsfront" (FIS), lehnen GIA und vor allem GSPC eine Aussöhnung mit der algerischen Regierung ab.

Ihre Kampfkraft erhielten GIA und GSPC vor allem durch zahlreiche Veteranen des Afghanistankrieges gegen die ehemalige Sowjetunion in den Jahren 1979 – 89. Fast 4000 Algerier kämpften damals gegen die Rote Armee der UdSSR. Gestählt mit Kampferfahrung und militärischem Wissen kehrten sie in den 90er Jahren in ihr Heimatland zurück und befeuerten die brutale Auseinandersetzung der Islamisten mit der algerischen Regierung in einem Bürgerkrieg, dem über 100 000 Menschen zum Opfer. Die Geschichte der GSPC bis heute ist außerdem geprägt durch zahlreiche interne Machtkämpfe und ideologische Richtungskämpfe.

Der relativ moderate Kurs Hassan Hattabs, dem Versagen an der militärischen Front bei der Auseinandersetzung mit der algerischen Zentralregierung vorgeworfen wurde, führte im Herbst 2003 zu dessen Ablösung von der Spitze der GSPC. Neuer Führer der Islamisten wurde Nabil Sahraoui, besser bekannt in den Rängen der Kämpfer unter seinem "Kriegsnamen" Abu Ibrahim Mustafa. Er kam ursprünglich von der GIA und wechselte die Front zur GSPC. Abu Ibrahim Mustafa fuhr einen radikaleren Kurs als sein Vorgänger Hattab. Er dehnte das Operationsgebiet der Organisation über die Landesgrenzen Algeriens hinaus aus, etablierte Trainingscamps in Libyen und Tschad und stellte deren Finanzierung sicher. Bei Zusammenstößen mit dem algerischen Militärs erlitten seine Kader jedoch schwere Verluste. Kulminationspunkt dieser Entwicklung war der eigene Tod. Im Juni 2004 kam Abu Ibrahim Mustafa bei Gefechten mit der Armee in einem Stützpunkt der GSPC in den Bergen ums Leben.

Bereits zu Lebzeiten hatte Mustafa versucht, engere Kontakte zur al-Qaida zu knüpfen. So verbreitete er eine Erklärung, die viele als Eid auf Osama bin Laden auffassten, aber aus dieser Initiative entwickelten sich keine aktuellen Kontakte.

Nachfolger Abu Ibrahim Mustafas wurde Abu Musab Abdul Wadoud, mit Klarnamen Abdelmalek Droukdal. Sein Credo besteht in einer harten militärischen Linie und dem klaren Ziel, die GSPC unter das "Logo" al-Qaida zu etablieren, was durch die jüngste Entwicklung gelungen zu sein scheint. Unmittelbar nach seiner Kommandoübernahme in der GSPC knüpfte er erste Kontakte mit dem damaligen Topterroristen im Irak, Abu Musab al-Sarkawi.

Die Union mit al-Sarkawi sollte langfristig zu al-Qaida führen. Denn bereits der spätere Stellvertreter bin Ladens im Irak plante den Aufbau einer al-Qaida im Land des arabischen Maghreb mit der GSPC als Kernorganisation. Sichtbarer wurde die angestrebte Vereinigung mit der al-Qaida unter dem gegenwärtigen GSPC-Führer durch die Übernahme von Propaganda-Techniken der al-Qaida-Organisation. Die algerischen Islamisten begannen damit, ihre Aktionen zu filmen und stellten die Operation anschließend ins Internet. Die filmischen Angriffssequenzen wurden unterlegt mit Äußerungen von al-Qaida-Kommandeuren und Eindrücken aus Trainingslagern der GSPC.

Im Erkennungszeichen der GSPC findet sich im aufgeschlagenen Koran der Satz „Nur Gott steht das Urteil zu“. Dies ist eine aus der Frühzeit des Islam bekannte Losung. Über dem Koran wölbt sich im Logo ein in dschihadistischen Kreisen sehr bekannter Koranvers „und kämpft gegen sie, bis niemand (mehr) versucht, (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen, und bis nur noch Gott verehrt wird!"

Der Tschad beheimatet eine Bevölkerung mit unterschiedlichen Konfessionen. Vertreten in der 11,75 Mio. starken Bevölkerung sind Moslems, Röm.-Katholiken, Protestanten, Animisten, andere bisweilen unbekannte Religionen und Atheisten. Die Koexistenz der drei frommen Religionen Christentum, Islam und klassischen afrikanischen Religionen – insbesondere Formen des Animismus, sind bezeichnend für den Tschad. Die im Tschad maßgeblichen religiösen Richtungen suggerieren keinen Konservatismus und lang hergebrachte Entscheidungsstrukturen wie in anderen Ländern mit streng ausgelegten religiösen Inhalten. Der Islam, welcher durch einen strengen Glau­benssatz und Befolgung im Tschad gekennzeichnet ist, findet dennoch zahlreiche und neuartige Auslegungsformen. Das Christentum erreichte Tschad durch die französische Kolonialherrschaft, wobei die zahlreichen traditionellen afrikanischen (Natur)-Religionen regionsspezifisch und traditionsbehaftet für die alten Kulturen im Tschad bleiben. Alle Religionen im Tschad bestimmen das soziale und wirtschaftliche Leben des Landes. Beide monotheistischen Religionen – Christentum und Islam, weisen synkretistische Elemente auf. Mitunter werden auch auch Traditionen aus dem Christentum mit dem Islam vermischt, so werden in einigen Dörfern Afrikas Rosenkränze für das Gebet verwendet, gleichzeitig wird die Gebetsrichtung nach Mekka orientiert.

Zu den bekanntesten Religionsformen des Synkretismus gehören die oben genannten Mischungen mit dem Christentum oder dem Islam, aber auch Mischungen von traditionellen, afrikanischen Religionen. Hier gibt es zahlreiche Formen, am bekanntesten sind jedoch Nkabah und Mami Wata. Diese Religionsformen werden besonders häufig im westlichen Afrika zelebriert, gehören aber häufig auch zu den Ritualen von diversen Stämmen Afrikas.

Die Konzentration der Moslems ist im Nord- und Osttschad besonders stark, wobei Christen und Animisten hauptsächlich im Südtschad sowie Guéra vorzufinden sind. Tendenziell koexistieren alle Religionen im Tschad friedlich. Die traditionelle afrikanische Religion im Tschad, der Animismus, erklärt die Welt als ein Produkt eines komplexen Systems von Verhältnissen zwischen Menschen, Leben(den), Tot(en), Tieren, sowie natürlichen und supranaturalen Phänomenen, welche als zentrale Aussage die Beseelung aller Dinge in sich tragen.

Das delikate Gleichgewicht aller Dinge wird häufig hierarchisch bestellt. Die Einhaltung des Gleichgewichts ist ausschlaggebend und sichert Erfolg, sowie das menschliche Überleben. Durch unsoziale Taten oder Unglücksignale kann das Gleichgewicht gekippt werden, wobei es durch rituelle Taten wie Gebete, Opfer, Trankopfer, Kommunionen, Tänze und symbolische Kämpfe wieder herzustellen ist. Dieser traditionelle Glaube beeinflusst die Menschen, ihre Seelen, Familien, Gemeinschaften sowie auch den Agrarsektor und die Ernten, welche in relativer Selbständigkeit auf das Leben des Menschen einwirken und deren Verhalten der Mensch durch rituelle Kontaktaufnahme beeinflussen können.

Auch die Tubu kennen einen allerdings islamisierten Ahnenkult, dazu präislamische Agrarriten, magische Praktiken, Geomantie und Ordal sowie Reste eines Sonnenkultes. Der Mensch hat nach ihrem Glauben zwei Seelen. Die Totenseele streicht um die Gräber, an denen deshalb geopfert wird. Die Traumseele hingegen schweift in den Träumen umher; Böse Blicke können sie einfangen. Insgesamt haben sich bei den Tubu besonders viel vorislamische Bräuche erhalten, und im Tibesti finden sich zahlreiche Steinkreise, die auf vorislamische Kultstätten zurückgehen, an denen bis heute Opfer dargebracht werden. Der Geisterglaube ist ebenfalls verbreitet.

Es herrscht allgemein die Vorstellung von Ahnen- und Totengeistern, die unter Umständen göttliche Qualitäten erlangen können. Die Ahnen, die oft als Mitglieder der Familie betrachtet werden, haben ihren Platz unter den wichtigsten kosmischen Mächten, und vor allem in den westafrikanischen Religionen bestimmen sie weitgehend deren Charakter, wirken schützend und helfend in das Alltagsleben hinein, wie die Wächterfiguren in zahlreichen afrikanischen Kulturen auch figürlich demonstrieren Nicht jeder Tote erreicht allerdings den Status eines Ahnen. Ahnen verhalten sich ähnlich wie Schutzgeister. Mit Hilfe von als Medium befähigten Menschen, Träumen oder Visionen können die Ahnen ihre Wünsche kundtun, die dann möglichst erfüllt werden müssen. Es gibt allerdings keineswegs überall eine Ahnenanbetung im engeren Sinne eines Ahnenkultes.

Auch die Vorstellung der Besessenheit durch Geister, insbesondere bei Medien, existiert bei den Tubu. Trance bzw. Ekstase und Seancen, meist durch Tänze etc., nie durch Drogen, sind dabei üblich. Die Besessenheit kann positiv sein und durch Medizinmänner genutzt werden oder negativ als Folge einer Übernahme durch eine feindliche Geistmacht, die dann vertrieben werden muss. Dabei sind die Übergänge zu den Besessenheitskulten, bei denen der Schamane, Magier bzw. Medizinmann oder auch Patient die Geistmacht nicht freiwillig zu sich bittet, sie in sich einlässt, sondern von ihr oft gegen seinen Willen „überfallen“ wird, nicht immer klar zu ziehen, da individuelle Intentionen und psychische Bereitschaften des derart Besessenen meist unklar bleiben. Eliade allerdings rechnet diese Art von Ekstase nicht zu den wesentlichen Kennzeichen des Schamanismus.

Die wichtigsten Geistmächte stehen gewöhnlich in Verbindung mit Dingen oder Wesen, mit denen die Menschen täglich umgehen oder die sie aus der Vergangenheit kennen. Verschiedene Arten von Geistern sind unterschiedlichen Ebenen zugeordnet: Luft, Erde, Flüsse, Wälder, Berge, Donner, Erdbeben, Epidemien usw. Oft sind die Geister Personifizierungen dieser natürlichen Gegebenheiten. Viele Geister sind in die Familiengeschichte eingebunden.

Die Sahara-Berber haben, obwohl durchweg islamisch, zahlreiche vorislamische Bräuche wie etwa Saat- und Erntebräuche, wenn die Berberstämme im Atlas-Gebirge etwa im Frühjahr in feierlichen Umzügen unter Tanzen und Musik und mit Gebeten über die Felder ziehen und so der Erdmutter huldigen. Die Erde gilt ihnen als göttliche Braut und der Regen als Gemahl, der ständig in sie eindringt. Weitere Fruchtbarkeitsriten sind üblich, und die göttliche Urkraft ist entsprechend weiblich. Gelegentlich finden sich orgiastische Kopulationszeremonien. Beschwörungstänze finden in der Nähe von Quellen, Feigenbäumen und Korkeichen statt, die als Sitz von Erddämonen gelten. Selbst vor dem islamischen Aschura-Fest bringen die Bauern noch Opfer, entzünden auf den Bergen Feuer und tanzen um die Flammen, ein uralter mediterraner Ritus

Selbst die vorislamische Rolle der Frauen als Priesterinnen einer erdhaften Muttergöttin hat sich noch in Resten erhalten, und manche Frauen gelten bis heute als Zauberinnen, ja abseits großer Siedlungen finden sich gar noch weibliche Heilige (Taguramt). Der Islam ist hier teilweise nur ein Firnis, unter dem sich altes Brauchtum erhalten hat, und die Natur bleibt von mächtigen Dämonen und Geistern bevölkert, die zu beschwichtigen sind. Alte Opferplätze werden noch frequentiert. Die Rolle der alten Zauberpriester haben nun die Aguram übernommen, die mitunter als Heilige gelten, und sie sind als Mittler zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt unentbehrlich, denn sie praktizieren die alte vorislamische Magie unter islamischer Tünche. Als Schlangenbeschwörer praktizieren sie hier und da noch die Ekstase.

Es herrscht allgemein die Vorstellung von Ahnen- und Totengeistern, die unter Umständen göttliche Qualitäten erlangen können. Die Ahnen, die oft als Mitglieder der Familie betrachtet werden, haben ihren Platz unter den wichtigsten kosmischen Mächten, und bestimmen sie weitgehend deren Charakter, wirken schützend und helfend in das Alltagsleben hinein, wie die Wächterfiguren in zahlreichen afrikanischen Kulturen auch figürlich demonstrieren. Nicht jeder Tote erreicht allerdings den Status eines Ahnen. Ahnen verhalten sich ähnlich wie Schutzgeister. Mit Hilfe von als Medium befähigten Menschen, Träumen oder Visionen können die Ahnen ihre Wünsche kundtun, die dann möglichst erfüllt werden müssen.

Der Islam eroberte Tschad im späten 7. Jahrhundert n.Chr.; moslemische Eroberer erreichten Nordafrika südwärts, als sie in die Wüste zogen. Die An­kunft und die Verbreitung des Islams begann bereits zuvor; vom Osten her im vierzehnten Jahrhundert war der Glaube bereits weitverbreitet und bekannt.

Das Christentum verbreitete sich im zwanzigsten Jahrhundert durch die Kolonialisierung; die französischen Offiziere zeigten sich gegensätzlich zu anderen afrikanischen Ländern konträr zur christlichen Missionierung der tschadischen Bevölkerung, welche in den ersten zwei Dekaden der Kolonia­lisierung befolgt wurden. Eine Änderung in dem Trend nahm zum Ende des ersten Weltkriegs ihren Lauf, die Regierung erlaubte christliche Missionierung, förderte diese aber nicht. Ab dem Zweiten Weltkrieg beinhalteten die christlichen Lehren im Land zusätzlich Ideologien und Politiken der westlichen Welt, die vermehrt verbreitet wurden. Spezifischer verbreiteten die römisch-katholischen Missionen die französische Sprache. Trotz dieser Bemühungen verbreitete sich der Islam stärker als das Christentum; die Regierung in den achtziger Jahren bestand überwiegend aus Christen, welche die Macht von den Franzosen übernahmen. Auch das tschadische Christentum beinhaltet, ebenso wie der tschadische Islam, vor-christliche und regionsbezogene, traditionelle Aspekte.

Protestanten siedelten sich im Südtschad in den zwanziger Jahren an. Anfänglich amerikanische Bap­tisten, später auch Missionare anderer Nationa­litäten, wobei viele der amerikanischen Missionen Ab­zweigungen des Missionarsnetzes waren, welche südlich aus der Ubangi-Chari Kolonie (jetzt Republik Zentralafrika) von französischem äquatorialem Afrika kamen.

Der Tschad, künstlich durch koloniale Grenzziehung 1900 geschaffen, war bis 1960 Teil des französischen Machtgebietes. Er umfasst 1 284 000 km2 mit 11,2 Mio. Einwohnern Der Tschad ist gebrandmarkt durch drei Dekaden von Bürgerkriegen sowie Übergriffen seitens Libyens, mit schwerwiegenden, ein­hergehenden soziopolitischen Unruhen, welche 1990 dem Anschein nach besänftigt werden konnten Starke Entwicklungsdefizite, und ethnoregionale Gewalt zwischen dem vorwiegend islamischen Norden und dem christlich-animistischen Süden zeichneten die Konflikte aus. Die Volkszählung aus dem Jahre 1993 ergab, dass 53,1% der Bevölkerung Moslems waren, 20,1% Römisch-katholisch, 14,2% Protestanten, 7,3% Animisten, andere 0,5%, unbekannt 1,7% und Atheisten 3,1%.

Die tschadischen Moslems sind mehrheitlich sunnitisch mit malikitischer Ausrichtung. Im Osten und Norden des Tschads haben mystische Bruderschaften lange Zeit eine große Rolle gespielt, allen voran die bis heute bedeutsame Tijaniyah-Bruderschaft; ihre Lehren beinhalten eine Mischform von lokalen afrikanischen Religionen. Die Mehrheit der Muslime gehören zu der Sufi-Bruderschaft Tijaniyah, die der in den 1780er Jahren von Ahmad at-Tidschānī gegründet wurde und heute vor allem in Westafrika und Nordostafrika verbreitet ist, aber auch Anhänger im Nahen Osten und in Indonesien hat.

Sein Lehrer Muhammad ibn Hamwi at-Tidschānī unterrichtete ihn gemäß der malikitischen Rechtsschule. Tidschani erhielt seine Legitimation nicht wie üblich durch Einweisung in die Prophetenabstammung (Silsila), sondern behauptete, es sei direkt eine Vision vom Propheten zu ihm gekommen, die seine frühere Initiation in den Chalwati-Orden ungültig mache.

In seinen letzten Lebensjahren verbot er seinen Anhängern, andere Sufiorden oder die Grabstätten anderer Heiliger (Walis) zu besuchen, da die Tidschaniyya die letztgültigen Aussagen treffe.

Nach Ahmad at-Tidschānīs Tod wurde der Orden von seinem Sohn ʿAlī at-Tamāsīnī geleitet, der in dem ostalgerischen Ort Tamāsīn residierte. In ʿAin Mādī, dem südalgerischen Heimatort von Ahmad at-Tidschānī, fasste der Orden schon vor 1820 Fuß, geriet aber hier mit den Angehörigen des Tidschāna-Stammes, den sogenannten Tadschādschina, in Konflikt. Die Auseinandersetzung zwischen Tidschānīya Emir ʿAbd al-Qādir, der den Ort 1838 belagerte, und den Tadschādschina dauerte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und führte zur schrittweisen Vertreibung der Tadschādschina aus dem Ort.

Nach dem Tod von ʿAlī at-Tamāsīnī im Jahre 1844 ging die Führung des Ordens auf Muhammad as-Saghīr über, der seinen Sitz bereits in ʿAin Mādī genommen hatte. Er versuchte, nach dem Zusammenbruch der Osmanischen Herrschaft im Land einen eigenen Tidschāni-Staat in Südalgerien zu gründen. Unter Ahmad at-Tidschānī II, dem Enkel des Ordensgründers, der zwischen 1865 und 1897 in ʿAin Mādī residierte und freundliche Beziehungen zur französischen Kolonialmacht unterhielt, erlebte der Ort große wirtschaftliche Prosperität und entwickelte sich zu einem wichtigen spirituellen Zentrum des Ordens. Daneben blieb Tamāsīn ein zweites Zentrum des Ordens in Algerien, das mit ʿAin Mādī rivalisierte.

Zur Verbreitung der Tidschānīya in Tunesien hat vor allem der Gelehrte Ibrāhīm ar-Riyāhī (1766/67–1849/50) beigetragen. Er war schon 1797 bei einem Besuch von Ahmad at-Tidschānīs Anhänger Harāzim Barāda in Tunis in den Orden eingeführt worden. In den Jahren 1803 bis 1804 reiste er anlässlich einer Hungersnot in Tunesien nach Marokko, um den marokkanischen Sultan Mulai Sulaiman um Lebensmittelhilfe zu bitten. Bei dieser Gelegenheit traf er selbst in Fès mit Ahmad at-Tidschānī zusammen. Nach seiner Rückkehr gründete ar-Riyāhī in Tunis die erste Tidschānīya-Zāwiya. Gleichzeitig spielte er eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben von Tunis: 1828/29 wurde er zum Obermufti ernannt, 1839/40 zum Rektor der Madrasa der Ez-Zitouna-Moschee.

Von Marokko dehnte sich der Tidschānīya-Orden um 1800 in der westlichen Sahara nach Süden aus. Muhammad al-Hāfiz ibn al-Muchtār (1759–1830) führte den Orden in Mauretanien ein. Sein favorisierter Schüler Maulūd Fāl verbreitete ihn in der Senegambia.

Zum einflussreichsten Vertreter der Tidschānīya in Westafrika wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Tukulor-Gelehrte al-Hāddsch ʿUmar ibn Saʿīd Tall (1796–1864). Er war ein indirekter Schüler von Maulūd Fāl in Senegal und gelangte während eines Aufenthalts in Mekka zu hohem Ansehen. Während seiner etappenweisen Rückkehr von Mekka hielt er sich acht Jahre in Sokoto auf.

Nach seiner Rückkehr nach Westafrika organisierte Umar ibn Saʿid Tall von 1851 bis zu seinem Tod einen Dschihad gegen die seiner Meinung nach falsch religiös orientierten Muslims im Gebiet zwischen den heutigen Staaten Mali, Senegal und Guinea und gegen die französischen Kolonialtruppen. 1855 eroberten seine Streitkräfte das Bambara-Reich von Segu, zogen weiter nach Osten und besiegten 1862 das vom gegnerischen Qadiriya-Orden geprägte Fulbe-Reich von Masina. Nach anfänglichem Erfolg und hohen Verlusten auf beiden Seiten wurde Umar bei einer Revolte 1864 umgebracht. Die Unfähigkeit, in den eroberten Gebieten eine funktionierende Ordnung herzustellen und die auch nach seinem Tod fortgeführten kriegerischen Auseinandersetzungen sanken das Ansehens des Ordens.

ʿUmar wurde von den Anhängern des Ordens als führender Intellektueller anerkannt, sein Hauptwerk Kitāb ar-Rimāh ist ebenso verbreitet wie das Jawāhiral al-maʿānī des Gründers at-Tidschani. Seine Ablehnung der anderen Sufi-Orden führte immer wieder zu religiös motivierten Konflikten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts arbeiteten die Tidschanis in Algerien und Tunesien eng mit der französischen Kolonialverwaltung zusammen, im Unterschied zu vielen anderen aufständischen Sufiorden. Unter Ahmad at-Tidschānī II, der 1897 starb, wurde der Orden in Algerien immer mehr zu einem Instrument der französischen Kolonialpolitik. Nach dessen Tod kam es über dem Streit, wo er beerdigt werden sollte, zu einer Spaltung der beiden algerischen Tidschānī-Zāwiyas, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts andauerte.

Auch in Marokko kooperierten die meisten Tidschānī-Führer mit den Franzosen und setzten sich dadurch der Feindschaft der anderen Bruderschaften aus.

Ähnliche Entwicklungen zeichneten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Westafrika ab, wo einer der wichtigsten Tidschani-Sufis Abdoulaye Niass war. Er stammte aus der Region um Jolof, ging 1890 auf Wallfahrt nach Mekka und wechselte wahrscheinlich 1901 nach Gambia, um möglichen Konflikten mit den französischen Kolonialherren auszuweichen. Nach einer weiteren Wallfahrt im Jahre 1910 erreichte er eine Einigung mit den Franzosen. Sie teilten ihm, seiner Familie und seinen Anhängern einen Platz in Kaolack zu, dem wichtigsten Zentrum der Saloum-Region zu. Dort errichtete Abdoulaye Niass die zāwiya von Lewna Niasseen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Bruderschaften werden in der Tidschaniyya asketische Lebensformen abgelehnt, Ziel ist die Erarbeitung von Wohlstand. In allen wichtigen religiösen Schriften der Tidschaniyya wird der „Dienst“ (ḫidma) erwähnt, der den ideellen Rahmen für das Leben in der Bruderschaft bildet.

Tendenziell zunehmende Einflüsse des Islams durch die Unterstützung Saudi-Arabiens, Sudans und Libyens prägen den vorwiegend christlichen Süden des Landes, zum Beispiel Arabisch als neue Verkehrssprache an Bedeutung gewinnt. Auch Privatspenden zum Ausbau moslemischer Einrichtungen wurden entgegengenommen, insbesondere aus den Arabischen Emiraten, aus dem saudi-Arabischen, jemenitischen und kuwaitischen Raum.

Im Jahr 1969 trat der Tschad der Organization of the Islamic Conference (OIC) bei, und weist somit die tendenzielle Stärke des Islams im Land auf. Radikale, fundamentalistische Bewegungen im Tschad werden einer Gruppe von etwa 5-10% der muslimischen Bevölkerung zugerechnet, darunter auch dem Wahabismus und Salafismus. Islamische Schüler und Gelehrte müssen zwecks religiöser Fortbildungen ins Ausland gehen, um eine islamische Bildung zu erhalten, da es im Tschad keine entsprechenden weiterführenden Einrichtungen gibt. Populäre Lernstätten für tschadische Moslems sind Kairo, Khartum und Al Azhar.

Im Tschad gibt es der Oberste Rat für Islamische Angelegenheiten (HCIA), der eine unabhängige Nichtregierungsorganisation darstellt, zu deren Aufgaben die Beaufsichtigung der religiösen Aktivitäten aller Muslime im Tschad zählt.Ihr Präsident ist Scheich Hussein Hasan Abakar, ein Mitglied der Tidschani-Sufiordens. Diese Aufsicht umfasst die arabische Sprache und koranische Unterweisung, die Koordination der Haddsch-Aktivitäten, die Repräsentation des Tschads auf internationalen religiösen Veranstaltungen und die Überwachung der Moschee-Predigten sowie die Missionierung durch muslimische Gruppen.

Zur größten christlichen Gemeinschaft zählt die katholische Kirche mit acht Diözesen (u.a. eine apostolische Erzdiözese, die Erzdiözese von N’Djamena, Diözese von Doba, Diözese Goré, Diözese Lai, Diözese Moundou, Diözese Pala, Diözese Sarh), sie erreichen die schätzungsweise 900.000 römisch-Katholiken im Tschad.

Die Eglise Evangélique du Tchad (EET) ist die größte protestantische Kirche im Tschad, danach folgen die Eglise Fraternelle Luthérienne du Tchad (EFLT), die Assemblées Chrétiennes au Tchad (ACT), die Eglise Baptiste du Tchad und die Eglise Adventiste du Tchad, welche alle tendenziell im Süden des Landes lokalisiert sind.

Die Sozialarbeit der tschadischen röm.-kath. Kirche ist seit den siebziger Jahren stark ausgebildet, und hat das Land mitgestaltet, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Ausbildung und Ent­wicklung. Nonnen waren ausgebildete medizinische Fachkräfte, die ihr Wissen weitergaben und in Krankenhäusern und Kliniken arbeiteten. Der Ausbau von Schulen und der Erwachsenenbildung sowie die Hilfe im Agrarsektor durch die Kirchenschaft hat seit den fünfziger Jahren Christen und Nicht-Christen unterstützt.

Die Lehren des Korans bilden die Grundlage des Islams im Tschad, wobei regionale Aspekte und Traditionen die Lehren des Islams mitgestaltet haben. Die Befolgung der fünf Pfeiler des Glaubens werden im Tschad abweichend ausgelegt; die Pilgerreise wird nicht so stark befolgt wie in anderen moslemi­schen Nachbarländern, das wöchentliche Gemeinschaftsgebet muss nicht in einer Moschee durchgeführt werden, und auch andere Rituale bezüglich des Ramadan sind bisweilen bekannt.

Am 29. Juni 2008 kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Unterstützern des militanten Religionsführers Sheikh Ahmet Ismaeil Bichara in Kuono, bei denen 72 Menschen getötet worden sind. Der fundamentalistische Religionsführer wurde verhaftet, nachdem er verkündet hatte, den Jihad vom Tschad bis nach Dänemark durchzuführen.

