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Die Kunst des 19. Jahrhunderts

Von Margarete Lausberg

Realismus

Das Jahr 1848 als Anfang des bürgerlichen Realismus festzulegen, lässt sich mit dem Beginn weitreichender sozio-ökonomischen Veränderung eben in diesem Jahr begründen. Die Pariser Februarrevolution weckte die revolutionäre Begeisterung im deutschen Bürgertum, welches sich auch tätlich zusammen mit der Unterschicht gegen die Einschränkung politischer Grundrechte und einer einheitlichen Nationalstaatlichkeit einzusetzen versuchte. Zwar scheiterten die Bewegungen zunächst, es konnte sich unter diesen Umständen aber auch eine völlig neue Art der politischen Öffentlichkeit formieren.

Dem bürgerlichen Mittelstand muss eine enorme Gewichtung im Hinblick auf seine wirtschaftliche und auch soziale Stärke im 19. Jahrhundert schließlich und endlich zugestanden werden. Durch die mit dem Wirtschaftswachstum einhergehenden Landflucht stieg der Anteil der Angestellten und Beamten, sowohl in staatlichen als auch nicht nichtstaatlichen Bereichen enorm an. Der Begriff des Bürgers gehört inzwischen stärker aufgefächert: so zählen eben nicht nur eben genannte, sondern auch gehobene Handwerker oder sonst wie Selbstständige zu jener Bevölkerungsgruppe. Der wirtschaftliche Aufschwung ist bezeichnend für die Zeit zwischen 1850 und 1873 – wir befinden uns mitten in der Industriellen Revolution.Als wesentlich für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts kann zudem die ständig zunehmende Mobilität, sowohl im räumlichen als auch sozialen Sinne, gelten. Die Droschke wird von der Eisenbahn abgelöst, die Schifffahrt erfährt Fortschritte durch die Dampfturbine – Europa wird für den Einzelnen erschließbarer.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Literaturlandschaft in Deutschland geprägt von der Vormärzliteratur. In der Folge der Märzrevolution von 1848 wurden die verschiedenen literarischen Bewegungen jener Zeit einem Wandel unterworfen. Die Revolution führte zum Rücktritt des Staatskanzlers Metternich, der Ausarbeitung einer deutschen Verfassung und der Lockerung der Zensur und des Spitzelwesens. Letztlich erwies sich die Revolution jedoch als ein „Sturm im Wasserglas“, da die Forderungen des liberalen Bürgertums, das die Revolution hauptsächlich trug, nur ansatzweise erfüllt wurden. Die Ideen von staatlicher Einheit und politischer Freiheit blieben unerfüllt.

Der Wandel von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu einer nüchternen Betrachtung der Gegenwart lässt sich auch im frühen Marxismus erkennen. Marx war als Schüler Hegels vom deutschen Idealismus beeinflusst. Von dort kommt seine Vorstellung eines zielgerichteten Verlaufs der Geschichte. Gleichzeitig war er Materialist und wollte nur die ökonomische Entwicklung als Grundlage der Geschichte anerkennen.

Zeitgenössische Theoretiker des Realismus gruppierten sich um Zeitschriften und veröffentlichten ihre Ansichten über die momentane Situation in der Literatur. Die Meinungsführerschaft in den 50er Jahren lag bei den „Grenzboten“ und dort vor allem bei Julian Schmidt. Er entwickelte mit seinen Kollegen die Programmatik der neuen Literatur. Dabei spielen die Begriffe „Realidealismus“, „Poetischer Realismus“ und „Bürgerlicher Realismus“ eine entscheidende Rolle, denn der Realismusbegriff war durch die ästhetische Tradition zu belastet, als dass er in unproblematischer Weise das Selbstverständnis einer Literaturbewegung hätte kennzeichnen können. Theodor Fontane weist als einer der Hauptvertreter des Realismus „das nackte Wiedergeben alltäglichen Lebens, am wenigsten seines Elends und seiner Schattenseiten“ ab. Er definiert den Realismus als „die Widerspiegelung alles wirklichen Lebens, aller wahren Kräfte und Interessen im Elemente der Kunst“. Wichtige literarische Formen im Realismus sind die Dorfgeschichten, das Dinggedicht, der Gesellschaftsroman, der historische Roman und der Entwicklungsroman. Eine besondere Rolle spielte der Roman an sich.

Zu Beginn lehnte sich der Realismus an die Philosophie von Ludwig Feuerbach an, dessen Religionskritik nicht in einen resignativen Nihilismus mündete, sondern stattdessen die Hinwendung zur Diesseitigkeit propagierte. Der Mensch solle das Göttliche in sich erkennen und in diesem Sinne sein Leben leben und gleichzeitig für andere Menschen tätig sein (Homo homini deus est „Der Mensch ist dem Menschen ein Gott“). Der technische Fortschritt durch die Industrielle Revolution und der daraus entstehende Fortschrittsglaube verstärkten diese optimistische Haltung. Spätere Vertreter des Realismus waren hingegen von einem starken Pessimismus beeinflusst. Die sich infolge der Industrialisierung verschärfenden sozialen Probleme erschütterten das Vertrauen in den technischen Fortschritt nachhaltig. Die Erkenntnisse bedeutender Naturwissenschaftler wie Charles Darwin verschafften der Geisteshaltung des Determinismus Zulauf. Das menschliche Individuum sei ein Produkt der Evolution und seine Handlungen würden von physiologischen Prozessen in seinem Körper bestimmt. Die besondere Tragik dieser sinnlosen Existenz bestehe darin, dass der Mensch diesem Fatalismus ausgeliefert sei und sich ihm stellen müsse, wohl wissend, dass er den Kampf im Moment seines Todes letztlich verlieren werde. Diese Art der Betrachtung negiert jegliche Transzendenz im menschlichen Leben.

Der Grundgedanke des Realismus ist die Reflektion der Wirklichkeit durch Kunst und Literatur. Das heißt, der Realismus gibt die Welt nicht nach einem Idealbild wieder, sondern wie sie tatsächlich ist. Der Realismus lässt sich in ,,Poetischen Realismus“ und ,,Bürgerlichen Realismus“ aufteilen. Poetischer Realismus bedeutet Konflikte in der Wirklichkeit lyrisch zu entschärfen. Bei dem bürgerlichen Realismus wird häufig der Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft thematisiert. Dies soll keine Kritik an der Gesellschaft bzw. am Milieu sein, sondern eine Ästhetisierung und damit eine Verklärung. Es ist die Abgrenzung von der Idealistischen Epoche (insbesondere von der Romantik).

Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Literatur vom Vormärz geprägt und dem damit verbunden politisch-historischen Maßstab. Die folgenden Erscheinungen wurden unter dem Blickwinkel ihres Zusteuerns auf die Märzrevolution im Jahre 1848 gesehen. 1850 folgte das ,,Junge Deutschland“, welches sich aus Gruppierungen von Autoren im poetischen und bürgerlichen Realismus zusammensetzte. Dem Menschen steht im Realismus, sein persönliches Schicksal und seine individuelle Eigenart im Hinblick auf die soziale Umgebung im Vordergrund. Die Kraft des Materiellen war in dieser Zeit sehr hoch. Zugleich entsteht die Fragwürdigkeit, ob eine Welt in der die bloße Materie zählt (Nihilismus) wirklich erstrebenswert sei. Im Zuge der naturwissenschaftlich-technischen Orientierung und bedeutenden Erfindungen setzt sich ein Glaube an die Wissenschaft durch.

Ausgehend von der französischen Februarrevolution, bildete die bürgerliche Revolution im März 1848 das große Ereignis der Jahrhundertmitte, mit dem die Forderungen nach bürgerlichen Freiheiten, einer geschriebene Verfassung und der Einrichtung eines gesamtdeutschen Parlaments verbunden waren. Am 18. Mai trat in der Frankfurter Paulskirche eine frei gewählte Nationalversammlung zusammen. Deren Arbeit wurde aber durch die Spaltung zwischen Liberalen, die nur eine politische Veränderung anstrebten, und Republikanern, die sich auch für eine Änderung der sozialen Verhältnisse einsetzten, erschwert. Als schließlich im März 1849 eine neue Verfassung verkündet wurde, lehnte der preußische König Friedrich Wilhelm IV die von der Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone als gesamtdeutsches Staatsoberhaupt ab. Damit waren die Bestrebungen, einen einheitlichen Nationalstaat zu schaffen, gescheitert. Die Fürsten übernahmen als Landesherren wieder die gewohnte Macht. Viele enttäuschte Bürger zogen sich aus der Politik zurück und wandten sich ihrem Privatleben zu. Erst nach dem siegreichen Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) gegen den "Erbfeind" Frankreich kam es am 18.01.1871 im Spiegelsaal von Versailles unter dem Jubel der deutschen Bevölkerung zur Gründung des "Deutschen Kaiserreichs". Damit war im Herzen Europas eine neue Großmacht entstanden, die durch ihre militärische Stärke und ihre Hinwendung zu Nationalismus und Imperialismus das europäische Gleichgewicht zu erschüttern drohte.

Etwa seit Ende der napoleonischen Befreiungskriege und der folgenden Zeit der Restauration entwickelte sich die Kunst des Biedermeier. Die teils spießbürgerlich wirkende Malerei knüpfte an romantische Ideale an, umfasste nunmehr aber auch die begrenzte Welt des Alltagsmenschen. Diese Genrebilder zeigten primär das häusliche Leben und eine kleinbürgerliche Idylle. Das Thema der Arbeit wurde bis auf wenige Ausnahmen weiterhin gemieden. Lediglich landwirtschaftliche Darstellungen, innerhalb einer verklärten Bauernmalerei, streiften diese Thematik. Hier wurde eine bäuerliche Atmosphäre hergestellt, in der die Familie, als Indikator für eine harmonische Häuslichkeit, eine besondere Stellung einnahm. Das Milieu des Bauerntums ist in diesen Bildern zwar präsent, die damit verbundene Arbeit wird bis auf wenige Ausnahmen nicht thematisiert. Den klassisch-historisch inspirierten Werken als auch den romantischen Bildern sowie der Genremalerei des Biedermeiers war jedoch trotz der Unterschiede gemein, dass sie nur selten die Wirklichkeit wiedergaben. Der Idealismus herrschte als grundsätzliches Bindeglied vor und ist somit charakteristisch für diese Zeit. Es ist nicht verwunderlich, dass sich allmählich zu diesem Idealismus eine Gegenbewegung bildete - in Anbetracht der vergangenen Epochen, die in der Regel als Reaktionen auf vorherige Stilperioden auftraten, erscheint es evident, dass sich ebenso eine Erwiderung zum Idealismus finden musste.

Als Ausgangspunkt für das Schaffen der Realisten muss ein genau bestimmtes Geschichts-und Wirklichkeitsbild betrachtet werden. Danach ist jede Kunst realistisch, ,,die zunächst darauf ausgeht, die Dinge in ihrer wesenhaften Realität zu geben, Welt und Menschen, Natur und Leben so darzustellen, wie sie sich ihrem Wesen und ihrer Idee, ihrer Seele und ihren Charakter nach offenbaren,..." (Sigisbert Meier: Der Realismus als Prinzip der schönen Künste, S.9) Der Realismus mit seiner objektiven Darstellung des Zeitgenössischen ist ferner gekennzeichnet durch Gottferne (Atheismus), Entfremdung und Zusammenhangslosigkeit, die sich in allegorischer, satirischer oder grotesker Darstellungsweise widerspiegeln. In der realistischen Literatur geht es nicht um Versöhnung oder Einheit, sondern vielmehr um deren Versagen und um den endgültigen Verlust von Gott, Idee oder Sinn, an deren Stelle das Nichts getreten ist. Für den Realisten ist der Mensch deshalb ein Narr, der verloren ist in der bösen Welt; das Leben bedeutet ständig neue Desorientierung. Der Realismus ist didaktisch, lehrhaft und reformierend und will die historische Wirklichkeit sittlich und ästhetisch interpretieren bzw. künstlerisch bewältigen.

Mit dem Realismus war keine neue Epoche entstanden, vielmehr wurde die Aufmerksamkeit für eine Wirklichkeitsanschauung gesucht, was bedeutet, dass dieser Kunststil „weder rein inhaltlich, noch rein formal zu fassen“ ist. Die Intentionen eines realistischen Werks ist nicht immer eindeutig zu ermitteln. Einerseits kann die Wirklichkeitsdarstellung lediglich deskriptiv ohne politischen Hintergedanken sein. Andererseits können realistische Bilder gesellschaftskritische und sozialistische Intentionen in sich vereinen, indem sie durch die Veranschaulichung von gesellschaftlichen Missständen oder den Hinweis auf problematische Lebensbedingungen soziale Ungerechtigkeiten anprangern. Dadurch kann bei dem Betrachter Mitgefühl evoziert, aber auch gleichzeitig bewusst Anklage erhoben werden. Diese Vielfalt der Intentionen führte damals und auch noch heute oftmals zu Missverständnissen bei der Einordnung der Künstler.

In Frankreich boten die Romane der 1830er und 1840er Jahre von Stendhal (1783–1843) und Honoré de Balzac (1799–1850) zwar realistische Schauplätze, Handlungen und Charakterisierungen, standen aber noch unter der romantischen Perspektive einsamer Helden, großer Handlungen und tieferer Symbolik. Der eigentliche Durchbruch zum Realismus gelang Gustave Flaubert (1821–1880) mit seinem Roman Madame Bovary (1857), der Alltagsgeschichte der Desillusionierung einer an romantischen Idealen orientierten Ehefrau in der Provinz, die im Ehebruch und Selbstmord endet. Flaubert schrieb in einem Brief 1852: „In mir stecken buchstäblich zwei Menschen: der eine liebt Großmäuligkeit, Lyrisches, die großen Adlerflüge wohlklingender Sätze; der andere wühlt und gräbt nach dem Wahren, so gut er kann, will das kleine Faktum ebenso gewaltig wie das große zeigen, möchte den Lesenden die wiedergegebenen Dinge beinahe materiell spüren lassen“.

Die Prinzipien von Flauberts Realismus sind: umfassende dokumentarische Vorarbeiten, Zurücktreten des Autors (sog. impassibilité) hinter die Fakten und Geschehnisse (die aber so ausgewählt, angeordnet und behandelt sind, dass gleichwohl des Autors meist pessimistische Sicht erkennbar bleibt), strenger Kult der Sprachform (Gegengewicht zur langweiligen Mittelmäßigkeit des Alltagslebens).

Ab 1860 entstand als Steigerung des Realismus der Naturalismus, dessen wichtigster Vertreter Émile Zola (1840–1902) wurde, der neben seinen Rougon-Macquart-Romanen (1871–1893), einer zwanzigbändigen Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich (d. h. Frankreich unter Louis Napoleon 1852–1870) auch Literaturtheoretisches schrieb. „Unser Held ist nicht der reine Geist, der abstrakte Mensch des 18. Jahrhunderts, sondern er ist das physiologische Objekt unserer jetzigen Wissenschaft, ein Wesen, das aus Organen zusammengesetzt ist und das von einem Milieu zeugt, von dem es jeden Moment durchdrungen wird. (…) Alle seine Sinne wirken auf seine Seele ein; in jeder ihrer Bewegungen wird diese vorangetrieben oder zurückgehalten durch das Sehen, das Riechen, Hören, den Geschmack, den Tastsinn. Die Vorstellung einer unabhängigen Seele, die ganz im Leeren funktioniert, ist falsch - das ist die psychologische Mechanik, und nicht mehr das Leben. (1881) Der Naturalismus in der Literatur ist (…) die Rückkehr zur Natur des Menschen, die direkte Beobachtung, die genaue Anatomie, die Feststellung und Wiedergabe dessen, was ist.“ (1882).

Freund und Schüler Zolas war Guy de Maupassant (1850–1893), der vor allem Novellen schrieb. Er beschränkte sich auf das selektive Konzept einer ausgewählten und (dadurch) expressiven Wahrheit: „Der Realist, wenn er ein (guter) Handwerker ist, versucht nicht, uns die banale Photographie des Lebens zu geben, sondern uns eine Vision zu liefern, die vollständiger, ergreifender, beweiskräftiger als die Wirklichkeit selbst ist.“ Die theoretische Begründung dieses Naturalismus lieferte der Literaturhistoriker Hippolyte Taine (1823–1893, nach und mit Auguste Comte Vertreter des sog. Positivismus, der nur erfahrungsmässig-wissenschaftliche Tatsachen, nichts Übersinnliches oder Spekulatives anerkennt). Er erklärte das literarische Schaffen aus den es bestimmenden (daher der Name Determinismus) Faktoren Ethnie (Volk; angeborene psychische Veranlagung), Milieu (geographisch-soziale Umgebung) und Zeit (historische Situation, Augenblick der Niederschrift).

Auguste Comtes Versuch, den Positivismus zur wissenschaftlich fundierten Weltkultur auszubauen, wurde eines der großen utopistischen Projekte des 19. Jahrhunderts. Comte entwarf ein Geschichtsmodell, nach dem sich die von ihm vertretene Philosophie mit historischer Notwendigkeit durchsetzen musste. Die Menschheitsentwicklung durchschritt historisch notwendige Entwicklungsstadien von den ersten religiösen Kulten über den Monotheismus zu einer von den Wissenschaften bestimmten Kultur („Dreistadientheorie / théorie des trois états“: theologische, metaphysische und positive Epoche). Der Motor der historischen Entwicklung war nicht ein Klassenkonflikt, der in eine Weltrevolution mündete, und in der die Arbeiterklasse die Herrschaft übernahm, sondern die schlichte Ausbreitung der zukünftigen Gesellschaft mit dem wissenschaftlichen Fortschritt. Die Menschheit selbst geriet in diesem Prozess in das Zentrum des Interesses.

Die Soziologie würde –als von Comte begründete Wissenschaft – alles Handeln bestimmen, und das menschliche Zusammenleben zum größten Nutzen der Menschheit organisieren. Daher bezeichnete er sie auch als die „Königin der Wissenschaften“. Mitgefühl und Altruismus, Achtung vor menschlichen Leistungen würden im Zentrum des Zusammenlebens in der zukünftigen Gesellschaft stehen.

Mit dem Aufbau der Religion des Positivismus sollte der historischen Entwicklung zum Durchbruch verholfen werden. Deren Organisation und die Dogmatik orientierten sich am Aufbau des Katholizismus. Die Huldigung der Menschheit in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft wurde zu einem Kultus ausgestattet, dem eine eigene Priesterschaft zum Durchbruch verhelfen sollte. Die Unsterblichkeit wurde als „Unsterblichkeit im Gedächtnis der Menschheit“ sozialisiert. Der positivistische Kalender trug dem wiederum Rechnung durch sein dreizehnmonatiges Jahr, das symbolisch die Weltgeschichte durchmisst. Die einzelnen 28-tägigen Monate nehmen die jüdische und die christliche Tradition auf, wie die Wissenschaftsgeschichte und die politischen Traditionen Europas. Monatsrepräsentanten sind unter anderem Moses, Archimedes und Friedrich II. von Preußen. Die einzelnen Tage sind, einem Heiligenkalender gleich, den „größten Individuen gewidmet, die zum Fortschritt der Menschheit beitrugen“. Die übergreifende These, dass die Welt sich über die Religion und den Aufbau von Staaten, und Wissenschaften in die Zukunft entwickelte, erlaubte die Würdigung und die Integration der überwundenen religiösen und staatlichen Organisationsformen.

Positivistische Gesellschaften wurden gegründet. Sonntägliche Treffen mit Zeremonien standen auf dem Programm, und erweckten Misstrauen und Spott. Die Bewegung zeichnete sich durch den Ordnungsfanatismus und die Detailversessenheit ihres Gründers aus, ebenso wie durch eine prekäre Annäherung an genau das System, das sie ersetzen sollte, und durch möglichst lückenlose Übernahme von Organisationsformen und Techniken ersetzen wollte: Die katholische Religion, die gerade im naturwissenschaftsfreundlichen angelsächsischen Sprachraum nicht als Traditionsangebot in Frage kam. Eine spezielle Verehrung der Frau prägte den Positivismus. Für Comte, der seinen persönlichen Leidensweg am Ende in der Verehrung einer Frau fand, war die Frau „das emotional höher entwickelte Wesen“, das durch die ausgeprägtere Fähigkeit zum Mitgefühl prädestiniert war, die Kernaufgabe in der Familie wahrzunehmen.

Nach einem Staatsstreich wurde Louis Napoleon, ein Neffe Bonapartes, 1852 als Napoleon III. zum Kaiser in Frankreich ausgerufen. Während des von ihm eingeleiteten Zweiten Kaiserreichs blieben an der Kunstakademie alte Traditionen vorherrschend. Die künstlerischen Vorgaben von Akademie und Salon erstreckten sich sowohl auf die Bildthemen als auch die jeweils passende Technik. Historienbilder galten dort als hohe Kunst, als adäquate Malweise der neoklassizistische Stil Davids und Ingres‘.

Doch es existierten auch Gegenbewegungen zur offiziellen konservativen Salonkunst, die vor allem der Repräsentation des Staates diente. Im kleinen Ort Barbizon, südlich von Paris am Rande des Waldes von Fontainebleau gelegen, fand ab den 1830er Jahren ein Kreis von Malern zusammen, der andere Motive und Darstellungsweisen als die althergebrachten favorisierte. Zur Schule von Barbizon, wie dieses Malerkollektiv bald genannt wurde, gehörten Künstler wie Jean-Baptiste Camille Corot und Jean-Francois Millet. Weit entfernt von der industrialisierten Großstadt Paris rückten die Maler dort das Studium der Natur in das Zentrum ihres Schaffens. Die Künstler in Barbizon malten nicht nur Wälder und Felder, sie zogen auch oft in die Natur, um dort im Freien zu malen. Die Landschaftsmalerei erlebte in dieser Zeit einen Aufschwung.

Inmitten einer Zeit folgenreicher gesellschaftlicher Umwälzungen wurde Jean Baptiste Camille Corot am 17. Juli 1796 in Paris geboren. Schon während der Schulzeit nutzte er jede frei Minute für seine eigentliche Leidenschaft, das Malen und Zeichnen, entschied sich jedoch erst im Alter von sechsundzwanzig Jahren zu einem Leben für die Kunst. Eine von den Eltern gewährte Jahresrente von eintausendfünfhundert Francs gab ihm die finanzielle Sicherheit dazu und bewahrte ihn vor einem Existenzkampf, wie er zahlreichen seiner Künstlerkollegen auferlegt war.

Sein erster Lehrer, der gleichaltrige, hochbegabte Achille Etna Michallon (1796-1822), hatte 1817 als erster den Rom-Preis der Académie des Beaux-Arts für das Landschaftsfach errungen. Nach Michallons frühem Tod setzte Corot seine Studien bei Jean-Victor Bertin fort, der gleich Michallon ein Vertreter der klassischen französischen Landschaftsschule in der Nachfolge von Nicolas Poussin war. Diese folgte bekanntlich dem Grundprinzip, ausgewählte Partien realer Landschaft, deren Darstellung ein intensives Naturstudium voraussetzte, zu einer Ideallandschaft zu komponieren, die dann den Schauplatz für mythologische oder religiöse Szenen abgeben konnte. Corot unterbrach sein Studium häufig, unternahm ausgedehnte Streifzüge in die Natur, suchte in der Umgebung von Paris und Rouen, im Wald von Fontainebleau und im lieblichen Ville d’Avray, wo die Familie ein Landhaus besaß, nach Motiven. Früh wurde seine deutliche Neigung zur Landschaftsmalerei offenbar. Über seine Studienzeit urteilte er ganz lapidar: „Zuerst war ich Schüler von Michallon. Nachdem ich ihn verloren hatte, trat ich ins Atelier von Victor Bertin ein. Dann warf ich mich ganz allein auf die Natur, und das ist alles.“

Corot, von Herkunft und Denken weit mehr ein Mann der Tradition als der Neuerung, hielt es zunächst auch auf seinem Ausbildungsweg mit den tradierten Gepflogenheiten; seit Dürer war die Studienreise nach Italien mehr und mehr zum festen Bestandteil künstlerischer Ausbildung geworden. So reiste auch Corot im Herbst 1825 aus Paris ab und traf im Dezember in Rom ein. Dort, wo seit 1666 als Niederlassung der Académie des Beaux Arts die Académie de France à Rome als Lehrstätte und Hort der offiziellen französischen Kunst bestand, begegnete er vor allem Landschaftern der neoklassizistischen Richtung, wie Guillaume Bodinier oder Francois Edouard Bertin. Anders, als viele Berufsgenossen vor ihm, zog es Corot nicht zu den Meisterwerken antiker oder klassischer Kunst. Er fand während der drei Jahre (1825-28) seines Rom-Aufenthalts nicht einmal den Weg in die Sixtina vor Michelangelos gigantische Fresken. Er sah sie erst während seines dritten Italien-Aufenthalts 1843. Ihm bot die Landschaft alles, was er zum Malen nötig hatte: das unmittelbare Naturerlebnis mit seiner unerschöpflichen Vielfalt und Wandelbarkeit im Spiel von Licht, Luft und Farbe. In jenen Jahren in Rom schuf er das Fundament seines Lebenswerks. „So überzeugter Realist ist Corot kaum je wieder gewesen… Manches der allerersten Zeit grenzt an das Topographische“

Mit nahezu vedutenhafter Detailtreue erschießt sich sein Blick auf das Forum Romanum (1826, Paris, Louvre) dem Betrachter. Diese für sein Frühwerk so charakteristische Art des genauen Aufzeichnens (in einer Tagebuchnotiz gegen Ende seines ersten Rom-Aufenthalts formulierte er sein Credo: „Il ne faut laisser d’indécision dans aucun chose…“) soll bei den klassisch geschulten und technisch versierten Stipendiaten der Académie de France spöttische Heiterkeit ausgelöst haben. Im Café Greco, Roms Künstlertreff, witzelte man über seinen Fleiß. Hingegen erkannte Théodore Caruelle d’Aligny (1798-1871), ein früherer Atelierkamerad aus der Zeit bei Bertin, Corots Talent; nun wurde der Jüngere dem Älteren zum Mentor. Gemeinsam arbeiteten sie dort, wo auch die deutschen, englischen und dänischen Malerkollegen bevorzugt ihre Studien trieben, in der römischen Campagna, in Olevano, La Cervara, Subiaco, Civita Castellana. „So unzählig sind die Motive in der Umgegend Roms und verblüffend mannigfach… es war, als suchte er möglichst viele Formen in sich aufzunehmen, um daraus nachher eine Einheit zu bilden. Tatsächlich hat er aus mancher Landschaft der ersten römischen Zeit ein viertel Jahrhundert später die Szene zauberischer Feste geschaffen“ , zum Beispiel aus jener Parklandschaft mit Kolosseum im Hintergrund, sein im Salon von 1851 so erfolgreiches Gemälde Morgenfrühe. Tanz der Nymphen, mit dem er einen Bildtypus schuf, der ganze Fälscherwerkstätten in Frankreich und Südrussland angesichts einer überaus regen Publikumsnachfrage florieren ließ.

„C’est comme un Corot!“ Dieser Ausruf als Ausdruck tiefen Ergriffenseins oder gar Entzückens stammt von Pablo Picasso. Bernhard Geiser beschrieb so beschrieb er die Szene, die ihn hervorgerufen hatte: „… Picasso nahm auf einem schmalen Steinsockel Platz und schaute unverwandt über den Fluss nach der Altstadt. Es lag noch kein Schnee auf den Dächern, aber an den Bäumen und Sträuchern hatte sich Frost angesetzt. Ein dünner Nebel lagerte in geringer Höhe über den hochragenden Häuserzeilen und umwob ganz leicht die Spitze der Kathedrale. Schon versuchten wärmende Sonnenstrahlen den weißen Schleier zu durchdringen und auf einmal standen die flusswärts gelegenen Häuserfronten in einem milden, zauberhaften Licht. Picasso war wie gebannt. „C’est comme un Corot!“, entfuhr es seinem Munde. Nun wusste ich, dass ihm Bern gefiel.“

Corots unbestrittener Rang als Meister der Stimmungs-Landschaft in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts rührt zweifellos von Bildern dieser Art her, die weniger durch die Wahl eines bestimmten, pittoresken Landschaftsausschnitts, sondern vor allen durch den ganz eigentümlichen atmosphärischen Reiz anrühren, der von ihnen ausgeht. Sie begründeten seine etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts wachsende Beliebtheit. Viele mögen instinktiv Corots eigener Empfehlung zum Umgang mit seinen Bildern gefolgt sein, wenn er sagt: „Um in meine Malerei hineinzukommen, muss man wenigstens Geduld haben zu warten, bis sich der Nebel verzieht. Man kommt nur langsam hinein, aber wenn man einmal drin ist, muss einem wohl sein, denn meine Freunde bleiben alle drin.“

Der unnachahmlichste und zugleich am meisten imitierte Landschafter des 19. Jahrhunderts in Frankreich (die Zahl der Fälschungen geht in die Tausende!), den George Besson neben Eugène Delacroix, Honore Daumier, Gustave Courbet und anderen zu den Wegbereitern der modernen Kunst zählte, war ein künstlerischer Außenseiter, er stand quer zu allen Richtungen, war „so unabhängig, wie es kaum jemand in seinem Jahrhundert gab, Cézanne inbegriffen.“ Anders als beispielsweise bei Courbet oder Daumier fehlen in Corots Werk durchweg deutliche Zeitbezüge; er scheint, unberührt von den bewegenden historischen Ereignissen und auch von den heftigen Kunstkämpfen seiner Zeit, gestützt durch sein Lebensmotto „Confiance et Conscience“, seinen eigenen Weg gesucht und gefunden zu haben. Für die Entwicklung der Landschaftsmalerei sind Corots empfindungsreiche, wahrheitsgetreue, den Licht- und Farbwerten nachspürenden Naturstudien von bleibender Bedeutung – die Impressionisten verdanken ihm nicht wenig. In seiner Salonkritik von 1845 bemerkte Baudelaire: „A la tête de l’école moderne du paysage se place Monsieur Corot“ und betont zugleich, dass Corots Einfluss in der Landschaftsmalerei der jüngeren Generation sichtbar sei.

Eine der Wirklichkeit verschriebene Auffassung von der landwirtschaftlichen Arbeit ist in den Bildern des Franzosen Jean-François Millets entstanden. Auf dem Pariser Salon von 1848 debütierte er mit seinem ersten Bauernbild, dem Kornschwinger. In drastischer Gegenwehr zu den verklärten Ausführungen der Bauernromantik gab er zu verstehen: „...es soll nur niemand glauben, dass man mich zwingen kann, den Bauerntypus zu idealisieren.“ Millet wusste, wovon er sprach, denn als Sohn eines Bauern kannte er das alltägliche beschwerliche Bauernleben nur allzu gut. Idealisierende, dieses Dasein verklärende Darstellungen wollte er nicht vertreten und sind dementsprechend bei ihm auch nicht anzutreffen. Die gebeugte Haltung und der betont gekrümmte Rücken, die die Arbeit der Menschen mit sich bringt, wirken in seinen Bildern beinah paradigmatisch und durchziehen sein gesamtes Œuvre.

Millet ließ sich in den 1840er Jahren in Barbizon nieder und malte einfach das, was ihn dort umgab. Sein Bild Die Ährenleserinnen zeigte eine alte Sitte: Den Armen war es gestattet, nach der Ernte die auf den Feldern verbliebenen Rest aufzusammeln. Millets traurige Schilderungen des Alltags auf dem Land und die Gegensätze zwischen Arm und Reich stießen in der Fachwelt der Kunst auf viel Kritik. Als Thema für ein Ölbild kamen Bauern nach Meinung der meisten elitären Experten höchstens in der Genremalerei in Frage. Die Darstellung von einfacher Arbeit ins Zentrum eines Gemäldes zu rücken und zudem die einfachen Tätigkeiten der bäuerlichen Bevölkerung, verstieß in Frankreich gegen alle Konventionen.

Dem Bewirtschaften der Felder, insbesondere dem Einholen der Ernte, gestand Millet, gerade nach seinem Umzug nach Barbizon im Jahr 1850, eine spezielle Bedeutung in seinen Bildern zu. Diese Verbindung des arbeitenden Menschen zur Natur wird in der Forschungsliteratur oftmals als eine „heilige Beziehung“ betitelt und gleichzeitig wird versucht, die dem Bild inhärente Religiosität zu ermitteln. Auch noch lange nach Millets Lebzeiten kann den 1857 entstandenen Ährenleserinnen der „Rang eines tief verehrten Heiligenbildes“ abgelesen werden. Im Laufe der Geschichte hat sich dieses Werk zum Arbeitsbild par excellence entwickelt. Die Menschen finden bei ihm besondere Beachtung und werden von Millet durch die Komposition, die Mimik und einer teils heroischen Darstellung überhöht. Exemplarisch sind hier Der Sämann von 1850 als auch der Mann mit der Haue von 1863 zu nennen. In Letzterem hat Millet die Anstrengung der Arbeit, die schon mit Schmerzen verbunden scheint - die Haltung des Mannes ist erstarrt und sein Gesicht verzerrt - wohl am deutlichsten herausgestellt, was zur Folge hatte, dass die öffentliche Kritik vernichtend ausfiel. Dass diese Art der Malerei politische Tendenzen offenbaren und sie ihm den Vorwurf einbringen würde, Sozialist zu sein, war sich Millet durchaus bewusst. An seiner künstlerischen Ausrichtung änderte dieses jedoch nichts. Dem Milletschen Bildtypus folgten, wenn auch in teils abgeschwächter Form einige französische Maler wie Jules Breton, Jules Bastien-Lepage und Léon L’Hermitte.

Als „Vater des Realismus“ hingegen ist nicht Millet sondern sein Landsmann Gustave Courbet in die Kunstgeschichte eingegangen. Der gänzlich sozialistisch motivierte französische Maler prägte als Erster den Begriff des Realismus. Courbet sprach er sich bewusst gegen den allgegenwärtigen und kunstbeherrschenden Idealismus aus und proklamierte für sich selbst, dass er nur noch das darstellen werde, was er sehen und anfassen kann. In seiner Thematik war Courbet nicht so eingeschränkt wie Millet, da auch Landschaften und Porträts zu seinen Bildmotiven gehörten. Die Arbeit als zentrales Thema des Realismus war jedoch auch bei Courbet von erheblicher Relevanz.

Die sichtbare Wirklichkeit möglichst naturgetreu abzubilden war auch das Ziel Courbets. Er äußerte sich in einem Brief aus dem Jahre 1861 über den Realismus und die von ihm abgelehnte Historienmalerei folgendermaßen: „Ich halte auch dafür, daß die Malerei ihrem Wesen nach eine konkrete Kunst ist und einzig in der Darstellung der wirklichen und vorhandenen Dinge bestehen kann.“

Courbet stammte aus einer ländlichen Gegend in Lothringen und blieb seiner Herkunft thematisch treu. Im Jahre 1839 zog er nach Paris, wo er auch an Salonausstellungen teilnahm. Zunehmend gerieten seine Werke dort jedoch in die Kritik. Courbet schuf ein Selbstportrait, in dem er hemdsärmelig durch ein Feld marschiert, er zeigte die Dorfbewohner seines Heimatortes Ornans bei einem Begräbnis und bezeichnete das Werk, sich über die etablierten Gattungsgrenzen hinwegsetzend, als Historienbild, wobei es eigentlich als Genrebild hätte eingeordnet werden müssen. An der Akademie galt das Malen von realistischen Bildern als schlichtes Abmalen ohne größeren Wert. Der Skandal war vorprogrammiert, umso mehr, als Courbet gerne auf monumentalen Leinwänden arbeitete.

Gustave Courbet, der die realistische Kunst als Selbstbehauptung der Persönlichkeit gegen die akademische Tradition verstand, und sich über seine Vorreiterrolle hinsichtlich dieser Einstellung bewusst war, formulierte dazu: „Der Kernpunkt des Realismus ist die Verneinung des Ideals (…) Bis heute hat dies noch kein Künstler entschieden zu äußern gewagt (…) Indem ich das Ideal so wie alles ablehne, was daraus folgt, gelange ich zur vollen Selbstbefreiung des Individuums bis hin zur Verwirklichung der Demokratie.“. Courbet sieht also die Kunst als Selbstverwirklichung des Individuums, das sich von dogmatischen, hierarchischen Gefügen und einem institutionalisierten Regulativ abgrenzt, und dabei auf ein selbstgewisses Originalgenie setzt. Darüber hinaus wird seine Forderung deutlich - die Kunst mit demokratischen Aufgabenstellungen zu füllen.

Das Schöne, das durch romantisierende Bestrebungen für Courbet vergeblich dargestellt wird, weil es nicht wahr, nicht real gegeben ist, findet er in der Wirklichkeit der Natur mit ihren verschiedensten Erscheinungsformen. Wenn dabei in der Kunst eine Einbildungskraft eine Rolle spiele, dann nur in dem Maße „den vollständigsten Ausdruck einer vorhandenen Sache zu finden, niemals aber darin, diese Sache selbst zu setzen oder zu erschaffen.“ Demnach ist das Schöne, das die Natur hervorzubringen vermag, höher zu bewerten als alle Konventionen, denen ein Künstler verpflichtet zu sein glaubt. Wie die Wahrheit ist das Schöne abhängig von der Zeit, in der man lebt, und vom Individuum, das Kraft seines Wahrnehmungsvermögens, seiner Auffassungsgabe imstande ist, es zu begreifen.

Durch die unmittelbare Gegenwart motiviert, solle das Ergebnis des künstlerischen Schaffensprozesses sich wieder in diese Gegenwart einfügen: „Imstande zu sein, die Sitten, die Vorstellungen, das Gesicht meiner Epoche nach meinem Dafürhalten zu übertragen, nicht nur Maler, sondern auch ein Mensch zu sein – mit einem Wort, lebendige Kunst zu machen, das ist mein Ziel.“ Diese Auffassung Courbets, dass der Künstler in erster Linie ein gewöhnlicher Mensch und kein herausgehobenes Sonderwesen sein solle, stand diametral zur damals verbreiteten Kunstauffassung. Der Ansatz der Individualität des Künstlers, und in diesem Zusammenhang die Ablehnung jeglicher Lehrunterweisung in der Kunst, findet sich an anderer Stelle wider, wo Courbet jegliche Lehrtätigkeit in einem Atelier ablehnt: „Da ich glaube, dass jeder Künstler sein eigener Meister sein muß, kann ich nicht daran denken, mich zum Lehrer aufzuwerfen , (…) denn ich lehne den Kunstunterricht ab.“

Das 1849 entstandene Werk Die Steinklopfer, das der Maler 1851 in Paris ausstellte, kann als richtungsweisendes Werk für seinen Realismus angesehen werden. Die zwei, unter der prallen Sonne, schuftenden Arbeiter in einem Steinbruch, darunter ein Kind und ein alter Mann, lösten in der Kunstöffentlichkeit Entrüstung aus. Einige Besucher versuchten gar, das auffällig großformatige Bild zu beschädigen. Die Anstrengung und Ärmlichkeit und nicht zuletzt die Belastung der Schwachen der Bevölkerung waren Aspekte, die Courbet in seinem Werk verband und in dieser Form dem bourgeoisen Kunstpublikum präsentierte. Das Unverständnis, das Courbet in Paris entgegengebracht wurde, nahm ein Jahrzehnt später in Deutschland einen analogen Verlauf. Auf der Münchner Internationalen Kunstausstellung von 1869 kritisierte die Kunstkritik Courbets Steinklopfer umfassend und warf ihm die „Verherrlichung des Arbeiterstandes“ vor. Die Frage, ob diese Arbeiter überhaupt ein Recht auf Bildwürdigkeit hätten, stand in Frankreich und später auch in Deutschland im Mittelpunkt der Diskussion. Die Ausstellungsbesucher waren derartig drastische Schilderungen und Darstellungen nicht gewohnt, was in erster Linie den vorherrschenden idealisierenden und euphemistischen Bildern geschuldet war. Durch diese Konditionierung des Kunstpublikums überrascht es auch nicht, dass die Wirklichkeit der Realisten nicht anerkannt wurde, sondern vielmehr der Eindruck und der Vorwurf entstanden, sie würden gesellschaftliche Zustände dramatisieren und die abgebildeten Menschen absichtlich hässlich malen.

Sein Gemälde Der Ursprung der Welt aus dem Jahre 1866 war skandalträchtig für die damalige Zeit. Das Bild zeigt eine Nahsicht der behaarten Vulva einer liegenden, nackten Frau mit gespreizten Schenkeln. Der Rest des Körpers ist, mit Ausnahme des Bauches und einer Brust mit Brustwarze, nicht abgebildet. Die naturalistische Darstellung des unverhüllten weiblichen Geschlechts im Zentrum des Bildes wird durch die weichen Linien des seidenartigen Stoffes, der den Körper der Frau zum Teil verhüllt, noch unterstrichen. Der braune Bildhintergrund steht im Kontrast zu der hellen, gleichsam glänzenden menschlichen Haut im Bildvordergrund.

Gustave Courbet malte „Der Ursprung der Welt“ 1866 als Auftragsarbeit für den türkischen Diplomaten und Kunstsammler Halil Şerif Paşa, auch als Khalil Bey bekannt, der neben anderen Aktbildern Courbets auch „Das türkische Bad“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres besaß. Unklar ist, wer die Abgebildete war. Hierfür kommt neben der Geliebten von Khalil Bey vor allem Joanna Hiffernan in Frage, welche Courbet mehrfach als Aktmodell zur Verfügung stand. Während Khalil Bey die anderen Aktbilder seiner Sammlung in seinem Salon auch Besuchern zeigte, hielt er das Bild „Der Ursprung der Welt“ vor Gästen verborgen. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten musste Khalil Bey 1868 seine Kunstsammlung versteigern.

„Der Ursprung der Welt“ ging zunächst an den Antiquitätenhändler Antoine de la Narde. Als Edmond de Goncourt das Bild 1889 in dessen Laden entdeckte, war es hinter einer Abdeckung aus Holz versteckt, die mit dem 1874–1877 entstandenen Bild „Le château de Blonay“ dekoriert war. Der Holzrahmen dieser Darstellung einer Schneelandschaft mit Kirche ließ sich nur mit einem Schlüssel öffnen, wodurch das Bild „Der Ursprung der Welt“ dahinter neugierigen Blicken verborgen blieb.

Der ungarische Sammler Baron Ferenc von Hatvany kaufte das Bild „Der Ursprung der Welt“ 1910 von der Pariser Galerie Bernheim-Jeune und brachte es nach Budapest. Dort verblieb es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Familie lagerte Hatvany 1942 die wertvollsten Bilder seiner Kunstsammlung in verschiedenen Budapester Banktresoren ein. Das Bild „Der Ursprung der Welt“ deponierte er unter dem Namen seines nichtjüdischen Sekretärs János Horváth, wodurch es von den deutschen Besatzern unentdeckt blieb. Nachdem 1945 russische Truppen die Banktresore geöffnet hatten, gelangte „Der Ursprung der Welt“ zunächst auf den Budapester Schwarzmarkt. Von einem Händler gelang es Hatvany 1946, das Bild für 10.000 Forint zurückzuerwerben. Da er das Bild bei seiner Emigration nach Paris 1947 nicht mitnehmen konnte, schmuggelte es kurze Zeit später Claire Spiess nach Frankreich, die Frau seines Neffen. Hier zeigte Hatvany das Bild 1949 dem Kunsthändler Fritz Nathan.

1955 kaufte der Psychoanalytiker Jacques Lacan das Original aus unbekannter Privathand. Er und seine Frau, die Schauspielerin Sylvia Bataille, hängten es in ihrem Landhaus in Guitrancourt auf. Aber auch dort wurde es den Blicken der Öffentlichkeit entzogen: Lacan bat seinen Schwager André Masson, ihm einen verschiebbaren Doppelrahmen dafür zu bauen, der vorn ein anderes Gemälde zeigte. Masson malte daraufhin eine Landschaft, die exakt der Linienführung des Originals folgte. Um den Surrealismus dieser Version zu verstärken, trug es denselben Namen („L’Origine du monde“). Erst mit Lacans Tod 1981 tauchte das Bild wieder auf und gelangte zunächst wieder nach Frankreich. Im Brooklyn Museum in New York City wurde es 1988 erstmals öffentlich präsentiert. Seit 1995 ist es im Musée d’Orsay in Paris ausgestellt.

