e-Portfolio von Michael Lausberg
Besucherzäler

Luther und der Antisemitismus

Mit der großen Pest im 14. Jahrhundert, der über ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel, war „die Zeit der Plagen“ angebrochen und für viele war der Glaube an das „Ende aller Tage“ eine unmittelbar bevorstehende Tatsache.[1] Mit Kapuzen verhüllte Geißler zogen durch das Land und forderten die Menschen auf zu bereuen, bevor es zu spät sei und die Juden sich endlich zum Christentum zu bekennen, wenn sie nicht sterben wollten. Immer mehr skurrile Geschichten schrieben den Juden zu, die Christen vernichten zu wollen, indem sie als Teufelsdiener des Bösen mächtig seien und Krankheiten sowie Hungersnöte über das Land verbreiten würden.

Ihren Höhepunkt erreichte die Judenhetze allerdings mit Martin Luther.[2] Auf ihn geht nicht nur die Ausdehnung der Glaubensfreiheit zurück, sondern auch das Wiedererwecken des früheren Hasses der Urchristen.

Anfangs getrieben von falscher Hoffnung alle Juden rasch bekehren zu können, wurde er „ein ungleich grausamerer und gehässigerer Feind der Juden“.[3] Seine Beschreibungen der Juden übertrafen alle je existierenden Mythen. Die katholischen Kirchenführer gestatteten „den Juden, in Frieden unter den Christen zu leben, schrieb Luther, und diese revanchierten sich durch Wucher, Brunnenvergiftung und indem sie bei ihren satanischen Ritualen christliche Kinder ermordeten“. Seiner Meinung nach könnten die Juden ebenso wenig bekehrt werden, wie der Teufel selbst und nur ihr Tod sei die endgültige Lösung der „Judenfrage. Mit seiner vielzitierten Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ veröffentlichte Luther 1543 ein „übles Traktat, in dem er die Juden beschuldigte, die Weltherrschaft erringen zu wollen“ und nahm „die Argumentation der Rassisten des 19. Jahrhunderts vorweg, die (...) ebenfalls die Ansicht vertraten, daß die Juden aufgrund ihres Blutes weder assimilierbar noch bekehrbar seien“.[4] Luther brachte somit einen tief empfundenen Volksglauben zum Ausdruck, wie nirgends ein anderer in Europa und sprach somit für „Millionen von Bauern und ländlichen Handwerkern, die in der ganzen neuzeitlichen Geschichte Deutschlands (...) Bewegungen bilden sollten, (...), die schließlich den Nationalsozialismus unterstützen sollten“.[5]

Unter der Gegenreformation seitens der Katholiken, mit ihren verheerenden Religionskriegen, hatten auch die wenig übrig gebliebenen Juden zu leiden. Ihr Dasein war zum Vagabundieren herabgesunken, die überall Schutz suchten, wo sie nur konnten und letztendlich in Ghettos zusammengetrieben leben mussten. Innerhalb dieser Ghettos wurden ihnen sämtliche Sondersteuern auferlegt und außerhalb durften sie sich nur mit Sondergenehmigungen aufhalten. Mit einer geringen Zahl an Genehmigungen für Ehen sollte zudem ihre „Vermehrung“ eingeschränkt werden. Diese Ghettoisierung der Juden im 16. Jahrhundert hielt sich in Mitteleuropa bis zum 18. Jahrhundert.

Luthers „Judenschriften“ bildeten zwar nur einen geringen Bruchteil seines Werks, gehörten aber im 16. Jahrhundert wegen seiner Popularität zu den meistgelesenen Texten zum Thema Juden. Ab 1523 prägten sie das Judenbild des Luthertums. Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei wurde damals mit zehn deutschen und drei lateinischen Ausgaben, Vom Schem Hamphoras in sieben, die übrigen Schriften über Juden in jeweils zwei deutschen und einer lateinischen Ausgabe gedruckt. Buchdruck und Druckgrafiken verbreiteten Luthers Aussagen weit, so dass sie Judenhass in der Bevölkerung fördern und literarisch weiterwirken konnten.

Zunächst folgten begrenzte Versuche einer Judenmission. Luthers Freund und Übersetzer Justus Jonas vertrat 1538 die Meinung: Die Päpste hätten das Studium der hebräischen Bibel vernachlässigt und damit die Juden verachtet. Die Reformation habe mit ihrer Bibel auch den Wert des Volkes Israel wiederentdeckt. Die Juden könnten Jesus Christus aus dem Eigensinn des Alten Testaments erkennen. Darum müsse sich die Kirche unablässig für deren Rettung einsetzen.

Mit dieser Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ begann Luthers Serie judenfeindlicher Schriften von 1543, die denselben Zweck verfolgten: das Judentum theologisch vollständig zu entkräften und zu verteufeln, um die Vertreibung der Juden aus allen evangelischen Gebieten durchzusetzen.[6] In einer Tischrede von 1542 wandte er sich hier auch gegen das „Judaisieren“ christlicher Hebraisten. In der Erstausgabe gab er an, ein (ungenannter) Rabbiner habe seine Sabbatherschrift zu widerlegen versucht und ihn dabei auf ein Buch hingewiesen, das ein Gespräch eines Juden mit einem Christen enthalte, in dem der Christ „abwesend“ sei. Damit kann er Sebastian Münsters Schrift Messias Christianorum et Judaeorum Hebriace & Latine von 1539 gemeint haben: Diese gab dem jüdischen Gesprächspartner Raum zur Entfaltung seiner rabbinischen Messiasvorstellungen, talmudischen und kabbalistischen Exegese. Der Christ stellt dem nur christlich gedeutete Altes-Testament-Stellen gegenüber, ohne den Juden zu überzeugen.[58 ]

Luther erklärte zu Beginn, er wolle die Juden nicht mehr bekehren, weil dies so wenig möglich sei wie beim Teufel. Er lehnte Disputationen mit Juden und das Erlernen ihrer Bibelexegese ab, weil dies sie erfahrungsgemäß nur in ihrem Glauben bestärke und ermutige, Christen „an sich zu locken“.[7] Er wolle nur noch „unseren Glauben stärken und die schwachen Christen vor den Juden warnen“, also nur ihnen selber die „unsinnige Narrheit“ des jüdischen Messiasglaubens beweisen. Dazu genüge das Neue Testament, so dass man das „verdammte Glossieren“ (fälschende Auslegen) der Juden von vornherein zurückweisen solle. Eine rein philologische Bibelexegese verfehle die eigentliche Aufgabe, das Christuszeugnis des AT herauszustellen. Diese christologische AT-Exegese führte Luther im ersten Teil im Kontrast zu Münsters Dialogschrift vor.

Er beschrieb zunächst den „Hochmut“ der gegenwärtigen Juden, ihren Erwählungsanspruch: Sie hielten sich aufgrund Abstammung, Beschneidung, Tora, Land- und Tempelbesitz für Gottes Volk, obwohl sie doch wie alle Menschen als Sünder unter Gottes Zorn stünden. Anhand von fünf AT-Stellen versuchte er dann, die Messianität Jesu Christi zu beweisen. Im dritten Teil beschrieb er jüdische Polemik gegen ihn und die Christen. Im letzten Teil zog er praktische Folgerungen daraus. Schon in die theologischen Anfangsteile ließ er laufend viele damalige Stereotype einfließen:

Juden seien blutdürstig, rachsüchtig, das geldgierigste Volk, leibhaftige Teufel, verstockt. Ihre „verdammten Rabbiner“ verführten die christliche Jugend wider besseres Wissen, sich vom wahren Glauben abzuwenden. Man beschuldige sie, Brunnen zu vergiften, Kinder wie Simon von Trient zu rauben und zu ermorden; falls dies nicht zutreffe, seien sie aber bereit dazu. Denn wenn sie etwas Gutes täten, dann nicht aus Liebe, sondern aus Eigennutz, weil sie bei den Christen wohnen müssten. Sie hielten nicht einmal die Zehn Gebote, machten sich zu Herren der Christen, beuteten sie aus und verhöhnten sie, obwohl es ihnen jetzt besser gehe als im Königreich Israel.[8]

Ab 1543 gab man meist dem „Schutz“ der Christen vor angeblicher Gefährdung durch Juden Vorrang.[9] Die meisten evangelischen Fürsten wollten sie jedoch als Wirtschaftsfaktor und Einnahmequelle behalten und ignorierten darum Luthers Forderungen. Das Kurfürstentum Sachsen erneuerte und verschärfte 1543 das Durchreise- und Aufenthaltsverbot für Juden von 1536. Einige Monate nach Luthers Tod wurden die Juden aus Braunschweig und weiteren Städten vertrieben. Sein Klischee jüdischer Ärzte führte zur Verbannung von jüdischen Medizinern von einigen evangelischen Universitäten. 1547 vertrieb der Graf von Mansfeld die Eislebener Juden wie verlangt aus der Stadt. Landgraf Philipp von Hessen ordnete eine Talmudverbrennung an, verbot Juden das Zinsnehmen und setzte einen Inquisitor ein; die Vorschriften wurden dennoch nicht umgesetzt. Das Stereotyp des jüdischen „Gebetsfrevels“ statt des Hostienfrevels gab im evangelischen Raum oft den Ausschlag, Juden zu vertreiben.[10]

Auch die meisten Reformatoren folgten Luthers Forderungen nicht, obwohl sie das Judentum theologisch wie er als überholte, feindliche Gesetzesreligion einordneten.[11] Philipp Melanchthon verbreitete Luthers Schriften von 1543 als „nützliche Lehre“. Wolfgang Capito unterstützte Josel von Rosheims Vorstoß zur Aufhebung des Durchzugsverbots in Sachsen. Heinrich Bullinger nannte Luthers Schriften von 1543 „sehr schmutzig geschrieben“. Sie enthielten zwar manches „zur Verteidigung des Christentums nicht unnütze, aber er hat diesen schönen und dankbaren Stoff entstellt und geschändet durch seine schmutzigen Ausfälle und durch die Scurrilität, die Niemanden, am wenigsten einem bejahrten Theologen, ansteht.“ Das „schweinische, kotige Schemhamphoras“ hätte auch dann, wenn es ein Schweinehirt und kein berühmter Seelenhirt verfasst hätte, „wenig Entschuldigung“. Er lehnte auch Luthers Vorwurf des „Judaisierens“ darin ab und befürwortete eine wortgetreue Exegese des Alten Testamentes, da sonst auch das Neue Testament unglaubwürdig werde. Antonius Corvinus und Caspar Güttel hielten die Solidarität der gemeinsamen Schuld von Juden und Christen vor Gott fest. Urbanus Rhegius bemühte sich in seiner Region um eine gewaltlose Judenmission. Martin Bucer und Ambrosius Blarer forderten strenge Knechtschaft, nicht aber Vertreibung der Juden. Huldrich Zwingli sah sie als direkte Urheber katholischer Riten und Kriege und lastete ihnen wie Luther absichtliche Schriftverderbnis an. Das blieb politisch folgenlos, da in seiner Region kaum Juden lebten.[12]

Andreas Osiander hatte den Ritualmordvorwurf 1529 in einer anonymen Schrift anhand der Toragebote, die den Blutgenuss verbieten, widerlegt, mit Hinweis auf die tägliche Toralesung und vorbildliche Torabefolgung der Juden für unglaubwürdig erklärt und die finanzielle Verschuldung von Christen als Ursache vieler Judenpogrome benannt Er blieb damit im evangelischen Raum ein Außenseiter. Weil Luther jüdische Ritualmorde 1543 anders als 1523 wieder für möglich oder wahrscheinlich erklärt hatte, erinnerte man sich im Protestantismus noch lange an derartige Vorwürfe.

Mit der Hetzschrift „Judenfeind“ (1570) knüpfte der Gießener Pastor Georg Nigrinus an Luthers aggressive Polemik von 1543 an.[13] Zudem erhob er den Vorwurf des Hostienfrevels, auf den nach der Peinlichen Halsgerichtsordnung von 1532 die Todesstrafe stand. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel empfahl seinem Bruder Ludwig IV. von Hessen-Marburg brieflich, das „schlechte Werk“, das nur von anderen abgeschrieben sei, einzuziehen. 1577 gab der Leipziger Superintendent Nikolaus Selnecker, Mitautor der Konkordienformel, Luthers „Judenschriften“ von 1538 und 1543, seinen Brief an Josel von Rosheim und eine anonym verfasste Liste „schrecklicher Gotteslästerungen“ der Juden als Buch für evangelische Hausväter heraus. Er kommentierte: Weil das Wirtschaftsverhalten von getauften wie ungetauften Juden derart verdorben sei, seien sie ebenso wenig wie „der Teufel und seine Mutter selbst“ zu dulden. Sie seien besonders gefährliche Feinde der Lutheraner, da sie überall gesellschaftlich aufgestiegen seien, während die wahre Lehre „greulichen Schiffbruch gelitten“ habe.[14]

Luthers theologische Ausbildung als Augustinermönch war entscheidend vom Studium des damals verfügbaren masoretischen Textes des Tanachs bestimmt. Diesen lernte er durch Ausgaben christlicher Humanisten kennen, die die hebräische Sprache bei jüdischen Gelehrten studiert hatten und die Hebraistik an den Universitäten Europas vorantrieben. Obwohl das Hebräischstudium von Papst Clemens VI. 1311 erlaubt und 1434 auf dem Konzil von Basel erneut als Universitätsfach verlangt worden war, griff die katholische Scholastik die Humanisten noch lange als „Judenfreunde“ und subversive Häretiker an. Darauf reagierten diese oft mit judenfeindlichen Traktaten, die ihr Hauptziel bekräftigten: der bislang weitgehend erfolglosen Judenmission durch Entkräftung der jüdischen Bibelexegese zum Erfolg zu verhelfen.

1506 erwarb Luther die damals erschienene Grammatik des Hebräischen von Johannes Reuchlin sowie 1512 dessen kommentierte lateinische Übersetzung der sieben Bußpsalmen. 1516 begann er den Psalter anhand der hebräischen Textausgabe von Konrad Pelikan und der Grammatik von Wolfgang Capito zu übersetzen. 1518 und 1520 veranlasste er die Universität Wittenberg, eine vollständige hebräische Bibel zu erwerben. Es handelte sich vermutlich um die in Luthers Privatbibliothek gefundene Ausgabe von Gershom ben Moshe Soncino (Brescia 1494). Er studierte wahrscheinlich auch die damals neuen Lehrbücher hebräischer Grammatik von Johann Böschenstein (Wittenberg 1518) und Matthäus Aurogallus (Wittenberg 1523). Dem jüdischen Konvertiten Jakob Gipher verschaffte er eine Stelle als Hebräischdozent in Wittenberg, aber keine Pastorenstelle. Er misstraute jüdischen Konvertiten, sobald sie wie Böschenstein auch jüdische Schriften auslegten oder wie Matthäus Adriani seine Bibelübersetzung in Frage stellten. Durch den Konvertiten Werner Eichhorn, der ihn in mehreren Ketzerprozessen denunzierte, erhielt sein Misstrauen Nahrung.

1534 erschien die Lutherbibel, die Luthers vollständige Übersetzung des Alten Testaments (AT) enthielt. Seitdem musste er sich öfter mit Einwänden von Rabbinern dazu auseinandersetzen. Er nutzte diese Chance nicht, um sich fortzubilden, sondern griff wegen seiner begrenzten Hebräischkenntnisse auf Argumentationshilfen christlicher Hebraisten und jüdischer Konvertiten zurück. Durch Nikolaus von Lyra lernte er rabbinische Bibelkommentare wie den des berühmten Raschi kennen. Er betonte, grammatische Regeln seien formal unentbehrlich, dürften aber nicht den Blick für die allgemeinverständliche Selbstauslegung der ganzen Schrift verstellen. Grammatik allein dringe nicht zum eigentlichen Textsinn vor: nämlich dem, „was Christum treibet“. Deshalb kritisierte er die lateinische Bibelübersetzung von Sebastian Münster (1534/35), die sich an die rabbinische Bibelexegese anlehnte, als zwar gelehrt, aber „judaisierend“ und darum potentiell gefährlich für den christlichen Glauben. Damit übernahm er ein Stereotyp, das seine katholischen Gegner gegen alle Humanisten, Hebraisten und Luther selbst gerichtet hatten.