Durch den Beitritt Tschads zur Organization Islamic Conference (OIC) wurden den tschadischen Moslems gesonderte Rechte zugesprochen. Die OIC ist eine zwischenstaatliche internationale Organisation von derzeit 56 Staaten, in denen der Islam Staatsreligion, Religion der Bevölkerungsmehrheit oder Religion einer großen Minderheit ist. Die Organisation nimmt für sich in Anspruch, die islamische Welt zu repräsentieren.

Im Februar 1972 wurden die Hauptanliegen der Organisation verabschiedet. Die OIC-Charta nennt als wichtigste Ziele die Förderung der islamischen Solidarität und der politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Kooperation unter den Mitgliedstaaten, außerdem die Förderung der Anstrengungen der Muslime für ihre Würde, Unabhängigkeit und nationalen Rechte. Weiter will die Organisation die Bemühungen zur Sicherung der heiligen islamischen Stätten koordinieren; außerdem soll sie den Palästinensern helfen, ihre Rechte zu erlangen und die Besetzung ihrer Gebiete zu beenden. Als allgemeinere Ziele werden genannt, dass die OIC auf die Ausrottung jeder Form von ethnischer Diskriminierung und Kolonialismus hinarbeiten und die Kooperation und das Verständnis zwischen den Mitgliedstaaten und anderen Staaten fördern soll.

Generell wird in dieser Verfassung für alle religionsausübenden Menschen des Tschads das Recht auf religiöse Freiheit garantiert, wobei einige religiöse Praktiken verboten wurden. Verboten wurden u.a. die folgenden islamischen Abzwei­gungen: Al-Mountada Al-Islami, die World Association for Muslim Youth, Al Faid al-Djaria (oder: Al Faydal Djaria), die Mecca Al-Moukarrama Charitable Foundation, und die Al-Haramain Charitable Foundation, aufgrund der Verherrlichung von Gewalt in ihren religiösen Auslegungen, und dem Aufruf zu menschenrechtsverletzenden Taten.

Der Tschadsee liegt am Südrand der Sahara im Tschadbecken und ist aufgeteilt unter den Staaten Tschad, Kamerun, Nigeria und Niger. Zwei Dreiländerecke befinden sich im See: Kamerun-Tschad-Nigeria im südöstlichen Teil und Niger-Tschad-Nigeria im nordwestlichen Teil. Beide werden nicht mehr von der Wasserfläche des Sees bedeckt, die verbleibende Wasserfläche verteilt sich auf den Tschad und Kamerun.

In den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet der See in den letzten Jahrzehnten durch ein dramatisches Absinken des Wasserspiegels, wie die nebenstehenden Satellitenaufnahmen zeigen. Der Tschadsee hat seit jeher veränderliche Uferlinien und Wasservolumen. Schon um 1450 trocknete zum Beispiel das südliche Seebecken des Sees aus, was auf einer Verlagerung seines Hauptzuflusses beruhte und zu einer Flutkatastrophe in den darauf folgenden Jahren führte. In der Kolonialzeit der Region berichteten Kolonialbeamte, dass sie es von Jahr zu Jahr mit veränderlichen Uferlinien des Sees zu tun haben. In einem Jahr konnten sie Gebiete des Seegrundes trockenen Fußes überqueren, im darauf folgenden Jahr mussten sie für die selbige Strecke ein Boot benutzen. Das derzeitige Seevolumen wird im Allgemeinen mit 73 km³ angegeben.

Der Tschadsee ist einer der weltweit größten endorhëischen Frischwasserkörper, der durch seine Randlage zur Wüste Erg Kanem ein einzigartiges und weltweit bedeutendes Ökosystem entstehen lässt. Er wird durch seine historisch belegbaren unterschiedlichen Wasserstände der letzten eintausend Jahre als der große, normale und kleine Tschadsee bezeichnet. Vom großen Tschadsee spricht man, wenn die freie Wasseroberfläche über 24.000 km² bedeckt (Pegel über 284,2 Meter über dem Meeresspiegel). Der normale Tschadsee bedeckt eine Fläche von 18.000 bis 22.000 km² (Pegel 279 bis 282 Meter über dem Meeresspiegel). Vom kleinen Tschadsee spricht man, wenn die freie Wasserfläche zwischen 2.000 und 14.000 km² liegt (Pegel dann unter 278,5 Meter über dem Meeresspiegel). Unter der Marke von 2.000 km² weist der dann verbleibende Tschadsee die Charakteristiken eines sehr großen Feuchtgebietes auf.

Das Seebecken des normalen Tschadsees untergliedert sich in ein nördliches und ein südliches Becken, die durch die Altdünenzone der Great Barrier bzw. Grande Barriêre getrennt sind, somit können hydrochemische Austauschvorgänge nur bei Wasserständen über 280 Meter stattfinden. Der vierte geographische Sektor des normalen Tschadsees wird als Archipelago bezeichnet, er liegt im Nordosten der östlichen Ausbuchtung des Sees. Das nördliche Seebecken weist eine Tiefe von sieben Metern auf, das südliche eine Tiefe von drei bis vier Metern. Im östlichen Teil des südlichen Seebeckens schließt sich das Tal des Wadis Bahr el-Ghazal an, dieser bildet einen Überlaufkanal des Sees aus, hin zur tiefsten Senke im Tschadbecken, der Bodélé-Depression. Dieser wird ab einem Pegel von 13 Metern über Seegrund geflutet, dies geschah zuletzt in den Jahren 1962 und 1964, als das Wasser 50 km weit in den Bahr el Ghazal vordrang.

Die seit den 1970er Jahren zu beobachtende Regression des Sees gipfelte Ende der 1990er Jahre. Die nicht mehr ständig von der offenen Wasserfläche des Sees bedeckten Gebiete bilden heutzutage ein großes Feuchtgebiet aus, das vom WWF als die Tschadsee-Überflutungssavanne bezeichnet wird. Dieses Gebiet steht seit 2008 als die Lake Chad Wetlands unter dem Schutz der Ramsar-Konvention, deren größte Ausdehnung in Nigeria liegen und dort als Lake Chad Game Reserve bezeichnet werden. Es ist das erste geschützte grenzüberschreitende Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung auf dem afrikanischen Kontinent.

Die Geschichte des Tschadsees ist eng an die klimatischen Verhältnisse der Region gekoppelt, spiegelt aber auch die Klimageschichte der gesamten Erde wider. So konnten eine Ausdehnung des Sees auf fast 2 Mio. km² vor ca. 50.000 Jahren festgestellt werden. Er dehnte sich vom Tibesti und Ennedi-Gebirge bis zur Zentralafrikanischen Schwelle aus. Der See trocknete im Zeitalter des Ogolien bzw. Kanemien bis vor ungefähr 22.000 Jahren komplett aus, das bis vor etwa 12.000 Jahren andauern sollte. Danach brach die humide Phase des ersten Nigéro-Tschadien an, in der der See eine Tiefe von 15 Metern erreichte, bevor er vor 11.000 Jahren wieder abtrocknete. Im Nigéro-Tschadien II, vor 9000 Jahren, konnte sich der See regenerieren und erreichte eine Wassertiefe von 38 Metern, bevor er sich auf eine der heutigen Ausdehnung vergleichbare Größe reduzierte. Die bislang größte Ausdehnung während des Zeitalter der Nigéro-Tschadien erreichte der See unter Einbeziehung der deutlich tiefer gelegenen Bodélé-Depression als Mega-Tschad zwischen 6000 und 4000 Jahren vor heute. Er erreichte eine mittlere Wassertiefe von etwa 65 Metern und eine Ausdehnung von etwa 360.000 km². Der Abfluss aus dem Mega-Tschad erfolgte bei etwa 325 Meter Meereshöhe südwestlich der am Logone gelegenen Stadt Bongor. Über den Mayo Kébbi ergoss sich seinerzeit das überschüssige Seewasser in den Benue und den Niger und hatte so eine Verbindung zum Atlantik. Das isolierte Vorkommen Afrikanischer Manatis in den Zuläufen des Tschadsees belegt diese Verbindung.

Nach dieser maximalen Ausdehnung reduzierte sich seine Wasseroberfläche auf 60.000 km² vor 2000 Jahren und 36.000 km² vor 1000 Jahren. Die geringste bislang belegbare Größe erreichte der Tschadsee im Jahr 1908, als er bis auf ein paar Feuchtgebiete im nördlichen und südlichen Bassin abtrocknete. Danach regenerierte er sich auf eine Größe von 22.900 bis 25.000 km² im Jahr 1963. Anfang der 1970er Jahre begann eine Reihe von Trockenperioden, in denen der See immer weiter schrumpfte, bis auf maximal 4000 km² im Jahr 2001. Im Jahr 2008 hatte er eine minimale Ausdehnung von 30 mal 40 km an der Mündung des Schari, was einer offenen Wasserfläche von 2500 km² entsprach.

Das Wassereinzugsgebiet des Tschadsees hat eine Größe von etwa 967.000 km² und wird von der Tschadseebecken-Kommission als konventionelles Bassin bezeichnet. Rund 90 Prozent seines Wassers erhält der See aus den Zuflüssen des Schari (frz. Chari) und des bei N’Djamena in den Schari mündenden Logone. Weniger als zehn Prozent des Zulaufs stammen aus nigerianischen Flüssen und den lokalen Niederschlägen. In erster Linie handelt es sich dabei um den Komadugu Yobe und den El Beid. Von geringerer Bedeutung sind der Ngadda und Yedseram, jedoch erreichen die meisten nigerianischen Flüsse, außer dem El Beid, seit den großen Trockenperioden der 1960er bis 1980er Jahre nicht mehr die offenen Wasserflächen des kleinen Tschadsees. Alle diese Flüsse führen ganzjährig Wasser, unterliegen jedoch jahreszeitlichen Pegelschwankungen. Die regionalen Niederschläge fallen in den Monaten Juni bis September. Sie werden gesteuert von der Intensität des westafrikanischen Monsunsystems. Es fallen lediglich zwischen 250 und 450 mm Niederschlag pro Jahr in der Region des Tschadsees. Der See wird im Allgemeinen als ein typischer Vertreter der Frischwasserseen des Sahel beschrieben, diese zeichnen sich durch ihre sehr geringe Salinität aus.

Somit ist der Wasserhaushalt des Tschadsees ganz wesentlich von den Niederschlägen im gemeinsamen, rund 800 km weit entfernten Einzugsgebiet von Schari und Logone abhängig. Im Rhythmus der Regenzeiten schwankt der Wasserspiegel des Sees und überschwemmt kilometerweise flaches Land oder zieht sich entsprechend zurück. Bei der geringen Tiefe (in großen Bereichen des Sees beträgt sie weniger als einen Meter, an den tiefsten Stellen kaum mehr als fünf) und der hohen Verdunstungsrate (allgemein geht man jährlich von 2.300 mm aus) verlagern sich seine Ufer ständig. Aufgrund steigender Bevölkerungszahlen kam es auch verstärkt zu Wassernutzung und -entnahme aus dem See und seinen Zuflüssen (Trinkwasser, Landwirtschaft). Als sich im Laufe der 1960er Jahre die vom Schari beförderten Wassermengen um mehr als 50 Prozent verringerten, reduzierte sich seine Oberfläche drastisch. Die Regression nahm durch die Dürren der 1970er Jahre sogar dramatische Ausmaße an. Das nördliche Seebecken trocknete komplett aus; im Süden verblieb eine geringe Wasserfläche. Nigeria verlor seinen Anteil an der offenen Wasserfläche vollständig. Neue Ansiedlungen auf trockengefallenem Seegrund entstanden in allen oben genannten Staaten, da die freiwerdenden Flächen sehr fruchtbar sind und sich somit gut für die Landwirtschaft nutzen lassen. In einigen Fällen mussten sie zum Teil wieder aufgegeben werden, nachdem sich durch Zunahme der Niederschläge die Uferlinien der Flachwasserbereiche gegenläufig verlagerten. Ob diese seit 1998 zu beobachtende Transgression künftig anhalten wird, ist ungewiss. Es gibt Überlegungen, Wasser aus dem in den Kongo mündenden Ubangi über einen Kanal dem Chari und somit dem Tschadsee zuzuführen. Diese Pläne werden von Umweltschutzorganisationen kritisch gesehen (Verdrängung einheimischer Tier- und Pflanzenarten).

Bei durchschnittlichen Niederschlägen um mehrere Dezimeter schwankend, liegt der Seespiegel gegenwärtig etwa bei 240 m ü. NN und bedeckt rund 23.000 km². Eine mit dem Kaspischen Meer vergleichbare Ausdehnung – etwa im Ausmaß von 300.000 km² – besaß der See um 4000 v. Chr. Der Wasserspiegel lag damals etwa 50 m höher. Für dieses alte Seebecken wurde von Geowissenschaftlern der Begriff Mega-Tschad eingeführt.

Um die Ökologie des derzeitigen Tschadsees zu verstehen, ist es angebracht, den See mit seinen sehr stark veränderlichen Küstenlinien zu betrachten. Sein Wasserspiegel schwankt dabei nicht nur jahreszeitlich, sondern auch zwischen den Jahren. Der Zeitraum des Niedrigwassers liegt in den Monaten Mai/Juni. Mit dem Eintreffen der sommerlichen Monsunniederschläge beginnt der See sich auszudehnen. Die Flutsaison in seinen Zuflüssen erreichen den See im Oktober/November, so dass der See im Dezember/Januar seine Wasserhöchstmarke erreicht, um anschließend wieder zu schrumpfen. Der See überflutet jährlich eine mehrere tausend Quadratkilometer große Fläche. 1998 betrug die minimale Größe des Sees etwa 1750 km², seine maximale Ausdehnung jedoch etwa 6000 km². 2001 schwankte die Wasseroberfläche zwischen 4000 km² und 19.000 km². Die Wasserbedeckung im nördlichen Bassin hängt hauptsächlich vom Zufluss des Komadugu Yobe und Ngadda ab; dieser hat ein ungefähres Volumen von 0,5 bis 0,8 km³ pro Jahr. In wasserreichen Jahren kann die Wasserbedeckung bis zu 6000 km² betragen, in wasserarmen Jahren liegt es jedoch trocken. In dieser hydro- und ökologischen Betrachtungsweise ist der Begriff See beim Tschadsee zum Teil auch irreführend. Angebrachter ist es, den Tschadsee als ein Feuchtgebiet zu betrachten, da einerseits die Wassertiefe der freien Wasseroberfläche im Durchschnitt nur ein bis drei Meter beträgt. Andererseits sind große Teile des normalen Tschadsees mit Inseln und Riedgrasinseln bedeckt.

Dieser Archipelago genannter Bereich macht etwa 62 % der Gesamtfläche des normalen Tschadsees aus, die der freien Wasseroberfläche beträgt nur 38 %. Aus diesem Grund wird vom WWF der Tschadsee als Ökoregion der Lake Chad Flooded Savanna (dt: Tschadsee-Feuchtgebiete) bezeichnet. Die Ausdehnung dieser Ökoregion beträgt etwa 19.000 km² und schließt die geographisch separierten Hadejia-Nguru-Feuchtgebiete mit ein. Eine weitere Besonderheit des Sees ist die recht lange vier- bis fünfmonatige Flutsaison in seinen Zuflüssen. Diese lange Flutsaison resultiert aus der vier- bis sechsmonatigen Monsunsaison im Quellgebiet und den ausgedehnten Feuchtgebieten des Schari/Logone/El Beid-Flusssystems. Diese Feuchtgebiete in der Massenya-Ebene, Ebene des Bahr Aouk/Salamat, Logoneebene/Toupouri-Senke und des Grand Yaeres haben zusammen eine Ausdehnung von etwa 80.000 bis 90.000 km². Sie nehmen einen Großteil des Monsunniederschlags am Oberlauf der Flüsse auf, geben sie jedoch nur langsam ab. Die Ökologie der Feuchtgebiete trägt zu dem Algenreichtum des Tschadsees bei. Durch das Überfluten und Abtrocknen der Ebenen entstehen ideale Bedingungen für das Wachstum von Algen, Zoo- und Phytoplankton, von den zusammen über 1000 Arten im See nachgewiesen wurden und die Nahrungsgrundlage für die vielfältige Fischfauna bilden.

Die Angaben über die Fischfauna sind im höchsten Maße different, die Tschadseebecken-Kommission gibt 176 im See lebende Fischarten an. Die Fischbestände in Tschadsee gelten jedoch als überfischt, dabei hängen die jährlichen Fangmengen vom Wasserstand und Ausdehnung des Sees ab. In dem Zeitraum von 1972 bis 1977 wurden jährliche Fangmengen von über 180.000 Tonnen angegeben. Diese sanken infolge der Trockenperioden und dem sinkenden Pegel des Sees auf etwa 56.000 Tonnen Ende der 1980er Jahre und stiegen in den beiden folgenden Dekaden bis auf etwa 120.000 Tonnen/Jahr an. Mit dem Fischfang werden jährlich etwa 23 Mio. US-Dollar erwirtschaftet und Fänge aus dem See werden auch auf den Märkten von Lagos und Abuja angeboten. Mit dem Ausbau der Landwirtschaft in der Region wird jedoch eine zunehmende alkalische Gewässerchemie und eine Eutrophierung beobachtet, was zu Algenblüten und zu Sauerstoffmangel im Seewasser führt, die die diverse Seefauna bedroht.

Von der Avifauna sind etwa 372 Vogelarten nachgewiesen worden. Die Region des Tschadsees wurde von BirdLife International als Important Bird Area (IBA) ausgewiesen. Die Feuchtgebiete des Sees haben eine besondere Bedeutung für die Zugvögel aus der nördlichen Hemisphäre, die die Feuchtgebiete als Rast- und Überwinterungsquartier nutzen. So kommen in den Feuchtgebieten saisonal unter anderen der Kampfläufer (Philomachus pugnax), die Witwenpfeifgans (Dendrocygna viduata), die Knäkente (Anas querquedula) und die Spießente (Anas acuta) vor. Residente Vogelarten sind zum Beispiel die Prinia fluviatilis), Arabertrappe (Ardeotis arabs), Graukopfmöwe (Chroicocephalus cirrocephalus, Syn. Larus cirrocephalus) und Höckerglanzgans (Sarkidiornis melanotos). Statistische Erhebungen, die auf Zählungen aus dem Jahr 1984 beruhen, ergaben, dass 61.900 Entenvögel (Anatidae) die Ökoregion des Tschadsees regelmäßig besuchen.

Im See und seinen Feuchtgebieten kommen unter anderem das Nilkrokodil (Crocodylus niloticus), Flusspferde (Hippopotamus amphibius) und Fleckenhalsotter vor Ein domestiziertes und speziell auf die Lebensbedingungen in den Feuchtgebieten des Tschadsees angepasstes Rindvieh ist das Kuri-Rind, dessen Taxonomie in der Vergangenheit Rätsel aufgab. Neueren genetischen Untersuchungen zufolge entstammt es aus Züchtungen des ostafrikanischen Watussirindes und belegt damit die weitreichende Migrationsgeschichte bzw. die Handelskontakte der Tschadseevölker.

Die Flora in der Vegetationszone des südlichen Seebeckens wird bestimmt durch große Flächen, die mit dem echten Papyrus (Cyperus papyrus), der Phragmites mauritianus, Vossia cuspidata und anderen Sumpfpflanzen bedeckt sind. Auf den offenen Wasserflächen schwimmt der Wassersalat (Pistia stratiotes) und bedeckt ein großes Gebiet des Sees. Im Bereich des nördlichen Seebeckens dominieren das Schilfrohr (Phragmites australis) und der Typha australis die Vegetation. Die Pflanzen wie der Papyrus haben auch eine bedeutende wirtschaftliche Bedeutung. Dieser wird von den Buduma (Yedina) zum Bau ihrer Schilfboote verwendet. Thor Heyerdahl nutzte das Wissen dreier Buduma-Schilfbootbauer zum Bau der Ra I, die im Jahr 1969 5.000 km über den Atlantischen Ozean segeln sollte.

Saisonal entsteht in der südlichen Uferregion des Sees die Yaérés-Vegetation. Diese wird dominiert durch die Gräser Echinochloa pyramidalis, Vetiveria nigritana, Oryza longistaminata und Hyparrhenia rufa. Die Yaéré-Vegetation stirbt in der Trockensaison ab. Die feuchteren Zonen des Yaérés werden als die Karal- oder Firki-Ebenen bezeichnet. Die Baumbestände in diesen Ebenen werden größtenteils durch die Seyal-Akazie (Acacia seyal) (Acacia nilotica) gebildet. Der Pflanzenbewuchs in dieser Savanne besteht aus bis zu 2 bis 3 Meter hohen Kräutern und Gräsern.

In der Nähe seines Ufers fanden Archäologen die ältesten Keramikfunde Westafrikas und bei Konduka in Nordost-Nigeria einen Einbaum, dessen Alter auf achttausend Jahre datiert wird. Die damals den See umgebende Landschaft mit einem feuchteren und kühleren Klima als heute, eine von zahlreichen Zuflüssen durchzogene Savanne, bot den dort lebenden Menschen reichlich Nahrungsressourcen und wurde früh besiedelt. Mehrere langandauernde Regressionsphasen und schwächere Transgressionen sind an einstigen Strandwällen ablesbar, die nach geomorphologischen Untersuchungen und nach Auswertung von Satellitenfotos kartiert wurden. Jenseits des weiten Strandwallsystems, des Bama und Ngelewa Beach Ridges, entstanden weitläufige Lagunenlandschaften mit lehmhaltigen dunklen Vertisolen. Ab 1800 v. Chr. drangen zunehmend Menschen in die einstigen Lagunengebiete vor, wo Ansiedlungen auf den überschwemmungsfreien sandigen Inseln in der Lehmebene begründet wurden.

Auf der lokalen Ebene der südwestlich des Sees gelegenen Gebiet der Firki-Ebenen markiert die Gajiganna-Kultur den Beginn der holozänen Besiedlung nach den früh- und mittelholozänen Hochwasserständen des Tschadsees. Der bekannteste Ausgrabungsort dieser frühen Kultur Westafrikas ist Zilum, dieser wies bereits in der Spätphase der Gajiganna-Kultur protourbane Züge auf, wie Wassergräben und Wallanlagen. Andere Ausgrabungsorte dieser Kultur sind Kursakata, Mege und Ngala. Die archäologischen Zeugnisse der Gajiganna-Kultur sind zumeist einfache Tonfiguren von Menschen und Tieren sowie Tongefäße mit einfachen Verzierungen wie Abdrücken von Mattengeflechten. Nach dem vierten Jahrhundert vor Christus sind keine Zeugnisse dieser Kultur mehr bekannt. Mit dieser Kultur konnte der Übergang von einer Gesellschaft von Jägern und Sammlern zu Nahrungsproduzenten in den Savannen West-/Zentralafrikas dokumentiert werden.

Die Besiedlung der Tschadseeregion setzte sich fort, vor ungefähr 2000 Jahren tauchten die ersten archäologischen Zeugnisse von Menschen, die Eisenobjekte produzierten und gebrauchten, südlich des Tschadsees auf. Die Eisenzeit bricht ab dieser Zeit in dieser Region des Tschadsees an. Ein bekannter Ausgrabungsort dieses Zeitabschnitts ist Mdaga. In diesem Zeitraum wird auch der Beginn des Transsaharahandels vermutet, in der die Region des Tschadsees eine wichtige Endstation auf der Route zwischen Tripolis, dem Fessan und dem Kaouar-Tal gespielt haben soll. Hinweise zu einem solchen Handel finden sich bei Herodot und Claudius Ptolemäus, letzterer berichtet über ein Land Agisymba im 2. Jahrhundert, wobei bis heute umstritten ist, wo sich dieses Land eigentlich befand. Die nächste archäologisch belegbare Kultur in der Region des Tschadsees findet sich ab dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert mit dem Erscheinen der Sao-Kultur. Belegbar ist die Sao-Kultur bis in das 17. Jahrhundert. Typisch für diese Kultur ist die Produktion von großen Urnen und kleinen Terrakottafiguren.

Laut der allgemein akzeptierten Geschichtsforschung wanderten im 7. Jahrhundert nomadisierende Zaghawa in die heutige Region Kanem, nordöstlich des Tschadsee gelegen, ein. Sie gelten als die Begründer des Reiches von Kanem, dessen mythischer Gründervater Sef (arabisch: Saif) war, jedoch liegen die genauen Umstände der Reichsgründung weitestgehend im Dunkeln. Laut der Immigrationstheorie des Bayreuther Dierk Lange sollen Flüchtlinge des im 6. Jahrhundert vor Christus untergegangenen Assyrischen Weltreiches die Region des Tschadsees um 600 v. Chr. erreicht haben und maßgeblichen Einfluss auf die Kulturen der Region genommen haben. Laut dieser Theorie sollen die Assyrer die eigentlichen Gründerväter des Reiches gewesen sein, jedoch gilt diese Theorie als hochspekulativ, da bislang keine archäologischen und kulturhistorische Nachweise erbracht wurden. Nachweisen lässt sich die frühe Islamisierung der Region um den See im 10./11. Jahrhundert, durch die Machtübernahme der Sayfawa -Dynastie im Reich Kanem.

Erste schriftliche Berichte über die Region des Tschadsees finden sich bei al-Yaqubi in seinem Ende des 9. Jahrhunderts erschienenen Kitaab al-Buldaan (Geographie der Welt oder Buch der Länder), in dem er von dem Lande Kanim berichtet, jedoch ohne Erwähnung des Tschadsees. Über den Tschadsee finden sich erst im 11. Jahrhundert Informationen bei Abū ʿUbaid al-Bakrī. Deshalb kann man erst seit dieser Zeit geographisch eindeutig zwischen Kanem, östlich, und Bornu, westlich des Tschadsees, unterscheiden. Er berichtet außerdem von großen Moscheen, sowie Oasen und gibt über einzelne Volksgruppen Auskunft. Er nimmt jedoch an, dass der Niger und der Tschadsee Teil des Nil-Flusssystems sind. Er berichtet vom Kuuri-See, der Teil des Wasserlaufs des Nils von Ghana bis Ägypten ist. Er berichtet weiterhin, die Kanimis navigierten über den See und die südlichen Seeanwohner, die Sao, würden Menschenfleisch nicht verschmähen, während die Bewohner von Kanimis gute Muslime seien. Andere arabische Quellen sind von Al-Dimashqi (1256–1327) aus Damaskus und Abu`l-Fida (1273 bis 1331), ebenfalls aus Damaskus, bekannt.

Die erste europäische Erwähnung des Tschadsees finden sich bei Leo Africanus, der die Region im Jahre 1513 bereiste und von einem Lande Shary und dem See von Gaoga in seinem Werk Descrittione dell’Africa berichtet. Weitere Quellen finden sich im Enzyklopädie L’Universale Fabrica, niedergeschrieben von Giovanni Lorenzo Anania, dieser beschreibt den Rio Negro, den Niger, und den Lago di Sauo, den Tschadsee. Dieses Werk erschien zwischen 1571 und 1592 in mehreren Bänden und diente bis ins 19. Jahrhundert zahlreichen Kartographen als Quellliteratur für die Beschreibung der Region.

Da das subsaharische Afrika bis ins 19. Jahrhundert eine Art Terra incognita für den europäischen Kulturraum darstellte, sind dies die einzigen Quellen über die Region des Tschadsees vom Mittelalter bis in die Zeit der Renaissance. Die ersten neuzeitlichen Berichte stammen von dem Deutschen Friedrich Konrad Hornemann, der die Region im Jahre 1800 in britischem Auftrag bereiste; weitere Berichte stammen von Denham und Clapperton aus dem Jahre 1822. Die wohl bekanntesten Reiseberichte, in denen der Tschadsee erwähnt wurde, stammen von Heinrich Barth, Adolf Overweg und Gustav Nachtigal.