„Der Ursprung der Welt“ als Bildbezeichnung verweist auf die Doppelnatur des weiblichen Geschlechtsorgans: einerseits als Objekt der sexuellen Begierde und Eingang der Vereinigung, andererseits als Ausgang der Geburt, von wo aus jedes Kind zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt. Insofern ist der Unterleib der Frau der Ursprungsort des Menschen, der jegliche Welterfahrung erst möglich macht. In diesem übertragenen Sinn stellt das Bild den „Ursprung“ alles Existierens, Wahrnehmens und Gestaltens der menschlichen Welt dar. Der Titel wurde vielfach als metaphysische Anspielung aufgefasst. Der Mensch ist in dieser Perspektive der Ursprung der geordneten „Welt“ (monde), im Gegensatz zu der wilden Ursprünglichkeit der „Erde“ (terre). Ist der Mensch Daseinsgrund eines die „Erde“ transzendierenden und beherrschenden Netzes von sozialen Ordnungen und Ortungen, so ist der weibliche Schoß im Wortsinn der „Ursprung der Welt“.

Die „Polarität von Welt und Erde“ diente der deutschen Mystik als Manifestation des Gegensatzes von „Geistig-Seelischem“ und „Physisch-Materiellem“. Die Welt gründet sich auf die Erde und die Erde durchragt die Welt. Der Begriff „Welt“ steht dabei für die „Unverborgenheit des Seienden“ (Aletheia). „Erde“ ist das „zu nichts gedrängte Hervorkommen“ des „ständig Sichverschließenden und Bergenden“. Diesen „Streit zwischen Welt und Erde“, den Martin Heidegger 1936 als „Ursprung des Kunstwerks“ bezeichnen sollte, scheint hier bereits angelegt. Die „Welt“ gilt als Daseinsgrund von „Wahrheit“ und „Wirklichkeit“, der Mensch erscheint somit als deren „Ursprung“. Auch auf die Unverborgenheit des Seienden und Werdenden im Sinne der Aletheia (griech. Wahrheit) könnte die Explizitheit der Darstellung anspielen. Solche verborgenen Motive und Referenzen waren es, die Courbet interessant für die Psychoanalyse machten. Der Doppelcharakter des „Ursprungs“ – einerseits als Ziel aller Sehnsucht, andererseits als Beginn des Lebens.

Die Enthüllung des weiblichen Schoßes als Ursprung der Welt lässt sich in mehrere Richtungen ausdeuten: Bild und Titel können als Erinnerung an den Urzustand vor dem „Sündenfall“, als Adam und Eva nackt waren, ohne sich dafür zu schämen, aufgefasst werden. Nach dieser Lesart will Courbet dem Betrachter den Sinn seiner Menschlichkeit, sein triebhaftes Angewiesensein auf den Anderen, wieder nahebringen. Die Vulva als Enthüllung des Ursprungs aller Dinge kann wiederum große Verehrung für die unverstellte Sexualität ausdrücken. In direkter Schlichtheit wird der Betrachter auf das Wesentliche hingewiesen: Der Zustand vor allem Wissen, aller Reflexion, vor aller Entzweiung und Fremdheit scheint in der sexuellen Vereinigung mit dem dargebotenen Körper zum Greifen nahe. Die Persönlichkeit der Frau – ihr „Gesicht“ – bleibt dem Auge jedoch entzogen. Das Bild wirkt daher wie eine Einladung zum reinen Geschlechtsakt.

„Idealistischer“ Titel und „realistisches“ Bildmotiv stehen unverkennbar in Spannung zueinander. Bei jeder möglichen Deutung – das weibliche Geschlecht als Ort der Lust, Ausgangspunkt des Lebens oder Hinweis auf den Zustand paradiesischer Unschuld – ist der „Ursprung der Welt“ entgegen seiner vordergründigen Enthüllung kein unmittelbar greifbares Objekt. Das Bild zeigt nicht das, was der Titel verspricht: Es ist sinnlich, emotionserregend, konkret in Bezug auf seinen Gegenstand. Es beabsichtigt keine Veranschaulichung eines Begriffs oder einer allgemeinen Abstraktion. Das Spannungsverhältnis zwischen Titel und Gegenstand soll eventuell von der Skandalwirkung des Bildes ablenken und diese mildern: Dann hätte der Titel „verhüllende“ Funktion entgegen dem „enthüllenden“ Inhalt. Andererseits kann die Spannung zwischen Bildtitel und Bildinhalt dessen skandalisierende Wirkung noch verstärken: Der Titel enthält einen universalen Anspruch, lässt eine philosophische oder religiöse Reflexion auf die Gesamtheit der Natur erwarten und regt diese an. Der Inhalt konfrontiert den Betrachter dann tatsächlich mit der Natur: aber eben seiner eigenen, unmittelbaren „Fleischeslust“ und sinnlichen Welterfahrung.

Der Schockeffekt ist vom Maler beabsichtigt: Courbet sah sein ganzes Wirken als Protest gegen überkommene künstlerische Konvention und Dogmatismus. Er suchte diese mit seinen Bildern zu sprengen. Gerade als reine Pornographie hätte das Bild diese Wirkung kaum erzielt. Courbet hat sein Bild so gemalt, dass den Betrachtern gleichfalls ein Blick begegnet. Die halb geöffnete Vulva erblickt den Blick des Betrachtenden, sie blinzelt ihn an. Die Konfrontation mit der konkreten Realität der menschlichen Sexualität ist das offensichtliche Thema des Bildes. Es galt schon zu Lebzeiten Courbets als Wendepunkt in der Geschichte der Malerei und machte nicht nur wegen des anstößigen Motivs in den Pariser Salons die Runde. Danach wurde es – auch weil es niemand mehr zu Gesicht bekam – zu einem Mythos. Die Geschichte seines Verstecktwerdens zeigt, dass es die Tabugrenzen der Kunst verschob.

Auch seit seiner Wiederentdeckung und erstmaligen Ausstellung rief das Bild teilweise heftige Reaktionen hervor. In Feuilletons und Debatten wurde immer wieder der Vorwurf der Pornographie laut: Die Grenzen der Kunst schienen hier überschritten worden zu sein. Die unverhüllte Darstellung der Vulva löst auch heute noch heftige Reaktionen beim Publikum aus. Im Musée d’Orsay wurde deswegen ein Wachmann mit der permanenten Bewachung nur dieses Kunstwerkes beauftragt. So gehören Bildmotiv und das, was unsichtbar-sichtbar außerhalb des Rahmens stattfindet, untrennbar zusammen: Das unverhüllte Geschlecht und die Verhüllung, mit der es umgeben wurde, aber auch die erneute Enthüllung ohne die vorherige Abdeckung zeigen die Aussagekraft des Bildes und gehören zu seiner Wirkung.

Ein Bild mit einem ähnlichen Motiv, das allerdings nicht so heftige öffentliche Diskussionen auslöste, war Die Frau in den Wellen. Courbet zeigt dem Bild Die Frau in den Wellen eine junge Frau, wiedergegeben als Halbakt, badend im Meer. Der Körper fällt zur rechten Seite hin. Sie hat sehr helle, durchscheinende Haut. Die welligen rotbraunen Haare hat die Frau am Hinterkopf hochgesteckt, während ihr ein paar wellige Strähnen ins Gesicht fallen. Die hoch erhobenen Arme kreuzen sich über dem Kopf. Das Wasser scheint um ihren Körper etwas heller, hier treffen die kleinen Wellen des graublauen Wassers auf den Körper und werden durch die vermehrte Sauerstoffeinbettung schaumiger. Die Stimmung wirkt düster, da die Sonne kurz vor dem Untergang steht, am Horizont der rechten Bildhälfte ist der letzte Rest der Abendröte erkennbar, zudem ein weit entfernt fahrendes Boot. Auf der linken Seite ist im Hintergrund ein hoher, die gesamte Seite einnehmender Felsen zu erkennen.

Das Bild gehört zu einer Serie von Aktbildern, die Courbet in den Jahren zwischen 1864 und 1868 schuf, bekanntestes Werk aus der Reihe ist heute Der Ursprung der Welt. Ausgelöst wurde Courbets Vorliebe für Akte durch den Erfolg Alexandre Cabanels mit seinem Bild Die Geburt der Venus, den er beim Pariser Salon 1863 erreichte, zudem durch weitere Erfolge von Aktbildern weiterer Akademiemitglieder. Bei Die Frau in den Wellen ist wie in dieser Zeit sehr häufig Joanna Hiffernan das Modell. Das Bild zeichnet sich einerseits durch großen Realismus aus, andererseits rückt es Thema und Ort auf eine mythologische Ebene. Die Badende wirkt wie die aus dem Schaum geborene Göttin Venus, auch das weit entfernt fahrende Boot hebt das Bild in eine mystische Ebene. Durch den Realismus untergräbt Courbet die Vorstellungen der Zeit und handelt den eigentlichen Sehgewohnheiten zuwider. Die wie echt wirkende Haut und die Wiedergabe von Achselhaar entspricht nicht der Tradition, aus der das Motiv eigentlich kommt und in der es dennoch unverkennbar steht.

Waren auch die Venusdarstellungen anderer Maler kaum mehr züchtig verhüllt, ist Courbets Badende eine unverkennbar freizügige Aktdarstellung, die gewollt sinnlich wirken und durchaus auch provozieren sollte. Ebenfalls 1868 zeigt Courbet ein ähnliches Motiv, bei dem er sein Modell in ähnlicher Pose, aber als liegenden Ganzkörperakt darstellt. Courbet verkaufte das Gemälde 1873 an den Kunsthändler Paul Durand-Ruel, der es 1875 an den Bariton Jean-Baptiste Faure weiter veräußerte. Durand-Ruel erwarb das Bild im Januar 1893 von Faure zurück und verkaufte es noch im selben Monat an den amerikanischen Zuckerfabrikanten Henry Osborne Havemeyer und seine Frau Louisine W. Havemeyer.

Als zwei der von ihm für die Weltausstellung in Paris vorgesehenen Bilder von der Jury abgewiesen wurden, veranstaltete Courbet parallel zum großen Ereignis seine eigene Ausstellung. Unter dem Titel Le Réalisme zeigte er in einem Schuppen nahe des Ausstellungsgeländes seine monumentalen Werke, darunter das Gemälde Das Atelier des Malers. Dieses Bild versah er mit dem aussagekräftigen Titel: „Das Innere meines Ateliers, eine wirkliche Allegorie, die sieben Jahre meines Lebens als Maler darstellt“. Auf dem Bild sind auf dreieinhalb mal sechs Metern sind in einem großen Raum Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten versammelt. Courbet bezeichnete dies mit den Worten: „Die Welt, die zu mir kommt, um sich malen zu lassen.“. Im Zentrum des Bildes sitzt der Künstler vor einer großen Leinwand, auf der er eine Landschaft verewigt hatte. Trotz vieler Kritik wurde Courbet zugleich Anerkennung entgegen gebracht: Emil Zola lobte seinen Stil und verglich den Künstler gar mit Größen wie Veronese, Rembrandt und Tizian. Schließlich wurde Courbet entgegen vielerlei Kritik für sein Werk ausgezeichnet. Auch Wilhelm Leibl, ein Münchner Akademieschüler, war von Courbets Schilderung begeistert. Leibl selbst war mit seinem naturalistischen „Bildnis der Frau Gedon“ aufgefallen. Aus dem Treffen der beiden Künstler entstand eine Sympathie aufgrund ähnlicher Kunstauffassungen. Courbets Darstellungsstil nahm Einfluss auf die künstlerische Entwicklung Leibls, der seine Karriere schließlich in Paris fortsetzte.

Nach Courbets Ausstellung setzte sich die Bezeichnung Realismus für die ungeschönte Wiedergabe der Wirklichkeit durch. Courbets Kunstauffassung schlägt sich in folgendem Zitat nieder: „Sie (die Kunst, M.L.) ist eine ganz und gar körperliche Sprache, die sich anstelle von Worten aus allen sichtbaren Dingen zusammensetzt; ein abstraktes, nicht sichtbares, nicht vorhandenes Ding hat im Bereich der Malerei nichts zu suchen.“

Paul Delaroche zeigte 1824 zeigte im Salon die Bilder «St Vincent de Paule, Préchant devant La Cour de Louis XIII, pour les Enfans Abandonées» und «Jeanne d'Arc, malade, est interrogée dans sa prison par le cardinal de Winchester», die große Anerkennung fanden und ihn mit einem Schlag bekannt machten. In den folgenden Jahren stellte er La mort d'Elisabeth Ire (Der Tod Elisabeths), Les Enfants d’Édouard (Die Kinder König Eduards), Charles Ier insulté par les soldats de Cromwell (Karl I., von den Soldaten Cromwells verhöhnt), Cromwell au cercueil de Charles Ier d'Angleterre (Cromwell in Betrachtung von Karls I. Leichnam), La mort de Lady Jane Grey (Die Hinrichtung der Jane Grey), L'Assassinat du duc de Guise (Die Ermordung des Herzog von Guise) und weitere großformatige Gemälde aus, die Ereignisse vorwiegend der englischen und französischen Geschichte in dramatischer Überhöhung zeigten, oft emotional aufgeladen durch Blick, Mimik und Gestik der Protagonisten. Seine offenkundige Bevorzugung von Hinrichtungsthemen Hochadliger wurde von Zeitgenossen teilweise auch verspottet.

Im Kontext der damaligen Situation aber, noch stark unter dem Einfluss der traumatischen Ereignisse der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und der fortgesetzten Umstürze stehend, verstand sein Publikum die Motive als Sinnbilder der aktuellen politischen Unsicherheit. Ein thematischer Einfluss waren auch die Werke Lord Byrons. 1832 folgte er als mit 35 Jahren jüngstes Mitglied auf den Sitz des verstorbenen Charles Meynier an der Académie des Beaux-Arts. Bald darauf begann er an der École des beaux-arts zu unterrichten. 1837 begann er mit der Arbeit an einem monumentalen Wandgemälde von 27 Meter Länge im Halbrund des Prüfungssaales der École des beaux-arts, in dem auch die Preisverleihungen stattfanden. In der Art von Raffaels Schule von Athen stellte er 75 Maler, Bildhauer und Architekten aller Epochen, die damals als Kanon der bildenden Künste angesehen wurden, gruppenweise in Gespräche vertieft, dar. Dabei zeigte er sie anachronistisch, in der für ihre jeweilige Zeit typischen Kleidung. In der Mitte des Freskos befinden sich Allegorien der Künste und der Kunstepochen. Das Werk beendete Delaroche 1841. 1838 und 1843 unternahm er erneut Reisen nach Italien. 1849 bereiste er Deutschland. Er befand sich in seinen letzten Lebensjahren auf dem Gipfel des Ruhms, 1853 wurde er in einer italienischen Kritik als der bedeutendste der lebenden Maler eingeschätzt.

Paul Delaroches Arbeiten zeigten noch klar den klassizistischen plastischen Ansatz seiner Lehrmeister, aber auch deutliche Einflüsse der Romantik. Sein Pinselstrich ist im Gegensatz zu etwa Delacroix kaum auszumachen, die Konturen sind betont. Delaroche arbeitete sehr akurat, er bereitete seine Arbeiten intensiv vor, zum Beispiel indem er an Wachsmodellen den Schattenwurf überprüfte. Bei der Wahl der Motive ging es nicht unbedingt um die historische Genauigkeit, sondern um geeignete Szenen für die intensive Darstellung der Emotionen. Meist bildete er den Moment unmittelbar vor oder nach einem Ereignis ab. Zum Teil konstruierte er Situationen, wie bei dem Verhör der Jeanne d'Arc durch den Kardinal von Winchester, das es so gar nicht gegeben hatte. Auch die Hinrichtungsszene von Jane Grey im Tower ist ahistorisch, sie fand in Wirklichkeit unter freiem Himmel statt. In seinen letzten Lebensjahren wand er sich zunehmend religiösen Themen und Portraits, auch seiner Familienmitglieder, zu. Zu den von ihm porträtierten Persönlichkeiten gehörten die Politiker und Schriftsteller François Guizot, Alphonse de Lamartine, Charles de Rémusat, Narcisse-Achille de Salvandy und Adolphe Thiers.

Der Maler Thomas Couture gewann Anfang der 1840er Jahre hohes Ansehen, da er die Eleganz der Zeichnung, die der klassischen französischen Schule eigen war, mit einem erhöhten Reiz der Farbe und Schwung der Darstellung zu verbinden wusste; man stand nicht an, ihn als französischen Veronese zu bezeichnen und an sein Auftreten die Hoffnung auf die Entstehung einer großen koloristischen Schule zu knüpfen. Sein Hauptwerk Die Römer der Verfallszeit, das im Salon von 1847 einen Triumph feierte wie kaum je das Werk eines französischen Malers zuvor, wirke ebenso sehr durch die großartige Bravour der Zeichnung wie durch das Kolorit, dessen gedämpfte Glut mit dem Stoff des Bildes harmoniert. Diesem Bild gingen noch einige andere Werke des Meisters voraus, die dieselben Ideen und Vorzüge, wenn auch noch nicht in gleicher Entfaltung, zeigen; so Der junge Venezianer nach einer Orgie, Der verlorene Sohn, Die Liebe zum Gold (gemalt 1844, im Museum von Toulouse) und Der Triumph der Kurtisane.

Sehr bekannt wurde 1855 Der Falkner; doch habe Couture nach seinen Römern der Verfallszeit nichts Bedeutenderes mehr geleistet. Seine Wandmalereien in der Pfarrkirche St-Eustache de Paris, dem Leben der Maria entnommen, seien inhaltlos und manieriert. Dagegen veranlasste seine virtuose Technik einen großen Zulauf von Schülern, auch aus Deutschland, sodass er besonders in den 1850er Jahren ein sehr gefragter Meister war. Zu seinen Schüler gehörten Puvis de Chavannes, William Morris Hunt, Anselm Feuerbach, Édouard Manet, Marcellin Desboutin und der spätere Journalist und Politiker Antonin Proust.

Im Vergleich zu der progressiven Hinwendung zur realistischen Abbildung in Frankreich, kann die Kunstentwicklung in Deutschland gar als reaktionär bezeichnet werden. Hier stellten noch vornehmlich akademisch ausgebildeten Künstler aus und der rigorose Realismus einer solchen Courbetschen Bildsprache schien zunächst noch nicht aufzukommen. Während die Künste zu Beginn des Jahrhunderts noch Gegenstand aristokratischen Interesses waren, wurde der Kunstbetrieb jedoch in dessen Verlauf einem Wandel unterzogen, der diesen drastisch modifizieren sollte. Besonderen Anteil an dieser Entwicklung hatte die aufstrebende Schicht des Bürgertums, die Interesse am Kunstleben zeigte und an diesem partizipieren wollte. Dieses Interesse hatte die Gründung einer Reihe von Kunstzeitschriften sowie die Entstehung zahlreicher Künstlerbiografien und Kunstabhandlungen zur Folge. Neben der intellektuellen Wissbegierde entwickelte sich auch der Wunsch, eigene Kunst zu besitzen, sodass ein durchaus solventes Publikum verstärkt auf den Kunstmarkt drängte. Um Künstler und Kunstinteressenten zusammenzubringen und Kontakte zwischen ihnen herzustellen, wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Kunstvereine gegründet sowie mehrere permanente Ausstellungen ins Leben gerufen.

Die Genremalerei als Ausläufer der Biedermeierkunst erhielt dabei besonderen Zulauf, wobei das ländliche Motiv in seiner Bedeutung über dem städtischen angesiedelt war. Die Stadt, die im 19. Jahrhundert Schauplatz der großen Umbrüche geworden war, litt unter den Folgen der einsetzenden Industrialisierung - mit Armut, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Verschmutzung sind nur einige der sozialen Folgen genannt. Das Leben auf dem Land schien indes von diesen Veränderungen noch weitgehend unangetastet. Die nostalgische „Bauernmalerei“ hatte sich zu einem beliebten Sujet etablieren können, das sich gut verkaufte, ungeachtet der Tatsache, dass diese überwiegend idealisierten bis hin zu phantastischen Darstellungen bäuerlicher Landidylle nicht der Realität entsprachen.

In den Bildern der Bauernromantik existierten weder schwere Arbeit noch eine sichtbare Armut. Die Alltagstätigkeiten, die Feldbewirtschaftung oder Viehhaltung wurden nur selten zum expliziten Bildthema. Dass aus diesem einseitigen Kunstinteresse eine Anpassung der Maler an die Käuferschaft resultierte, ist selbstredend. Motive, Darstellungsweise und nicht zuletzt ein handliches Bildformat waren alsbald auf die Bedürfnisse der Interessenten ausgerichtet. Die Prämisse L’ art pour L’ art konnte das nunmehr verfolgte Motto „Angebot auf Nachfrage“ nicht verdrängen, sodass sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Ausstellungen zu wahren Verkaufsschauen entwickelten. Gegen die öffentliche Meinung und den gängigen Kunstgeschmack konnten nur jene Künstler agieren, die es sich finanziell leisten konnten, unabhängig von den Tendenzen des Kunstmarkts zu bestehen.

Trotz dieser festgefahrenen Situation auf dem Kunstmarkt hatte sich - im Bezug auf das Arbeitsbild - eine neue Tendenz herausgebildet. Während das Genre und das romantisierende Landschaftsbild die fortwährende Industrialisierung bewusst ausklammerten, dokumentierte das Industriebild eben diesen Fortschritt und entwickelte sich parallel dazu, obgleich Industriemerkmale zunächst nur fragmentarisch auftraten. Rauchende Schornsteine sowie Fabrikanlagen nahmen lediglich innerhalb von Landschaftsdarstellungen eine Nebenrolle ein.

Mit der Zeit richtete sich der Fokus aber auch auf die Produktionsstätten an sich. Industriebilder entstanden vor allem als Auftragsarbeiten für große Industriebarone. Namentlich hervorzuheben ist hier der Lokomotivfabrikant Albert Borsig, dessen Fabrik zahlreich gemalt wurde und die daraus entstehenden Bilder exemplarisch für die Entwicklung von Industriebildern dienen können: Bereits 1847 malte Carl Eduard Biermann Borsigs Maschinenbau-Anstalt zu Berlin Die Fabrik ist hier zwar als solche porträtiert, die Arbeit, die in dieser stattfindet, ist aber nur sporadisch auszumachen, beziehungsweise unterschwellig durch rauchende Schlote angedeutet. Ein Jahr später schuf Paul Habelmann für die Leipziger Illustrierte Zeitung eine Bildreportage über die Fabrik. In den Graphiken des Künstlers sind nun auch die Fabrikhallen von innen zu sehen und die zahlreichen Arbeiter bei den Tätigkeiten des Gießens oder Schmiedens dokumentiert.

Die Arbeiter im Detail sind im groß angelegten Gemäldezyklus zur Geschichte der Lokomotive zu sehen, die Paul Meyerheim von 1873 bis 1876 malte. Die Männer in Meyerheims Darstellungen strotzen vor körperlicher Kraft und Energie, was einen Kontrast zu den Werken französischer Realisten darstellt, in denen die Arbeiter von Schmerz und Anstrengung gezeichnet sind. Im Gegensatz zu sozialrealistischen Werken appellieren sie nicht an das Mitgefühl des Betrachters, sondern machen auf den Fortschritt einer Firma oder einer Technologie aufmerksam. Im Eisenwalzwerk von Adolf Menzel wird dieser zusätzlich noch durch das monumentale Format des Gemäldes unterstützt. Industriebilder sind als repräsentative Werke zu betrachten, da sie die Macht der industriellen Auftraggeber als auch den Fortschritt des jungen Kaiserreichs nach 1871 zeigen sollten. Ungeachtet dessen können aber auch diese Arbeitsbilder als realistisch betrachtet werden, obwohl die industrielle Wirklichkeit hier als Fortschritt und Weiterentwicklung positiv konnotiert ist.

Der wichtigste Maler des Realismus in Deutschland war Adoph Menzel. Themen der Gegenwart nehmen in Adolph Menzels Werk einen breiten Raum ein. Er malte die Menschen, unter denen er sich bewegte, also Angehörige des Bürger- und, ab 1861, des Großbürgertums. Dabei gab er wieder, was er sah. In Abkehr von dieser objektivierenden Darstellungsweise lassen sich auf seinen Bildern der besseren Gesellschaft allenfalls hin und wieder gewisse karikaturhafte Züge feststellen. So auf dem bekannten Ballsouper (dargestellt ist eine Festveranstaltung am kaiserlichen Hof): Der Offizier im Vordergrund versucht mit wenig Erfolg, im Stehen Messer und Gabel zu handhaben und dabei gleichzeitig Teller, Glas und Hut zu halten.

Völlig frei von Ironie sind dagegen Menzels Darstellungen von Handwerkern und Arbeitern. Sie drücken den Respekt aus, den der Maler vor ernsthafter, gut gemachter Arbeit gleich welcher Art empfand. In diese Kategorie gehört Das Eisenwalzwerk (1872–1875). Bei dem Bild handelt es sich um eine Auftragsarbeit, jedoch hatte Menzel das Motiv selbst gewählt. Das Eisenwalzwerk gilt als die erste größere Industriedarstellung in Deutschland. Zur Vorbereitung des Bildes reiste Menzel ins schlesische Königshütte, in die damals –nach dem Ruhrgebiet– modernste Industrieregion Deutschlands. In einem dortigen Walzwerk fertigte er etwa hundert Detailzeichnungen an, die als Grundlage für das spätere Gemälde dienten. Dargestellt ist die Herstellung von Eisenbahnschienen. Menzel zeigt aber nicht nur den Produktionsprozess selbst. Vorne rechts verzehren Arbeiter das Essen, das eine junge Frau (die als einzige Figur den Blick zum Betrachter gewendet hat) gebracht hat. Links sieht man sich waschende Arbeiter, und im linken Hintergrund den Ingenieur oder Werksleiter (mit rundem Hut), der die Arbeiter und den Produktionsablauf überwacht.

Schon bald nach seiner Fertigstellung erhielt das Bild den Beinamen Moderne Cyclopen. Cyclopen sind in der griechischen Sage die Gehilfen des Schmiedegottes, die im Inneren der Vulkane Blitze sowie die Waffen der Götter schmieden. Offenbar hielt man eine mythologische Überhöhung für notwendig, um dem Publikum das neuartige Thema schmackhaft zu machen. Die Zeitgenossen begriffen das Gemälde, entsprechend der Fortschrittsgläubigkeit der Epoche, als ein Sinnbild für die unbegrenzten Möglichkeiten der modernen Technik. Später ist es gern als eine Anklage gegen die elende Situation der Arbeiterschaft interpretiert worden. Dagegen spricht, dass Menzels Arbeiter als selbstbewusste Individuen erscheinen, die stolz sind auf ihre Fähigkeiten und den Wert ihrer geleisteten Arbeit. Zur Entstehungszeit des Bildes steckte der soziale Gedanke noch in den Anfängen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Menzel heimlich mit den Ideen der entstehenden Arbeiterbewegung sympathisiert hat. Er malte, was er sah, und das waren in diesem Fall eben auch die harten Arbeitsbedingungen in der Industrie.

Für Menzel war die realitätsgetreue Darstellung auch kleinster Details ein wichtiges Anliegen. Darüber hinaus weist aber besonders das Werk seiner reiferen Jahre eine Reihe von charakteristischen Stilmerkmalen auf. Vielleicht war Menzels Streben nach größtmöglicher Wirklichkeitstreue ein Grund für die Detailfülle, die viele vor allem seiner späteren Bilder auszeichnet: Pariser Wochentag (1869), Piazza d’Erbe in Verona (1882–1884), Brunnenpromenade in Kissingen (1890), Frühstücksbuffet der Feinbäckerei in Kissingen (1893). Jedoch verbindet in diesen Bildern die verwirrende Menge der Personen und der Einzelheiten sich nicht zu einem harmonischen Ganzen; jedes Element bleibt autonom, wodurch der Eindruck des Chaotischen ebenso erzeugt wird wie der der Isolation und der in verschiedenste Richtungen strebenden Dynamik. Auch weisen die Bilder kein Zentrum auf, das den Blick und die Aufmerksamkeit des Betrachters festhalten könnte. Diese Malweise zeigt die „Unmöglichkeit, die Welt als harmonische Einheit zu erfassen“. Der Eindruck der Isolation wird verstärkt dadurch, dass die Personen auf diesen Bildern meist nicht nur in keiner kompositorischen, sondern auch in keiner Handlungsbeziehung zueinander stehen: Sie blicken aneinander vorbei, kein Gespräch findet statt, jeder ist mit seinen eigenen Dingen beschäftigt.

Darüber hinaus wählte Adolph Menzel gern Bildausschnitte, die wie zufällig wirken und dadurch an die Schnappschüsse eines Fotografen erinnern, in Wirklichkeit aber sorgfältig arrangiert sind. Auf diesen Bildern werden Gegenstände und Menschen manchmal fast gewaltsam von den Bildrändern abgeschnitten. Ein Beispiel ist die Brunnenpromenade in Kissingen: Das Gemälde zeigt im Vordergrund eine Hand, die einen an der Leine ziehenden Hund hält; der dazugehörige Arm aber und der Rest der Person sind dem Bildrand zum Opfer gefallen.

Impressionismus

Beim Impressionismus ist ein Mangel an klaren, fest umgriffenen Formen zu beobachten. Die Umrissformen der Objekte werden gezielt verwischt. Die Künstler stellten erstmals Farbigkeit von Schatten heraus. Es wurden ungebrochene Primär- und Sekundärfarben verwendet und auf der Leinwand gemischt, um der Helligkeit natürlicher Beleuchtung nahe zu kommen. Die Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie deren Komplementärfarben Grün, Lila und Orange wurden mit kurzen Pinselstrichen nebeneinander gesetzt. Somit entsteht erst bei angemessener Betrachtungsentfernung ein Bildeindruck. Der Impressionismus erforderte auch Schnelligkeit, die die Absicht des Festhaltens momentaner Eindrücke verlangte. Somit bevorzugten die Impressionisten die Technik der Skizze. Die Perspektivenwirkung fiel weg und die Flächigkeit wurde betont. Die Impressionisten stellten den augenblicksgebundenen natürlichen Eindrucks eines Objektes dar. Milchfarben und lichte Töne wurden verwendet; dadurch entstand ein sinnlicher Eindruck. Der fragmentierte Pinselstrich war jedoch wesentlich mehr als ein bloßes Mittel zum schnelleren Malen. Durch geschicktes Ausnutzen von Kontrasten und Komplementärfarben gelang es den Impressionisten, mit dieser Technik die Leuchtkraft und Farbintensität ihrer Bilder ganz wesentlich zu steigern. Indem sie so ihre Aufmerksamkeit dem Licht und der Farbe selbst mit ihren gesetzmäßigen Wirkungen widmeten und nicht mehr dem Motiv, schufen sie eine bis dahin unerhört helle, lichtdurchflutete Malerei, die im völligen Gegensatz zur dunklen, von Schwarztönen dominierten akademischen Malweise stand.

Im Zusammenhang mit dem Malen in freier Natur steht auch die Prima-Malerei , deren Signifikanz darin bestand, das Werk in einem Arbeitsgang zu vollenden. Wurden die Gemälde normalerweise grundiert und exakt vorgezeichnet, änderte sich diese Vorgehensweise nun grundlegend. Die neue Maxime hieß, das Gemälde in einem Zug und mit der endgültigen Fassung auf die noch weiße Leinwand zu bringen. Auch diese Vorgehensweise unterliegt dem Grundsatz des Impressionismus, den Augenblick festzuhalten, den bestimmten Moment, der von der Natur mit allen ihren Farben und Formen wahrgenommen wird. Um diesen einzigartigen Augenblick so auf das Papier bringen zu können, wie er sich dem Betrachter in diesem Moment darstellt, sollte eine Vorzeichnung oder Überarbeitung eigentlich hinfällig machen. Dennoch kam es trotz aller Bemühungen nicht selten dazu, dass der Arbeitsgang unterbrochen werden musste und das Werk korrigiert wurde.

Eine weitere Eigenschaft des Impressionismus ist die charakteristische flüchtige Zeichentechnik, die Spontaneität und Unmittelbarkeit zum Ausdruck bringt. Da die Motive in der freien Natur ständigen Änderungen der Licht- und Schattenverhältnisse und verschiedenen Bewegungen, beispielsweise durch den Wind, unterworfen sind, sollte nur der flüchtige und transitive Augenblick festgehalten werden. Um diesen Eindruck der Unmittelbarkeit wiedergeben zu können, war eine „artistische Maltechnik“ nötig, denn nur durch jahrelanges Training konnte es gelingen, die Malzeit so zu verkürzen, dass man auch mit flüchtigen Phänomenen, wie beispielsweise dem von den Tageszeiten abhängigen Lichteinfall, mithalten konnte . So kristallisierte sich die Stricheltechnik heraus, die geprägt ist von spezifische Pinselstriche- oder Punkte, die einzelne optische Eindrücke wiedergeben. Auch die Nuancierung der Farben spielt hier eine große Rolle: die Farben werden nicht, wie es sonst in der Malerei üblich ist, mit weiß oder schwarz gemischt, sondern ihnen wird eine individuelle Note verliehen, um so das Bild in der Gesamtheit zu schaffen. Eine harmonische Synthese des Gemäldes kann deshalb nur gelingen, wenn die minimalistisch aufgetragenen einzelnen Nachbarfarben zusammen in Einklang gebracht werden können.

Eugène Delacroix zählt in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts neben Louis André Théodore Gericault zu den führenden Vertretern einer neuen künstlerischen Strömung, die als „Romantische Schule“ in Frankreich bekannt wird. Delacroix entwickelt zum wichtigsten geistigen Wegbereiter des Impressionismus in Frankreich. Der sterbende Mensch und das Erlöschen des Lebens bilden Delacroix` Grundthematik in seiner existentiellen künstlerischen Auseinandersetzung in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts. Im Bild „Das Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 thematisiert Delacroix explizit Zerstörung und Tod mit einhergehender Trauer und schmerzhaftem Leid inmitten eines Kriegsschauplatzes. Hier reiht sich das Gemälde „Der Tod des Sardanapal“ ein. Dargestelltes wird zum psychologischen Spiegelbild des Malers und des Betrachters.

Das Gemälde „La mort de Sardanapale“ des französischen Malers Eugène Delacroix zählt zu den brisantesten Bildern der Kunstgeschichte. Es entsteht 1827 in Frankreich an der Schwelle zwischen Klassizismus und Romantik. „Der Tod des Sardanapal“ bezieht sich auf Byrons Drama „Sardanapalus“ aus dem Jahr 1821 und zeigt das Ende des assyrischen Herrschers Sardanapal dessen Palast von Aufständischen belagert wird. In seiner Erwartung der bevorstehenden eigenen Ermordung durch die Eindringlinge lässt Sardanapal alle seine Reichtümer zerstören und seine Frauen umbringen.

Das großformatige Gemälde fügt sich in den Kontext einer sich herausbildenden romantischen Schule Frankreichs, bei der die subjektiven psychischen Zustände des Künstlers in sinnbildlichen Aspekten wie Hölle, Nacht und Traum zum Anlass und zum Thema künstlerischer Auseinandersetzung werden um dabei den idealisierten Helden aus dem formalen und inhaltlichen Bildzentrum zu vertreiben. Das Bild benennt die Geburtsstunde einer Malerei, bei der die Farbe selbst konkreter wird und zum Bildausdruck bzw. Bildinhalt heranwächst. Der klassizistische, plastisch theatralische Bildraum[2] und seine illustrative Gegenständlichkeit werden im Werk von Eugène Delacroix in radikaler Weise zu Gunsten der bevorzugten Rangstellung der Farbe zerstört. Die Bilder „Dante-Barke“ von 1822 und das „Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 gehen dem Bild „Der Tod des Sardanapal“ voraus. Parallel dazu entstehen Delacroix` „Faust Illustrationen“ in den Jahren 1824 bis 1827. Etwas später malt er „Die Freiheit führt das Volk“.

Nachdem „Der Tod des Sardanapal“ 1827 im Salon auf großes Entsetzen und kollektive Ablehnung stößt, wird das Bild erst wieder 1862 ausgestellt und schließlich 1921 vom Louvre in Paris angekauft, wo es heute zu sehen ist. Im Bild „Das Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 thematisiert Delacroix explizit Zerstörung und Tod mit einhergehender Trauer und schmerzhaftem Leid inmitten eines Kriegsschauplatzes. Hier reiht sich das Gemälde „Der Tod des Sardanapal“ ein. Dargestelltes wird zum psychologischen Spiegelbild des Malers und des Betrachters.

Delacroix sucht nach den verborgenen, dunklen Seiten des eigenen Ichs und der Seele des Körpers. Er untersucht eine schwarze Welt und die Verstrickungen der eigenen Psyche mit allen Widersprüchlichkeiten wie Erotik und Schmerz, Macht und Hingabe, Lust und Leid, Leben und Tod. Die eigene Psyche treibt den Maler Delacroix zum künstlerischen Umgang mit Farbe. Subjektive Betrachtungsweisen unter dem Gesichtspunkt der Erotik zeigen, dass es im „Tod des Sardanapal“ darum geht, die eigenen Begierden, die eigene Lust im Bild zuzulassen und sie als Antrieb und Thema künstlerischer Arbeit zu akzeptieren.

In dunkel anmutenden Sinnbildern von Hölle, Nacht und Traum entwickelt Delacroix im „Tod des Sardanapal“ vor einem „Schwarzthema“ leuchtende Farben, indem er sie aus dem Dunkel des Hintergrundes, wie aus dem Nichts, malerisch über Grauabstufungen nach vorn heraus treten lässt. Es entfalten sich intensive aufregende Farbwelten durch das kontrastreiche Gegenüber von Licht und Dunkel, in der Entsprechung von Leben zu Tod und anderen Gegensätzlichkeiten unterbewusster Ängste die interpretiert werden können. Die Farbe wird dabei zum eigentlichen Argument des Bildes. „Der Tod des Sardanapal“ setzt sich in diesem Aspekt eindringlich von dem etwas früher entstandenen Gemälde „Das Floß der Medusa“ von Jean Louis André Théodore Gericault aus den Jahren 1818 und 1819 ab, da es die dreidimensionale Illusion des Gegenstandes innerhalb eines plastisch angelegten Tiefenraumes negiert um zu einem malerischen Bildraum in der Fläche vorzudringen, also die konkret gemalte Farbigkeit an der Oberfläche und ihre innewohnende Dramaturgie, aufzuzeigen.

Eugène Delacroix selbst verwendet die Metapher des „Massakers“. Er nimmt Bezug zu seinem früheren Gemälde „Das Massaker von Chios“ und bezeichnet das Bild „Der Tod des Sardanapal“ als sein „Massaker Nr.2“. Zunächst benutzt er diese Metapher angesichts der extrem negativen Aufnahme des Bildes beim Publikum während der Ausstellung im Salon von 1827, um seinen Selbstzweifel zu benennen. Die öffentliche Meinung spricht vom „Ende alles Romantischen“. Darüber hinaus ist das „Massaker“ in erster Linie ein von Delacroix bewusst verwendetes künstlerisches Mittel um der angestrebten Zerstörung einer veralteten Kunstauffassung Ausdruck zu verleihen. Strenge klassizistische Kompositionsprinzipien innerhalb etablierter, idealisierter Heldenbilder haben kein Potenzial weil sie artig und nicht brisant genug sind. Nur durch deren Überwindung können neue gestalterische Wege gefunden und mit modernen inhaltlichen Problematiken verknüpft werden.

Delacroix hinterfragt andere zeitgenössische künstlerische Standpunkte seiner Zeit radikal. Er entwirft psychologisch komplexe Gestalten in denen die dunkle Seite dominiert und benutzt keine vorgefundenen, gesellschaftlich sanktionierten Vorbilder oder Idealgestalten: Der Held weicht in den Hintergrund. Delacroix deckt neue Ausdrucksformen auf um letztlich individuelle Konfliktpotenziale mit gesellschaftlichen Spannungspotenzialen zu vereinen. Gegensätzlichkeiten werden jetzt zum Bildthema.

Das Gemälde schwankt zwischen erotisch-intimen Aspekten und der Darstellung eines historischen Ereignisses, der Belagerung des Palastes des Sardanapal, hin und her. Der Schrecken einer Untergangsstimmung und die Schönheit des Rausches einer nächtlichen Orgie begegnen sich in zwiespältig dramatischer Gegensätzlichkeit im Bild. Eine gewalttätige Szenerie mit dem Ineinander von Erotik und Gewalt löst ein bildzentrales Chaos aus. Hingabe und Zerstörung bestimmen das monumentale Gemälde. Hier wird das Motiv des Orients benutzt, weil freie Erotik und Sexualität in einer Kanalisierung von familiärer Ehe, unter dem Druck der Moralvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft, nicht möglich sind. Der Orientalismus ermöglicht hier ein gemeinschaftlich akzeptiertes Spiegelbild der westlich-europäischen Gesellschaft zu gestalten, weil der Orient als etwas Fremdes angesehen werden kann.

Am 29.4.1874 schrieb der Kunstkritiker Jules Castanary in der Zeitung Le Siecle folgendes: „Sie sind Impressionisten in dem Sinn, daß sie nicht eine Landschaft wiedergeben, sondern die von ihr hervorgerufenen Sinneswahrnehmung.“ Dabei bezog er sich auf eine Ausstellung der Künstler Camille Pissarro, Claude Monet, Alfred Sisley, Auguste Renoir und Berthe Morisot. Erst zwei Jahre zuvor hatte Monet der künstlerischen Richtung zu ihrem Namen verholfen. Auf einer Ausstellung nach dem Titel eines Werkes gefragt, das eine Hafenansicht im Nebel zeigte, antwortete der Maler, es handele sich einfach um eine Impression, einen Sinneseindruck.

Nicht nur an dem einfachen Motiv, auch an der Technik und insbesondere an der Skizzenhaftigkeit des Werkes störten sich Publikum und Kunstkritiker. Zusammen mit diesem Bild stellte Monet im Jahre 1874 den Boulevard des Capucines aus, von dem zwei Fassungen existieren. Mit einzelnen Pinselstrichen sind Häuser, Bäume und Menschen wiedergegeben. Eine eindeutige Perspektive ist nicht erkennbar, ebenso wenig sind die dargestellten Figuren durch Konturen abgegrenzt. Zwei Herren mit Zylinder, die auf einem Balkon stehen, verschwinden größtenteils am rechten Bildrand. Formen und Bildraum lösen sich nur durch farbliche Kontraste aus der Fläche. Monets Anliegen war es dabei, den flüchtigen Eindruck des Lichtes und das Farbenspiel in der Natur zu einer bestimmten Tageszeit wiederzugeben. In kurzen Pinselzügen trug er reine, ungemischte Farbe auf die Leinwand auf. Dabei griff er zurück auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen der Beobachter in der freien Natur weniger eine einzelne Gegenstandsfarbe ausmacht als ein Gemisch von Farbtönen, die sich erst im Auge zu Flächen formen.

In skizzenhafter Malweise die Stimmung eines kurzen Moments zu zeigen, was allerdings nicht nur Monets Anliegen. Schon Mitte der 1860er Jahre malten Frédéric Bazille, Auguste Renoir und Alfred Sisley zusammen mit Monet im Wald von Fontainebleau Landschaften, in denen sie den Wechsel des Lichts festhielten. Die Aufwertung der Landschaftsmalerei trug dazu bei, dass sich das Malen in freier Natur größerer Beliebtheit erfreute. Monet zeigte in seinen Bilderserien auch die verschiedenen Stimmungen, die durch die Brechungen des Lichts entstanden. Seine gewählten Motive waren vielfältig: die Kathedrale von Rouen, Seerosen oder ein einfacher Heuschober. Einige Bilder von Monets Künstlerkollegen zeigen ihn beim Malen in der freien Natur, etwa in seinem Garten in Giverny, wo auch die Seerosen-Bilder entstanden.

Die impressionistischen Künstler haben aber nicht ausschließlich unter freiem Himmel gemalt. Diese Möglichkeit der Ölmalerei unter freiem Himmel bot sich überhaupt erst durch eine technische Neuerung: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten die Künstler Ölfarben in Tuben kaufen und waren nicht mehr auf das aufwendige Mischen von Bindemitteln und Pigmenten angewiesen.