Luther ließ die Bibel als einzigen Maßstab christlicher Erkenntnis und Handlungen gelten („sola scriptura“). Ihr Zentrum war für ihn der unbedingte Zuspruch (Evangelium) der Gnade Gottes („sola gratia“), die sich exklusiv in der stellvertretenden Schuldübernahme des für die Menschen gekreuzigten Sohnes Gottes ereignet habe („solus Christus“) und allein durch das unbedingte Vertrauen auf ihn wirksam werde („sola fide“). Indem Gott sich im Leiden und Sterben Jesu Christi offenbare (Kreuzestheologie), richte er alle, die sich durch Eigenleistung („Werke“) vor Gott rechtfertigen, als „Feinde des Kreuzes Christi“. Weil Gott die menschliche Sünde allein vergeben wolle, führe die „Werkgerechtigkeit“ trotz und gegen Gottes Gnade in die Verdammnis.

Als Hauptvertreter dieser Werkgerechtigkeit zählte Luther in frühen exegetischen Werken oft Papsttum, Judentum und Islam miteinander auf. Für ihn missbrauchten diese Gruppen wie auch die „Schwärmer“ Gottes Gesetz zur Selbstrechtfertigung, spiegelten damit die Gefährdung aller Gläubigen und bedrohten deren endzeitliche Heilsgemeinschaft. Seine Kritik an der Selbstrechtfertigung zielte zuerst auf die Christen selbst, nicht nur auf die Andersgläubigen.

Luther ordnete das Judentum theologisch als eine „Gesetzesreligion“ ein, die den wahren Glauben gefährdet. Dagegen widersprachen seine späteren Ratschläge zum politischen Umgang mit den Juden direkt seinen früheren. Ob dieser Wandel von seiner Rechtfertigungslehre aus zu erklären oder zu kritisieren ist, ist das entscheidende Deutungsproblem.

Luther befasste sich in seiner gesamten Wirkungszeit als Theologe in exegetischen Kommentaren, Predigten, Briefen, Tischreden und besonderen thematischen Aufsätzen mit dem Judentum. Die Aufsätze wurden schon 1555 als „Schriften wider Juden“ eingeordnet. 1920 bezeichneten Ferdinand Cohrs und Oskar Brenner Luthers Schriften von 1543 in der Einleitung zu Band 53 der Weimarer Ausgabe erstmals als „Judenschriften“ und prägten damit ihr Verständnis. Oft werden alle Schriften Luthers seit 1523 so bezeichnet, die sich mit Juden befassen und Ratschläge zum Umgang mit ihnen enthalten.

Alle diese Texte sind an Christen, nicht an Juden gerichtet. Luther befürwortete die Judenmission, leitete seine Leser aber nicht praktisch dazu an, sondern wollte sie durch theologische Argumente befähigen, die Wahrheit des Evangeliums zu erkennen und aus seiner Sicht falsche Bibelexegese zurückzuweisen. Ein bis 1537 geplantes missionarisches „Büchlein“ an Juden verfasste er nicht.

Der Humanist Johannes Reuchlin hatte in seinem Werk Augenspiegel 1510 die Verbrennung des Talmud abgelehnt und ihm eine positive Rolle zum Verstehen des christlichen Glaubens zugewiesen. Die Kölner Dominikaner unter Inquisitor Jakob van Hoogstraten und dem jüdischen Konvertiten Johannes Pfefferkorn wollten das Werk in einem Inquisitionsverfahren verbieten. In einem Gutachten dazu sprach Luther Reuchlin vom Verdacht der Häresie frei und kritisierte den Verfolgungseifer seiner Gegner. Jedoch beurteilte er den Talmud wie Pfefferkorn als gotteslästerlich. Strafen und Verbote aber würden die Juden nur zu noch schlimmeren Gotteslästerungen reizen. Dies hätten alle biblischen Propheten vorhergesagt. Weil Gott die Juden an ihren „verkehrten Sinn dahingegeben“ habe, seien sie „unverbesserlich“. Gott allein werde ihre Ablehnung Jesu Christi überwinden. Dieses Verstockungsmotiv entnahm Luther der Bibel, nicht empirischer Religionsausübung, und vertrat es zeitlebens, indem er darauf verwies, dass Gott nicht lügen könne.

In seiner ersten Psalmenvorlesung (1513–1515) übernahm Luther die altkirchliche Substitutionstheologie: Gott habe sein Volk wegen dessen fortgesetzter Überheblichkeit „ausgespien“. Als Strafe für Jesu Kreuzigung hätten die Juden ihren Tempel verloren und seien zerstreut worden. Ihre Messiashoffnung sei vergeblich, so dass sie weder leiblich (politisch) noch geistlich (religiös) bestehen könnten. Dieses Gericht habe sie aber nicht gebessert, sondern verstockt: Sie beharrten auf ihrem Ungehorsam und wollten als Feinde der Christenheit andere dazu verführen. Ihre talmudische Bibelauslegung lehre lauter Lügen, um die Wahrheit Christi aufzulösen und die Völker mit Hochmut gegen Gott zu erfüllen. Sie in diesem Äon zu bekehren, sei Illusion. Nach Jes 10,21 LUT könne allenfalls ein Rest von ihnen gerettet werden (u. a. WA 4/468, 35ff). Luther sah die Lehren der Rabbiner also wie die katholische Scholastik als selbstgerechte Verfälschung des Wortes Gottes, die ständig die Verwerfung Jesu Christi wiederhole.

In dieser Passionspredigt kritisierte Luther, dass die Kirche aus dem Betrachten des Gekreuzigten ein Bedenken der Bosheit der Juden gemacht habe. Der Gekreuzigte sei Spiegel der eigenen todeswürdigen Sünde, über die der Einzelne („Du“) beim Betrachten seines Leidens tödlich erschrecken müsse. Juden und Heiden hätten seinen Tod gleichermaßen und gemeinsam verursacht. Sie seien Werkzeuge der darin verwirklichten Gnade Gottes geworden. Daher trat der Vorwurf des Gottesmords bei Luther zurück. 1520 verwarf Luther auch die zur Passionszeit üblichen antijüdischen Hetzpredigten von Volkspredigern gegen die Juden und verlangte eine Abkehr davon. Dazu formulierte er eine neue Passionshymne: „Unsre große Sünde und schwere Missetat Jesum, den wahren Gottessohn, ans Kreuz geschlagen hat. Drum wir dich, armer Juda, dazu der Juden Schar, nicht feindlich dürfen schelten. Die Schuld ist unser zwar. Kyrieleison.“ Diese sollte die judenfeindlichen Improperien der katholischen Karfreitagsliturgie ersetzen und wurde noch 1544, nach seinen judenfeindlichen Schriften, in Wittenberg eingeführt.

Das kirchliche Mittelalter hatte Juden prinzipiell eine jenseitige Erlösung offengehalten, die sie durch die Taufe schon in diesem Leben erreichen konnten. Deshalb wurden jüdische Gemeinden zeitweise geduldet und von manchen Päpsten und Kaisern ausdrücklich geschützt. Freiwillig getaufte Juden waren vor weiterer Verfolgung meist relativ sicher. Nur bei Zwangstaufen behielten andere Christen Vorbehalte gegen sie, besonders in Spanien: Nach der Massenvertreibung der spanischen Juden durch das Alhambra-Edikt von 1492 verfolgte die spanische Inquisition die im Land gebliebenen „Conversos“ als „Schweine“ (marranos) und begründete dies mit dem rassistischen Ideal der „Reinheit des Blutes“ (limpieza de sangre).

Dieses Muster wiederholte sich im 19. Jahrhundert gegen die Judenemanzipation. Schon 1790 entwickelte der Göttinger Popularphilosoph Christoph Meiners (1747–1810) ein Rangsystem der Rassen, das Juden zwar über „Orang-Utans“, „Negern“, „Finnen“ (Lappen) und „Mongolen“ einstufte, aber unter Weißen und Christen.[15] Deshalb stünden ihnen weniger Rechte als diesen zu. Seit Ernest Renan wurde es zunehmend üblich, Juden als „Semiten“ einen Mangel an Zivilisiertheit nachzusagen. Frühe Antisemiten wie Grattenauer und Hartwig von Hundt-Radowsky beschrieben Juden direkt als Affen, um ihnen die Menschenrechte abzusprechen und ihren Emanzipationsprozess, ihr Streben nach Bildung und Aufklärung als von vornherein lächerlich und illusorisch abzuwerten.

1853 unterschied Arthur de Gobineau mit dem Aufsatz Die Ungleichheit der Rassen „Arier“ von angeblich minderwertigen „semitischen und negriden Rassen“.[16] 1858 begründete Charles Darwins Aufsatz Über die Entstehung der Arten die Evolutionstheorie und moderne Genetik mit den Prinzipien Variation, Vererbung und Selektion: Der „Kampf ums Dasein“ führe zu einer Auslese der dem Überleben angepasstesten Arten. Dies übertrugen Rassisten auf die Völkergeschichte: Sie sei als ewiger Kampf zwischen höheren und niedrigeren Rassen zu deuten. Das ermöglichte Antisemiten, die „Judenfrage“ mit pseudobiologischen Argumenten als Rassenproblem zu propagieren.[17]

So schrieb der österreichische Kulturhistoriker Friedrich von Hellwald (1842–1892) 1872 in einem Zeitungsartikel, Juden seien aus Asien eingewanderte Fremdrassige; dies würden Europäer „instinktiv“ spüren. Das sogenannte Vorurteil gegen Juden sei also durch zivilisatorischen Fortschritt nie zu überwinden. Als Kosmopolit sei der Jude dem „ehrlichen Arier“ an Schläue überlegen. Von Osteuropa aus grabe er sich als Krebsgeschwür in die übrigen europäischen Völker ein. Ausbeutung des Volkes sei sein einziges Ziel. Egoismus und Feigheit seien seine Haupteigenschaften; Selbstaufopferung und Patriotismus seien ihm völlig fremd.[18]

Nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden überhöhten Antisemiten den rassischen zum welthistorischen Gegensatz: „Arier“ galten als zur Weltherrschaft berufen, „Semiten“ als ihre zur Unterlegenheit bestimmten Konkurrenten, die gleichwohl zur Zeit noch über die Arier herrschten. Der Nationalökonom Eugen Dühring (1833–1921) begründete dies mit seinem populären Buch Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (1881), das eine Art Bibel für Antisemiten wurde.[19] Er erklärte die „Selbstsucht“ und „Machtgier“ der Juden als unveränderbare Erbanlage und verband damit antichristliche und antikapitalistische Motive: Die Bibel sei eine vom „Asiatismus“ durchtränkte Religionsurkunde. Juden seien „Drahtzieher“ der Krisenphänomene und sozialen Missstände der Industrialisierung. Als einer der Ersten sprach er von einer „Endlösung“. Da diese vorläufig nicht möglich sei, solle man die Juden wieder in Ghettos zwingen und dort überwachen. Ziel aber bleibe: „Der unter dem kühlen nordischen Himmel gereifte nordische Mensch hat die Pflicht, die parasitären Rassen auszurotten, wie man eben Giftschlangen und wilde Raubtiere ausrotten muss!“[20]

Diese seit dem Mittelalter bekannten Sprachbilder der Entmenschlichung passten die Antisemiten der wissenschaftlichen Sprache der Bakteriologie, Mimikry-Theorie und Rassenlehre an. Juden wurden immer mehr nicht nur mit Blutsaugern, Krebsgeschwüren, Schmarotzern, Seuchen, Ungeziefer, Volksschädlingen, wuchernden Schlingpflanzen usw. verglichen, sondern identifiziert. Stand im mittelalterlichen Aberglauben hinter ihnen der Teufel, also eine letztlich unbesiegbare dämonische Macht, so wurde es mit dem medizinisch-technischen Fortschritt denkbar, sich dieser „menschlichen Viren“ radikal zu entledigen.[21]

Das verschloss Juden jede Möglichkeit, sich sozial anzupassen. Denn auch getaufte Juden blieben nun Juden, die von Vorfahren mit jüdischer Religion abstammten, egal ob und wie lange ihre Vorfahren schon Christen waren. Damit war die Religionszugehörigkeit für Antisemiten nur noch als pseudobiologisches Merkmal wichtig, das Judesein zum unentrinnbaren Schicksal machte. Die Juden zugeordneten negativen Erbanlagen erschienen durch keinerlei Erziehung, Bildung, Integration und Emanzipation veränderbar. So wurde ihre völlige Vertreibung oder Vernichtung in ganz Europa als einzig realistische „Lösung der Judenfrage“ nahegelegt.

Der Rassismus untermauerte auch sonst die Ablehnung fremder Völker nach außen und ethnischer oder anderer Minderheiten nach innen. So wuchs parallel zum Antisemitismus in ganz Europa der Hass auf Minderheiten. In Deutschland richtete sich diese z. B. gegen „Zigeuner“ oder Sorben.[22]

Darwin distanzierte sich 1880 von diesem politischen Missbrauch seiner Theorien. Nach seinem Tod 1882 wurden diese jedoch immer stärker rassistisch umgedeutet. Man redete nun von der „Zersetzungskraft jüdischen Blutes“ und zählte auch „Halb“- oder „Viertel“-Juden zum Judentum, während die „arische Rasse“ immer stärker zur einheitsstiftenden Idee wurde. Deren „Notwehr“ gegen die Juden wurde als Naturgesetz dargestellt. Damit wurde das Recht des Stärkeren gegenüber Natur- und Menschenrecht deterministisch legitimiert. So forderte z.B. Paul de Lagarde (1827–1891) in Juden und Indogermanen 1887 die Einheit von „Rasse und Volk“ unter Ausschluss des Judentums. Er beklagte, dass in Berlin mehr Juden lebten als in Palästina, und forderte, „dies wuchernde Ungeziefer zu zertreten“: „Mit Trichinen und Bacillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bacillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet.“[23]

Auch Wilhelm Marr verwendete 1879 das Bild von den Jesusmördern und sprach kulturpessimistisch von einem Sieg des Judenthums über das Germanenthum, wobei er die Juden als „eigene Rasse“ darstellte.[24]

1899 forderte Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) in seinem Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts als Erster die „Reinheit der arischen Rasse“ gegen „Vermischung“. Das Buch las Kaiser Wilhelm II. persönlich seinen Kindern vor und empfahl es als Lehrstoff für die Kadettenschulen.

In den 1920er Jahren erreichte die Massenproduktion rassistischer und antisemitischer Traktate, Bücher und Neuauflagen neue Höhepunkte.[25] In Deutschland wurden z. B. die Schriften von Hans F. K. Günther populär: Rassenkunde des deutschen Volkes, Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes und Rassenkunde des jüdischen Volkes. Die „Vergleiche“, die Günther anstellte, liefen darauf hinaus, dass die „nordische Rasse“ die höchstentwickelte, aber auch die in ihrem Bestand gefährdetste sei. Seine Theorien wurden zeitweise zur maßgeblichen ideologischen Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik, die nicht nur zum Holocaust an den Juden und den Völkermord an den als "Zigeuner" Verfolgten, sondern auch zur Ermordung zahlloser Angehöriger der als minderwertig diskriminierten slawischen Völker führte. Allerdings hielt Günther selbst das Thema Judentum für untergeordnet und meinte bereits in den zwanziger Jahren, der Begriff des „Ariers“ sei veraltet. Das hinderte ihn allerdings nicht, sich in seiner Rassenkunde ausgiebig antisemitischer Klischees zu bedienen. Sein Wunsch war, dass die Juden nach „Palästina oder ein anderes, ihren Erbanlagen angemessenes Gebiet“ auswandern.[26]

Das deutsche Volk sollte „aufgenordet“ werden. Das Wort „Aufnordung“ hatte er von Ludwig Ferdinand Clauß übernommen, der damit allerdings keine Züchtungsgedanken, sondern eine gesellschaftliche Förderung bestimmter, von ihm als „nordisch“ (nord-west-europäisch) aufgefasster Kulturelemente verband.[27] Bei Günther wurde dieser ursprünglich rein kulturell gedachte Prozess biologisch umgedeutet und in diesem Zusammenhang so prominent, dass die ursprüngliche Bedeutung nahezu in Vergessenheit geriet. Die Leitsätze der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene stellten dabei für Günther in seinem Buch Der nordische Gedanke unter den Deutschen, 2. Auflage 1927, nur die Mindestforderung dar. Dort war langfristig die Zwangssterilisation „minderwertiger“ Menschen sowie deren schnellstmögliche Isolation in Arbeitslagern vorgesehen. Günther befürwortete nicht nur in weitem Umfang Zwangssterilisationen von Menschen mit „minderwertigen Erbanlagen“, sondern auch Zwangsabtreibungen oder die zwangsweise Expatriierung beispielsweise der damals so genannten „Rheinlandbastarde“, Kindern von schwarzafrikanischen französischen Besatzungssoldaten und deutschen Müttern. Er war somit einer der Vordenker der nationalsozialistischen Rassenhygiene.