Gesprochen werden im Tschad über 120 Sprachen und Dialekte. Die wichtigsten Sprachen sind die beiden Amtssprachen Arabisch (Tschadisch-Arabisch und Sudanarabisch), das von mindestens 26 % der Gesamtbevölkerung als Mutter oder Zweitsprache gesprochen wird, und Französisch, das nur von einer gebildeten Minderheit gesprochen wird

Über 53,1 % der Gesamtbevölkerung sind Muslime, hauptsächlich die der sunnitischen Richtung malekitischer Schule. Nur noch 7,3 % der Bevölkerung hängen traditionellen afrikanischen Naturreligionen und weitere 34,3 % dem Christentum an, davon 20,1 % Katholiken und 14,2 % Protestanten. Die Muslime leben meist im Norden und im Zentrum des Landes, die Christen und Animisten leben hauptsächlich im Süden des Tschad.

In N'Djamena gibt es eine 1971 gegründete Universität, die Universität N’Djamena. Traditionell haben christliche Schulen vor allem im Süden eine wichtige Funktion. Das staatliche Schulwesen leidet heute noch unter den Auswirkungen der jahrzehntelangen Kriegswirren. Zunehmend sind in letzter Zeit islamische Koranschulen und Madrasas, die mit ausländischer Hilfe vor allem aus Nahost im Tschad errichtet werden: Madrasa ist seit dem 10. Jahrhundert die Bezeichnung für eine Schule, in der islamische Wissenschaften unterrichtet werden. Zu den Kerndisziplinen der Madrasa gehören Fiqh und Usūl al-fiqh sowie Hadith-Wissenschaft, arabische Sprachlehre und Koranwissenschaften, in einzelnen Madrasas werden auch andere Wissenschaften wie Logik und Mathematik unterrichtet.

Die Madrasa wird üblicherweise durch eine fromme Stiftung finanziert. Dem Stifter steht es dabei zu, das Lehrprogramm sowie die Anzahl der Studenten, Lehrer und anderen Bediensteten festzulegen. Die Größe derartiger Madrasas variiert erheblich: Während einige nur aus einem einzigen Unterrichtsraum bestehen, umfassen andere einen ganzen Komplex von Gebäuden mit speziellen Räumlichkeiten für die Lehre, die Bibliothek, die Unterbringung von Schülern und Lehrer sowie für den Gottesdienst.

In den Ländern des Maghreb wie auch im Tschad ist die Madrasa eine der drei Ausbildungsstufen der traditionellen islamischen Bildung, die zusammenfassend als Mahadra bezeichnet werden. Hierzu gehört die einführende Koranschule, die als Maktab oder Kuttāb bezeichnet wird. Sie beschränkt sich zunächst ausschließlich auf das Auswendiglernen (ḥifẓ) des Korantextes und die Schreibung desselben. Zur Mahadra gehören ferner die vertiefende Ausbildung an der Madrasa (auch Mahadra im engeren Sinn) und die religiöse Spezialisierung, die in der Zāwiya erfolgt.

Die allgemeine Schulpflicht besteht nur noch formal, vor allem auf dem Land wird sie kaum eingehalten. Dementsprechend sind fast 50 Prozent der Einwohner des Tschads Analphabeten.

Später entstanden größere islamische Reiche am Tschadsee, im Süden zudem der Staat Baguirmi, die Logone-Stadtstaaten und das Sultanat Wadai. Besonders trat das Reich Kanem-Bornu hervor, das fast das gesamte Gebiet des heutigen Tschad umfasste und eine Konföderation der beiden Staaten Kanem und Bornu darstellte, die auch in das Gebiet der heutigen Staaten Nigeria und Niger hineinreichten.

Vor allem Frankreich begann mit der Penetration der einzelnen Königreiche und Sultanate. Man versuchte zunächst durch Protektoratsverträge mit den jeweiligen Monarchen eine lose französische Oberherrschaft über diese Staaten zu erreichen. Spätestens ab dem Ende des 19.Jahrhunderts jedoch begann man mit der gewaltsamen militärischen Besatzung und schließlich mit der Kolonialisierung des Wadai.

1900 errichtete Frankreich nach dem Sieg über den afro-arabischen Usurpator Rabih ibn Fadlallah in der Schlacht bei Kusseri das Militärterritorium der Länder und Protektorate des Tschad. 1908 ging dieses im Verwaltungsgebiet Französisch-Äquatorialafrika mit der Kolonie Tschad auf. 1911 wurde die Kolonie durch das deutsch-französische Marokko-Kongo-Abkommen (4. November 1911) um das Zwischenstromgebiet zwischen Schari und Ba-Ili mit dem Posten Bongor erweitert. Zwischen den Weltkriegen erhielt die Kolonie Tschad dann ihre heutigen Grenzen.

Die Kolonialisierung des Wadai war ein französischer Kolonialfeldzug, mit dem die Franzosen 1909–1912 die Unterwerfung der Stämme im heutigen östlichen Tschad erreichten und das Reich von Wadai zerstörten. Der Feldzug war Teil des sogenannten Wettlaufs um Afrika, bei dem zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg die europäischen Mächte Frankreich, das deutsche Kaiserreich, Großbritannien und Italien miteinander darin wetteiferten, ihre überlegene Militärmacht zur Eroberung der letzten noch nicht kolonialisierten Gebiete Afrikas zu nutzen.

Die geographische Region des Wadai grenzt an die sudanesische Region Darfur, die erst durch die britische Expedition 1916 unter direkte koloniale Herrschaft kam. Das Gebiet ist semiarid, das Gelände ist felsig und hügelig, wobei die Täler teilweise bewaldet sind. In Dar Tar erreichen die Höhen 1200 m.

Die Bevölkerung des Wadai, bestehend aus verschiedenen Stämmen, die damals noch Sklavenhandel betrieben, war in drei Klassen geteilt: die Oberklasse (hourin), die Bauernklasse (mesakin) und die Sklaven (abyd). An der Spitze stand der Sultan (kolak) mit einem persönlichen Gefolge von 1400 Personen. Er regierte das seit mehr als 400 Jahren bestehende Reich von Wadai mit Hilfe von Häuptlingen (agad) und Dorfvorstehern (mandjak).

Aufgrund der stabilen politischen Zustände in Wadai und der damit einhergehenden Sicherheit lag hier die profitabelste Transsahararoute vom Mittelmeer nach Schwarzafrika. Von Abéché führten zwei Routen durch Dar Fur eine nördliche Handelsroute durch Dar Tama, die südliche Pilgerroute durch das Land der Masalit. Nach Norden ging der Handelsweg zu den Kufra-Oasen.

Der deutsche Hauptmann und Fremdenlegionär Fliegenschuh kommandierte den Sub-Distrikt Fitri. Er erhielt im April 1909 Nachricht, dass der Sultan von Wadai Mohammed Salih Dud Murra den Ort Birket Fatima anzugreifen plane. Die gesamte zur Verfügung stehende Truppe von 180 senegalesischen Truppen mit 2 Geschützen und 300 Hilfstruppen wurde in Marsch gesetzt und drängte die Angreifer auf Abéché zurück. Die zwischenzeitlich auf etwa 3000 Schützen angewachsenen Wadaiis wurden im Wadi Shauk geschlagen. Dabei starben etwa 360 Wadai, etwa ebenso viele wurden verwundet. Fliegenschuh wurde verwundet und bis zu seiner Genesung Ende des Jahres von Leutnant Bourreau vertreten.

Die Franzosen marschierten nun direkt auf die Stadt. Der Sultan kapitulierte nach kurzer Beschießung und floh am 2. Juni. Die siegreichen Franzosen, die einen ihnen genehmen Regenten „Sultan“ Acyl etablierten, hinterließen in der Stadt eine Garnison von 330 Senegalesen. Weiters waren sie der Ansicht, dass ihnen nun die Oberhoheit über die gesamte Region zugefallen wäre und erließen die Anordnung, sämtliche Gewehre abzuliefern. Bis Oktober war die Kontrolle auf die drei Bezirke (dars) Dar Tama, Dar Sila und Dar Gimr ausgeweitet. Dar Masalit blieb noch unabhängig. Zum 1. November erfolgte die Ernennung des Oberstleutnant Moll zum Militärgouverneur des Tschad.

Die französischen Kräfte reichten für die Verteidigung einer 900 km langen Grenze nicht aus, da in deren Nähe verschiedene kriegerische Stämme lebten. Als erstes fiel gegen Jahresende der Sultan von Dar Masalit Taj al-Din in die Gegend um Abéché ein. Fliegenschuh verfolgte ihn ab 31. Dezember mit einer Kompanie Senegalesen (3 Offiziere, 109 Mann). Am 4. Januar 1910 gerieten sie im Wadi Kajja, nahe dem heutigen al-Dschunaina im Sudan, in einen Hinterhalt und wurden vernichtet; auch: „Schlacht von Kirnding“. Den Männern des Sultans fielen 180 Gewehre und 20.000 Schuss in die Hände.

Es dauerte fünf Wochen, bis unter dem Kommando des Majors Julien französische Verstärkungen im unruhigen Abéché eintrafen. Zwischenzeitlich plünderten die Masalit den Bezirk Dar Tama. Etwa 1.500 Fur unter Adam Rijal, einem General Ali Dinars, waren um Gueréda aktiv. Der gestürzte Dud Murra hielt sich im Norden des Wadai zum Angriff auf Abéché bereit.

Ende März ersuchte Hauptmann Chauvelot Julien um Genehmigung, mit seinen 120 Senegalesen und einigen Hilfstruppen ein befestigtes Lager der Fur bei Gueréda anzugreifen. Im halbstündigen Nahkampf verbrauchten die Franzosen 11.000 Schuss und hatten 12 Verwundete. Die Fur flohen und hinterließen 200 Gefallene.

Nach Verstärkungen betrug die französische Truppenstärke im gesamten Zentralafrika Mitte 1910 4200 Infanteristen, eingeteilt in zwölf Einheimische-Kompanien, von denen je vier zu Verteidigung von Ubangi-Schari, Tschad und Wadai bestimmt waren.

Ende Oktober rückte Moll zu einer Strafexpedition gegen die Masalit aus. Die Truppen waren in zwei Kolonnen geteilt, die erste hatte 300 Mann und 2 Geschütze, die zweite 130 Mann. Erstere sollte auf das Hauptdorf der Masalit Darjil marschieren, die zweite Dud Murra aufspüren.

Die erste Kolonne erreichte nach 4½-tägigem Marsch Daroti nahe ihrem Ziel. Sie formierten sich hinter einer mangelhaft schützenden Palisade (zeriba). Etwa 5000 Masalit begannen am 9. November gegen 9 Uhr anzugreifen. Moll (* 1871) ließ das Geschützfeuer erst aus 200 m Entfernung eröffnen, Gewehrfeuer begann erst, als die massierten Angreifer auf 100 m herangekommen waren. Dies war zu spät, um den Angriff zu bremsen, auch weil panische Transportkamele innerhalb der Palisade herumliefen. Die meisten Offiziere und Unteroffiziere wurden von den anstürmenden Massen niedergemacht, die Geschütze fielen aus, die Schlacht schien nach wenigen Minuten des Nahkampfs verloren. Hauptmann Chauvelot kehrte just zu Beginn des Angriffs von einer Patrouille zurück und versammelte hinter einer Kuppe noch einige Versprengte, insgesamt etwa 100 Schützen. Die Gruppe fiel den Masalit, die bereits zu Plündern begonnen hatten, in den Rücken, besetzte die Kanonen wieder und schlug die Angreifer in die Flucht. Von den Masalit blieben 600 Gefallene zurück, darunter Taj al-Din und 40 seiner Familienmitglieder. Dud Murra entkam mit einer Gesichtswunde. Von den Europäern waren noch fünf kampffähig, acht Offiziere waren gefallen, fünf verwundet. Von den Einheimischen 310 Mann waren 28 tot, 69 verwundet und 14 vermisst. Die Munition war fast aufgebraucht, praktisch alle Transporttiere gestohlen oder getötet, Kontakt mit der zweiten Kolonne bestand nicht mehr, es musste jederzeit mit einer neuen Attacke der Masalit gerechnet werden. Erst am 16. sah man sich in der Lage, den Rückzug anzutreten.

Der Kommandant der zweiten Kolonne, Hauptmann Arnaud, erhielt von versprengten Hilfstruppen Wort von der Niederlage und setzte sich nach Bir Tawil (etwa 50 km nördlich von Daroti) in Marsch, wo er glaubte, dass die erste Truppe vernichtet worden sei. Am 17. trafen die Kolonnen dann zusammen und erreichten am 20. November 1910 sicheres Gebiet.

Nach einer kurzen Phase der Konsolidierung besiegten die Franzosen Anfang 1911 den Sultan von Dar Kuti. Dann wandten sie sich den Fur zu, die zwischenzeitlich in der ungeschützten Region Dar Tama plündernd auf Sklavenjagd gingen. Einer Einheit, wiederum kommandiert von Chauvelot, gelang es am 11. April, die Fur aus ihrer Basis bei Kapka und dem französischen Hoheitsbereich hinauszujagen.

In der nördlichen Region Ennendi schlug im Mai eine mit Kamelen berittene Truppe (méharistes) von 120 Mann und 200 Hilfstruppen kommandiert durch Major Hillaire, die Khoan unter Sidi Saleh. Nachdem vorher noch eine Bande Tuareg unter Kassoan geschlagen wurde, kam es am 20. Mai bei Kafra zu einer weiteren Schlacht, welche die Überlebenden Khoan zwang, nach Dar Fur zu fliehen.

Hauptmann Chauvelot stieß am 29. Juni während eines Erkundungsritts auf die Streitmacht Dud Murras, die etwa 2000 Mann, darunter aber keine Masalit, umfasste. Dessen erneuter Aufstand wurde von den Franzosen als die Kodoi Rebellion bezeichnet. Ihr Ursprung lag in Dar Tama, wo man sich gegen die Steuererhebung durch die neuen Herren wehrte. Der Rebellentrupp wurde schnell zersprengt, Dud Murra konnte in das Gebiet der Masalit entkommen. Er bot bald an aufzugeben, wenn ihm im Gegenzug ein kleiner unabhängiger Herrschaftsbereich im Grenzgebiet zugestanden würde. Am 14. Oktober ergab er sich im Wadai dann einer französischen Abordnung und ritt würdevoll auf dem Schimmel des gefallenen Moll am 27. in Abéché ein. Er wurde daraufhin in Fort Lamy mehr oder weniger unter Hausarrest gestellt, erhielt jedoch eine Pension von £ 40 monatlich. Damit endete in Französisch-Äquatorialafrika der Widerstand gegen die Kolonialherren.

Der Nachfolger Taj al-Din's als Sultan der Masalit wurde 1910 Bahr al-Din Abu Bakr Ismail, der unter französischer Oberhoheit bis 1951 amtierte. Nach der Eroberung und durch die 1911 beginnende italienische Besetzung von Tripolitanien und der Cyrenaica wurde der Transport von Sklaven durch Karawanen nach Banghazi unterbunden. Die lokalen Herrscher wurden dadurch ihrer wichtigsten Einkommensquelle beraubt, aus der sie ihre privaten Armeen finanziert hatten. Die französische Marionette Acyl wurde 1912 abgesetzt, als man an seiner Loyalität Zweifel hegte, und der Wadai unter direkte französische Verwaltung gestellt.

Die den Franzosen als Mannschaften dienenden senegalesischen Tirailleurs trugen einen dunkelblauen Waffenrock, roten Fez mit hellblauer Quaste, knickerbockerähnliche Hosen und Sandalen. Im Kampfeinsatz wurde die blaue Uniform durch eine weiße ersetzt. Bewaffnet waren sie mit dem zuverlässigen M.93 Lebel-Gewehr (Modell 1886), das in modifizierter Form bis in die 1960er Jahre hergestellt wurde, womit im Kampf etwa neun gezielte Schuss pro Minute möglich waren. Maschinengewehre kamen in diesen Feldzügen nicht zum Einsatz. Zur Ausrüstung gehörte auch eine Machete (panga). Offiziere trugen die übliche Tropenuniform.

Die Masalit waren regional als kriegerisch bekannt. Üblicherweise trugen sie weiße Roben. Höhergestellte hatten einen weißen Turban und Schärpen. Sie verwendeten Wurfmesser (60–90 cm) und -äxte, sofern sie noch nicht über Feuerwaffen, meist Remington-Repetiergewehre verfügten. Traditionell formierten sie sich in Einheiten, die eine ausgefächerte, etwa 100 Mann starke berittene Vorhut hatten, gefolgt von der Hauptkolonne Infanteristen. Kavallerie bildete die Nachhut.

1934 wurde die Grenzziehung im Norden zur Kolonie Italienisch-Libyen von Italien nicht ratifiziert. Dies ist die Grundlage des späteren Konflikts um den Aouzou-Streifen.

Nach dem 2. Weltkrieg entwickelten sich lokale Parteien im Tschad. Den Anfang machte die konservative Demokratische Union des Tschad (UDT), die kommerzielle französische Interessen und einen Block traditioneller einheimischer Führer, überwiegend Muslims und Waddai-Oberschicht, repräsentierte. Mit der Tschadische Fortschrittspartei (PPT) entstand kurz darauf eine radikalere Gruppe, geführt vom späteren Präsidenten François Tombalbaye. Diese Partei gewann die ersten Wahlen vor der Unabhängigkeit. Der Gegensatz von UDT und PPT war nicht nur ein ideologischer, sondern hierin spiegelten sich auch die regionalen religiösen Gegensätze innerhalb des Landes. Die PPT repräsentierte den christlichen und animistischen Süden, die UDT den islamischen Norden.

1958 erhielt der Tschad seine erste Verfassung. Die Territoriale Versammlung billigte den autonomen Status des Landes als Mitglied der Communauté Française. Am 11. August 1960 erhielt das Land seine Unabhängigkeit. François Tombalbaye aus dem Süden wurde erster Präsident.

Seit 1962 war der Tschad ein Einparteienstaat mit der Parti Progressiste Tchadien (PPT) als Einheitspartei.1966 wurde die muslimische FROLINAT – Front national de libération du Tchad („Nationale Befreiungsfront des Tschad”) gegen die christlich-sudistische Dominanz gegründet und es begann ein Bürgerkrieg. 1969 intervenierte Frankreich auf Seiten Tombalbayes. Libyen, Algerien und Sudan dagegen unterstützten die FROLINAT. 1973 besetzte Libyen den Aouzou-Streifen.

1975 stürzte General Félix Malloum Tombalbaye und wurde Präsident, Premierminister wurde Hissène Habré. 1976 kam es zum Bruch zwischen Muammar al-Gaddafi und Habré. Goukouni Weddeye kämpfte mit Gaddafi gegen die Zentralregierung.

1979 kam es zum Seitenwechsel Habrés zu Weddeye. N’Djamena wurde erobert und das Gouvernement d’Union Nationale de Transition (GUNT) unter Weddeye kam an die Regierung. 1980 kam es wiederum zum Bruch zwischen Habré und Weddeye („Zweite Schlacht um N’Djamena“). Daraufhin griff Libyen auf Bitten Weddeyes ein, Weddeye und Gaddafi kündigten 1981 die Vereinigung des Tschads mit Libyen an. Gaddafi zog seine Truppen auf französischen Druck hin allerdings wieder zurück. Habré konnte daraufhin mit ägyptischer, sudanesischer und US-amerikanischer Hilfe Weddeye verdrängen.

1982 wurde N’Djamena durch Habré erobert, es begann die sogenannte Zweite Republik (1982 bis 1990), während derer es zu schwersten Menschenrechtsverletzungen kam. 1983 wurde der Tschad de facto am 16. Breitengrad zweigeteilt. Libysches Militär war im Norden präsent, insbesondere im Aouzou-Streifen. 1986 bis 1987 gingen die tschadischen Regierungstruppen in die Offensive. Es begann die französische Militäroperation Épervier. Die libyschen Truppen wurden, bis auf den Aouzou-Streifen, aus allen Stützpunkten verdrängt. 1989 wurde der Vertrag von Algier über die friedliche Regelung des Aouzou-Grenzkonflikts unterzeichnet.

1990 begann eine Verhandlung über den Aouzou-Konflikt vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Habré wurde durch die bewaffnete Opposition des Mouvement Patriotique du Salut von Idriss Déby gestürzt und in die Flucht getrieben. Déby begann seine Karriere als Kommandeur im ersten Bürgerkrieg seines Heimatlandes. Als Sicherheitsberater Habré erwarb er sich einen umstrittenen Ruf bei der brutalen Zerschlagung von Rebellenverbänden. Als er bei Habré selbst in Ungnade fiel, floh er in den Sudan und baute dort seine eigene Armee auf. Am 2. Dezember 1990 marschierten seine Truppen ungehindert in N’Djamena ein. Nach dreimonatiger Übergangsregierung stimmte man am 28. Februar 1991 einer Verfassung für den Tschad mit einem Mehrparteiensystem und Déby als Präsidenten zu.

1993 verabschiedete die Nationalkonferenz im Tschad eine Übergangsverfassung, ein Übergangsparlament und eine vorläufige Regierung. 1994 wurde der Aouzou-Streifen durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag wieder dem Tschad zugesprochen.

Im Dezember 1994/Januar 1995 fand eine Wählerregistrierung statt, deren Durchführung und Ergebnisse beanstandet und vom Obersten Gerichtshof annulliert werden. Der bestehende Wahlkalender wurde wieder obsolet, die Transitionsphase um ein weiteres Jahr bis zum 8. April 1996 verlängert. 1996 kam es zudem zu einem Verfassungsreferendum, woraufhin die neue Verfassung in Kraft trat.

Am 3. Juli 1996 fanden Stichwahlen zwischen Déby und Wadel Abdelkader Kamougué statt. Die Feststellung des offiziellen Endergebnisses durch die Cour d’Appel am 14. Juli 1996 bescheinigte Déby 69 % und Kamougué 31 % der Stimmen.

Ende 1998 begannen bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Rebellen um Youssouf Togoïmi, der in mehreren Regierungen von Idriss Déby Innen-, Justiz- und Verteidigungsminister war. Am 12. Oktober 1998 gründete Rebellengruppe MDJT und nahm den Kampf gegen die Regierung auf. Togoïmi starb unter ungeklärten Umständen in Libyen 24. September 2002 nach der Montage eine Mine im nördlichen Tschad. Ob die Regierung Déby in seinen Tod involviert oder ob es ein Unglücksfall war, lässt sich nicht sicher beurteilen. Präsident Déby wurde im Mai 2001 wiedergewählt. Im Dezember 2001 schlossen die Regierung und die Rebellen im Tibesti ein Friedensabkommen.

Seit 2003 fliehen zehntausende sudanesische Flüchtlinge vor dem Konflikt in Darfur in den Tschad. Der Konflikt in Darfur ist eine seit 2003 andauernde bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Darfur und der sudanesischen Regierung in Khartum. Dabei fordern aus schwarzafrikanischen Stämmen hervorgegangene Rebellenbewegungen mehr Mitbestimmung im Staat und eine wirtschaftliche Entwicklung ihrer Region. Die Regierung geht militärisch gegen die Rebellen vor und unterstützt in diesem Kampf lokale Milizen, die aus arabischen Reiter-Nomaden bestehen und unter der Bezeichnung Dschandschawid bekannt geworden sind. Etwa 200.000 Menschen sind bis 2007 durch den Konflikt umgekommen.

Dieser Konflikt greift zusehends auf den Nachbarstaat Tschad über, die Dschandschawid-Reitermilizen aus Darfur sind mittlerweile auch in den tschadischen Grenzgebieten aktiv. Am 23.Dezember 2005 stellte der Tschad aufgrund des Darfur-Konfliktes offiziell einen „Zustand der Feindseligkeit“ mit dem Sudan fest. Dem war ein Angriff tschadischer Rebellen auf die Grenzstadt Adré mit mehr als 100 Toten vorausgegangen. Der Tschad wirft dem Sudan vor, die Rebellen zu unterstützen, legt jedoch Wert darauf, keine Kriegserklärung abgegeben zu haben. Die Streitigkeiten zwischen dem Sudan und dem Tschad belasten seit langem die Stabilität der gesamten Region.

Mitte 2005 kam es im Tschad zum Bürgerkrieg. An diesem Konflikt nehmen neben dem Regierungsheer des Tschads verschiedene Rebellenbewegungen Teil, darunter die Vereinigten Kräfte für den Wandel (FUC) und die Sammlung für Demokratie und Freiheiten (RDL), die im Laufe der Zeit ihren Namen änderten, Bündnissen bildeten und Spaltungen erfuhren.Zum Konflikt gehört auch die Beteiligung der Dschandschawid, aber vor allem die Aufständischen aus Darfur, der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit. Der Sudan wird daher verdächtigt, die Aufständischen im Tschad zu unterstützen, während die Regierung des Tschads die Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit unterstützt.

Libyen und Diplomaten aus anderen Ländern haben versucht, in dem Konflikt zu vermitteln.Frankreich beteiligt sich in geringem Ausmaß daran auf der Seite der Regierung Déby. Die Hauptstadt N’Djamena wurde von der Vorhut der Rebellen der Front für den Wandel (FUC) erreicht. Dieser erste Angriff wurde jedoch von den regulären Truppen mit Artillerie- und Panzerunterstützung abgewehrt. Innerhalb weniger Tage waren Hunderte Tote zu beklagen. Am 14. April 2006 brach der Tschad seine diplomatischen Beziehungen zum Sudan ab. Zwei Tage später zog sich das Land aus den in Darfur unter der Leitung der Afrikanischen Union geführten Gesprächen zurück. Gleichzeitig erklärte der Tschad, dass es mit der Versorgung der mittlerweile rund 200.000 Flüchtlinge aus Darfur überfordert sei.

Im November 2006 wurde für weite Teile des Tschads der Ausnahmezustand ausgerufen. Zwar wurde kurz darauf ein Friedensvertrag mit der FUC erzielt, doch andere Rebellengruppen gewannen zunehmend die Kontrolle über den Osten des Landes. Unter Vermittlung Libyens wurde am 26. Oktober 2007 ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Präsident Déby und vier Rebellengruppen unterzeichnet. Zum Schutz der Zivilbevölkerung und insbesondere der Flüchtlinge aus der Darfurregion wurde die Aufstellung einer Mission der Vereinten Nationen (MINURCAT) beschlossen, deren Aufgaben zunächst durch militärische Einheiten der Europäischen Union wahrgenommen werden sollten.

Nur wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands brachen erneut Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den Rebellen in den östlichen Provinzen aus. Ende November 2007 erklärte die Rebellenorganisation UFDD den Kriegszustand gegen französische und sonstige ausländische Einheiten. Die UFDD wurde im Oktober 2006 unter Führung von Mahamat Nouri gegründet und ist die größte Rebellengruppe im Tschad.

Angesichts des permanenten Kriegszustandes billigte die EU Ende Januar 2008 den Einsatz einer multinationalen Militäreinheit, der EUFOR Tchad/RCA, im Tschad. Die Führung dieser Militäreinheit übernahm Frankreich, das mehr als die Hälfte aller Soldaten stellte; Österreich hatte ein Kontingent von 160 Soldaten zugesagt.