Für die Impressionisten war jede Veränderung der Lichtstimmung von Bedeutung, die Tageszeit, die Jahreszeit, die Wetterlage ergaben jeweils neue Ansichten desselben Motivs und deren Wiedergabe war vor allem eine Frage der Farben. 1890/91 entstand eine Serie mit einem im ländlichen Gebiet alltäglichen Motiv, dem aufgetürmten Heu auf den Wiesen. In Claude Monets Gemälde Heuhaufen im Spätsommer herrscht ein goldgelben Grundton mit bläulichem Schatten vor. In seinem anderen Werk Verschneite Heuhufen im Winter verwendet er kalte Farbtöne, doch auch der von der blassen Wintersonne beleuchtete Schnee hat blaue Schatten.

Die Metropole Paris übte auch eine große Faszination für die Künstler des Impressionismus aus und bot ihnen zugleich unzählige Motive und Studienobjekte. Auguste Renoir liebte es, gesellschaftliche Anlässe wie Ballabende und Volksfeste darzustellen, während das Treiben auf den Straßen und Boulevards, flanierende Menschen und Passanten sowie die Lichter der Großstadt, das Thema zahlreicher Studien Camille Pissarros wie in dem Bild Boulevard Montmartre bei Nacht aus dem Jahre 1897 war.

Die Seine-Landschaft mit ihrem langen und gewundenen Flussverlauf, bot den impressionistischen Künstlern die Möglichkeit, das Spiel der Farben und die Reflexe des Wassers in allen Variationen zu studieren. Monet mal 1869 das Gemälde La Grenouillere, das dafür als Beispiel dienen kann. Die Pariser Bevölkerung liebte es, die Sonntage im Freien zu verbringen, in öffentlichen Parks und Gärten oder bei den zu jener Zeit sehr beliebten Regatten. Die impressionistischen Maler bannten einfach das auf die Leinwand, was sie sahen. Sie fanden bei diesen Anlässen unzählige Motive und Sujets für ihre Bilder.

Das Interesse der Impressionisten galt neben dem Licht, der Landschaft und der Atmosphäre auch den Szenen aus dem Alltag und den diversen Vergnügen im gesellschaftlichen Leben. Edgar Degas bevorzugte in seinen Werken als Hauptmotiv die menschliche Figur in Bewegung und stellte sie vor allem in Innenräumen dar. Das klassische Ballett erfreute sich auch in Paris zu jener Zeit großer Beliebtheit. Degas malte daher unzählige Schülerinnen in duftigen weißen Kostümen auf der Bühne oder während des Tanzunterrichtes. Das Werk Tanzstunde aus dem Jahre 1879 gibt dies beeindruckend wieder. Eine weitere Leidenschaft der Pariser Bevölkerung war der Gesellschaftstanz. Ballabende und Volksfeste verzeichneten einen unerwartet großen Zulauf. Sie sind das Thema dreier großer Gemälde von Renoir, wo glückliche und heitere Menschen dargestellt werden.

Von seinem Boot aus malte Monet bevorzugt Flusslandschaften, die er dann nachher häufig in seinem Atelier überarbeitete. Der Pariser Maler Edouard Manet hielt im Jahre 1874 Monet mit Camille in seinem Atelier-Boot auf Leinwand fest. Der junge Maler wurde von berühmten Künstlern wie Franz Hals, Diego Velázquez, Tizian, Tintoretto, Goya und Delacroix beeinflusst. Dieser Bann macht sich in seinen Werken motivisch und maltechnisch bemerkbar. Er kopierte diese Gemälde meist aus dem Louvre oder auf ausgedehnten Auslandsreisen nach Deutschland, Österreich, Italien, Niederlande und Spanien. 1856 bezieht Manet mit einem Freund sein erstes Atelier in Paris. Er malte Genrebilder, auf denen er das Alltagsleben der armen Menschen darstellte. Aber in dieser Zeit entstanden auch Kaffeehausszenen und Stierkampfszenen. 1859 versucht er das erste Mal im Salon auszustellen, doch Manets Bilder werden abgelehnt, weil seine Bilder zu realistisch sind, wie zum Beispiel „Der Absinthtrinker“. 1860 richtet er sich ein neues Atelier ein und bezieht gemeinsam mit seiner Frau Suzanne und seinem Sohn eine Wohnung. 1861 wird das erste Bild von Manet im Pariser Salon ausgestellt. Mit einer Auszeichnung für das Bild "Gitarrenspiel", bekam er die ersehnte Bestätigung als Künstler. Ein Jahr darauf stirbt sein Vater und Manet wird durch sein Erbe reich. 1863 wollte der Künstler wieder im Salon ausstellen und stößt wiederum auf Ablehnung.

Daraufhin werden seine Bilder im Salon des Refusés ausgestellt, wo abgewiesene Maler ihre Kunstwerke präsentieren können. Das Gemälde „Frühstück im Grünen“ (1861) verursacht einen großen Skandal und Entrüstung. 1865 stellt Manet weitere Bilder aus, unter ihnen lösen seine Gemälde die "Verspottung Christi" und die "Olympia" erneut Empörung aus. Im gleichen Jahr reiste Manet nach Spanien. Außerdem besucht er das Café Guerbois, wo er sich mit jungen Pariser Malern trifft, wie zum Beispiel Nadar, De Nittis, Fantin-Latour, Bazille, Degas, und Monet. 1867 wird Manet von der Pariser Weltausstellung ausgeschlossen und so macht er seine eigene Messe, aber nicht mit dem erhofften Erfolg. Seine Bilder anlässlich der Erschießung Kaiser Maximilians 1869 in Mexiko werden verboten.

Die Jahre darauf zeigt er einige Gemälde wie zum Beispiel das „Porträt Zolas“ und „Frühstück im Atelier“ im Salon. 1870 geht Manet freiwillig zur Nationalgarde im Deutsch-Französischen Krieg. Manet verkauft Bilder und stellt im Salon aus, mit einigen Gemälden hat er große Erfolge. Durch die Beeinflussung von Claude Monet beschäftigte sich Manet mit der Freiluftmalerei. Er holte sich Anregungen für Lichteffekte und Farbkombinationen. Die Konsequenz daraus war, dass er eine freundlichere, lockere und sanftere Pinselführung entwickelte. Seine Farbpalette hellte sich auf und seine Themen wandelten sich von Landschaften, Alltagsszenen bis hin zum Stillleben. Er verstand es eine große Farbfläche aufzulösen und somit die Zweidimensionalität zu unterstreichen. Manet löste sich in seinen Bildern von dem perspektivischen und leitete somit ein Teil der modernen Kunst ein. Er wird auch als Bahnbrecher des Impressionismus genannt. Manet selbst bezeichnete sich nie als Impressionist und hatte sich den jungen Künstlern nur freundschaftlich angeschlossen. Er lehnt sogar eine Teilnahme an der ersten Gruppenausstellung seiner Freunde ab. Aber für die jungen Maler war Manet ein Vorbild und so hatte er großen Einfluss auf die Entwicklung des Impressionismus.

1876 gibt es erste Anzeichen einer Rückenmarksschwindsucht, welche als solche nicht erkannt wird. Trotz seiner Erfolge in den vergangenen Jahren, werden 1877 einige Kunstwerke immer noch zurückgewiesen und nicht zur Ausstellung zugelassen, wie zum Beispiel der „Nana“. So bleibt Manet stets umstritten. Doch die Weltausstellung 1878 in Paris und auch Jahre später in New York und Boston sind große Erfolge gewesen. Er bekommt auf einige Bilder Medaillen und wird zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

Seine Krankheit zwang ihn auf das Malen im Freien zu verzichten. Manet beschäftigte sich also mit der Pastell-Technik und der Miniaturmalerei, welche ihm noch ermöglichten weiter zu malen. Damals entstanden sehr viele Porträts, die in der Öffentlichkeit mit großer Begeisterung aufgenommen wurden sind. Außerdem entstanden emotionale und empfindsame Gemälde, wie zum Beispiel die „Blonde Frau mit entblößten Brüsten“ (1878).

Manet malte im Sommer 1874 zusammen mit Monet und Renoir im südlich von Paris gelegenen Argenteuil. Unter dem Einfluss von Monet nahm Manet die impressionistische Malweise auf. Er verzichtete auf eine Modellierung seiner Figuren mit Licht und Schatten und wandte sich starken Farbkontrasten zu Auch der Maler vor seiner Leinwand ist nur durch die hellen Farben seiner Kleidung abgegrenzt. Die Darstellung von Figuren im Freien erforderte eine schnelle Arbeitsweise, da sich die Lichtverhältnisse im Gegensatz zum Atelier rasch veränderten. Der Fluss zum Beispiel ist in Manets Arbeiten mit breiten Pinselstrichen in Blau, Weiß- und Gelbtönen zusammengesetzt, die die Brechung des Lichts dann wiedergeben. Manets Herkunft aus dem französischen Großbürgertum gestattete ihm größere Freiheiten. Er nahm an keiner der insgesamt acht Impressionistenausstellungen zwischen 1874 und 1886 teil, reichte ganz im Gegenteil viele seiner Bilder zu den Salonausstellungen ein. Sein Bild von Monet im Atelier-Boot stellte einen Wendepunkt in seinem Schaffen dar, denn seit dieser Zeit malte Manet auch oft in freier Natur.

Der Versuch, das künstlerisch wiederzugeben, was man sieht, nicht das, was man weiß, erstreckte sich nicht nur auf die freie Natur: Paris mit seinen Boulevards und Plätzen, Cafés und Varietés voller Menschen, mit Parks, Bahnhöfen oder Pferderennbahnen bot ebenso zahlreiche Motive. Auch die Wiedergabe von Bewegung faszinierte viele Impressionisten, nicht nur in Frankreich. In den deutschen Kunstzentren Berlin und München malten Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth im impressionistischen Stil.

Die deutsche Variante des Impressionismus fand ihren geistig - künstlerischen Höhepunkt in den 1890er Jahren, also 20 Jahre später als in Frankreich, doch lassen sich die Folgeerscheinungen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beobachten. Anders als der französische Impressionismus, der sich bei erster Betrachtung als eine weitgehend homogene, auf Paris und dessen Umgebung konzentrierte künstlerische Bewegung darstellt, ist der deutsche Impressionismus stärker an einzelne Künstlerpersönlichkeiten gebunden. „In Deutschland gab es durch das Gefüge zahlreicher Einzelstaaten keinen Zentralismus, die Akademien waren der Verfügungsgewalt und damit auch dem Geschmacksurteil des jeweiligen Regenten unterstellt. Im Zuge der deutschen Reichsgründung 1871 und der Ernennung von Berlin zur Reichshauptstadt bildete sich dort in den 1890er Jahren ein neues kulturelles Zentrum heraus, das der alten Hauptstadt der Kunst, München, den Rang abzulaufen begann.“

Auch aus den anderen Kulturmetropolen, neben München waren dies vor allem Dresden und Düsseldorf, wanderten damals zahlreiche avantgardistisch orientierte Künstler nach Berlin ab. Dies galt ebenfalls für das impressionistische Maler Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt, die im Rahmen der Berliner Sezession eine fast schon missionarische Tätigkeit für die neue Malerei entfalteten. Die Gemeinsamkeiten der einzelnen Vertreter des deutschen Impressionismus sind weniger klar und umfangreich als die der französischen Impressionisten. Vergleichbar ist vor allem die seit den 1890er Jahren bei den deutschen Malern skizzenhafte Technik wie auch die Vorliebe für die Freilichtmalerei, die allerdings in Deutschland auf ganz eigenen Vorbedingungen beruhte.

Darüber hinaus stellte der Impressionismus für viele deutsche Künstler lediglich ein kurzes Durchgangsstadium dar. „Die deutschen impressionistischen Maler kamen überwiegend aus dem naturalistischen Lager. So wirkt der deutsche Impressionismus auf den ersten Blick wegen seiner stärker sozial ausgerichteten Themen problematischer und aufgrund der zum Teil vorherrschenden tonalen Palette trüber und dunkler als der französische. Überdies blieb das graphische Element für die deutschen Impressionisten stets bedeutsamer als für die Franzosen. Nur wenige deutsche Vertreter gingen in der impressionistischen Formauflösung so weit, daß sie die pointillistische Technik anwandten.“

Der deutsche Impressionismus beruht also keineswegs einseitig auf französischen Einflüssen, ist aber dennoch ohne diese nicht denkbar. Neben der Rezeption der modernen französischen Malerei wurde der deutsche Impressionismus vor allem von der holländischen Malerei des 17. und 19. Jahrhunderts sowie der Entwicklung der Freilichtmalerei in Deutschland inspiriert. Dies muß nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zahlreichen, unabhängigen Künstlergruppen und Sezessionen gesehen werden. Entscheidend für die Generation jener Künstler, die den impressionistischen Stil in den 1890 Jahren in Deutschland entwickelten, war zunächst die Auseinandersetzung mit der Malerei von Wilhelm Leibl (1844-1900) und seinen Künstlerfreunden, des sogenannten Leibl-Kreises.

Auf der ersten Ausstellung der 1898 neugegründeten Berliner Sezession wurden Leibls Arbeiten als exemplarisch für einen neuen, als richtungweisend empfundenen Ansatz in der Malerei gezeigt, der Maler selbst 1900 zum Ehrenmitglied ernannt. Zahlreiche Vertreter aus dem Leibl-Kreis arbeiteten später entweder selbst im impressionistischen Stil, darunter Wilhelm Trübner (1851-1917) und Carl Schuch (1846-1903), oder sie vermittelten der jüngeren Generation impressionistischer Maler entscheidende Anregungen: Schuch zum Beispiel dem befreundeten Karl Hagemeister (1848-1933), Trübner an Max Slevogt und Lovis Corinth. Max Liebermann soll bereits bei seiner Übersiedelung nach München den Wünsch geäußert haben, Schüler von Leibl zu werden. Neben Leibl war auf der ersten Berliner Sezessionsausstellung, auch der hochgeschätzte Adolph Menzel (1815-1905) vertreten. Menzels Bildmotive, die später in einer unpolitisch – ästhetischen Rezeption aufgrund der lockeren, skizzenhaften Malweise und der subtilen Lichtführung als Gestaltungsmittel in Bezug zum deutschen Impressionismus gesehen wurden, waren allerdings zu dieser Zeit noch nicht bekannt. Dazu gehörten Arbeiten wie das „Balkonzimmer“(1905) und „Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn“(1847).“

In Deutschland trat Impressionismus erst wesentlich später ein. Immer wieder taucht dabei die Vermutung auf, daß die deutsche Impressionisten ihre entscheidenden Impulse vielleicht doch während ihrer Parisaufenthalte erhalten könnten. Auch Wilhelm Leibl weilte bereits 1869/70 in Paris, um dort vor allem den Kontakt zu dem befreundeten realistischen Maler Gustave Courbet zu erneuern, den Leibl 1869 anläßlich der im Münchner Glaspalast kennengelernt hatte.“

Liebermann studierte an der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin, später an der Universität Weimar. 1868 reiste er erstmals nach München für einen kurzen Aufenthalt, 1871 nach Holland. Im selben Jahr macht er die Bekanntschaft mit Theodor Hagen im Düsseldorfer Atelier Munkacsys. Ein Jahr später entsteht das bekannte Gemälde mit dem Titel „Gänserupferinnen“ und „Gemüseputzerinnen“.

Der Künstler reist ernuet nach Holland und nach Paris, wohin er 1873 übersiedelt. In den folgenden Jahren, auch als „Pariser Zeit“ bezeichnet, besucht der Deutsche öfter den Ort Barbizon und die dort schaffende Künstlergemeinschaft, ausserdem reist er nach Holland. Frans Hals Bilder beeindrucken Liebermann, er fertigt zahlreiche Kopien von dessen Bildern an. Ab 1878 lebt der Künstler in München. Kaum ein Jahr in der bayerischen Hauptstadt, da sorgte Liebermann bereits für einen öffentlichen Skandalmit seiner Interpretation des Sujets „Jesus unter den Schriftgelehrten“. Er zieht sich nach Dachau und Etzenhausen zurück, wo er unter anderem die Bekanntschaft mit den Münchner Künstlern Leibl und Sperl macht.

Ab 1880 erfahren Liebermanns Werke internationale Aufmerksamkeit und Annerkennung. Beispielsweise die Gemälde „Altmännerhaus“, „Freistunde im Amsterdamer Waisenhaus“ und die „Schusterwerkstatt“, die auf der Ausstellung im Pariser Salon großen Erfolg erzielten. Die beiden letzten Bilder werden sogar vom Kunstsammler Faure käuflich erworben. Im selben Jahr, 1882, reist Liebermann nach Holland und malt das berühmte Bild „Der Weber“. Außerdem wird im die Ehre zuteil, als Mitglied in den Pariser „Cercle des XV“ aufgenommen zu werden.

1883 entstehen die Studien zum „Münchner Biergarten“. Das Ölgemälde wird schon ein Jahr später im Pariser Salon ausgestellt. Im selben Jahr vermählt sich Liebermann in Berlin, die Münchner Jahre sind damit beendet.

Es folgt eine weitere Reise nach Holland, die „Judengasse in Amsterdam“ entsteht und Liebermann macht die Bekanntschaft von Anton Mauve. 1885 ist der „Münchner Biergarten“ Teil der Weltausstellung in Antwerpen. Der Maler wird Mitglied im Verein Berliner Künstler und erhält 1888, reichlich verspätet, eine erste offizielle Anerkennung in seiner Heimat - die Kleine Goldene Medaille für „Stille Arbeit“. Ein Jahr später vollendet er die „Netzflickerin“ und die „Frau mit Ziege“, für das er drei Jahre später die Grosse Goldene Medaille erhält. Das Bild wird auf einer großen Einzelausstellung beim Münchner Kunstverein durch die Neue Pinakothek erworben, wo es noch heute zu sehen ist.

Liebermann knüpft in den folgenden Jahren Kontakte zu Hugo von Tschudi und Whistler. Er unternimmt Reisen nach London und Paris und hält sich mehrfach in Holland auf. Im Jahre 1897 wird Liebermann große öffentliche Anerkennung zuteil, als ihm zu Ehren eine Sonderausstellung an seinem 50. Geburtstag in Berlin gezeigt wird. 1899 wird Liebermann Präsident der neugegründeten Berliner Secession.

Der Maler unternimmt in den folgenden Jahren mehrere Reisen nach Italien und Holland und siedelt im Jahr 1910 in sein neues Haus in Wannsee bei Berlin um. Sowohl anlässlich des 60. als auch des 70. und 80. Geburtstages wird Liebermanns Bedeutung durch große Einzelausstellungen gewürdigt. 1913 verlässt der Künstler zusammen mit seinen Kollegen Barlach, Beckmann, Kollwitz und Pechstein die Berliner Secession und tritt zur „Freien Secession“ über. Unter dem Regime der Nationalsozialisten tritt Liebermann 1933 aus der Akademie der Künste aus und legt seine Ehrenpräsidentschaft nieder.

1897 präsentiert Max Slevogt seine Arbeiten in Wien zum ersten Mal in einer Einzelausstellung. Seine Teilnahme an der Schau der Münchner Secession 1899 mit dem Gemälde „Danaë“ gerät zum Skandal; das Bild wird als obszön aus der Schau entfernt. Dagegen feiert er mit dem Triptychon „Der verlorene Sohn“ auf der ersten Ausstellung der Berliner Sezession einen überragenden Erfolg, in dessen Folge er als einer der offiziellen Vertreter der Kunst des Deutschen Reiches auf der Weltausstellung von 1900 in Paris vertreten ist. Aus diesem Anlass reist er zum zweiten Mal nach Paris, wo er sich nun verstärkt mit der Malerei des französischen Impressionismus auseinandersetzt. Im Zentrum seines Interesses steht das Werk von Edouard Manet ; ausgestattet mit einer Empfehlung seines Freundes Paul Cassirer hat er Zugang zu privaten Sammlungen und kann so auch Werke des französischen Künstlers studieren, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.

1901 wird Slevogt auf Veranlassung des bayrischen Prinzregenten Luitpold als Professor an die Münchner Akademie berufen. Ermutigt von seinen Erfolgen an-lässlich der Berliner Ausstellung übersiedelt er, nach kurzem Aufenthalt in Frank­furt, wie Lovis Corinth nach Berlin, wo er Mitglied der dortigen Sezession wird. 1914 wird er an die königliche Akademie der Künste berufen, wo er ab 1917 ein Meisteratelier für Malerei leitet. Bei seinem Tod 1932 hinterlässt er ein umfang-reiches und vielfältiges Oeuvre. Es umfasst neben zahlreichen Gemälden, darunter viele Porträts und Auftragsarbeiten wie z. B. für Prinzregent Luitpold, mehrere grafische Zyklen, so zu Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, Illustrationen zu Märchenstoffen wie „Ali Baba und die vierzig Räuber“ und Romanen wie James Fenimore Coopers „Lederstrumpf“, Bühnenbilder für Max Reinhardt am Deutschen Theater Berlin und für die Dresdner Oper, Wandbilder in seinen Arbeitsräumen auf Neukastel und für die Friedenskirche in Ludwigshafen.

Max Slevogt studiert an der Akademie der Künste in München; dort wird die Tradition des Historienbildes gepflegt, geprägt von Künstlern wie Moritz von Schwind[28], Wilhelm von Kaulbach[29], Franz von Lenbach[30] und Karl von Piloty[31]. Mit der Romantik gewinnt die Landschaftsmalerei[32] an Bedeutung, angeregt durch die Schule von Barbizon[33] orientiert sie sich vor allem an der Pleinairmalerei. Unter den impressionistischen Malern Deutschlands ist Max Slevogt der große Erzähler, geprägt von der Tradition der Historienmalerei. Mythen und Legenden, biblische Stoffe und Märchen regen ihn auch nach seiner akademischen Aus-bildung zu vielfältigen bildnerischen Arbeiten an. Sein Interesse gilt dem Menschen, dessen Ausdrucksmöglichkeiten er in zahlreichen Werken auslotet, vom klassischen Porträt über Künstler- und Bühnenstudien am Beispiel des Sängers Francisco d´Andrade und Familienbildnisse bis hin zu einer großen Zahl von Selbstdarstellungen aus allen Schaffensperioden. Leitbilder sind für ihn Edouard Manet und Rembrandt, mit deren Schaffen er sich intensiv auseinander setzt. So nutzt er Reise]n, um Werke der Künstler vor Ort, in Paris und Amsterdam, zu studieren, nicht zuletzt angeregt durch seinen Freundeskreis, zu dem der Kunsthistoriker Karl Voll und Sammler und Galeristen wie die beiden Cousins Cassirer gehören. Die Landschaftsdarstellung gewinnt in seinem Werk mit den Aufenthalten in der Pfalz und letztlich mit dem Erwerb des Sommersitzes Neukastel[35] an Bedeutung. Hier entstehen viele Landschaftsbilder, die den Wechsel der Tages- und Jahreszeiten und die mit ihnen einhergehende Wahrnehmung der Natur reflektieren.

Ausgangspunkt für Max Slevogts Arbeiten sind in vielen Fällen umfangreiche Skizzen und Vorstudien in Aquarell, Kohl, Kreide und Tusche, aber auch Fotos. Er ist unter den impressionistischen Künstlern der Grafiker. Die Faszination der Farbe und des Lichts steht bei ihm gleichberechtigt neben der Begeisterung für die Dynamik der Linie und die Klarheit grafischer Gestaltung. So finden sich in seinem Oeuvre neben vielen Einzelarbeiten mehrere bedeutende grafische Zyklen, mit denen Slevogt zumeist als Illustrator literarischer Vorlagen in Erscheinung tritt. In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts arbeitet er für die Zeitschriften „Jugend“ und „Simplicissimus“, später gestaltet er grafische Folgen, die ihre Motive aus Märchen wie denen der Gebrüder Grimm oder den Erzählungen aus tausendundeiner Nacht, aus Coopers „Lederstrumpf“ oder Goethes „Faust“ schöpfen. Neben seinem Engagement als Maler und Grafiker ist Max Slevogt nicht nur ein profunder Kenner, sondern auch ein großer Liebhaber der klassischen Literatur und Musik, er verehrt Wolfgang Amadeus Mozart ebenso wie Richard Wagner.

Der amerikanische Maler James Abbott Mc Neill Whister studierte in Paris und verfolgte, nachdem er sich in London niedergelassen hatte, die impressionistische Malweise weiter.

Für die Fine Arts Society stellte Whistler in der Dowdeswelle Gallery im Februar 1883 hauptsächlich Radierungen aus, von denen die meisten Venedig 1879–1880 zeigten. Whistler beschrieb seine Installation als ”strahlend und anmutig – weiße Wände in unterschiedlichen Weißtönen, mit gemalten Ausformungen – nicht vergoldet! – gelbe Samtvorhänge – hellgelbe Stroh-Matten – gelbe Sofas und kleine Bambusrohr-Stühle - schöne kleine, gelbe Tische, eigener Entwurf – orientalische Keramik mit gelben Blumen in verschiedenen Farbtönen und Tiger-Lilien! Vierzig ausgezeichnete Radierungen .. in ihren exquisiten weißen Rahmen – mit ihren kleinen Schmetterlingen – große weiße Schmetterlinge auf gelben Gardinen und gelbe Schmetterlinge auf weißen Wänden – und schließlich ein Diener in gelber Livré“. Die Kunstwelt musste neidlos anerkennen, dass Whistler einen Hintergrund geschaffen hatte, der in bewundernswerter Weise seine Radierungen zur Geltung brachte. Der Diener, der Programme verkaufte, wurde als "Poached Egg Man" bekannt.

Die grundlegende Beschäftigung mit dem Phänomen des Sehens hatte im 19. Jahrhundert zu neuen Erkenntnissen in der Optik geführt. Auf diesen Erkenntnissen bauten die Impressionisten auf. Auch der Maler Georges Seurat setzte sich mit der Wahrnehmung von Farben durch das menschliche Gehirn auseinander. In seinen Gemälden setzte er unzählige Farbpunkte in den Grund- und Komplementärfarben nebeneinander. Erst das Gehirn ist in der Lage, aus diesen Farbpunkten, bei der Betrachtung durch optische Mischung Gegenstände auszumachen. Seurats pointillistischen Bilder begeisterten viele andere Künstler, unter ihnen Vincent van Gogh. Wegen der Zerlegung des Motivs in Farbpunkte wurde Seurats Maltechnik auch als Divisionismus bezeichnet.

Lange Zeit standen die Impressionisten wegen ihrer neuen Malweise in der Kritik der Öffentlichkeit. Der Kunstkritiker Louis Leroy spottete 1877, die Bilder der Impressionisten bestünden aus Vanille-, Johannisbeer- und Pistazieneis und seien sogar essbar. In den 1880er Jahren trat jedoch ein Wandel im Kunstgeschmack und in der Beurteilung des impressionistischen Malstils auf. Die Bilder und die Künstler selbst wurden in der Öffentlichkeit weitaus positiver bewertet.

Neben der Begeisterung für die Landschaftsmalerei teilten viele Impressionisten auch das Interesse für den japanischen Farbholzschnitt. Werke von japanischen Künstlern, allen voran von Katsushika Hukusai, gelangten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst als Verpackungspapier für asiatische Waren nach Europa. Nachdem japanische Grafiken und Kunstgewerbe auf der Weltausstellung 1867 zu sehen waren, setzte eine Asienmode ein, geteilt von Galeristen und Sammlern. Künstler wie Hukusai führten große Farbflächen mit kräftigen Konturen ein, verzichteten dabei auf Modellierung und Schatten und wählten aus europäischer Sicht gesehen unkonventionelle Kompositionen. Justus Brinkmann, Mitbegründer des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe beschrieb im Jahre 1889 die Rolle der japanischen Kunst folgendermaßen: „Drohte dem Abendlande in Folge des Raubbaus, welchen es mit zunehmender Hast auf seinem kunstgewerblichen Acker betrieb, eine Auszehrung seines historischen Nährbodens, so öffnete sich ihm durch die japanische Kunst ein Blick in eine neue Welt, welche noch nicht verlernt hatte, aus dem ewigen Jungbrunnen aller Kunst, der Natur zu schöpfen.“

Holzschnitte, illustrierte Bücher und bemalte Fächer fanden zum einen als Motive Eingang in die Bilder der Impressionisten und der Künstler des Jugendstils. Zum anderen inspirierten die kompositionellen Unterschiede zur europäischen Malerei viele Künstler. Zu Hukusais Serie 36 Ansichten des Berges Fuji aus den Jahren 1829-1833 gehörte der Holzschnitt Auf einem Tempelbalkon. Der den Japanern heilige Berg Fuji ist in den Hintergrund gerückt. Alle Bildelemente sind in der Fläche verankert, ohne perspektivische Darstellung auf ein Bildzentrum hin. Damit waren die meisten Traditionen der europäischen akademischen Malerei außer Kraft gesetzt worden. Edgar Degas, der für seine Bilder von Tänzerinnen berühmt wurde, begeisterte sich für die japanischen Farbholzschnitte. Seine ausgefallenen Perspektiven und von den Bildrändern überschnittenen Figuren belegen den Einfluss der japanischen Kunst ebenso wie der Fotografie mit ihrem Schnappschusseffekt. Auch Vincent van Gogh war ein großer Sammler japanischer Holzschnitte.

Den impressionistischen Künstlern und ihrer Auseinandersetzung mit Licht und Farbe folgend, experimentierten viele Maler im ausgehenden 19. Jahrhundert mit neuen Möglichkeiten der Darstellung. Vincent van Gogh malte nach vielen gescheiterten Berufsplänen zunächst in düsteren Farben seine holländische Heimat. Als er Mitte der 1880er Jahre in Paris bei seinem Bruder Theo, einem Kunsthändler, eintraf, lernte er viele der dort ansässigen Impressionisten kennen, darunter Paul Signac, Alfred Sisley und Camille Pissarro. Ihre Werke beeinflussten seine Malweise und Farbwahl. Auch van Gogh wendete sich der skizzenhaften Wiedergabe mit kurzen Pinselstrichen zu und tauschte die Erdfarben gegen kräftige, kontrastreiche Töne. Insbesondere in seiner Farbwahl war der Künstler von japanischen Holzschnitten, wie oben bereits erwähnt, beeinflusst, die sich auch als Motive in vielen seiner Werke finden lassen. Die Montmartre-Gegend ließ van Gogh dann hinter sich und zog nach Arles in Südfrankreich. In Arles in Südfrankreich malte und zeichnete er die Obstgärten, Felder, Sonnenblumen und Weingärten, aber auch Portraits der einheimischen Bevölkerung. Das Ölbild Die Ebene von Auvers stammte aus seinem letzten Lebensjahr. Aus Wirbeln blauer und weißer Farbe ballen sich am Himmel Wolken zusammen. In breiten senkrechten Strichen ist das Feld wiedergegeben. Van Goghs späte Werke, in denen er reine Farben gleich aus der Tube an die Leinwand setzte, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Künstlern des Expressionismus begeistert aufgenommen.

Ebenso wenig wie van Gogh ging es Paul Cézanne um Naturnachahmung und korrekte Zeichnung. Wie van Gogh kehrte auch Cézanne der Stadt den Rücken und zog sich immer wieder in die ländliche Abgeschiedenheit zurück.

Paul Cézannes künstlerischen Ambitionen zeigten sich bereits während seiner Schulzeit: Mit fünfzehn Jahren nahm er Unterricht bei Professor Gibert an der Freien Städtischen Zeichenschule in Aix und 1857 schrieb er sich offiziell dort ein. Auf Wunsch seines Vaters, der ihn gerne als seinen Nachfolger in dem Bankhaus gesehen hätte, immatrikulierte sich Paul Cézanne nach dem Abitur im Jahre 1858 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Aix. Im Dezember 1859 fasste er jedoch den endgültigen Entschluss, Maler zu werden, was durch seine Briefe aus dieser Zeit an Émile Zola dokumentiert ist. Im April 1861 willigte Louis-Auguste Cézanne schließlich in die Pläne seines Sohnes ein, womit der künstlerischen Ausbildung in Paris nichts mehr im Wege stand.

Der erste Aufenthalt in der französischen Hauptstadt, vornehmlich durch intensive Studien an der Académie Suisse geprägt - einer liberalen Schule, die das Arbeiten nach lebenden Modellen bot -, erwies sich jedoch schon bald als ein Fiasko: Cézanne litt unter der prekären Finanzsituation und wurde von starken Zweifeln hinsichtlich seines künstlerischen Talents heimgesucht, was nicht zuletzt auf die Ablehnung durch die École des Beaux-Arts zurückzuführen ist. Also kehrte Cézanne im September 1861 nach Aix zurück um im Bankhaus seines Vaters eine Stelle anzutreten. Dieser Entschluss war jedoch nicht von Dauer, denn im November 1862 machte er sich erneut nach Paris auf um seine künstlerische Ausbildung fortzusetzen.

Dort arbeitete er wieder an der Académie Suisse, wo er ein Jahr zuvor Camille Pissarro kennen gelernt hatte und reichte mit einer ambitionierten Beharrlichkeit Jahr für Jahr Gemälde für den Salon ein - allerdings ohne Erfolg. Die Begegnung mit dem neun Jahre älteren Pissarro sollte, wie sich später zeigen wird, eine fundamentale Bedeutung für Cézannes künstlerische Entwicklung haben.

Cezannes Persönlichkeit war unberechenbar: Er war einerseits schüchtern und zurückhaltend, andererseits aber auch rechthaberisch und kompromisslos und stand fast sein ganzes Leben unter dem Einfluss eines despotischen Vaters. Schon mit Anfang Zwanzig galt Cézanne bei den wenigen Leuten, die ihn überhaupt kannten, als ein hoffnungsloser Exzentiker mit einer nahezu pathologischen Berührungsangst. Alle zeitgenössischen Charakterisierungen Cézannes lassen jedoch vermuten, dass der Künstler unter einem enormen psychischen Druck stand, den er mühsam zu kontrollieren suchte. Seine Gemälde aus den sechziger und frühen siebziger Jahren machen diesen inneren Aufruhr anschaulich: Sie handeln von Tod, Vergewaltigung und Orgien.

Die von Cézanne gezeichnete Viktoria-Gestalt kann als die Abstraktion der bildwirksamen Kräfte in eine Gestalt verstanden werden. Als die Zusam­menfassung dieser Kräfte kann sie jedoch nicht unabhängig vom „archi­tektonisch-dekorativen System“[11] bestehen. Cézanne nun formt sie dergestalt um, dass sie alleine bestehen kann, löst sie aus dem „dekorativen“ Zusam­menhang, erhält aber das „Prinzip der festen achsial betonten architektonischen Struktur, das in Rubens‘ Bildern den symbolischen Gestalten aus ihrem Bild­zusam­menhang her die Monumentalität gibt.“[12] Die Zeichnung ist für Cézanne also eine Form der Auseinandersetzung, in der für ihn bildnerische Mittel wie das „Prinzip der festen achsial betonten architektonischen Struktur“, das einen Gegenpol zum Impressionismus darstellt, gewonnen und weiter entwickelt werden können.

Der Provenzale beteiligte sich auch an den impressionistischen Ausstellungen 1874 und 1877 beteiligt. Seine Beschäftigung mit der Wiedergabe von Licht und Form führte ihn jedoch zu ganz anderen Ergebnissen. Die Vorstellung, ein gemaltes Bild müsse die Dreidimensionalität der Wirklichkeit nachahmen, behielt Cézanne nicht lange bei. Er setzte sich vielmehr damit auseinander, die Wirklichkeit in die zwei Dimensionen der Leinwand zu übertragen.

Über Jahre beschäftigte er sich in rund 60 Gemälden, Zeichnungen und Aquarellen mit der Wiedergabe eines Bergs seiner Heimat, des Mont Sainte-Victoire. Das kleinförmige Ölbild aus den Jahren 1898-1900 lässt seine Herangehensweise erkennen. Auf perspektivisch wie zeichnerisch korrekte Wiedergabe verzichtet Cézanne, ebenso auf scharfe Konturen. Formen entstehen aus unterschiedlichen Richtungen der Pinselstriche, zu erkennen etwa an den Bäumen im Bildvordergrund und aus den verschiedenen warmen und kalten Farbtönen. Die Flächen sind wiederum zu Gegenständen zusammengesetzt. Auch in Stillleben und Portraits erprobte Cézanne seine künstlerischen Vorstellungen. Seine methodischen Ansätze begeisterten viele nachfolgende Künstler. Cézannes Zerlegung der Bildgegenstände in Flächen sollte schließlich zur Stilrichtung des Kubismus führen und ihn den Titel „Vater der Moderne“ einbringen.

Einer der bekanntesten impressionistischen Maler war Auguste Renoir. Vor seiner Zeit an der École des Beaux-Arts arbeitet Renoir als Porzellanmaler in der Manufaktur Lévy und lernte dann bei dem Schweizer Maler Charles Gleyre. Zwei Jahre später, 1862, wird er dann an der École angenommen. Dort lernen er und seinen Mitschülern Paul Cézanne, Frédéric Bazille, Alfred Sisley und Edouard Monet die meiste Zeit allein, denn Gleyre ist bekennender Akademiker. Dennoch ist Gleyres Einfluss auf die Werke Renoirs deutlich zu spüren. Auch die Porzellanmalerei und seine spätere Tätigkeit als Dekorationsmaler in einer Stofffabrik haben Spuren hinterlassen. Als einer der wenigen verwendet er die aufwendige Technik des Lasierens, die von den alten Meister ebenfalls angewandt wurde.

Das 1868 im Salon angenommene Bild Lise mit Sonnenschirm ist in hell-dunklen Tonwerten gehalten, wie es im Klassizismus typisch war. Gleyre, ein bekennender Anhänger dieses Stils, hatte seinen Schülern durch eigene Werke und das Arbeiten am lebenden Modell diesen Weg gewiesen. Wie es in der etablierten Kunstszene üblich war, lernten sie den Stil alter Meister des 18. Jahrhunderts. Durch Gleyres weniges Eingreifen an der École entwickelten die Freunde im Atelier jedoch schnell eigene Stilrichtungen. Das an einigen Stellen fast zeichnerisch wirkende Bild der Lise weist bereits erste Tendenzen des Impressionismus auf, weshalb es in der Salonausstellung des gleichen Jahres nachdem es anfangs große Erfolge feiert, anschließend in der „Rumpelkammer“ landet. Das erste Bild im Freien Renoirs entspricht nicht der im Klassizismus zu findenden Faszination an römisch-griechischen Heroinen. Auch seine Diana aus dem Jahr 1867, die eher dem Sujet entspricht, fand bei der Jury keinen Anklang, obwohl das Thema der Antike aufgegriffen ist. Die Lise wirkt nicht unnahbar, mystisch, nicht überhöht. Das weiße Kleid ist um den Körper modelliert, lässt ihn weich wirken. Die Rottöne des Hintergrunds finden sich in dem Haarband und den Ohrringen wieder, die wiederum den Farbton der Lippen und des Gesichts verstärken. Die Lise wirkt eher wie ein nettes Mädchen von Nebenan, und ist keine Darstellung einer antiken Göttin. Tatsächlich deutet die bläuliche Farbgebung des Kleids auf die Malweise Manets hin, und der Bezug zum Naturalismus bei Courbet, von dem sich Renoir schon für die Diana inspirieren ließ, kann auch nicht bestritten werden. Renoir trifft Courbet, das Idol der Realisten, in Chailly und Ville-d‘Avray und lässt sich von dessen pastosen Farbauftrag inspirieren, welcher unter anderem in der Diana zu sehen ist. In demselben Bild vermischt Renoir die bei Courbet gefundene Technik mit dem Stil.

Renoir lernte Velazquez wohl im Museum kennen, in das die Kunstschüler oft gingen um Skizzen anzufertigen und die Arbeiten der alten Meister zu studieren. Wie Henri Fantin-Latour sagte: „Malen, das lernt man im Museum“. Die Einflüsse des Barock, des Klassizismus und der Romantik sind so natürlich in den frühen Werken Renoirs zu erwarten. Nach den missglückten Versuchen in den Salon aufgenommen zu werden, versucht die Gruppe um Renoir einen eigenen Salon für die Abgewiesenen zu erwirken. Anfangs scheitert ihr Vorhaben durch den Mangel an finanziellen Mitteln und es muss bis 1874 nur eine Idee in den Hinterköpfen bleiben. Die Gruppe übt nun im Freien. Im Sommer fahren sie nach Chailly im Wald von Fontainebleau wo sie auf die Dunkel-Maler treffen. Virgile Narcisse Diaz gibt Renoir den Rat nie ohne Modelle zu malen und auf den Lokalton zu verzichten. Außerdem rät er ihm seine Palette aufzuhellen. Obwohl er zwischendurch immer wieder Sujets der Antike malt, verbringt Renoir die meiste Zeit mit der neu entdeckten Pleinairmalerei, in der nun gänzlich in der Natur gemalt wurde, ohne das Gemälde im Atelier zu bearbeiten. Besonders deutlich wird dies in Renoirs Bild Der Spaziergang von 1870. Im Jahr 1868 wurde das Bild Lise mit Sonnenschirm im Salon den Aktualisten zugeordnet. Zola sagte, dass der „Künstler unwissentlich dem Druck des Milieus und der Umstände gehorcht“ und bezeichnete die neue Gruppe Maler als Naturalisten. Zolas Aussage ist mehr als wahr, denn in Der Spaziergang ist wieder der pastose Farbauftrag Courbets zu finden, nun jedoch im Stil der Impressionisten, den Cézanne, Monet, Sisley, Bazille und Renoir wohl gemeinsam über die Zeit hinweg entwickelten.

Edgar Degas, dessen Vorbilder Delacroix und Ingres waren, zu dessen Zeit der Impressionismus gerade aufkam und der Realismus die vorherrschende Stilrichtung darstellte, wurde von all dem beeinflußt und behielt doch seine eigene Art bei. Vielmehr entwickelte er sich über seine Vorgaben hinaus, da er eine eigene Bildkonzeption entwickelte und mit seinem Werk zu der Veränderung von Bildvorstellungen beitrug. In den verschiedenen Themen, welche er quasi serienmäßig fertigte, schuf Degas durch Farb- und Lichtwirkungen und vor allem durch ausschnitthaft gewählte Bildmotive eine ganz spezifische Komposition. Er wollte „alte Sehgewohnheiten, starre Kompositionsschemata und bildräumliche Konventionen“ nicht länger dulden, so daß er es vermochte, in seinen Werken „Flüchtigkeit und Konstruktion, Schein und Wahrheit, Fiktion und Desillusion ununterscheidbar werden“[2] zu lassen. Zu diesem Charakteristikum seiner Kunst gelangte er besonders in der Darstellung von Portraits, Pferde- und Jockeybildern, Opern- oder Cafémotiven, bei seinen Büglerinnen oder Modistinnen, beim Akt und vor allem bei den Werken die sich mit dem Ballett auseinandersetzen. Im Bereich der Malerei hat er sich auch mit Radierungen, Lithografien und Monotypien, sowie der Photographie und der Plastik auseinandergesetzt.

Des weiteren existieren besonders bei den Modistinnendarstellungen zahlreiche Pastelle von Degas, mit denen er sich in so fern beschäftigte, als er verschiedene Mischtechniken erprobte, um optimale Farbwirkungen zu erzielen. Nicht zu vergessen sind auch die Sonette, in denen er die Themen behandelt, die auch sein malerisches Werk kennzeichnen. Aufgrund dieser Ausmaße seines Werkes kann man von Degas behaupten, daß er ein sehr strebsamer Künstler war, wobei er zu diesem Ehrgeiz gelangte, indem er nicht nur „eigenwillig und unzufrieden“, sondern auch sein „unerbitterlichster Kritiker“ war. Seine Kunst wird durch Transitorik und außergewöhnliche Bildgrenzen bestimmt. Bezeichnend für sein Schaffen sind seine Ballettdarstellungen, die von diesen Elementen besonders erfüllt sind.