Die Bedeutung des rassistischen Antisemitismus wird verschieden beurteilt. Manche Historiker sehen in den Rassenlehren jene Steigerung des überkommenen Judenhasses, die den Nationalsozialismus vorbereiteten. Andere, etwa Mark Weitzmann vom Simon Wiesenthal Center, betonen, sie hätten dem bestehenden Antijudaismus nur einen „rassistischen und wissenschaftlichen Glanz“ hinzugefügt.[28]

Ein religiös motivierter Antijudaismus war bereits in der Antike verbreitet, machte sich vor allem im Mittelalter bemerkbar und fand seinen Ausdruck in der Errichtung von Ghettos, Kennzeichnungen ("Judenfleck"), Zwangstaufen und Verfolgungen.[29] Nie erloschen ist der seit Beginn der frühen Neuzeit erhobene Vorwurf, der Jude sei von Natur aus ein Geldmensch, ein "Wucherer" und "Blutsauger". Dabei ist es nicht schwer zu erklären, dass Juden seit dem Mittelalter aus der wirtschaftlichen Gesellschaft des "christlichen" Kaufmannsstandes systematisch herausgedrängt und ihnen "unehrliche" Berufe zugewiesen wurden. Wirtschaftliche Judenfeindschaft ist eine Folgeerscheinung der gesellschaftlichen Ausgrenzung und fordert die Beschneidung jüdischen Einflusses in der Wirtschaft. Der kulturelle Antisemitismus wendet sich gegen die Beschäftigung von Juden mit nichtjüdischem Kultur- und Gedankengut und ihre Beteiligung an kulturtragenden Institutionen. Der neuzeitliche Judenhass nahm alte Begriffe wieder auf wie: "Christuskreuziger", "Ungläubige", "Volksschädlinge", "Kulturzersetzer", "Untermenschen", "Weltverschwörer".[30]

Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) schrieb, „der Jude“ sei „ein unersättlicher, habgieriger Betrüger, besessen von einem skrupellosen Handels- und Schachergeist“, amoralisch, gerissen, hinterhältig und schmarotzerhaft.[31] Er halte sich für viel zu intelligent, sei aber „ausgesprochen anpassungsfähig, nutzlos und schädlich für die Umwelt“, ein Beispiel des Bösen und Minderwertigen. Er verglich Juden in seinen Sudelbüchern öfter mit Sperlingen, die damals als schlimme Flurschädlinge galten und massenhaft bekämpft wurden. Andererseits trat er für befreundete Juden ein.

Immanuel Kant (1724–1804) nannte in Tischgesprächen Juden „Vampyre der Gesellschaft“. Sie seien „durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil in den nicht unbegründeten Ruf des Betruges (…) gekommen“ seien.[32] Obwohl er biblische Grundgedanken der Tora in seinem Sittengesetz vernunftgemäß entfaltete und die rabbinischen Traditionen kaum kannte, hielt er das Christentum für sittlich überlegen, grenzte es scharf gegen das Judentum ab, verlangte von Juden die Abkehr von biblischen Ritualgesetzen und ein öffentliches Bekenntnis zur ethischen Vernunftreligion. Erst dann könnten sie Anteil an allen Bürgerrechten erhalten.

Johann Gottfried Herder (1744–1803) hielt die Juden für „verdorben“, „ehrlos“ und „amoralisch“, aber durch Erziehung zu bessern. Er deutete ihre Diaspora-Situation als Unfähigkeit zu einem eigenen Staatsleben und prägte den oft zitierten Satz, Juden seien seit Jahrtausenden „eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen“. Er forderte die Abkehr von ihrer Religion als Voraussetzung für ihre nationale und kulturelle Integration.[33]

Der Philosoph Johann Fries wollte das „Judentum ausrotten“ und kann somit als Vordenker des Holocausts bezeichnet werden.[34] Seine wichtigste Abhandlung, die Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft von 1807, war ein Versuch, der kritischen Theorie von Immanuel Kant in der Selbstreflexion und dem „Selbstvertrauen der Vernunft“ eine neue Grundlage zu geben; sie hat Fries den Vorwurf des Psychologismus eingetragen, wie mehrfach nachzuweisen versucht wurde, allerdings zu Unrecht. 1811 erschien sein System der Logik und 1814 Julius und Evagoras, ein philosophischer Roman. Nach seiner Berufung nach Jena auf den Lehrstuhl der theoretischen Philosophie (einschließlich Mathematik und Physik und neuerer Philosophie) unternahm er einen Kreuzzug gegen den vorherrschenden Romantizismus.

Politisch war Fries ein erklärter Liberaler, Nationalist und Unionist, der auf vielfältige Weise die Burschenschaften unterstützte. Seine Ansichten legte er in der Schrift Von deutschem Bund und deutscher Staatsverfassung (1816) dar, die er „der Jugend von Deutschland“ widmete; 1817 trat er auf dem Wartburgfest als Redner auf. 1819 beendeten die durch die Repräsentanten der deutschen Regierungen verabschiedeten Karlsbader Beschlüsse sein universitäres Wirken.

In seiner Polemik Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden (1816) äußert er sich antijüdisch; während er zunächst zwischen Judentum („Judenschaft“) und Juden unterscheidet, bezieht er seine negativen Beschreibungen im Folgenden auch auf Individuen. Er befürwortet, dass ein Zeichen an ihrer Kleidung sie von der restlichen Bevölkerung unterscheide. Zudem macht er die deutschen Juden für den wachsenden gesellschaftlichen Einfluss von Geld verantwortlich und ermuntert zu ihrer Auswanderung aus Deutschland; er fordert, dass man das Judentum „ausrotten“ muss.[35]

Der Philosoph Johann Fries wollte das „Judentum ausrotten“ und kann somit als Vordenker des Holocausts bezeichnet werden.[36] Seine wichtigste Abhandlung, die Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft von 1807, war ein Versuch, der kritischen Theorie von Immanuel Kant in der Selbstreflexion und dem „Selbstvertrauen der Vernunft“ eine neue Grundlage zu geben; sie hat Fries den Vorwurf des Psychologismus eingetragen, wie mehrfach nachzuweisen versucht wurde, allerdings zu Unrecht. 1811 erschien sein System der Logik und 1814 Julius und Evagoras, ein philosophischer Roman. Nach seiner Berufung nach Jena auf den Lehrstuhl der theoretischen Philosophie (einschließlich Mathematik und Physik und neuerer Philosophie) unternahm er einen Kreuzzug gegen den vorherrschenden Romantizismus.

Politisch war Fries ein erklärter Liberaler, Nationalist und Unionist, der auf vielfältige Weise die Burschenschaften unterstützte. Seine Ansichten legte er in der Schrift Von deutschem Bund und deutscher Staatsverfassung (1816) dar, die er „der Jugend von Deutschland“ widmete; 1817 trat er auf dem Wartburgfest als Redner auf. 1819 beendeten die durch die Repräsentanten der deutschen Regierungen verabschiedeten Karlsbader Beschlüsse sein universitäres Wirken.

In seiner Polemik Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden (1816) äußert er sich antijüdisch; während er zunächst zwischen Judentum („Judenschaft“) und Juden unterscheidet, bezieht er seine negativen Beschreibungen im Folgenden auch auf Individuen. Er befürwortet, dass ein Zeichen an ihrer Kleidung sie von der restlichen Bevölkerung unterscheide. Zudem macht er die deutschen Juden für den wachsenden gesellschaftlichen Einfluss von Geld verantwortlich und ermuntert zu ihrer Auswanderung aus Deutschland; er fordert, dass man das Judentum „ausrotten“ muss.[37]

Karl Ludwig Sand, der Mörder Kotzebues, zählte zu Fries’ Schülern. Einen Brief von ihm, der bei einem anderen Studenten gefunden wurde und in dem Sand vor der Teilnahme an Geheimgesellschaften gewarnt wurde, sahen die argwöhnischen Behörden als Schuldbeweis an. Ein Mainzer Gericht verurteilte Jakob Friedrich Fries, so dass der Großherzog von Weimar ihm deswegen und wegen der Teilnahme am Wartburgfest 1817 die Lehrbefugnis von 1818 bis 1824 entziehen musste. Der Großherzog zahlte jedoch das Gehalt weiter.

Fries gilt als der Begründer des Prinzips der „Ahndung“, womit er sich dem Dilemma von Glaube und Wissen zu entziehen suchte. Er führte so die Rolle des Gefühls und der Ästhetik als Handlungsprinzip ein. „Andacht“ und „Hingabe“ gestaltet er zu mithin außerreligiösen Kategorien politischen Handelns. Nach Fries sind Überzeugung und Gesinnung hinreichende Motive aktiver Beteiligung am politischen Geschehen. Von seiner Brisanz für die Begründung ideologisch abgezielter Handlungen bis zum Attentat hat Fries’ Ansatz bis heute nichts eingebüßt.

John Toland (1670–1722), englischer Freidenker, sprach sich als Erster ausdrücklich für eine rechtlich-kulturelle jüdische Emanzipation aus. In Deutschland kämpfte vor allem Moses Mendelssohn (1729–1786) für die Anerkennung seiner Religion, die er zugleich von innen liberalisieren und über sich selbst aufklären wollte (Haskala). Sein Freund Gotthold Ephraim Lessing (1729–1782) rief 1749 in seinem Lustspiel Die Juden dazu auf, die anachronistischen Vorurteile gegen sie aufzugeben. In seinem Drama Nathan der Weise (1779) forderte er die gegenseitige Toleranz der drei monotheistischen Religionen, deren subjektive „Wahrheit“ objektiv unbeweisbar sei. Die Hauptfigur trägt Mendelssohns Züge und setzte ihm ein Denkmal. Lessing glaubte an die Aufhebung jedes religiösen Aberglaubens durch humanen Fortschritt und die pädagogische Erziehung des Menschengeschlechts (1781); auch den „jüdischen Kinderglauben“ an Tora und Talmud wollte er damit „überwinden“.[38]

Gegenüber der europäischen Aufklärung setzte die Haskala, die jüdische Aufklärungsbewegung zeitverzögert ein.[39] Intellektuell, politisch, kulturell, sozial und religiös galt es, denn Vorsprung der europäischen Aufklärung zu kompensieren. Staatliche Maßnahmen, wie die Auflösung der Ghettosituation z. B. in Preußen und Österreich erhöhten den sozialen und zeitlichen Druck auf die jüdische Bevölkerung um ein Zusätzliches. Die teilweise Öffnung der Ghettos und die damit verbundene Forderung der Anpassung an die christliche Majoritätsgesellschaft zum allgemeinen Wohl des Staates, ließen die sozialen und kulturellen Gegensätze vollends zur Geltung kommen. Der Blick nach Amerika und Frankreich verdeutlichte, dass der Traum von der Emanzipation der Juden hin zu gleichberechtigten Staatsbürgern nunmehr nicht allein dem Traum und einem entfernten Bedürfnis verhaftet bleiben sollte, sondern zur realen Möglichkeit avancierte. Wollte die jüdische Bevölkerung den Anschluss an die allgemeine kulturelle Entwicklung nicht verpassen, so musste die Möglichkeit der Aufklärung und der gesellschaftlichen Emanzipation der Juden die unmittelbare Notwendigkeit selbiger nach sich ziehen.[40]

Berlin galt im Selbstverständnis der Maskilim als historischer Ausgangspunkt der jüdischen Aufklärung. Hier entstand sie zunächst als Selbstaufklärung, durch die autodidaktische Aneignung von säkularem Wissen und säkularer Wissenschaft Einzelner.

Nach dem Siebenjährigen Krieg 1756- 1763 setzte sich die aufklärerischen Tendenzen vor allem bei wohlhabenden Juden durch und entwickelte sich zu einer eigenständigen Bewegung. Um Mendelssohn und die Mitglieder der berühmten Berliner Mittwochgesellschaft (z. B. Spalding, Gedicke, Teller, Suarez u.a.) entstand ein beachtlicher Kreis jüdischer Aufklärer. Das Neue bestand in der Tatsache, dass die jüdischen Gelehrten sich keineswegs, wie zu früheren Zeiten, damit begnügten, Selbstaufklärung zu betreiben, sondern das jüdische Volk im Ganzen als Gegenstand der Aufklärung betrachteten. Einzelne aufgeklärte Juden gab es bereits vor der Haskala. Exemplarisch verweise ich auf Uriel da Costa, Baruch Spinoza und Moses Chajim Luzzatto, die im 17. und frühen 18. Jahrhundert in den Niederlanden und Italien gewirkt hatten. Auch in Deutschland gab es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vereinzelte Juden, die aufklärerische Ideen transportierten. Namentlich waren das u.a. der Hebräisch- Grammatiker Salomo Hanau, der Kaufmann Isaak Wetzlar, der Mathematiker Raphael Levi oder der Arzt Aron Gumpertz.[41]

Während des 18. Jahrhunderts war die jüdische Gesellschaft in einer kulturellen Krise. Sie fiel auseinander, was mit dem Autoritätsverlust der Rabbiner einherging. Um die Probleme zu lösen, entstanden unterschiedliche Bewegungen, insbesondere die Haskala. Ihren Ursprung hatte die Bewegung im jüdischen Berliner Bürgertum, das von den Schriften vor allem der französischen Aufklärung inspiriert war und angesichts der – durch die historischen und ökonomischen Entwicklungen vorangetriebenen – Veränderung der Sozialstrukturen eine weitere Isolierung des Judentums befürchtete. Eine erste gesetzliche Anerkennung ihres Anliegens der rechtlichen Gleichstellung der Juden erfuhr die Haskala zuerst in Frankreich durch die „Assemblée constituante“, die am 27. September 1791 den Juden die volle Staatsbürgerschaft zusprach.

Die Hauptziele richteten sich auf Säkularisierung, also Trennung von Religion und Staat, und Öffnung in die christliche Mehrheitsgesellschaft durch Herstellung persönlicher wie institutioneller Kontakte und Heranführung an jüdische Glaubenslehren.[42] Dabei entwickelte sich eine Spannung zwischen der erstrebten Erneuerung des Judentums und der Konfrontation mit der jüdischen Orthodoxie.[43]

Das mittelalterliche elitäre Vernunftmodell erfuhr mit der Haskala einen radikalen Bruch.[44] Vernunft, als menschliches Spezifikum, wurde nun allen Menschen zugewiesen und nicht einer Elite überlassen. Auch für die Juden bedeutete dies, dass ihre mangelnde Aufklärung keineswegs auf den Mangel an Vernunft zurückzuführen sei, sondern an den schlechten äußeren Bedingungen, der Diskriminierung, der fehlenden profanen Bildung und Erziehung sowie an der starren religiösen Tradition festgemacht werden muss. Dementsprechend galt die jüdische Aufklärung allen Juden.[45]

Die Epoche der Aufklärung wird im Allgemeinen auf 1700 datiert und hatte ihren Ausgangspunkt in Amsterdam. Der Beginn einer Aufklärungsbewegung dagegen wird auf 1770 mit den Aktivitäten von Moses Mendelssohn und seinem Zirkel gelegt, wenn auch zwischen einer „frühen“ Haskala, also der Aufklärungsbewegung innerhalb des jüdischen Establishments und einer „preußischen“ Bewegung (Ausdehnung auch auf nichtjüdische Kreise) unter Moses Mendelssohn unterschieden werden muss. Der jüdische Aufklärer (Bezeichnung: Maskil ab 1783) zeichnete sich durch seine Aktivitäten (Publizität, öffentliche Meinungsäußerungen, Teilnahme an den Diskussionsrunden, materielle und finanzielle Förderung), aber auch durch sein Bildungsniveau (zumeist Universitätsabschluss) aus.[46]

Mit der bürgerlichen Revolution in Westeuropa verband sich einerseits die erhoffte Emanzipation der jüdischen Bevölkerung, gleichzeitig entstand eine moderne Judenfeindlichkeit.