Kurz vor dem geplanten Beginn der EU-Mission, deren Umsetzung daraufhin erst einmal ausgesetzt wurde, starteten Rebellen eine neue Offensive, bei der sie in die Hauptstadt N'Djamena eindrangen. Die Kampfhandlungen führten dazu, dass tausende Menschen in das Nachbarland Kamerun flüchteten. Gleichzeitig begann die Evakuierung ausländischer Bürger; die Vereinigten Staaten haben ihre Botschaft in N'Djamena geräumt. Nach einer Erklärung des UN-Sicherheitsrates erwog Frankreich 2008 ein Eingreifen zugunsten der Regierung. Die Rebellen zogen sich daraufhin aus der Hauptstadt vorläufig weitgehend wieder zurück.

Am 15. März 2009 endete die Überbrückungsmission der EUFOR Tchad/RCA und die Verantwortung wurde MINURCAT übergeben. MINURCAT zielt auf eine multidimensionale Präsenz ab, durch die unter anderem durch eine Verbesserung der Sicherheitslage vor Ort eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen, Maßnahmen der humanitären Hilfe und günstige Bedingungen für einen Wiederaufbau und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ermöglicht werden sollen.

Im Sicherheitssektor wird die Polizei des Tschad unterstützt und eine Verbindungsorganisation zu den Sicherheitskräften (einschließlich Armee, Gendarmerie, Polizei, nomadische Nationalgarde, Rechtsprechung und Strafvollzug im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik) aufgebaut. Das Mandat sieht explizit die Bekämpfung der Kriminalität vor.

Durch eine enge Zusammenarbeit mit der sudanesischen Regierung, der Afrikanischen Union, der Mission der Afrikanischen Union in Sudan (AMIS) und der Nachfolgemission, der Mission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union in Darfur (UNAMID), dem United Nations Peacebuilding Support Office in the Central African Republic (BONUCA), der Multinational Force of the Economic Community of Central African States in the Central African Republic (MICOPAX) und der Gemeinschaft der Sahel-Saharanischen Staaten (CEN-SAD) sollen Informationen ausgetauscht werden, die rechtzeitig Gefahren für die humanitären Aktivitäten in der Region aufzeigen.

Die Mission setzt sich aus 3.473 Soldaten, 24 Militärbeobachter, 189 Polizisten, 419 internationales ziviles Personal, 597 Ortskräfte und 158 Freiwillige der Vereinten Nationen zusammen. MINURCAT wird geführt durch den Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Victor Da Silva Angelo aus Portugal. Vertreten wird er durch die Jordanierin Rima Salah.

Die politische Situation hat sich bisher nicht vollständig entspannt. Zuletzt wurde im Mai 2013 ein Putschversuch vereitelt, der wahrscheinlich von Teilen des tschadischen Militärs ausging.

2013 beteiligten sich Truppen des Tschads an der Opération Serval. Die Opération Serval war eine Operation der französischen Streitkräfte in Mali auf Anfrage der dortigen Regierung und unter Billigung des UN-Sicherheitsrates vom 20. Dezember 2012. Das offizielle Ziel der Operation war es, die malische Armee beim Aufhalten, Zurückdrängen und Ausschalten militanter Islamisten aus dem Azawad, welche einen Vorstoß in das Zentrum von Mali begonnen hatten, zu unterstützen.

Im Süden des Tschad, insbesondere im Grenzbereich zur Zentralafrikanischen Republik und zum Sudan hielten sich seit Ausbruch der Krise in der Zentralafrikanischen Republik Ende 2013 rund 150.000 Flüchtlinge und Rückkehrer auf. Die Grenze zwischen Tschad und der Zentralafrikanischen Republik wurde am 13. Mai 2014 für den normalen Grenzverkehr zur Gänze geschlossen. Tschadische Truppen sichern zwar das Grenzgebiet, die hohe Zahl von Flüchtlingen verbunden mit einer ohnehin angespannten Versorgungslage führte zu Spannungen unter Flüchtlingen und/oder mit der angestammten Bevölkerung.

Der Tschad wurde am 11. August 1960 als unabhängige Republik aus französischer Kolonialherrschaft entlassen. Seitdem handelt das Land zum größten Teil selbstständig, ist aber zum Teil bei innenpolitischen Unruhen oder Hungersnöten auf Hilfe von außen angewiesen.

Nach der Verfassung vom 14.April 1996 ist der Tschad eine präsidiale Republik mit Mehrparteiensystem. Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament, das aus Nationalversammlung und Senat besteht. Die Nationalversammlung hat 125 für einen Zeitraum von vier Jahren gewählte Abgeordnete, die Mitglieder des Senats sind für sechs Jahre zu wählen, der Senat ist allerdings bisher noch nicht etabliert. Zu den wichtigsten Parteien gehört die Patriotische Wohlfahrtsbewegung (MPS), die Union für Erneuerung und Demokratie (URD) sowie die Nationale Union für Demokratie und Erneuerung (UNDR).

Die Exekutive wird vom Ministerrat unter der Leitung des vom Präsidenten ernannten Ministerpräsidenten ausgeübt. Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Armee ist der nach französischem Vorbild mit weitreichenden exekutiven Vollmachten ausgestattete Präsident, der auf fünf Jahre direkt gewählt wird. 2005 veranlasste Präsident Idriss Déby eine Verfassungsänderung, um dem Präsidenten anstelle der bisher möglichen zwei Amtszeiten eine dritte zu ermöglichen. Dies stieß bei der Opposition auf Kritik, die in diesem Vorstoß Débys eigensüchtige Motive sah.

Der Tschad gilt als ein instabiler Staat. Staatliche Einrichtungen wie Verwaltung, Bildungs- und Gesundheitswesen sind kaum entwickelt. Vor zusätzliche und für das Land nicht ohne internationale Hilfe zu bewältigende Probleme stellen den Tschad die seit 2003 aus der Region Darfur des östlichen Nachbarlandes Sudan kommenden Flüchtlinge.

Korruption ist im Tschad verbreitet. Nach dem Korruptionsindex 2010 der Organisation Transparency International (TI) liegt der Tschad auf dem 171. Platz von 178 erfassten Staaten. Allerdings dominiert auch der Nord-Süd-Gegensatz die Innenpolitik: Der Norden des Landes, der von islamisch-arabisch-berberischen Ethnien bewohnt wird, fühlte sich benachteiligt gegenüber dem schwarzafrikanisch-christlich-animistischen Süden, der seit der Kolonialzeit eine Vormachtstellung besaß.

Laut Amnesty International war auch in der Zeit, wo obwohl eine UN-Friedensmission stationiert war, die Lage im Osten des Tschads von Menschenrechtsverstößen und Instabilität gekennzeichnet. Zivilpersonen und Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen wurden verschleppt und ermordet. Frauen und Mädchen waren Vergewaltigungen und anderen Formen von Gewalt ausgesetzt. Die Behörden ergriffen keine geeigneten Maßnahmen, um die Zivilbevölkerung gegen Angriffe krimineller Banden und bewaffneter Gruppen zu schützen. Vermeintliche politische Gegner wurden widerrechtlich festgenommen, willkürlich in Haft gehalten und gefoltert oder in anderer Weise misshandelt. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten waren weiterhin Einschüchterungen und Schikanen ausgesetzt. Tausende Menschen wurden obdachlos, da ihre Häuser abgerissen wurden.

Kinder wurden im Tschad weiterhin als Soldaten eingesetzt. UNICEF geht davon aus, dass 53 % aller 5–14-jährigen Kinder des Landes Arbeit verrichten müssen. Der Tschad ist auch ein Ausgangsland des Kinderhandels in die Zentralafrikanische Republik, nach Nigeria, Kamerun und Saudi-Arabien. Auch kam es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen und Diskriminierungen gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität.

Das Land ist Mitglied der Vereinten Nationen (UN), der Afrikanischen Union (AU) und der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC). Die Regierungen des Tschads haben traditionell gute Beziehungen zur früheren Kolonialmacht Frankreich, das oft der jeweiligen Regierung bei bürgerkriegsähnlichen Situationen militärischen Beistand leistet.

Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten sind oft belastet, da es mit Libyen einen jahrzehntelangen Konflikt um den Aouzou-Streifen im Norden gab. Zum Sudan sind die Beziehungen seit dem offenen Ausbruch des Darfur-Konflikts belastet. Als im Tschad Bürgerkrieg herrschte, hat das benachbarte Kamerun zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen.

Des Weiteren unterhält der Tschad diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu den USA. Am 10. Oktober 2003 begann die Förderung von Erdöl unter der Führung von ExxonMobil und mit Unterstützung der Weltbank im Doba-Becken im Süden des Tschads. Über eine 1050 Kilometer lange Pipeline wird dieses an die Atlantikküste Kameruns befördert und dort verschifft. Dies wird vereinzelt als geopolitisch bedeutender Schachzug der USA gesehen und aus menschenrechtlicher und ökologischer Sicht kritisiert. Ebenfalls hat auch die Volksrepublik China aufgrund des Interesses an Erdöl die Beziehungen zum Tschad weiter aufgebaut. Die Beziehungen mit China entwickeln sich seit 2006 dynamisch. Seit 2006 beliefert China den Tschad unter anderem mit Waffen.

Neben der Erschließung neuer Erdölfelder betreiben chinesische Staatsfirmen eine Pipeline und eine Raffinerie im Norden von N'Djamena. China betreibt außerdem ein neues Kraftwerk zur Versorgung der Hauptstadt mit Elektrizität und eine Zementfabrik im Süden des Landes. Anfang 2011 unterschrieben chinesische Investoren einen Vertrag zum Bau einer Eisenbahn, die einmal das ostafrikanische Eisenbahnnetz im Sudan mit dem westafrikanischen in Kamerun verbinden soll.

Der Tschad besitzt vor allem im Tibestigebirge im Norden nicht erschlossene Uran-, Gold-, Zinn-, Wolfram-, und Bauxitvorkommen. Nordöstlich des Tschadsees wird Natron und an mehreren Stellen der Sahara Steinsalz gewonnen, das vor allem für die Märkte im Süden des Landes bestimmt ist. In Mayo Kebbi wird seit 1992 Gold gewonnen. Erdölfelder befinden sich im Dobabecken (Südwesten), in der Nähe von Sarh, Bongor und am Tschadsee. 110 Milliarden Euro an Erdölreserven soll der Tschad nach einer Schätzung besitzen. Diese noch unerschlossenen Reichtümer sind der wesentliche Grund für innenpolitische Auseinandersetzungen und das Bemühen von Großmächten wie Frankreich um eine Stabilität in der Region. Es ist zu befürchten, dass auch in Zukunft Kriege stattfinden werden um die Frage zu klären, wer oder welche Organisation bzw. welches Land von dem Abbau der Bodenschätze finanziell am meisten profitieren wird.

Wenn man über den Tschad spricht, kann der Krieg um Darfur nicht verschwiegen werden.

Der Krieg in Darfur ist eine seit 2003 andauernde bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Darfur und der sudanesischen Regierung in Khartum. Dabei fordern aus schwarzafrikanischen Stämmen hervorgegangene Rebellenbewegungen mehr Mitbestimmung im Staat und eine Entwicklung ihrer Region. Die Regierung geht militärisch gegen die Rebellen vor und unterstützt in diesem Kampf lokale Milizen, die aus arabischen Reiter-Nomaden bestehen und unter der Bezeichnung Dschandschawid (arabisch: dschinn: „Geist, Dämon“; dschawad „Pferd“) bekannt geworden sind.

Etwa 200.000 Menschen sind bis 2007 durch den Konflikt umgekommen, eine UN-Schätzung geht für Anfang 2008 von 300.000 Toten aus. 2,5 Millionen wurden innerhalb der Region vertrieben. Sie werden als IDP („Internally displaced persons“) bezeichnet. Insbesondere die Dschandschawid begehen schwere Menschenrechtsverletzungen, dazu gehören die Zerstörung von Dörfern, Massaker an der Zivilbevölkerung und Vergewaltigungen.

Der Konflikt hat sich auch auf grenznahe Gebiete Tschads ausgeweitet, einige Tausend Darfuris sind in die Zentralafrikanische Republik geflohen. Seit 1. Januar 2008 soll die Friedensmission UNAMID als weltgrößte Friedenstruppe in Darfur stationiert werden. Im Oktober 2009 befanden sich von den für die Mission einzusetzenden 26.000 Polizisten und Soldaten 19.000 Einsatzkräfte vor Ort. Blockierende Maßnahmen der sudanesischen Regierung, bürokratische Hürden sowie Probleme bei der Zusammenarbeit der Truppenteile erschweren die Mission bislang erheblich.

Die Region Darfur wird von verschiedenen Völkern bewohnt, die man nach ihrer Herkunft in drei Gruppen einteilen kann: schwarzafrikanische Volksgruppen wie die namensgebenden Fur, die knapp ein Drittel der Bevölkerung Darfurs ausmachen und um den zentralen Jebel Marra siedeln, Masalit im Westen und Zaghawa im Norden des Gebietes, und arabische Stämme, die seit dem 13. Jahrhundert in den heutigen Sudan vordrangen und, so sie Rindernomaden geworden sind, unter der Bezeichnung Baggara zusammengefasst werden. Dazwischen finden sich in allen Teilen Darfurs kleine Volksgruppen wie die Berti, die aus dem Sahel eingewandert sind, durch Kulturübernahme in den letzten Jahrhunderten arabisiert wurden und bei nomadischer Lebensweise auch den Baggara zugerechnet werden können. Es gibt über 30 größere und kleinere Ethnien (arabisch qabail), die in ihrer Mehrheit als Schwarzafrikaner zur nilosaharanischen Sprachfamilie gehören. Die Begriffe „schwarzafrikanisch“ und „arabisch“ sind folglich weniger als ethnische Unterscheidung denn als sozial konstruierte Identitäten zu verstehen, außerdem beschränkt sich die ethnische Bezeichnung „Araber“ auf eine gemeinsame Herkunftssaga und weitere kulturelle Eigenheiten. Kamelnomaden und Rinderhirten neigen unabhängig ihrer Herkunft dazu, sich als Araber zu identifizieren. Nach der Lebensweise lassen sich Baggara – Rindernomaden, Aballa – Kamelnomaden, Zurga – Bauern und die Stadtbewohner unterscheiden.

Alle Volksgruppen sind sunnitische Muslime, mit einer großen Zahl Anhänger der Tijaniyya-Bruderschaft. Von 1650 bis zur britischen Annexion 1917 war Dar Fur (arabisch: „Haus der Fur“) ein unabhängiges Sultanat. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war das Herrscherreich ideologisch beschränkt auf die Ethnie der Fur, danach wurde eine volksübergreifende staatliche Verwaltung aufgebaut. Wie aus einem Dekret des letzten Sultans Ali Dinar (regierte 1898–1916) an seine Häuptlinge hervorgeht, wurden Fragen von Land- und Wasserrechten zentral und vorausschauend geregelt. Fur und Masalit lebten bis zu dieser Zeit in hierarchisch strukturierten Staatswesen, deren bürokratischer Apparat erst während der Mahdi-Herrschaft zusammengebrochen ist, die nomadischen Araber dagegen in lockeren Stammesverbänden. Bis zur Unabhängigkeit des Sudan 1956 und ebenso danach wurden kaum Anstrengungen unternommen, die Region wirtschaftlich zu entwickeln. Während der britischen Kolonialzeit stammten die einzigen Einkünfte der Region von ausgewanderten Darfuris, die in den Baumwollplantagen der Gezira-Ebene Arbeit fanden.

Ein Grund für frühere Konflikte war die geografische Lage Darfurs als ein Zentrum für den Sklavenhandel, über das die Sklavenhändler der Fur mit arabischen Händlern zusammen und in Konkurrenz zueinander in der Region Bahr al-Ghazal Sklaven aus schwarzafrikanischen Kleinreichen wie dem Dar Fertit bezogen. Dabei kam es gelegentlich zu Auseinandersetzungen zwischen Fur und Baggara, insbesondere mit den mächtigen Rizeigat im Südosten Darfurs. Weiterhin bestehende alte Konfliktgründe sind Streitigkeiten zwischen Ackerbauern und nomadischen Viehzüchtern um Wasser und Weideland, wobei es umgekehrt zu der gängigen Einteilung auch Ackerbauern, die der arabischen Bevölkerung zugerechnet werden, und schwarzafrikanische Nomaden gibt. Streitereien wurden bis dahin mit Speeren ausgetragen und durch Vermittlung der Ältesten beigelegt. Die Auseinandersetzungen verschärften sich durch die Verknappung der Ressourcen durch zwei große Dürreperioden Anfang der 1970er und Mitte der 1980er Jahre. Hinzu kam eine Bevölkerungszunahme von 1,3 Millionen Menschen 1973 auf 3,5 Millionen bis 1983. Die für frühere Zeiten vielleicht sinnvolle Beschreibung der Konflikte entlang ethnischer Trennlinien hat noch eine gewisse Berechtigung und liefert einen groben Rahmen, ist aber für das Verständnis von teilweise bis auf die Clan-Ebene segmentierten Gesellschaften nicht ausreichend. Konflikte sind historische Prozesse, ihre Ursachen können sich ändern. Die in westlichen Medien vermittelte Reduzierung des Konflikts als Krieg zwischen regierungstreuen Arabern und aufständischen Schwarzafrikanern ist zu kurz gegriffen.

Dass die Auseinandersetzungen zwischen den arabischen und schwarzafrikanischen Völkern, die üblicherweise in dem genannten ethnischen Rahmen erklärt werden, nicht Vergangenheit sind, zeigt exemplarisch das Massaker von El Diein einer Handelsstadt an der Bahnlinie zwischen Babanusa und Nyala, im März 1987. In dieser Region im Süden Darfurs lebten zuvor die dominierenden arabischen Viehzüchter der Rizeigat mit Fur, Dinka, Zaghawa und anderen in einem labilen Gleichgewicht zusammen. Nach Beginn des Bürgerkriegs im Südsudan 1983 flohen immer mehr Dinka, Bauern und Hirten, aus dem Süden nach El Diein. Im Mai 1986 waren bereits rund 17.000 Dinka in der Stadt. Es kam zu Streitereien an den Wasserstellen. Am 27. März 1987 griff die Bevölkerung der Stadt die Neuankömmlinge an. Zivilisten gingen mit Stöcken und Speeren gegen andere Zivilisten los. Nach den ersten Todesopfern auf Seiten der Dinka ließ sich ein Teil von der Polizei überreden, mit der Eisenbahn anderntags nach Nyala in Sicherheit gebracht zu werden. Zur Abfahrt des Zuges kam es nicht. In sieben Waggons wurden einige hundert eingepferchte Dinka durch einen Mob mit brennenden Grasbüscheln in den Waggons im Rauch erstickt oder auf der Flucht erschlagen, andere Dinka, die in den Polizeihof geflohen waren, erlitten dort dasselbe Schicksal. Amnesty International bestätigte später 426 getötete Dinka. Ähnliche Massaker gab es in den Jahren 1987 bis 1989 auch in anderen Städten.[

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat 2007 die Auswirkungen des Klimawandels als eine Ursache der Krise in Darfur bezeichnet. Er ist nicht wegen des Hinweises auf möglicherweise ökologische Ursachen des Konflikts kritisiert worden, sondern weil mit einer solchen Aussage die Lokalbevölkerung ihrer Verantwortung für die eigene Umwelt enthoben wird, aber vor allem, weil die politische Dimension außer Acht gelassen wird. Die andere Sicht, die auch westliche Regierungen teilen, stellt die politische Unterdrückung, wirtschaftliche Vernachlässigung und Militarisierung der Region durch die sudanesische Regierung in den Vordergrund. Der politisch argumentierende Eric Reeves hält die Aussage Ban Ki-moons für eine Fehleinschätzung, die zu einer zu zögerlichen Verhandlungsbeteiligung des UN-Sicherheitsrates geführt habe.

Der Krieg in Darfur ist eine seit 2003 andauernde bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Darfur und der sudanesischen Regierung in Khartum. Dabei fordern aus schwarzafrikanischen Stämmen hervorgegangene Rebellenbewegungen mehr Mitbestimmung im Staat und eine Entwicklung ihrer Region. Die Regierung geht militärisch gegen die Rebellen vor und unterstützt in diesem Kampf lokale Milizen, die aus arabischen Reiter-Nomaden bestehen und unter der Bezeichnung Dschandschawid (arabisch: dschinn: „Geist, Dämon“; dschawad „Pferd“) bekannt geworden sind.

Etwa 200.000 Menschen sind bis 2007 durch den Konflikt umgekommen, eine UN-Schätzung geht für Anfang 2008 von 300.000 Toten aus. 2,5 Millionen wurden innerhalb der Region vertrieben. Sie werden als IDP („Internally displaced persons“) bezeichnet. Insbesondere die Dschandschawid begehen schwere Menschenrechtsverletzungen, dazu gehören die Zerstörung von Dörfern, Massaker an der Zivilbevölkerung und Vergewaltigungen.

Der Konflikt hat sich auch auf grenznahe Gebiete Tschads ausgeweitet, einige Tausend Darfuris sind in die Zentralafrikanische Republik geflohen. Seit 1. Januar 2008 soll die Friedensmission UNAMID als weltgrößte Friedenstruppe in Darfur stationiert werden. Im Oktober 2009 befanden sich von den für die Mission einzusetzenden 26.000 Polizisten und Soldaten 19.000 Einsatzkräfte vor Ort. Blockierende Maßnahmen der sudanesischen Regierung, bürokratische Hürden sowie Probleme bei der Zusammenarbeit der Truppenteile erschweren die Mission bislang erheblich.

Die Region Darfur wird von verschiedenen Völkern bewohnt, die man nach ihrer Herkunft in drei Gruppen einteilen kann: schwarzafrikanische Volksgruppen wie die namensgebenden Fur, die knapp ein Drittel der Bevölkerung Darfurs ausmachen und um den zentralen Jebel Marra siedeln, Masalit im Westen und Zaghawa im Norden des Gebietes, und arabische Stämme, die seit dem 13. Jahrhundert in den heutigen Sudan vordrangen und, so sie Rindernomaden geworden sind, unter der Bezeichnung Baggara zusammengefasst werden. Dazwischen finden sich in allen Teilen Darfurs kleine Volksgruppen wie die Berti, die aus dem Sahel eingewandert sind, durch Kulturübernahme in den letzten Jahrhunderten arabisiert wurden und bei nomadischer Lebensweise auch den Baggara zugerechnet werden können. Es gibt über 30 größere und kleinere Ethnien (arabisch qabail), die in ihrer Mehrheit als Schwarzafrikaner zur nilosaharanischen Sprachfamilie gehören. Die Begriffe „schwarzafrikanisch“ und „arabisch“ sind folglich weniger als ethnische Unterscheidung denn als sozial konstruierte Identitäten zu verstehen, außerdem beschränkt sich die ethnische Bezeichnung „Araber“ auf eine gemeinsame Herkunftssaga und weitere kulturelle Eigenheiten. Kamelnomaden und Rinderhirten neigen unabhängig ihrer Herkunft dazu, sich als Araber zu identifizieren. Nach der Lebensweise lassen sich Baggara – Rindernomaden, Aballa – Kamelnomaden, Zurga – Bauern und die Stadtbewohner unterscheiden.

Alle Volksgruppen sind sunnitische Muslime, mit einer großen Zahl Anhänger der Tijaniyya-Bruderschaft. Von 1650 bis zur britischen Annexion 1917 war Dar Fur (arabisch: „Haus der Fur“) ein unabhängiges Sultanat. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war das Herrscherreich ideologisch beschränkt auf die Ethnie der Fur, danach wurde eine volksübergreifende staatliche Verwaltung aufgebaut. Wie aus einem Dekret des letzten Sultans Ali Dinar (regierte 1898–1916) an seine Häuptlinge hervorgeht, wurden Fragen von Land- und Wasserrechten zentral und vorausschauend geregelt. Fur und Masalit lebten bis zu dieser Zeit in hierarchisch strukturierten Staatswesen, deren bürokratischer Apparat erst während der Mahdi-Herrschaft zusammengebrochen ist, die nomadischen Araber dagegen in lockeren Stammesverbänden. Bis zur Unabhängigkeit des Sudan 1956 und ebenso danach wurden kaum Anstrengungen unternommen, die Region wirtschaftlich zu entwickeln. Während der britischen Kolonialzeit stammten die einzigen Einkünfte der Region von ausgewanderten Darfuris, die in den Baumwollplantagen der Gezira-Ebene Arbeit fanden.

Ein Grund für frühere Konflikte war die geografische Lage Darfurs als ein Zentrum für den Sklavenhandel, über das die Sklavenhändler der Fur mit arabischen Händlern zusammen und in Konkurrenz zueinander in der Region Bahr al-Ghazal Sklaven aus schwarzafrikanischen Kleinreichen wie dem Dar Fertit bezogen. Dabei kam es gelegentlich zu Auseinandersetzungen zwischen Fur und Baggara, insbesondere mit den mächtigen Rizeigat im Südosten Darfurs. Weiterhin bestehende alte Konfliktgründe sind Streitigkeiten zwischen Ackerbauern und nomadischen Viehzüchtern um Wasser und Weideland, wobei es umgekehrt zu der gängigen Einteilung auch Ackerbauern, die der arabischen Bevölkerung zugerechnet werden, und schwarzafrikanische Nomaden gibt. Streitereien wurden bis dahin mit Speeren ausgetragen und durch Vermittlung der Ältesten beigelegt. Die Auseinandersetzungen verschärften sich durch die Verknappung der Ressourcen durch zwei große Dürreperioden Anfang der 1970er und Mitte der 1980er Jahre. Hinzu kam eine Bevölkerungszunahme von 1,3 Millionen Menschen 1973 auf 3,5 Millionen bis 1983. Die für frühere Zeiten vielleicht sinnvolle Beschreibung der Konflikte entlang ethnischer Trennlinien hat noch eine gewisse Berechtigung und liefert einen groben Rahmen, ist aber für das Verständnis von teilweise bis auf die Clan-Ebene segmentierten Gesellschaften nicht ausreichend. Konflikte sind historische Prozesse, ihre Ursachen können sich ändern. Die in westlichen Medien vermittelte Reduzierung des Konflikts als Krieg zwischen regierungstreuen Arabern und aufständischen Schwarzafrikanern ist zu kurz gegriffen.