Dieses frühe Werk Degas´ La famile Bellelli , welches in den Jahren zwischen 1858 bis 1867 entstand, stellt nicht nur den Übergang von seinen Anfängen in der ihm eher mißglückten Historienmalerei zu seinem übrigen Werk, sondern auch ein Manifest seiner Kunst dar. In diesem 2,00 x 2,73m großen Familienbildnis lassen sich Degas´ künftige typische Darstellungsweisen erkennen, welche im Laufe dieser Arbeit herausgestellt werden. 1857 bis 1859 hielt sich Edgar Degas oft bei den Bellellis, welche seine nächsten Verwandten darstellten, auf, um dort anhand mehrerer Skizzen, kleiner Portraits und Zeichnungen sein abschließendes Werk vorzubereiten. Diese Vorgehensweise ist typisch für ihn, da er nie ein endgültiges Werk nach der Natur anfertigte. Ebenso charakteristisch für Degas ist die Tatsache, dass er nie Portraitaufträge annahm, geschweige denn unbekannte Menschen abbildete, da er das Wesen einer Person darzustellen gedachte, was aber ohne Kenntnis derer nicht möglich ist.

Dass er ein Familienportrait malen würde, entschied sich erst mit der Zeit, genauer gesagt um 1885. Zuvor dachte Degas daran, ein Doppelbildnis seiner beiden Cousinen Giovanna und Gulia zu fertigen, welche bei Fertigstellung des Bildes circa elf und acht Jahre alt waren. Dann erkannte er aber, dass es nicht möglich sein würde, die Unterschiede der beiden Schwestern angemessen zeigen zu können, wenn er sie nicht in ihrem familiären Umfeld zeigen würde, welches ebenfalls von unterschiedlichen Verhältnissen gekennzeichnet ist. Also entschied er, seine Tante, die Schwester seines Vaters, Laurette Bellelli und den Baron in die Portraitarbeiten aufzunehmen, die zum Zeitpunkt des endgültigen Gemäldes ungefähr 45 und 47 Jahre alt waren.

Nun galt es, entsprechende Skizzen anzufertigen, welche bei den Arbeiten im Atelier das große Familienportrait bilden sollen. Danach ging es als Geschenk für die Gastfreundschaft an die Bellellis, die es von Florenz aus mit in ihre Heimatstadt Neapel brachten. Nachdem der elterliche Haushalt aufgelöst wurde, bekam es Giulia, die es mit in ihr Haus nahm. Bei ihr fiel es eines Abends von der Wand, so dass es dabei von einer brennenden Petroleumlampe durchstoßen und angesenkt wurde. Edgar Degas nahm es nach einem Besuch zwischen 1898 und 1909 mit in sein Pariser Atelier, um es dort zu restaurieren und wo es nach seinem Tode gefunden wurde. Somit blieb es bis zu diesem Zeitpunkt ohne Bedeutung auf die Entwicklung der Kunst. Heute hängt das Öl auf Leinen Werk im Musée d´Orsay. Auf dem Bild erkennt man die Familie, die in ihrem Salon sitzend, bzw. stehend abgebildet ist. Insgesamt verhält sich der Aufbau des Werkes recht flächig, was bedeutet, dass es nur aus dem Vordergrund, in dem sich die Personen befinden und aus einem diesem sehr nahegelegenen Hintergrund besteht. Die Anordnung der Familie ist dabei so beschaffen, dass die Mutter am linken Bildrand aufrecht stehend ihre ältere Tochter an ihrer rechten Seite hält, die jüngere Tochter links von ihnen, also in der Mitte des Bildes auf einem Stuhl Platz genommen hat und der Vater am rechten Bildrand in einem Sessel sitzend dem Betrachter den Rücken zukehrt. Am rechten Bildrand erkennt man einen kleinen Hund, dessen Kopf sich aber jenseits des Bildrandes befindet. Das Interieur, welches den Hintergrund ausmacht, wird durch einen zentral gelegenen an der Wand stehenden Louis IX. Tisch, über dem eine goldgerahmte Rötelzeichnung des Vaters der Baronin - René-Hilaire Degas - hängt, den im rechten Bildteil vorhandenen Kamin mit dem darüber befindlichen Spiegel und durch den Einblick in einen weiteren Raum, welchen die im linken Teil des Gemäldes abgebildete Tür ermöglicht, bestimmt. Hinter der Baronin und Giovanna erkennt man einen Sessel mit einem Kissen darauf, der den Blick in das nächste Zimmer etwas einschränkt. Die blaue Tapete trägt ein Muster von weißen Anemonen und der Fleckenteppich besteht aus „hellbraunen, hechtgrauen und tintig-grünen“ Tönen.

Auf dem Tisch befindet sich zwischen der Hand der Baronin und dem Kopf von Giulia Strickzeug und an der rechten Tischecke liegt beschriftetes Papier - vermutlich Briefe oder eine Zeitung. Etwas dahintergelegen erblickt man weitere kleine Gegenstände, die wohl zum Strickzeug gehören. Den Kamin ziert mittig eine Uhr, neben der rechts und links jeweils ein Wandteller an den Spiegel lehnen. Auf der linken Ecke des Kamins steht ein Leuchter, der sich vage spiegelt. Degas benutzt den Spiegel außerdem dazu, ein goldgerahmtes Bild und einen blaugerahmten, nicht weiter definierbaren Gegenstand von der gegenüberliegenden Wand zu spiegeln und somit in der sonst flächigen Anordnung, für Tiefe zu sorgen. Links neben dem Kamin und dem mit ihm bündig schließenden Spiegel hängt ein Klingelband. Durch die offene, einen fragmentierenden Blick in einen nächsten Raum gewährleistende Tür, erblickt man ein schmales, langgezogenes Fenster und eine Kommode, auf der ein Glasgefäß steht.

Blickfang der statisch angeordneten Personen sind die Figur der Mutter und die der Giulia. Die Baronin fällt auf, da sie die größte stehende Person ist, sie ausschließlich in schwarz gekleidet ist und einen melancholisch ins Weite gehenden Blick hat. Dieser wirkt so eindringlich auf den Betrachter, da das Gesicht (und die beiden sichtbaren Hände) neben der dunklen Kleidung und dem im gleichen Schwarzton gehaltenem Haar besonders hervorsticht. Ihre ganze Person hinterlässt einen Eindruck von Trauer. Giulia besticht zunächst wegen ihrer außergewöhnlichen Sitzweise; sie hat ihr linkes Bein so untergeschlagen, dass man es nicht mehr sehen kann. Sie sitzt zudem nur auf der Stuhlkante, verhält ihre Körperlagerung somit mehr nach links, d.h. zur Mutter und Schwester hin, richtet aber ihren Blick in die entgegengesetzte Richtung zum Vater. Dessen Position ist ebenfalls sehr auffällig - hat man ihn erst mal entdeckt, was seine Besonderheit ausmacht. Er sitzt leicht nach vorn, d.h. in Richtung Kamin gebeugt, stützt seinen linken Arm auf die Sessellehne und wendet seinen Kopf zur übrigen Familie, so dass er Giulia anblickt. Nicht nur, dass man von ihm bloß einen Teil seines Oberkörpers erkennen kann und dass sein Gesicht im Profil gehalten ist (Giulia und die Baronin präsentieren eine dreiviertel Ansicht und Giovanna erblickt der Betrachter en face) macht ihn zur unauffälligsten und doch besonderen Person dieses Bildnisses, sondern auch seine Kleidung, die in neutralen grau-braun Tönen gehalten ist, trägt zu diesem Eindruck bei.

Camille Pissarro galt schon in der frühimpressionistischen Periode zusammen mit Claude Monet als Anführer der Künstlergruppe, die am 15. April 1874 am Boulevard des Capuciens in Paris unter dem Namen Sociéte anonyme des artistes, peintres, sculpteurs, graveurs die erste Impressionisten-Ausstellung eröffnet hatte. Auch war er der einzige Künstler, der an allen acht Ausstellungen der Impressionisten teilgenommen hatte.

Impressionistische Tendenzen im Werk Pissarros lassen sich ab 1866 erkennen. Die allmähliche Befreiung vom Einfluss Corots zeigte sich in der Aufhellung seiner Palette und dem Verschwinden der neutralen Farbtöne. Auch begann Pissarro nun mit dem Spachtel in großzügigen, leuchtenden Strichen zu arbeiten. Zwar fand Pissarro seine Motive in dieser Zeit fast ausschließlich in der Umgebung von Paris und in Pontoise; im Gegensatz zu Renoir und Monet malte er jedoch nicht die Ausflugsorte an den Ufern der Seine, in denen die Pariser ihre sonntäglichen Vergnügungen suchten, sondern „die schwermütige, von der bäuerlichen Arbeit geprägte Landschaft.“

Angesichts des drohenden Einmarsches der preußischen Truppen übersiedelte Pissarro 1870 nach London. Dieser Londoner Aufenthalt, der insgesamt sieben Monate gedauert hatte, war mehr als eine Zeit des Exils und des unruhigen Wartens auf die Rückkehr in die Heimat. Er stellte eine Phase des Umbruchs und des Neubeginns in Pissarros künstlerischer Laufbahn dar. „Neue Bildvorstellungen, Farben, Techniken und Stimmungen fanden plötzlich Eingang in sein Schaffen und unterbrachen zunächst die strengeren und architektonischen Themen, die er in Louveciennes verfolgt hatte.“ Wesentlich wurde dieser Bruch mit der Vergangenheit durch Pissarros Zusammenkünfte mit Monet eingeleitet, der ebenfalls nach London emigriert war. Pissarro und Monet trafen sich regelmäßig. Sie besuchten gemeinsam die Museen und entdeckten Turner und seine „leuchtenden und durchsichtigen Farben und gleichsam verzauberten Naturdarstellungen, seine Art, Wolken zu malen, ohne daß sie zu erstarrten Flecken werden.“

Monet und Pissarro gelten gleichermaßen als die Haupt-figuren der impressionistischen Bewegung. Ihre gemeinsame Londoner Zeit und der damit verbundene Gedankenaustausch setzten wesentliche Impulse für die Genese dieser neuen Malerei, die 1874 eine neue Epoche der Kunstgeschichte einleiten sollte. In einem Brief, den er 1902 an den englischen Landschaftsmaler Wynford Dewhurst schrieb, erinnert sich Pissarro an das Londoner Exil: „Monet arbeitete in den Parks, während ich Nebel-, Schnee- und Frühlingsstimmungen festhielt“. Dieses Textfragment könnte, zugegebenermaßen nicht ohne Vorbehalte, als Geburtsurkunde der impressionistischen Kunst betrachtet werden. Zumindest aber dokumentiert es den Beginn dieser Periode innerhalb Pissarros Schaffensprozesses. Denn gerade in dem Fokussieren auf die flüchtige Stimmung manifestiert sich die impressionistische Theorie: Am Motiv „interessiert nicht seine objektive Struktur, sondern die von ihm ausgelöste Stimmung.“

Als Pissarro 1871 nach Frankreich zurückkehrt, findet er von den 1.500 Bildern, die er in seinem Atelier in Louveciennes zurückgelassen hat, kein einziges mehr vor. Und dieser Verlust „wirkt wie ein weiteres Signal zu einem neuen Anfang. (...) Er fängt wieder von vorne an, losgelöst von der Vergangenheit, im Besitz einer nunmehr sicheren Technik und einer genauen Vorstellung von dem, was er machen will, nämlich nur noch die Natur befragen.“

Nach einem kurzen Aufenthalt in Louveciennes siedelt Pissarro 1872 nach Pontoise über. Das Hauptmotiv für Pissarros Umzug nach Pontoise lag in der Tatsache begründet, dass sich Dr. Paul Gachet, der Hausarzt seiner Mutter und ein begeisterter Radierer und Sammler der Gruppe von Batignolles, im Frühjahr 1872 ein Haus in Auvers gekauft hatte. Pontoise, eine Marktstadt ca. 40 Kilometer nordwestlich von Paris gelegen, war zu Pissarros Zeiten ein lebhaftes Zentrum des Gemüse- und Geflügelhandels. Auvers, ein kleines langgestrecktes Dorf, befindet sich im näheren Umkreis dieser Kleinstadt. Im Frühjahr 1872 hatte sich Cézanne mit seiner Familie ebenfalls in Pontoise niedergelassen um dort mit Pissarro zusammen zu arbeiten. Am Ende desselben Jahres zog er nach Auvers, wo Dr. Gachet ein Haus für ihn gefunden hatte. Cézanne blieb zwei Jahre in Auvers. Doch 1877 kam er wieder zurück um erneut mit Pissarro zu arbeiten. Danach kam er 1881 noch einmal nach Pontoise. 1882 arbeiteten die beiden Künstler zum letzten Mal zusammen. Zwischen 1872 und 1874 hatten Paul Cézanne und Camille Pissarro oft Seite an Seite gearbeitet und Cézanne wurde im Laufe dieser gemeinsamen Arbeit immer mehr in Pissarros Anschauungen und Methoden involviert. Das gemeinsame Motiv war die Landschaft in der Umgebung von Pontoise und Auvers. Der Einfluss Pissarros auf Cézannes Werk dieser Zeit war unverkennbar: Auf Anraten Pissarros hellte Cézanne seine Farben auf, bediente sich der Spachteltechnik und arbeitete von nun an nur noch mit den drei Grundfarben und ihren unmittelbaren Derivaten.

Georges Seurat (1859-1891) trat am 19. März 1878 in die Malklasse von Henri Lehmann, einem weniger bedeutenden Schüler von Jean-Auguste-Dominique Ingres, ein, wo er Ernest Laurent kennenlernte. Daneben studierte er die Alten Meister im Louvre.

1879 verließ Georges Seurat die École des Beaux-Arts. Diese Entscheidung folgte auf einem Besuch der 1879er Ausstellung der Impressionisten, in der Bilder von Edgar Degas, Camille Pissarro und Claude Monet zu sehen waren. Seurat wendete sich zunehmend von den akademischen Idealen ab. Zusammen mit Edmond Aman Jean und Ernest Laurent mietete er ein Atelier in der Rue de l’arbalète. Zwischen November 1879 und November 1880 leistete Seurat seinen Militärdienst in Brest ab. Währenddessen fertigte er Skizzen an und las „Die Phänomene des Sehens“ von David Sutters. Nach der Rückkehr aus Brest mietete er einen Raum in der Rue de Chabrol, in dem er in der Folge seine Werke malte. Er setzte sich wie kaum ein anderer Künstler mit optischen Problemen auseinander und beschäftigte sich mit Physik, Geometrie und verschiedenen theoretischen Werken. Unter anderem studierte er Eugène Chevreuls Werk über den Simultankontrast der Farben und den Farbkreis

Im Jahr 1881 unternahm Seurat zusammen mit Aman-Jean einige kleine Reisen in das Umland von Paris. Er setzte seine theoretischen Studien fort und sich mit der Farbenlehre von Ogden Nicholas Rood auseinander und beschäftigte sich mit den Werken Eugène Delacroix', der in der Sankt-Agnes-Kapelle von Saint-Sulpice Versuche mit dem System der Komplementärfarben gemacht hatte. Mit Charles Henry diskutierte Seurat über Dynamogenie, worunter der junge Wissenschaftler die Lehre von Kontrast, Rhythmus und Maß fasste. Ausgehend von der Beschäftigung mit den Farbtheorien führte Seurat Versuche auf Holztafeln und Leinwänden durch, zuerst mit Farbmischungen, dann mit getrennten Farbpunkten. In seiner Maltechnik nutzte er vor allem den Simultankontrast. Der Simultankontrast beschreibt das gleichzeitige (simultane) Wechselwirken von nebeneinanderliegenden Farbflächen. Im Zusammenspiel der Teile kommt es zu einer „optischen Überflutung“. Der Sehsinn sucht zu einer dargestellten Farbe die Komplementärfarbe, um ein „Farbganzes“ herzustellen. Fehlt dieser Farbeindruck so stellt die Wahrnehmung bei einer angrenzenden Farbe sie in einer Nuance her. Derart subjektiv empfundene Farben werden als induzierte Farben bezeichnet. Dieser illusionäre Charakter der Wahrnehmung bewirkt beim Betrachter eine Erregtheit. Die Stabilität der sich gegenüberstehenden Farben ist aufgelöst, sie kommen in ein wechselvolles Vibrieren und leuchten in neuen Wirkungen auf. Betrachtet man etwa eine weiße Fläche, die von einer grünen Fläche umgeben ist, so erscheint sie nicht als neutrales weiß, sondern besitzt einen rötlichen Schimmer, den „Schatten“ der imaginären Gegenfarbe. Ein reines Rot wird entsprechend mehr als Orange wahrgenommen, wenn man es vor einem blauen Hintergrund betrachtet, da das Blau seine Komplementärfarbe Gelborange induziert, die sich dann schließlich auf der Netzhaut des Auges mit dem Rot „mischt“. Der Simultankontrast beeinflusst nicht nur die Tönung, sondern auch die Helligkeit. Das graue Quadrat vor dem gelben Hintergrund erscheint gegenüber dem von Weiß umschlossenen blaustichiger und heller, obwohl beide Quadrate exakt dieselbe Farbe haben.

Georges Seurat war im Jahr 1883 erstmals und zum einzigen Mal im Pariser Salon vertreten. Dort wurde seine Zeichnung Porträt von Aman-Jean gezeigt. Im Folgejahr wurde das erste große Gemälde Seurats, Eine Badestelle bei Asnières vom Salon abgelehnt. Stattdessen wurde dieses Bild in der Ausstellung der Societé des Artistes Indépendants präsentiert. Dort lernte er Paul Signac kennen, mit dem ihn in der Folge eine Freundschaft verband.

Im folgenden Jahr wurde er durch Signac in die künstlerische Avantgarde und den Kreis der symbolistischen Literaten eingeführt. Dabei war er im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern dieser Zeit nicht von einer großen Bewundererschar umgeben und beim Publikum besonders beliebt. Seurat pflegte Kontakte zu den letzten Malern des Realismus, sowie zu Symbolisten und Dekadenten. Im Jahr 1886 stellte Seurat sein Bild Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte und neun weitere Werke in der letzten Ausstellung der Impressionisten aus. Seine Malweise wurde von dem Kunstkritiker Félix Fénéon ausführlich und sachlich erläutert. Der belgische Dichter Émile Verhaeren lud Georges Seurat zur nächsten Ausstellung der Avantgardegruppe „Les Vingt“ ein. Im Herbst 1886 zog Seurat in sein neues Atelier am Boulevard de Clichy.

Am 2. Februar 1887 nahm Georges Seurat zusammen mit Signac an der Eröffnung der Ausstellung von Les Vingt teil. Dort war er mit sieben Gemälden vertreten. Im selben Jahr formierte sich die von Signac begründete Gruppe der Neoimpressionisten, in der unter anderem mit Charles Angrand, Maximilien Luce und Albert Dubois-Pillet neben Seurat Vertreter der pointillistischen Maltechnik waren. Im Januar 1888 stellte Georges Seurat neben seinen Künstlerfreunden in den Räumlichkeiten der von Fénéon geleiteten „Revue Indépendante“ aus. Im Sommer reiste er an den Ärmelkanal. Dort fertigte er zahlreiche Seestücke an. Seurat nahm im Februar des Folgejahres zum zweiten Mal an der Ausstellung der Künstlervereinigung Les Vingt in Brüssel teil. Von internen Streitigkeiten verunsichert, entfernte sich Seurat zunehmend von seinen Freunden. Georges Seurat wurde von Jules Christophe ein Heft gewidmet, das in der von Fénéon geleiteten Reihe „Les Hommes d’Aujourd’hui“ erschien. Den Sommer verbrachte er in Gravelines. Dort malte er erneut Seestücke an der Nordsee. In der Ausstellung der Brüssler Künstlergruppe Les Vingt des Jahres 1891 nahm Georges Seurat erneut teil und zeigte dort das Bild Le Chahut und sechs Landschaftsgemälde. Im Salon des Indépendants zeigte er das noch nicht fertiggestellte Bild Zirkus.

Seurat wurde hauptsächlich durch sein von 1884-1886 entstandenes Bild Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte bekannt. Seurat vollendete im Jahr 1884 Die Badenden in Asnières (Baigneurs à Asnières), die von der Jury des Pariser Salons zurückgewiesen wurden. Im Sommer des gleichen Jahres begann er mit seinen Vorstudien zu Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte. Im Dezember stellte er bei den Indépendants noch einmal Die Badenden zusammen mit Studien zur Grande Jatte aus.

Seurat erklärte selbst in einem Brief, dass er am Himmelfahrtstag 1884 sowohl die Studie wie das Bild Grande Jatte begann. Er hielt seine Eindrücke auf kleinen Holztafeln fest und übertrug sie im Atelier auf die Leinwand. Doch bis zur endgültigen Fassung war noch ein langer Weg. Manche Elemente wurden entfernt, andere verändert, wieder andere hinzugefügt. So trat an die Stelle der sitzenden Frau im Vordergrund später die Spaziergängerin mit dem Affen an der Leine. Im März 1885 vollendete er das Bild der Grande Jatte, an dem er den ganzen Winter über gearbeitet hatte. In der endgültigen Fassung ist der liegende Mann mit Jockeymütze weiter ausgeführt wie auch die Figuren des Hintergrundes. Das Bild hat an Klarheit und an exakter Gestaltung gewonnen, dafür fehlt aber jegliche Spontaneität.

Das Bild zeigt Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten unter einem strahlenden Sommerhimmel am Ufer der Seine im Paris des späten 19. Jahrhunderts. Die Île de la Jatte ist eine etwa zwei Kilometer lange Seine-Insel im Westen von Paris. Seurat vermied weitgehend Überschneidungen der Dargestellten, sodass sie wie Silhouetten erscheinen. Aus dem Bild ist jegliche Spontaneität verbannt, sodass die Personen wie steife Puppen wirken. Der französische Autor Pierre Courthio bezeichnete Seurat als einen „Maler der Vertikalen“ und merkte zu seinem Stil an: „Man sagte mit Recht, fast jede Figur in Seurats Bildern sähe so aus, als sei ihr immer wieder gesagt worden: ‚Halte Dich gerade!‘“

Durch die Technik des Pointillismus besteht das Bild aus winzigen, wie im Raster gesetzten Punkten. Charles Angrand, der Seurat bei der Arbeit an dem Bild zusah, berichtet über dessen Malweise: Auf Seurats Palette herrschte immer Ordnung: drei Stränge Weiß neben dem Daumen, jeder für die Mischung mit einer der drei Primärfarben Rot, Gelb, Blau bestimmt.“ Die Farben stimmte er nach Abstufungen von hell-dunkel, warm-kalt und nach den Komplementärfarben ab. Die Mischung, das Gesamtbild, entsteht erst im Auge des Betrachters.

In diesem Bild wandte Seurat zum ersten Mal mit wissenschaftlicher Strenge die Theorie der optischen Mischung durch die Zerlegung der Farben an. Der Kunstkritiker Jules Christophe schrieb 1890 in der Seurat gewidmeten Nummer 368 der Zeitschrift Les Hommes d'aujourd'hui in einem von Seurat persönlich mitgestalteten Artikel: „An einem Nachmittag unter flimmerndem Sommerhimmel sehen wir die glitzernde Seine, elegante Villen am gegenüberliegenden Ufer, kleine, auf dem Fluß dahingleitende Dampfschiffe, Segelboote und ein Ruderboot. Unter den Bäumen, ganz in unserer Nähe, gehen Leute spazieren, andere sitzen oder liegen faul im bläulichen Gras. Einige angeln. Wir sehen junge Mädchen, ein Kinderfräulein, eine alte Großmutter unter einem Sonnenschirm, die aussieht wie Dante, einen Bootsmann, der faul hingestreckt seine Pfeife raucht und dessen Hosenbeine von der hellen Sonne regelrecht verschlungen werden. Ein dunkelvioletter Hund schnuppert am Gras, ein roter Schmetterling fliegt umher, eine junge Mutter geht mit ihrer kleinen Tochter spazieren, die ganz in Weiß gekleidet ist und eine lachsfarbene Schärpe trägt. Nahe dem Wasser stehen zwei Kadetten der Militärschule Saint-Cyr. Ein junges Mädchen bindet einen Strauß; ein Kind mit rotem Haar und blauem Kleid sitzt im Gras. Wir sehen ein Ehepaar mit seinem Baby und ganz rechts das hieratische, aufsehenerregende Paar, einen jungen Geck mit seiner eleganten Begleiterin am Arm, die einen purpur-ultramarinfarbenen Affen an der Leine führt.“

Paul Signac machte 1884 traf die Bekanntschaft von Georges Seurat und entwickelte mit ihm gemeinsam die divisionistische Malerei. Für ihre Malerei machten sie sich neue wissenschaftliche Entdeckungen der Farbtheorie zu Nutze und setzten Pigmente der reinen Farbe in zahllosen Pünktchen unvermittelt nebeneinander. Im Unterschied zu den Impressionisten mischten sie die Farbe nicht mehr auf der Palette oder auf der Leinwand, sondern überließen dies dem Auge des Betrachters. Die Leuchtkraft dieser nicht vermischten, ungetrübten Farbe bleibt dadurch optimal erhalten. Im selben Jahr gründete Signac gemeinsam mit anderen Künstlern die Société des Artistes Indépendants. 1885 begegneten er und Seurat Camille Pissarro, der für sich ebenfalls diese Malweise entdeckte und adaptierte. 1886 stellten die drei als Gruppe gemeinsam mit Pissarros Sohn in einem gesonderten Raum auf dem 8. Salon des Indépendants aus.

Ab 1888 wurde Signac von den Ideen des Anarchismus angezogen. Er entwickelte eine Freundschaft mit Jean Grave und veröffentlichte in Les Temps nouveaux. Ab 1896 spendete er einige seiner Werke für eine Tombola zugunsten des Journals. 1902 gab er einige Zeichnungen für Guerre-Militarisme (Krieg-Militarismus) frei, in der Grave das Vorwort schrieb und Maximilien Luce und Théophile Alexandre Steinlen weitere Illustrationen beisteuerten. Er veröffentlichte auch in Le Père Peinard (1894–1899) von Émile Pouget. Signacs Thema waren vor allem Landschaftsgemälde in hellen, leuchtenden Farben. Sein besonderes Interesse galt den Segelschiffen und der Welt der Häfen. 1904 reiste Signac nach Venedig und nahm von seinem Aufenthalt mehr als 200 formlose kleine Aquarellskizzen mit. Die Studien arbeitete er im südfranzösischen Saint-Tropez sorgfältig aus und schuf noch im selben Jahr elf Ölbilder. Neben seiner praktischen Arbeit als Maler zeichnete sich Signac auch als Theoretiker aus. Programmatisch ist sein 1899 erschienener Aufsatz „D'Eugène Delacroix au néo-impressionisme“ („Von Eugène Delacroix zum Neo-Impressionismus“).

Die Richtung des Divisionismus entstand in Italien, bevor Seurat und Signac ihn in Frankreich bekannt machten. Der italienische Divisionismus war eine Kunstströmung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Sein Name leitet sich von der Maltechnik her, die Farbfläche in nebeneinander gesetzte Pinselstriche aufzugliedern. Die Vertreter dieser Richtung blieben der akademischen Tradition verbunden, die aus dem reichen kulturellen Erbe Italiens hervorgegangen war, nahmen jedoch zugleich auch Anregungen der europäischen Moderne auf, insbesondere des französischen Neoimpressionismus (Pointillismus). Das Resultat war ein eigenständiger, von Farbtheorie und Optik beeinflusster Stil. Der Untertitel der Ausstellung Divisionismus/Neoimpressionismus: Arkadien und Anarchie spielt direkt und indirekt auf die Geisteshaltung an, die für viele dieser Künstler charakteristisch war. Ihr radikal neuer Lebensstil und ihre linksgerichtete politische Einstellung können als anarchistisch bezeichnet werden. Parallel dazu zeigt sich auch ein idealistischer Zug, der in idyllischen Landschaften oder mystischen Bildern Ausdruck fand.

Der Divisionismus entstand Ende der 1880er-Jahre in Norditalien. Zu den Vertretern der ersten Generation zählten Vittore Grubicy De Dragon (1851–1920), Emilio Longoni (1859–1932), Angelo Morbelli (1853–1919), Plinio Nomellini (1866–1943), Giuseppe Pellizza da Volpedo (1868–1907), Gaetano Previati (1852–1920), Giovanni Segantini (1858–1899) und Giovanni Sottocornola (1855–1917). Es handelte sich um eine neue, fortschrittliche Maltechnik, bei der verschiedenfarbige Pinselstriche nebeneinander gesetzt wurden, um den visuellen Eindruck eines einzigen, intensiven Farbtons zu erzeugen. Ihren Ursprung hatte sie in den optischen und chromatischen Theorien, die von Wissenschaftlern wie dem französischen Chemiker Michel-Eugène Chevreul in De la loi du contraste simultané des couleurs (1839) und dem amerikanischen Arzt Ogden Rood in Modern Chromatics (1879) entwickelt worden waren. Eingang in die Kunst fanden diese Theorien Anfang der 1880er-Jahre im Werk der französischen Neoimpressionisten, wobei Georges Seurat (1859–1891) Pionierarbeit leistete. Weitere Künstler folgten, darunter die Franzosen Charles Angrand (1854–1826), Henri-Edmond Cross (1856–1910), Albert Dubois-Pillet (1846–1890), Maximilien Luce (1858–1941), Camille Pissarro (1830–1903) und Paul Signac (1863–1935) und der Belgier Théo Van Rysselberghe (1862–1926).

Henri Edmond Cross (eigentlich Henri-Edmond Delacroix) war ein französischer Neoimpressionist, der in engem Kontakt mit Seurat und Signac stand. Henri-Edmond Delacroix wurde 1878 Schüler des Malers Alphonse Colas in Lille und begann seine Malerlaufbahn mit realistischen Bildern in dunkler Farbgebung. 1881 setzte er seine künstlerische Ausbildung in Paris bei François Bonvin und Dupont-Zipcy fort. 1883 nahm er seinen Künstlernamen Cross an und lernte Paul Signac kennen. Er bevorzugte immer mehr die Freilichtmalerei, wandte sich dem Impressionismus zu und entdeckte die französische Mittelmeerküste. 1891 verlegte er seinen Wohnsitz nach Cabasson im Süden Frankreichs, später dann nach Saint-Clair. Im gleichen Jahr starb Georges Seurat, sein Tod erweckte bei Cross das Interesse am Neoimpressionismus. Sein Kontakt zu Signac vertiefte sich. Nach mehreren Ausstellungen in Frankreich nahm er 1898 zusammen mit Signac, Maximilien Luce und Théo van Rysselberghe in Berlin an der ersten neoimpressionistischen Ausstellung in Deutschland teil. In seiner späteren Laufbahn inspirierte er mit seinen Werken u.a. Rousseau.

Cross führte das Verfahren des Pointillismus, Farbtupfen nebeneinander zu setzen, am Anfang streng durch. Die Farbeindrücke, aufgelöst in viele einzelne Töne, sollten sich erst im Auge des Betrachters wieder zu einem einheitlichen Ton verbinden. Doch ab 1895 wurden die Punkte größer, der Farbauftrag breiter, und die Farbnuancierungen kräftiger. Ab 1903 entfernte er sich zudem immer mehr von einer reinen Naturtreue in Richtung dekorativer Bildthemen. 1904 wurde er von Henri Matisse besucht, auf den er großen Einfluss ausübte; ohnehin kann Cross durch die vorwiegende Verwendung von Primärfarben als ein Vorläufer des Fauvismus gelten. Ab 1906 verdrängte das Aquarell langsam die Ölmalerei in Cross' Schaffen, sein Stil wurde weicher, die Technik weniger dogmatisch.

Der Impressionismus wurde nicht nur männlich geprägt; Berthe Morisot war jedoch die einzige bedeutende Malerin im französischen Impressionismus, deren Werke weltweit Bedeutung erlangten. Von 1860 bis 1862 war Berthe Morisot zusammen mit ihrer Schwester Edma Schülerin von Camille Corot, der ihnen das Malen im Freien lehrte. 1864 stellte sie schließlich erstmals Landschaften im Salon aus, und während der folgenden neun Jahre fanden auch alle weiteren Bilder von ihr die Anerkennung des Salons. Im Alter von 27 Jahren macht sie die Bekanntschaft mit Edouard Manet im Louvre, er berät sie bei ihrer Malerei und porträtiert sie, zum Beispiel in „Die Ruhepause“ und „Der Balkon“. 1874 heiratet Berthe Morisot dann Eugène Manet, den Bruder von Edouard Manet.

Des Weiteren schließt sie sich eng an die Gruppe der Impressionisten an, der sie zeitlebens verbunden bleibt. So nimmt sie auch an der ersten Impressionistenausstellung teil: Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir, Edgar Degas, Alfred Sisley, Camille Pissarro, Paul Cézanne, Eugène Boudin und Berthe Morisot traten 1874 mit einer Gruppenausstellung zum ersten Mal in Frankreich an die Öffentlichkeit. Das Revolutionäre an ihren Werken war nicht nur die neue Maltechnik, sondern auch, dass die Künstler ihre Bilder im Freien malten. Statt Form oder Inhalt proklamierten sie das Licht als einzige Richtlinie ihrer Kunst.

Ihre Grundsätze waren: Gemälde sind ein fragmentarisch dargestellter Teil der Natur und nicht etwa idealisierte und künstlich konstruierte Kompositionen. Perspektivische Studien werden nicht als das Ziel an sich betrachtet. Tiefe wird nur verschwommen und dunstig dargestellt, der Raum in zwei Dimensionen aufgeteilt. Neue Variationen der optischen Wahrnehmung entstehen durch Veränderung der Nuancen im Farbregister, durch Improvisation und Verfeinerung der Farben selbst. Die zwingt den Betrachter, auf die überaus kühne gegenseitige Durchdringung von Sujet und Material zu reagieren.

Berthe Morisot war auf dieser Ausstellung mit Bildern vertreten, die in ihrer malerischen Leichtigkeit und der Darstellung eines entspannten und dennoch aufmerksamen, sinnvollen Verhaltens von Menschen zu ihren schönsten frühen Arbeiten zählen: „Portrait de Mme Pontillon“, „Portrait de Mme Morisot et sa fille Mme Pontillon“ , „Sur le balcon“ , „Le barceau“ , „Sur l’herbe“ und „Cache-cache“ .

Im Rahmen der Erkenntnisse in der Optik und der daraus folgenden künstlerischen Auseinandersetzung mit der menschlichen Sehweise war von der Bildhauerei seltener die Rede. Formen in Farben aufzulösen ließ sich bildhauerisch kaum bewerkstelligen. Dennoch standen einige Bildhauer dem Impressionismus nahe, oder, wie Edgar Degas, schufen Maler auch plastische Werke.

Internationales Ansehen erwarb die Haager Schule in den Niederlanden, deren wichtigste Vertreter nach dem impressionistischen Stilmuster malten. Die Haager Schule hatte in Den Haag etwa zwischen 1870 und 1920 ihr Zentrum und wirkte dort auf die niederländische Malerei wirkte. Die dort ansässige Künstlergruppe ist wesentlicher Teil der internationalen Strömung des Impressionismus und wird kunsthistorisch als eigenständig angesehen. Einflüsse des Realismus, der Schule von Barbizon und des französischen Impressionismus in Verbindung mit der niederländischen Mentalität führten zum niederländischen Impressionismus, der kunsthistorisch auch als das „2. Goldene Zeitalter der Niederländischen Malerei“ bezeichnet wird. In Umfeld von Pulchri Studio sowie der Academie van beeldende kunsten zu Den Haag konnte sich diese Kunstströmung im Umfeld der alten Residenzstadt gut entwickeln, die dann letztendlich auch internationale Anerkennung fand.

Nach dem Wegfall der Schirmherrschaft für Künstler wurde nach einer neuen Möglichkeit gesucht, ein Zunftmodell neuerer Prägung aufzubauen. Im Jahre 1847 entstand mit der Gründung des Vereins Pulchri Studio ein neuer Weg. Diese Künstlervereinigung ist eine typisch niederländische Entwicklung. Sie steht in der Fortsetzung der Tradition der alten Akademien des 17. und 18. Jahrhunderts und den in den Niederlanden existierenden Sint-Lucasgilden.

Eine besondere Rolle spielten Zusammenkünfte, die als Kunstbetrachtungen (Kunstbeschouwingen) bezeichnet wurden und den Künstlern die Möglichkeit boten, ihre eigenen Werke den anderen Mitgliedern zu präsentieren und sich mit ihnen auszutauschen. Diese Art des Umgangs des Werkschaffenden als Lehrling mit anderen Kunstschaffenden als Meister sowie den kunstinteressierten Mitgliedern als Beschauer, ist mit der Garant für den großen Erfolg der Haager Schule bis heute gewesen. Die Örtlichkeit diente auch als Studio bzw. Werkstatt. Anfangs standen dieser Genossenschaft keine Ausstellungsräume zur Verfügung. Ersatzweise nahm man an der alle zwei bzw. drei Jahre stattfindenden Tentoonstelling van kunstwerken van levende meesters (Ausstellung von Kunstwerken von lebenden Meistern) teil, die an wechselnden Orten von 1808 bis 1917 stattfand. Im Jahre 1882 nahm Vincent van Gogh zusammen mit Bosboom und Henkes an solch einer Kunstbetrachtung teil. Darüber hinaus kam der Örtlichkeit die Funktion des sozialen Kontakts zu der einheimischen Bevölkerung zu. Sie war nicht nur eine Stätte der sozialen Begegnung, sondern bot darüber hinaus auch die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme zu Sammlern und Händlern.

Zu den Gründungsmitglieder von Pulchri zählten Lambertus Hardenberg, Willem Roelofs, Johan Hendrik Weissenbruch und Bartholomeus Johannes van Hove. Van Hove war 1847 auch der erste Vorsitzende dieser Künstlervereinigung. König Wilhelm II. übernahm die Schirmherrschaft. Bald darauf schlossen sich Johannes Bosboom, Jozef Israëls, Hendrik Willem Mesdag, Jan Weissenbruch und einige weniger bekannte Künstler dieser Gesellschaft an. Spätere bedeutende Mitglieder sind darüber hinaus Jan Sluyters, Paul Citroen und Willy Sluiter.

Viele erfahrene und erfolgreiche Maler, die heute der Haager Schule zugerechnet werden, bekleideten Vorstandsfunktionen bei Pulchri Studio und machten diese Genossenschaft so zu einem Bollwerk: Bosboom war Vorsitzender von 1852 bis 1853, Israëls von 1875 bis 1878, Mesdag sogar von 1898 bis 1907. Aber auch Jacob und Willem Maris, Anton Mauve, Roelofs und Weissenbruch waren Mitglieder des Vorstandes oder als Kommissionsmitglieder verantwortlich für den Zeichensaal, die Kunstbetrachtungen oder die Geselligen Zusammenkünfte.

Während ihrer wechselvollen Geschichte gab es auch Versuche der Abspaltung bzw. Gegenvereinigungen, wie die des Haagse Kunstkring. Diese Genossenschaft wurde im Jahre 1891 von dem Maler Théophile de Bock und dem Architekten Paul du Rieu ins Leben gerufen. Sie hat bis heute Bestand und wurde zu ihrem hundertjährigen Jubiläum mit der Medaille der Stadt Den Haag ausgezeichnet.

Im Jahre 1884 wurde in Den Haag eine kleinere Künstlervereinigung gegründet - Arti et Industriae. Ihr Ziel ist die Förderung des holländischen Kunsthandwerks und verfügt über einen Vorsorgefond. Von Anfang an ist sie mehr in Richtung der Thematik um Industrie bzw. des industriellen Fortschritts orientiert, also eine gänzlich andere Ausrichtung als die Haager Schule mit ihrem Pulchri Studio. Neben der Kontaktpflege und Koordination richtet sie auch Ausstellungen aus. - Sie sollte nie die Bedeutung und Ausstrahlung wie Pulchri Studio erlangen. - Allerdings die Nähe zum Regierungssitz sollte ihr Bestehen sichern.

Allerdings gab es aus der Kunstströmung der Haager Schule heraus, ohne die das Pulchri Studio nicht denkbar war, sowohl hervorragende Lehrer wie Schüler. Die hier herrschenden Rahmenbedingungen von Studio und Nähe zur Koninklijke Academie van Beeldende Kunsten zu Den Haag (Königliche Akademie der bildenden Künste) haben sich positiv auf die Entwicklung der epochebezogenen wechselnden Kunstströmungen ausgewirkt. Die Aufgeschlossenheit der Genossenschaft von Pulchri Studio zu Neuem in der Tafelmalerei führte zu einer weiteren Bewegung innerhalb des Holländischen Impressionismus der Haager Schule.

Die im Jahre 1855 in Brüssel gegründete Gesellschaft für Aquarellmalerei, die "Société Belge des Aquarellist", war recht erfolgreich und darf als landestypisch gesellschaftliche und soziale Umsetzung der schon lange sehr erfolgreichen Arbeit der "The Royal Watercolour Society" zu London gesehen werden. Gerade wegen der Kontakte nach Brüssel, auch über das Umfeld der "Académie Royale des Beaux-Arts de Bruxelles", wurde das Aquarellieren als Version des Malens wieder attraktiv. Es trug mit dazu bei, dass diese Aquarelltechnik vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum frühen 20. Jahrhundert ihren 3. Höhepunkt erreicht hatte.

Zum 31. Januar 1878 wurde die Hollandsche Teekenmaatschappij (Holländischen Zeichengesellschaft) aus den Reihen des Pulchri Studios gegründet. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörte der Kern der Haager Schule, also die Bewegung des Niederländischen Impressionismus. Sie war so organisiert, dass sie eigenständig war, aber mit Pulchri Studio eng verbunden blieb. Zu ihren Ehrenmitgliedern gehörten Maler aus Belgien, Deutschland und Italien. Im Jahre 1901 hörte diese Künstlervereinigung auf zu existieren.

Im Vergleich zu den Amsterdamern von der Soziëtait Arti et Amicitiae war man bei Pulchri nicht so konservativ. Ja man lehne sogar die althergebrachten Malstile ab. Dies führte zu einem Eklat. Hermanus Koekkoek hatte vom König Willem III. für ein Werk eine Medaille als Auszeichnung erhalten. Von Pulchri kam die Einrede, dass dieses Werk nicht mehr dem gegenwärtigen Stand der Kunst entsprechen würde. Damit nahm diese Gruppierung, die ja letztendlich die Haager Schule darstellte, öffentlich gegen die offizielle Kunstpolitik des niederländischen Königs Gegenposition ein. Dies wurde insbesondere von Artzt, de Bock, Bosboom, Israëls, Jacob und Willem Maris, Mauve, Mesdag und Neuhuys öffentlich vertreten. Darüber machten sie kund, dass man ihnen in Zukunft keine Ausschreibung zu einem Kunstwettbewerb mehr zuschicken möge.

Die Entwicklung zur Bewegung der Haager Schule ist auf William Turner und die Öffnung des europäischen Kontinentes nach dem Ende der Kontinentalsperre zurückzuführen. Zwei weitere Namen englischer Maler sind in diesem Zusammenhang von Wichtigkeit. Zum einen ist dies der Maler John Constable, der sich hauptsächlich der Ölmaltechnik bedient hatte. Dann ist noch Richard Parkes Bonington eine wesentliche Persönlichkeit. Im Jahre 1824 gewannen beide auf dem Pariser Salon eine Goldmedaille. Ihre Werke zeichnen sich durch eine Loslösung von der exakten Linienführung zugunsten ihrer Weichzeichnung bzw. des verlaufenden Übergangs aus. In Paris hatten eine Reihe von Malern wie Rousseau Kontakt zu Bonington und der für die damalige Zeit radikalen Maltechnik. Um 1830 fand in der Bewegung von 1830 die Loslösung vom Neoklassizismus statt. Man begab sich nach Barbizon, um der Landschaftsmalerei nachgehen zu können. Man griff die Natur als Motiv auf und der Mensch wurde Statist. Die Naturanschauung aus der Romantik und der Idealisierung der ländlichen Bevölkerung spielten eine wesentliche Rolle.

In den Niederlanden begaben sich Johannes Warnardus Bilders und Frederik Hendrik Hendriks in die seit Jahrhunderten unberührten Dörfer Oosterbeek bzw. Wolfheze und deren ländliches Umfeld. Um 1841 begannen diese beiden Künstlerindividuen das Thema Landschaft und das Landleben zu thematisieren. Ihr Vorbild war das 1. Goldene Zeitalter der Niederländischen Malerei. Die Bewegung 1830 in Barbizon wurde zum Vorbild genommen, diesen Weg in den Niederlanden zu beschreiten. Ein weiterer Maler, Jozef Israëls, hatte in den 40er Jahren in Paris studiert und kam dort u.a. mit Millet zusammen und nahm ihn mit als Vorbild. Im Jahre 1853 traf er auf Johannes Warnardus Bilders und es trat eine Neuorientierung von gewählter Bildgattung und Palette ein. Auch folgten die Maler Anton Mauve, Paul Gabriel und Gerd Bilders nach Oosterbeek. Damit war der Grundstein für die neue Malerkolonie Oosterbeeker Schule gelegt. Sie sollte nachher den Ruf Barbizon des Nordens erlangen. Dies ist umso wichtiger, weil von hier aus der niederländische Impressionismus seinen Anfang nahm.