Seit dem 19. Jh. stützt sich die Judenfeindschaft vorwiegend auf Rassegedanken durch Betonung der Fremdartigkeit des jüdischen "Stammes".[47]

In Opposition gegen den Reformkurs Karl August Fürst von Hardenbergs, in Überbetonung nationaldeutscher Werte und in Abneigung gegen die Juden schlossen sich adelige und bürgerliche Romantiker 1811 zu einer Berliner "Christlich-deutschen Tischgesellschaft" zusammen. Unter den Teilnehmern dieses literarischen Zirkels befanden sich auch Heinrich von Kleist, Clemens Brentano, Carl von Clausewitz, Johann Gottlieb Fichte.[48] Das Vereinsstatut setzte einen "Arierparagraphen" fest, der die Mitgliedschaft von Juden ausschloss. Bei einer Sitzung der Tischgesellschaft im März 1811 trug Clemans Brentano eine "scherzhafte Abhandlung" vor, in der er traditionell christlichen Judenhass mit Animositäten gegen die aufziehende kapitalistische Markt- und Geldwirtschaft vermengte. Die antijüdischen Auslassungen Brentanos wurden von der Tischgesellschaft - von der einige Mitglieder ständig in den jüdischen Salons von Henriette Herz und Rahel Levin verkehrten - mit solcher Zustimmung aufgenommen, dass sich Brentano veranlasst sah, sein Vortragsmanuskript drucken zu lassen.[49]

Dieses Beispiel aus der Voremanzipationsphase zeigt, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben religiösen und wirtschaftlichen Motiven erstmals rassistisch-biologische Vorurteile in das antijüdische Denken der Zeit eingeflossen waren.

In seiner Schrift mit dem programmatischen Titel "Germanomanie" verurteilte der Berliner jüdische Schriftsteller Saul Ascher Nationalismus und Deutschtümelei und zog sich damit den Zorn der deutschen Burschenschaften zu, die Aschers Broschüre auf dem Wartburgfest 1817 verbrannten. Diese symbolische Ermordung Aschers war der Anstoss zu Heinrich Heines drei Jahre später geäußerter Prophezeiung: "Dies war ein Vorspiel nur; dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen."[50]

Im Zeitalter eines "hoch aufschäumende(n) deutsche(n) Nationalismus"[51] gaben rassistische Volkstumslehren romantischer Agitatoren wie Ernst Moritz Arndt und "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn den Ton an. Die nationale Idee der deutschen Einheitsbewegung verband sich mit Doktrinen, die an die Stelle der traditionellen religiösen Judenfeindschaft eine biologisch begründete setzten. In einer wertmässig abgestuften Hierarchie von Menschenrassen wurden einzelnen Völkern kollektive, unveränderliche Eigenschaften zugeschrieben. Jahn war überzeugt, dass es - so wie es "taube Nüsse" gibt - auch "taube Staaten und ohne Volkstum taube Völker" gebe, zu denen er unzweifelhaft die Juden rechnete.[52] Und Arndt wollte die Juden von Deutschland fernhalten, damit sich der "germanische Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandteilen rein"[53] erhalte.

Arndt warnte vor zu engem Kontakt mit dem Judentum: Zwar sei durch den Übertritt zum Christentum in der zweiten Generation der „Same Abrahams“ kaum noch zu erkennen, schädlich aber seien die „Tausende, welche die russische Tyrannei uns nun noch wimmelnder jährlich aus Polen auf den Hals jagen wird“, „die unreine Flut von Osten her“. Er warnte vor einer angeblichen jüdisch-intellektuellen Verschwörung, „Juden oder getaufte und (…) eingesalbte Judengenossen“ hätten sich der Literatur „wohl zur guten Hälfte bemächtigt“ und verbreiteten „ihr freches und wüstes Gelärm, wodurch sie (…) jede heilige und menschliche Staatsordnung als Lüge und Albernheit in die Luft blasen möchten.“ Das lange „unstäte Daseyn“ hätte aus ihnen „das Gemeine, Kleinliche, Feige und Geitzige hervorgelockt“, sie seien „jeder schweren Mühe und jeder harten Arbeit ungeduldig“ und würden daher nach jedem „leichten und flüchtigen Gewinn“ streben. Forderungen nach Dialog, Humanität und Toleranz gegenüber Juden bezeichnete Arndt als „Allerweltsphilosophie und Allerweltliebe“, die Zeichen von „Schwächlichkeit und Jämmerlichkeit“ seien. Noch im Alter wandte sich Arndt gegen die „unruhigen, neugierigen und alles betastenden und umwühlenden Hebräer“.

Mit der Taufe konnten sich die Juden in gewissem Sinne das "Entree-billett" in die europäische Kultur erwerben, doch in einer Zeit, in der man begann, sie ethnisch zu definieren, war der Glaubenswechsel allenfalls eine Scheinlösung. Heinrich Heine nahm zwar die Taufe, ohne allerdings das Judentum zu verlassen. "Ich bin getauft", räumte er ein, "aber ich bin nicht bekehrt."[54] In ihrer Gegnerschaft zu den Juden waren sich konservative Nationaldeutsche und Fortschrittliche, die von den Ideen der Französischen Revolution durchdrungen waren, einig - die Judenfeindschaft unterschiedlicher sozialer Klassen war sozusagen eine ideologische Klammer. In der Voremanzipationsphase begannen antijüdische Autoren, die eine radikale Reform hinsichtlich des Status der Juden befürchteten, eine heftige "literarische" Kampagne gegen diese. Die antijüdischen Ideologen warnten - ganz im Fichteschen Sinne - vor einer bürgerlichen Gleichstellung: "Die wesentlichen Punkte des Judentums untergraben die Geselligkeit, sie bewirken einen Staat im Staate, und zwecken dahin ab, den Juden die Herrschaft zu verschaffen und die übrigen Bürger zu ihren Sklaven zu machen."[55]

Das deutsche Nationalbewusstsein, das die Befreiungskriege getragen und das die deutschen Juden ebenso wie die deutschen Christen beseelt hatte, besaß einen gefährlichen judenfeindlichen Akzent. In seiner Schrift "über die Gefährdung des Wohlstandes und des Charakters der deutschen durch die Juden" kam der Heidelberger Philosophieprofessor Jakob Friedrich Fries zu dem Schluss, die Juden seien auszutreiben oder mit Stumpf und Stiel auszurotten. Ein Berliner Universitätskollege, der Historiker Friedrich Rühs, schlug vor, den Juden alle Rechte abzusprechen und die Judensteuer sowie die alten Judenkennzeichen - Spitzhut, gelben Ring ("Judenfleck") - wieder einzuführen.

Am weitesten jedoch ging der Publizist Hartwig von Hundt-Radowsky. In seinem 1819 in Würzburg erschienenen "Judenspiegel" regte er an, alle Jüdinnen ins Bordell zu stecken, alle Juden zu kastrieren, sie nur noch in Bergwerken unter Tage arbeiten zu lassen oder sie an die Engländer zu verkaufen, die sie in ihren überseeischen Kolonien als Sklaven einsetzen sollten. Die Tötung eines Juden hielt er weder für eine Sünde noch für ein Verbrechen.

Hundts demagogische Forderungen, die Juden auszurotten oder sie mindest zu vertreiben und Deutschland ganz von dem "Ungeziefer" zu reinigen, wurden in der Hepp-Hepp-Bewegung im Jahre 1819 blutige Wirklichkeit. In vielen deutschen Städten kam es zu Pogromen mit Einbrüchen, Plünderungen, Misshandlungen und Morden. Zentrum der judenfeindlichen Ausschreitungen war Würzburg, wo es zur Austreibung von 400 Juden kam. An den Tumulten beteiligten sich v.a. Studenten, Kleinbürger und verschuldete Bauern, die mit "Hepp-Hepp-Jud-verreck!"-Rufen[56] als diabolische Volksbelustigung Juden verhöhnten und misshandelten.

Die akademischen Hetzschriften machten eine antijüdische Haltung im Bildungsbürgertum salonfähig. Flugblätter und antijüdische Parolen erreichten die unteren Schichten und lösten die Gewalttätigkeiten aus.[57] Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit und Erbitterung waren die Kennzeichen dieser Jahre nach dem Aufschwung der Befreiungskriege: das dürftige Ergebnis des Wiener Kongresses, eine Wirtschaftskrise nach Aufhebung der Kontinentalsperre, Polizeischikanen, "Demagogen"-Verfolgung und die Karlsbader Beschlüsse nach dem Attentat auf den Diplomaten August von Kotzebue, steigende Brotpreise nach den Missernten von 1816/17. Es genügte schon, wenn ein jüdischer Händler seine Waren billiger verkaufte als sein nichtjüdischer Konkurrent, um Krawalle auszulösen. Eine scharfe Konkurrenzerfahrung löste bei manchen "christlichen" Kaufleuten den antisemitischen Komplex aus: Es sei nur deshalb so schlimm um die Wirtschaft bestellt, weil auch "die Juden" ihre Hände im Spiel hätten. Die kleinen Händler fühlten sich an die Wand gedrängt und reagierten bitter. Mit der Formel "Flucht in den Hass" hat Eva Reichmann die psychische Reaktion auf jene ökonomischen Umstände treffend bezeichnet.[58]

Die Hepp-Hepp-Unruhen - durchaus keine marginalen und lokal begrenzten Erscheinungen - zeigen besonders eindringlich die Verflechtung von lokalen Anlässen und politisch-sozialen Bedingungen mit historischen Traditionen. Sie wiederholen sich in den nachfolgenden Jahrzehnten immer wieder: In den revolutionären Jahren 1830 und 1848 erfolgten unter diesem Schlachtruf weitere Gewalttätigkeiten gegen Juden, häufig auch im Zusammenhang mit der Anschuldigung des Ritualmordes, dessen man die Juden dann bis ins 20. Jh. hinein zieh.

Tendenziöse Presseberichte machten die Würzburger Unruhen in ganz Deutschland bekannt und wirkten wie ein Aufruf zur Nachahmung.[59] Zwischen dem 9. und 15. August folgten Tumulte und Angriffe auf die Juden in Bamberg, Bayreuth (12. August), Regensburg, Pottenstein, Hollfeld, Ebermannstadt und vielen weiteren oberfränkischen Ortschaften. Deren Polizei griff oft erst spät ein und schützte die Betroffenen nicht ausreichend, so dass diese sich mit Petitionen direkt an die Staatsregierung wandten. Diese machte die Gemeinden kollektiv für etwaige Schäden und Kosten für notwendige Soldatenquartiere haftbar, um so deren Schutz für die Juden zu erzwingen. In Franken ließ sie dies in allen Orten öffentlich bekannt machen.

Dennoch griff die Welle der antijüdischen Empörung ab dem 15. August auf Hessen, die Oberpfalz, Baden und das Rheinland über.[60] In Karlsruhe (16./17. August), Mannheim, Heidelberg und ihrer Umgebung waren die Ausschreitungen besonders heftig und konnten dort ebenfalls nur durch Militäreinsatz beendet werden. Auch im überwiegend protestantischen Preußen folgten in den Folgewochen Krawalle, u.a. in Danzig, Breslau, Grünberg, Königsberg, Lissa, Koblenz, Hamm, Kleve, Dormagen (12. Oktober, hier ausgelöst durch ein Ritualmord-Gerücht.

In Großstädten mit größeren Judengemeinden nahmen die Tumulte teilweise die Form von Revierkämpfen an.[61] In Frankfurt am Main, damals Hauptstadt des Deutschen Bundes, wurden Juden ab dem 10. August angegriffen. Nach einer morgendlichen Prügelei zwischen christlichen und jüdischen Briefabholern am Postamt wurden jüdische Passanten von der öffentlichen Promenade gedrängt. Abends durchzogen Straßenbanden mit Hepp, Hepp-Rufen pöbelnd die Frankfurter Judengasse und warfen Fensterscheiben mit Steinen ein. Obwohl einige Abgeordnete der Bundesversammlung den Stadtrat sofort zum Eingreifen drängten, wurden die Polizeiwachen erst am Folgetag verstärkt. Die Stadtverwaltung erwog vorübergehend, die Zahl der jüdischen Bürger auf 500 zu begrenzen und ihnen ein Ghetto zuzuweisen.

Viele jüdische Familien verließen die Stadt zu ihrem Schutz und siedelten in Nachbarstädte um, wo die Unruhen sie jedoch wenige Tage darauf ebenfalls ereilten. In Darmstadt kam es am 12. und 13. August zu Massenaufläufen, Prügeleien und Sachbeschädigungen; die Bedrohung der örtlichen Juden dauerte wochenlang, so dass die Regierung noch am 4. September Schutzmaßnahmen für sie öffentlich bekannt machte.[62]

Auch in Hamburg (20. August) war eine Prügelei zwischen jüdischen und christlichen Händlergehilfen Auslöser der Ausschreitungen: Diese begannen mit dem Hinauswurf von Juden aus einem Pavillon am Jungfernstieg, am Folgetag aus sämtlichen Kaffeehäusern und Vergnügungsstätten der Stadt. Die Betroffenen wehrten sich; eine Massenschlägerei wurde durch massiven Polizeieinsatz beendet. Auf Flugblättern stand Hepp, hepp, der Jude muß inn Dreck oder … Juden verreck.

Dabei begründeten die Aufrufe die Hetze der Krawallanten mal mehr wirtschaftlich, mal mehr religiös, meist aber beides kombiniert. Sie zielten stets auf die Vertreibung aller örtlichen Juden und drohten ihnen darüber hinaus häufig massiv mit „Tod und Verderben“. In Düsseldorf (22. August) z. B. wurden an jüdischen Wohnhäusern Plakate angeschlagen, auf denen es hieß: „Schon zu lange hat die Herrschaft der Juden über den Betrieb des Handels gedauert. Mit ruhigen Augen haben die Christen diesem unerlaubten Unwesen zugesehen, die Zeiten haben sich geändert. Sind bis 26ten dieses Monats dem Handel und Moral verderbenden Volke, was kein gesetzmäßiges Oberhaupt anerkennen kann, nicht Schranken gesetzt, so soll ein Blutbad entstehen, das anstatt Bartholomäus-Nacht, Salomoni-Nacht heißen soll.“[63]

In Kreuznach verkündete ein in der Nacht vom 27. auf den 28. September an Straßenlaternen und Häuserecken angeschlagenes Flugblatt: „Kreuznacher, das Vehmgericht hat beschlossen, daß auf den langen Tag alle Juden aus Teutschland gejagt werden sollen. Es erwartet, daß die Stadt Kreuzenach dabey nicht zurückbleibt.“[64]

Der Landrat hielt die Gendarmerie bereit, doch der Folgetag verlief ohne Unruhen. Daraus zogen die Behörden den Schluss, es handele sich nur um „Bangemachen“ ohne konkrete Verwirklichungsabsicht. Dies führte in manchen Städten und Regionen zum vorzeitigen Abzug der Militärtruppen. Meist aber wurde das Militär sofort eingesetzt, besonders dann, wenn die Aufrufe gegen die Juden mit allgemeineren politischen Forderungen verbunden waren. Dies deuteten die Behörden als revolutionäre Gärung, so dass sie – im eigenen Interesse, nicht nur dem der betroffenen Juden – jeden Massenprotest so rasch wie möglich erstickten.

In Marburg wurden im Oktober Zettel verteilt, auf denen stand: „den 18ten October wird hep, hep! gegeben, der Schauplatz ist auf allen Strassen. Gewisse Umstände zwingen uns, den HUNDSTATEN der Juden eine Galgenfriste zu gestatten. FURCHTBAR und alles vertilgend wird alsdann der Würgeengel ueber Euch schweben wie an jenem Tage in Jerusalem.“[65]

Hier wurde auf den Ersten Kreuzzug angespielt, der am 15. Juli 1099 mit einem der grausamsten Massaker des Mittelalters in Jerusalem geendet hatte. Der „Würgeengel“ wird hier zum Racheengel an den Juden umgedeutet. Antijüdisch gedeutete Bibelmotive spielten auch sonst auf vielen Flugblättern eine Rolle. Sie dienten dazu, den eigenen Handlungen eine religiöse Rechtfertigung und einen höheren Sinn zu geben. Sie zeigten die Wirkung der jahrhundertelangen kirchlichen Gottesmord-Propaganda und „jahrzehntelang angestaute Hassgefühle“ bei Christen, die bei geringfügigen Anlässen durchbrachen.[66]

Die Aggressionen richteten sich gegen sozialen Aufstieg, wirtschaftliche Konkurrenz und politische Gleichberechtigung jüdischer Bürger, die anders als in Jahrhunderten zuvor nun vermehrt am öffentlichen Kulturleben teilnahmen und etwa auf den Märkten nicht mehr wie selbstverständlich nachrangig von den Christen behandelt werden konnten.