Dass die Auseinandersetzungen zwischen den arabischen und schwarzafrikanischen Völkern, die üblicherweise in dem genannten ethnischen Rahmen erklärt werden, nicht Vergangenheit sind, zeigt exemplarisch das Massaker von El Diein einer Handelsstadt an der Bahnlinie zwischen Babanusa und Nyala, im März 1987. In dieser Region im Süden Darfurs lebten zuvor die dominierenden arabischen Viehzüchter der Rizeigat mit Fur, Dinka, Zaghawa und anderen in einem labilen Gleichgewicht zusammen. Nach Beginn des Bürgerkriegs im Südsudan 1983 flohen immer mehr Dinka, Bauern und Hirten, aus dem Süden nach El Diein. Im Mai 1986 waren bereits rund 17.000 Dinka in der Stadt. Es kam zu Streitereien an den Wasserstellen. Am 27. März 1987 griff die Bevölkerung der Stadt die Neuankömmlinge an. Zivilisten gingen mit Stöcken und Speeren gegen andere Zivilisten los. Nach den ersten Todesopfern auf Seiten der Dinka ließ sich ein Teil von der Polizei überreden, mit der Eisenbahn anderntags nach Nyala in Sicherheit gebracht zu werden. Zur Abfahrt des Zuges kam es nicht. In sieben Waggons wurden einige hundert eingepferchte Dinka durch einen Mob mit brennenden Grasbüscheln in den Waggons im Rauch erstickt oder auf der Flucht erschlagen, andere Dinka, die in den Polizeihof geflohen waren, erlitten dort dasselbe Schicksal. Amnesty International bestätigte später 426 getötete Dinka. Ähnliche Massaker gab es in den Jahren 1987 bis 1989 auch in anderen Städten.[

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat 2007 die Auswirkungen des Klimawandels als eine Ursache der Krise in Darfur bezeichnet. Er ist nicht wegen des Hinweises auf möglicherweise ökologische Ursachen des Konflikts kritisiert worden, sondern weil mit einer solchen Aussage die Lokalbevölkerung ihrer Verantwortung für die eigene Umwelt enthoben wird, aber vor allem, weil die politische Dimension außer Acht gelassen wird. Die andere Sicht, die auch westliche Regierungen teilen, stellt die politische Unterdrückung, wirtschaftliche Vernachlässigung und Militarisierung der Region durch die sudanesische Regierung in den Vordergrund. Der politisch argumentierende Eric Reeves hält die Aussage Ban Ki-moons für eine Fehleinschätzung, die zu einer zu zögerlichen Verhandlungsbeteiligung des UN-Sicherheitsrates geführt habe.

Als mittelfristige Vorgeschichte wird die Entwicklung in den letzten 30 Jahren verstanden. In diesen Zeitraum fällt ein Rückgang von Anbauflächen und Weideland durch eine zunehmende Wüstenbildung und Bodenerosion, welche die betroffenen Volksgruppen in unterschiedlichem Maß zu Wanderungsbewegungen aus den trockenen Savannengebieten im Norden in den niederschlagsreicheren Süden von Darfur zwang. Da das Land überall bereits besiedelt war, kam es zu Konflikten. Die Zaghawa waren bei gewaltsamen Landnahmen in den 1980er Jahren zumeist erfolgreicher als die etwas später nach Süden gezogenen Meidob oder Berti. Insbesondere infolge der Dürrejahre 1983/84 geriet durch die Südwanderungen die geografische Gliederung nach Wirtschaftsformen durcheinander. Kamelnomaden in Nord-Darfur, Ackerbauern in der zentralen Region um den Jebel Marra und Rinderzüchter im Süden beanspruchten in der Trockenzeit nun jeweils fremdes Land. Daten zeigen eine Korrelation zwischen der Zunahme von lokalen Konflikten und abnehmenden Jahresniederschlägen. Mohamed Suliman sieht mit dieser Aussage hinter dem Konflikt, der als gewaltsame ethnische Auseinandersetzung 1953 begann, heute eine wirtschaftlich-ökologische Hauptursache. Eine an der Santa Clara University in Kalifornien aus den Niederschlagsdaten angefertigte Untersuchung kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass die schwankenden und keinem klaren Trend folgenden Niederschlagsmengen nur lose mit der Intensität der gewaltsamen Auseinandersetzungen seit 2003 korrelieren.

In der Dürreperiode 1972–1974 waren Konflikte noch selten, lokal begrenzt und überschaubar; anders ab Mitte der 1980er Jahre, als allmählich kleinere Scharmützel sich ausweiteten und bürgerkriegsartige Verwüstungen hinterließen, wobei ganze Dörfer niedergebrannt und geplündert wurden Im Zentrum der meisten, mit Maschinengewehren ausgetragenen Konflikte Ende der 1980er Jahre standen die Zaghawa, die auch in den verschiedenen gegenwärtigen Rebellengruppen überproportional vertreten sind.

Als zweite Phase oder als Militarisierung des Konflikts gelten die Jahre 1987 bis 1993, in denen sich 27 arabische Stämme zu einer Allianz verbündeten, deren Kampftruppe Dschandschawid die Eroberung der Fur, genauer, des Fur-Landes am Jebel Marra zum Ziel hatte. Bis zur Friedenskonferenz 1989 sollen über 5000 Fur und 400 Araber getötet worden sein. Aus der ökologischen Ursache mit wirtschaftlichen Auswirkungen war ein Kampf um regionale Vormacht geworden. Weder die Todesopfer noch die mehreren 10.000 Vertriebenen wurden international wahrgenommen. Das Verfügungsrecht über Weideland ist in Darfur einer der wichtigsten Macht- und Wirtschaftsfaktoren. Von Anfang bis Mitte der 1980er Jahre erhöhte sich der Anteil des Viehexports aus der Region Darfur von einem Viertel auf die Hälfte des gesamten Exporterlöses.

In die Regierungszeit von Sadiq al-Mahdi (1986–1989) fiel der Entschluss, die arabischen Nomaden (Baggara) mit Waffen zu versorgen, angeblich um sich gegen Angriffe der südsudanesischen SPLA verteidigen zu können. Es war wenig überraschend, dass die arabischen Milizen die Waffen gegen die schwarzafrikanische Bevölkerung von Darfur einsetzten. Der Konflikt erhielt eine offen rassistische Dimension.

Aus machtpolitischen Erwägungen erfolgte 1994 die Aufteilung von Darfur in die drei Provinzen Nord- Süd- und West-Darfur. Die Mehrheit der Provinzgouverneure stammt seither aus den Reihen der Regierung. Alle Regierungschefs in Khartum stammen seit der Unabhängigkeit aus der Nordregion des Sudan, obwohl diese nur einen geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmacht. Der Aufstand richtet sich somit gegen die Marginalisierung und gegen das wirtschaftliche Monopol der zentralistisch regierenden Staatsführung. Hauptstreitpunkt in wirtschaftlicher Hinsicht sind die seit 1999 wachsenden Einnahmen aus der Erdölförderung. Durch den Beginn der Friedensgespräche zur Beilegung des Bürgerkriegs im Südsudan fühlten sich die nichtarabischen Darfuris vollends an die Wand gedrängt und die bereits 2001 gegründete Rebellenorganisation JEM verübte im Februar 2003 den ersten Anschlag.

Der Präsident des Tschad Idriss Déby kam 1990 mit sudanesischer Unterstützung gewaltsam an die Macht. Seinen Putsch hatte er militärisch von Darfur aus vorbereitet. Bei den ersten Anschlägen der Darfur-Aufständischen 2003, die von Zaghawa, seiner eigenen Volksgruppe, verübt wurden, stellte er sich zunächst als Verbündeter hinter die sudanesische Regierung. Déby sandte im März 2003 Truppen, um die JEM und SLA, die Tschad als Rückzugsgebiet nutzten, innerhalb Darfurs zu bekämpfen. (Zu den Rebellengruppen siehe nächster Abschnitt.) Die Zaghawa-Truppen weigerten sich, gegen ihre eigene Volksgruppe zu kämpfen und warnten die Aufständischen vor ihrer Ankunft. Es kam zu einer Rebellion der Zaghawa innerhalb der Armee und zu einem Wechsel der Generäle. Anschließend unterstützte Déby von der JEM abgefallene und gegen die JEM agierende Splittergruppen. Ab 2004 versuchte der Sudan, Regierungsgegner in Tschad zu vereinen. 2005 begann Déby im Gegenzug, sudanesische Rebellen wie die JEM und die SLA/M zu unterstützen, der Sudan wiederum rüstet seither die Rebellen der FUC (Front uni pour le changement, „Vereinigte Front für den Wechsel“) in Tschad. Der Stellvertreterkrieg zwischen beiden Ländern eskalierte Ende Januar 2008 zu einer direkten Konfrontation, als tschadische Rebellen und sudanesische Einheiten bis zum Regierungssitz in N’Djamena vordrangen. Débys Truppen konnten die Angreifer mit Unterstützung der sudanesischen JEM zurückschlagen.

Muammar al-Gaddafi beteiligte sich in den 1970er Jahren am tschadischen Bürgerkrieg als Gegner des Rebellenführers Hissène Habré, der von Frankreich und den Vereinigten Staaten unterstützt wurde. Habrés Operationsbasis im Kampf gegen die Regierung von Präsident François Tombalbaye war – mit Duldung des damaligen sudanesischen Präsidenten Numairi – Darfur. Dorthin erhielt Habré Waffenlieferungen, mit deren Hilfe die libyschen Einheiten geschlagen und 1981 aus dem Land vertrieben werden konnten. Habré wurde Präsident des Tschad und amtierte 1982 bis 1990. Der Sudan und Libyen waren seit der Machtübernahme Numairis zu Gegnern geworden. Nach Numairis Absetzung 1985 verbesserten sich die Beziehungen der beiden Länder. In Tschad bekämpfte Libyen weiterhin die Habré-Regierung. 1987–1988 kam es zum Krieg um einen Grenzstreifen, bei dem libysche Truppen den Westen des Sudan zum Einmarsch in den Tschad nutzen konnten. Es war die Gegenleistung für die libysche Unterstützung im Krieg gegen den Südsudan. In dieser Zeit wurde Darfur mit libyschen Waffen zu Niedrigstpreisen überschwemmt. Tschadische Milizen wurden von Libyen ausgerüstet, damit sie die Dschandschawid in Darfur unterstützten.

Mit der libyschen Präsenz in Darfur verfolgte Gaddafi nach seinem Rückzug aus dem Tschad noch ein anderes Ziel. Seit seinem Machtantritt verfocht er eine von seinem Land ausgehende panarabische Idee, die er nun in Darfur zu verbreiten suchte. Eine rund 2000 Mann starke, militant-arabische Organisation namens Al tajammu al-arabi („Arabische Versammlung“) wurde 1987 nach Darfur geschickt, wo sie die Ideologie einer arabischen Vorherrschaft unter den Reitermilizen verbreiten sollte. Die ideologische Aufrüstung der Dschandschawid für den späteren Kampf stammt aus dieser Zeit.

Eine bis in die 1970er Jahre zurückreichende Erklärung für den Dominanzanspruch der Reitermilizen konzentriert sich auf den 1982 verstorbenen Ahmat Acyl Aghbash, den Kommandanten einer libyschen „Islamischen Legion“, die im Tschad operierte und einer tschadischen Miliz namens „Vulkanbrigade“. Das von Gaddafi für den gewaltsamen und religiösen Kampf auserwählte Missionsziel war ein Clan der Rizeigat-Kamelnomaden unter dem alten Führer Sheikh Hilal. Ahmat Acyl überzeugte die Rizeigat mit der Idee einer direkten Abstammung von den Koreischiten, dem Stamm des Propheten. Hilals Sohn und Nachfolger Moussa Hilal übernahm Ende der 1980er Jahre den Kampf gegen die Fur und organisierte Waffenlieferungen von Libyen.

Der Putsch von Idriss Déby wurde auch von Libyen kräftig unterstützt. Durch Gaddafis erklärtem Wandel vom arabischen Nationalisten zum Friedensstifter vermittelt Libyen seit 2004 im Darfur-Konflikt. Weithin sichtbares Symbol für die guten wirtschaftlichen Beziehungen ist der von Libyen finanzierte Bau eines eiförmigen Hotels in Khartum. Kriminelle Banden bewegen sich zwischen Darfur, Tschad und Libyen, von wo die Rebellen beider Länder weiterhin ihre Waffen beziehen.

Die Lage ist unübersichtlich. Seit 2007 beobachten Hilfsorganisationen ein Zunehmen gewöhnlicher Kriminalität.

Auf Regierungsseite kämpfen Armeeeinheiten und verschiedene Milizen, die verallgemeinernd als Dschandschawid bezeichnet werden. Dazu gehören Kamelnomaden (Abbala) und wegen der Dürre in den 1980er Jahren aus Tschad eingewanderte Rizeigat-Abbala, Beni Halba und Misirya. Als Nördliche Rizeigat werden einzelne Clans wie die Shattiya, Mahamid, Eregat, Huttiya, Etetat und Jalul zusammengefasst. Zayadia heißt die größte Gruppe der Kamelnomaden im Norden. Die Mehrheit der arabischen Stämme in Darfur ist Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem Westen eingewandert. Aus den sich süd- und ostwärts ausbreitenden Kamelnomaden wurden allmählich die Rinder züchtenden Baggara. Paramilitärische Truppen auf Regierungsseite sind die Uniform tragenden Popular Defence Forces und die Border Intelligence Guards. Offizielle Streitkräfte sind die Sudan People’s Armed Forces.

Die sudanesische Regierung nahm auch bestehende Rivalitäten zum Anlass, um nichtarabische Stämme aufzurüsten und bei den Milizen einzubinden. Ein Beispiel ist die als schwarzafrikanisch klassifizierte Volksgruppe der Birgit (Birgid), die überwiegend in der Provinz Süd-Darfur siedelt und in der Stadt Shearia (Sheiria) die Mehrheit der Einwohner bildet. Als Reaktion auf das Eindringen von Zaghawa in den 1980er Jahren auf ihr Gebiet wird der Kampf von Birgit unter ihrem Führer Omda Tierab gegen die von Zaghawa dominierte SLA/M und die JEM gewertet. Birgit-Milizen, die mit Pferden und Kamelen unterwegs sind, stellen den Großteil der SLA-FW und stehen in Verbindung mit der sudanesischen Regierung und mit arabischen Misseria-Milizen. Bei einem von der Armee unterstützten Überfall von Birgit in Shearia im Januar 2006 wurden etwa 5000 Zaghawa vertrieben. Zaghawa übten anderntags Rache. Bei Kämpfen zwischen der SLA/M und der SLA-FW in Nord- und Süd-Darfur Anfang 2008 gab es 90.000 Vertriebene.

Von den zu Beginn des gewaltsamen Konflikts bestehenden Rebellenorganisationen gab es mehrfach Abspaltungen, die sich anschließend teilweise gegenseitig bekämpften. Die Mitglieder dieser Rebellentrupps lassen sich nur ungenau bestimmten Volksgruppen zuordnen, selbst in gegnerischen Verbänden können Kämpfer aus derselben Untergruppe einer Ethnie engagiert sein. Die kleinste Rebelleneinheit besteht aus einem Anführer mit Getreuen und einigen Pickups. Der Übergang zu kriminellen Banden ist fließend.

Kleinere und 2009 nicht mehr existierende Rebellengruppen, sowie Koalitionen zwischen den Gruppen wurden nicht aufgeführt.

Als Anfang des Bürgerkrieges gilt der Angriff der SLA auf Gulu in der Marra-Region westlich von El Fasher, der am 25. Februar begann und mit der Besetzung des Ortes endete. In den folgenden Tagen wurde Tiné, ein Zentrum der Zaghawa an der Tschadgrenze eingenommen. Angriffe auf Armeeposten und Polizeistationen hatte es bereits ein Jahr zuvor gegeben. Es folgten weitere Anschläge von SLA und JEM in der Region, besonders auf El Fasher und Mellit (nördlich, in Berti-Gebiet), die mit Kalaschnikows und Panzerfäusten durchgeführt und über Satellitentelefone koordiniert wurden.

Der erste große Sieg war die mit Hunderten Rebellen und Dutzenden Fahrzeugen durchgeführte Einnahme der Garnisonsstadt El-Fasher im Juni, bei der nach Angaben der sudanesischen Regierung 75 Soldaten getötet, Waffen gestohlen und vier Militär-Hubschrauber sowie zwei Antonov-Flugzeuge zerstört wurden. Die Rebellen waren teilweise besser bewaffnet als die sudanesische Armee. Die Dschandschawid-Reitermilizen wurden daher mit Waffen ausgerüstet und sollten in einem Stellvertreterkrieg die im Südsudan gebundenen Streitkräfte entlasten. Die Zivilbevölkerung geriet immer stärker zwischen die Fronten, vor allem die Reitermilizen wurden ab dieser Zeit für Angriffe auf Dörfer, Plünderungen und den organisierten Einsatz sexueller Gewalt verantwortlich gemacht.

Am 8. April 2004 unterzeichneten die Rebellen und die sudanesische Regierung ein Waffenstillstandsabkommen in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, unter Vermittlung des tschadischen Präsidenten und der Afrikanischen Union.

Von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International und der Gesellschaft für bedrohte Völker wurden der sudanesischen Regierung systematische Massaker gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen, vor allem wegen der Unterstützung der Dschandschawid. Es wurden Vergleiche mit dem Völkermord in Ruanda 1994 gezogen, Human Rights Watch hielt den Tatbestand der systematischen Vernichtung für erwiesen. Tausende Sudanesen waren bereits bei „ethnischen Säuberungsaktionen“ gestorben, Hunderttausende wurden zur Flucht gezwungen. Dem Land drohte eine Hungerkatastrophe.

Am 30. Juli 2004 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1556, die den Einsatz militärischer Beobachter der Afrikanischen Union im Rahmen der African Union Mission in Sudan (AMIS) autorisierte. Die deutsche Bundesregierung unterstützte die AMIS mit dem ersten Einsatz von Lufttransportkräften der Luftwaffe zur Verschiebung von 196 gambischen Soldaten und etwa zwölf Tonnen Fracht. Die deutsche Beteiligung begann am 16. Dezember 2004 und endete plangemäß am 23. Dezember 2004.

Die internationale Hilfe war bis zum Jahr 2005 unzureichend, die internationale Gemeinschaft gespalten. Während etliche Staaten, darunter Großbritannien, die USA und Deutschland, die Regierung in Khartum teils scharf kritisierten, verhinderten Länder wie Russland und die VR China ein entschiedeneres Vorgehen. Bei beiden spielen wirtschaftliche Interessen, insbesondere Öl-Konzessionen, eine Rolle. Die Truppen der AMIS konnten wenig gegen die Menschenrechtsverletzungen in Darfur ausrichten. Ihr Mandat war beschränkt auf den Schutz von Beobachtern. Sie waren bei der Versorgung abhängig vom guten Willen der sudanesischen Regierung und in ihrer Mobilität durch unzureichende Ausrüstung eingeschränkt. So verfügte die AMIS 2005 nur über acht zivile Hubschrauber ohne Nachtsichteinrichtungen.

Aufgrund der anhaltenden dramatischen Lage im Sudan stimmte am 22. April 2005 der Deutsche Bundestag einem Einsatz von Militärbeobachtern im Süden und Osten des Landes im Rahmen der UN-Mission UNMIS zu. Das Kontingent besteht aus 75 unbewaffneten Militärbeobachtern und Stabspersonal. Die Einsatzkosten für die auf zunächst sechs Monate geplante Mission belaufen sich auf 1,3 Millionen Euro. Ziel war es, die Umsetzung des Friedensabkommens zu überwachen.

Erstmals in der Geschichte Afrikas griff ab Ende Mai 2005 die NATO ein, nachdem die Afrikanische Union um logistische Unterstützung der Friedenstruppe in der sudanesischen Krisenregion Darfur gebeten hatte. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer stellte aber klar, dass die Allianz keine Truppen in das Gebiet schicken werden. Vielmehr gehe es vorläufig um Planungskapazitäten und Logistik.

Am 13. Dezember 2005 forderte UN-Generalsekretär Kofi Annan, nachdem er einen Bericht zur Lage von Luis Moreno-Ocampo, dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, erhalten hatte, die Anklage der Verantwortlichen. Bereits im April hatte Moreno-Ocampo Kofi Annan eine Liste mit den Namen von 51 Verdächtigen übergeben.

Vom 17. bis 18. Dezember nahmen Rebellen die Grenzstadt Adré im Osten Tschads ein. Nach Angaben des Außenministers von Tschad führten am 18. Dezember tschadische Soldaten einen Gegenangriff aus, bei dem die Angreifer zurückgeschlagen und bis in den Sudan verfolgt wurden. Auf dem Gebiet des Sudan wurden dabei auch Stützpunkte der Angreifer zerstört. 300 Menschen sollen auf Seiten der Rebellen getötet worden sein. Bei den Rebellen handelt es sich um im September 2005 desertierte tschadische Soldaten, die laut tschadischen Angaben von der Regierung in Khartum unterstützt werden, um gegen die SLA vorzugehen. Dies wurde vom Sudan dementiert. Die Rebellen sprachen dagegen von nur 9 Toten auf ihrer Seite.

Am 23. Dezember stellte der Tschad fest, dass das Land sich im Kriegszustand mit dem Sudan befinde. Zu dieser Einschätzung käme man aufgrund der wiederholten Überfälle auf das Grenzgebiet, die vom Sudan unterstützt würden. Diese Feststellung sei aber keine Kriegserklärung an den Sudan. Dazu sei der Botschafter des Sudan in das tschadische Außenministerium in N’Djamena bestellt worden, wo ihm eine Liste der „Aggressionen des Sudan gegen den Tschad“ übergeben wurde.

Anfang des Jahres weiteten sich die Übergriffe auf Dörfer schwarzafrikanischer Ethnien im Tschad aus. Die Lage für die Menschen in den Flüchtlingslagern entlang der Grenze hatte sich damit verschlechtert. Human Rights Watch wies darauf hin, dass durch weitere Flüchtlinge die Nahrungsmittelreserven im Grenzgebiet knapp würden.

Die sudanesische Regierung hat die Vorwürfe der Unterstützung der Milizen am 6. Februar 2006 zurückgewiesen. Der sudanesische Staatsminister für Außenpolitik, Samani al-Wasiyla verwies darauf, dass tschadische Rebellen entwaffnet würden, wenn diese angetroffen werden, und beschuldigte Human Rights Watch, sich nur auf Aussagen aus dritter und vierter Hand zu stützen.

Nach Angaben von Human Rights Watch begann der Sudan am 24. April 2006 mit einer neuen militärischen Offensive in Süd-Darfur. Nach nicht genannten Quellen in der sudanesischen Regierung habe der Sudan die AU-Friedenstruppen informiert, dass man die Straße von Nyala nach Buram säubern wolle.

Als Folge blieben die Vetomächte Russland und China einer Abstimmung im UN-Sicherheitsrat am 25. April 2006 fern, in der eine Resolution verabschiedet wurde, die Sanktionen gegen vier am Darfur-Konflikt beteiligte Personen verhängte. Dabei handelte es sich um zwei Rebellenführer, einen Anführer der Dschandschawid und einen ehemaligen Luftwaffen-Offizier. Die Sanktionen sehen außerdem ein Reiseverbot sowie das Einfrieren aller persönlichen Konten im Ausland vor.

Am 5. Mai 2006 unterzeichneten die sudanesische Regierung und die SLA/M von Minni Arcua Minnawi ein Friedensabkommen in Abuja. Alle anderen Rebellengruppen lehnten das Abkommen ab, da sie ihre Hauptforderung der sofortigen Schaffung einer Region Darfur anstelle der drei Bundesstaaten und die Einrichtung eines zweiten Vizepräsidenten für Darfur nicht erfüllt sahen.

Das Abkommen beinhaltet folgende Punkte:

Das Abkommen wurde nach zweijährigen Verhandlungen der Afrikanischen Union unter Chefunterhändler Salim Ahmed Salim und der Unterstützung seit dem 1. Mai durch den Vize-Außenminister der USA Robert Zoellick erzielt. Am 27. Juni 2006 gaben Mitglieder von Minnawis SLA/M bekannt, das Abkommen nicht befolgen zu wollen und distanzierten sich von ihrem Anführer. Am 30. Juni 2006 gründeten als Folge des Abuja-Abkommens verschiedene Rebellengruppen auf Initiative der JEM vorübergehend eine lose Allianz unter dem Namen National Redemption Front (NRF, „Nationale Erlösungsfront“). Es war ein weiterer Machtverlust für Minnawi. Die SLA-Fraktion um Abdelwahid al-Nur trat dieser Allianz nicht bei.[ Das Abkommen wurde nicht umgesetzt.

Nach der AU-Konferenz in Banjil Gambia hatte der Präsident des Sudan, Umar al-Baschir, am 3. Juli 2006 vorgeschlagen, die AMIS-Friedensmission der AU im Darfur für die folgenden sechs Monate zu finanzieren. Damit solle ein Einsatz von UN-Soldaten in Darfur verhindert werden, der vom Sudan abgelehnt wird. Baschir äußerte die Befürchtung, westliche Soldaten könnten terroristische Aktivitäten im Sudan provozieren.

Al-Baschir stammt von einer alten Familie im islamisch dominierten Norden ab. 1960 trat er in die Armee ein und absolvierte Militärakademien in Ägypten, Malaysia, Pakistan und 1988 auch in den USA. Der überzeugte arabische Nationalist machte in der Armee schnell Karriere bis zum Generalleutnant. Er verfügt zudem über militärische Erfahrungen als Fallschirmjäger im Jom-Kippur-Krieg 1973 gegen Israel auf ägyptischer Seite. Nach seiner Rückkehr aus Ägypten war er im Kampf der Regierungstruppen gegen die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) im Süden des Landes eingesetzt.

Im Sudan war er seit den 1980er Jahren Verfechter einer islamisch-fundamentalistischen Haltung und stärkte damit den Norden gegen die christlich-animistisch geprägten südlichen Landesteile. Al-Baschir förderte in seinem Herrschaftsbereich die Anwendung der Scharia tatkräftig. Wenn er den Eindruck hatte, dass einzelne Islamisten im eigenen Lager seine Macht gefährdeten, ging er auch gegen diese Glaubensfreunde vor.

Am 30. Juni 1989 übernahm al-Baschir mit einer Gruppe Offiziere die Macht im Sudan nach einem unblutigen Militärputsch, welcher vom Iran unterstützt wurde Er gründete den Revolutionären Kommandorat zur Errettung der Nation (RCC), ernannte sich zum Oberkommandierenden der Streitkräfte und zum Staatsoberhaupt. Mit seinem Revolutionären Kommandorat errichtete er ein eisernes islamisches Regime und führte gegen den Süden des Landes einen erbitterten Feldzug. Der christlich und ethnoreligiös geprägte Süden bestehend aus drei Südprovinzen fühlte sich bereits in der Kolonialzeit vernachlässigt und seit der Unabhängigkeit des Landes am 1. Januar 1956 vom Norden unterdrückt. Der Südsudan verlangte eine weitreichende Autonomie, die auch al-Baschir nicht zusicherte. Umar al-Baschir regierte das Land als Alleinherrscher mit seiner Nationalen Kongresspartei.

Nach der Wahl 1986 übernahm eine Koalitionsregierung unter Führung von Sadiq al-Mahdi die Macht. An dieser Koalition war die islamistische Partei Nationale Islamische Front (NIF) von Hasan at-Turabi mit 20 Prozent beteiligt. 1989 übernahm al-Baschir mit Unterstützung von Turabi in einem unblutigen Staatsstreich die Macht. Die neue Regierung wurden schnell von Ägypten und anderen benachbarten arabischen und afrikanischen Staaten anerkannt. Al-Baschir regierte anfangs mit einem Revolutionary Command Council (RCC). Diese Gruppe wurde 1993 aufgelöst und al-Baschir formell als Präsident ernannt. Bei den Wahlen im März 1996 wurde at-Turabi Sprecher der Nationalversammlung, seine Verbündeten erhielten die meisten Ministerien. Im Anschluss kam es zum Bruch zwischen den beiden Politikern. Die NIF spaltete sich in die National Congress Party (NCP) von al-Baschir und die Popular Congress Party (PCP) von at-Turabi. Dieser betrieb nun offensiv eine Politik gegen al-Baschir und wurde daraufhin nach Verhängung des Notstands 1999 aus der Regierung entlassen.