Die Bezeichnung „Haager Schule“ wurde 1875 von dem Journalisten J. van Santen Kolff geprägt. In der Zeitschrift De Banier beschrieb er sie als eine „neue, ultraradikale Bewegung“. Die besondere Qualität der Haager Maler lag für van Santen Kolff in der spezifisch „holländischen“ Weise der Landschaftsdarstellung. Der vorherrschende Malstil der Haager Schule war der Impressionismus. Die Maler der Haager Schule erstrebten dabei vor allem die Wiedergabe einer bestimmten Atmosphäre an. Trotz unterschiedlicher Sujets war die koloristische Behandlung, deren Grau- und Braunwerte Konturen verschleiern und den Bildern herbstliche Melancholie verleihen, verwandt. Konservative Kritiker stellten deshalb den ästhetischen Gehalt jenes Realismus in Frage und lehnten die Haager Schule wegen ihrer „Graumalerei“ ab. Einer von ihnen schrieb 1888 in einer Ausstellungskritik: „Von Mesdag hängt dort ein Sturm, bei welchem die See schrecklich dreckig aussieht und die Wolken wie riesige Mehlknödel durch die Luft fliegen“.

Die Malerei der Haager Schule kam im späten 19. Jahrhundert zu Ergebnissen, die Fundamente der Moderne in den Niederlanden legten, auf denen später van Gogh und Mondrian aufbauten. Somit zählen sie zu den direkten Vorläufern des Neo-Impressionismus. Einige Künstler wie Paul Gabriël, Willem Roelofs, Johan Hendrik Weissenbruch und die Brüder Jacob, Matthijs und Willem Maris arbeiteten im Freien in den Marschen in der Nähe der Orte Nieuwkoop, Noorden und Kortenhoef und malten die holländische Kulturlandschaft mit Weiden und grasenden Kühen, Marschen mit Kanälen und Windmühlen. Andere Künstler bevorzugten aber auch die Küste und malten am Strand. Besonders das Fischerdorf Scheveningen wurde eine wichtige Quelle der Inspiration für Künstler wie Hendrik Willem Mesdag, Bernard Blommers, Anton Mauve und Philip Sadée.

Die Werke der Haager Maler waren aber keineswegs auf die Landschaftsmalerei beschränkt. Mesdag war besonders bekannt für seine Darstellung von ankommenden und abfahrenden Fischerbooten (sogenannte „bomschuiten“), ein Thema, das auch Bernard Blommers, Anton Mauve and Jacob Maris gerne behandelten. Vor allem Mesdag hatte mit seinen Meeresdarstellungen großen internationalen Erfolg und wurde damit zu dem am meisten verkauften Künstler der Gruppe. Das Fischer-Genre war zunächst auch das von Jozef Israëls bevorzugte Thema. Später kam Israëls zu einem verträumten und emotionalen „Innenraumrealismus“ mit Darstellung kleiner Alltagsfreuden und -leiden aus dem Leben der Fischer und Bauern. Im Gegensatz zu den anderen blieb er aber ein typischer Ateliermaler, der im Freien nur Skizzen erstellte. Ein etwas aus der Reihe fallendes Mitglied der Gruppe war der in Den Haag geborene Johannes Bosboom, der vor allem Architekturbilder verfasste, wie die Darstellung von Kircheninterieus.

Viele niederländische Maler des ausgehenden 19. oder frühen 20. Jahrhunderts wurden von der Haager Schule inspiriert und malten im selben Stil. Einige von ihnen wendeten sich später vom Haager Stil ab und gingen eigene Wege. Diese Gruppe von Malern wird häufig als Späte Haager Schule oder auch Zweite Generation der Haager Schule bezeichnet. Einige Vertreter waren Dirk van Haaren, Jan Hillebrand Wijsmuller, Daniël Mühlhaus und Willem Weissenbruch sowie Jan Willem van Borselen. Von der Haager Schule beeinflusst wurde unter anderem auch Vincent van Gogh, der in Den Haag die Künstler der Haager Schule kennenlernte und von seinem Vetter Anton Mauve in die Technik der Aquarell- und Ölmalerei eingeführt wurde. Entsprechend wurden seine frühen Werke von denselben erdigen Farben dominiert wie die seiner Vorbilder Anton Mauve und Jozef Israëls.

Die Erfolgsgeschichte dieser neuen realistischen Malerei, welche auch mit auf dem Wissen um die Maltechnik eines Rembrandt van Rijn aufbaut, kann als Zweites goldenes Zeitalter der Niederländischen Malerei gesehen werden. Die später sich etablierende Haager Schule wird kunsthistorisch mit dem Erscheinen von Joseph Israëls zugeordnet, also um das Jahr 1860, wo erstmals das Ausland auf diese Strömung aufmerksam wurde. Das Bild Grab der Mutter wurde vom Rijksmuseum erworben. Sein Gemälde Das Ertrinken wurde bereits in London während der Weltausstellung von 1862 als eines der bewegendsten Bilder der Ausstellung betrachtet. Die Wertschätzung dieser Bewegung wurde ihr erst elf Jahre später auf der Weltausstellung in Wien zuteil. Bemerkenswert ist, die Haager Schule trat immer geschlossen auf und hatte ihre eigenen Räumlichkeiten.

Von den 1870er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg war die Haager Schule in den Niederlanden und im Ausland begehrt und erfreute sich steigender Nachfrage. Vor allem in Deutschland (unter anderem durch Jan de Haas, der lange in München lebte), den USA und Schottland wurde man auf sie aufmerksam. Sie waren nahezu auf allen wichtigen Ausstellungen in Europa und der Neuen Welt wie in London, Wien, München, Venedig, New York, Boston, Washington DC und Montreal gegenwärtig. Viele wohlhabende Amerikaner, darunter auch Präsident William Howard Taft (1909–1913), ergänzten ihre Sammlungen durch Werke der Haager Schule.

Der Amsterdamer Impressionismus, auch als Schule von Allebé bekannt, hatte sich aus der Haager Schule entwickelt. Letztendlich gingen von hier wesentliche Impulse auf den Post-Impressionismus und die Moderne aus. Während die Haager Maler Landschaften und Meeresdarstellungen bevorzugten und das Atmosphärische betonten, waren die Amsterdamer Maler auf das realistische Alltagsleben in der niederländischen Städten konzentriert.

Als bedeutende Vertreter der Amsterdamer Impressionisten gelten George Hendrik Breitner, Isaac Israëls und Willem Witsen. Sie studierten an der Rijksakademie van beeldende kunsten bei Dozenten, die den hergebrachten Traditionen weniger verhaftet waren. 1882 gründeten sie den Freundeskreis „St. Lucas“ (der Schutzpatron der Maler), um die künstlerischen Fächer an der Akademie und die kollegialen Beziehungen unter den Studenten zu fördern. Zudem trafen sie sich die Mitglieder wöchentlich zu Kunstbetrachtungen und Vorträgen.

Im Jahr 1880 war Breitner als zwanzigjähriger in Den Haag über die Künstlervereinigung Pulchri Studio mit Vertretern der Haager Schule, wie Jozef Israëls, Jacob Maris, Anton Mauve und anderen in Kontakt gekommen. Er arbeitete im Haager Atelier von Willem Maris und half ein Jahr darauf Hendrik Willem Mesdag in Scheveningen beim Malen des bekannten Panoramas. 1886, nach einer zweijährigen Ausbildung bei Fernand Cormon in Paris kehrte er in die Niederlande zurück und ließ sich in Amsterdam nieder. Er löste sich vom Stil der Haager Schule und begann, Amsterdamer Stadtszenen und Stadtansichten zu malen. Er arbeitete mit schnellen Pinselstrichen und versuchte, einen Eindruck vom Leben auf der Straße mit seinen Handwerkern, Hausfrauen, Hafenarbeitern, Straßenhunden zu vermitteln. Seine Zeichnungen boten oft ein graues, deprimierendes Bild von den Straßen der Hauptstadt. Deshalb sollte er später als der Maler des „Impressionisme noir“ bekannt werden. Andere Amsterdamer Impressionisten waren Floris Hendrik Verster, Willem Bastiaan Tholen, Kees Heynsius, Willem de Zwart, Dirk van Haaren und Jan Toorop.

1875 ließ sich Jan Toorop in Den Haag nieder, um dort Schüler von Herman Johannes van der Weele zu werden. Unter Weeles Engagement formierte sich im darauf folgenden Jahr dort die Hollandse Teekenmaatschappkj (Holländische Zeichengesellschaft). Toorop war von Anfang an mit beteiligt und machte dabei auch die Bekanntschaft vieler Künstler, unter anderem die der Haager Schule, wie Johannes Bosboom, Anton Mauve und Hendrik Willem Mesdag.

Anschließend besuchte Toorop für zwei Jahre die Polytechnische Schule in Delft und wurde dort vor allem von Paul Tetar van Elven unterrichtet. In den Jahren 1880 bis 1881 studierte Toorop an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam und besuchte im Anschluss bis 1886 die École des Arts Décoratifs in Brüssel. In jener Zeit wurde Toorop stark von Jules Bastien-Lepage, James Ensor und Édouard Manet beeinflusst. 1883 unternahm er eine erste Studienreise nach England. Nach dieser Reise zog er in die Künstlerkolonie im belgischen Ort Malines ein.

1884 war er mit eigenen Werken auf dem Salon des Indépendants in Paris vertreten. Im selben Jahr schloss er sich der belgischen avantgardistischen Künstlergruppe Les Vingt (Die Zwanzig) um Ensor an, unternahm eine weitere Studienreise nach England und besuchte zum ersten Mal Paris. Seine Malerei ab diesem Jahr zeigte starke Bezüge zu den sozialen Problemen seiner Zeit. Bei einer weiteren Studienreise nach Großbritannien im Jahr 1885 traf er James McNeill Whistler und lernte die Schriften von William Morris über Kunst und Sozialismus und die Präraffaeliten kennen.

Die Präraffaeliten waren eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England zusammengekommene Gruppe von Künstlern. Diese prägten den nach ihnen benannten Präraffaelismus, einen Stil, der stark beeinflusst war von den Malern des italienischen Trecento und Quattrocento und von den deutschen Nazarenern – aber auch von Künstlern der italienischen Renaissance wie Botticelli und insbesondere Raffael, obwohl die Präraffaeliten jene bereits ablehnten.

1844 lernte der damals gerade fünfzehnjährige John Everett Millais an der Royal Academy in London seinen Mitstudenten William Holman Hunt kennen, mit dem ihn alsbald eine enge Freundschaft verband. Gemeinsam mit Dante Gabriel Rossetti, dessen Bruder William Rossetti, Frederic George Stephens, Thomas Woolner und James Collinson gründeten Millais und Hunt 1848 im Wohnhaus von Millais’ Eltern, 83 Gower Street, die präraffaelitische Bruderschaft. Das Haupt der Gruppe war Dante Gabriel Rossetti, der auch als Dichter hervortrat. Er bewunderte William Blake und hat entscheidend zu seiner Wiederentdeckung beigetragen. Er war 1848 kurze Zeit Schüler von Ford Madox Brown, der in Rom mit Overbeck und Cornelius bekannt war. Er erzählt Rossetti von dem damals bereits zerfallenen deutschen Lukasbund und spornt ihn zu einer ähnlichen Bruderschaft an.

Ihr Ziel war es, in der Malerei vor allem die Natur wiederzuentdecken und aus ihr zu schöpfen, was sie insbesondere mit detailgetreuen Darstellungen der Natur im Gemälde zu erreichen suchten. Sie lehnten die akademische Malerei ab, die nach einem Worte Hunts nur „Wachsfiguren“, nicht aber „lebende Wesen“ schuf. Ab 1849 wurde die Zeitschrift The Germ zur Verbreitung der präraffaelitischen Ideen herausgegeben. Sie erreichte indes nur vier Nummern. Ein jüngerer, bedeutender Vertreter der Richtung wurde Edward Burne-Jones. Zu diesem Kreis gehörte auch der heute völlig vergessene Simeon Solomon, der in seiner Zeit als Genie gefeiert wurde und von dem Burne-Jones sagte: „Solomon war von uns allen der größte Künstler.“

Als Erkennungszeichen sollten alle Gemälde mit „PRB“ signiert werden, ohne dass man jedoch die Bedeutung dieser Abkürzung der Öffentlichkeit preisgeben wollte, was jedoch nur kurze Zeit gelang. Waren die Werke der Präraffaeliten anfangs noch wegen ihrer zum Teil scharfen Realität (etwa in der Darstellung der Werkstatt in Millais’ Gemälde Jesus in seinem Elternhause) von der Öffentlichkeit (und insbesondere der Akademie) verfemt, so wendete sich das Blatt zugunsten der Künstlerbewegung, als John Ruskin, ein bedeutender Kunsthistoriker und -kritiker der Zeit, 1851 mit mehreren Briefen in der Times für die Präraffaeliten und insbesondere Millais Partei ergriff und das Darstellen der Natur ohne Kaschieren und Selektieren, wie es die Präraffaeliten pflegten, hochpries.

Der damit eintretende Wandel in der öffentlichen Kenntnisnahme der präraffaelitischen Malerei bescherte ihren Vertretern, und dabei insbesondere Millais, nun Anerkennung und vor allem erhöhten Absatz ihrer Werke, was nicht zuletzt auch durch eine „gefälligere“ Malweise forciert wurde (so insbesondere Millais’ Hugenotte, 1851/52). Die Zusammenkünfte der Bruderschaft wurden mit diesem (teilweisen) Erfolg ihrer Ideen seltener. Mit der Wahl Millais’ zum Associate der Royal Academy 1853 brach die Bruderschaft dann endgültig auseinander, was einige ihrer Mitglieder wie Rossetti und auch Hunt, dem an der Freundschaft mit Millais viel gelegen war, nur schwer überwanden. Eine neue Plattform für die weitere Arbeit fanden einige der Mitglieder ab April 1858 im Hogarth Club.

Präraffaelitisch, also vorraffaelitisch, bezieht sich auf die anfängliche Ablehnung des als klassisch empfundenen Werks Raffaels. Als vorbildlich wurde vielmehr die Kunst des späten Mittelalters herausgestellt und mit der Forderung nach naturalistischer Darstellung der Natur verbunden, wobei letztere sich wiederum auf eine Auseinandersetzung mit der jungen Fotografie bezog. Fasziniert waren die Präraffaeliten von der Klarheit und Strenge der spätmittelalterlichen italienischen Kunst des Trecento und Quattrocento, die sie der als barock empfundenen akademischen Kunst der Zeit vorzogen. So war es wohl eine glückliche Fügung, dass in den 1840ern einige wichtige Werke der altniederländischen und italienischen Malerei vor Raffael Eingang in die National Gallery fanden: 1842 die Arnolfini-Hochzeit von Jan van Eyck (1434) und 1848 der San-Benedetto-Altar von Lorenzo Monaco (1407–1409). Vor allem in der Werkstatt-Praxis der Frührenaissance-Maler fanden die Präraffaeliten – wie auch vor ihnen bereits die Nazarener – ihr Vorbild. Der historische Bezug sollte dabei nicht in ein l’art pour l’art münden, sondern die Gesellschaft verändern helfen.

Begeistert von der spätmittelalterlichen italienischen Freskomalerei, wandte zuerst Hunt eine dem Fresko ähnliche Technik auf der Leinwand an. Ein Freskomaler muss in den feuchten Putz malen und kann nur abschnittsweise arbeiten. Er muss die Bildabschnitte jeweils an einem Tag vollenden und kann danach keine Korrekturen mehr vornehmen. Genauso malte auch Hunt abschnittsweise: Er vollendete einzelne Abschnitte und korrigierte danach nichts mehr. Dies wurde alsbald von den anderen Präraffaeliten übernommen. Zudem näherte man sich dem Fresko dadurch an, dass man auf einem noch feuchten weißen Malgrund arbeitete, was den Farben eine ungewöhnliche Brillanz verlieh.

Schon lange vor den Impressionisten malten die Präraffaeliten in umfangreichem Maße an der frischen Luft: Die genauen Naturdarstellungen selbst in den Hintergründen erfolgten vielfach unter zum Teil widrigen Bedingungen unter freiem Himmel. Wie weit die Präraffaeliten ihren Realismus trieben, zeigt ein Vorkommnis anlässlich der Entstehung von Millais’ Ophelia: Das Modell, Elizabeth Siddal, das stundenlang in einem leichten Kleid in der Badewanne Modell liegen musste, erkrankte lebensgefährlich an einer Lungenentzündung. Sowohl das Malen nach Abschnitten als auch die in allen Bildteilen brutale und äußerst detaillierte Realität der Naturdarstellung lassen die Bilder oft „auseinanderfallen“; es entsteht ein für die normale Bilderfahrung kaum noch fassbares Mosaik aus je in sich abgeschlossenen Bildteilen. Die dadurch bedingte flächig-teppichartige Wirkung der Bilder nimmt die Gestaltungsprinzipien der späteren Jugendstilmalerei vorweg.

Ihr Zeichenstil hebt die Präraffaeliten am stärksten von der akademischen Praxis ab, keine runde „klassische“ Zeichnung, sondern in starren „gotischen“ Formen gehaltene Grafik wurde von den Präraffaeliten vorgezogen. Die präraffaelitische Kunst ist bekannt für ihre leuchtenden und lebendigen Farben. Die Künstler erreichten dies, indem sie die Leinwand weiß grundierten und darauf in dünnen Schichten die Ölfarbe auftrugen. Ihre Arbeiten waren akribisch und ihre Themen inspiriert aus Mythen und Legenden, Shakespeare und Keats. Ihre Frauen waren wunderschön und trugen lange Haare, was heute mit „viktorianischer Schönheit“ gleichgesetzt wird.

Ihre wichtigsten Vertreter waren Sophie Gengembre Anderson, John Collier, William Holman Hunt, John Everett Millais. Die Präraffaeliten entstanden aus der Ablehnung der sterilen Akademiemalerei ihrer Zeit. Anders als die Nazarener hatten sie nicht nur einen religiösen Impetus, sondern setzten sich in ihrer Themenwahl zunächst auch mit den sozialen Aspekten ihrer Zeit auseinander. Die Präraffaeliten stehen in engem Zusammenhang mit der späteren Arts-and-Crafts-Bewegung um William Morris, ebenso zum Ästhetizismus, zum Symbolismus und zum Jugendstil. Sie waren letztlich ein Ausfluss romantischen Strebens zur Natur, die zum Teil stark mystifiziert wird, zum anderen ist eine Hinwendung zum Mittelalter zu verzeichnen, die auch auf dem Kontinent die kulturelle Debatte der Zeit bestimmte.

1886 war Toorop der erste niederländische Maler, der die neuen Techniken des Pointillismus anwendete. 1887 erlitt er eine schwere Krankheit, die ihn eine Zeit lang erblinden ließ. Im selben Jahr starb seine erste Tochter Anne Marie. 1888 lebte und arbeitete er in Elsene und zog im folgenden Jahr nach Großbritannien um. Dort lernte er William Morris persönlich kennen. 1890 zog er wieder zurück in die Niederlande, nach Katwijk. Er nahm Verbindungen zur niederländischen Künstlergruppe der Tachtigers (Achtziger) in Noordwijk auf und entwickelte seine eigene Auffassung des Symbolismus, die auch javanische Elemente mit einbezog. Diese Stilrichtung hatte er durch die Schriftsteller Maurice Maeterlinck und Émile Verhaeren kennengelernt. 1892 war er mit einer Reihe symbolistischer Bilder auf dem Salon de la Rose-Croix in Paris vertreten; für ein Jahr schloss er sich der veranstaltenden Gesellschaft, den Rosenkreuzern an.

Auguste Rodin war der wichtigste Bildhauer des späten 19. Jahrhunderts. Wenige Jahre nach seinem Aufenthalt in Italien, wo Rodin der Kunst der Renaissance und besonders den Werken Michelangelos begegnet war, begann der Pariser in seiner Heimatstadt mit der Arbeit am Höllentor. Inspiriert vom Inferno, einem Teil der Göttlichen Komödie des italienischen Dichters Dante, schuf Rodin einen monumentalen Eingang zur Hölle.

Im Sommer 1880, erhielt Rodin den Auftrag für eine bronzene Tür für das geplante Musée des arts decoratifs. Er wählte für dieses Werk selbst das Thema – Dantes göttliche Komödie, insbesondere das Infernogeschehen. Dieses Tor wird Rodin von da an insgesamt 35 Jahre in Anspruch nehmen und ihn zu 185 Figuren anregen.

Lediglich die Grundkomposition ist in Bronze gegossen. Das Gesamtwerk blieb unvollendet, da Rodin immer wieder Figuren entfernte, sie verrückte oder neue Figurengruppen hinzufügte. Vollendet sind dagegen zahlreiche Figuren, die durchaus als autonome Werke wirken und insgesamt den „ganzen künstlerischen Kosmos“ des Auguste Rodins bilden.

Eine der daraus entsprungenen und berühmtesten Figuren ist der Denker (le Penseur), dessen erster Bronzeguss 1880 zusammen mit dem Modell der Pforte entstand. Rodin plante ihn zunächst als Verkörperung des Dichters Dante vor der Höllentür: „Dante saß vor diesem Tor auf einem Felsen und in seinen Gedanken entstand das Gedicht.“ Im Bronzemodell thront er über seiner Schöpfung, doch ist es nicht der schmächtige Dante, sondern eine athletische Aktfigur, ein muskulöser Anonymus. In der originalen Bronzeausführung, welche das Musée Rodin in Paris besitzt, entspricht der Denker mit 0,72 x 0,45 x 0,56 Metern nur zur Hälfte den menschlichen Proportionen. Seine Wirkung verliert er durch seine geringe Größe nicht. Auf einem Fels stützt er sich nach vorne gebeugt auf seinen linken Oberschenkel. Der Kopf ruht auf einer seiner großen Hände. Der raue, kantige Stein bildet einen Kontrast zum glattpolierten Körper, auf dem das Licht durch Reflektionen und Schatten seine Muskeln umspielt. Jeder Muskelstrang ist angespannt und lässt den Betrachter die Anstrengung seines Gedankenganges förmlich spürbar werden. Seine Stirn ist in tiefe Falten gelegt, der Blick nach innen versunken. Er grübelt, er denkt.

Neben Dante sind es die Texte von Charles Baudelaire fleurs du mal und die antiken Metamorphosen Ovids, die Rodin zu seinem Werk anregen. Daneben ließ sich der Künstler auch von den Plastiken und Bildern der Antike und Renaissance inspirieren: „Ich gehe weit zurück in die fernste Antike. Ich möchte die Antike wieder an die Gegenwart anbinden, die Erinnerung wieder lebendig machen, über sie urteilen und schließlich zu einem ganzen Bild vervollständigen.“ Während seiner Italienreise 1876 bewunderte Rodin vor allem die Werke Michelangelos. Der Denker zeigt deutlich den Einfluss Michelangelos auf Rodin. In der Literatur wird er verglichen mit dem Moses aus dem Grabmahl für Papst Julius II., dem Propheten Jeremias von der Sixtinischen Decke, sowie mit der Statue des Lorenzo de’ Medici aus der Medici-Kapelle in Florenz[6]. Besonders die Art und Weise, wie Rodin Körper modelliert, jedem Muskelstrang und Sehne unter der Haut bewusst, verleiht seinen Figuren einen Hauch von Michelangelo. Dem Denker verlieh Rodin die kräftigen Michelangelo- Hände und -Füße. Doch das Wichtigste, an was er anknüpfte war die Verbindung von Kraft und Geist, der Einklang von Sensibilität und herkulischer Kraft in einer Skulptur.

Trotz seiner Muskeln ist der Denker durch seine tiefe Versunkenheit angreifbar. Sein Körper ist nicht der Ausdruck körperlicher Stärke, sondern seines starken Geistes und innerer Gefühlswelt. Rodin geht es nicht wie seinen zeitgenössischen Mitstreitern um die Illustration eines literarischen Textes, sondern um den autonomen Ausdruck und dessen inneren Wert, welchen er durch das Modellieren der Körper erreicht. Dies ist Rodin bei der Umsetzung von Dantes göttlicher Komödie gelungen. Es ist nicht mehr Dante, den er darstellt. Die Figur wird individuell, „er ist kein Träumer. Er ist ein Schöpfer.“ Durch diese Aussage Rodins wird der Denker bald mit Rodin selbst identifiziert. Daher ist es kein Zufall, dass einer der vielen Abgüsse des Denkers Rodins Grab in Meudon ziert.

Die Skulpturengruppe Die Bürger von Calais bestellte 1884 die Stadt Calais, was eine Begebenheit aus der Stadtgeschichte symbolisieren sollte. 1347 belagerte der englische König Edward III Calais. Er bot an, von der Einnahme der Stadt abzusehen, wenn sich ihm sechs Patrizier ergeben würden. Rodins Darstellung der Männer geht wohl auf eine zeitgenössische Quelle zurück, die um eine Hauptfigur dargestellt ist. Rodins Bronze hat keine Hauptansicht, vor allem verzichtet der Bildhauer darauf, seine Werke auf einen Sockel zu stellen. Die Aufstellung auf Augenhöhe der Betrachter, die damit aufgefordert wurden, die Plastik zu umrunden, war bereits Neuland im Bildhauerwesen seiner Zeit. Rodins Figuren widersprachen auch den neoklassizistischen Idealen, nach denen sonst Figuren hergestellt wurden. Beteiligt an der Entstehung der Gruppe Die Bürger aus Calais war Rodins Schülerin und Geliebte, Camille Claudel. Die Bildhauerin formte Füße und Hände mehrerer Figuren.

Symbolismus

Während sich Realisten und Impressionisten mit der sichtbaren, erfassbaren Wirklichkeit auseinandersetzten, bildete sich in den 1880er Jahren eine gänzlich anders orientierte Richtung heraus. Jenseits der Errungenschaften der Moderne wendeten Literaten und Künstler in Europa sich zeichenhafter Bildsprache zu. In den Jahren nach der Vereinigung Deutschlands 1871 entwickelt sich ein neureiches, selbstzufriedenes Bürgertum. Die Väter der Intellektuellen und Künstler kommen meistens aus dem Bürgertum, und der Konflikt mit den Vätern wird ein wichtiges Motiv vor allem in der Literatur dieser Zeit. In der Kunst wiederum werden auch neue Tendenzen spürbar. Der Historismus wird als theatralisch immer mehr abgewertet und der Realismus verliert seine innovative Kraft.

Der Symbolismus entstand in Frankreich teilweise als Reaktionen auf klassizistische und realistische Strömungen: „Au total, le symbolisme a libéré les esprits de la tyrannie du positivisme sous sa double forme parnassienne et naturaliste.“. Das gemeinsame Merkmal mit den anderen Stilrichtungen der Jahrhundertwende besteht darin, dass sie alle als Gegenströmungen zum Naturalismus auftreten. Der Symbolismus ist aber am weitesten vom Naturalismus entfernt. Der Begriff wird doppelsinnig in der Literaturwissenschaft gebraucht: Einerseits ist so eine historische begrenzte Epoche der europäischen Literatur im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert benannt, und andererseits bezeichnet der Begriff eine Summe von dichterisch-lyrischen Techniken und Methoden, die ihre Wirkung auch im 20. Jahrhundert fortsetzt. Vertreter dieser Richtung stellen in keinem europäischen Land eine einheitliche Gruppe dar, da die Art und der Grad der Einwirkung unterschiedlich ist. Sie sind von Spanien bis Russland zu finden: In Belgien Maeterlinck, in Italien d’Anunzio, Ungaretti, in Russland Brjussov, Balmont, Blok, Belyi, in Spanien Garcia Lorka, Alberti.

Symbolistische Werke sind durch ein strenges Form-, sowie Sprachbewusstsein geprägt. Die Form bestimmt das Thema eines Gedichtes. Nicht der vordergründige Gedichtinhalt ist wichtig, sondern der hintergründige Gedichtgehalt, der durch die formbewusste Sprache vermittelt wird. Alles an der Form eines Gedichtes, jedes Wort, jeder Wortzwischenraum ist bewusst und wohlüberlegt gewählt. In dieser Epoche stehen die Forderung nach Selbstlegitimation der Poesie und der schöpferische Dichter im Vordergrund. Die Kunst sollte eine „reine Schöpfung“ sein, die zu nichts bedingt und zu nichts verpflichtet ist, außer zum Dienst an sich selbst (l’art pour l’art). Poetologisch ist der Symbolismus damit eine „poésie pure“ und unterliegt keinen Fremdzwecken wie der Beschreibung oder Belehrung. Schlagwörter, die die Dichtung der symbolistischen Epoche charakterisieren, sind „Abgrenzung und Legitimation.“ Eine geschärfte sinnliche Wahrnehmung wie im Realismus und Naturalismus ist zwar auch im Symbolismus vorhanden, allerdings bleibt diese nicht konkret, sondern führt durch das Mittel der Abstraktion zu einer neuen Betrachtungsweise.

Bei Rilke äußert sich diese neue Betrachtungsweise meist in der detaillierten, wenn auch unkonkreten Beschreibung eines Dinges. Grundlegend für die poetische Verfahrensweise des Symbolismus ist die „Methode des Andeutens“, denn ein „direktes Benennen ist in der Poetik des Symbolismus ja auch ausdrücklich verpönt.“ Dieses Andeuten kann neben der Verwendung von Metaphern durch vielerlei Vorgehensweisen erreicht werden. So gibt es beispielsweise die Tendenz zur Abstraktion in der die Realität abgehoben von einer wirklichen Abbildung abstrahiert dargestellt wird. Auch die Technik des suggestiven Aussparens und schnell wechselnde Bildpunkte innerhalb eines Gedichtes fördern diese Art des Umschreibens, in der nichts konkret genannt wird. Auch die Isolation eines Wortes durch Enjambement schafft Ambiguitäten und das Diffundieren von Gegensätzen führt dazu, dass an das Verständnis des Lesers hohe Ansprüche gestellt werden. Außerdem spielt das Gebot der Kürze eine wichtige Rolle. Allein durch dieses Gebot sind Autoren aus der Epoche des Symbolismus zu einer Indirektheit des Ausdrucks gezwungen. Sie stehen im Spannungsverhältnis zwischen der Kürze auf der Ebene der Form und der Fülle an darstellungswürdigen Gedanken auf der Ebene des Inhalts. Die wohl prägende, kennzeichnende und auch namensgebende Rolle für die literarische Epoche spielt die Verwendung von Symbolen. Symbole dieser Epoche folgen allerdings nicht unserem heutigen Alltagsverständnis und dürfen nicht als Zeichen verstanden werden, denen eine konkrete Inhaltsseite zugeordnet ist;

Schlüsseltext des Symbolismus wurde Charles Baudelaires Gedichtzyklus Die Blumen des Bösen, das im Jahre 1857 erschienen war.

Mit Charles Baudelaire begann eine neue Epoche in der Geschichte der europäischen Lyrik. Er brachte neue faszinierende Themen wie das Morbide, Paradoxe und Abgründige in die Poesie und verlieh als einer der Ersten dem Empfinden des modernen Großstadtmenschen Ausdruck. In einer hässlich gewordenen Welt wollte er das Schöne durch Imagination und Erinnerung in der Dichtung wiedergewinnen.Sein dichterisches Hauptwerk „Die Blumen des Bösen“ (1857) bereitete formal und thematisch die moderne europäische Lyrik vor. Von der emotionalen Bekenntnislyrik der Romantik hob sich Baudelaire klar ab. Dichtung war für ihn ein intellektueller Prozess. Die radikal veränderte Thematik ging einher unbedingtem Formwillen, der sich in der genauen Komposition und in strengen Gedichtformen niederschlug. Wesentliche Kennzeichen seines Stils sind suggestive Bilder und Metaphern, rhythmische Sprache und die poetische Kraft der Symbole.Das einleitende Gedicht „Segen“ verweist auf die Eigenart des Zyklus als angebliche Ausgeburt einer höllischen Fantasie. „Ennui“ bezeichnet jenes Gefühl, zu dem der moderne Mensch verdammt ist, eine Mischung aus Schwermut, Langeweile und Lebensüberdruss. Ob aus der Übersättigung oder aus dem Verlust an Illusionen erwachsen, „ennui“ bildet eines der widerlichsten und gefährlichsten  Gebrechen der modernen Zivilisation. Der Dichter nimmt die Pose desjenigen ein, der sich in Verstellung und Schein darstellt, Mime, Saltimbanque, Bouffon und Bohemien sind seine erratischen Identifikationsfiguren. Die Künstlichkeit der Großstadt, der Rausch und die Blasphemie bieten nur scheinbar Fluchtpunkte. Die Gedichte der ersten, umfangreichsten Gruppe „Spleen et idéal“ (von Stefan George mit „Trübsinn und Vergeistigung“ übersetzt) spiegeln das Ringen des Dichters wider, seine Aufschwünge, Stürze und seine Resignation. Dem „ennui“ beziehungsweise “ spleen“, den Walter Benjamin als „Katastrophe in Permanenz“ definierte, stellt Baudelaire die Sehnsucht nach dem Ideal, das „Streben nach dem Grenzenlosen“ entgegen. Die moderne Zivilisation ist für ihn eine entfremdete Welt, in der kaum einer die Erfüllung seines Lebenssinns findet. In den Hymnen auf die dunkle Geliebte und ihre Attribute sind die auf den Tropeninseln gemachte Entdeckung einer antikanonischen, bizarren, regelwidrigen Schönheit eingeflossen, deren Haar, deren Duft, deren Gang er Lobgesänge in einer kühnen Assoziationstechnik gewidmet hat.

Die unter dem Titel „Pariser Bilder“ zusammengefassten Gedichte begründeten Baudelaires Ruhm, als erster die zivilisatorischen Reize der modernen Großstadt in die Poesie einbezogen zu haben. Die Gedichte enthalten Bilder, Träume und Visionen von Paris, der „schrecklichen Landschaft“, die bevölkert wird von Blinden und Bettlern, Buckligen und Greisen. Selbst das Grauen kann den müßigen „Flaneur“ faszinieren. Haussmanns neue Boulevards mit ihren glatten Bürgersteigen und asphaltierten Straßenflächen erzeugten überhaupt erst jenes Großstadt-Durcheinander, die schiebende und geschobene Menge, ohne das Baudelaires Gedicht „Einer Vorübergehenden“ nicht hätte entstehen können: „Es tost betäubend in der strassen raum…“ In den Gedichten der Gruppe „Der Wein“ geht der Dichter den bewusstseinserweiternden Wirkungen von Rauschgiften nach und singt dem Wein ein Loblied, da er das Elend vergessen ließe und die Liebenden in das Paradies der Träume führe. Doch letztlich bringt auch die Flucht in den Rausch keine Erlösung. Aus den Gedichten der Gruppe „Blumen des Bösen“ und den blasphemischen Versen von „Aufruhr“ spricht die Stimme der Verzweiflung, aus der kein Weg mehr hinauszuführen scheint. Die Gedichte „Der Tod“ und „Die Reise“ beschreiben die letzte Reise in den Tod, die Erlösung bringt vom „ennui“. Der Dichter unternimmt die Reise, gleich, ob sie zum Himmel oder zur Hölle führt, da er auf dem Grund des Unbekannten Neues zu finden hofft.

Baudelaires neue Sensibilität analysiert die neue Epoche nicht mehr nach dem üblichen Schema – wie Fortschritt oder Verfall –, sondern im Erspüren der Atmosphäre, im Wahrnehmen ganz neuer sozialer und seelischer Befindlichkeiten, im Bewusstsein, dass eben nur dieses gleichzeitig exakte und intuitive dichterische Erkundungswagnis das Bild der Zeit liefern würde. Er zerriss die Träume von einem bürgerlichen Reich der Vernunft, Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenliebe, Harmonie und Schönheit und schilderte stattdessen die Kehrseite dieser Illusionen: die Herrschaft des Egoismus, der Rohheit und Sinnlichkeit. Er zerschlug das Traumbild einer schönen Natur, in der sich die Menschen in Harmonie und Glück begegnen.

Als Gegenbild führte er die Welt der bürgerlichen Zivilisation in die Dichtung ein, welche die ganze Existenz, auch die Natur durchwaltet und die Menschen sich fast nur noch in der Enge der Stadt zu Hause fühlen lässt. Die Gestaltung der Entfremdung zwischen den Menschen verlangte den Verzicht auf eine den unmittelbaren Kontakt von Mensch zu Mensch herstellende Gefühlslyrik, statt der „Poesie des Herzens“ eine „fühllose“, kühle Dichtung. Mit Baudelaire beginnt die Entpersönlichung der modernen Lyrik, auch die Tendenz der Verdinglichung, die Neigung, Personen Dinge anzuverwandeln.

Der Erfolg des Gedichtbandes war zu Lebzeiten Baudelaires eher gering. Erst spätere Dichtergenerationen wie die Symbolisten und die Surrealisten erkannten die neuartige suggestive Sprachmagie der Lyrik. Baudelaires entscheidender Einfluss ist im Werk von Dichtern wie Verlaine, Rimbaud und Stéphane Mallarmé, Paul Valéry, Georg Trakl, Rilke oder Paul Celan erkennbar.

Im Jahr 1859 lernte Baudelaire Édouard Manet kennen und war bis zu seinem Tod mit ihm befreundet. 1862 gab Manet ihm einen Platz in seinem Gemälde Musik im Tuileriengarten. Im gleichen Jahr malte er auch das Porträt der Jeanne Duval. Nach Baudelaires Tod fertigte er verschiedene Radierungen mit seinem Porträt an und hielt seine Bestattung in dem Gemälde Das Begräbnis fest. In der postum erschienenen Gedichtsammlung Le Spleen de Paris widmete Baudelaire die Geschichte La Corde (Der Strick) Édouard Manet. Hierin beschrieb Baudelaire den Suizid von Manets Ateliergehilfen Alexandre.

Manets Bild Musik im Tuileriengarten besitzt mehrere Details, die scharf umrissen sind - vor allem die Figuren männlicher Flaneure und weiblicher Flaneusen auf dem linken Bildflügel, des stehenden Flaneurs über dem aufgespannten Sonnenschirm und des in seinem Rücken nach rechts gewendeten Mannes, der den Hut lüftet. Die Dame gegenüber dem stehenden Flaneur allerdings und die von beiden Figuren zwickelartig gerahmte Bildmitte sind eklatant unscharf gehalten und offenbar absichtlich, weil vom oberen Bildrand her ein Stück blauen Himmels wie ein Richtungspfeil auf diese Bildvertikale weist. Die hier zu sehenden gelben und grauen Farbflecken stellen sich aus der Entfernung betrachtet so wenig plastisch dar wie einige Figuren auf dem rechten Bildflügel, die der Maler, in einem sprunghaften Wechsel von Schärfe zu Unschärfe im selben Bildsegment, lediglich skizziert.

Dargestellt ist eine Szene aus dem berühmten Tuileriengarten in Paris. Manet hatte dort viele Sommernachmittage verbracht und unter den neugierigen Blicken der Spaziergänger erste Skizzen angefertigt. Dieses Gemälde vollendete er allerdings in seinem Atelier. Die Stühle im Vordergrund des Bildes sind authentisch, im Sommer 1862 wurden nämlich alle Holzstühle des Gartens durch eben solche Eisenstühle ausgewechselt, wie sie besonders deutlich rechts vorne im Bild zu sehen sind. Außerdem hat Manet in dem Bild einige bekannte Gesichter versteckt: Freunde, Bekannte, Kritiker und Meinungsmacher. Augenfällig ist der Flaneur in der Bildmitte mit der weißen Hose, der sich nach links wendet: Es ist Manets Bruder Eugène. Direkt hinter ihm vor dem Baum befindet sich das Porträt des Komponisten Jacques Offenbach, es wirkt wie eine Karikatur.

Sich selbst hat Manet, vom linken Bildrand überschnitten, neben seinem früheren Ateliergenossen, dem Maler Albert de Balleroy stehend porträtiert. Wendet man den Blick von den zwei Malern etwas nach rechts, sind weitere Gesichter zu erkennen: Die sitzende männliche Person, deren Gesicht neben einem spitzen gelben Hut erscheint, ist der Journalist Zacharie Astruc, hinter ihm stehend der Mann mit dem Schnauzbart sein Kollege Aurélien Scholl. Bei dem etwas weiter rechts stehenden Mann, der den Betrachter anzuschauen scheint, handelt es sich um den Maler Henri Fantin-Latour. Weitaus undeutlicher, aber von Kennern identifiziert, ist die Personengruppe, die sich direkt über den gelb gewandeten Damen befinde. Diese Gruppe ist mit der schwarzen Baumbahn verknüpft, die den linken Bildflügel symbolisch zentriert.

Zu sehen sind das Profil Charles Baudelaires, dicht neben ihm das Dreiviertelporträt des Dichters Kunstkritikers Théophile Gautier, der sich gegen den Baumstamm zu lehnen scheint, und beiden gegenüber die Profilfigur des Museumsbeamten Baron Isidor Taylor. Über diese Dreiergruppe erschließt sich das ästhetische Programm des Bildes, das erstmals der schwedische Kunsthistoriker Nils Gösta Sandblad erkannte

Taylor hatte 1835 im Auftrag des Bürgerkönigs Louis-Philippe in Spanien Gemälde von Velázquez, Zurbaran, Murillo und Goya aufgekauft, die ab 1838 in der Galerie espagnol des Louvre zu sehen waren . Auch Théophile Gautier hatte Spanien während der Julimonarichie bereist und 1845 seinen Reisebericht veröffentlicht. Diese Spanienbegeisterung der älteren romantischen Generation hatte durch die Heirat von Napoleon III. mit der spanischen Prinzessin Eugénie de Montijo im Januar 1853 neuen Aufwind erhalten und erreichte 1862, als Manet "Musik im Tuileriengarten" malte, einen neuen Höhepunkt. In diesem Sommer gastierte eine spanische Ballettgruppe mit der berühmten Tänzerin Lola de Valence im Hippodrome von Paris und lockte unzählige Besucher an, unter ihnen auch Manet, der die Vorführungen gemeinsam mit Baudelaire besuchte und einige Bilder (Gemälde, Zeichnungen, Radierungen) der Tänzerin Lola, des Tänzers Don Mariano Cambrubi sowie der spanischen Ballett-Truppe schuf. Mit der Dreiergruppe Baudelaire, Gautier, Taylor schrieb Manet seinem Gemälde die Genealogie seiner Ästhetik ein.

Zunächst bildete Manet einige Figuren seines Bildes dem 1851 vom Louvre angekauften Gemälde "Die kleinen Kavaliere" nach, das man damals für ein Werk von Velázquez hielt; nach diesem Werk hatte Manet 1861-62 eine kolorierte Radierung geschaffen. Der bildbestimmende Kontrast von "Schwarz" und "Weiß" allerdings orientiert sich weder an den "Kleinen Kavalieren" noch an der Porträtmalerei von Velázquez, sondern in seiner Härte an der Mal- und Radierkunst von de Goya. Während der Enthusiasmus für die spanische Kunst insgesamt den jüngeren Baudelaire mit Gautier und Taylor als Vertreter der älteren romantischen Generation verbindet, ergibt sich über Goya die nähere Verbindung zu Manet.

Denn über Eugène Delacroix hinaus nennt Baudelaire Goya in seinem Gedicht Les Phares als Vorbild seiner pessimistischen Ästhetik. 1857 veröffentlichte er einen Essay über Goyas Radierungen als Ausdruck des "absolut Komischen". Unter dem absolut Komischen verstand Baudelaire eine Ästhetik bitterster Ironie, wie sie insgesamt seine "Blumen des Bösen" verwirklichen. Dieses absolut Komische unterscheidet Baudelaire vom "historisch Komischen" des französischen Malers und Karikaturisten Honoré Daumier, der nach Baudelaires Ausführungen einen zwar unbestechlichen, doch wohlwollenden Blick auf die Schattenseiten der modernen Gesellschaft und das moderne Großstadtleben richtete, wie es sich seit dem Umbau der Stadt unter dem Baron Georges-Eugène Haussmann gestaltete. 1859 lernt Baudelaire den damals weitgehend unbekannten Constantin Guys kennen, dessen Zeichnungen und Aquarelle er mit Daumiers Bildästhetik in Verbindung bringt, und beginnt im Winter 1859, einen Aufsatz über Guys zu schreiben. Dieser Aufsatz erscheint vier Jahre nach seiner ersten Konzeption im November und Dezember 1863 unter dem Titel "Der Maler des modernen Lebens" in der Zeitschrift Le Figaro.