Damalige Zeitungsberichte beurteilten die Motive der Krawallanten unterschiedlich. Gebildete Beobachter sahen religiöse Begründungen für die Unruhen jedoch als vorgeschoben an. Sie machten „Handelsgeist“ und „Krämerneid“ dafür verantwortlich oder teilten das verbreitete Vorurteil, eine angeblich zu rasche rechtliche Gleichstellung habe das „schnelle Emporkommen“ der Juden bewirkt.[67] Deren gestiegene Konkurrenzfähigkeit wurde also als an sich illegitime Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit beurteilt.

Eine apologetische Schrift des Dramatikers Julius von Voß führte jüdische Gewinne darauf zurück, jüdische Händler seien meist sparsamer und fleißiger und böten höherwertige Waren preisgünstiger an als Christen, was diese wiederum anreize, das Qualitätsniveau ihrer Waren zu steigern, und so allen zugute komme. Doch auf dem Hintergrund eines verbreiteten Krisengefühls erschienen die Juden den christlichen Kleingewerbetreibenden der Städte als geeignetes Aggressionsobjekt. Sie wollten zur mittelalterlichen Ständeordnung zurückkehren und versprachen sich von der brutalen Ausschaltung einer gut 1000 Jahre lang sozialökonomisch diskriminierten Minderheit aus dem Wirtschaftsleben eine rasche Verbesserung der eigenen Lage.[68]

Trotz des Eingreifens der Behörden wurden die Unruhen als praktisches Argument gegen die Judenemanzipation vorgebracht, die die Gefahr gesellschaftlicher Auseinandersetzungen mit sich bringe. Damit wurde die volle Gleichberechtigung der Juden jahrzehntelang verzögert und erst 1871 mit der Gründung des Deutschen Reiches allgemeines Gesetz. Doch auch danach setzte sich die Tradition der antisemitischen Hetze und Bedrohungen fort. Sie erreichte um 1848, 1879–1882 und 1890–1900 reichsweit neue Höhepunkte.[69]

Unter den Juden selbst lösten die Ereignisse ebenfalls ambivalente Reaktionen aus. Während einige für eine rasche und völlige Assimilation an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft eintraten, sprachen sich andere für ein noch engeres Zusammenrücken jüdischer Milieus aus.

Verbreitet ist die Ansicht, dass die Krawalle von Studenten initiiert und hauptsächlich getragen wurden. Demgegenüber vertritt der Historiker Jacob Katz die Position, Haupturheber seien die durch die Judenemanzipation einem neuen Konkurrenzdruck ausgesetzten kleinbürgerlichen Schichten gewesen, die zudem in jener Zeit häufig bei jüdischen Kreditgebern verschuldet waren.[70]

Zwar gelangten in der preussischen Reformzeit unter der Kanzlerschaft Hardenbergs einige (getaufte) Juden in Staatsämter,[71] doch erst die gescheiterte, aber für die demokratische Entwicklung in Deutschland nicht vergebliche Revolution von 1848 bot ihnen die Möglichkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. Zu diesem Zeitpunkt glaubten die Juden endlich ihr Ziel erreicht zu haben. Mit dem Scheitern der Revolution von 1848/49 und der beginnenden Reaktionsphase mussten sie jedoch erkennen, dass die Emanzipationsgesetze und die ihnen verfassungsmässig zustehenden Rechte mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit bestanden. Die von den Hochkonservativen entwickelte christliche Staatsidee zielte auf die Rücknahme des Gleichberechtigungsprinzips für die Juden. Sprachrohr der Vertreter dieser Richtung war die "Neue Preussische Zeitung" ("Kreuzzeitung"), die keine Gelegenheit ausließ, gegen die Juden zu polemisieren. Besonders der Chefredakteur dieser Zeitung, Hermann Wagener, ein Vertrauter Bismarcks, betrieb in seinen Leitartikeln antijüdische Agitation: Die Presse würde zu zwei Dritteln von Juden beherrscht, und diese führten einen "boshaften und erbitterten Vernichtungskampf" gegen alles, "was Christ oder Christentum"[72] heiße.

Zum antijüdischen Repertoire gehörte auch das Bild des Wucherers, des Preisträgers und Ausbeuters, der sich an den Christen bereichere und an ihrem Schweiß vollsauge. Es sei unbedingt notwendig, hieß es in dem Blatt, sich gegen die Juden zur Wehr zur setzen. Provozierend prophezeite das Organ Hass und Rache des Proletariats, die sich unter bestimmen Umständen leicht Luft machen könnten. Und ganz im Jargon der Vernichtungsantisemiten wurde von einer Judenverfolgung orakelt, wie sie die Welt noch nicht erlebt habe.[73]

Und immer wieder ist die Rede von der "Fremdartigkeit" der Juden, womit der rassistisch-biologistische Antisemitismus der mörderischen Form antizipiert wurde.[74] Die antisemitischen Gedankengänge, die in den Konservatismus eindrangen, sind im Wesentlichen auf den Einfluss des Hegelianers Bruno Bauer zurückzuführen. In der Auseinandersetzung mit Bauer hat sich übrigens auch Marx - der mit Bauers Schilderungen der Juden, nicht aber mit dessen Schlussfolgerungen, übereinstimmt - mit der "Judenfrage" befasst. Bauer bediente sich seit den 1850er Jahren, wenn er über Juden spricht, einer Rassenterminologie: "(...) man nehme den Juden aus Portugal, Deutschland, Polen, England oder sonst wo her, er ist überall derselbe, weder Portugiese noch Deutscher, weder Pole noch Engländer. Er ist der echte und unverfälschte Jude geblieben, den nichts beherrscht als der Racetypus. Der Jude gibt den Kern seiner nationalen Eigentümlichkeit ebenso schwer auf, als es ihm vermöge seiner geistigen Elastizität leicht wird, sich in das Kleid jeder beliebigen Nationalität zu hüllen und bis zu einem gewissen Grade sich die fremde Nationalität formell anzueignen. Aber seine Denkweise bleibt in jedem Kleide und unter jedem Himmelsstrich dieselbe; jüdischer Sinn und jüdisches Blut sind unzertrennlich geworden, weshalb das Judentum nicht allein als Religion und Kirche, sondern ganz vorzüglich als der Ausdruck einer Raceneigentümlichkeit die eingehendste Betrachtung verlangt: die Taufe macht den Juden nicht zum Germanen."[75]

Parallel zur Emanzipationsbewegung bildet sich in der Belletristik ein negativ verzerrtes Bild vom Juden heraus, das zwar stereotype Urteile aus der christlichen Tradition übernimmt, jedoch neue Überzeichnungen popularisiert. Juden verkörpern in Romanen häufig das dunkle Gegenstück zu den lichteren christlich-germanischen Gestalten (z.B. in Gustav Freytags "Soll und Haben", in Felix Rabes "Hungerpastor" oder in Felix Dahns "Ein Kampf um Rom"): den jüdischen Wucherer, den Streber, den herzlosen Ausbeuter und den fremden, "Jargon" sprechenden, also "mauschelnden" Juden.[76] Hinzu kommt der jüdische Revolutionär, der alles Bestehende verneint und eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Annette von Droste-Hülshoffs "Judenbuche" oder Adalbert Stifters "Abdias", wo menschlich-sympathische Judengestalten gezeichnet werden, sind literarische Ausnahmen.

Im Herbst 1879 hatte der protestantische Hofprediger Adolf Stöcker mit seiner judenfeindlichen Rede "Unsere Forderungen an das moderne Judentum" die "Berliner Bewegung" ins Leben gerufen und mit der Gründung der "Christlich-sozialen (Arbeiter-)Partei" den politischen Antisemitismus zu einer Massenbewegung in Deutschland gemacht. Proagandistisch unterstützt wurde Stöcker von dem Berliner Historiker Heinrich von Treitschke, der eigentlichen treibenden Kraft des modernen Antisemitismus.

Von Treitschke stammt der Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später zur Parole des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde. Treitschke formulierte diesen Satz in seiner Denkschrift Unsere Aussichten (1879), die durch judenkritische Aussagen für Aufsehen sorgte. Dabei stellte er dar, diese Überzeugung entspreche dem breiten, parteiübergreifenden Konsens und werde von allen Zeitgenossen „wie aus einem Munde“ geteilt, aber aufgrund des „weichlichen“ und „philanthropischen“ Zeitgeistes und liberaler „Tabuisierung“ in der Presse nicht offen ausgesprochen.

Der Aufsatz, in dem Treitschke die Forderung nach Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Juden erhebt, löste den Berliner Antisemitismusstreit aus, eine bis 1881 anhaltende Debatte, die auf große Anteilnahme in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands stieß und im Ergebnis trotz eines vordergründig negativen Ausgangs für Treitschke den Antisemitismus gesellschaftsfähig machte.[77] Der Kern der Polemik Treitschkes richtet sich gegen den unterstellten Willen der Juden, ihre kulturelle Eigenart offensiv gegen das Deutschtum zu behaupten, was Treitschke als undankbar und frech charakterisierte, da sie der ihnen gewährten Emanzipation doch die Teilhabe am Leben der Nation verdankten.

Die Lösung der „Judenfrage“ sei der Weg der Assimilation, der aber nur von wenigen Einzelnen wie Gabriel Rießer oder Felix Mendelssohn beschritten worden sei, während sich das Gros der Juden dagegen sperre. Nach seiner politischen Theorie ging er davon aus, dass ein Jude, der den Willen zur vollen Bejahung seiner Umwelt habe, die Fähigkeit besitze, das deutsche Wesen in sich aufzunehmen und das jüdische Wesen abzustreifen.[78] Eine solche Bekehrung zum Deutschtum mit all seinen spirituellen Werten sei grundsätzlich möglich, müsse aber entschiedener eingefordert werden. Alles Gute an den Juden verdankten sie der Anpassung an die deutsche Welt, dem Judentum selbst wohne hingegen keine positive Kraft inne. Als Religion sei es vielmehr ein überlebtes Relikt, das über eine für den Nationalstaat gefährliche Eigenschaft verfüge, nämlich Solidaritätsbindungen über nationale Schranken hinweg zu schaffen und die Bildung eines übernationalen jüdisch-säkularen Netzwerks zu begünstigen. Die gesunde Hauptrichtung der Geschichte sei dagegen im modernen Nationalstaat mit christlicher Tradition verwirklicht. Das Judentum dürfe niemals als gleichberechtigte Konfession akzeptiert werden, da auf dieser Basis keine nationale Einheit möglich sei und letztlich als Alternative nur die Vertreibung der Juden bliebe.

Nichts hat die öffentliche Meinung zu Beginn der 1880er Jahre mehr aufgewühlt und beschäftigt als die "Judenfrage". Eduard Bernstein, ein sensibler Beobachter der Szene, hat die Berliner Pogromluft dieser Jahre als eine "Sturzwelle judenfeindlicher Reaktion" beschrieben.[79] Kein Zweifel - die Antisemiten waren auf dem Vormarsch. Sie brachten eine Viertelmillion Unterschriften unter eine Petition zusammen, in der die Errungenschaften der Judenemanzipation von 1812 quasi rückgängig gemacht werden sollten. U.a. wurde darin die Einschränkung bzw. Verhinderung der (ost-)jüdischen Einwanderung sowie die Ausschließung der Juden aus allen obrigkeitsstaatlichen Stellungen gefordert. Im November 1880 debattierte das Preußische Abgeordnetenhaus an zwei Sitzungstagen über diese Petition, und die Abgeordneten der "Fortschrittspartei", die die Debatte beantragt hatten, kämpften allein gegen eine Parlamentsmehrheit, die kein Vorurteil unausgesprochen liess.[80]

1878 gründete sich wesentlich auf Stoeckers Initiative die „Christlich-Soziale Arbeiterpartei“. 1881 wurde sie in „Christlich-Soziale Partei“ umbenannt.[81] Im Gründungsjahr verabschiedete der Reichstag die so genannten Sozialistengesetze (1878 bis 1890). Sie verschärften die Repression gegen die zur Massenpartei aufsteigende Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) und gegen andere sozialistische Zusammenschlüsse. Ziel der CSAP war es, auf die Arbeiterschaft, soziale Basis der sozialistischen Bewegung („Sozialdemokratie“), einzuwirken, um sie ihren originären, nun von Illegalisierung bedrohten politischen Repräsentanten zu entfremden.

Nach dem Scheitern ihrer Strategie bei der Reichstagswahl 1878 wandten die Christlich-Sozialen sich als nur mehr Christlich-Soziale Partei von der Arbeiterschaft ab und orientierten sich mit antisemitischer Propaganda auf die Mittelschichten.[82] Sie gaben ihre parteipolitische Selbständigkeit auf und gliederten sich in die Deutschkonservative Partei (DKP) ein. Wahlpolitisch blieben sie eine Splittergröße. Stoecker blieb bis nach der Jahrhundertwende ihr einziger Reichstagsabgeordneter. Von 1879 bis 1898 war er Abgeordneter für Minden-Ravensberg im Preußischen Abgeordnetenhaus. Von 1881 bis 1893 und von 1898 bis 1908 repräsentierte er den Wahlkreis Siegen-Wittgenstein-Biedenkopf im Reichstag, bis 1896 als Vertreter der Deutschkonservativen Partei. Hier wurde er entgegen den wahlpolitischen Misserfolgen seiner Bewegung wie seiner Person im übrigen Reich regelmäßig mit ungewöhnlich großen Mehrheiten gewählt (1887 in den Hauptwahlen, also vor der Stichwahl: 77,9 %). Im politischen Spektrum der Kaiserzeit bildeten die Christlich-Sozialen während ihrer Zugehörigkeit zur Deutschkonservativen Partei als Teil der extremistischen Kreuzzeitungsströmung – benannt nach der einflussreichen Kreuzzeitung – deren „äußersten rechten Flügel“.[83] Stoecker arbeitete eng mit dem konservativen Politiker und Chefredakteur der Kreuzzeitung, Wilhelm Joachim von Hammerstein, zusammen, dem er in persönlicher Freundschaft eng verbunden war.

Die politische Bewegung von Adolf Stöcker brachte drei neue Momente in das rechte politische Lager ein.[84] Zum einen als neue Politikform die populistische „Bewegung“, mit der sie auf das allgemeine Verlangen nach demokratischer Teilhabe reagierten und ihre parlamentarischen Aktivitäten außerparlamentarisch unterstützten. Zum zweiten eine antikapitalistische Phraseologie. Das verbindende Element war der Antisemitismus: ob „Großkapital“ oder sozialistische Linke, die Gegner waren „verjudet“.[85] Im christlich-sozialen Weltbild standen Juden und „Judenfreunde“ für alle Spielarten des Sozialismus, für den Linksliberalismus, den Kapitalismus, den Materialismus, den Atheismus. Sie alle seien Ausdrucksformen und Hervorbringungen des „internationalen Judentums“, das verschwörerisch die Unterwanderung und Vernichtung des „deutschen Volks“ – zu dem sie deutsche Juden nicht rechneten – plane.

In diesem Sinn betrachtete Stoecker sich als „Begründer“ und „Vater der antisemitischen Bewegung“.[86] Er erhob „als erster den Antisemitismus zum zentralen Credo einer modernen politischen Partei“. Der Antisemitismus war und blieb sein „fundamental-zentrales“ Leitthema. Er war „ein integraler Bestandteil seines gesamten Denkens und seines öffentlichen Redens … Der Antisemitismus strukturierte und vitalisierte alles, was er sagte, schrieb und tat.“[87]

Stoeckers antisemitische Aussagen schillerten zwischen einem traditionellen christlichen Antijudaismus und modernen ökonomisch, völkisch und rassisch begründeten Varianten, was ihre Anschlussfähigkeit erhöhte. Er trug maßgeblich zur Verbreitung des Antisemitismus in Politik, Kirche und Gesellschaft, vornehmlich aber im Protestantismus und in den konservativen Parteien bei. Er brüstete sich damit, „die Judenfrage aus dem literarischen Gebiet in die Volksversammlungen und damit in die politische Praxis eingeführt“ zu haben.[88]

Stoecker war einer der Erstunterzeichner der „Antisemitenpetition“ prominenter Judengegner. Sie denunzierte die Angehörigen der Minderheit als kollektive „Gefahr für unser Volksthum“. Sie verlangte unter anderem die Erfassung des jüdischen Bevölkerungsteils, den Ausschluss der jüdischen Deutschen aus allen obrigkeitlichen Funktionen und dem Lehramt der Volksschulen, ihre nur eingeschränkte Verwendung in den weiterführenden Schulen und der Justiz sowie ein Verbot der jüdischen Zuwanderung.[89] In diesem Sinne vertrat Stoecker die Christlich-Sozialen 1882 auf dem Internationalen Antisemitenkongress in Dresden.