Die Nationale Kongresspartei war und ist an den regionalen Bürgerkriegen im Land beteiligt: dem Sezessionskrieg im Südsudan, dem Konflikt im Ostsudan und dem andauernden Darfur-Konflikt. Menschenrechtsverletzungen in den betroffenen Gebieten gingen oft von der NCP aus. Die 1983 mit den Septembergesetzen eingeführte islamische Gesetzgebung wurden 1991 von der NCP verschärft. Die Wahlen vom 13. und 22. Dezember 2000 gewann die NPC erneut und erhielt die absolute Mehrheit der Sitze.

Seit 2005 regiert die NCP das Land gemeinsam mit der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) aus dem Südsudan in der Regierung der Nationalen Einheit. Nach der Friedensregelung vom Jahr 2005 – dem Nord-Süd-Vertrag (Comprehensive Peace Agreement, CPA) – stellt der Nationale Volkskongress 52 Prozent der Sitze im nationalen Parlament. Im südsudanesischen Regionalparlament stehen der Partei etwa 15 Prozent

Ab 1993 wurde al-Baschir auch formell Staatspräsident und in dieser Funktion bei Wahlen 1996 und 2000 im Amt bestätigt. 1999 unterband al-Baschir eine von Hasan at-Turabi als Gesetz in die Nationalversammlung eingebrachte Verfassungsänderung, welche seine Macht beschnitten hätte, durch Auflösung des Parlaments. Die USA setzten den Sudan in den 1990er Jahren auf die Liste der Schurkenstaaten. Osama bin Laden konnte sich unter al-Baschir problemlos bis 1996 im Lande aufhalten. Nach den Attentaten am 7. August 1998 auf die US-Botschaften in Nairobi/Kenia und Daressalam/Tansania führten die Vereinigten Staaten Militäraktionen auch gegen Khartum durch, weil im Sudan Unterstützer der Terroristen vermutet wurden. Der Raketenangriff zerstörte die Asch-Schifa-Arzneimittelfabrik in al-Chartum Bahri. Dies führte zum Bruch al-Baschirs mit der westlichen Weltmacht. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 beteiligte sich al-Bashir jedoch an den von den USA initiierten Anti-Terror-Maßnahmen.

Seit 2003 geht al-Baschir gegen separatistische Bewegungen der sudanesischen Provinz Darfur vor, wo sich mehrere Rebellengruppen im Darfur-Konflikt gegen das autoritäre Regime in Khartum auflehnen.

2004 beendete al-Baschirs Regime den Krieg gegen die Südprovinzen des Landes. Mit dem im Januar 2005 geschlossenen Friedensvertrag wurde eine gemeinsame nordsudanesisch-südsudanesische Übergangsregierung gebildet. Über die Teilung der Einnahmen der Ölquellen wurde nicht endgültig entschieden.

Im Februar 2011 gab al-Baschir bekannt, bei der nächsten Präsidentschaftswahl nicht mehr zu kandidieren, nahm jedoch seine Aussage zurück und stellte sich im April 2015 den Präsidentschaftswahlen, die er am 27. April mit 94 Prozent der Stimmen gewann. Offiziell gingen 46,4 Prozent der Bürger zur Wahl, während Wahlbeobachter der Afrikanischen Union lediglich 30 bis 35 Prozent Wahlbeteiligung schätzten.

Am 14. Juli 2008 kündigte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag, Luis Moreno Ocampo, gegen al-Baschir Haftbefehl wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im anhaltenden Darfur-Konflikt an. Dies war der erste Fall, bei dem der Chefankläger des IStGH einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef beantragte. Die Vorverfahrenskammer des IStGH erließ das beantragte Rechtsmittel am 4. März 2009. Die Anklage wegen Völkermordes wurde durch Mehrheitsentscheid (bei einem Sondervotum der lettischen Richterin Anita Ušacka) nicht eingeschlossen, da für diesen keine hinreichenden Beweise vorgelegt worden seien; eine spätere Erweiterung des Haftbefehls um diesen Vorwurf behielt sich das Gericht jedoch ausdrücklich vor. Bereits ein Jahr später, am 12. Juli 2010, stellte die Vorverfahrenskammer des IStGH einen zusätzlichen Haftbefehl wegen Völkermords aus. Al-Baschir wird angelastet, er habe die Absicht gehabt, insbesondere die Ethnien der Fur, Masalit und Zaghawa zu vernichten, indem er sie getötet, verwundet oder lebensbedrohlichen Bedingungen ausgesetzt habe.

Die Kritiker des Haftbefehls (zum Beispiel die Volksrepublik China, Russland, die Arabische Liga, Afrikanische Union) bezeichneten die Anklagen des IStGH als Hindernis für Friedensverhandlungen in Darfur. Im Juli 2009 verabschiedete die Afrikanische Union eine Resolution, den Haftbefehl gegen al-Bashir zu missachten. Der Kongress der Afrikanischen Union, der im Jahr 2012 in Malawi stattfinden sollte, musste jedoch nach Äthiopien verlegt werden, nachdem sich Malawis Präsident Joyce Banda weigerte, al-Bashir bei sich zu empfangen. Im Jahr 2013 besuchte al-Bashir ungehindert die Volksrepublik China, den Iran, Äthiopien und Nigeria. Aus Nigeria musste er allerdings vorzeitig abreisen, nachdem dortige Menschenrechtsaktivisten vor Gericht gegangen waren, um seine Verhaftung zu erwirken.

Am 12. Dezember 2014 teilte die Chefanklägerin Fatou Bensouda dem UN-Sicherheitsrat mit, dass sie ihre Ermittlungen mangels Aussicht auf Erfolg einstellen müsse. Denn die afrikanischen Staaten, die Al-Baschir nach der Ausstellung des internationalen Haftbefehls bereist hatte, waren nicht bereit, diesen zu vollstrecken.

Am 14. Juni 2015 entschied der südafrikanische North Gauteng High Court in Pretoria, dass al-Baschir, der sich zu diesem Zeitpunkt wegen eines Gipfeltreffens der Afrikanischen Union in Südafrika aufhielt, das Land nicht verlassen dürfe, bis über das Festnahme-Ersuchen des IStGH entschieden worden sei. Südafrika ist Mitgliedsstaat des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Am 15. Juni 2015 reiste al-Baschir jedoch, unter Missachtung der Anordnung des südafrikanischen Gerichts, aus Südafrika in den Sudan aus. In Südafrika weitete sich die ungehinderte Ausreise von al-Baschir zu einer Verfassungskrise aus. Er war mit Polizeieskorte, also offensichtlich mit Wissen der südafrikanischen Regierung, zum Flughafen gebracht worden. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon erklärte, dass Länder, die die Statuten des Internationalen Gerichtshofs anerkannt hätten, dessen Haftbefehle auch ausführen müssten. Im heimatlichen Khartum wurde al-Baschir von jubelnden Anhängern begrüßt. Offizielle sudanesische Regierungssprecher verspotteten die missglückte Aktion gegen ihn als „lahm und bedeutungslos“.

Am 3. Juli 2006 erklärten die NRF den im Jahr 2004 geschlossen Waffenstillstandsvertrag für beendet, nachdem Truppen der JEM und Splittergruppen am gleichen Tag die Stadt Hamrat al-Scheikh im Bundesstaat Nord-Kurdufan angegriffen hatten. Diese Stadt liegt rund 200 km westlich von Khartum auf den Weg nach al-Ubayyid und rund 400 km von der Region Darfur entfernt. Als Reaktion auf die Aufkündigung des Waffenstillstandsvertrages durch die NRF kam es am 28. Juli 2006 zu Angriffen auf die NRF um al-Faschir in Nord-Darfur durch die sudanesische Armee und Dschanschawid-Milizen.

Durch einen Erlass des Präsidenten al-Baschir wurde Minawi zum Haupt-Assistenten des Präsidenten ernannt. Damit erfüllte al-Baschir die Vereinbarung des Friedensabkommen von Abuja. Am 7. August 2006 wurde Minawi im neuen Amt vereidigt und ist damit formal Leiter der noch nicht geschaffenen halb-autonomen Regierung der Region Darfur.

Das sudanesische Militär startete am 28. August 2006 eine neue Offensive in der Gegend um al-Faschir in Nord-Darfur gegen die Rebellen der NRF.

Der UN-Sicherheitsrat hat am 31. August die Resolution 1706 verabschiedet, in der eine Entsendung von UN-Truppen nach Darfur beschlossen wurde. Darin wird die Zustimmung des Sudan als Voraussetzung für die Entsendung von rund 20.000 UN-Soldaten und Polizei-Einheiten genannt, die die AU-Truppen in Darfur ersetzen sollen, da deren Mandat Ende September 2006 endet. Die Resolution wurde auf Betreiben der Vetomächte USA und Großbritannien zur Abstimmung gebracht, wobei die Staaten China, Russland und Katar an der Abstimmung nicht teilnahmen. Der Sudan hatte bereits im Vorfeld der Abstimmung deutlich gemacht, dass es einer Entsendung von UN-Truppen nicht zustimmen wird und wiederholte seine Ablehnung nach Verabschiedung der Resolution erneut.

Nach der Ausweitung der Offensive vom 28. August 2006 äußerte UN-Generalsekretär Kofi Annan am 11. September 2006, dass die Militäraktionen und die Truppenverstärkung „illegal“ seien, da sie gegen das Friedensabkommen von Abuja zwischen der Regierung und der Minawi-SLA verstießen und rief zum sofortigen Ende dieser Aktionen und der Zulassung von UN-Truppen auf. Der UN-Gesandte des Sudan Yasir Abdelsalam erklärte in dem Zusammenhang, dass sich die Regierung dem Friedensabkommen verpflichtet sehe und zusätzliche 6000 Truppen bis Ende September 2006 und weitere 10.000 bis Ende des Jahres 2006 nach Darfur verlegt werden sollen, um das Friedensabkommen umzusetzen. Dabei erhielt er Unterstützung von den Staaten der Arabischen Liga und der Organisation der Islamischen Konferenz, die einer Entsendung von UN-Truppen nach Darfur ablehnend gegenüberstehen.

Die Afrikanische Union beschloss am 25. September 2006 die Verlängerung der AMIS-Mission um drei Monate bis zum 31. Dezember 2006 und eine Aufstockung der Truppen um 4000 Mann auf 11.000. Die zusätzlichen Truppen sollen dabei hauptsächlich aus den Ländern Nigeria, Ruanda, Südafrika und Senegal kommen, die zur Zeit bereits einen Großteil der AU-Truppen stellen. Einen Tag zuvor erklärte der Präsident des Sudan erneut, dass die sudanesische Regierung Truppen, reguläre Soldaten und Polizisten, bereitstellen werde, um gemeinsam mit den AU-Truppen Zivilisten und Flüchtlinge zu schützen.

Mit einem Erlass des sudanesischen Präsidenten wurde am 27. September 2006 die Einführung einer Übergangsregierung für die Region Darfur beschlossen. Die Leitung sollte Minni Minawi übernehmen. Die Übergangsregierung sollte durch Minawi ernannt werden und weiterhin die Gouverneure der drei Bundesstaaten der Region Darfur umfassen. Weitere Erlasse des sudanesischen Präsidenten ordnen die Einrichtung von Komitees zur Entschädigung von Kriegs-Flüchtlingen, zur Klärung der Grenzziehung im Norden von Darfur und zur Rehabilitation und Wiederansiedlung in Darfur an. Diese Maßnahmen stehen in Übereinstimmung mit dem Friedensvertrag vom Mai 2006.

Der UN-Vertreter im Sudan, Jan Pronk, sagte am 28. September 2006, dass eine baldige UN-Mission in Darfur nicht stattfinden werde, und rief zur Unterstützung – besonders in finanzieller Hinsicht – und zur uneingeschränkten Verlängerung der AU-Mission auf. Am 29. September 2006 stellten die EU 30 Millionen Euro und die USA 20 Millionen Dollar für die AU-Mission zur Verfügung.

Am 10. Januar 2007 einigten sich die sudanesische Regierung und die Rebellengruppen in Darfur auf einen Waffenstillstand von 60 Tagen und auf die Teilnahme an einer Friedenskonferenz, die vor dem 15. März 2007 stattfinden und von der Afrikanischen Union und den Vereinten Nationen organisiert werden sollte. Der Beginn des Waffenstillstandes wurde nicht offiziell vereinbart und sollte von der Afrikanischen Union und den Vereinten Nationen festgelegt werden. Die JEM wies am 12. Januar 2007 die Meldung einer Übereinkunft mit der Regierung zu einem Waffenstillstand als unwahr zurück.

Am 4. Februar 2007 setzte Präsident al-Baschir Führer und Mitglieder der SLA/M in Ämter ein, die nach dem Friedensabkommen den Rebellen zugestanden wurden. So erhielt Abdelrahman Musa Abakar das Amt des Staatsministers im Ministerium des Ministerrates und Ibrahim Musa Madibo das Amt des Vorsitzenden der Darfur Kommission für Rehabilitierung und Umsiedlung. Daneben wurden 12 Personen der SLA/M als Abgeordnete der Nationalversammlung ernannt. Die Ernennung erfolgte, nachdem der chinesische Präsident Hu Jintao bei einem Staatsbesuch im Sudan deutlich gemacht hatte, dass die Darfur-Frage vom Sudan selbst gelöst werden müsse.

Nach monatelangem Widerstand stimmte die Regierung des Sudan im Juni einer gemischten Friedenstruppe von Afrikanischer Union (AU) und Vereinten Nationen für Darfur zu. Am 31. Juli 2007 sprach sich der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1769 einstimmig für diese Friedenstruppe aus. Im Rahmen der Mission Hybrider Einsatz der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur (UNAMID) – der weltweit größten Friedensmission – wurden ab Oktober die ersten 9000 Militärangehörigen in Darfur stationiert und die bislang etwa 7000 Friedenssoldaten der African Union Mission in Sudan verstärkt. Am 31. Dezember 2007 wurde die operative Leitung von der AMIS auf die UNAMID übergeben. Insgesamt will die UNAMID 20.000 Militärangehörige und 6000 Polizisten stationieren.

Anfang August einigten sich acht darfurische Rebellengruppen in Arusha auf eine gemeinsame Position für geplante Friedensverhandlungen mit der sudanesischen Regierung. Einige Gruppierungen, darunter eine Fraktion der SLA, blieben jedoch fern. Am 30. September wurden beim bislang schwersten Angriff auf eine AMIS-Basis in Haskanita 10 AU-Soldaten getötet. Als Angreifer wurden Rebellenfraktionen vermutet.

Trotz des Einsatzes der UNAMID-Friedenstruppen wurden die Kämpfe in Darfur fortgesetzt, die UNO sprach von einem „offenen Krieg mit Offensiven und Gegenoffensiven der Bürgerkriegsparteien.“ Verschärft wurde die Situation durch den Ausbruch neuer Kämpfe in Tschad, der zunehmend unter Flüchtlingsströmen aus dem Sudan leidet.

Am 8. Juli 2008 starben sieben Blauhelme der UNAMID und 22 weitere wurden zum Teil schwer verletzt, als eine gemeinsame Patrouille aus 17 bewaffneten UN-Soldaten und unbewaffneten Beobachtern zwischen Gusa Jamat und Wadah in Nord-Darfur von etwa 200 Angreifern auf Pferden und auf Fahrzeugen, die mit schweren Maschinengewehren ausgerüstet waren, beschossen und in ein etwa zweistündiges Feuergefecht gezwungen wurde. Der Anschlag forderte die schwersten Opfer unter den UNAMID-Kräften seit dem Beginn der Mission. Angesichts der Lage in Darfur gerät China zunehmend unter Druck, als Vermittler aufzutreten. Friedensaktivisten und Politiker forderten das Land auf, die Unterstützung der sudanesischen Regierung einzustellen. Gleichzeitig forderte UN-Generalsekretär Ban dringend weitere Truppen zur Verstärkung der UNAMID-Mission.

Im Februar 2009 waren weniger als die Hälfte der geplanten 26.000 UNAMID-Friedenssoldaten vor Ort. Am 4. März wurde gegen Präsident al-Baschir im Zusammenhang mit der Darfur-Krise Haftbefehl beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erlassen. Von der Afrikanischen Union (AU) wurde der Haftbefehl nahezu einhellig abgelehnt. Baschir ist seither mehrfach in afrikanische Länder gereist, um damit zu zeigen, dass er nicht mit Gefangennahme rechnen müsse. Lediglich der Tschad und Botswana erklärten Anfang Juli 2009, dass sie sich nicht an den AU-Beschluss halten und Baschir auf ihrem Territorium verhaften würden.

Seit Mai beschuldigt Khartum erneut die Regierung Tschads, mit ihrer Luftwaffe mehrfach Ziele auf sudanesischem Gebiet angegriffen zu haben und außerdem mit Bodentruppen die Darfur-Rebellen zu unterstützen. Die Regierung des Tschad gab an, die Angriffe richteten sich gegen Rebellenstellungen im eigenen Land. Geplante Friedensverhandlungen scheitern nicht nur wegen der neuerlichen Angriffe, sondern auch daran, dass die Rebellen weiterhin in über 20 Gruppen zersplittert sind.

Ende Juli beschloss der UN-Sicherheitsrat, das Mandat für die UNAMID-Friedenstruppe um ein Jahr zu verlängern.

Das 15-köpfige Gremium des UN-Sicherheitsrats verabschiedete Anfang Oktober eine Resolution, nach der die Überwachung des seit 2005 gültigen Waffenembargos für Darfur um ein Jahr verlängert wird. UNAMID hatte im Oktober 19.000 Soldaten und Polizeikräfte im Einsatzgebiet. Zugleich wurde in einem Bericht festgehalten, dass auf beiden Seiten das Waffenembargo unterlaufen wird. Chinesische Waffenlieferungen an die sudanesische Regierung wurden nach Darfur weitergeleitet, auf der anderen Seite erhielten die Darfurrebellen von der Regierung Tschads aus arabischen Ländern stammende Technicals.

Am 23. Februar wurde nach Verhandlungen zwischen sudanesischen Regierungsvertretern und einer Delegation der JEM in Doha ein Zwölf-Punkte-Rahmenabkommen unterzeichnet, das unter anderem einen Waffenstillstand und eine zukünftige Beteiligung der JEM an der Regierung in Darfur vorsieht. Ein endgültiges Friedensabkommen zwischen den beiden Parteien steht noch aus. Der SLA-Führer Abdelwahid al-Nur erklärte in Paris seine Ablehnung und nannte als Bedingung für Verhandlungen die vorherige Entwaffnung der Regierungsmilizen. Abdelwahid al-Nur hatte 2006 das Abkommen von Abuja ebenfalls, damals noch zusammen mit der JEM abgelehnt. Die anderen kleineren Rebellenorganisationen waren auch diesmal bei den Gesprächen nicht beteiligt.

Das Mitte Januar durchgeführte Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan, bei dem sich die große Mehrheit der südsudanesischen Wähler für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatte, und die am 9. Juli erklärte formelle Unabhängigkeit des Südens übten bisher keinen beruhigenden Effekt auf die Gefechte in Darfur aus, über die weiterhin regelmäßig berichtet wird. Der südsudanesische Vizepräsident Riek Machar äußerte am 1. Februar die Befürchtung, dass der andauernde Darfur-Konflikt sich nach Süden ausweiten und die Verhandlungen mit der al-Baschir-Regierung um den Grenzverlauf in der Erdölregion Abyei belasten könnte.

Im November fanden in Washington erneute Gespräche zwischen den Rebellenorganisationen JEM und Minni Minnawis SLM sowie der sudanesischen Regierung statt mit der erklärten Absicht, das Abkommen von Doha aus dem Jahr 2006 umzusetzen. Die US-Regierung bekundete ihre Unterstützung hierzu.

Am 24. Dezember wurde bei einem Luftangriff Khalil Ibrahim, Führer der JEM, getötet. Waffentechnische Unterstützung für den nächtlichen Überfall kam aus Libyen und Katar.[

Eine im September 2012 von der JEM abgespaltene Splittergruppe führte im Januar 2013 in Doha direkte Friedensgespräche mit der sudanesischen Regierung, die ursprünglich für Dezember 2012 angesetzt waren. Unabhängig davon wollen einige Aufstandsgruppierungen eine organisatorische Plattform bilden, um gemeinsam die Regierung zu stürzen.

In der ersten Jahreshälfte kam es mehrfach zu Auseinandersetzungen um die Goldminen von Dschebel Amer in Norddarfur, in denen ein Drittel des sudanesischen Goldes gefördert wird. Arabische Abbala-Stammesangehörige, die von der sudanesischen Regierung unterstützt werden, versuchten, den dort ansässigen Angehörigen des Beni-Hussein-Stammes die Kontrolle des Gebiets zu entziehen. Nach UN-Angaben vom Mai mussten 150.000 Einwohner des Gebiets vor den Abbala-Angreifern fliehen. Demnach agieren die Milizen der Abbala als Hilfskräfte des Staates.

Im August eskalierte ein längerer Streit um Weideland für Rinder zwischen den beiden arabischen Stämmen Rizeigat und Maalia nahe der Stadt ad-Du'ain in Ostdarfur. Bei den Kämpfen starben rund 100 Menschen.

Die Europäische Union finanzierte von 2004 bis 2006 mit 200 Millionen US-Dollar den größten Teil der Kosten für die AMIS-Beobachtermission. Für die AMIS wurden bis Dezember 2005 32 Lager zur Unterbringung von insgesamt 9300 Mitarbeitern gebaut. Sie konnte jedoch keinen wesentlichen Einfluss auf das Kampfgeschehen ausüben. Das Entscheidungsmonopol für den Einsatz lag bei der Afrikanischen Union, die sich Kritik an der sudanesischen Regierung enthielt, von der die Mission bei der praktischen Durchführung abhängig war. Im Rahmen der AMIS begann die Versorgung mit Hilfsgütern, die Khartum gänzlich ausländischen überließ. Diese Arbeitsteilung war für die Regierung bereits im südsudanesischen Bürgerkrieg von Vorteil, wo die sudanesische Regierung von der seit 1989 zur Bekämpfung der Hungersnot durchgeführten Operation Lifeline Sudan (OLS) profitiert hatte. Im Zeichen der Friedensgespräche zwischen dem Nord- und dem Südsudan 2003 stellte die Europäische Union 400 Millionen Euro für den Wiederaufbau im Süden und denselben Betrag für den Norden zur Verfügung.

Dieselben Hilfsorganisationen, die im Südsudan tätig waren, haben ihr Einsatzgebiet nach Darfur verlagert oder erweitert. Im April 2004 war die ausländische Hilfe in Darfur noch gering, es waren nur 222 NGO-Mitarbeiter vor Ort, wovon ein Teil mit Entwicklungshilfe und nicht mit Katastrophenhilfe beschäftigt war. Bis Juli 2004 gab die EU 88 Millionen Euro für Flüchtlingshilfe in Darfur aus. Während der schlimmsten Kämpfe und der massenweisen Zerstörung von Dörfern im November 2004 beklagte EU-Kommissar Poul Nielson, dass die Sicherheit für Nahrungsmitteltransporte nicht gewährleistet sei. Im Dezember zog sich die britische Organisation Save the Children, die 20 Jahre lang in Darfur gearbeitet hatte, nach dem Tod von vier ihrer Mitarbeiter zurück. Im Oktober 2005 waren fast 14.000 humanitäre Helfer von der UN und von 82 NGOs im Einsatz.

Der größte Geldgeber sind laut eigener Aussage die Vereinigten Staaten, die von Oktober 2003 bis September 2006 für humanitäre Hilfe 681 Millionen US-Dollar über das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) und die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung zur Verfügung stellten. Von den Geldern, die zumeist in Flüchtlingslager flossen, waren etwa zwei Drittel für Nahrungsmittellieferungen vorgesehen, der Rest diente unter anderem zum Bau von Unterkünften und zur Versorgung mit Trinkwasser. Der Anteil von rund 23 Millionen US-Dollar an diesem Betrag für das Rote Kreuz war für Menschen, die in ihrer Heimat geblieben waren gedacht. Der Zugang zu Hilfsbedürftigen war durch Kriegshandlungen, Entführungen durch Banditen oder Reisebeschränkungen der Regierung häufig nicht oder nur eingeschränkt möglich. So musste im Januar 2006 das UN-Hilfspersonal für zwei Monate aus West-Darfur abgezogen werden und im Juli 2006 waren in Nord-Darfur 460.000 Menschen von Hilfslieferungen abgeschnitten. Kontrollposten behindern häufig den Zugang zu Gebieten, die von Rebellen kontrolliert werden.

Im April 2006 erklärten Vertreter des WFP, sie hätten nur ein Drittel der zugesagten 746 Millionen US-Dollar erhalten. Die Essensrationen mussten infolge verspäteter und unzureichender Finanzierung von 8800 kJ pro Person und Tag auf 4400 kJ gekürzt werden. UNICEF beklagte eine zunehmende Unterernährungsrate der Bevölkerung.

Mit dem Jahresende 2007 wurden die grünen Helme der AMIS durch die blauen Helme der 9000 UNAMID-Soldaten ersetzt. Dennoch häuften sich Überfälle auf Hilfskonvois; im März 2008 vermisste das WFP 37 LKWs, worauf die Hilfslieferungen für die geschätzten 2 Millionen Bedürftigen um 50 Prozent reduziert wurden. Im September 2008 war laut Human Rights Watch der Zugang zu 250.000 Notleidenden unmöglich. Der sudanesischen Regierung wurde weiterhin vorgeworfen, durch bürokratische Maßnahmen die Hilfsleistungen zu behindern. In den ersten neun Monaten des Jahres 2008 wurden 170 humanitäre Helfer entführt, 11 wurden getötet. Bis Oktober wurden 225 Fahrzeuge von Hilfsorganisationen gestohlen, im Jahr 2007 waren es 137. Im August 2008 waren 415.000 Menschen zeitweilig ohne Unterstützung, als aufgrund wiederholter Angriffe zwei größere NGOs ihre Arbeit einstellen mussten. Die bezüglich der humanitären Hilfe getroffenen Absprachen werden weder von der Regierung, noch von den Rebellen eingehalten. Der Angriff einer schwer bewaffneten Miliz auf eine UNAMID-Patrouille am 8. Juli 2008, bei dem sieben Friedenssoldaten getötet wurden, war nur das größte Einzelereignis. Insgesamt kamen 2008 mindestens 34 UN-Mitarbeiter ums Leben.

Ein weiterer Tiefschlag für die betroffene Bevölkerung ist die Ausweisung von 13 Hilfsorganisationen aus dem Sudan am 4. März 2009. Sie hatten den Großteil der 2 Millionen auf Nahrungsmittel angewiesenen Menschen versorgt. Es war die Reaktion von Präsident al-Baschir auf die Anklageerhebung des Internationalen Strafgerichtshofs gegen ihn. JEM-Führer Khalil Ibrahim nahm diese Maßnahme zum Anlass, um vom UN-Sicherheitsrat die Einrichtung eines „Öl-für-Lebensmittel-Programms“ zu fordern, mit dem die Öleinnahmen der sudanesischen Regierung zwangsweise in Nahrungsmittelhilfe umgelenkt werden sollten. Die Hilfsleistungen an die betroffene Bevölkerung haben sich seither deutlich verringert, da die sudanesische Regierung nicht bereit oder in der Lage ist, die Nothilfe zu übernehmen. Sie wird zum Teil von den verbliebenen einheimischen Mitarbeitern der betreffenden Organisationen weitergeführt. Die Computer und Fahrzeuge der ausgewiesenen NGOs wurden beschlagnahmt und ihre Leiter in Khartum zur finanziellen Abwicklung ihrer Ausweisung festgehalten. Sie hatten angeblich durch ihre „selbstverschuldete“ Ausweisung gegen sudanesisches Kündigungsrecht verstoßen und wurden daher verpflichtet, jedem ihrer sudanesischen Mitarbeiter sechs Monatsgehälter zu bezahlen. Das entsprechende Gesetz für diese Abfindungszahlungen wurde eigens geschaffen. Die noch in einer Region, die keine klaren Frontlinien mehr kennt, tätigen westlichen Ausländer sind vermehrt der Gefahr von Entführungen mit Lösegeldforderungen ausgesetzt.