Damit schließt sich der Kreis: Neben der Radierkunst von Rembrandt war die von Baudelaire gewürdigte Radierkunst Goyas ein wichtiges Vorbild der im Frühjahr 1862 gegründeten Société des Aquafortistes. Die Gründungsurkunde dieser Gesellschaft nennt berühmte Maler und Radierer der romantischen Generation und Vertreter einer neuen Künstlergeneration, darunter Manet und seinen Freund Henri Fantin-Latour. Im April 1862 schreibt Baudelaire einen ersten Artikel über die neue Gesellschaft und ihre jüngeren Mitglieder, im September desselben Jahres einen zweiten. Während Manet im ersten Artikel als bloßer Name auftaucht, stellt Baudelaire Manet in seinem zweiten Artikel als neues großes Talent in der Nachfolge von Gustave Courbet vor. In diesem Beitrag spricht Baudelaire Manets Malerei "spanische Würze" zu. Zudem hebt er Manets "entschiedenen Geschmack" für die "moderne Wirklichkeit" hervor und kündigt diejenige Ausstellung für das kommende Frühjahr an, in der "Musik im Tuileriengarten" zu sehen sein wird, die Ausstellung in der Galerie Martinet. Entgegen einer anders lautenden Legende, die von Manets Biografen Antonin Proust stammt, zeigt der Vergleich der Artikel, dass sich Manet und Baudelaire im Frühjahr 1862 über die "Gesellschaft der Radierer" kennen lernten und im Sommer desselben Jahres enge Freundschaft schlossen. Insofern ist "Musik im Tuileriengarten" zunächst ein Dokument der neuen Freundschaft Manets mit dem wichtigsten Dichter und Kunsttheoretiker seiner Zeit.

Henri Fantin-Latours Gemälde Hommage à Delacroix bezeugt diese Freundschaft im Kreis der jungen Mitglieder der Gesellschaft der Radierer, jedoch in anderer Form. Im Vergleich zu diesem Gemälde wird die Neuheit der Formensprache Manets besonders deutlich. Sie besteht darin, dass Manet in kontrastierenden und diskontinuierlich gesetzten malerischen "Flecken" das Bild einer dicht gedrängten Menge von Zeitgenossen in einem konzentrierten Moment ihrer Wahrnehmung verwirklicht. Weil die Protagonisten innerhalb der Menge einerseits still stehen und andererseits in Bewegung sind, malt Manet ihre Wahrnehmungsbilder im selben Bild dicht benachbart scharf und unscharf zugleich. Diese neuartige Verwirklichung einer Wahrnehmungsästhetik verbindet "Musik im Tuileriengarten" mit Baudelaires viel diskutierter Theorie ästhetischer Modernität, wie er sie im Essay über den "Maler des modernen Lebens" entwickelt. Eine Pointe ist, dass Manets "Musik im Tuileriengarten" Baudelaires Modernitätstheorie eineinhalb Jahre vor dem erstmaligen Erscheinen des Essays als eine gemalte Kunsttheorie vor Augen stellt.

Erstmals machte der Kritiker Alfred Sensier auf die Verbindung der Ästhetik Baudelaires und Manets aufmerksam, als er 1865 über Manets Olympia schrieb: "Malerei der Schule Baudelaires, ausgeführt von einem Schüler Goyas". Die zweite Pointe liegt darin, dass sich "Musik im Tuileriengarten" in einer wichtigen Hinsicht von den aquarellierten Zeichnungen des Constantin Guys und mittelbar von Baudelaires Modernitätsästhetik unterscheidet. Anders als Guys nämlich arbeitet Manet nicht mit den Tonwerten von Hell und Dunkel. Vielmehr übersetzt er Licht und Schatten in die kontrastierenden Farben seiner Malerei. Durch den Verzicht auf einen mittleren Ton, der die Pole von Hell und Dunkel verbindet, gab Manet den traditionellen Schein einer ästhetischen Einheit der Bildwelt auf, an dem nach Goya, Delacroix, Daumier und Constantin Guys auch Baudelaire im "Maler des modernen Lebens" festhielt. Diesem Schein gegenüber verfährt Manets Malerei kontrastiv diskontinuierlich und nimmt einen materiellen Charakter an.

In "Musik im Tuileriengarten" akzentuiert Manet den Unterschied seines malerischen Verfahrens zu Baudelaires Vorstellungen von der Hell-Dunkel-Malerei, indem er die Profile Baudelaires, Gautiers und Taylors schattenumwoben zeigt. Sofern er das ältere Hell-Dunkel allein auf diese Gruppe konzentriert, distanziert Manet sich im Namen einer neuen Ästhetik von Gegenwärtigkeit von der romantischen Ästhetik der Erinnerung. Zugleich schließt sich Manet, indem er sich selbst am linken Bildrand im neuen Licht seiner kontrastscharf kühlen Malerei porträtiert, mit der dargestellten Menge zusammen. Baudelaire, Gautier und Taylor hingegen zeigt er inmitten der bewegt fixierten Menge kühl blickender Flaneure und Flaneusen als letzte Vertreter der älteren romantischen Generation.

Auch Siegmund Freuds Beiträge zur Erforschung der menschlichen Psyche hatten großen Einfluss auf die Kunstschaffenden des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Darstellung von Ideen, von Unterbewussten und Verdrängtem war das Ziel vieler Künstler.

Sigmund Freud wurde 1856 als Sohn eines Wollhändlers und dessen Ehefrau in Freiberg (Mähren) geboren. Er studierte Medizin an der Wiener Universität und interessierte sich nach seinem Studium hauptsächlich für seelisch bedingte Erkrankungen. Aus diesem Grund ging er Forschungstätigkeiten am Wiener Physiologischen Institut nach und später eröffnete er eine neurologische Praxis in Wien. Gemeinsam mit Josef Breuer stellte er in den „Studien über die Hysterie" die Methode der freien Assoziation vor. Da die Ursache seelischer Störungen verdrängte traumatische Erfahrungen seien, kann der Analytiker durch Deutung spontaner Äußerungen von Patienten auf deren verschlüsselte Ängste schließen und den Patienten von seiner Neurose befreien. Sein Hauptwerk „Die Traumdeutung“ erschien 1900. Zwei Jahre später erhielt Freud die Professur für Neuropathologie an der Wiener Universität. Danach folgte die Gründung des „Zentralblatts für Psychoanalyse" und der „Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung". 1916 hielt Freud an der Wiener Universität zum letzten Mal die Vorlesung „Einführung in die Psychoanalyse". 1939 starb Freud in London.

Sigmund Freud konzipierte seine Theorie als eine medizinisch psychologisch orientierte Therapie. Die Erkenntnisse für seine Theorie gewann er vor allem aus der Behandlung von Patienten. Seine psycho-sexuellen Entwicklungsphasen kann man zudem als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Sozialisation betrachten. Das Durchlaufen der Phasen führt durch die Interaktionen zwischen den Individuen und der Umwelt zur Herausbildung der psychischen Strukturen. Seine psychoanalytische Theorie soll dazu verhelfen, die Entstehung und den Aufbau der Persönlichkeit eines Individuums in Abhängigkeit zu anderen Menschen zu erklären.

Der psychische Apparat dient als Grundlage des Verständnisses für die psycho-sexuellen Phasen nach Freud. Laut Freud teilt sich der psychische Apparat in drei „Instanzen“ auf, das Es, das Ich und das Über-Ich Nach Freud wird das Es als das „Älteste“ dieser drei Instanzen bezeichnet. Das Es entsteht ab der Geburt und stellt den Bereich des Unbewussten dar. Demnach sind mit dem Es die instinkthaften Energien und Triebe gemeint, wie zum Beispiel Hunger, Aggression und Sexualität. Die instinkthaften Energien und Triebe des Es kennen keine Vernunft oder Verbote, sie streben nur nach sofortiger Befriedigung. Das Es gehorcht dem unerbittlichen Lustprinzip. Die Energie des Es kann durch Handlungen oder „Objekte“ oder aber Phantasievorstellungen entladen werden, wodurch die Triebe befriedigt werden.

Das Ich arbeitet nach dem Realitätsprinzip und ordnet dabei die Umwelt so, dass das Es befriedigt wird. Das Ich umfasst geistige Tätigkeiten wie Wahrnehmung, logisches Denken, Problemlösen und Gedächtnisleistung. Das Ich hat die Aufgabe für das Individuum den günstigsten Zeitpunkt und die gefahrenloseste Art zur Befriedigung der Triebe zu suchen. Das Ich kann also entscheiden, ob und wie die Triebwünsche zugelassen werden, wodurch es die Herrschaft der Triebansprüche gewinnt. Das Aufschieben, Verzögern oder das Unterdrücken der Triebbefriedigung ist nur durch die Kontrollfunktion des Ichs möglich, die so genannten „Abwehrmechanismen“ des Ichs. Das Ich muss also zwischen dem Es und der Außenwelt vermitteln. Damit es diese Rolle spielen kann, muss es lernen die Kontrolle über das Es zu erlangen und seine Wünsche der Außenwelt anzupassen.

Das Über-Ich entwickelt sich nach der Bewältigung des Ödipuskomplexes und der Identifizierung mit den Eltern. Es entsteht sowohl durch den Einfluss der Eltern, als auch durch „Rassen- und Volkstradition“ in Verbindung mit den jeweiligen „Milieus“. Das Über-Ich teilt sich in zwei Komponenten, das „Gewissen“ und das „Ich-Ideal.“ Das Gewissen bezieht sich auf die Verbote und die moralischen Normen und Werte der Eltern, die das Kind einhalten soll. Bei falschem Verhalten wird das Individuum durch Schuldgefühle bestraft. Dagegen ist mit dem „Ich-Ideal“ die Wunschvorstellung, wie das Kind selbst von anderen wahrgenommen werden will, gemeint. Wenn das Kind sich seinem „Ich-Ideal“ entsprechend verhält, wird es mit einem hohen Selbstwertgefühl und Stolz belohnt. Das Über- Ich übernimmt die Aufgaben des Belohnens, des Bestrafens und stellt die elterlichen und gesellschaftlichen Anforderungen dar. Es versucht das „Lust- und Realitätsprinzip“ zu bewältigen. Es übernimmt die Kontrollinstanz des Ichs in Bezug auf das Verhalten und der Gedanken.

Nach den ersten Lebensmonaten erfahre ein Neugeborenes immer deutlicher, dass es von Dingen und anderen Menschen unterschieden ist. Es entwickle ein erstes Bewusstsein von den eigenen Körpergrenzen und Selbstwahrnehmungen. „In den folgenden vier Lebensjahren lernt ein Kind die Fragen zu beantworten: ‚Wer bin ich?‘ – ‚Was kann ich?‘ und somit sein Selbstbewusstsein auch inhaltlich zu füllen.“ Um das Es herum wird also eine Zone aufgebaut, die man als frühes Ich bezeichnen kann. Das frühe Ich, das sich wie eine Hülle um das Es legt, wird somit von den frühen Körperrepräsentanzen und den frühen Selbstrepräsentanzen gebildet. Die frühen Körperrepräsentanzen seien die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte über Körperbereiche. Zu den frühen Selbstrepräsentanzen zählen die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte bezüglich der eigenen Person.

Ein wichtiges Vorbild vieler Künstler war die Philosophie Ernst Cassirers der symbolischen Formen. Mit seiner Philosophie der symbolischen Formen legte Cassirer den systematischen Entwurf einer Kulturphilosophie vor, die als eine bedeutungstheoretische Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen verstanden wird. Diese Kulturphilosophie war eine wissenschaftlich ausgearbeitete allgemeine philosophische Anthropologie auf symboltheoretischer Grundlage. Cassirer nannte die regelmäßig vorkommenden, typischen Weisen der Symbolisierung, die sich zu einem eigenständigen Sachgebiet oder einer eigenständigen Methode gleichsam institutionalisieren „symbolische Formen“.

Cassirer lehnte ein als einheitliches System analog zum Idealismus ausgebildete Philosophie ab. Stattdessen entwickelte er den Begriff der symbolischen Formen als Deutungsschema des Menschen für dessen Erlebnisse. Philosophie bedeutete für ihn ein Metadiskurs, der den Zusammenhang und die spezifischen Leistungen einzelner, teils sich in ihren Geltungsansprüchen konträr verhaltender symbolischer Formen am Konkreten zeigt. Die von ihm vertretene Kulturphilosophie war nicht weniger als eine allgemeine philosophische Anthropologie auf symboltheoretischer Grundlage. Kultur war für Cassirer der Inbegriff und das System aller möglichen Weisen der Sinnerzeugung durch Symbolisierung. In Anlehnung an Paul Natorp erweiterte er den Begriff der Erkenntnis zum Leitbegriff des Erlebens. Die Erkenntnisse Kants von Anschauung und Verstand wurden bei Natorp zu Materie und Form der Erkenntnis. Seine Erkenntnistheorie baute auf der transzendentalen Logik Kants und deren Begriff der „synthetischen Einheit“ auf. In der Entfaltung dieser Einheit, verstanden als Grundrelation des Einen und Mannigfaltigen erblickte Natorp das Gesetz des Erkenntnisprozesses. Dies nannte er korrelativistischer Monismus. Für ihn waren Raum und Zeit Denkbestimmungen der Relation und Größe. Erkenntnisse seien niemals als subjektiv aufzufassen, sondern in der gesetzlichen Bestimmung der Erscheinungen zu objektivieren. Gegenstand von Cassierers Kulturphilosophie war die Erkenntnis, dass es ein „Erleben“ außerhalb der gegliederten Wissenschaften gibt, das sich in der Sprache ebenso ausdrückt, wie in Mythen, der Religion, der Kunst, Geschichte, Moral oder Politik. Der Mensch sei das animal symbolicum, das symbolerzeugende Wesen. Der Philosophie wird eine Einheit in der Vielheit stiftende Funktion zugewiesen. Die philosophische Betrachtung verstand er als eine Einstellung oder Haltung des Denkens, die das Ganze überblickt, ohne das Besondere aus den Augen zu verlieren und beides durch philosophische Systematik verbindet.

Sein Symbolbegriff umfasste „das Ganze jener Phänomene (...), in denen überhaupt eine wie immer geartete ‚Sinnerfüllung‘ des Sinnlichen sich darstellt; - in denen ein Sinnliches, in der Art seines Daseins und So-Seins, sich zugleich als Besonderung und Verkörperung, als Manifestation und Inkarnation eines Sinns darstellt." Die Symbole bedeuteten eine „Freiheit vom Sinnlichen“, denn „in jedem sprachlichen ‚Zeichen‘, in jedem mythischen oder künstlerischen ‚Bild‘ erscheint ein geistiger Gehalt, der an und für sich über alles Sinnliche hinausweist." Die wissenschaftliche Hermeneutik war immer schon im Begriff des Symbolischen enthalten: „Die symbolischen Zeichen (...) sind nicht erst, um dann über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeutung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung. Ihr Gehalt geht rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf.“

Das Orientierungsvermögen des Menschen war für ihn an Bedeutungen und Bedeutungszusammenhänge gebunden. Im Unterschied zu den Instinkten beim Tier ist der Mensch dank seines Verstandes in der Lage, die Situation zu verstehen, in welcher er sich befindet und auf welche er reagieren soll. Das Tier verfügt über eine praktische, konstruktive Intelligenz, während allerdings der Mensch eine andere, weitreichendere Form entwickelt hat: eine symbolische Phantasie und symbolische Intelligenz.

In der Einleitung zum ersten Band der „Philosophie der symbolischen Formen“ formulierte Cassirer sein Anliegen wie folgt: „Neben der reinen Erkenntnisfunktion gilt es, die Funktion des sprachlichen Denkens, die Funktion des mythisch-religiösen Denkens und die Funktion der künstlerischen Anschauung derart zu begreifen, dass daraus ersichtlich wird, wie sie in ihnen allen eine ganz bestimmte Gestaltung nicht sowohl der Welt, als vielmehr eine Gestaltung zur Welt, zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen sich vollzieht.“

Für Cassirer stellte Sprache eine symbolische Form dar, in der sich symbolisches Verhalten und symbolisches Denken manifestiert. In seiner sprachphilosophischen Erörterungen stützte sich Cassirer vor allem auf die Thesen von Wilhelm von Humboldt. Von Humboldt stellte einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Sprache und dem Bewusstsein des Menschen her. Erst durch den Prozess des Spracherwerbs erlangt das Individuum eine eigene Weltanschauung. Eine Vorstellung der objektiven Welt und diese Vorstellung floß wiederum in die Sprache mit ein. Aus diesem Grund kann für von Humboldt eine genaue Definition von Sprache erst dann erfolgen, wenn der Prozess des Sprechens als solcher Beachtung findet. Humboldt sah die Sprache nicht als etwas Beständiges oder Ewiges, sondern betrachtete ihre Entwicklung als einen kontinuierlichen Prozess, der einem ständigen Wandel unterworfen sei. Eine monistische Auslegung von Sprache lehnte er ab: „Wir müssen, um die Sprache zu verstehen, nicht bei ihren Gebilden stehen bleiben, sondern dem inneren Gesetz des Bildens nachspüren – wir dürfen sie nicht als ein Fertiges und Erzeugtes, sondern wir müssen sie als eine Erzeugung, als eine sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes betrachten.“

Cassirer erkannte in der Sprache kein einfaches oder gleichförmiges, sondern vielmehr ein aus verschiedenen Elementen bestehendes Phänomen. Er sprach von einer „emotionalen Sprache“. Sie sei von besonderer Bedeutung, da jegliche Formen der Kommunikation, und zwar sowohl die menschliche Sprache im engeren Sinne als auch die der tierischen Ausdrucksmöglichkeiten, zu einem gewissen Teil eine Sprache der Emotionen beinhalten. Um die Bedeutung der symbolischen Vorstellung für den Menschen und für seine Kultur zu verdeutlichen, grenzte Cassirer seine Sprachphilosophie deutlich von der „Sprache“ der Tiere ab.

Cassirer berief sich außerdem auf die Theorie des symbolischen Interaktionismus von G.H. Mead, wonach sich die Bedeutung eines Objektes aus dem Verhältnis des Wahrnehmenden und Handelnden zu diesem Objekt ergibt. Mead selbst ging auch vom Begriff des Symbols aus, im Gegensatz zu Cassirer allerdings entstehen bei ihm aber die Bedeutungen bestimmter Symbole durch Erziehung. Abhängig von den gesellschaftlichen Normen und Werten entstehen für Mead durch die Wiederholung und positive bzw. negative Sanktionierung von Interaktion sogenannte ,,soziale Institutionen“. Dies bedeutet letztendlich, dass die Bedeutung von Dingen also das Ergebnis von Erfahrungen ist. Cassirer legte dagegen den Fokus seiner Betrachtung eher auf die Freiheit des Menschen, seine Umwelt zu benennen, also mit Symbolen zu versehen und dadurch so zu strukturieren, dass sie für ihn verständlich wird. Mit seiner Philosophie der symbolischen Formen legte Cassirer den systematischen Entwurf einer Kulturphilosophie vor, der sich als eine bedeutungstheoretische Lehre von der Gestaltung der Wirklichkeit durch den Menschen versteht.

Cassirer bezog sich in seiner Philosophie der symbolischen Formen auch auf den US-amerikanischen Semiotiker und Philosophen Charles William Morris. Auf der Grundlage des amerikanischen Pragmatismus, des Logischen Positivismus, des Empirismus und Behaviorismus entwickelte Morris eine Zeichentheorie, die er als ein Instrument zur Unifizierung der Wissenschaften verstand. In seinem Hauptwerk „Grundlage der Zeichentheorie“ bemerkte Morris, dass die Grundlage für alle semiotischen Überlegungen die Eigenschaft des Zeichens sei, „für etwas anderes zu stehen“. Das Zeichen, das von ihm Bezeichnete und derjenige, der es benutzt (Sender oder Empfänger) bilden das semiotische Dreieck, zwischen dessen Eckpunkten vielfältige Beziehungen stehen. Für Cassirer sind Metainformationen über die Kultur ist als ein System symbolischer Bedeutungen zu verstehen, die sich in semiotisch vermittelten Darstellungsformen äußern. Die Zeichenprozesse wie bei Schimpansen sind mit dem menschlichen symbolischen Sprachgebrauch nicht zu vergleichen. Die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Zeichen“ und „Symbol“ ist hier für Cassirer besonders wichtig, um überhaupt einen definitorischen Zugang zu den symbolischen Formen zu bekommen. Der Unterschied zwischen den tierischen Zeichen- und Signalprozessen und der typisch menschlichen Symbolik liegt darin, dass ein Zeichen immer einen physischen, konkreten Hintergrund hat. Im Gegensatz dazu hat das menschliche Symbol diesen Zusammenhang nicht mehr, es hat einen bloßen Funktionswert und kann damit eine reale oder auch irreale Situation durch einen gedachten Bedeutungszusammenhang ersetzen.

In seiner Schrift „Essay on Man“ baute Cassirer seine kulturphilosophische Theorie der symbolischen Formen zu einer anthropologischen Philosophie aus. Unterscheidungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften mit Erklären und Verstehen als Wissenschaftsprinzipien lehnte Cassirer ab. Einheitliche philosophische Systeme wie zum Beispiel beim Idealismus wurden von ihm ebenfalls verworfen. Die Philosophie Cassirers wurde zunächst dem naturwissenschaftlich orientierten Neukantianismus der Marburger Schule zugeordnet, was nachweislich nicht stimmt. Cassirer setzte sich durch die Tatsache deutlich vom Neukantianismus ab, dass für ihn nicht nur Begriffe zur Erkenntnis beitragen. Vielmehr sei jede Form des Weltbezugs auf die Symbolisierung angewiesen. Für seine kulturphilosophische Theorie war die Ausformulierung der symbolischen Prägnanz wichtig. Cassirer definierte: „Unter symbolischer Prägnanz soll also die Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis, als ‚sinnliches‘ Erlebnis zugleich einen bestimmten nicht-anschaulichen ‚Sinn‘ in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt.“

Die symbolische Formgebung lief für ihn beim Menschen zugleich mit der sinnlichen Wahrnehmung ab: „Unter einer symbolischen ‚Form‘ soll jene Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem innerlich zugeeignet wird.“ Symbolische Formen seien somit Grundformen des Verstehens, die universell und intersubjektiv gültig sind und mit denen der Mensch seine Wirklichkeit gestaltet. Cassirer unterschied dabei zwischen Wahrnehmungs- und Bedeutungsprägnanz: Die Wahrnehmungsprägnanz verleiht dem Wahrgenommenen einen Umriss und Deutlichkeit, die die Bedeutungsprägnanz in einen Kontext einbindet. Da sich in der Formgebung und Symbolisierung eine Objektivierung vollzieht, bringen diese Prozesse den Menschen in eine verfügende Distanz zu seinen Emotionen, Wünschen oder Anschauungen. So wird es dem Menschen ermöglicht, sich frei zu ihnen zu verhalten. Cassirer definierte die „freie Persönlichkeit“ folgendermaßen: „Sie (die freie Persönlichkeit, M.L:) ist nur dadurch Form, daß sie sich selbst ihre Form gibt, und deshalb dürfen wir in ihr (…) nicht lediglich eine Schranke sehen, sondern wir müssen sie als eine echte und ursprüngliche Kraft erkennen und anerkennen. Das Allgemeine, das sich uns im Bereich der Kultur, in der Sprache, in der Kunst, in der Religion, in der Philosophie enthüllt, ist daher stets zugleich individuell und universell. Denn in dieser Sphäre läßt sich das Universelle nicht anders als in der Tat der Individuen anschauen, weil es nur in ihrer Aktualisierung, seine eigentliche Verwirklichung finden kann.“

Der Mythos war für Cassirer Ursprungsphänomen aller menschlichen Kultur. Für Cassirer war das mythische Denken und Wahrnehmen die grundlegende symbolische Form, aus welcher alle anderen erst hervorgehen. Die mythische Welt steht für eine synthetische Lebensauffassung, welche die Grenze von Menschen, Tieren sowie der Natur überschreitet und das Leben als einen allumfassenden Prozess auffasst. Die Mythos gilt über den Tod und das Jenseits hinaus und bildet ein einigendes Band aller Menschen.

Anhand der Symbole kann der Mensch ein ideales, rein im Denken bestehendes Weltbild entwerfen. Die mythische Wahrnehmung der Welt geschieht vor allem durch Affekte und Emotionen. Für Cassirer gehörte diese emotionale Qualität wesentlich zur Wirklichkeit dazu und war auch für Kulturen jenseits des mythischen Bewusstseins von Bedeutung. In Cassirers letztem Werk „Der Mythus des Staates“ setzte er sich mit den kulturhistorischen Voraussetzungen und der Entstehung des Nationalsozialismus auseinander. Hier stellte sich Cassirer die Frage, welche Rolle der Mythos innerhalb der Philosophiegeschichte, speziell in der Geschichte der Staatstheorie, spielt und ob er kontinuierlich dem rationalen Denken, dem Logos weichen musste. Ab dem 19. aber vor allem im 20. Jahrhundert sah Cassirer „einen radikalen Wechsel in den Formen politischen Denkens“. Das mythische Denken unterstand nicht länger der Vernunft, das rationale Denken wurde immer mehr zurückgedrängt. Schließlich setzte sich der politische Mythos in der Rassenideologie und im Genozid des Nationalsozialismus und dient im Rahmen der Propaganda gleichsam als Stifter einer „germanischen Identität“.

Die Kulturphilosophie war eine neu etablierte kritische Philosophie unter den Bedingungen von Wissenschaftsentwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Der jungen Disziplin der Kulturphilosophie wurden vielfach fehlende Eindeutigkeit und ungenaue Grundlagen vorgeworfen, da eine systematische Bestimmung des Menschen und seines Wirklichkeitsbegriffs noch nicht entwickelt war. In seinem 1939 erschienenen Aufsatz „Naturalistische und humanistische Begründung der Kulturphilosophie“ schrieb Cassirer: „Von all den einzelnen Gebieten, die wir innerhalb des systematischen Ganzen der Philosophie zu unterscheiden pflegen, bildet die Kulturphilosophie vielleicht das fragwürdigste und das am meisten umstrittene Gebiet. Selbst ihr Begriff ist nicht scharf umgrenzt und eindeutig festgelegt. Hier fehlt es nicht nur an festen und anerkannten Lösungen der Grundprobleme, es fehlt vielmehr an der Verständigung darüber, was sich innerhalb dieses Kreises mit Sinn und mit Recht fragen lässt. Diese Unsicherheit hängt damit zusammen, dass die Kulturphilosophie die jüngste und den philosophischen Disziplinen ist und dass sie nicht gleich ihnen auf eine gesicherte Tradition, auf eine jahrhunderte lange Entwicklung zurückblicken kann."

Johannes Seibel fasste folgendermaßen die Philosophie Cassirers zusammen: „Ernst Cassirers ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ ist in diesem Sinne als ein Versuch zu lesen, eine gleichsam immanente Transzendenz als Kern menschlicher Existenz zu entfalten und festzuhalten – das heißt, er wollte die Sinnhaftigkeit menschlicher kultureller Tätigkeit und ihrer Sinngebilde als etwas retten, was mehr ist, als das bloße Produkt von etwa mit Hilfe der Chemie, Physik oder Biologie stofflich quantifizierbarer, exakt mathematisierbarer Vorgänge, ohne dafür gleichzeitig metaphysische oder theologische Annahmen in Anspruch nehmen zu müssen. So ist die Philosophie Ernst Cassirers ein gleichsam immerwährender, umfangreicher, im Prinzip unabschließbarer Versuch, den Strukturen und Bedingungen menschlicher Sinnproduktion und ihrer Gebilde auf die Spur zu kommen, ohne dafür einen wissenschaftlichen Materialismus, eine Ontologie oder religiösen Glauben als Letzterklärung zu benutzen. In anderen Worten ausgedrückt: Er wollte mit seiner ‚Philosophie der symbolischen Formen‘ systematisches und historisches Denken versöhnen.“

In der Malerei brachte diese Herangehensweise keinen einheitlichen Stil hervor, als gemeinsame Kriterien können jedoch der Verzicht auf perspektivische Darstellungen sowie der Vorrang der Subjektivität und des Dekorativen festgehalten werden, wie der Schriftsteller Jean Moréas im Symbolischen Manifest 1886 darlegte. Der etablierte Impressionismus wird als überfeinerte, sich in der Darstellung der reinen Oberfläche des Daseins erschöpfend Kunstrichtung, bereits von manchen abgelehnt. Die Merksätze des Impressionismus: ,,Kunst ist nicht Natur, Kunst ist Bearbeitung der Natur durch den formenden Geist. Sie verwandelt mit Hilfe des Ordnungsgefüges der farbigen Formen, die dem Auge erscheinende Welt in eine in menschlichem Geist wirklich werdende Welt" lässt eine Kunst als Harmonie parallel zur Natur entstehen, die in der Form von zwei Richtungen erscheint:

Seurat und Cézanne entwickeln exakt durchdachte bildbahnende Elemente. Das Bild als Ordnungsgefüge aus gesetzmäßig lagernden rhythmischen farbigen Formen. Gauguin und van Gogh dagegen verwandeln durch genaue Befragung der Mittel die linearen Elemente in Ausdrucksarabeske und die farbigen Elemente in Ausdrucksfarbe. So tritt der Maler nach und nach in ein aktives Antwortverhältnis zu den Dingen. Er formt es nicht als Erscheinung ab, sondern schafft ein Bezug, sichtbar in Formen. Das ist die notwendige Folge des Lebensentwurfs, der den Kampf und Bewältigung dieser Menschen gegen die Welt beinhaltet. Natur wird als ,,etwas anderes" empfunden und somit als Angriff verstanden. Bereits Monét beginnt die Gegenstände in Farbe aufzulösen und erreicht einen hohen Auflösungsgrad des Dinglichen.

Symbolismus ist in den letzten 200 Jahren stets ein Mittel des Protestes gewesen. Seit der Romantik um 1800 richtet er sich gegen die Verendlichung der Welt. Nun wird er zu einer Art Filter einer geistigen Bewegung, in dem der aufgetauchte Widerspruch zwischen der sinnlichen und der geistigen Welt auf Lösung dringt. Courbet, ein Realist, lehrt: ,,Malerei ist zur Folge ihres Wesens eine konkrete Kunst und kann nur in der Wiedergabe wirklich existierender Dinge bestehen. Ein abstraktes nicht existierendes Objekt, gehört nicht der malerischen Domäne an."

Im Symbolismus aber beginnt man zu begreifen, dass gerade die Malerei ,,jene Kunst ist, die die Wege ebnen wird, in dem sie den Widerspruch zwischen der sinnlichen und geistigen Welt löst." ( Achilles Delaroche.) Das abstrakte, nicht existierende Objekt tritt ein. Auch die symbolistische Dichtung setzt an als Protest gegen den naturalistischen Lebensentwurf und die Materialisierung und Mechanisierung des Daseins. Im Reflex der Romantik ist der Traum vom Universum gewisser als jede Wirklichkeit. Metaphorische Zeichen und das Spiel mit realen und imaginierten Sinneseindrücken verleihen der Kunst eine geheimnisvolle magisch-mystische Atmosphäre von großer Intensität. Die Schönheit für sich wird zum Ziel und Ideal der Kunst. Die Poesie soll von Bindung an Zweck, Belehrung, Moral und Realität befreit werden. Nicht die äußere Wirklichkeit sondern die innere Welt, die Ideen und Träume sind interessant. Motive der Visionen, mit religiöser Mystik bereichert, tauchen auf. Und auch Musik wird als schöpferische geistige Erleuchtung betrachtet, denn sie sei im Stande das Unfassliche und nicht darstellbare Wesen der Welt wiederzugeben. ,,Und da die Harmonie aus Dissonanzen zusammengesetzt wird, muss auch die Kunst Dissonanzen haben, um auf den Menschen zu wirken, da die Seele des Menschen gleichermaßen Dissonanzen aufweist." (Bergson)

Die Bilder basieren auf sensiblen assoziativen Verbindungen, sind voller Andeutungen. Sie verflechten die literarischen und musikalischen Erkenntnisse der gegenwärtigen Künstler in sich. Emotionale Darstellungen der Natur, die tragisch melancholische Stimmungen enthalten, die empfundene Natur, jedoch nicht expressiv, sondern melancholisch, morbide, geheimnisvoll und von einem Schicksal bestimmt, das als ungeheuer mächtig gefühlt wird, das alles spiegelt die Atmosphäre des ausgehenden Jahrhunderts wieder.

Das Unsagbare, also die innere Wirklichkeit ist nur durch die Symbolkraft des schönen künstlerischen Ausdrucks vermittelbar, und der Gehalt dieser Schöpfung ist die Schönheit allein, sie hat nichts mit der realen äußeren Welt zu tun, erkennen die Symbolisten der Jahrhundertwende: ,,Die Versenkung in die Dinge, das Bild, das sich aus den Träumen löst, die Dinge hervorrufen, das ist dichterischer Gesang. Ein Ding direkt benennen, heißt dreiviertel vom Wert des Gedichtes unterdrücken, das in dem Glück besteht, nach und nach in die Tiefe zu ahnen. Andeuten, nahelegen, da liegt der Traum. Das ist der vollkommene Gebrauch dieses Geheimnisses, dass das Symbol bildet. Ein Ding nach und nach heraufrufen, um einen seelischen Zustand zu zeigen oder umgekehrt, ein Ding wählen und daraus durch eine Reihe von Entzifferungen einen seelischen Zustand ablösen," erklärt Stephane Mallarmé, der als Meister der Zeit gilt, an seine Schüler.

Die Symbolisten glauben, in der Kunst durch ein Mittel intuitiv das göttliche Geheimnis zu ergründen. Sie streben von der sichtbaren Realität zum Zeitlosen, zum ideellen Wesen der Welt und ihrer transzendentalen Schönheit zu gelangen. Unter dem Schlagwort ,,L′art pour L′art" treffen sich Literaten und bildende Künstler zu einem neuen bewussten Kunstwollen. Ganz allgemein erwartet man in einer sehr den Materiellen anhängenden Zeit eine Erneuerung des geistigen Lebens durch die Kunst. Die Ideen der deutsch-klassischen Romantik und deutschen Idealismus brechen ein. Die neue Einsicht das Universum sei aus unseren Ideen gebildet, wird zum philosophischen Hintergrund. ,,Die Welt ist meine Vorstellung." (Schopenhauer). Die Traumlyrik von Edgar Allen Poe, die Empfindsamkeit von Shelley beeindrucken die Symbolisten.

Man wendet sich auch den Präraphaelliten zu und lernt ihre Darstellungsweise zu schätzen. Deren Malerei entwickelt sich in Großbritannien Mitte des 19. Jh. Eine Mischung von realistischen und idealisierenden Tendenzen bleibt eine spezifisch englische Sonderform. Da vielen jungen Malern die Lehrmethoden und Maßstäbe der Akademien einengend erscheinen, suchen sie ihre Vorbilder in der von Ihnen als unverdorben eingeschätzten Kunst vor Raphael, bei den italienischen Quattrocentisten, da sie glauben in der archaischen Aufrichtigkeit der alten Meister liege der Schlüssel zur Wiederbelebung der zeitgenössischen Kunst.

Diese Einstellung findet ihren Ausdruck vor allem in der Vorliebe für christliche und nicht zeitgenössische Themen wie z. B. der Historie, Literatur und Sagen entsprungen. Die Bevorzugung der alten Kunst ist als Suche nach einer neuen Position zu betrachten, dennoch wirkten die alten Meister noch in einer weiteren Hinsicht auf ihre Art von Malerei: Durch Abnahme des total vergilbten Firnisses auf einigen Bildern des 15. Jh. wurde erstmals wieder deren überraschende Farbigkeit entdeckt. Obgleich viele Zeitgenossen diesen Eingriff als Entstellung empfinden, da man den dunklen gewohnten Galerieton für authentisch hielt, greifen die Präraphaelliten die neuen Erkenntnisse auf und geben ihren Bildern eine leuchtend bunte Farbigkeit. Darüber hinaus weist ihre Malerei eine überscharfe Detailgenauigkeit auf, die sich auf Sorgfältiges recherchieren von Einzelheiten und intensives Naturstudium gründet.

Das Neue an den Werken der Maler des Symbolismus ist also, dass sie nicht wie zuletzt die Impressionisten die Wiedergabe der äußeren Erscheinungen und ihrer atmosphärischen Ausstrahlung anstreben, sondern das Dargestellte symbolhaft auffassen und verstanden wissen wollen. Sie bedienen sich bei der Gestaltung des Symbolischen einer reichen Verkleidung mit dekorativen Formen.

Das griechische Wort ,,symbolen" bedeutet Zeichen, Sinnbild. Symbolistische Kunst soll also Zeichen oder Gegenstände finden, die über das Dargestellte hinaus auf einen tieferen Sinn weisen, daher gewinnen Phantasie, Traum, Halluzination, Vision eine neue Bedeutung. Auf das Durchscheinen des Anderen, Größeren, Umfassenderen durch das an der Oberfläche Dargestellte wird viel Wert gelegt. Die Bildwelt des Symbolismus` ist wiederum sehr vielfältig. Landschaften, Kultbilder und Kulträume, Kosmisches, Eros, Träume, Masken, Tiere, Blumen und vieles andere können symbolisch aufgeladen sein: ,,Das symbolisierte Motiv erscheint stets in neuen Zusammenhängen. Zunächst in einem bald rationalen, bald irrationalen Gedankenzusammenhang. Dann in einer teils bewußten teils unbewußten Ideenassoziation. Schließlich in verschiedenen persönlichen Erlebniszusammenhängen, die der gleichen objektiven Erfahrung einen jeweils verschiedenen Sinn geben. Das gleiche Symbol mag für den Autor etwas anderes bedeuten als für den Betrachter. Und für den einen Betrachter etwas anderes als für den anderen (...) Es muß vielmehr überdeterminiert sein und zum Teil Ursprünge haben derer sich weder der Künstler noch das jeweilige Publikum voll bewußt sind." ( Arnold Hauser 1958.)

In diesen Zusammenhängen wird die Beschäftigung mit Okkultem und Forschung des Unbekannten sowohl zu einer verbreiteten Modeerscheinung als auch zu einer ernstzunehmenden Bewegung. Es sind die Blütenjahre von Mystizismus, Okkultismus und religiösem Dilletantismus. In der Zeit sehen viele Künstler den Okkultismus und die neusten Wissenschaften als gleichwertige Wege auf Ihrer Suche nach bislang unsichtbaren Realitäten. Die beiden Richtungen werden nicht mehr genau unterschieden. ,, Die Behauptung, die Grenzen unsres Wissens und unserer Beobachtung bestimmen die Grenzen der Realität, ist unwissenschaftlich," schreibt Camille Flamm-Marion, Astronom und Okkultist. Die Vorstellung von vierdimensionalem Raum aus n-dimensionalen Geometrien gelangt Ende 19.Jhd. in das Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit. Die vierte Dimension wird mit der idealistischen Philosophie als möglicher Ort von Platus` ,,Welt der Ideen" und Kants ,,Ding an sich" in Verbindung gebracht und sowohl in wissenschaftlichen als auch okkulten Zusammenhängen diskutiert.

In theoretischen Schriften in nahezu allen Bewegungen der Kunst spielt sie eine wichtige Rolle. ,,Die Kunst befindet sich außerhalb jeglicher Logik, außerhalb der dreidimensionalen Sphäre, sie bringt dem Menschen die geheimnisvolle vierdimensionale Welt näher... Die Kunst ist wie alles was aus der Emotion entsteht dem Wesen nach unlogisch." (Uspenski)

Die Idee der gegenseitigen Abhängigkeit alles Bestehenden in irdischen und kosmischen Maßstäben, und die Vielschichtigkeit der Welten leiten die Künstler zum Ziel, den Reichtum unbewusster Empfindungen des Künstlers darzustellen. In diesem Umfeld entsteht auch die Theosophische Bewegung, die für viele Künstler eine große Bedeutung annimmt und die ihre Lebensphilosophien und kreative Motivfindungen beeinflusst und leitet. 1874 trifft Colonel Henry Steel Oclott Helena Blawatsky, und ein Kreis von Wissenschaftlern, Anwälten, Ärzten, Predigern, Spiritisten und Journalisten versammelten sich um sie zu einer okkulten Vereinigung. Von Blawatsky eigentlich als Erneuerung der Maisonnerie, der Verbindung der Freimaurer gedacht, übernimmt die theosophische Gesellschaft bald ähnliche Verhaltensweisen und Regeln, wie Beschluss der Geheimhaltung, Erkennungszeichen und Teilung der Gesellschaft in drei ,,Kasten" - Meister, die Wissenden und die Einzuführenden. Die Zielsetzungen der Theosophen werden 1888 festgesetzt. Sie lauten:

Da die Theosophie allen Religionen der Welt ein zu Grunde liegendes System von Wahrheiten hat, verkündet sie Lehren, die in allen Religionen vorkommen oder vorkamen. Auch lenkt sie ihre Blicke auf Heilige Schriften Indiens und der Kaballa. Dieser tolerante Standpunkt jeder Religion und Lebensphilosophie gegenüber vereinigt somit alle Lehren in ihrem Lehrsystem und erlaubt folglich jedem Theosophen eine eigene Methode zum Erwerb des Wissens vom Höheren auszuwählen, durch das Kombinieren oder Auswählen aus verschiedenen Religionen und anderen Glaubensrichtungen. Der Theosoph selbst sieht Theosophie nicht als Religion sondern als die Wahrheit, die hinter allen Religionen steht. Die Kombination aus Philosophie, Religion und Wissenschaft sollen Methoden zur Beschleunigung der Entwicklung des Körpers und Seele zu Vollkommenheit, also Loslösung von Materiellem weisen. Durch die Meister, die ihren Jüngern ihr Wissen weitergeben, sowie auch durch besondere bestimmte Übungen, durch die verborgenen Fähigkeiten entwickelt werden sollen, wird der Mensch selbst und die Menschheit allgemein zu einem höheren Niveau der geistigen Entwicklung aufsteigen, bis die ganze Menschheit die göttliche Stufe erreicht und in ihrem Ursprung aufgeht.

Die künstlerische Umsetzung theosophischer Denkweisen nimmt ab 1895 ganz unterschiedliche Züge an. Übergeordnete Denkweise als Leitmotiv erlaubt eine individuelle Gestaltungsweise der jeweiligen Kunstwerke, visuelle und konstruktive Elemente variieren also in ihrer Art und Bedeutung. Im Jahre 1888 findet sich in Paris unter geistiger Führung von Paul Serusier und Maurice Denise, beide Theosophen, die Künstlergruppe der Nabis (Hebräisch: die Erleuchteten) zusammen. Serusier doziert über esoterische und idealistische Philosophie und Literatur, Plautin und Pythagoras, Proportion und goldenen Schnitt: ,,Kunst ist eine universelle Sprache, die sich durch Symbole ausdrückt" Er verlangt erste, auf religiöse Ideen gegründete Kunst, von fester einfacher Zeichnung und einem expressivem Dekor der Farbe. Auch inhaltlich wollen sie die Kunst zu der Einfalt ihrer frühen Anfängen zurückführen, als ihre dekorative Bestimmung zu Schmuck und Anrufung eines Heiligen noch unbestritten war.