Die völkische Rechte im Kaiserreich sowie in der Weimarer Republik und mit ihr die Nationalsozialisten rezipierten Adolf Stoecker als ihren Vorläufer und Wegbereiter. Durchweg positiv aufgenommen wurde er auch innerhalb des Weimarer Protestantismus.[90]

Massing, P. W.: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1959, S. 133

Ein „Internationaler antijüdischer Kongress“ fand erstmals 1882 in Dresden, ein weiterer 1883 in Chemnitz statt.[91] Die Kongresse waren Teil des deutschen Antisemitismus, der sich seit 1879 im Berliner Antisemitismusstreit und der Antisemitenpetition von 1880/81 politisch zu organisieren begann. Nachhaltige Auswirkungen auf dessen Entwicklung hatten sie nicht.

Organisiert wurde der „Internationale Antijüdische Kongress“ vom in Dresden beheimateten Deutschen Reformverein, der 1879 gegründet worden war. Dessen Zeitschrift hieß Deutsche Reform. Die Anhänger dieser „kleinbürgerliche[n] Reformpartei“ unter Alexander Pinkert kamen weniger wegen der „Judenfrage“, sondern wegen ihrer bedrängten sozialen Lage zur Partei. Von 14 Programmpunkten verwies nur einer auf das Judentum (nur „christlich-religiöse Männer“ sollten in öffentliche Ämter gewählt werden können), die Judenfeindschaft der Partei habe sich vielmehr in der Agitation gezeigt.

Außerdem kam eine Reihe von Berlinern zum Kongress, darunter Anhänger der Berliner Bewegung von Adolf Stoecker sowie der „gemäßigte“ Max Liebermann von Sonnenberg, aber auch „Rasseantisemiten“ um Ernst Henrici. Aus Berlin sollen mindestens dreißig Teilnehmer in Dresden gewesen sein.

Aus Ungarn wurden dreißig Teilnehmer gemeldet, die prominentesten von ihnen waren die drei Parlamentsabgeordneten Gyözö Istóczy, Iván Simonyi und Géza Ónody. Vor allem Istoczy hatte sich als Radikaler hervorgetan; das ehemalige Mitglied der regierenden liberalen Fraktion in der ungarischen Kammer hatte Maßnahmen gegen die jüdische Einwanderung und auch Gewalt gegen die Juden vorgeschlagen. Insgesamt hatte der Kongress ungefähr 300 bis 400 Teilnehmer.[92]

Der Kongress begann am Samstag, dem 9. September 1882 im Helbigschen Etablissement in Dresden, dessen Großer Saal mit den Büsten des deutschen Kaisers, des österreichisch-ungarischen Kaisers und des sächsischen Königs geschmückt war. Außerdem wurde ein Bild von Esther Solymosi präsentiert, die am 1. April 1882 im besagten ostungarischen Ort angeblich einem „Ritualmord“ zum Opfer gefallen war, woraus sich die Affäre von Tiszaeszlár entwickelte. Die Polizei überwachte den Kongress.

Auf dem Kongress selbst wurden am Montag acht Thesen des Berliner Hofpredigers Stöcker diskutiert und dabei rassenantisemitisch verschärft, schließlich hieß es in den einstimmig angenommenen Thesen unter anderem, die Juden seien durch Abstammung, Sprache und Kultur eine Nationalität und könnten keine Bestandteile eines christlichen Volkes sein. Juden dürften keine Ämter haben, die Gesetzgebung solle die jüdische Kapitalmacht einschränken. Damit setzten sich die „Reformer“ durch, zwischen den gemäßigteren Christlich-Sozialen und den radikaleren Rassenantisemiten.[93]

Am Dienstag sprach von Simonyi über die Affäre von Tiszaeszlár und wiederholte nicht nur die Ritualmordlegende, sondern behauptete auch, dass sich das gesamte Judentum mit den Mordgesellen identifiziere. Außerdem kam an diesem Tag eine Anzahl von Telegrammen aus Europa und Amerika zur Verlesung.

Neben den Resolutionen war das wichtigste Ergebnis der Tagung ein Beschluss über ein „ständiges Comité des Internationalen antijüdischen Kongresses“.[94] Es solle die Kongressbeschlüsse veröffentlichen, eine Presse ohne jüdischen Einfluss schaffen und eine zweite Tagung einberufen.

Zwar war in Dresden ein Bevollmächtigter des Komitees gewählt worden, der Vorsitzende des Chemnitzer Reformvereins Ernst Schmeitzner, doch hat sich das Komitee nie konstituiert. Schmeitzner wollte mit einer scharf antijüdischen Gruppe aus der Dresdner Reformpartei und mit Zustimmung der Berliner Extremisten aus dem Komitee eine Alliance antijuive universelle machen, in Anspielung auf die jüdische Alliance Israélite Universelle.

Infolgedessen trafen sich in Chemnitz am 5. Februar 1883 einige deutsche und österreichisch-ungarische Antisemiten, um diese Allianz zu gründen, die die Bevölkerung über das Judentum „aufklären“, eine nichtjüdische Presse schaffen und die „Judenfrage“ auf gesetzlichem Wege regeln sollte. Dies müsse international geregelt werden, da die Juden sonst von einem Land zum anderen zögen. Die nicht parteipolitische Allianz solle nur Eingeladene als Mitglieder zulassen, Organ sei Schmeitzners internationale Monatsschrift.

Der Kongress selbst kam am 27. April zusammen, nachdem es am 26. bereits eine nichtöffentliche Sitzung der Allianz-Mitglieder gegeben hatte. Der Journalist Otto Glagau aus Berlin und Iván von Simonyi waren die Kongressvorsitzenden; Glagau begrüßte vierzig Anwesende, darunter angeblich Herren aus Deutschland, Russland, Rumänien, Serbien und Frankreich. Die einzige Wortmeldung aus dem Ausland machte, außer von Simnoyi, ein Deutschrusse aus der Weichselgegend. Max Liebermann von Sonnenberg behauptete, mehrere der Anwesenden aus Russland hätten sich gerne an der Debatte beteiligt, wenn sie besser Deutsch gesprochen hätten.[95]

Es gehe nicht darum, die Juden zu „massacriren“, aber sie in „gebührende Schranken“ zu weisen und damit vor der Volkswut zu bewahren, meinte Glagau.[96] Außerdem betonte er das völkerversöhnende Element der antisemitischen Strömung. Abermals bemühte sich der Antisemitenkongress – ohne weitere Erläuterung – um eine „Einschränkung“ des jüdischen Einflusses, diesmal in einer Petition an Bismarck, während die Forderungen der Rassenantisemiten zurückgewiesen wurden. Amman aus Berlin hatte in ihrem Sinne „Rassejuden“ von Zeitungen und öffentlichen Anstellungen fernhalten wollen und eine Enteignung gefordert.

Die beiden antijüdischen Kongresse in Sachsen bilden nur eine kurze Episode der deutschen antisemitischen Bewegung. Sie zeigen aber eindrücklich deren Probleme: Die Internationalität dieser Begegnungen muss stark relativiert werden. Alle Redner waren Deutsche oder Ungarn, wobei letztere ihre Germanophilie betonten. Es verwundert das Fehlen einer starken russischen Beteiligung, trotz der damaligen Pogrome in Südrussland und Russisch-Polen. Auch die Themenwahl zeigt den internationalen Anspruch als zu hoch gegriffen. Ein Treffen in Kassel 1886 und der Bochumer Antisemitentag von 1889 wurden realistischerweise nicht mehr international genannt. Bei den Teilnehmern handelte es sich nicht um Delegierte einer Dachorganisation; die Delegierten der Reformvereine in Dresden 1882 hatten eigene Sitzungen.

Der Kongress führte nur zur Gründung eines Komitees, das einen weiteren Kongress vorbereiten sollte.[97] Die Kongresse von Dresden und Chemnitz hatten keine Breitenwirkung und bestimmten auch nicht die weitere Entwicklung des deutschen Antisemitismus.[98] Viele der Antisemiten hatten politisch eine liberale Herkunft, und wirtschaftliche Fragen dominierten. Dadurch entstand Streit mit den eher christlichen „Moderaten“ um Stöcker, auch Pinkert, aber auch andererseits mit den (noch radikaleren) Rasseantisemiten wie Henrici oder Amman. Liebermann von Sonnenberg richtete an letzteren 1883 die Worte, er möge „nach 50 Jahren mit solchen Anträgen wiederkommen, dann werden sie vielleicht Annahme finden können, und wohl auch da nicht ganz“.[99]

In Abgrenzung zu Stoeckers christlich motiviertem Antisemitismus gründete der Publizist Wilhelm Marr im Oktober 1879 die "Antisemitenliga", die schnell zahlreiche, mehrheitlich nicht kirchlich gebundene Mitglieder gewinnen konnte.[100] In ihrer vorwiegend publizistischen Tätigkeit postulierte die Liga den rassistisch begründeten Kampf gegen eine angebliche jüdische Bedrohung und forderte die Vertreibung aller Juden aus Deutschland. Die "Antisemitenliga" unterstütze die "Antisemiten-Petition" gegen die soziale und rechtliche Gleichstellung der Juden. Deren Initiator Max Liebermann von Sonnenberg, ein hochdekorierter Veteran des Deutsch-Französischen Kriegs, gründete 1881 zusammen mit dem Publizisten Bernhard Förster (1843-1889) den Deutschen Volksverein. Deren überwiegend national-konservativen antisemitischen Mitglieder agierten vor allem gegen die "verjudete" Deutsche Fortschrittspartei.

Die frühe antisemitische Bewegung in Berlin war von Beginn an zerstritten hinsichtlich ihrer ideologischen und pragmatischen Ausrichtung.[101] Während auf der einen Seite sozialpolitische Forderungen mit antisemitischen Argumenten untermauert wurden, verlangten die radikalen Antisemiten weitreichende gesetzliche Beschränkungen des jüdischen Lebens in Deutschland. Mehrere Initiativen eines Zusammenschlusses der verschiedenen antisemitischen Gruppierungen, wie die von Adolf Stoecker initiierte konservative "Berliner Bewegung" oder der unter der Führung von Ernst Henrici (1854-1915) ins Leben gerufene Soziale Reichsverein, scheiterten. Gerade wegen dieser Zerrissenheit beachteten die etablierten Parteien die sich politisch formierende antisemitische Bewegung nur beiläufig.[102]

Neben Berlin war Sachsen ein weiteres Zentrum antisemitischer Parteien. Der Kleinunternehmer und Lokalpolitiker Alexander Pinkert gründete 1879 in Dresden den antisemitischen Deutschen Reformverein. Im Gegensatz zu den anderen Gruppierungen überwand der Reformverein, der sich 1881 in Deutsche Reformpartei umbenannte, seinen lokalen Charakter und etablierte selbständige regionale Ortsgruppen in Hessen und Westfalen. 1882 wurde ein erster internationaler antijüdischer Kongress nach Dresden einberufen, der die Beziehungen verschiedener nationaler und internationaler Gruppierungen neu koordinieren sollte. Doch auch ein zweiter Kongress, der ein Jahr später in Chemnitz stattfand, konnte die starken Gegensätze zwischen radikalen und gemäßigten Antisemiten nicht beseitigen.

Mit der wirtschaftlichen Erholung ab 1882 begann der politische Antisemitismus zeitweise abzuflauen. Stöckers Partei schloss sich bereits 1881 der Deutschkonservativen Partei an. Weitere Versuche einer Einigung der antisemitischen Splitterparteien blieben erfolglos. Der Schwerpunkt der antisemitischen Agitation verlagerte sich stattdessen in kleinere Städte und ländliche Gebiete: Unter der Führung von Theodor Fritsch etablierte sich die 1884 gegründete "Deutsche Antisemitische Vereinigung" in den sächsischen Kleinstädten. Der Marburger Bibliothekar und antisemitische Agitator Otto Boeckel fand auf dem hessischen Land starken Zuspruch. Bei der Reichstagswahl 1887 wurde er im Wahlkreis Kassel als erster bekennender Antisemit in den Reichstag gewählt.

Auf dem Antisemitentag in Bochum am 10. und 11. Juni 1889 wurde unter Führung Stoeckers und Boeckels erneut die Einigung der verschiedenen antisemitischen Gruppierungen versucht.[103] Die Meinungen gingen aber besonders hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung der neuen Partei auseinander: Während Boeckel und seine Anhänger den eindeutig antisemitischen Charakter der Vereinigung bereits im Namen zum Ausdruck bringen wollten und sich für eine Unabhängigkeit von der Deutschkonservativen Partei aussprachen, wollte die Gruppe um Max Liebermann von Sonnenberg die neue Partei als deutschsozial bezeichnen. Den Kompromissvorschlag "Antisemitische Deutschsoziale Partei" lehnte Boeckel ab und verließ mit seinen hessischen und Dresdner Anhängern die Tagung, eine Einigung kam nicht zustande.

Ein Beispiel für die Verdrängung der Juden aus der Öffentlichkeit war der im Kaiserreich weit verbreitete Bäder-Antisemitismus. Dieser Begriff die weit verbreitete Ausgrenzung und Diskriminierung von jüdischen Gästen in deutschen Kur- und Badeorten, vor allem für die Zeit vor dem Nationalsozialismus. Der Begriff entstand bereits im 19. Jahrhundert.[104]

Erst ab etwa 1870 wurde der Aufenthalt in Erholungsorten auch für das weniger begüterte Bürgertum erschwinglich, und der Badeurlaub kam in Mode. Die weniger renommierten Bäder waren auf die Kleinbürger als zahlende Gäste dringend angewiesen, und da gerade unter ihnen antisemitische Ressentiments weit verbreitet waren, versuchten die jeweiligen Orte, sich bei ihnen mit antijüdischer Reklame zu empfehlen. Der gesellschaftliche Antisemitismus wurde von den Bäderverwaltungen gezielt eingesetzt, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. In vielen Fällen ging die Agitation auch direkt von Kurgästen aus. Dafür gibt es bereits vor 1900 zahlreiche Beispiele. Das wichtigste Motiv war Sozialneid, denn ein Badeurlaub bedeutete soziales Prestige. Gerade das untere Bürgertum fühlte seinen gesellschaftlichen Aufstieg durch so genannte jüdische „Parvenüs“ bedroht.[105]

Die Verbandszeitung des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ veröffentlichte regelmäßig Warnlisten mit den Namen antisemitischer Urlaubsorte, Hotels und Pensionen, die mit der Zeit immer länger wurden. 1899 wurde bereits vor rund 30 Ferienzielen gewarnt. Nach der nationalsozialistischen „Machtübernahme“ 1933 waren die Listen dann überflüssig, denn jetzt waren prinzipiell alle Kurorte judenfeindlich. In diesen Listen waren Badeorte und ganze Inseln an Nord- und Ostsee mit Abstand am stärksten vertreten. Immer wieder genannt wurden Borkum, Juist, Wangerooge, Langeoog, Spiekeroog, Scharbeutz, Müritz, Zinnowitz, Sellin auf Rügen, Bansin und auch Heiligenhafen. Eine vergleichbare Massierung antisemitischer Erholungsorte habe es vor 1933 in keiner anderen deutschen Ferienregion gegeben.