Die internationale Diskussion über Darfur wurde vor allem von zwei Themen beherrscht: Im Juli 2004 verabschiedete der Kongress der Vereinigten Staaten eine Resolution, nach welcher die Verbrechen der sudanesischen Regierung und der Dschandschawid in Darfur als Völkermord (Genozid) zu bezeichnen seien. Die US-amerikanische Save Darfur-Kampagne und andere Organisationen hatten zuvor mit Verweis auf den Völkermord in Ruanda die Verwendung dieses Begriffes gefordert. Eine als Völkermord erklärte Situation würde nach dem entsprechenden Gesetz von 1948 die Unterzeichnerländer zum Einschreiten zwingen, wobei aufgrund der rechtlichen Definition der Vorsatz und die Verantwortung der sudanesischen Regierung für das gegen ein ganzes Volk gerichtete Morden nachweisbar sein müsste. Wegen dieser Nachweisschwierigkeit wird der Begriff von den Vereinten Nationen, Amnesty International und Human Rights Watch nicht verwendet. Letztere greifen stattdessen auf die Termini „Ethnische Säuberungen“, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Kriegsverbrechen“ zurück.

Aus der Diskussion um den Begriff Völkermord entwickelte sich die Frage nach der strafrechtlichen Konsequenz. Mit der Resolution 1593 des UN-Sicherheitsrats wurde der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) autorisiert, die Situation in Darfur zu untersuchen. Aufgrund dieser Untersuchungen erließ der IStGH 2007 Haftbefehle gegen den sudanesischen Staatsminister für humanitäre Angelegenheiten Ahmad Harun und den Dschandschawid-Anführer Ali Kuschaib. Diese beiden Personen sollen für Verbrechen der Dschandschawid verantwortlich sein. Der Sudan erkennt die Zuständigkeit des IStGH nicht an und verweigert die Auslieferung der Gesuchten.

Am 14. Juli 2008 kündigte der Chefankläger des IStGH an, Haftbefehl wegen Völkermordes gegen den sudanesischen Präsidenten al-Baschir zu beantragen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, die Afrikanische Union, die Arabische Liga sowie die Regierung des Sudan selbst äußerten Bedenken. Dennoch erließ der Internationale Strafgerichtshof Anfang März 2009 den beantragten Haftbefehl. Dieser erging – abweichend vom Antrag des Chefanklägers – allein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, aber nicht wegen Völkermord. Ein neuer Haftbefehl gegen al-Baschir, den der IStGH am 12. Juli 2010 ausstellte, beinhaltet auch die Anklage wegen Völkermordes.

Der Südsudan war bis in die jüngste Zeit hinein zu keiner Zeit ein staatlich geeinter Raum oder auch nur ein religiös oder kulturell einheitliches Gebiet. Deutlich klarer als seine Behandlung als Einheit ist seine Definition in Abgrenzung von den umliegenden Großräumen, insbesondere vom Nordsudan, mit dem er 150 Jahre lang mehr oder weniger verbunden war. Der Südsudan ist demnach das Gebiet rechts und links des Nils, das in der Antike nicht von Kultur und Zivilisation des alten Ägypten beeinflusst war. Im frühen Mittelalter entsprach seine Nordgrenze etwa der Grenze des Einflussgebietes von Alwa, des südlichsten der christlichen Reiche Nordsudans/Nubiens und seit der frühen Neuzeit bildet der Südsudan die Grenze der von Norden her sich verbreitenden Islamisierung Nordost-Afrikas. Richtung Osten gibt es eine ähnliche Definition seiner Ausdehnung in Abgrenzung: in diesem Fall von den christlichen Reichen des Hochlandes von Äthiopien (wie etwa des Aksumitischen Reiches oder später des Kaiserreichs Abessinien). Die Südgrenze des Südsudan wiederum entspricht grob der Nordgrenze der Staatsideen der Königreiche der Afrikanischen Großen Seen. Nur Richtung Westen war in diesem Sinn bis zur Kolonialzeit die Grenze der Region Südsudan undefinierbar, erst mit der kolonialen Eroberung entstand hier eine Grenze zwischen dem britischen und dem französischen Kolonialreich.

Die nilotischen Völker der Dinka, Nuer und Schilluk sollen als erste der heute hier existierenden Bevölkerung im 10. Jahrhundert n. Chr. in den Südsudan eingewandert sein. Im 16. Jahrhundert folgten die Azande, die hier den lange Zeit mächtigsten Staat errichteten. Während der nördliche Sudan früh islamisiert wurde, blieb die Bevölkerung des Südsudan ganz überwiegend ihren traditionellen Religionen verhaftet.

Ab 1821 begann die Eroberung des Nordsudans durch das formal noch zum Osmanischen Reich gehörige Ägypten Muhammad Ali Paschas. Damit wurde ab 1840 die Jagd auf schwarze Sklaven im heutigen Südsudan intensiviert. Eine Vorstellung vom Ausmaß des Horrors, dass die mit Privatarmeen durchgeführte Sklavenjagd für die Bevölkerung des Südsudans bedeutete, vermittelt der Begriff, der bei den Dinka für diese Jahrzehnte üblich ist: die Zeit des „spoiling the world“, also etwa der „Zerstörung der Welt“. In dieser Phase wurden die Grundlagen für die Feindschaft der Menschen des Südens gegenüber dem Nordsudan gelegt.

Die eigentliche ägyptische Eroberung des Südsudans erfolgte erst in den 1870er Jahren, formal abgeschlossen mit der Errichtung der Provinz Äquatoria 1871, die bis zu den Afrikanischen Große Seen reichte. Zeitgleich geriet Ägypten ab 1875 allerdings aufgrund seines Staatsbankrotts unter den Einfluss europäischer Großmächte, insbesondere Großbritanniens. Europäer wurden in den besetzten Gebieten als Beamte und sogar Generalgouverneure eingesetzt mit dem Ziel, den Sklavenhandel im Süden zu unterbinden. Noch in den 1870er Jahren verheerten arabische Sklavenhändler durch Sklavenjagden insbesondere die Region Bahr al-Ghazal. 1877 schlossen das Vereinigte Königreich und Ägypten ein Abkommen über die allmähliche Abschaffung der Sklaverei, das 1878 einen Aufstand der Sklavenhändler auslöste. Der Aufstand wurde 1880 niedergeschlagen, eine tatsächliche Abschaffung des Sklavenhandels aber nicht erreicht.

In den 1880er und 1890er Jahren wurde der gesamte Türkisch-Ägyptische Sudan von der islamischen, antikolonialen Mahdi-Bewegung erfasst, die ihre Wurzeln und ihren Haupteinfluss naturgemäß im islamischen Norden hatte. Der Südsudan bildete den südlichsten Ausläufer des Herrschaftsgebiets der Mahdisten, das Kalifat von Omdurman jedoch, dass das gefestigte Staatsgebiet der Mahdisten umfasste, endete an der Nordgrenze des Südsudan, der damit weitgehend sich selbst überlassen blieb – abgesehen von den Aktionen der Sklavenjäger, da im Kalifat der Sklavenhandel wieder erlaubt war. Mit der Schlacht von Omdurman endete endgültig 1898 der Türkisch-Ägyptische Sudan als Kolonialmacht des Südsudan. An seine Stelle trat die britische Kolonialherrschaft.

Anglo-Ägyptischer Sudan nannte sich das ab 1899 bis zur Unabhängigkeit des Sudan 1956 bestehende Kondominium Großbritanniens und Ägyptens über den Sudan. Das Kondominium war formal eine gemeinsame Herrschaft Ägyptens und Großbritanniens über den Sudan, de facto war der britische Einfluss von Beginn an größer als der ägyptische und mit dem britischen Protektorat über Ägypten 1914 wurde der „anglo-ägyptische“ Herrschaftsbereich offensichtlich zur britischen Kolonialherrschaft.

Formal bildeten der Norden und der Süden dieses Gebietes eine Einheit. Tatsächlich verwalteten die Briten die drei südlichsten der 13 Provinzen des Kondominiums getrennt vom Rest des Landes. Diese drei Provinzen Bahr al-Ghazal, Upper Nile und Äquatoria entsprachen weitgehend dem heutigen Südsudan. Um den Sklavenhandel zu unterbinden, verfolgten die Briten die Politik der „restricted districts“, die das Reisen zwischen Nord und Süd behinderte und drängten den Einfluss arabischer Händler im Süden zurück. Zudem konzentrierten sie sich mit Anstrengungen zur Entwicklung („Entwicklung“ natürlich im wohlverstandenen britisch-kolonialem Interesse) ihrer Kolonie auf den Norden des Landes, während der Südsudan nach den Worten eines sudanesischen Diplomaten weitgehend den Status eines „Naturmuseums“ erhielt. Die Wurzeln des vollkommen unterschiedlichen Grades der Entwicklung der beiden Landesteile bei der Unabhängigkeit des Sudan 1957 sind hier zu finden. Die Trennung der Landesteile setzte auch der Islamisierung des Südens einen Riegel vor, obwohl die Kolonialregierung nicht die Ausbreitung des Christentums im Süden förderte. Sie hielt die islamischen Gesellschaften sogar im Sinne der indirect rule für leichter regierbar als die Stammesgesellschaften. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts strömten jedoch französische, italienische und amerikanische Missionare in den Südsudan, der allerdings bis in die Neuzeit überwiegend traditionellen Religionen verhaftet blieb. Und schließlich galten in den beiden Landesteilen unterschiedliche Amtssprachen: Arabisch im Norden, Englisch im Südsudan.

Unter diesen Voraussetzungen war es naheliegend, dass die ursprünglichen Pläne für die Dekolonialisierung des Sudan die Unabhängigkeit zweier Länder vorsah: des Nord- und des Südsudan, bzw. ein Anschluss des wenig entwickelten Südsudan an die benachbarte britische Kolonie Britisch-Ostafrika überlegt wurde. 1947 kam es jedoch auf der sogenannten Dschuba-Konferenz zu einer völligen Kehrtwendung, nach der der unabhängige Staat Sudan auch die drei südlichen Provinzen einschließen sollte. Gleichzeitig wurde die Aufhebung aller bisherigen Einschränkungen für den Verkehr zwischen Nord und Süd beschlossen und Arabisch auch im Süden als Amtssprache eingeführt. Eine Ursache auf der britischen Seite für den plötzlichen Schwenk weg von einem unabhängigen oder mit Uganda vereinigten Südsudan kann in den damaligen Rebellenaktivitäten im britischen Kenia und Uganda vermutet werden. Denkbar ist auch, dass die USA ihren Einfluss geltend machten, um die Sympathien der künftigen, vom Norden dominierten Regierung im Kalten Krieg zu gewinnen.

Die Protokolle der Konferenz von Dschuba machen das Überlegenheitsgefühl der Vertreter des Nordens gegenüber den wenigen Vertretern des Südens deutlich. So verglich etwa ein Teilnehmer der Konferenz die Völker des Nordens und Südens und setzte dabei diejenigen des Nordens mit „alten Soldaten“, diejenigen des Südens jedoch mit „Rekruten“ gleich. Andere verwiesen auf die nicht vorhandenen Erfahrungen des Südens mit irgendeiner Form von Selbstverwaltung und sprachen der Bevölkerung dort das Recht ab, Vertreter in die Nationalversammlung zu entsenden. An Verwaltung und Regierung des zukünftigen Staates Sudan waren Südsudanesen schließlich kaum beteiligt.

Im August 1955, also noch vor der Unabhängigkeit, kam es an den Standorten Torit, Juba, Yei und Maridi zu einer Meuterei der einheimischen Kolonialtruppen der Sudan Defence Force. Unmittelbare Ursachen der Meuterei waren ein Prozess gegen ein Mitglied der sudanesischen Nationalversammlung aus dem Süden und ein mutmaßlich gefälschtes Telegramm, in dem Verwaltungsangestellte aus dem Norden angewiesen wurden, Leute aus dem Südsudan zu unterdrücken. Die Meuterer töteten mehrere hundert Menschen aus dem Norden, darunter Regierungsbeamte, Offiziere und Händler, hatten aber militärisch keine Chance. Die Meuterei wurde unterdrückt und die geflohenen Meuterer begannen aus einer aussichtslosen Lage heraus mit bewaffnetem Widerstand gegen die Kolonialherren und nach der Unabhängigkeit des Sudan auch gegen die Truppen des Nordens. Die Meuterei wurde so zur Geburtsstunde des 1. Sezessionskrieges des Südsudan gegen den Norden.

Nach einem Militärputsch im Sudan ging die neue Regierung 1958/59 massiv gegen den Widerstand im Süden vor, ließ Dörfer niederbrennen und Verdächtige töten oder foltern. Bereits 1963 soll die Regierung des Nordens mit einer Politik des „Spalte und Herrsche ethnische Gegensätze innerhalb des Südsudan für sich ausgenutzt und etwa das Volk der Murle mit Waffen gegen seine traditionellen Feinde, die Dinka und Nuer ausgerüstet haben. Ab 1963 intensivierte sich der bis dahin nur sporadische militärische Widerstand der Südsudanesen, angeführt von einer Organisation, die sich nach einem giftigen Gebräu Anya-Nya, nannten.

Eine 1964 eingesetzte Zivilregierung versuchte eine Übereinkunft auf dem Verhandlungsweg, scheiterte aber damit. Die Demokratisierung des Landes ging am Süden vorbei: Aufgrund der Bürgerkriegssituation im Süden wurden dessen Bürger nicht an den Parlamentswahlen im Sudan 1965 beteiligt.

Ab 1971 suchte der seit einem weiteren Militärputsch 1969 regierende Dschafar Muhammad an-Numairi erneut eine Verhandlungslösung. Im Februar 1972 wurde in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba tatsächlich ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung des Gesamtstaates und den Rebellen des Südens unter Führung von Joseph Lagu unterzeichnet. Der erste Sezessionskrieg des Sudan hatte bis es dazu kam, etwa 500.000 bis 700.000 Todesopfer gefordert, hunderttausende Menschen des Südsudans lebten versteckt im Dschungel oder in Flüchtlingscamps. Der Krieg endete mit der Autonomie des Südsudan.

Die Autonomie des Südsudan bezog sich auf die drei Provinzen Al Istiwai, Bahr al Ghazal und Upper Nile. Der autonome Süden hatte einen Regionspräsidenten, der vom Staatspräsidenten des Sudan auf Empfehlung eines gewählten Parlaments der Südprovinzen ernannt werden sollte. Der Regionspräsident stellte sich sein Kabinett zusammen, mit dem er sämtliche Belange des Südsudan regelte mit Ausnahme zum Beispiel von Angelegenheiten der Verteidigung, Finanzen und der Währung, Wirtschaftsplanung unter anderem der Staatsregierung vorbehaltenen Bereichen. Ehemalige Kämpfer der Anya Nya wurden in eine 12.000 Mann umfassende Südstreitkraft der sudanesischen Armee integriert, die zur Hälfte aus Leuten aus dem Norden und dem Süden bestand. Zwar blieb Arabisch die offizielle Amtssprache des Sudan, Englisch wurde aber als Hauptsprache des Südens anerkannt, die sowohl in der Verwaltung verwendet, als auch in der Schule gelehrt wurde.

Mitte der 1970er Jahre wurde im Süden Erdöl entdeckt. Die vom Norden dominierte Regierung Numairi entschied, dieses Öl über eine Pipeline in den Norden zu leiten und es nicht im Süden weiter zu verarbeiten. Das Großprojekt Jonglei-Kanal, mit dem Wasser aus dem Süden in den Norden geleitet werden sollte, sorgte ebenfalls für Spannungen zwischen Norden und dem Süden. Zudem betrieb Numairi ab Ende der 70er Jahre eine zunehmend islamistischere Politik und ließ 1983 die Scharia für den gesamten Sudan einführen. Die Autonomie des Südens wurde weitgehend zurückgenommen, die drei Südprovinzen neu aufgeteilt und diskriminierende Maßnahmen gegen staatliche Beschäftigte, die dem Volk der Dinka angehörten, durchgeführt. Auf wirtschaftlichem Gebiet wurde dem Süden der vereinbarte Anteil an den Erlösen aus dem Verkauf des Erdöls verweigert.

Als im Mai 1983 Armeeeinheiten im Süden den Befehl, nach Norden zu gehen, verweigerten und sich nach Äthiopien absetzten, wurde dies zum Auslöser des 2. Sezessionskrieges. Im selben Jahr gründete sich die Sudanesische Volksbefreiungsarmee als militärischer Arm der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung, die von nun ab den Kampf gegen den Norden tragen und sich zur entscheidenden politischen Kraft im Südsudan entwickeln sollte. Führender Kopf der SPLA war John Garang, ein ehemaliger Oberst der sudanesischen Streitkräfte, der von der sudanesischen Regierung zur Untersuchung der Meuterei in den Süden geschickt worden war, dort aber die Seiten wechselte. Mit etwa 30 000 Soldaten kontrollierte er 1989 bis auf einige Garnisonsstädte den gesamten Südsudan. Die Parlamentswahlen im Sudan 1986 fanden wieder weitgehend ohne Beteiligung des Südens statt, da dieser sich überwiegend nicht unter Regierungskontrolle befand. Der Krieg wurde mit äußerster Grausamkeit, der Rekrutierung von Kindersoldaten und Massakern an der Zivilbevölkerung geführt. Hunger wurde als Waffe in diesem Krieg eingesetzt und die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung war ein immer wieder politisch behindertes oder für eigene Zwecke genutzter Spielball der Konfliktparteien.

Die internationale Gemeinschaft übte erfolgreich Druck auf den Sudan aus, die Südsudanfrage auf dem Verhandlungsweg zu regeln. 1989 wurden diese Bemühungen jedoch durch einen neuerlichen Putsch, der nun Präsident Umar Hasan Ahmad al-Baschir an die Macht brachte, untergraben. Al-Bashir behinderte die gerade vorher wieder aufgenommene Versorgung der hungernden Bevölkerung des Südens durch humanitäre Organisationen (die Operation Lifeline Sudan). Die internationale Diskussion über Darfur wurde vor allem von zwei Themen beherrscht: Im Juli 2004 verabschiedete der Kongress der Vereinigten Staaten eine Resolution, nach welcher die Verbrechen der sudanesischen Regierung und der Dschandschawid in Darfur als Völkermord (Genozid) zu bezeichnen seien. Die US-amerikanische Save Darfur-Kampagne und andere Organisationen hatten zuvor mit Verweis auf den Völkermord in Ruanda die Verwendung dieses Begriffes gefordert. Eine als Völkermord erklärte Situation würde nach dem entsprechenden Gesetz von 1948 die Unterzeichnerländer zum Einschreiten zwingen, wobei aufgrund der rechtlichen Definition der Vorsatz und die Verantwortung der sudanesischen Regierung für das gegen ein ganzes Volk gerichtete Morden nachweisbar sein müsste. Wegen dieser Nachweisschwierigkeit wird der Begriff von den Vereinten Nationen, Amnesty International und Human Rights Watch nicht verwendet. Letztere greifen stattdessen auf die Termini „Ethnische Säuberungen“, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Kriegsverbrechen“ zurück.

Aus der Diskussion um den Begriff Völkermord entwickelte sich die Frage nach der strafrechtlichen Konsequenz. Mit der Resolution 1593 des UN-Sicherheitsrats wurde der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) autorisiert, die Situation in Darfur zu untersuchen. Aufgrund dieser Untersuchungen erließ der IStGH 2007 Haftbefehle gegen den sudanesischen Staatsminister für humanitäre Angelegenheiten Ahmad Harun und den Dschandschawid-Anführer Ali Kuschaib. Diese beiden Personen sollen für Verbrechen der Dschandschawid verantwortlich sein. Der Sudan erkennt die Zuständigkeit des IStGH nicht an und verweigert die Auslieferung der Gesuchten.

Am 14. Juli 2008 kündigte der Chefankläger des IStGH an, Haftbefehl wegen Völkermordes gegen den sudanesischen Präsidenten al-Baschir zu beantragen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, die Afrikanische Union, die Arabische Liga sowie die Regierung des Sudan selbst äußerten Bedenken. Dennoch erließ der Internationale Strafgerichtshof Anfang März 2009 den beantragten Haftbefehl. Dieser erging – abweichend vom Antrag des Chefanklägers – allein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, aber nicht wegen Völkermord. Ein neuer Haftbefehl gegen al-Baschir, den der IStGH am 12. Juli 2010 ausstellte, beinhaltet auch die Anklage wegen Völkermordes.

Der Südsudan war bis in die jüngste Zeit hinein zu keiner Zeit ein staatlich geeinter Raum oder auch nur ein religiös oder kulturell einheitliches Gebiet. Deutlich klarer als seine Behandlung als Einheit ist seine Definition in Abgrenzung von den umliegenden Großräumen, insbesondere vom Nordsudan, mit dem er 150 Jahre lang mehr oder weniger verbunden war. Der Südsudan ist demnach das Gebiet rechts und links des Nils, das in der Antike nicht von Kultur und Zivilisation des alten Ägypten beeinflusst war. Im frühen Mittelalter entsprach seine Nordgrenze etwa der Grenze des Einflussgebietes von Alwa, des südlichsten der christlichen Reiche Nordsudans/Nubiens und seit der frühen Neuzeit bildet der Südsudan die Grenze der von Norden her sich verbreitenden Islamisierung Nordost-Afrikas. Richtung Osten gibt es eine ähnliche Definition seiner Ausdehnung in Abgrenzung: in diesem Fall von den christlichen Reichen des Hochlandes von Äthiopien (wie etwa des Aksumitischen Reiches oder später des Kaiserreichs Abessinien). Die Südgrenze des Südsudan wiederum entspricht grob der Nordgrenze der Staatsideen der Königreiche der Afrikanischen Großen Seen. Nur Richtung Westen war in diesem Sinn bis zur Kolonialzeit die Grenze der Region Südsudan undefinierbar, erst mit der kolonialen Eroberung entstand hier eine Grenze zwischen dem britischen und dem französischen Kolonialreich.

Die nilotischen Völker der Dinka, Nuer und Schilluk sollen als erste der heute hier existierenden Bevölkerung im 10. Jahrhundert n. Chr. in den Südsudan eingewandert sein. Im 16. Jahrhundert folgten die Azande, die hier den lange Zeit mächtigsten Staat errichteten. Während der nördliche Sudan früh islamisiert wurde, blieb die Bevölkerung des Südsudan ganz überwiegend ihren traditionellen Religionen verhaftet.

Ab 1821 begann die Eroberung des Nordsudans durch das formal noch zum Osmanischen Reich gehörige Ägypten Muhammad Ali Paschas. Damit wurde ab 1840 die Jagd auf schwarze Sklaven im heutigen Südsudan intensiviert. Eine Vorstellung vom Ausmaß des Horrors, dass die mit Privatarmeen durchgeführte Sklavenjagd für die Bevölkerung des Südsudans bedeutete, vermittelt der Begriff, der bei den Dinka für diese Jahrzehnte üblich ist: die Zeit des „spoiling the world“, also etwa der „Zerstörung der Welt“. In dieser Phase wurden die Grundlagen für die Feindschaft der Menschen des Südens gegenüber dem Nordsudan gelegt.

Die eigentliche ägyptische Eroberung des Südsudans erfolgte erst in den 1870er Jahren, formal abgeschlossen mit der Errichtung der Provinz Äquatoria 1871, die bis zu den Afrikanischen Große Seen reichte. Zeitgleich geriet Ägypten ab 1875 allerdings aufgrund seines Staatsbankrotts unter den Einfluss europäischer Großmächte, insbesondere Großbritanniens. Europäer wurden in den besetzten Gebieten als Beamte und sogar Generalgouverneure eingesetzt mit dem Ziel, den Sklavenhandel im Süden zu unterbinden. Noch in den 1870er Jahren verheerten arabische Sklavenhändler durch Sklavenjagden insbesondere die Region Bahr al-Ghazal. 1877 schlossen das Vereinigte Königreich und Ägypten ein Abkommen über die allmähliche Abschaffung der Sklaverei, das 1878 einen Aufstand der Sklavenhändler auslöste. Der Aufstand wurde 1880 niedergeschlagen, eine tatsächliche Abschaffung des Sklavenhandels aber nicht erreicht.

In den 1880er und 1890er Jahren wurde der gesamte Türkisch-Ägyptische Sudan von der islamischen, antikolonialen Mahdi-Bewegung erfasst, die ihre Wurzeln und ihren Haupteinfluss naturgemäß im islamischen Norden hatte. Der Südsudan bildete den südlichsten Ausläufer des Herrschaftsgebiets der Mahdisten, das Kalifat von Omdurman jedoch, dass das gefestigte Staatsgebiet der Mahdisten umfasste, endete an der Nordgrenze des Südsudan, der damit weitgehend sich selbst überlassen blieb – abgesehen von den Aktionen der Sklavenjäger, da im Kalifat der Sklavenhandel wieder erlaubt war. Mit der Schlacht von Omdurman endete endgültig 1898 der Türkisch-Ägyptische Sudan als Kolonialmacht des Südsudan. An seine Stelle trat die britische Kolonialherrschaft.

Anglo-Ägyptischer Sudan nannte sich das ab 1899 bis zur Unabhängigkeit des Sudan 1956 bestehende Kondominium Großbritanniens und Ägyptens über den Sudan. Das Kondominium war formal eine gemeinsame Herrschaft Ägyptens und Großbritanniens über den Sudan, de facto war der britische Einfluss von Beginn an größer als der ägyptische und mit dem britischen Protektorat über Ägypten 1914 wurde der „anglo-ägyptische“ Herrschaftsbereich offensichtlich zur britischen Kolonialherrschaft.

Formal bildeten der Norden und der Süden dieses Gebietes eine Einheit. Tatsächlich verwalteten die Briten die drei südlichsten der 13 Provinzen des Kondominiums getrennt vom Rest des Landes. Diese drei Provinzen Bahr al-Ghazal, Upper Nile und Äquatoria entsprachen weitgehend dem heutigen Südsudan. Um den Sklavenhandel zu unterbinden, verfolgten die Briten die Politik der „restricted districts“, die das Reisen zwischen Nord und Süd behinderte und drängten den Einfluss arabischer Händler im Süden zurück. Zudem konzentrierten sie sich mit Anstrengungen zur Entwicklung („Entwicklung“ natürlich im wohlverstandenen britisch-kolonialem Interesse) ihrer Kolonie auf den Norden des Landes, während der Südsudan nach den Worten eines sudanesischen Diplomaten weitgehend den Status eines „Naturmuseums“ erhielt. Die Wurzeln des vollkommen unterschiedlichen Grades der Entwicklung der beiden Landesteile bei der Unabhängigkeit des Sudan 1957 sind hier zu finden. Die Trennung der Landesteile setzte auch der Islamisierung des Südens einen Riegel vor, obwohl die Kolonialregierung nicht die Ausbreitung des Christentums im Süden förderte. Sie hielt die islamischen Gesellschaften sogar im Sinne der indirect rule für leichter regierbar als die Stammesgesellschaften. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts strömten jedoch französische, italienische und amerikanische Missionare in den Südsudan, der allerdings bis in die Neuzeit überwiegend traditionellen Religionen verhaftet blieb. Und schließlich galten in den beiden Landesteilen unterschiedliche Amtssprachen: Arabisch im Norden, Englisch im Südsudan.