Der Synthetismus, also eine zusammenziehende Formvereinfachung um prägnantesten Ausdruck zu erreichen, Japonismus, Ideismus und Neotraditionismus von Maurice Denis führen zu Zusammenhängen mit ältesten Traditionen. Das Ägyptische, das Frühgriechische, das Gotische, die Traditionsströme der Volkskunst geben neue Impulse für Ideen und Gestaltung der Bilder der Nabis. ,,Nicht die Seelenzustände durch ein dargestelltes Thema ausrufen, sondern das Bildgefüge ist es selbst, das die Ergriffenheit vor einer anfänglichen Wahrnehmung übermittelt und ihr Dauer verleiht." (Maurice Denis) Der Gruppe gehören Pierre Bonnard, Roussel Vuillard, Vallotton und Maillol an. Während die älteren Maler des Symbolistenkreises - Puvis, Redon, Moreau mehr aus dichterischen Argumenten leben und ihre innere Erregung durch vorgeformte Formen ausdrücken, gebrauchen die Nabis mehr das Dekor des Bildes, die gesteigerte Harmonie der farbigen Formen und schwungvolle Arabesken, um den Ausdruck zu vermitteln, erklären sich weniger durch Thema und Sujet. Sie benötigen kein klares Motiv mehr, sie nehmen es nur als Anlass, um eine blühende Komposition und klangvollen Dekor zu verwirklichen. Senkrechte und Waagerechte verspannen das Muster in dem die Arabeske spielt, und Strenge im Bildaufbau bleibt erhalten.

So verbleiben die Symbolisten als keine einheitliche, lokalisierbare zusammenhängende Bewegung und der Symbolismus eines Moreaus unterscheidet sich stark von dem Symbolismus eines Redon, der wiederum große Unterschiede zu dem von Böcklin aufweist. Sie alle jedoch verbindet ihre Zeit und die in ihren Bildern gefangene Atmosphäre, die bis heute ihre magische Wirkung nicht verloren hat. In Holzschnitten und Leinwandbildern, Allegorien und Landschaften stellten die symbolistischen Künstler die Konflikte ihrer eigenen Existenz, ihre Ängste und Verunsicherung in den Mittelpunkt ihrer Werke.

Im Gegensatz zur Strömung des Impressionismus, die zunächst als ausschließlich französisch betrachtet werden kann, lässt sich in der Bewegung des Symbolismus eine geographisch breitere Dimension erkennen. So finden sich die Wurzeln der symbolistischen Bewegung außerhalb Frankreichs. Zum einen hat die angloamerikanische Kultur, insbesondere durch Edgar Poe, Thomas Carlyle, Swinburn und der reformatorischen Künstlergruppe der Präraphaeliten einen großen Einfluss auf die Ausbildung der neuen Strömung. Darüber hinaus trägt auch die deutsche Kultur zum Entstehen des Symbolismus bei. Hier gilt es vor allem den Einfluss der deutschen Romantik durch Wagner und Schopenhauer zu erwähnen. Die spirituelle Ausprägung des Symbolismus hat ihren Ausgang im russischen Roman.

Die kosmopolitische Dimension der Bewegung lässt sich jedoch vor allem zu jener Zeit in Frankreich, insbesondere in Paris feststellen. Die französische Hauptstadt kann als Anziehungspunkt der symbolistischen Künstler verschiedener Nationen bezeichnet werden und somit ist bald erkennbar, dass viele Protagonisten des französischen Symbolismus ausländische Wurzeln besitzen. Als Beispiel lässt sich der Grieche Jean Moréas nennen, Verfasser des Manifests des französischen Symbolismus.[6] Darüber hinaus lassen sich Francis Vielé-Griffin und Stuart Merrill erwähnen.[7] Die beiden Amerikaner spielen eine große Vermittlerrolle zwischen Europa und Amerika. Auch Téodor Wyzewa, Dichter polnischer Herkunft, kann als Beispiel dienen. Er publiziert gemeinsam mit Édouard Dujardin die bekannte Zeitschrift La revue wagnérienne. Ein weiteres Indiz für die kosmopolitische Ausrichtung des französischen Symbolismus ist die Tatsache, das zwei Drittel der in französischer Sprache dichtender Symbolisten belgischen Ursprungs ist.

Neben der kosmopolitischen Atmosphäre in Frankreich lässt sich eine Ausdehnung der Bewegung auf viele europäische Länder erkennen – nicht immer wird die neue Stilrichtung jedoch mit dem Begriff Symbolismus betitelt. In Belgien spricht man beispielsweise vom Jeune Belgique, in Skandinavien vom Young Scandinavia.

Als eine wichtige Ursache für die rasche Ausbreitung der neuen künstlerischen Bewegung kann die Tatsache gelten, dass um die Jahrhundertwende in viele Länder ähnliche gesellschaftliche Umwälzungen erkannt werden können. Künstler und Literaten verschiedener Nationen erleben die Entwicklung der Technik, die Mechanisierung und die fortschreitende Industrialisierung und suchen nach einer geeigneten Ausdrucksform ihrer Erfahrungen. Der Symbolismus dient ihnen als künstlerische Lösung der aufkommenden gesellschaftlichen und politischen Probleme. Darüber hinaus suchen zu jenem Zeitpunkt viele Künstler nach einer neuen Ausdrucksform, da das künstlerische Schaffen oft nur noch eine Nachahmung von schon Geschaffenem darstellt. Die Strömungen dieser Zeit hatten sich selbst überlebt und so heißen Schriftsteller und Künstler den Symbolismus als Werkzeug gegen den Traditionalismus und Konservativismus willkommen.

Frankreichs Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, die wirtschaftliche Stagnation und die schlechte soziale Lage des Landes, bringen gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen „esprit de décadence“ hervor, aus dem eine literarische Bewegung entsteht. Es handelt sich nicht um eine Schule, die eine spezifische Gesellschaftstheorie vertritt, sondern um eine Betrachtungsweise, die sich durch „Naturfeindlichkeit, Künstlichkeit, Nervosität, Überfeinerung, krankhaft übersteigerte Reizempfänglichkeit, Schönheitskult (…), Lebensüberdruß und Todessehnsucht, Hinfälligkeit, kurz: Verfall“ auszeichnet. Gestützt auf Théophile Gautiers Préface zu „Mme Maupin“ und „Fortunio“, die den Dekadenten später als Manifest ihrer Bewegung gelten wird, bildet sich eine Gruppe von Autoren heraus, die in dem Bewusstsein leben, sich in Zeiten politischen Untergangs zu befinden. Auch die unsichere wirtschaftliche und soziale Situation trägt zu der Niedergangsstimmung bei, die jeglichen Fortschrittsoptimismus der bürgerlichen Welt als Illusion auffasst.

Ursprünglich sollte der Begriff Dekadenz die neu entstandene Dichterbewegung abwerten, die den Verfall zum Thema ihrer Poesie macht und ihn darin als ästhetisch darstellt: „Die Literatur der Décadence hat die Faszination des sinkenden Lebens entdeckt: die Zauber der Welt im Licht des, soleil agonisant’, der sterbenden Sonne “. Doch die Poeten nehmen sich dieses Begriffes an und belegen ihn positiv, indem sie die Periode des politischen Untergangs als fruchtbare Schaffenszeit ansehen. Der Niedergang wird als Voraussetzung für Neues angesehen und somit wird die décadence zur „Quelle einer neuen Kunst“. Die positive Konnotation wird besonders von Baudelaire geprägt, für den der Dekadenzbegriff eine ehrende Bezeichnung einer „sensibilisierenden Kunst“ darstellt. Durch ihn wird der Terminus immer mehr auf den literarischen Bereich übertragen, in welchem das Zeitgeschehen verarbeitet wird.

Das Verhältnis von Künstler und Publikum ändert sich in dieser Zeit, da der dekadente Autor nunmehr nur für sich schreiben soll. Anatole Baju, Herausgeber der Zeitschrift „Le Décadent“, erkennt denjenigen dekadenten Autoren an, der seiner eigenen Eingebung folgt, statt nach dem Geschmack des Publikums zu gehen. Auf der Grundlage der individuellen Intuition sollen die subjektiven Eindrücke wiedergegeben werden, wie sie empfunden werden. Die Aufgabe des Dichters besteht in der Suche nach seiner Vorstellung von Schönheit. Um diese auf individuelle Weise in Poesie verwandeln zu können, benötigt er Freiheiten in Form und Inhalt. Da die herkömmlichen sprachlichen Mittel für den nötigen Ausdruck des Unbewussten nicht exakt genug sind, suchen die Anhänger der Dekadenzbewegung nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, um die aus zeitgenössischer Sicht unkonformen Gedanken in ihrer Dichtung wiedergeben zu können. Die neuartige Sprache ist von Vieldeutigkeiten und Neologismen geprägt. Die ästhetische Form der Poesie wird in melodischen Klängen und neuen Rhythmen gesucht, die die traditionellen Regeln der Lyrik durchbrechen. Der freie Vers löst traditionelle Gedichtsformen mit vorgegebener Struktur wie das Sonett ab.

Die neuen Schaffensformen bestehen in einem ersten Schritt darin, sich aus der gefestigten Formenstrenge der parnass'schen Lyrik herauszulösen. Die Dichtergruppe des Parnass, die als einflussreichste Schule der Zeit auch Verlaines erstes Werk prägt, verschrieb sich der strengen Versform und der Ästhetik. Ihre Kunst sollte zwecklos und nur um ihrer selbst Willen bestehen, was ihnen von den Dekadenten den Vorwurf einbrachte, sie verträten „l’art de parler pour ne rien dire.“ Dieses Konzept der L ’ Art pour l ’ Art , das auf Théophile Gautier zurückgeht, verfolgt keinerlei politische oder gesellschaftliche Interessen und ist frei von religiösen und moralischen Normen. Die décadence hingegen ist sehr wohl sozio-politischer Natur und rebelliert gegen das Bürgertum, indem es sich auf literarischer Ebene den anerkannten Formen und Ausdrucksmöglichkeiten nicht anpasst.

Durch die nicht zu akzeptierende Lebenssituation, die von Überdruss und einem Gefühl des Unverstandenseins seitens der dekadenten Poeten gezeichnet ist, stehen melancholische Gedichte, die den Rückzug in die eigene Gedankenwelt suchen. Es werden ästhetische Kunstwelten geschaffen, die oft dem Okkultismus nahe stehen und nicht selten sadistische und satanistische Motive enthalten, wobei letzteres auf die Abwendung der Dekadenten vom christlichen Glauben verweist. Das Fehlen der göttlichen Existenz spielt für die neue Definition des Lyrischen Ichs eine große Rolle. Die antibürgerlichen Welten entstehen als Kehrseite des Alltags in der Konsequenz aus der Ablehnung der gesellschaftlichen Werte. Die Reise ist daher ein häufiges Motiv der poésie décadente, das z.B. in Verlaines „Paysages belges“ zu finden ist.

Als Inkarnation des Dekadenten gilt der Dandy, der in seinem Auftreten als Gentleman seinen Lebenszweck findet. Er verkörpert den „Versuch durch Hypertrophierung der aristokratischen äußeren Formen die neue bürgerliche Gesellschaft ad absurdum zu führen.“ Als ein solcher Exzentriker gilt Huysmans adliger Romanheld Des Esseintes, der in „A Rebours“ oft „la Bible du décadentisme“ genannt, vor seinem realen Leben flieht, da er das Bürgertum mit seinem Ehrgeiz und Streben nach Erfolg und finanzieller Absicherung ablehnt. Er konzentriert sich in der Folge nur auf sich selbst. Viele der hier genannten Motive, wie die Flucht ins eigene Innenleben und der Mystizismus sind auch Teil der Poesie der Symbolisten, bei denen dieser Roman ebenfalls Anklang fand. Wie Des Esseintes fühlen sich die jungen Poeten des fin de siècle von der Gesellschaft in ihrer negativen Grundhaltung und mit ihren neuen literarischen Formen nicht verstanden und bezeichnen sich auf der Basis von Verlaines „Les Poètes Maudits“ (1884) als verfemt. Sie ziehen sich in ihr Schreiben zurück, da sie jegliches Engagement auf politischer Ebene ablehnen und flüchten so vor dem ennui, den die bürgerliche Welt für sie darstellt („Dans ce désert d’ennui qu’était la société bourgeoise aux yeux de ces anachorètes tourmentés par le seul démon de l’écriture (…)“).

Der Dekadente bleibt Zuschauer statt Handelnder des Geschehens zu werden, und so entsteht ein nie da gewesener Abstand zwischen Gesellschaft und Poet. In der Lyrik schlägt sich der Beobachterstatus im effacement du je nieder, d.h. das Lyrische Ich wird nicht mehr explizit genannnt. L ’ennui, dieses Gefühl von Erschöpfung und Verlorensein rührt von der Monotonie des allzu seichten Lebens her, d.h. von der „existence sans relief, sans épaisseur, sans caractère“ an der die Dekadenten leiden. Der ennui führt zur Lethargie, und nimmt als „ mal de siècle “ die Dimension einer mentalen Krankheit an. Das pessimistische Lebensgefühl, aus dem kein Ausweg zu finden ist, zieht sich durch das gesamte Schaffen des Dichters: „C’est par abscene d’intérêt, parce qu’ayant sondé le fond des choses il n’a trouvé que le vide, (…) il se réfugie (…) en prétendant qu’il n’y a rien qui vaille la peine d’être vécu.“

Aus der Einstellung, gemäß derer alles Handeln vergebens sei, lässt sich der Glaube an die Determiniertheit schließen. Besonders anschaulich wird das fatale Gefühl der Leere in Marthe Roberts Betrachtungen über sein Leben beschrieben, das von dem ennui bestimmt ist: „Cet avenir par avance vidé de toute valeur caractérise bien le vécu de l’ennuyé, ce présent sans présence.“

Die Dekadenz ist „eine in ganz Europa verbreitete literarische Strömung im Ausgang des 19. Jahrhunderts, in der menschliches Leben vornehmlich unter dem Aspekt des Verfalls und Niedergangs betrachtet wird.“ In diesem Sinne soll Dekadenz im Weiteren verstanden werden. Der Begriff wird somit auf einen bestimmten Zeitabschnitt festgelegt und wird nicht als geistliche Strömung allgemein verstanden, die bereits vor dem Ende des 19. Jahrhunderts existierte. In Übereinstimmung mit dieser Definition steht der auf Individualismus und Pessimismus aufbauende „esprit fin de siècle“, auf den Heistein verweist. Der esprit gilt ihm jedoch nicht als Synonym für Dekadenz. Im Gegensatz dazu benutzt Prill den Dekadenzbegriff sehr wohl gleichbedeutend zur Bezeichnung fin de siècle, obwohl jener nur einen Teil der verschiedenen Stimmungen und Strömungen ist, die sich zu Ende des Jahrhunderts bildeten.

Die Strömung muss in Bezug zu anderen Epochen betrachtet werden, um den Begriff einzugrenzen. Die Bewegung ist in Abgrenzung zur Spätromantik, dem Parnass oder als Gegenbewegung innerhalb des fin de siècle zu sehen: Die décadence als eine intellektuelle Revolte, die sich gegen den Materialismus der Zeit und den Positivismus der Wissenschaft richtet.

Statt auf wissenschaftliche Untersuchungen zurückzugreifen, soll die neue Kunst aus dem Unbewussten hervorgehen. Die Intuition gilt als neue Quelle, die das literarische Schaffen antreibt. Für die Poesie impliziert dies eine subjektive Sichtweise, durch die der Dichter alles Erlebte filtert. Die Umwelt wird so in individueller Weise von dem Künstler durch sich selbst gesehen und damit wird „das Individuum selbst zum Thema seiner Suche“. Das bedeutet, dass der Poet sich auf sich selbst konzentriert und so rücken Gefühle, Herz und Seele statt Ratio und Wissenschaft in den Vordergrund. Traum und Mysterien werden wichtige Elemente der Poesie als Sphären der Dimension des Unbewussten, bzw. Unfassbaren.

Allgemein mit Niedergang oder Verfall übersetzt, deutet das Wort décadence selbst auf die pessimistische Haltung hin, die die Dekadenten einnahmen. Die neuartigen Gedichte waren geprägt von Finsternis und Sehnsucht, wobei die dekadenten Dichter selbst das Besondere ihres Stils kaum zu analysieren oder zu erklären versuchten: „Le décadisme s’est forgé une esthétique origniale en peu d’années, mais sans la formuler.“ Für Warning und Wehler entspricht diese Tatsache dem esprit, der hinter der Bewegung steht, denn da die Suggestionen an die Stelle von Beschreibungen treten soll, muss auch die Poetik unbestimmt bleiben. Diese Idee lässt sich treffender auf die symbolistische Poetik anwenden, wie später zu zeigen sein wird, doch übertragen die Autoren sie auf die Dekadenz: „Nicht anders findet die Poetik der Décadence (…) nur mehr in einer höchst bildhaften, selbst wiederum poetischen Sprache Ausdruck.“ Aus den zahlreichen Motiven der Dekadenz lassen sich bestimmte Komponenten hervorheben, um die Bewegung zu charakterisieren und zu definieren. Carter gilt der Aspekt der exotischen Sexualität als so bemerkenswert, dass er ihn zum wichtigsten Definitionsmerkmal seines Dekadenzbegriffes macht. Ebenso lässt dieser sich aber als spezifische ästhetische Form begreifen. Diesen Definitionen ist gemein, dass sie einen bestimmten Gesichtspunkt der Strömung hervorheben, aber durch den Abgrenzungsversuch unvollständig sind.

Eine ausführliche begriffliche Einschränkung, die ebenfalls eine bestimmte Komponente unterstreicht, findet sich bei den von Fick vorgestellten Ansätzen, die sich in verschiedenen Varianten auf das Kranke, welches das Wort Dekadenz impliziert, konzentrieren. Hervorgehoben wird vor allem die übersteigerte Reizempfindsamkeit des dekadenten Künstlers, wie nun kurz erläutert wird: Koppen definiert die Dekadenz in der Ablehnung der bürgerlichen Werte wie dem Streben nach Sicherheit und Wohlstand, dem Glaube an den Fortschritt durch Forschung, sowie Sitten und Moral. Statt sich an die Gesellschaft anzupassen, nimmt man im Gegenzug eine den bürgerlichen Normen entgegenstehende, pessimistische Haltung ein. Man schafft sich Kunstwelten, in die man sich flüchten kann, und in der die herkömmliche Bedeutung von krank und gesund umgedreht wird. Das Kranke - „ein Schwelgen im Abnormalen und Kranken, wozu auch die übersteigerte Reizempfänglichkeit und Verfeinerung der Empfindung gehören; Naturfeindlichkeit, die in sexueller Perversion gipfelte.“ - wird also nicht nur betont, sondern ins Positive gekehrt. Durch Neurosen, Neurasthenie und Überreiztheit sollen verfeinerte Wahrnehmungen möglich sein. Krankhafte Zustände gelten Rasch als Symptome von Degeneration. Künstliche Paradiese und sexuelle Perversion gelten ihm als nötiger Ausgleich zu einem krankhaften Zustand.

Die wichtigsten Auswirkungen hat der französische Symbolismus auf die belgischen, russischen, englischen und deutschen Künstler. In Deutschland spielen vor allem die drei Dichter Stefan George, Hugo von Hoffmannsthal und Rainer Maria Rilke eine herausragende Rolle. Bezüglich des englischen Symbolismus ist die schon erwähnte Künstlergruppe, die Präraphaeliten, der Schriftsteller John Ruskin sowie Arthur Symons hervorzuheben. Letzterer breitet den französischen Symbolismus mit seiner Studie The Symbolist Movement in Literature bis nach Japan aus.

Der französische Symbolismus beeinflusst des Weiteren das Goldene Zeitalter in Russland. Der Dichter Valéry Brioussov entdeckt Charles Baudelaire, Paul Verlaine sowie Maurice Maeterlinck und führt die franko-belgische Bewegung in Russland ein. Darüber hinaus gilt es Alexandre Blok zu erwähnen, dessen Werk Cantiques de la Belle Dame die beiden Strömungen Parnass und Symbolismus zugleich in Russland bekannt werden lässt.

Im Hinblick auf die belgischen Symbolisten ist zu konstatieren, dass diese vor allem zu einer europäischen Orientierung des Symbolismus beitragen. Jedoch bewahren herausragende Künstler wie Emile Verhaeren, Georges Rodenbach, Maurice Maeterlink und Van Leberghe immer auch die nationalen Besonderheiten einer belgischen Literatur in französischer Sprache. Für den belgischen Symbolismus ist bezeichnend, dass hier weniger der Inhalt, sondern vielmehr die Form thematisiert wird. Auch das übersetzen von Bildern bzw. Gemälden in Worte kann – vor allem durch Verhaeren – als Charakteristikum genannt werden.

Den Fragen, inwieweit die literarische Bewegung in Deutschland eine Rolle spielt und welchen Einfluss der französische Symbolismus auf die deutschen Ausprägungen hat, soll im Folgenden nachgegangen werden. Um die Jahrhundertwende wird sich Deutschland seines literarischen, vor allem dichterischen Rückstandes bewusst. Zwischen 1880 und 1890 entstehen zahlreiche neue literarische Strömungen, die kaum in ein Muster oder eine Reihenfolge zu bringen sind. In diesem vielfarbigen Neben- und Durcheinander gelangt auch die „art pur, détaché des déclamations sociales comme des joliesses artistes“, die sich vornehmlich gegen den Naturalismus richtet, nach Deutschland. Bezeichnend ist die Nähe des literarischen Symbolismus zur künstlerischen Strömung, die so auch in Frankreich zu erkennen ist.

Personen, auf die der Symbolismus in Deutschland Bezug nimmt, sind Hölderlin, Novalis und Nietzsche. Die äußeren Voraussetzungen für eine symbolistisch-poetische Bühne schafft Wagner mit seiner Reform des Theaters.. Als wichtigste Vertreter des deutschen Symbolismus lassen sich – neben Stefan George – Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke und Karl Gustav Vollmoeller nennen. Ihnen dienen als Vorbilder vor allem die französischen Symbolisten Mallarmé, Valéry, aber auch der Vorreiter des Symbolismus Charles Baudelaire. Auch Vertreter, die der stofflich bestimmten Neuromantik oder dem literarischen Jungendstil zugerechnet werden, sind zum Teil vom Symbolismus beeinflusst. Für andere Schriftsteller hingegen – wie Hermann Hesse, Thomas und Heinrich Mann – bedeutet der Symbolismus lediglich eine Übergangsphase.

Der norwegische Maler Edvard Munch bezeichnete den Symbolismus als „eine Kunst, in der der Künstler die Wirklichkeit seinen eigenen Gesetzen unterwirft, in der (…) die Wirklichkeit nur als Symbol gebraucht wird.“ Der Symbolismus stach nicht etwa durch einen besonderen Stil hervor, sondern durch eine im 19. Jahrhundert neue Weltanschauung, in der Antithesen zur Bürgerlichkeit, Konvention und Moral im Vordergrund standen. Edvard Munch, der diese Auffassungen voranschreitend begleitet hat, verarbeitete in seinem Werk die am häufigsten gebrauchten Bildthemen der Symbolisten, wie z.B. Tod, Liebe, Nacht, Schatten, Krankheit, Vergänglichkeit und Leben. Ziel war es, aus der vorgegebenen, moralisch geprägten Welt zu flüchten und dafür „die Welten der Fantasie und des Traums, die sich einer rationalistischen Festlegung entziehen, wiederzugeben.“

Einer so genannten Boheme, die für „eine bessere, gerechtere Gesellschaftsordnung (…) gegen das die natürlichen Triebe unterdrückende Christentum“ (mit künstlerischen Mitteln) kämpfte, trat Munch nur halbherzig bei, da er in einem ständigen Zwiespalt zwischen dieser Gruppe, also einem unkonventionellen und unmoralischen Leben und dem religiösen, gesitteten Leben bei seiner Familie pendelte. Der Grund, aus dem sich der Norweger nicht voll und ganz der Boheme anschließen konnte, waren wohl die neun Regeln, die unter anderem forderten, „die Wurzeln (…) der Familie zerschneiden“ und sich „das Leben nehmen“ zu sollen. Denn vor allem die Erlebnisse, die Munch, auch schon früh in seiner Familie mitbekommen hat, waren primärer und relevanter Inspirationsquell für seine Arbeit, was ein Abwenden von der geliebten Familie unmöglich machte: Der Tod der Mutter als Munch fünf Jahre alt war, der Tod der Schwester Sophie neun Jahre später, die lebenslange Depression und Melancholie der Schwester Laura, der frühe Tod des Bruder Andreas 1895 und der bis zum Ableben 1889 ausgefochtene Streit um Religionsauffassung mit dem Vater, der seinen Glauben bis in den Wahnsinn steigerte, waren Themen, die Munch folgendermaßen kommentierte: „Krankheit, Wahnsinn und Tod hielten wie schwarze Engel Wache an meiner Wiege und begleiteten mich seitdem durchs Leben.“

Daraus resultierte für den Künstler eine ständige Angst, geisteskrank zu werden: „Zwei der schrecklichsten Feinde der Menschen erbte ich, die Anlage zur Auszehrung und zur Geisteskrankheit.“. Auf der anderen Seite gestand er sich aber auch ein: „Die Lebensangst hat mich begleitet, solange ich mich erinnern kann. Meine Kunst ist ein Selbstbekenntnis gewesen. (…) Ohne Lebensangst und Krankheit wäre ich eine Schiff ohne Ruder gewesen.“

Munch hatte lange Zeit Wahnvorstellungen und fühlte sich ständig hintergangen. Flüsterten Menschen in seiner Gegenwart, dachte er, dies sei gegen ihn gerichtet. Auch vermied er es, sich auf offener Straße umzudrehen und litt unter Platzangst und Schwindelgefühl. Trotzdem wollte er keinen Arzt konsultieren, da er davon ausging: “daß diese Krankheit, die gespannten Nerven, ihm zum Malen verhalfen. Er wollte ja kein Bürger sein, nicht seine besondere Prägung verlieren.“ Obwohl Munch sich nicht vollkommen mit der Boheme identifizierte, hatte er einen sehr eigenständigen Stil, der meist für Skandale sorgte (z.B. 1892 bei einer Ausstellung in Berlin) und aufgrund dessen ihn die Menschen auch für einen „geisteskranken norwegischen Maler“ hielten. Eben dieser Aspekt, dass seine Kunst in der Öffentlichkeit und besonders in Norwegen kritisiert und verspottet wurde, ging nicht unbemerkt an dem Künstler vorbei: „Ich bin niemals verrückt gewesen (…), aber jahrelang hat sich ein Gewirr von Ereignissen, Intrigen mit anschließenden Aufregungen angesammelt. Und der übermäßige Alkoholgenuss hat zum Schluss diese Nervenkrise ausgelöst.“. Somit verbrachte auch Munch einen Klinikaufenthalt 1908 in Kopenhagen. In welchem Zustand er zu dieser Zeit war, verarbeitete er in dem „Selbstportrait mit Weinflasche“ (1906), in dem er sich „selbst demaskiert“ zeigt.

Aus diesen vielfältigen Gründen resultierten die Ideen für seine Gemälde. Ein anderer Aspekt war, dass der Norweger auf einer Sinnsuche war, den Sinn des Lebens hinterfragte und den dringlichen Wunsch hatte, Menschen, die über die Bilder „gelächelt oder den Kopf geschüttelt haben“ zu zeigen, dass „ein Baum rot oder blau ist oder ein Gesicht blau oder grün“. „Ich habe geglaubt, anderen helfen zu können, sich über das Leben klar zu werden.“.

Diese biographischen Hintergründe wurden in vielfältigen Gemälden verarbeitet, von denen nun drei in den Zusammenhang der Melancholie gebracht werden sollen. Das Bild „Abend-Melancholie-Eifersucht“ aus dem Jahre 1892 handelt von dieser Thematik. Auf dem querrechteckigen Gemälde ist rechts im Vordergrund vor einem Strand und Wasser ein schwarz- und kurzhaariger Mann abgebildet, dessen Gesichtszüge nur schemenhaft bzw. maskenhaft gezeichnet sind. Der weite Strand, der sich hinter der Figur, die der Natur den Rücken zukehrt, aufreiht, ist in vier horizontal verlaufende Ebenen gegliedert. Links außen verläuft hellblaues Wasser mit dem schlierenhaft in schwungvollen queren Linien gemalten Himmel, der in abwechselnd weißen und bläulichen Streifen gehalten ist. Es folgt ein vom Wasser verdunkeltes Stück Sand, auf dem einige sichtbare Steine liegen, die vom sich zurückziehenden Wasser umspült werden. Oberhalb der Bildmitte ragt ein roter Steg ins Wasser. Rechts daneben liegen auf hellerem Sand große, abgerundete Steine, die teils in der Farbigkeit ein Pendant zum rechts dahinter liegenden, gelben Boot bilden. Dieses wird ebenfalls nur schemenhaft umrissen und nimmt etwa die gleiche Größe wie der schwarz gekleidete Mann ein, von dem nur der Kopf und die rechte Schulter zu sehen sind. Seine Augen sind von breiten, tief schwarzen Augenbrauen verdeckt und lassen sich nur als kleine Punkte darunter erahnen. Dieses, dem Gesicht einen düsteren Ausdruck verleihende Element wird durch die nach vorne zugespitzten Gesichtszüge verstärkt. Der Mund ist schmal und dünnlippig, die Nase lang. Die Hand ist so an das Gesicht gelehnt. Durch die Sicht des Betrachters von oben auf die Figur entsteht der Eindruck, als habe der Mann keine Hals, was seine Haltung gebückt aussehen lässt.

Munch thematisierte in seinen Bildern auch das individuell erfahrene Leid. Als Kind erlebte er den Tod seiner Mutter, in späteren Jahrzehnten den Verlust vieler weiterer Familienangehöriger, ein psychischer Zusammenbruch folgte diesen Erlebnissen. Sein Bild Der Schrei von 1893 stellte eine Erfahrung des Malers dar, als er einen Sonnenuntergang im Meer sah: „Die Sonne ging unter – die Wolken färbten sich rot, wie Blut. Ich empfand das alles wie einen Schrei. Ich glaubte, einen Schrei zu hören. (…) Die Farben schrien.“ Auf einer hölzernen Brücke, die diagonal in die Bildfläche stößt, steht eine Figur, das Gesicht zu einer schreienden Totenkopfmaske verzerrt. Die Luft transportiert den Schrei bis in den blutroten Himmel. Munch betrachtete seine Werke eher als Skizzen denn als vollendete Bilder, im Vordergrund stand für ihn der erzielte Ausdruck.

Dies wird auch in seinem Bild Das Kind und der Tod aus dem Jahr 1899 deutlich. Das Bild ist etwas höher als breit. In der linken Bildhälfte ist, leicht von oben gezeigt, ein kleines Kind mit blonden Haaren zu sehen, das, frontal dem Betrachter zugewandt, vor dem Bett einer toten oder sterbenden Frau steht, dem es den Rücken zukehrt. Seine Arme sind erhoben, die Hände scheinen gegen die Ohren gedrückt, der Kopf leicht gesenkt. Sein Gesichtsausdruck ist unglücklich, die blauen Augen weit geöffnet. Das Kind trägt ein weißes Oberteil, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen reichen oder dorthin zurückgerutscht sind, unter einem knielangen, blasslila Kleidchen, dazu schwarze Strümpfe und dunkle Stiefel. Die Fußspitzen erreichen beinahe den unteren Bildrand. Der Schattenwurf fällt von hier aus schräg nach rechts hinten, so dass er eine Verbindung zwischen der vom Bett abgewandten Kinderfigur und der liegenden Gestalt im Hintergrund herstellt. Diese ist auf ein Bett oder Sofa gebettet, dessen Unterkante als Waagerechte etwa auf Höhe des untersten Bilddrittels beginnt und dessen Kopfende sich auf der rechten Bildseite befindet. Der Kopf der dunkelhaarigen Frau ist im Profil zu sehen und ruht mit geschlossenen Augen tief in einem weißen, bauschigen Kissen. Auch ein Teil ihres weiß verhüllten Oberkörpers ist zu sehen; die Arme scheinen auf der Brust gekreuzt. Die grünliche Decke ist bis etwa unterhalb des Brustkorbes zurückgeschoben. Ihre Farbe geht fast unmerklich in die der graugrünlichen Wand hinter dem Bett über, während das stumpfe Orange des Fußbodens sich im Schattenwurf an beiden Seiten des Kopfkissens wiederholt und hier die Assoziation mit Blutflecken erlaubt. Die tote Frau selbst wirkt extrem hager und ausgezehrt und die Farbe ihrer Haut unterscheidet sich kaum von der des Kissenbezugs. Sie kontrastiert stark mit der gesunden Hautfarbe und der angespannten Haltung der Kindergestalt, die sich offenbar gegen die Eindrücke des Todes zu wehren versucht.

Das Gemälde lässt Assoziationen mit traumatischen Erlebnissen aus der Kindheit und Jugend des Malers zu. Munch verlor im Alter von fünf Jahren seine Mutter, die an Tuberkulose starb, und neun Jahre später eine seiner Schwestern, Sophie, die an derselben tödlichen Krankheit gelitten hatte. Seine Schwester Laura wurde depressiv. Munch schuf, so ein Kommentar zu dem Bild, „erschütternde Ausdrucksfiguren, die den Betrachter unmittelbar berühren. Das stille Entsetzen des Kindes angesichts der toten Mutter“ erweise sich „als eine Variante des berühmten Bildes Der Schrei.“

Der Symbolist Arnold Böcklin ( 1827-1901) stammte aus Basel. Studienreisen führten Ihn in verschiedene europäische Städte, bevor er sich 23jährig in Rom niederließ. Ihn zog es nicht in die Kunstmetropole Paris, die immer mehr an Bedeutung gewann, sondern in die ,,ewige Stadt" nach Rom. Diese Verlagerung des Lebensmittelpunktes in eine Stadt mit kultureller Tradition eines fremdes Landes deutete bereits darauf hin, dass es ihm nicht um eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Erscheinungen oder gar aktuellen Problemen ging, sondern, dass er seine geistige Heimat in einer kulturellen Tradition suchte, die von Idealen bestimmt war, an denen er sich orientierte. Schwer krank kam er nach Jahren des Misserfolges nach München und stellte ein Bild aus. Da man glaubte der Künstler sei bereits gestorben hängte man einen Kranz unter das Gemälde. Der bayrische König kaufte es für seine Pinakothek, und Böcklin wurde berühmt.

Die beste akademische Maltradition fortführend entwickelt er dennoch eine lebensvolle, farbige, fast volkstümliche Bildersprache. Die Wahl seiner Motive aus der griechischen Mythologie, Märchen und Sagen des Altertums verhilft ihm im Sinne der Klassik menschliche Themen von zeitloser Gültigkeit darzustellen. Der Reichtum seiner Kunst, die eine sinnvolle Interpretation aus unterschiedlichsten Blickwinkeln auf verschiedenen Ebenen zulässt, hängt auch damit zusammen, dass er seine Motive auch aus anderen musischen Gebieten schöpft, wie der Literatur und Musik.

Das Aufnehmen und Verarbeiten künstlerisch vorgeformter Motive zählt zum Gebiet der wichtigsten Quelle Böcklins, zur ,,geschauten Wahrheit", denn er möchte nicht illustrieren sondern darstellen. Ein Aufgreifen von Bildmotiven, die dem eigenen Thema jene Bildhaftigkeit leihen, die auf das Verständnis von Menschen rechnen darf, welche nicht primär aus Farbe und Form erleben können und doch eine Veranschaulichung von nicht leicht in Worten Fassbarem brauchen. Die Mythologien werden als eine Art Rahmenhandlung verwendet innerhalb derer sie psychosoziale Strukturen der Zeit transportieren. Ein vom Bildungsbürgertum allgemein verstandener Code der klassischen Mythologie wird zum Ausdrucksträger gesellschaftlicher Grundkonstellationen in einem bestimmten historischen Zeitzusammenhang. Seine eindringlichsten Bilderfindungen resultieren aus seinem intuitiven Zugang zum Bereich des menschlichen Unbewussten, lange vor der Entwicklung der Psychoanalyse.

Böcklin macht selten Skizzen von seinen Ideen, lehrt auch seine Schüler direkt an der Staffelei zu arbeiten, damit die Vorstellung der Realität sich vor Arbeitsbeginn an einem Bilde vollkommen gefestigt hat. Die Geschaute, selbsterlebte Wirklichkeit ist für ihn sehr wichtig, da der Reflexion voraus immer die Wahrnehmung, Seherfahrung und seelisches Erleben vorausgeht: ,,Naturbeobachtung und Naturerlebnis bewahren vor dem Ausgleiten ins Konventionelle Fabulieren und führen zum Lohn für die selbstgeübte Zucht zu sicher tragender künstlerischer Formfindung.“

Die enge Verflechtung zwischen realistischer Natursicht, starker Sensibilität, naiver fast bedenkenloser Wahl der Motive und dem Einsatz unkonventioneller Darstellungsmittel (bei Farbe, Zeichnung, Komposition) schafft gekonntes Heraufbeschwören der Stimmungen und Spannungen zwischen Naturalismus und Idealität. Montagen von Realitätsteilen, die eine Überwirklichkeit erzeugen, verwischen die Barrieren zwischen Erlebnis und optischer Erfahrung, sind gefühlsgeladen und ausdrucksstark: ,,Man soll nicht ein Stück Natur zu einem Bild verarbeiten, sondern man soll etwas erfinden und die Natur zu Rate ziehen." Böcklins Absicht ist es die Phantasie des Betrachters selbst mit seinem Bildbestand weiterarbeiten zu lassen. Seine arkadischen Landschaften wirken als real betretbar. Die Inszenierung geht in die Tiefe. Farben, Kontraste haben raumklärende Funktion. Häuser, Bäume, Menschen sind Masseneinheit. Es gibt auch Elemente und Prinzipien, die immer wieder kehren: Ausblick aufs Meer, Zypressen, Felsen, stille Wiesen, suggestive bedrohliche Bewölkung, dramatische Lichtgebung, betonte Senkrechte als Ausdruck feierlich verhaltenen Ernstes. Häufige Wiederaufnahmen von Motiven zeigen die Suche nach geschlosseneren Fassung, nach präziser Vereinfachung, damit Detail und Gesamtentwurf zu klarer Übereinstimmung gelangen, um den Bildgedanken zu klären, bis der geistigen Thematik ein vollkommener Ausdruck verliehen ist. Seine mythische Kraft beruht weniger auf seinen Motiven, sondern vielmehr auf seiner Fähigkeit geschaute und erfundene Natur in solcher Eindringlichkeit wiederzugeben, dass das Resultat die Kraft und Dichte von Traumbildern besitzt.

Böcklin sucht nach einer Ganzheit im Gesamtwerk, malt Zyklen mit sich ergänzenden und kontrastierenden Motiven (Toteninsel - Lebensinsel). Thematisch und formal akzentuiert Böcklin durch Kontraste, in dem das Gegensätzliche zu Ganzheit führt. Immer wieder setzt sich Böcklin in seinem Werk auch mit dem Thema Tod auseinander. Im Selbstbildnis von 1872 malt er sich mit dem fiedelten Tod, der ihm über die Schulter schaut. Auch privat wird Böcklin zu oft mit dem Tod konfrontiert: Seine erste Verlobte stirbt 14 Tage nach der Verlobung, 8 von seinen 14 Kindern sterben. Oft erhält er Aufträge Portraits von verstorbenen Kindern auszuführen. Die blutig niedergeschlagene Arbeiterrevolution im Juni in Paris erlebt Böcklin ganz nah, und die Grausamkeit des Vorfalls berührt ihn zutiefst. Kampf, Krieg, Bedrohung und Tod sind fortan Themen, die aus seinem Werk nicht mehr bald verschwinden.

Die Toteninsel inspirierte Rachmaninov und Reger zu gleichnamigen Tondichtungen. Richard Wagner versuchte Böcklin fürs Theater zu gewinnen. Und auch viele andere Dichter und Musiker wurden von Böcklins Werk inspiriert und begeistert. Die Technik der Collage und Verfremdung, absurder Montage haben Surrealisten und Dadaisten aufgenommen und fortgeführt. Auch de Chirico und Max Ernst berufen sich dabei ausdrücklich auf Böcklin. Zum Teil ist die Darstellung der Traumbilder auch eine Wirklichkeitsbewältigung, Befreiung von Zwängen des gründerzeitlichen Existenzkampfes, vom Druck der politischen Verhältnisse, letztendlich auch die Lösung der menschlichen Psyche aus Konvention und Moral. Allerdings weisen zahlreiche Reproduktionen nicht auf Verdrängungsprozess verschiedener Bevölkerungsschichten sondern auch auf die allgemeine emotionale Gültigkeit Böcklins Bilder.

Die Entstehung des russischen Symbolismus beginnt 1893 mit Dmitrij Merežkovskijs programmatischem Essay „Über die Ursachen des Niedergangs und über neue Strömungen der zeitgenössischen neuen Literatur“. Wie der Literaturwissenschaftler Reinhard Lauer feststellt, wird hier das Aufbegehren gegen die positivistisch-utilitaristische Ästhetik deutlich: „Nicht mehr das `Leben` mit der Betonung des für die Gesellschaft Nützlichen wurde als Gegenstand der Kunst angesehen, sondern die Transzendenz, das eigentliche Sein.“

Die positivistische Weltanschauung des Realismus wurde abgelegt. Tiefe Skepsis dem Realismus gegenüber und Zukunftshoffnungen am Ende des 19. Jahrhunderts sowie die Angst vor Entfremdung von dem eigenen Geschichtsbewusstsein riefen zahlreiche Kritiker auf den Plan. Da war eben Merežkovskij einer der Kulturkritiker, der die Geringschätzung des Dichterischen anprangerte und seinem Unbehagen an der bisherigen Kunst Ausdruck gab. Merežkovskijs Absicht war es folglich, die Kunst nicht mehr auf rührende oder moralische Tendenzen auszurichten, sondern es auf die sog. „Wahrheitsliebe“ (pravdivost‘) des Künstlers ankommen zu lassen.[3] Er kritisierte das rationale Konzept der Naturwissenschaft und Technik und wies insbesondere in seinem Essay auf die Sprachverderbnis und die Stagnation der Künste hin. So sollte seiner Meinung nach die Dichtung wieder als eigenständige Schöpfungs- und Erkenntniskraft wirken. Merežkovskij kritisierte ferner die realistische Erzählkunst. Dieser wurde ein Verfall bescheinigt und tatsächlich widmeten sich am Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt zweitklassige und epigonale Schriftsteller dem Roman als Gattung. Neuzeitliche Schriftsteller produzierten ab 1880 vermehrt kleinere literarische Formen wie Skizzen, Porträts und Etuden.

Die Auffassung der symbolistischen Kunst war eine andere als die des Realismus. Merežkovskij beschrieb diese folgendermaßen: „Sie (die symbolistische Kunst, M.L.) vergeistigt die schöne Form, den poetischen Stil, das heißt den künstlerischen Stoff, macht sie transparent und läßt auf diese Weise das wahrhaftige Sein, die Transzendenz, ahnbar werden. Auch der Sprache sollte eine neue bzw. wichtigere Funktion verliehen werden: Das Wort sollte nicht mehr als Begriff oder Terminus funktionieren wie in der denotativen Semantik des Realismus, sondern als dynamische Energie, die die erstrebte Transparenz zum Ewigen hin ermöglichte. So sollte der Leser durch Wörter hypnotisiert und durch mystische Inhalte der Realität entzogen werden. Durch Lautstrukturen, Alliterationen, Metaphern und weitere Stilmittel haben die Symbolisten den Sinn ihrer Werke anders wiedergegeben und der literarischen Sprache auf diese Weise große Aufmerksamkeit geschenkt.

Der russische Symbolismus vollzog sich in zwei Schritten. Die erste Dekade der Strömung bestimmte die so genannte „Erste Generation“ oder „Ältere Symbolisten“, zu denen Minskij, Merežkovskij, Bal´mont, Sologub und Zinaida Gippius gehörten und die sich der mystisch-idealistischen Richtung der Symbolistik verschrieben haben. Sie waren Anhänger des französischen Symbolismus, der als dekadent galt. Geistig-ideelle Werte und philosophische Grundzüge prägten das Denken der älteren Symbolisten. Bereits der frühe Symbolismus stand im Zeichen mystischer und apokalyptischer Visionen und Vorahnungen. Der russisch-japanische Krieg und die erste russische Revolution von 1905 bestätigten diese Vorahnungen der Literaten. Der Symbolismus war die ideale Möglichkeit, diese Visionen sprachlich zu verarbeiten. Dem vorausgegangenen Positivismus würde eine solche Poesie widerstreben und deshalb nicht gelingen.