Als „judenfreundlich“ galten nur die Traditionsbäder Norderney, Helgoland, Westerland, Wyk auf Föhr und Heringsdorf, die antisemitische Reklame nicht nötig hatten. Es gab auch – zumindest inoffiziell – das Prädikat „Judenkurort“, als solcher galt beispielsweise Königstein im Taunus, wo sich auch Sommersitze namhafter jüdischer Bürger befanden.[106] Ende des 19. Jahrhunderts warben zahlreiche Bäder damit, „judenfrei“ zu sein, nachzulesen z. B. in einem Inselführer für Borkum aus dem Jahr 1897. Man ersann das „Borkumlied“, das täglich von der Kurkapelle gespielt und von den Gästen gesungen wurde, und in dem es heißt: „An Borkums Strand nur Deutschtum gilt, nur deutsch ist das Panier. Wir halten rein den Ehrenschild Germania für und für! Doch wer dir naht mit platten Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus, der soll nicht deinen Strand genießen, der muß hinaus, der muß hinaus!“[107]

Borkum war bereits zur Jahrhundertwende eine Hochburg der Antisemiten. An Hotels hingen Schilder mit der Aufschrift „Juden und Hunde dürfen hier nicht herein!“, innen gab es einen „Fahrplan zwischen Borkum und Jerusalem (Retourkarten werden nicht ausgegeben)“. Ein 1910 erschienener Reiseführer über die Nordseebäder riet „Israeliten“ vor allem vom Besuch Borkums ab, „da sie sonst gewärtig sein müssen, von den zum Teil sehr antisemitischen Besuchern in rücksichtslosester Weise belästigt zu werden.“[108]

In der Zeit der Weimarer Republik wurde die antisemitische Agitation zunehmend radikaler. Nun wurden die Juden nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg als „Kriegs- und Inflationsgewinnler“ denunziert. Immer häufiger kam es auch zu gewalttätigen Übergriffen gegen jüdische Gäste. Zinnowitz eiferte dem Beispiel Borkums mit einem „Zinnowitzlied“ nach mit den Schlusszeilen: „Und wer da naht vom Stamm Manasse ist nicht begehrt, dem sei’s verwehrt. Wir mögen keine fremde Rasse! Fern bleibt der Itz von Zinnowitz.“[109]

Die Sozialdemokraten - als außerparlamentarische Opposition - blieben in der Debatte stumm und überließen den Linksliberalen das Feld. Kein führender Sozialdemokrat erhob seine Stimme zur Verteidigung der Juden.[110] Erst 13 Jahre später rang sich die Partei zu einer grundsätzlichen Stellungnahme durch. Dennoch: Auf pogromähnliche antisemitische Ausschreitungen am Silvesterabend 1880 in Berlin hin, beriefen die Sozialdemokraten eine Massenversammlung ein, um die Stellung der Arbeiter zur "Judenfrage" klarzulegen. Auch in der Folgezeit demonstrierten sozialdemokratische Arbeiter in antisemitischen Versammlungen.[111]

Doch auch innerhalb der Sozialdemokratie gab es einen volkstümlichen, "taktischen" Antisemitismus - als Reflex auf eine in der Arbeiterschaft verbreitete intellektuellenfeindliche Stimmung. Mit dieser Haltung konnten antisemitische Angriffe gegen die Sozialdemokratie neutralisiert und auf ihre Urheber zurückprojiziert werden. Sicherlich war die deutsche Sozialdemokratie - nach ihrer Selbsteinschätzung - nicht antisemitisch, einzelne Parteigenossen haben ihre Unsicherheit in der "Judenfrage" jedoch nicht abzulegen vermocht, und es gab in der Arbeiterpartei erklärte Antisemiten. Das funktionale Argument der Sozialisten gegen den Antisemitismus war die Behauptung, dass dieser das Klassenbewusstsein der Arbeiter verschleiere und den Klassenkampf in die falsche Richtung lenke. Dieses Argument bemühte sich nicht um das Problem des Antisemitismus als solchen, schon gar nicht um dessen Opfer, sondern bildete sozusagen die funktionale und politische Grundlage in der tagtäglichen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Wer das Judentum nicht mehr religiös, sondern als Synonym mit Geld und "Schacher" definiert, oder - wie Marx - mit dem weltbeherrschenden bösen Prinzip "Kapital", der muss irgendwann seine eigenen Ressentiments in eine gute Ideologie umpolen. Durch den Antisemitismus hindurch zum Klassenbewusstsein - das war ein wichtiges Element im Selbstverständnis der Arbeiterbewegung. Marxens Haltung zur "Judenfrage" hat dazu beigetragen judenfeindliche Vorurteile innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung zu bewahren und den Juden mit dem kapitalistischen Ausbeuter gleichzusetzen. Erst als die Sozialdemokratie begriffen hatte, dass sich Antisemiten und Konservative zu einer Allianz gegen die Arbeiterbewegung zusammengeschlossen hatten und der Antisemitismus eine Domäne und integraler Bestandteil der Rechten geworden war, trat die Partei deutlich und programmatisch dagegen auf. Allgemein lässt sich feststellen, dass die deutsche Sozialdemokratie insgesamt in Theorie und Praxis den Antisemitismus ablehnte, wenngleich sie ebenso grundsätzlich allen Bestrebungen der Juden, ihre religiösen, kulturellen oder nationalen Traditionen zu bewahren oder mit neuem Leben zu erfüllen, gleichgültig bis feindlich gegenüberstand.[112]

Während der stürmischen Industrialisierung und Modernisierung Deutschlands gelang den Juden zwar eine weitgehende Akkulturation, aber von einer "Symbiose" der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung kann nicht die Rede sein. Viele Juden schafften den sozialen Aufstieg in Bereiche des Handelns, einiger Industriebranchen und der Geldwirtschaft. Allgemein strebten sie ins Besitz- und Bildungsbürgertum, da ihnen auch trotz der rechtlichen Emanzipation nach der Reichsgründung de facto Stellungen im öffentlichen Dienst und eine Militärlaufbahn vorenthalten blieben. Obwohl die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 die rechtliche und politische Gleichstellung der Juden gesetzlich verankerte und mithin die Emanzipation äußerlich zu einem Ende gelangt war, bestand eine Kluft zwischen dem geschriebenen und dem in Wirklichkeit geltenden Gesetz, "zwischen Sollen und Sein, zwischen Sittlichkeit und Sitte".[113] So drängten viele in die freien Berufe und den ihnen offenstehenden Kulturbereich - hier ließ sich eine gute Bildung mit der Möglichkeit, Besitz zu erwerben, verbinden. Die Berufe, in denen Juden stärker repräsentiert waren - Verleger, Regisseure, Schauspieler, Journalisten und Kritiker -, waren zugleich diejenigen, denen ein hoher öffentlicher Bekanntheitsgrad zukam. Folglich waren die Antisemiten religiöser, wirtschaftlicher und rassistischer Prägung ohne große Schwierigkeiten imstande, auf die "Überfremdung" des deutschen Volkes durch die Juden hinzuweisen und, indem sie deren weithin bekannte Namen nannten, diese als Träger der Moderne und damit als die Zerstörer der althergebrachten Ordnung zu brandmarken.

Ein Beispiel für die Verdrängung der Juden aus der Öffentlichkeit war der im Kaiserreich weit verbreitete Bäder-Antisemitismus. Dieser Begriff die weit verbreitete Ausgrenzung und Diskriminierung von jüdischen Gästen in deutschen Kur- und Badeorten, vor allem für die Zeit vor dem Nationalsozialismus. Der Begriff entstand bereits im 19. Jahrhundert.[114]

Erst ab etwa 1870 wurde der Aufenthalt in Erholungsorten auch für das weniger begüterte Bürgertum erschwinglich, und der Badeurlaub kam in Mode. Die weniger renommierten Bäder waren auf die Kleinbürger als zahlende Gäste dringend angewiesen, und da gerade unter ihnen antisemitische Ressentiments weit verbreitet waren, versuchten die jeweiligen Orte, sich bei ihnen mit antijüdischer Reklame zu empfehlen. Der gesellschaftliche Antisemitismus wurde von den Bäderverwaltungen gezielt eingesetzt, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. In vielen Fällen ging die Agitation auch direkt von Kurgästen aus. Dafür gibt es bereits vor 1900 zahlreiche Beispiele. Das wichtigste Motiv war Sozialneid, denn ein Badeurlaub bedeutete soziales Prestige. Gerade das untere Bürgertum fühlte seinen gesellschaftlichen Aufstieg durch so genannte jüdische „Parvenüs“ bedroht.[115]

Die Verbandszeitung des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ veröffentlichte regelmäßig Warnlisten mit den Namen antisemitischer Urlaubsorte, Hotels und Pensionen, die mit der Zeit immer länger wurden. 1899 wurde bereits vor rund 30 Ferienzielen gewarnt. Nach der nationalsozialistischen „Machtübernahme“ 1933 waren die Listen dann überflüssig, denn jetzt waren prinzipiell alle Kurorte judenfeindlich. In diesen Listen waren Badeorte und ganze Inseln an Nord- und Ostsee mit Abstand am stärksten vertreten. Immer wieder genannt wurden Borkum, Juist, Wangerooge, Langeoog, Spiekeroog, Scharbeutz, Müritz, Zinnowitz, Sellin auf Rügen, Bansin und auch Heiligenhafen. Eine vergleichbare Massierung antisemitischer Erholungsorte habe es vor 1933 in keiner anderen deutschen Ferienregion gegeben.

Als „judenfreundlich“ galten nur die Traditionsbäder Norderney, Helgoland, Westerland, Wyk auf Föhr und Heringsdorf, die antisemitische Reklame nicht nötig hatten. Es gab auch – zumindest inoffiziell – das Prädikat „Judenkurort“, als solcher galt beispielsweise Königstein im Taunus, wo sich auch Sommersitze namhafter jüdischer Bürger befanden.[116] Ende des 19. Jahrhunderts warben zahlreiche Bäder damit, „judenfrei“ zu sein, nachzulesen z. B. in einem Inselführer für Borkum aus dem Jahr 1897. Man ersann das „Borkumlied“, das täglich von der Kurkapelle gespielt und von den Gästen gesungen wurde, und in dem es heißt: „An Borkums Strand nur Deutschtum gilt, nur deutsch ist das Panier. Wir halten rein den Ehrenschild Germania für und für! Doch wer dir naht mit platten Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus, der soll nicht deinen Strand genießen, der muß hinaus, der muß hinaus!“[117]

Borkum war bereits zur Jahrhundertwende eine Hochburg der Antisemiten. An Hotels hingen Schilder mit der Aufschrift „Juden und Hunde dürfen hier nicht herein!“, innen gab es einen „Fahrplan zwischen Borkum und Jerusalem (Retourkarten werden nicht ausgegeben)“. Ein 1910 erschienener Reiseführer über die Nordseebäder riet „Israeliten“ vor allem vom Besuch Borkums ab, „da sie sonst gewärtig sein müssen, von den zum Teil sehr antisemitischen Besuchern in rücksichtslosester Weise belästigt zu werden.“[118]

In der Zeit der Weimarer Republik wurde die antisemitische Agitation zunehmend radikaler. Nun wurden die Juden nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg als „Kriegs- und Inflationsgewinnler“ denunziert. Immer häufiger kam es auch zu gewalttätigen Übergriffen gegen jüdische Gäste. Zinnowitz eiferte dem Beispiel Borkums mit einem „Zinnowitzlied“ nach mit den Schlusszeilen: „Und wer da naht vom Stamm Manasse ist nicht begehrt, dem sei’s verwehrt. Wir mögen keine fremde Rasse! Fern bleibt der Itz von Zinnowitz.“[119]

Die Sozialdemokraten - als außerparlamentarische Opposition - blieben in der Debatte stumm und überließen den Linksliberalen das Feld. Kein führender Sozialdemokrat erhob seine Stimme zur Verteidigung der Juden.[120] Erst 13 Jahre später rang sich die Partei zu einer grundsätzlichen Stellungnahme durch. Dennoch: Auf pogromähnliche antisemitische Ausschreitungen am Silvesterabend 1880 in Berlin hin, beriefen die Sozialdemokraten eine Massenversammlung ein, um die Stellung der Arbeiter zur "Judenfrage" klarzulegen. Auch in der Folgezeit demonstrierten sozialdemokratische Arbeiter in antisemitischen Versammlungen.[121]

Doch auch innerhalb der Sozialdemokratie gab es einen volkstümlichen, "taktischen" Antisemitismus - als Reflex auf eine in der Arbeiterschaft verbreitete intellektuellenfeindliche Stimmung. Mit dieser Haltung konnten antisemitische Angriffe gegen die Sozialdemokratie neutralisiert und auf ihre Urheber zurückprojiziert werden. Sicherlich war die deutsche Sozialdemokratie - nach ihrer Selbsteinschätzung - nicht antisemitisch, einzelne Parteigenossen haben ihre Unsicherheit in der "Judenfrage" jedoch nicht abzulegen vermocht, und es gab in der Arbeiterpartei erklärte Antisemiten. Das funktionale Argument der Sozialisten gegen den Antisemitismus war die Behauptung, dass dieser das Klassenbewusstsein der Arbeiter verschleiere und den Klassenkampf in die falsche Richtung lenke. Dieses Argument bemühte sich nicht um das Problem des Antisemitismus als solchen, schon gar nicht um dessen Opfer, sondern bildete sozusagen die funktionale und politische Grundlage in der tagtäglichen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Wer das Judentum nicht mehr religiös, sondern als Synonym mit Geld und "Schacher" definiert, oder - wie Marx - mit dem weltbeherrschenden bösen Prinzip "Kapital", der muss irgendwann seine eigenen Ressentiments in eine gute Ideologie umpolen. Durch den Antisemitismus hindurch zum Klassenbewusstsein - das war ein wichtiges Element im Selbstverständnis der Arbeiterbewegung. Marxens Haltung zur "Judenfrage" hat dazu beigetragen judenfeindliche Vorurteile innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung zu bewahren und den Juden mit dem kapitalistischen Ausbeuter gleichzusetzen. Erst als die Sozialdemokratie begriffen hatte, dass sich Antisemiten und Konservative zu einer Allianz gegen die Arbeiterbewegung zusammengeschlossen hatten und der Antisemitismus eine Domäne und integraler Bestandteil der Rechten geworden war, trat die Partei deutlich und programmatisch dagegen auf. Allgemein lässt sich feststellen, dass die deutsche Sozialdemokratie insgesamt in Theorie und Praxis den Antisemitismus ablehnte, wenngleich sie ebenso grundsätzlich allen Bestrebungen der Juden, ihre religiösen, kulturellen oder nationalen Traditionen zu bewahren oder mit neuem Leben zu erfüllen, gleichgültig bis feindlich gegenüberstand.[122]

Während der stürmischen Industrialisierung und Modernisierung Deutschlands gelang den Juden zwar eine weitgehende Akkulturation, aber von einer "Symbiose" der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung kann nicht die Rede sein. Viele Juden schafften den sozialen Aufstieg in Bereiche des Handelns, einiger Industriebranchen und der Geldwirtschaft. Allgemein strebten sie ins Besitz- und Bildungsbürgertum, da ihnen auch trotz der rechtlichen Emanzipation nach der Reichsgründung de facto Stellungen im öffentlichen Dienst und eine Militärlaufbahn vorenthalten blieben. Obwohl die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 die rechtliche und politische Gleichstellung der Juden gesetzlich verankerte und mithin die Emanzipation äußerlich zu einem Ende gelangt war, bestand eine Kluft zwischen dem geschriebenen und dem in Wirklichkeit geltenden Gesetz, "zwischen Sollen und Sein, zwischen Sittlichkeit und Sitte".[123] So drängten viele in die freien Berufe und den ihnen offenstehenden Kulturbereich - hier ließ sich eine gute Bildung mit der Möglichkeit, Besitz zu erwerben, verbinden. Die Berufe, in denen Juden stärker repräsentiert waren - Verleger, Regisseure, Schauspieler, Journalisten und Kritiker -, waren zugleich diejenigen, denen ein hoher öffentlicher Bekanntheitsgrad zukam. Folglich waren die Antisemiten religiöser, wirtschaftlicher und rassistischer Prägung ohne große Schwierigkeiten imstande, auf die "Überfremdung" des deutschen Volkes durch die Juden hinzuweisen und, indem sie deren weithin bekannte Namen nannten, diese als Träger der Moderne und damit als die Zerstörer der althergebrachten Ordnung zu brandmarken.