Unter diesen Voraussetzungen war es naheliegend, dass die ursprünglichen Pläne für die Dekolonialisierung des Sudan die Unabhängigkeit zweier Länder vorsah: des Nord- und des Südsudan, bzw. ein Anschluss des wenig entwickelten Südsudan an die benachbarte britische Kolonie Britisch-Ostafrika überlegt wurde. 1947 kam es jedoch auf der sogenannten Dschuba-Konferenz zu einer völligen Kehrtwendung, nach der der unabhängige Staat Sudan auch die drei südlichen Provinzen einschließen sollte. Gleichzeitig wurde die Aufhebung aller bisherigen Einschränkungen für den Verkehr zwischen Nord und Süd beschlossen und Arabisch auch im Süden als Amtssprache eingeführt. Eine Ursache auf der britischen Seite für den plötzlichen Schwenk weg von einem unabhängigen oder mit Uganda vereinigten Südsudan kann in den damaligen Rebellenaktivitäten im britischen Kenia und Uganda vermutet werden. Denkbar ist auch, dass die USA ihren Einfluss geltend machten, um die Sympathien der künftigen, vom Norden dominierten Regierung im Kalten Krieg zu gewinnen.

Die Protokolle der Konferenz von Dschuba machen das Überlegenheitsgefühl der Vertreter des Nordens gegenüber den wenigen Vertretern des Südens deutlich. So verglich etwa ein Teilnehmer der Konferenz die Völker des Nordens und Südens und setzte dabei diejenigen des Nordens mit „alten Soldaten“, diejenigen des Südens jedoch mit „Rekruten“ gleich. Andere verwiesen auf die nicht vorhandenen Erfahrungen des Südens mit irgendeiner Form von Selbstverwaltung und sprachen der Bevölkerung dort das Recht ab, Vertreter in die Nationalversammlung zu entsenden. An Verwaltung und Regierung des zukünftigen Staates Sudan waren Südsudanesen schließlich kaum beteiligt.

Im August 1955, also noch vor der Unabhängigkeit, kam es an den Standorten Torit, Juba, Yei und Maridi zu einer Meuterei der einheimischen Kolonialtruppen der Sudan Defence Force. Unmittelbare Ursachen der Meuterei waren ein Prozess gegen ein Mitglied der sudanesischen Nationalversammlung aus dem Süden und ein mutmaßlich gefälschtes Telegramm, in dem Verwaltungsangestellte aus dem Norden angewiesen wurden, Leute aus dem Südsudan zu unterdrücken. Die Meuterer töteten mehrere hundert Menschen aus dem Norden, darunter Regierungsbeamte, Offiziere und Händler, hatten aber militärisch keine Chance. Die Meuterei wurde unterdrückt und die geflohenen Meuterer begannen aus einer aussichtslosen Lage heraus mit bewaffnetem Widerstand gegen die Kolonialherren und nach der Unabhängigkeit des Sudan auch gegen die Truppen des Nordens. Die Meuterei wurde so zur Geburtsstunde des 1. Sezessionskrieges des Südsudan gegen den Norden.

Nach einem Militärputsch im Sudan ging die neue Regierung 1958/59 massiv gegen den Widerstand im Süden vor, ließ Dörfer niederbrennen und Verdächtige töten oder foltern. Bereits 1963 soll die Regierung des Nordens mit einer Politik des „Spalte und Herrsche ethnische Gegensätze innerhalb des Südsudan für sich ausgenutzt und etwa das Volk der Murle mit Waffen gegen seine traditionellen Feinde, die Dinka und Nuer ausgerüstet haben. Ab 1963 intensivierte sich der bis dahin nur sporadische militärische Widerstand der Südsudanesen, angeführt von einer Organisation, die sich nach einem giftigen Gebräu Anya-Nya, nannten.

Eine 1964 eingesetzte Zivilregierung versuchte eine Übereinkunft auf dem Verhandlungsweg, scheiterte aber damit. Die Demokratisierung des Landes ging am Süden vorbei: Aufgrund der Bürgerkriegssituation im Süden wurden dessen Bürger nicht an den Parlamentswahlen im Sudan 1965 beteiligt.

Ab 1971 suchte der seit einem weiteren Militärputsch 1969 regierende Dschafar Muhammad an-Numairi erneut eine Verhandlungslösung. Im Februar 1972 wurde in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba tatsächlich ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung des Gesamtstaates und den Rebellen des Südens unter Führung von Joseph Lagu unterzeichnet. Der erste Sezessionskrieg des Sudan hatte bis es dazu kam, etwa 500.000 bis 700.000 Todesopfer gefordert, hunderttausende Menschen des Südsudans lebten versteckt im Dschungel oder in Flüchtlingscamps. Der Krieg endete mit der Autonomie des Südsudan.

Die Autonomie des Südsudan bezog sich auf die drei Provinzen Al Istiwai, Bahr al Ghazal und Upper Nile. Der autonome Süden hatte einen Regionspräsidenten, der vom Staatspräsidenten des Sudan auf Empfehlung eines gewählten Parlaments der Südprovinzen ernannt werden sollte. Der Regionspräsident stellte sich sein Kabinett zusammen, mit dem er sämtliche Belange des Südsudan regelte mit Ausnahme zum Beispiel von Angelegenheiten der Verteidigung, Finanzen und der Währung, Wirtschaftsplanung unter anderem der Staatsregierung vorbehaltenen Bereichen. Ehemalige Kämpfer der Anya Nya wurden in eine 12.000 Mann umfassende Südstreitkraft der sudanesischen Armee integriert, die zur Hälfte aus Leuten aus dem Norden und dem Süden bestand. Zwar blieb Arabisch die offizielle Amtssprache des Sudan, Englisch wurde aber als Hauptsprache des Südens anerkannt, die sowohl in der Verwaltung verwendet, als auch in der Schule gelehrt wurde.

Mitte der 1970er Jahre wurde im Süden Erdöl entdeckt. Die vom Norden dominierte Regierung Numairi entschied, dieses Öl über eine Pipeline in den Norden zu leiten und es nicht im Süden weiter zu verarbeiten. Das Großprojekt Jonglei-Kanal, mit dem Wasser aus dem Süden in den Norden geleitet werden sollte, sorgte ebenfalls für Spannungen zwischen Norden und dem Süden. Zudem betrieb Numairi ab Ende der 70er Jahre eine zunehmend islamistischere Politik und ließ 1983 die Scharia für den gesamten Sudan einführen. Die Autonomie des Südens wurde weitgehend zurückgenommen, die drei Südprovinzen neu aufgeteilt und diskriminierende Maßnahmen gegen staatliche Beschäftigte, die dem Volk der Dinka angehörten, durchgeführt. Auf wirtschaftlichem Gebiet wurde dem Süden der vereinbarte Anteil an den Erlösen aus dem Verkauf des Erdöls verweigert.

Als im Mai 1983 Armeeeinheiten im Süden den Befehl, nach Norden zu gehen, verweigerten und sich nach Äthiopien absetzten, wurde dies zum Auslöser des 2. Sezessionskrieges. Im selben Jahr gründete sich die Sudanesische Volksbefreiungsarmee als militärischer Arm der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung, die von nun ab den Kampf gegen den Norden tragen und sich zur entscheidenden politischen Kraft im Südsudan entwickeln sollte. Führender Kopf der SPLA war John Garang, ein ehemaliger Oberst der sudanesischen Streitkräfte, der von der sudanesischen Regierung zur Untersuchung der Meuterei in den Süden geschickt worden war, dort aber die Seiten wechselte. Mit etwa 30 000 Soldaten kontrollierte er 1989 bis auf einige Garnisonsstädte den gesamten Südsudan. Die Parlamentswahlen im Sudan 1986 fanden wieder weitgehend ohne Beteiligung des Südens statt, da dieser sich überwiegend nicht unter Regierungskontrolle befand. Der Krieg wurde mit äußerster Grausamkeit, der Rekrutierung von Kindersoldaten und Massakern an der Zivilbevölkerung geführt. Hunger wurde als Waffe in diesem Krieg eingesetzt und die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung war ein immer wieder politisch behindertes oder für eigene Zwecke genutzter Spielball der Konfliktparteien.

Die internationale Gemeinschaft übte erfolgreich Druck auf den Sudan aus, die Südsudanfrage auf dem Verhandlungsweg zu regeln. 1989 wurden diese Bemühungen jedoch durch einen neuerlichen Putsch, der nun Präsident Umar Hasan Ahmad al-Baschir an die Macht brachte, untergraben. Al-Bashir behinderte die gerade vorher wieder aufgenommene Versorgung der hungernden Bevölkerung des Südens durch humanitäre Organisationen.

Die Autonomie des Südsudan wurde aufgehoben. Alte ethnische Konflikte innerhalb des Südens wurden während des Krieges von beiden Seiten geschürt und es kam zu Ausschreitungen zwischen den ethnischen Gruppen, die hunderte von Toten kosteten. Anfang der 90er Jahre war die SPLA Herrin nahezu des gesamten Südens, sah sich aber geschwächt durch den Verlust Äthiopiens als Verbündeten und verschiedene Rebellionen, die teilweise ebenfalls entlang ethnischer Konfliktlinien verliefen. Als sich 1991 die sogenannte Nasir-Fraktion von Garang lossagte, wurde diese Gruppe von den Nuer getragen (Garang war Dinka) und es kam zu blutigen Ausschreitungen zwischen beiden Volksgruppen. Die SPLA-Offiziere Riek Machar und später Kerubino Keanyin Bol und Lam Akol spalteten sich mit ihren Einheiten ab. Der Kampf zwischen den Fraktionen forderte bis zu einer Wiedervereinigung 1993 mehr Todesopfer, als der Kampf gegen die Truppen des Nordens. 1998 wütete eine wiederum von den Kriegsparteien instrumentalisierte Hungersnot im Südsudan. 2004 wurden angeblich rund 50.000 bis 120.000 Angehörige des Volkes der Schilluk von regierungstreuen Milizen vertrieben.

John Garang hatte trotz der Grausamkeit der Auseinandersetzungen mit dem Norden nie das Ziel eines unabhängigen Staates Südsudan vertreten, sondern eine wirkliche Autonomie des Südens gefordert. Ab 1995 versuchte er erfolgreich sich durch ein Bündnis mit der nordsudanesischen Partei Nationale Demokratische Allianz als demokratische Alternative für den gesamten Sudan darzustellen. 2003/2004 kam es vor allem auf Druck der USA zu wiederholten Friedensgesprächen in Kenias Hauptstadt Nairobi, die 2005 schließlich in das Friedensabkommen von Naivasha mündeten.

Das Friedensabkommen sicherte dem Südsudan weitgehende Autonomie zu. Es legte fest:

John Garang setzte sich weiterhin für einen autonomen Südsudan ein und betrieb eine erfolgreiche Politik, sich auch im Norden als demokratische Alternative darzustellen. Er warb für einen „neuen Sudan“, der allen „Entrechteten“, egal ob im Norden oder im Süden, und allen, die sich gegen die politische, wirtschaftliche und soziale Dominanz des arabisch-islamischen Nordens wehrten, gleiche Chancen bieten sollte. Seine Organisation fasste allmählich auch im Norden Fuß und Beobachter sagten ihm gute Chancen für die Präsidentschaftswahl im Sudan 2010 voraus. Es gelang ihm, die in der übrigen Führungsspitze der SPLA populäre Forderung nach Unabhängigkeit in Schach zu halten. Sein Tod bei einem Hubschrauberabsturz im Juli 2005 veränderte die Lage zuungunsten des Autonomiegedankens, hin zur Forderung nach der Unabhängigkeit des Südsudan. Dazu beigetragen hatte auch, dass die SPLA-Minister bald feststellen mussten, dass die Regierungspartei ihnen trotz Ministeramt wenig Einfluss gewährte.

Sein Nachfolger an der Spitze der SPLA bzw. der zur Partei gewandelten SPLM („Movement“ ‚Bewegung‘ statt „Army“ ‚Armee‘) und Präsident des autonomen Südsudan wurde Salva Kiir.

Auch nach dem Friedensabkommen wurde der Südsudan von inneren, ethnisch motivierten Konflikten erschüttert. Bei einem Überfall von Dinka und Nuer auf Dörfer der Murle etwa sollen 2009 700 Mitglieder dieses Volksstammes getötet worden sein. Nach derselben Quelle wurden im Sommer 2010 bei einem Überfall auf das grenznahe Königreich der Schilluk hunderte Menschen von SPLA-Soldaten vergewaltigt und mehr als 10.000 Schilluk vertrieben. Auch nach 2005 soll die sudanesische Militärregierung die nomadischen Misseryie in der Region Abyei – die im Bürgerkrieg auf Seiten des Nordens standen – mit Waffen versorgt und so den Konflikt mit den dortigen Dinka – die im Bürgerkrieg überwiegend für den Süden gekämpft hatten – geschürt haben. 2008 entlud sich dieser Konflikt in gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Das Naivasha-Abkommen hatte an verschiedenen Stellen die Frage nach den Grenzen des zukünftigen Staatsgebietes des Südsudan offengelassen. Dies betraf vor allem die Regionen Abyei, die Nuba-Berge und Southern Blue Nile, die zu Transitional Area erklärt wurden, über deren Zugehörigkeit später entschieden werden sollte. Für die Region Abyei wurde ein Referendum geplant, in dem sich die Bevölkerung über die Zugehörigkeit zum Norden oder Süden äußern sollte. Für die Nubaberge und Teile des Bundesstaates An-Nil al-azraq (Blauer Nil), die geographisch eindeutig im Nordsudan liegen, kulturell aber dem Süden nahestehen und wo daher Teile der Bevölkerung auf Seiten des Südens im Bürgerkrieg gekämpft hatten, waren ebenfalls Volksbefragungen (Popular Consultations) vorgesehen.

2010 fanden zeitgleich mehrere Wahlgänge im Südsudan statt, die den zukünftigen Staat demokratisch legitimieren sollten:

Zum militärischen Konflikt über Wahlergebnisse kam es nur in einem Fall. Bei den Gouverneurswahlen hatte sich der ehemalige SPLA-Kommandeur George Athor Deng im Bundesstaat Dschunqali (oder auch Jonglei geschrieben) als unabhängiger Kandidat zur Wahl gestellt und verloren. Deng unterstellte der SPLM Wahlbetrug und begann daraufhin einen Guerillakrieg gegen die Führung des autonomen Südsudan.

Entgegen verschiedenen pessimistischen Vorhersagen wurde das Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan vom 9. bis zum 15. Januar 2011 planmäßig und weitgehend friedlich durchgeführt und auch vom sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir offiziell anerkannt. Das offizielle Ergebnis bestand in einem überwältigenden Ja zur Unabhängigkeit von über 99 % der abgegebenen Stimmen. Ein Ergebnis, das derart nahe an 100 % liegt, mag Zweifel an der Verlässlichkeit der Zahlen hervorrufen, aber eventuelle Manipulationen des Ergebnisses ändern nichts an der Tatsache, dass die Abspaltung in jedem Fall eine überwältigende Mehrheit gefunden hätte. Die Befragung der Bevölkerung der Region Abyei, darüber, ob sie zum Norden oder zum Südsudan gehören wolle, wurde allerdings nicht wie geplant zeitgleich mit dem Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt, womit sich diese Frage zum größten Konfliktpotential zwischen Nord und Süd entwickelt hat.

Anfang März 2011 kam es in der Region Abyei zu den ersten schweren Kämpfen zwischen Einheiten des Nordens und des Südens seit dem Unabhängigkeitsreferendum. Die Kämpfe forderten etwa 100 Todesopfer, 25.000 Menschen flüchteten. Auch die anvisierten Befragungen in den Regionen Blauer Nil und in den Nubabergen fanden nicht statt.

Im Februar 2011 schien der oben erwähnte Konflikt der aufständischen Truppen von Georg Athor Deng mit der SPLA bereits beigelegt und eine Reintegration der Rebellengruppe in die SPLA möglich, als es an mehreren Orten, die zur Entwaffnung und anschließenden Übernahme der Truppen Dengs in die SPLA vorgesehen waren, zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Deng und SPLA-Einheiten kam, die zusammen hunderte von Toten forderten. Die hohe Zahl von automatischen Waffen im Südsudan als Erbe des Bürgerkrieges führt auch nach dem Referendum immer wieder zu bewaffneten Konflikten.

Am 22. Mai 2011 nahmen die Truppen des Nordens die wichtigste Stadt der Region Abyei ein. Wenige Tage vorher war ein auch von UN-Soldaten begleiteter Konvoi nordsudanesischer Soldaten angegriffen worden, angeblich von südsudanesischen Einheiten. Vor der Besetzung Abyeis durch nordsudanesische Truppen hatten sich beide Seiten auf UN-Vermittlung hin noch geeinigt, die strittige Region zu räumen.

Die Unabhängigkeitserklärung des Südsudan erfolgte am 9. Juli 2011. Das Staatsgebiet des unabhängigen Südsudan ist aufgrund der oben beschriebenen Konflikte noch nicht eindeutig definiert.

Aus den im Norden des Landes weiterhin bestehenden Krisengebieten waren bis 2013 etwa 45 000 Menschen in Flüchtlingslager geflohen, wobei die humanitäre Hilfe durch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und weitere Hilfsorganisationen, die Verbesserung der Sicherheit durch die United Nations Mission in the Republic of South Sudan (UNMISS) geleistet wird.

Seit Mitte Dezember 2013 findet im Südsudan ein bewaffneter Konflikt um die politische Führung des Landes statt, wobei Ausgangspunkt der Unruhen eine bevorstehende Entwaffnung von Angehörigen des Nuer-Clans in der Präsidentengarde um den ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar war, den Präsident Salva Kiir Mayardit im Juli entlassen hatte. Darüber hinausgehende ethnische Konflikte auch in der Zivilbevölkerung wurden befürchtet da die beiden Kontrahenten unterschiedlichen Volksgruppen angehören Am 19. Dezember 2013 wurde das Flüchtlingscamp in Akobo in der Provinz Jonglei von 2.000 Rebellen überrannt. Auch in der Provinzhauptstadt Bor kam es erneut zu Kämpfen. Die Vereinten Nationen beziffern die Zahl der Todesopfer insgesamt auf mehrere tausend innerhalb einer Woche.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss, die Zahl der UNMISS-Blauhelme zu erhöhen. Bei weiteren Gefechten starben weitere tausende Menschen; mehr als eine halbe Million Zivilisten waren Mitte Januar 2014 auf der Flucht, nach UN-Angaben 716.000 Menschen innerhalb des Südsudans, 156.800 in Nachbarländer.

Am 23. Januar 2014 einigten sich beide Seiten auf einen vorläufigen Waffenstillstand und weitere Verhandlungen zu einem Friedensvertrag. Ein erster Verhandlungserfolg konnte erzielt werden. Dennoch wurde der Konflikt nach einer Waffenruhe fortgesetzt, Nuer-Rebellen besetzten die Ölstadt Malakal. Amnesty International berichtete im Mai 2014 von massiven Menschenrechtsverletzungen mit Gräueltaten während der Unruhen. Nach einer Vermittlungsmission durch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wurde am 5. Mai von Unterhändlern eine Waffenruhe vereinbart, die ab 7. Mai gelten sollte.

Am 9. Mai 2014 kam es daraufhin erneut zu Friedensverhandlungen, mit erstmaligen direkten Gesprächen zwischen Kiir und Machar seit Beginn des Bürgerkriegs. Es wurde ein Friedensvertrag geschlossen. Fünf Millionen Menschen benötigen nach UN-Schätzungen im Mai 2014 inzwischen humanitäre Hilfe. Trotzdem wurde eine Hungersnot befürchtet. Die UN trafen Vorbereitungen für eine kurzfristige Soforthilfe.

Im März 2016 gab ein UN-Vertreter bekannt, dass bis zu dem Zeitpunkt mehr als 50.000 Menschen im Bürgerkrieg getötet und 2,2 Millionen vertrieben wurden.

Das Naivasha-Abkommen hatte an verschiedenen Stellen die Frage nach den Grenzen des zukünftigen Staatsgebietes des Südsudan offengelassen. Dies betraf vor allem die Regionen Abyei, die Nuba-Berge und Southern Blue Nile, die zu Transitional Area erklärt wurden, über deren Zugehörigkeit später entschieden werden sollte. Für die Region Abyei wurde ein Referendum geplant, in dem sich die Bevölkerung über die Zugehörigkeit zum Norden oder Süden äußern sollte. Für die Nubaberge und Teile des Bundesstaates An-Nil al-azraq (Blauer Nil), die geographisch eindeutig im Nordsudan liegen, kulturell aber dem Süden nahestehen und wo daher Teile der Bevölkerung auf Seiten des Südens im Bürgerkrieg gekämpft hatten, waren ebenfalls Volksbefragungen (Popular Consultations) vorgesehen.

2010 fanden zeitgleich mehrere Wahlgänge im Südsudan statt, die den zukünftigen Staat demokratisch legitimieren sollten:

Zum militärischen Konflikt über Wahlergebnisse kam es nur in einem Fall. Bei den Gouverneurswahlen hatte sich der ehemalige SPLA-Kommandeur George Athor Deng im Bundesstaat Dschunqali (oder auch Jonglei geschrieben) als unabhängiger Kandidat zur Wahl gestellt und verloren. Deng unterstellte der SPLM Wahlbetrug und begann daraufhin einen Guerillakrieg gegen die Führung des autonomen Südsudan.

Entgegen verschiedenen pessimistischen Vorhersagen wurde das Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan vom 9. bis zum 15. Januar 2011 planmäßig und weitgehend friedlich durchgeführt und auch vom sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir offiziell anerkannt. Das offizielle Ergebnis bestand in einem überwältigenden Ja zur Unabhängigkeit von über 99 % der abgegebenen Stimmen. Ein Ergebnis, das derart nahe an 100 % liegt, mag Zweifel an der Verlässlichkeit der Zahlen hervorrufen, aber eventuelle Manipulationen des Ergebnisses ändern nichts an der Tatsache, dass die Abspaltung in jedem Fall eine überwältigende Mehrheit gefunden hätte. Die Befragung der Bevölkerung der Region Abyei, darüber, ob sie zum Norden oder zum Südsudan gehören wolle, wurde allerdings nicht wie geplant zeitgleich mit dem Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt, womit sich diese Frage zum größten Konfliktpotential zwischen Nord und Süd entwickelt hat.

Anfang März 2011 kam es in der Region Abyei zu den ersten schweren Kämpfen zwischen Einheiten des Nordens und des Südens seit dem Unabhängigkeitsreferendum. Die Kämpfe forderten etwa 100 Todesopfer, 25.000 Menschen flüchteten. Auch die anvisierten Befragungen in den Regionen Blauer Nil und in den Nubabergen fanden nicht statt.

Im Februar 2011 schien der oben erwähnte Konflikt der aufständischen Truppen von Georg Athor Deng mit der SPLA bereits beigelegt und eine Reintegration der Rebellengruppe in die SPLA möglich, als es an mehreren Orten, die zur Entwaffnung und anschließenden Übernahme der Truppen Dengs in die SPLA vorgesehen waren, zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Deng und SPLA-Einheiten kam, die zusammen hunderte von Toten forderten. Die hohe Zahl von automatischen Waffen im Südsudan als Erbe des Bürgerkrieges führt auch nach dem Referendum immer wieder zu bewaffneten Konflikten.

Am 22. Mai 2011 nahmen die Truppen des Nordens die wichtigste Stadt der Region Abyei ein. Wenige Tage vorher war ein auch von UN-Soldaten begleiteter Konvoi nordsudanesischer Soldaten angegriffen worden, angeblich von südsudanesischen Einheiten. Vor der Besetzung Abyeis durch nordsudanesische Truppen hatten sich beide Seiten auf UN-Vermittlung hin noch geeinigt, die strittige Region zu räumen.

Die Unabhängigkeitserklärung des Südsudan erfolgte am 9. Juli 2011. Das Staatsgebiet des unabhängigen Südsudan ist aufgrund der oben beschriebenen Konflikte noch nicht eindeutig definiert.

Aus den im Norden des Landes weiterhin bestehenden Krisengebieten waren bis 2013 etwa 45 000 Menschen in Flüchtlingslager geflohen, wobei die humanitäre Hilfe durch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und weitere Hilfsorganisationen, die Verbesserung der Sicherheit durch die United Nations Mission in the Republic of South Sudan (UNMISS) geleistet wird.

Seit Mitte Dezember 2013 findet im Südsudan ein bewaffneter Konflikt um die politische Führung des Landes statt, wobei Ausgangspunkt der Unruhen eine bevorstehende Entwaffnung von Angehörigen des Nuer-Clans in der Präsidentengarde um den ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar war, den Präsident Salva Kiir Mayardit im Juli entlassen hatte. Darüber hinausgehende ethnische Konflikte auch in der Zivilbevölkerung wurden befürchtet da die beiden Kontrahenten unterschiedlichen Volksgruppen angehören Am 19. Dezember 2013 wurde das Flüchtlingscamp in Akobo in der Provinz Jonglei von 2.000 Rebellen überrannt. Auch in der Provinzhauptstadt Bor kam es erneut zu Kämpfen. Die Vereinten Nationen beziffern die Zahl der Todesopfer insgesamt auf mehrere tausend innerhalb einer Woche.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss, die Zahl der UNMISS-Blauhelme zu erhöhen. Bei weiteren Gefechten starben weitere tausende Menschen; mehr als eine halbe Million Zivilisten waren Mitte Januar 2014 auf der Flucht, nach UN-Angaben 716.000 Menschen innerhalb des Südsudans, 156.800 in Nachbarländer.

Am 23. Januar 2014 einigten sich beide Seiten auf einen vorläufigen Waffenstillstand und weitere Verhandlungen zu einem Friedensvertrag. Ein erster Verhandlungserfolg konnte erzielt werden. Dennoch wurde der Konflikt nach einer Waffenruhe fortgesetzt, Nuer-Rebellen besetzten die Ölstadt Malakal. Amnesty International berichtete im Mai 2014 von massiven Menschenrechtsverletzungen mit Gräueltaten während der Unruhen. Nach einer Vermittlungsmission durch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wurde am 5. Mai von Unterhändlern eine Waffenruhe vereinbart, die ab 7. Mai gelten sollte.

Am 9. Mai 2014 kam es daraufhin erneut zu Friedensverhandlungen, mit erstmaligen direkten Gesprächen zwischen Kiir und Machar seit Beginn des Bürgerkriegs. Es wurde ein Friedensvertrag geschlossen. Fünf Millionen Menschen benötigen nach UN-Schätzungen im Mai 2014 inzwischen humanitäre Hilfe. Trotzdem wurde eine Hungersnot befürchtet. Die UN trafen Vorbereitungen für eine kurzfristige Soforthilfe.

Im März 2016 gab ein UN-Vertreter bekannt, dass bis zu dem Zeitpunkt mehr als 50.000 Menschen im Bürgerkrieg getötet und 2,2 Millionen vertrieben wurden.