Viele bekannte Namen dieser literarischen Strömung spielen in der Literatur eine große Rolle. Man kennt beispielsweise solche Vertreter, wie Balmont, Bely, Block, Brjussow, Mereshkowski oder Sologub. Der russische Symbolismus ist geprägt von der Umbruchstimmung des damals zaristischen Russlands in der Zeit zwischen 1890 und 1910. Der russische Symbolismus war daher ein Ausdruck für die komplizierten nationalen Gesellschafts- und Kunstverständnisse in der Übergangszeit Russlands, in der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution. So stellen die russischen Symbolisten die Krisensituationen der Menschen in einer scheinbar wohlgeordneten Gesellschaft dar, die aber in Wirklichkeit eine unheilvolle, soziale und politische Realität bietet.

Man muss hinzufügen, dass der russische Symbolismus daher nicht nur eine dichterische Ausdrucksform darstellte, er wurde sogar zu einer Philosophie erhoben. So fand die symbolistische Weltanschauung und Ästhetik gewisse Unterstützung in der Philosophie Arthur Schopenhauers und Friedrich Nietzsches. Aus diesem Grund findet man auch gewisse Parallelen zu Schopenhauers Weltanschauung in den Werken Sologubs.[22]

Im Symbolismus ist der Künstler die zentrale Figur, sein Wesen, seine Empfindung, sein Denken steht dabei im Vordergrund. Anders als in der Romantik drückt der Autor hier keine Gefühle aus, sondern eher sich selbst, wobei er mit Hilfe von Symbolen eine andere Welt erschafft. So existieren für die Symbolisten zwei Welten, die reale, wahrnehmbare Welt und auf der anderen Seite eine „jenseitige“ Welt.[23] Man kann daher sagen, was auch im Rahmen des Seminars deutlich zum Vorschein gekommen ist, dass ein Leser, der ohne jegliche Grundkenntnisse über die Epoche oder das Leben des Autors an ein symbolistisches Werk herangeht, es schwer haben wird, den Sinn des Werkes aus dem Symbolismus zu erfassen. Für die Symbolisten war insbesondere die Lyrik, auf Grund ihrer sprachlichen Mittel von Bedeutung. Fast alle Symbolisten, zumindest anfangs sind daher als Lyriker bekannt. So beinhaltet auch die Prosa eine lyrische, poetische Sprache und verwendetet von jeher Symbole. Für eine kurze Zeit, in den ersten 20 Jahren des 20. Jahrhunderts, prägte der Symbolismus die Literatur Russlands maßgeblich. Es war eine Zeit, die literarisch so fruchtbar war, dass man sie heute auch das „Silberne Zeitalter“ nennt.

Die Vielfältigkeit der Themen des russischen Symbolismus ist sehr groß. So sind für Sologubs Erzählungen auch die folgenden Themen ausschlaggebend: Bei Sologub ist das Thema der „Welt als Vorstellung“ sehr oft zu finden. Die vorgestellte Welt ist für die Symbolisten eine Gegensätzliche zu der realen Welt. Man kann hier daher auch gewisse Parallelen zu Schopenhauer aufzeigen, der sich mit diesem Thema in seinem Werk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ auseinander setzte.

Die Symbolisten stellen die reale Wirklichkeit als trostlos, traurig und ausweglos dar. So flüchten die Hauptpersonen der Erzählung in ihre eigene Traumwelt, die ihnen für kurze Zeit Trost bietet. Bei den Symbolisten kann man daher zwei Traumzustände betrachten: den Nachttraum und den Tagtraum. Der Nachttraum spielt bei Sologub eher eine untergeordnete Rolle und wird hier daher auch nicht betrachtet. Der Tagtraum ist bei Solugub ein Gedankenspiel, wo der Träumende bei Bewusstsein ist und seinen Traum selbst gestalten kann. So erscheint die Wirklichkeit der Figur der Erzählung meist verzehrt oder wird vollkommen ausgeblendet. Dieses Traumgeschehen überlagert dann meist die reale, wirkliche Welt, die aber nicht ganz ausgeblendet wird. Wichtig zu erwähnen ist, dass es bei Sologub auch Erzählungen gibt, wo der Tagtraum und die reale Wirklichkeit in einander übergehen, ohne dass das Traumgeschehen und das Wirklichkeitsgeschehen als getrennt betrachtet werden. Das ist bei der Erzählung „Tod per Annonce“ der Fall. So hat der Träumende Schwierigkeiten zwischen dem wirklichen Ich und dem im Traum Handelnden zu unterscheiden.

Die „Jüngere Generation“ profilierte sich unmittelbar nach der Jahrhundertwende. Als wichtigste Vertreter sind hier Aleksandr Blok und Andrej Belyj zu nennen. Nach der misslungenen Revolution von 1905 beginnt in der russischen Literatur die Suche nach nationaler Identität verbunden mit nationalen Mythenbildungen. Der altslavische Mythos ist bei der Suche genauso zu finden wie eine christlich-sektiererische Komponente und die Auswirkungen der griechisch-hellenistischen Antike.

Andrej Belyj, oder mit bürgerlichem Namen Boris Bugaev, 1880 in Moskau als Sohn eines namhaften Mathematik-Professors geboren, war einer der bekanntesten Vertreter des russischen Symbolismus. Belyjs Bemühung bestand darin, den Symbolismus auch theoretisch (dichtungstheoretisch, ästhetisch, logisch) zu begründen und auf diese Weise die Beziehungen zwischen Mythos und Logos zu knüpfen. Seine Schriften über das Wesen des Symbolismus haben einen hohen Stellen- und Aussagewert, auch über das rein Literarische hinaus. Belyjs Schaffen und seine geistige Entwicklung stehen im Zeichen Solovews, Nietzsches und Schopenhauers. Auch Rudolf Steiners Theosophie und der Neukantianismus begründen seine Werke. So hat Belyj als einer der ersten den Versuch unternommen, die russische Literatursprache zu revolutionieren. Neben den stilistischen Mitteln ist die programmatische Sichtweise Andrej Belyjs innerhalb des Symbolistenkreises von Bedeutung. Kenntnisse darüber erleichtern zum einen das Verständnis seiner Werke und geben zum anderen auch die Möglichkeit, die Mystik und die okkulten Züge seiner Werke zu deuten.

Wie kein anderer verstand es Belyj, die russische Literatur zu erneuern, indem er das „Prinzip der Instrumentalisierung“ einführte. Bereits in seinem ersten Symphonien-Band „Dramatičeskaja“ präsentierte Belyj die bis dahin in Russland unbekannte literarische Gattung, die maßgeblich für das erste Viertel des 20. Jahrhunderts sein wird. Diese musikalisch anmutende und systematisch angelegte Prosa mit ihren Klängen und Symbolen war einzigartig. Das 1902 erschienene Werk war das erste der auf dem Prinzip der Instrumentalisierung fußenden lyrisch-prosaischen Symbolismusliteratur von Belyj.

Neu an dieser symphonischen Prosa war nicht das Thematische, „(…) die ständige Präokkupation, das Schicksal Rußlands und der ganzen Welt aus ominösen Zeichen zu ergründen“; neu waren vielmehr die musikalischen Gestaltungsmittel, die Belyj auf allen Textebenen zu realisieren suchte. So revolutionierte Belyj die russische Literatursprache in seinen Prosawerken. Als Lyriker ist es ihm allerdings nicht gelungen, seinen Altersgenossen Aleksandr Blok qualitativ zu erreichen. Seine Gedichtsammlungen wie beispielsweise „Zoloto v lazuri“ (1904), „Pepel“ (1909) und „Urna“ (1909) waren nicht so einflussreich bzw. bedeutend und enthielten nichts sonderlich Aufsehenerregendes.

Paul Gauguins Stil entwickelte sich vom Impressionismus zum Symbolismus weiter. Im Januar des Jahres 1885, zu einer Zeit, da Gauguin noch rein impressionistisch malt, entwickelt er in einem Brief an seinen Pariser Freund Emile Schuffenecker seine Idee von der Malerei, die der praktischen Ausübung weit voraus ist: „Seit langer Zeit denken die Philosophen über Erscheinungen nach, die uns übernatürlich vorkommen, die man aber trotzdem deutlich fühlt. Und darin liegt alles begründet! Beobachten sie einmal die ungeheuer reiche Schöpfung der Natur, und sie werden feststellen, dass trotz der vielfältigsten Möglichkeiten keine Gesetzmäßigkeit besteht, um die menschlichen Gefühle, die den Dingen entsprechen, mit diesen zusammen wiederzugeben. Betrachten Sie einmal eine dicke Spinne oder einen Baumstumpf im Wald. Ohne daß wir uns darüber Rechenschaft ablegen, verursachen alle beide ein schreckliches Gefühl in uns. Kein Verstandesurteil kann vor diesen Empfindungen bestehen. Alle unsere fünf Sinne dringen direkt ins Gehirn, beeindruckt von einer Unzahl von Dingen, welche von keiner Erziehung abgelenkt werden können“

Wenn wir aus Gauguins Worten eine Abkehr vom Impressionismus herauslesen können, so wird auch sofort deutlich, dass sie sich nicht gegen die Technik richten, sondern gegen die Sehweise dieser Kunst, gegen die Haltung, die vor der Wirklichkeit eingenommen wird. Wollten die Impressionisten in ihrem Verhältnis zur Natur vor allem wahr sein und ließen deshalb jenen romantischen Schleier des Gefühls zwischen Natur und Auge nicht aufkommen, um die Welt mit wirklicher Objektivität zu sehen, so verloren sie doch zugleich einen Gesichtspunkt: Sie vergaßen, dass ein Gegenstand nicht nur in der zufälligen Erscheinung besteht, sondern, dass er ein typisches Wesen mit Unvergänglichkeit und Dauer besitzt. Aber unter Wesen und Dauer versteht Gauguin letztlich etwas anderes: nicht die Ordnung und Struktur der Dinge innerhalb der sichtbaren Wirklichkeit, sondern deren magische Tiefenschicht, ihren Zusammenhang mit der unkontrollierbaren Hintergründlichkeit, mit der sie erlebt wird. Das ist das Mythische, das dem Gegenstand selbst immanent ist:

Die Mittel, die dem Künstler zur Verfügung stehen, um solches auszudrücken, hat Gauguin damals schon erkannt: „Ich schließe, dass es edle Linien, heuchlerische Linien usw. gibt. Die gerade Linie führt ins Unendliche, die Kurve begrenzt die Schöpfung. Infolge ihrer Macht auf das Auge sind die Farben noch aussagekräftiger, wenn auch weniger vielfältig als Linien. Es gibt edle und gemeine Töne, ruhige, tröstliche Harmonien und andere, die uns durch ihre Kühnheit reizen. Mit einem Wort: wir sehen in der Graphologie die Züge freimütiger Menschen und andere von Lügnern; warum sollten uns die Linien und Farben nicht auch den mehr oder weniger grandiosen Charakter des Künstlers enthüllen?“ Diese Ideen, die weit über den Impressionismus hinausführen, versucht Gauguin noch jahrelang in impressionistischen Bildern auszudrücken.

Zu einer wirklichen Veränderung im Stil Gauguins kam es im Verlauf von dessen zweitem Aufenthalt in Pont-Aven in der Bretange, im Jahre 1888. Zwei bedeutende Umstände hatten diesen Wandel eingeleitet, der zur Abkehr vom Impressionismus führen sollte: die regelmäßige Arbeit im Atelier des Keramikers Ernest Chaplet ab dem Frühjahr 1886 und eine Reise nach Panama und Martinique von April bis Oktober 1887. Die tropische Natur mit ihren klaren, lebendigen Farben vermittelte ihm eine großzügigere, weniger analytische Auffassung von der Landschaft. Die in Martinique einsetzenden Vereinfachungen lenkten seine Kunst in abstraktere und mysteriösere Bahnen. Das „einfache Leben“ der Eingeborenen in der Südsee mit ihrem ursprungsnahen Denken und Fühlen wird für ihn zu einem Idealbild..

Die Neigung des zivilisationsmüden Malers zu der wilden Natur rührte zum einen von seinem Charakter her. Er selbst nannte sich „ ein Wilder aus Peru“, anspielend auf seine peruanischen Wurzeln. Wie er betonte, habe er ein instinktives und unmittelbares Wesen, was auf seine peruanischen Vorfahren zurückgehe. Zum anderen ist diese Neigung auch Folge seiner Philosophie über die Rolle der Natur in der Kunst. Er erklärte seine neuen Ideen folgendermaßen: „Es gibt unveränderliche Prinzipien in der Kunst, die getrennt von der Natur existieren; Dieses Wissen war sowohl den Naturvölkern als auch den japanischen Künstlern bekannt, es gründete auf einer perfekten Harmonie der Farben und Linien. Diese ästhetischen Überlegungen verbunden mit der Idee der Persönlichkeit des Künstlers, verwandelten das Verständnis des Kunstwerks ausgehend von einer mechanischen Illustration hin zu einem Ausdruck der poetischen Abstraktion der Natur.“

Die Darstellung einer subjektiven, erdachten Welt war wichtig für ihn. Ausgangspunkt dieser Reaktion war der gleiche, von dem auch die Impressionisten ausgegangen waren: es war die Anschauung. Während aber die Impressionisten ihre Staffelei in der freien Natur aufstellen, hatte Gauguin gefordert, dass der Maler sich meditativ in den darzustellenden Gegenstand versenken und ihn anschließend im Atelier aus der Erinnerung neu erschaffen solle. Was sich der Künstler von dem Gegenstand gemerkt hat, weil es ihm wichtig erschienen war, enthalte dann notwendigerweise die Essenz des Gesehenen. Er sagte: „Ich bin kein Maler, der nach Natur malt, heute weniger denn je. Bei mir spielt sich alles in meiner verrückten Phantasie ab“

Gauguin wollte dem Traum, dem Geistigen und dem Seelischen zu seinem Recht verhelfen. Er strebte nach einer Synthese, die den harmonischen Einklang von Menschen und Natur zum Ausdruck bringe. Jungen Malern in seinem Umfeld riet er dazu, nach dem Gedächtnis zu malen und nur das Wesentliche eines Motivs festzuhalten – wenige schlichte Linien, ein paar reine Farbtöne – und sich vom Erlernten freizumachen, um den wirklichen Empfindungen auf die Spur zu kommen. Er erklärte: „Bilder müssten aus dem Inneren kommen, wenn sie die Gedanken des Künstlers zum Ausdruck bringen sollen und dürfen keine Wiedergabe der Wirklichkeit sein, sondern Abbild einer subjektiven Sicht der Welt“.

Jugendstil

Eine andere Reaktion auf Industrialisierung und Verstädterung entstand mit dem europäischen Jugendstil. Die Zeit der Jahrhundertwende war geprägt von bürgerlichem Wohlstand einerseits und Proletarisierung der Arbeiterschaft andererseits. So war fast die Hälfte der Wiener Bevölkerung um 1900 in der Industrie tätig. Bahnhöfe, Fabriken und Hochhäuser wurden überall gebaut. Für diese neuen Bauaufgaben ließen sich die Architekten von verschiedenen historischen Stilen inspirieren. Bei der industriellen Produktion von Massenware schließlich waren künstlerische Dienstleistungen überhaupt nicht mehr gefragt. In England, wo die Industrialisierung ihren Anfang genommen hatte, begannen Künstler nach der Jahrhundertmitte jedoch, sich auf alte Handwerkstraditionen zu besinnen. Ob Schreiner oder Kunstschmiede, ob Keramiken oder Glasarbeiten, Buchkunst oder Architektur, hervorgehoben wurde der Gegensatz zur industriellen mechanischen Produktion. Der Ansatz dieser Arts-and-Crafts-Bewegung rund um John Ruskin und William Morris blieb nicht folgenlos, auch wenn die billige Massenware sich schließlich durchsetzte.

Der Jugendstil ist in der Zeit zwischen 1890 und 1910 anzusiedeln. Er lässt sich jedoch nicht klar abgrenzen vom vorangehenden Historismus des 19. Jahrhunderts und der nachfolgenden Kunst der Moderne im 20. Jahrhundert. Die Übergänge sind fließend. Die alten Lehrmeister, deren Lehre sich am Historismus orientiert, prägen an den Hochschulen durch ihre Kunstauffassung und Techniken die jungen Künstler. So wird wieder altes mit dem neuen vermischt. Zum fließenden Übergang von Jugendstil in die Moderne ist zu sagen, dass zum Beispiel aus der abstrakt- geometrisierenden Richtung des Jugendstils die moderne Sachlichkeit hervorgegangen ist. Man kann den Jugendstil somit als sehr kurze Kunstphase bezeichnen. Die Hauptbauten der Architektur des Stils entstehen erst in den späten 1890er Jahren und schon nach 1905 werden die floralen Muster durch die schlichten und abstrakten Formen der Moderne abgelöst.

Diese neue Form der Kunstgattung lud den Betrachter zur ästhetischen Andacht ein. Das formschöne, ornamental geschmückte Kunstwerk soll ihn "bezaubern". In Anlehnung daran wird der Jugendstil oft auch als Dekorationskunst bezeichnet. Eine neue Kunst der ästhetischen Ornamentik entsteht durch den neuen Stil. Die Künstler wollen weg von der Stilimitation des Historismus und sich durch neue Formen bewusst von diesem abgrenzen. So suchte der Jugendstil eine neue, unverbrauchte Formensprache zu entwickeln...diese sollte „natürlichen Ursprungs“ sein: die Natur mit ihrer Flora und Fauna wurde zur unmittelbaren Inspirationsquelle.

Zur gleichen Zeit macht sich auch im Bereich der Biologie und Naturwissenschaft ein deutlich steigendes Interesse an biologischen Vorgängen und der Pflanzenkunde bemerkbar. Man interessiert sich für den Ursprung und die Geschichte der neuen Formen. Die Natur ist voll im Trend und damit auch ihre Wissenschaft. Das Ornament des Jugendstils liebt als Motive kleine Tiere und Pflanzen meist der Unterwasserwelt. Als geheimnisvolles, naturbelassenes, weitgehend unerforschtes Reich der Fabel- und Fantasiewesen bietet es unendlich viele Formen für die neue Kunst.

Durch die lebendigen natürlichen Formen versuchen die Künstler des Jugendstils, ihr Werk mit einer ästhetischen Dynamik zu versehen. Leitmotive sind Frauen und Jungfrauen, sanfte Mädchengesichter mit langem fließendem mit Blumen verziertem Haar. Beliebte Motive sind außerdem vor allem lange schlanke Körperformen, wie Seerosen, Schilfpflanzen, Libellen und Fische. Als Blütenpflanzen werden Blumen mit schmalen Blättern und langstengligen Konturen wie Tulpen, Lilien und Chrysanthemen bevorzugt, die Orchidee nimmt aufgrund ihres exotischen Reizes, ihrer fleischigen Blütenblätter und lasziven Farbigkeit eine Sonderstellung unter den Blumen des Jugendstils ein. Auffallend ist besonders, dass alle genannten Leitbilder des Stils ganz unter dem Primat der Schönheit und Ästhetik stehen. Die Motive sind deshalb so beliebt in der Kunst dieser Zeit, weil sie sich alle durch schlanke, lineare Formen auszeichnen. Geschwungene, verschlungene Linien asymmetrisch und unterschiedlich dick kurven sie durch das Ornament und sind somit nicht mehr nur als Kontur, sondern als eigenes, selbstständiges Ornament im selben zu sehen. Dieses Durcheinander von Linien und Muster erzeugt eine lineare Dynamik und wirkt rhythmisierend. Eins der ersten Jugendstilwerke, auf das die Masse der Bevölkerung aufmerksam wird, ist der Bau des Fotoateliers Elvira in München. 1898 verziert der junge Künstler August Endell eine glatte Fassade aus der Gründerzeit mit einem Dekor aus Stuck, das ein buntes, mit Pflanzenmotiven geschmücktes Gebilde eines riesigen Drachen darstellt. Hier wird auch die Stilmischung deutlich zwischen der Architektur der vorangegangenen Jahre, die als Podium für die neue Kunst mit derselben verschmilzt. Dieses Kunstwerk erregte ein solches Aufsehen, weil es dem alten, bereits bekannten etwas radikal Neues entgegensetzt. Die neuen Formen und die Farbigkeit erfordern das Wissen und das Kennen der phantastischen und natürlichen Natur- und Pflanzenwelt.

Der Jugendstil wurde der erste Stil, der auf fast alle Bereiche des Lebens Einfluss nahm. Vor allem durch das Kunstgewerbe, wo die Jugendstilkünstler versuchten einen Einheitlichen Stil zu schaffen, dem Eklektizismus der vorangegangenen Jahre entgegengesetzt. Hier gibt es allerdings schon zwei Richtungen. Auf der einen Seite standen die Künstler, die auch die modernen Produktionsmittel für ihre Arbeit benutzten und eine Art "Volkskunst" etablieren wollten, wie zum Beispiel van der Velde. Auf der anderen Seite hingegen standen die Verfechter des Handwerks, die gegen die moderne Industrie eingestellt waren, und wieder traditionell produzierten. Hier sieht man auch noch größere Unterschiede. Die einen stellen ihre Gegenstände Zweckorientiert her, die Form gibt dem Gegenstand die Schönheit, auch entgegengesetzt dem Historismus, der überall an einem Stuhl noch Dekorationen anbrachte. Kurt Bauch beschreibt hingegen einen Stuhl van der Veldes folgendermaßen: "In seiner Form ist er nicht als Architektur, sondern als Gerät verstanden, vom Sitzen und Lehnen her entwickelt in durchlaufenden Flächen und Streben. Bequem und gepflegt, wenn auch ohne jeden Schmuck, erfüllt er seinen Sinn.". Hier weist der Jugendstil schon auf die Neue Sachlichkeit hin, ist also progressiv.

Meistens allerdings ist der Jugendstil Ästhetizismus, geht vom Gegenstand weg, wird abstrakt, nur noch ornamental. Auch mit dieser Abstraktheit zeigt er schon künftige Entwicklungen an. Hier ist das abstrakte Ornament vervollkommnet. Nun aber wird er immer mehr nur noch dekorativ, exklusiv und es zeigt sich in ihm immer mehr die Dekadenz des fin de siècle. Er ist nicht mehr so formgebunden, sondern oft nur noch dekorativ, zur Ergötzung der Augen. Hier fällt er wieder zurück in die Gebiete die er eigentlich verlassen wollte. Kleine Eliten flüchten sich in ihre eigene kleine Welt, eben diese vollkommene Insel in einer bedrohlichen Umwelt. Diese Dekadenz wird dann aber von der Moderne überwunden. Man kann also im Jugendstil einen Zwischenschritt zu ihr sehen, da er viele Ansätze besitzt, die später weiter verfolgt werden. Der Jugendstil ist also auf der einen Seite progressiv, auf der anderen Seite allerdings reaktiv.

In der Literatur gibt es den Jugendstil nicht in so großem Maße wie in der bildenden Kunst. Er beschränkt sich eher auf die kleinen Formen, wie vor allem Gedichte. Man muss hierzu anmerken, dass keiner der folgenden Dichter sich als Jugendstildichter verstanden hat, da der Begriff erst nachträglich gebildet worden ist, um eine Einordnung zu ermöglichen. Daher muss zuerst festgelegt werden, was Jugendstil in der Lyrik bedeuten soll.

Man kann zum einen von den Motiven und den Vorstellungen der Dichter ausgehen. So will der Jugendstil die Gesellschaft und Politik in biologische Naturformen zurückbringen. Dieses biologische Denken geht auch von der damaligen Trieblehre aus: "sie leugnete die moralische Verantwortung des Menschen für ererbte Defekte und angeborene Eigenschaften;". Geht man von dieser Seite heran, so ist zum Beispiel Wedekind ein Vertreter des Jugendstils. Der Jugendstildichter entnimmt seine Gestalten meist aus Mythen, zum einen um eine gewisse Exklusivität zu zeigen, zum anderen aber auch, um zu beweisen, dass man die Geschichte nicht für die Kunst braucht. Die Person ist nicht wichtig. Der Jugendstildichter lässt nicht mehr die Natur auf sich wirken, er erschafft seine eigene, erlesene Natur. Der Künstler sieht sich somit als Schöpfer einer eigenen, elitären Welt. Diese Welt ist ornamental.

Dies ist sozusagen die Technik des Jugendstils. Das Ornament macht vor allem die Sprachgebärde aus. Volker Klotz definiert sie als "gemessen hinweisende Bewegung, ein sichtbares Tun, dessen Zweck vor dem Wie erlischt". Hier sieht man das auch hier nicht der Gegenstand, die Tat wichtig ist, sondern die Art ihrer Beschreibung. Eine Gebärde ist aber nach dieser Definition nicht irgendein Wie, sondern eins das jeden Sinn übersteigt. Um diese Gebärde nun zu betonen muss der Dichter die Aufmerksamkeit von der Tat, das heißt dem Verb, ablenken. Er kann dies tun, indem er die Aufmerksamkeit durch modale Adverbien auf das Wie der Tat lenkt. Zugleich schränkt er das Verb dadurch ein, das es kein Objekt hat, oder höchstens das Subjekt selber. Dadurch entstehen "Bilder", die stillzustehen scheinen. Soll einmal doch eine Aktion entstehen, so kann er nicht ein Verb benutzen.

Stattdessen wird diese Aktion dem Gegenstand entnommen und als Adjektiv vorangestellt (z.B. feuerbergende Fläche). So erscheint die Handlung in das Bild gelegt worden zu sein, sie muß nicht geschehen, sie ist vorhanden. Auffallend beim Jugendstil ist normalerweise auch der Rahmen, das ornamentale. Er wird im Gedicht vor allem durch Adjektive erzeugt. Der Jugendstildichter benutzt sehr viele Adjektive, die sich oftmals gar nicht mehr direkt auf das Subjekt beziehen, eben Randwerk, Ornament sind. Volker Klotz schreibt dazu: "Die Adjektive und Adverbien sollen nicht mehr charakterisieren - sie typisieren gewaltsam und lösen damit die Dinge aus dem gewohnten Zusammenhang, oder sie entziehen sich vollends ihrer dienenden Aufgabe.". Somit sieht man in der Literatur viele Parallelen zur bildenden Kunst. Beide ornamentalisieren, beide flüchten in eine selbstgeschaffene Welt, bei beiden ist diese Welt wie eingefroren und von einer elitären Exquisität. Auch bleibt der Jugendstildichter in der Beschreibung seiner Welt meist in der zweiten Dimension.

Die Arts- and-Crafts-Bewegung in Großbritannien hatte folgende Hintergründe: Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Großbritannien zu einer der mächtigsten Nationen der Welt. Technisch und wirtschaftlich führte Großbritannien neben den USA den westlichen Kulturkreis ins Maschinenzeitalter. Das Großbürgertum wurde immer wohlhabender. Das schnelle Wachstum der Industrie führte zu einer Vielzahl an geschmacklosen Produkten, da sie keine ästhetische Tradition besaß und sowohl die Möbelherstellung als auch das Kunstgewerbe mechanisierte. In der industriellen Fertigung wurden Stile nachgeahmt und vervielfältigt.

Der Entwicklung der Dampfmaschine verdankt England den Aufstieg zum Mutterland der Industriellen Revolution mit allen ihren Auswüchsen. Nach dem Siegeszug durch die englische Baumwollindustrie ist die Dampfmaschine nicht mehr aufzuhalten. Sie findet schnell überall dort Einsatz, wo Handarbeit durch die Dampfmaschine als Grundlage der Energieerzeugung mechanisiert werden konnte. Die herkömmlichen Prozesse der Produktion wurden durch Neues ersetzt: „menschliche Fertigkeit und Anstrengung durch die ebenso schnell wie gleichmäßig, präzise und unermüdliche Arbeits-Maschine“; “Verwendung neuer Rohmaterialien in größeren Mengen, vor allem die Ersetzung pflanzlicher und tierischer Substanzen durch anorganische und schließlich synthetisch hergestellte Materialien.“

Auf diese Weise entstand eine ganz neue Art des Produzierens: die Massenfertigung, die eigenen, ebenfalls neuen Prinzipien unterliegt. Stark simplifiziert betrachtet unterliegt die Massenproduktion folgenden Gesetzmäßigkeiten:

  1. Arbeitsteilung (jeder Arbeiter hatte nur wenige Schritte im Produktionsverfahren zu realisieren, die strikt kontrolliert wurden. Dies führte zu einer geringeren Verantwortung der Arbeiter, einer kleineren Fehlerquote und einer höheren Effizienz)
  2. Standardisierung (Die Einzelteile mussten in bestimmten Normen hergestellt werden, da sie sonst in den weiteren Arbeitsschritten nicht mehr verwendet werden konnten. Jegliche Abweichung vom Toleranzbereich musste als teurer Ausschuss klassifiziert werden.)
  3. Fertigungsverfahren und Organisationsstruktur ( Das Fertigungsverfahren wurde detailliert analysiert und in Unterschritte aufgeteilt die Organisationsstruktur eines Betriebes hatte Einfluss auf dessen Wirtschaftlichkeit)
  4. Fließbandfertigung (Die Arbeit sollte im Fluss bleiben, die Maschinen sollten Tag und Nacht laufen und ein einheitliches Arbeitstempo sollte erreicht werden. So ließ sich die Arbeitsdauer pro Werkstück enorm verringern)
  5. Niedrige Kosten und Preise (Größere Menge an produzierten Gütern brauchten auch mehr Abnehmer. Diese ließen sich durch niedrige Preise gewinnen. Da der Preis an die Kosten gebunden ist, musste der Lohn der Arbeiter so gering wie möglich gehalten werden- und so gelangt man schnell wieder an die soziale Frage.
  6. Gleichzeitig mussten die Ausgangsstoffe für die Produkte so günstig wie möglich sein.

Die tiefen Einschnitte in das Leben der Menschen und besonders die Veränderungen der Arbeitswelt verliefen nicht konfliktfrei. Bereits 1851 zur ersten „Great Exhibition“, der ersten Weltausstellung im Londoner Kristallpalast wurde der grenzenlose Fortschrittsoptimismus und die Unbedenklichkeit, mit der die Fabrikanten die Maschinen einsetzten, um in Massen minderwertige Waren auf den Markt zu bringen, mit großem Unbehagen registriert. So zieht etwa der deutsche Architekt Gottfried Semper, der die Ausstellung besucht, eine wenig positive Bilanz: „Das Schwierigste und Mühsamste erreicht sie (die Maschine) spielend mit ihren von der Wissenschaft erborgten Mitteln; der härteste Porphyr und Granit schneidet sich wie Kreide, poliert sich wie Wachs, das Elfenbein wird weich gemacht und in Form gedrückt, Kautschuk und Guttapercha wird vulkanisiert und zu täuschenden Nachahmungen der Schnitzwerke in Holz, Metall und Stein benutzt, bei denen der natürliche Bereich der fingierten Stoffe weit überschritten wird. Metall wird nicht mehr gegossen oder getrieben, sondern mit jüngst unbekannten Naturkräften auf galvanoplastischem Wege deponiert (…) Die Maschine näht, strickt, schnitzt, malt, greift tief ein in das Gebiet der menschlichen Kunst und beschämt jede menschliche Geschicklichkeit“

Die Massenproduktion ist eine Fertigung in Serie. Bestimmend ist ein spezieller Aspekt der Serialität: ein Musterstück soll so kostengünstig wie möglich in großer Stückzahl produziert werden. Hierbei wird eine erzielbar genaue Kopie des Musterstückes angestrebt. Es entstehen also Reproduktionen des Originals in möglichst großer Stückzahl und in möglichst geringer Variation. Eine Serie besteht hier im Original und seinen identischen Klonen. Abweichungen vom Original werden als Ausschuss deklariert und vernichtet.

Der italienische Ästhetikprofessor Gillo Dorfles fand hierzu folgende Kriterien: Das Objekt muss seriell produzierbar sein; das Objekt muss auf einer mechanische Produktion beruhen; das Objekt muss eine eigene ästhetische Qualität aufweisen, die keiner späteren Nachbearbeitung bedarf, sondern bereits im Planungsprozess berücksichtigt wurde. Frühe Objekte aus handwerklicher Produktion dienten vornehmlich praktischen und nützlichen Zwecken und ließen wenig Raum für ursprüngliche ästhetische Qualitäten. Der Gestaltungsschwerpunkt lag stets auf der Funktionalität eines Objektes. Erst seit Beginn der industriellen Revolution lassen sich Modelle in der heute gewohnten Ausführlichkeit planen und auf mechanischem Wege umsetzen und unbegrenzt reproduzieren. Diese Objekte erhielten stets schon während der Planungs- oder Definitionsphase ästhetische Werte, die keiner manuellen Nachbearbeitung bedürfen. Erst jedoch, wenn der ästhetische Aspekt bewusst bei der Gestaltung eines Objektes berücksichtigt wird, spricht man von industrieller Formgestaltung. Hier liegt der Unterschied zu aufweisen, deren äußere Eigenschaften aber auf technischen Faktoren industriell gefertigten Objekten, die zwar ästhetische Qualitäten statt auf kreativer Gestaltung beruhen. Bedingt durch die neue Möglichkeit der seriellen Produzierbarkeit wurde es möglich, Prototypen zu fertigen und so ein Objekt vor der Produktion prüfen zu können. Der Prototyp ist das Ergebnis der gestalterischen Arbeit: alle folgenden Objekte, die nach seinem Vorbild angefertigt wurden, gleichen dem Prototypen vollständig.

Bei der Planung eines Produktes gilt es meist zwei wichtige Gestaltungskriterien zu beachten: die Funktionalität eines Objektes und die vorherrschenden Marktgesetze. Zudem muss das Produkt den Ansprüchen genügen, die die Konsumgesellschaft stellt. Doch ist ein Produkt nicht immer nur Träger ästhetischer und funktioneller Werte, sondern unter Umständen auch informativer Elemente. Darunter ist zu verstehen, dass ein Produkt etwas über seinen Benutzer oder Konsumenten aussagt. Das Objekt fesselt die Aufmerksamkeit des Konsumenten durch spezielle formale Merkmale, die dadurch eine Art Symbolcharakter erlangen. Der Käufer möchte sich mit einem Produkt identifizieren können und nutzt es häufig als Mittel der Imagebildung. So entsteht das Phänomen des Statussymbols, wie es in unserer heutigen Gesellschaft zu beobachten ist.

Die Techniken und Prinzipien der Massenfertigung hielten auch schnell Einzug in die angewandte Kunst. Die serienmäßige Herstellung von Kunstgewerbe, die Massenfertigung unter Verwendung billiger Rohstoffe, vor allem die so entstehende seelenlose Einheitlichkeit und Austauschbarkeit der Produkte wurde von den Kunstschaffenden mit Abscheu betrachtet. Es kam zu einer Glorifizierung der Handfertigkeit und des Kunsthandwerkes auf Kosten der Mechanisierung. Mit dem Siegeszug der Massenfertigung offenbart sich ein Konflikt, der sich vereinfacht als Alt versus Neu beschreiben ließe.

Auf der Seite Neu begegnet einem das Kunstwerk, bei dem immer etwas Neues entsteht. Ein Kunstwerk ist auratisch und erhält seine besondere Ausstrahlung durch den ihm innewohnenden Geist der Inspiration, die den Künstler ereilt hat bei der Erschaffung des Kunstwerkes. Ein Kunstwerk ist (zumindest zu dieser Zeit noch) einzigartig, nicht reproduzierbar und insofern auch immer neu. Hier hat die Fotografie eine Ausnahmestellung der sich unter anderem Walter Benjamin angenommen hat. Auf der Seite Alt ist das in Serie gefertigte Werkstück der Massenproduktion. Es hat nichts Innovatives, nichts Einzigartiges und es ist auch nichts Neues. Es ist lediglich eine Kopie von etwas schon Dagewesenem.

In seinem Aufsatz zur Serialität und Reproduktion geht Hartmut Winkler ebenfalls, wenn auch indirekt, auf diesen Konflikt ein: „Umso erstaunlicher ist, unter welch extremen Spannungen und gegen welche Widerstände das serielle Prinzip der Warenproduktion sich hat durchsetzen müssen. Konfrontiert mit einem Handwerk, das seine Muster gerade nicht mechanisch reproduzierte und die Produktgestalt den wechselnden Kontexten seiner Verwendung anpassen konnte, mußte die industriell gefertigte Ware als kalt und ´tot` erscheinen, und ihr Siegeszug als ein Sieg der Ökonomie über den Gebrauchswert, als die Durchsetzung einer verselbständigten Rationalität gegen das menschliche Maß und eine menschlichere Vergangenheit“

John Ruskin und William Morris verlangten eine Abkehr von den überladenen und unzeitgemäßen Repräsentations–Stilen und sprachen sich für handwerklich solide, dem praktischen Zweck angepasste Bauten und entsprechendes Mobiliar aus.16 Das Dekor sollte allenfalls nur das Funktionelle betonen. Die Arts and Crafts–Bewegung hatte zum Ziel, im Zeitalter der Massenproduktion minderwertiger Gebrauchsgüter das Kunsthandwerk wieder zu beleben und zu reformieren. Ruskin stellte sich gegen die Nachahmung von historischen Stilen und gegen die „Unehrlichkeit von Material und Form“17 bei den Industrieerzeugnissen. Als Professor der „Schönen Künste“ in Oxford lehrte er unermüdlich das „Evangelium der Schönheit“.

Allmählich kamen in England immer mehr Architekten und Designer zusammen und sprachen sich gegen die künstlerisch minderwertige Massenanfertigung der Kunstfabrikanten aus. Sie erreichten, dass Ende des 19. Jahhunderts ästhetisch und qualitativ bessere Waren hergestellt wurden.

Im Jahre 1857 richtete sich Morris in London eine Atelierwohnung mit zweckmäßigen, stilfreien Möbeln ein. Die Industrie bot noch keine derartigen Möbel an, so stellte er sie selbst her. Später entwarf Morris das so genannte „Red House“, das Aufsehen erregte, weil hier zum ersten Mal organisch, d. h. von der Funktion der Räume her, von innen nach außen und ohne jeden Schmuck und Stilelemente gebaut wurde: „Diese Architektur wächst vom Innenraum und den Verhältnissen der Räume und Stockwerke zueinander zum Außenbau, an dem sich die Anordnung der Innenräume und deren absichtlich gesuchte Niveau–Unterschiede abzeichnen.“

Um 1867 erhielt die Firma Morris den Auftrag zur Ausstattung eines Speisezimmers im South Kensington Museum, dem heutigen Victoria and Albert Museum in London. Der Raum erscheint wie ein Rittersaal mit hoher Decke, großen, schmalen, mit Butzenscheiben ausgefüllten Fenstern und wenigen Möbeln. Die flächige Dekoration der Wände zeigt feine Naturornamentik, die auf Morris’ Tapetenmuster „Fruit“ zurückzuführen ist. Auch auf der Holzleiste mit eingelassenen Keramikfliesen zeigen sich unterschiedliche Pflanzen– und Früchtemotive. Die Glasfenster enthalten figürliche Motive. Die typischen Farben des Jugendstils sind hier gut zu erkennen: Verschiedene Grüntöne, Braun, Ocker und Gelb sind die dominierenden Farben.

Morris war ein „Macher“, ein „auf-die-Barrikaden-Geher“, ein Mann der Tat und vor allem auch ein sehr vielseitiger Gestalter. Der Präraffaelit, Kunsthandwerker, Sozialkritiker und Architekt gab radikale Zeitschriften und Bücher heraus, ging mit den Arbeitern auf die Strasse, entwarf Häuser, Gegenstände des täglichen Bedarfs. Er malte, entwarf Muster und Textilien, schrieb und errichtete Werkstätten. Das hob ihn ab von John Ruskin, der für ihn, aber auch für viele Anhänger der Arts & Crafts Bewegung eine Art gedanklicher Mentor war. Ruskin war ein Schöngeist und Vordenker, ein viel umjubelter Sozialphilosoph, der sich mit den notwendigen Schaffensbedingungen der Künstler auseinandersetzte und früh schon den Kapitalismus sowie die maschinelle Produktion, durch die der Bezug des Gestalters zum Endprodukt verloren ging, verteufelte und der Freude an der Handarbeit zusprach, jedoch nicht, wie William Morris als Gestalter tätig war.

In England war die einfache, sinnvolle und offen gezeigte Konstruktion charakteristisch für die Formgebung. Diese wurde primär aus Zweck, Material und Herstellungsverfahren abgeleitet und war nicht selten von etwas „trockener Nüchternheit“20. Geometrische Formen wurden bevorzugt, das Ornament, das vor allem dem Zweck der schönen Ausgestaltung und weniger der Funktion eines Objektes diente, wurde nur selten verwendet. Die Vertreter des Modern Style blieben bei ihren soliden Möbelformen und naturalistischen Textilmotiven und verhielten sich gegenüber dem im übrigen Europa aufkommenden dynamisch–floralen Stil ziemlich abweisend. „Das dynamisch–bizarre Linienspiel war dem mehr rational– statischen Naturell der Inselbewohner fremd.“

Auch die Kunst Japans beeinflusste viele Kunstschaffende und Architekten in England sowie in Frankreich und Deutschland und wurde Bestandteil der Jugendstilkunst: „Das Jugendstilornament übernimmt von der japanischen Kunst die Vorliebe für Naturmotive und ihre Symbolik, die flächige Darstellungsweise, die Dezentralisierung der Motive und ihre asymmetrische Anordnung im Randbereich sowie die Einbeziehung der leeren Fläche als gestaltender Form. Wie in der japanischen Kunst wird im Jugendstil das ornamentale Motiv vereinzelt, separiert und erhält dadurch über den dekorativen Aspekt hinaus einen symbolischen Gehalt.“

Infolge seiner geschäftlichen und kolonialen Bindung an den Osten gab es in Großbritannien viel Verständnis und Bewunderung für die fernöstliche Kunst. 1854 und 1862 fanden in London große Ausstellungen japanischer Kunst statt. 1858 schloss England ein Handelsabkommen mit Japan; japanische Holzschnitte, Möbel, Keramiken und Lackarbeiten wurden in großer Anzahl nach England importiert. Es wurden Keramikprodukte hergestellt, die sich ganz im japanischem Stil darstellten: asymmetrische Muster aus Tieren, Vögeln, Insekten und Blumen. Die japanische Seidelstickerei veranschaulicht eine asymmetrische Gestaltungsweise. Darüber hinaus wird an ihr die flächige Klarheit, die elegante Linienführung, die Einfachheit und Natürlichkeit der Motive deutlich. Eine Fläche ohne modellierende Schatten und ohne perspektivische Tiefe erleichtert dem Betrachter, das Verhältnis von Form, Farbe und Motiv schneller zu erfassen. Das Prinzip der Einfachheit wurde als Anregung für die Innenarchitektur im Jugendstil verwendet.

Von England aus breitete sich das Gedankengut der Reformbewegung in Europa aus. Ein Kennzeichen für die Kunst um 1900 ist der enge Kontakt unter den Künstlern. Bildende Künstler beschäftigen sich nicht nur mit ihresgleichen, sondern halten auch Kontakt zu Autoren und Dichtern. Auch Philosophen, Psychologen, Mäzene und Kritiker gaben wichtige neue Impulse. Ein Zeichen der engen Zusammenarbeit zwischen diesen verschiedenen Vertretern ist die Gründung von Illustrierten. Sie war auch gleichzeitig eine Hilfe bei der Verbreitung des Jugendstils. Die Presse war ein für die technologische Gesellschaft typisches Propagandamittel.

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden einige Zeitschriften, die die Neue Kunst bekannt machten. Hier zu nennen sind die 1885 in München erschienene Zeitschrift „Kunst für alle“ und die 1889 von den Natansons in Paris herausgebrachte „Revue Blanche“. Diesen folgten in London 1893 „The Studio“, 1894 „The Yellow Book“ und 1895 „The Savoy“. 1895 erschien auch die Zeitschrift “Pan”, die jedoch zu teuer war und recht bald eingestellt wurde. Ein Jahr später folgte dann die bereits erwähnte „Jugend“, aus der sich der Name Jugendstil ableitet. Neben Werbezwecken waren diese Zeitschriften für die Künstler Mittel zur Förderung des Ideenaustauschs untereinander. Auch wurde durch sie die Kunst einem breiten Publikum nahe gebracht. Sie wurden „zum Umschlagplatz für Moden, Trends und Meinungen aus der Kunstszene um 1900“. Ein anderer Aspekt für die rasche Ausbreitung des Jugendstils war der Aufschwung der Verkehrs- und Kommunikationstechnik. Dies erleichterte den Kontakt zwischen Menschen über größere Entfernungen.