Auch in Krisenzeiten konnten die wirklichen Urheber des Massenelends auf die jüdischen "Sündenböcke" verweisen, um die breite Masse zu verdummen und abzulenken. Derartige Krisen erlebte das emanzipierte deutsche Judentum v.a. nach dem "Gründerkrach" ab 1873, als nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und der nachfolgenden Hochkonjunktur die deutsche Wirtschaft zusammenbrach. Für die "große Depression" wurden in der deutschen Öffentlichkeit "Spekulierende" jüdische Kapitalisten verantwortlich gemacht, aber es waren ebenso einzelne jüdische Namen, die als Symbole für den unvorstellbaren wirtschaftlichen Aufstieg galten. Der wirtschaftliche Antisemitismus hatte ein ganzes Arsenal verleumderischer Vorwürfe gegen die Juden parat: unfaire Konkurrenten, volkswirtschaftliche Parasiten, kapitalistische Ausbeuter, ungehemmte Profitstreber, Zerstörer einheimischer und altdeutscher Produktionsweisen, "artfremde" Werbungspraktiker.

Der wirtschaftliche Antisemitismus wuchs sich nach der deutschen Reichsgründung zu einer feststehenden Größe aus: Herkommend aus dem Konkurrenzmotiv, aufgeladen mit Fremdenhass, stabilisiert durch die Ungunst wirtschaftlicher Umstände, entstand besonders in der mittelständischen Bevölkerung ab dem frühen 19. Jh. eine erhebliche Existenzangst, deren Urgrund wiederum den Juden zugeschrieben wurde.[124] Sie galten als internationale Finanzverschwörer, die Inflation, Wirtschaftskrisen und Kriege manipulierten, um sich zu Börsenherren aufzuschwingen, mit dem Ziel, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 war den Juden in Deutschland zwar die volle gesetzliche Gleichberechtigung gewährt worden, doch zugleich markieren die nachfolgenden Krisenjahre den Beginn des modernen Antisemitismus. Nicht mehr religiös, sondern rassisch definiert, sahen sich die Juden nunmehr Vorurteilen ausgesetzt, denen sie nichts entgegenzusetzen vermochten. Innerhalb eines Menschenalters wurde Auschwitz möglich. Antisemitismus als konzertierte Aktion mit dem Ziel, antijüdische Denkweise in politische Aktion umzumünzen, erlangte hauptsächlich in Deutschland Bedeutung. Hauptingredenzien des neuen giftigen Gebräus: als Antikapitalismus verkleideter Antisemitismus mit einem Schuss deutschem Sozialismus. Protagonisten des deutschen Antisemitismus waren u.a. Stöcker, Treitschke, Eugen Dühring, die vorwegnahmen, was die nationalsozialistischen Vernichtungsantisemiten Jahre später in die Tat umsetzten.

Der moderne Antisemitismus formierte sich im politisch-gesellschaftlichen Bereich und fand als integraler Bestandteil in den 1880er Jahren Eingang in Parteiprogramme. Hier manifestierte sich eine fortschritts- und demokratiefeindliche Ideologie, die bewusstseinsstiftend auf die nachfolgenden Jahrzehnte wirkte. Als neues, alles überlagerndes Moment antisemitischer Theorien bildete sich der Begriff der "Rasse" heraus.[125]

In der Zeitspanne von der Reichsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik war die Geschichte der Juden in Deutschland einerseits durch eine fortschreitende Assimilation, andererseits jedoch durch wachsende Widerstände gegen diesen Integrationsprozess gekennzeichnet. Die wirtschaftliche Krise, die sich nach der deutschen Reichsgründung 1871 im "Gründerkrach" von 1873 niederschlug, war der Ausgangspunkt einer organisierten antijüdischen Bewegung. Judenhass war nichts Neues in Deutschland. Aber im Unterschied zu früheren Zeiten war der Hass jetzt nicht gegen die Anhänger des jüdischen Glaubens gerichtet, sondern gegen die Angehörigen der "jüdischen Rasse". Nach dieser Definition galten als Juden auch diejenigen, die sich selbst nicht mehr zum jüdischen Glauben bekannten, durch Taufe aus dem Judentum ausgetreten oder Nachkommen von Juden waren, die eine Generation vorher das Judentum verlassen hatten.

Die moderne Judenfeindschaft in Deutschland bedurfte einer nomenklatorischen Sprachregelung, und diese erhielt sie durch das von Wilhelm Marr 1879 geprägte Wort "Antisemitismus".[126] Dies war der Begriff, mit dem sämtliche antijüdischen Motive und Argumente der vorangegangenen Jahrzehnte gebündelt, etikettiert und zudem alle Vorurteile "verwissenschaftlicht" werden konnten. Seinen kirchlichen und universitären Segen erhielt der moderne Antisemitismus durch den Hofprediger Adolf Stöcker und den Historiker Heinrich v. Treitschke. Kirche und Katheder waren eine unheilige Allianz eingegangen und gaben die Parole aus: "Die Juden sind unser Unglück!"[127]

Marr grenzte sich in seinen Schriften von der traditionellen religiösen Judenfeindschaft ab und behauptete, dass die Juden eine fremde Rasse von „Parasiten“ seien, die erfolgreich die Ausbeutung Deutschlands betreibe.[128] Diesen Paradigmenwechsel von Religion zu Rasse verdeutlichte er durch die Einführung des Begriffs „Antisemitismus“ in den zeitgenössischen politisch-gesellschaftlichen Diskurs. Es ist allerdings nicht sicher, dass die Begriffsschöpfung tatsächlich auf ihn zurückgeht, da das Adjektiv „antisemitisch“ schon 1873 belegt ist.

Agitatorisch erreichte Marr große Resonanz, parteipolitisch hatte er einen Misserfolg nach dem anderen einzustecken. 1890 zog er sich, gesundheitlich angeschlagen und politisch verbittert, ins Privatleben zurück und geriet zuletzt noch in Streit mit seinem Schüler Theodor Fritsch, den er des „Geschäftsantisemitismus“ bezichtigte.[129]

Politisch war Marr mit seiner Liga ab 1880 isoliert, da andere Antisemiten neue Parteien gründeten und eine allzu offene rassistische Propaganda ablehnten. Als Linksliberaler und Atheist blieb er innerhalb der antisemitischen Szene ein Außenseiter. Umgekehrt war er bei der politischen Linken wegen seines Antisemitismus diskreditiert.

Jedoch prägte Marr wesentliche Klischees und Schlagworte, die weit über seinen persönlichen Erfolg hinaus weiterwirkten und die Diskussion um die „Judenfrage“ bestimmten. So legte er 1880 mit seiner Schrift Goldene Ratten und rothe Mäuse die Basis für die verschwörungstheoretische Gleichsetzung von Judentum, Kapitalismus und Kommunismus, wie sie später Adolf Hitler in Mein Kampf vertrat: „Von zwei Seiten wird also die Zerstörung der Gesellschaft betrieben; von Seiten der goldenen und rothen Internationale. Dort vom Standpunkt des krassesten Individualismus aus, hier vom mehr oder weniger bewussten kommunistischen Standpunkt. Das Judenthum hat die Führerschaft der goldenen Internationale übernommen … Die, liberale‘ Gesetzgebung hat uns dem Kapitalismus gegenüber nahezu wehrlos gemacht … Ein Volk von geborenen Kaufleuten unter uns, die Juden, hat eine Aristokratie, die des Geldes, geschaffen, welche alles zermalmt von Oben her, aber zugleich auch eine kaufmännische Pöbelherrschaft, welche durch Schacher und Wucher von Unten herauf die Gesellschaft zerfrisst und zersetzt.“[130]

Gobineau ging von einem gemeinsamen Ursprung aller „Menschenrassen“ in der Schöpfung aus.[131] Doch ihre Verbreitung über die gesamte Erde und die Anpassung an unterschiedliche Lebensräume habe zu einer Ungleichheit der „Rassen“ geführt. Zivilisatorisch hochstehende Fähigkeiten besitze allein die „weiße Rasse“, insbesondere die „Arier“. Ihre Neigung zu Eroberung und Bevölkerungsvermehrung führe aber zu einer zunehmenden Mischung mit den als kulturunfähig titulierten „schwarzen und gelben Rassen“, was eine Nivellierung und Kulturlosigkeit zur Folge hätte.

Gobinistisches Gedankengut lässt sich an vielen Stellen bei Richard Wagner nachweisen. In den Bayreuther Blättern erschien schon 1882/1883 auf Veranlassung Wagners eine umfangreiche Zusammenfassung des „Essai sur l’inégalité des races humaines“ von Hans von Wolzogen. Weiterhin publizierten die Bayreuther Blätter regelmäßig die Berichte der im Jahre 1894 gegründeten Gobineau-Gesellschaft.[132]

Der Rassismus bei Gobineau war noch nicht mit dem Antisemitismus verbunden; diese Verbindung wurde erst durch die Gobineau-Rezeption im Umfeld Richard Wagners hergestellt.[133] Das Werk Gobineaus wurde von Karl Ludwig Schemann, einem Mitglied des Bayreuther Kreises um Cosima Wagner, ins Deutsche übersetzt und nahm Einfluss auf Cosima Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, der Gobineaus Grundgedanken um einen verstärkten Antisemitismus ergänzte. Schemann interpretiert in Gobineaus Werk einen „Rassenkampf“ zwischen „Ariern“ und „Semiten“ hinein, obwohl Gobineau die Juden zur „weißen Rasse“ gezählt hatte.[134]

Wagner bewunderte die Schrift Gobineaus; ihn faszinierte vor allem dessen Vision der Arierdämmung.[135] Er distanzierte sich jedoch in zwei entscheidenden Punkten von Gobineaus Thesen. Erstens lehnte er die standes- bzw. stammesmäßig geschlossenen Ehen als Mittel zur Bewahrung und Weitergabe der „Rassennatur“ ab. Außerdem sah er mit der Rassenmischung das kulturelle Potential der Menschheit als nicht erschöpft an, stattdessen sprach er von einer Befähigung der Gattung zur Mutation. Angesichts der Vernichtungsgefahr, mit der die Menschheit aufgrund der Degeneration konfrontiert sei, sei damit zu rechnen, dass sich die Lebenskraft der Gattung noch einmal verdichte und einen qualitativen Sprung bewirke. Es sollte nicht nur ein höher organisiertes Individuum, sondern eine neue Spezies geschaffen werden: den „Erlöser bzw. den Gottmenschen, in dem sich die Gattung selbst sublimiere“.[136] Wagner hat in der „Rassenmischung“ den „Gewinn einer allgemeinen moralischen Übereinstimmung“ gesehen, auf deren Basis das Kunstwerk der Zukunft gedeihen könne.[137] Richard Wagners Weltbild war geprägt von einer unbestimmten Sehnsucht nach Aufbruch, Umsturz und Revolution, nach einer meist nicht näher definierten neuen Form der Kunst und Gesellschaft durch Untergang des Bestehenden.[138] Seine Gedanken waren durchdrungen von romantischen Aspekten wie der Rückkehr zur Natur und der Ablehnung der Industrialisier­ung, sowie nationalistischer Phantasien von der totalen Homogenität einer „Rasse“ oder eines Volkes.Wenn seine persönliche Eitelkeit angegriffen wurde oder sich der erhoffte finanzielle Erfolg nicht einstellte, machte er dafür häufig eine angebliche jüdische Verschwörung verantwortlich. Die missgünstige Diffamierung von jüdischen Komponisten wie Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn Bartholdy versuchte er mit Schriften wie „Das Judentum in der Musik“ und dem darauf aufbauenden „Brief an Gräfin Muchanow“ zu belegen; um diese persönliche Motivation zu überdecken.[139]

In seinem Werk „Das Judenthum in der Musik“ aus dem Jahre 1869 sprach Wagner ohne notwendigen Bezug auf die musiktheoretische Polemik vom „natürlichen Widerwillen gegen jüdisches Wesen.” Die angebliche Weltherrschaft der Juden wird außerdem angesprochen:[140] „Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles unser Thun und Treiben seine Kraft verliert”. Seine Schrift schließt mit folgenden Worten an die Juden:[141] „Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, - der Untergang!”

Durch praktisch alle Opern Wagners zieht sich wie ein roter Faden der Hass auf das Jüdische, wenn auch in den frühen weniger offensichtlich und bestimmend.

Seine Opern waren „treue mythologische Widerspiegelungen dessen zu sein, was er in seinen Aufsätzen als eine durch das Jüdische verdorbene deutsche Welt beklagt, von welchem sie durch ‚Vernichtung’ oder ‚Untergang’ erlöst werden müsse.“[142]

Seit 1850 hat er die "Vernichtung" oder den "Untergang" des Judentums gefordert. Es stellt sich aber die Frage, ob Wagner von "Vernichtung des Judentums" im übertragenen oder wörtlichen Sinne meinte. Wagners Weltbild in seinem letzten Lebensjahrzehnt ist von der Überzeugung durchdrungen, dass die revolutionäre deutsche Lösung der Judenfrage die Vertreibung sein müsse, da eine Assimilation unmöglich sei. In Cosimas Tagebuch ist zu lesen:[143] „Die Zeitung bringt wieder Nachrichten von Hetzen gegen die Juden in Rußland, und R. meint, es gäbe nur das, Äußerung der Volkskraft, und sagt: Gobineau hat recht, sie fühlen - die Russen -sich noch als Christer.“

Houston Stewart Chamberlain entwickelte sich zu einem großen Anhänger Richard Wagners, engagierte sich in den Wagner- Vereinen von Paris und Wien, schrieb ein Buch über Wagners Musikdramen und lieferte Beiträge für die Bayreuther Blätter. Spätestens als er 1908 Richard Wagners Tochter Eva heiratete und nach Bayreuth übersiedelte, rückte er in den engeren Kreis der Wagnerianer auf.[144] In seinem Werk „Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts“ aus dem Jahre 1899 übernahm Chamberlain von Gobineau die Deutung der Weltgeschichte mit Hilfe des "Rassenprinzips", das er jedoch allein auf den Antagonismus von Ariern und Juden zuspitzte.[145] Die „arisch- germanischen Völker“ wären die einzige kulturschöpferische „Rasse“, während die Juden als „Gegenrasse“ das Prinzip der Zersetzung verkörperten. Laut Chamberlain löse Rassenmischung kulturellen Verfall und politischen Machtverlust aus. Chamberlain listete historiographische und ethnologische „Belege“ auf, die den Niedergang großer Reiche von der Völkerwanderung bis in die Gegenwart aus einer Steigerung des semitischen Blutanteils erklären.[146]

Er spricht nicht von der unaufhaltsamen Degeneration einer reinen „Urrasse“, vielmehr sei „Rassenzucht“ ein historisch offener Prozess. Mit der Identifikation des Schicksals der „arischen Rasse“ und der Weltmission des Deutschtums schmeichelte er dem imperialistischen Sendungsbewusstsein der Ära Wilhelms II. Sein Monumentalwerk wurde zu einer der wichtigsten Schriften seiner Zeit; Chamberlain fand ein breites Echo in Teilen des Bildungsbürgertums auch außerhalb völkischer Kreise.[147]

Der Antisemitismus war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein zentrales Medium der Selbstverständigung in einer sich verändernden Zeit. Das Modell des souveränen Nationalstaates geriet durch Imperialismus und Globalisierung und durch eine zunehmende Dynamik innergesellschaftlicher Klassenkonflikte unter Druck geriet und schien nicht mehr die gegenwärtigen Probleme lösen zu können. Der souveräne Nationalstaat wurde als tragfähiges Ordnungsmodell immer mehr in Frage gestellt.[148]

Immer mehr setzte sich dieser angenommene und rassentheoretisch hergeleitete Gegensatz zum Judentum als eine Art neue Weltdeutung in weiten Teilen des deutschen Bürgertums fest. Mit Recht hat man ihn rückblickend als einen übergreifend gültigen „kulturellen Code“ vor allem bürgerlicher Selbstverständigung im Kaiserreich bezeichnet.[149]

Die Vorstellungen Gobineaus stießen auch bei Friedrich Nietzsche auf Resonanz. In der Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“, stellte er eine Beziehung zwischen dem Prometeus-Mythos und dem arischen Wesen her. Danach äußerte Nietzsche in der „Genealogie der Moral“, „daß die Eroberer- und Herren-Rasse, die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen ist.“.[150]

Er sah „Rasse“ sowohl als etwas Geschichtliches wie etwas Natürliches an.[151] Sie konnte ein Produkt der Natur sein, wie es die blonden Arier der europäischen und indischen Frühzeit waren. Aber sie konnte auch das Resultat von künstlich-gewollten Veredelungsvorgängen sei, die an „unrein“ gewordenen, d.h. gemischten oder gekreuzten Populationen ansetzten. Diese künstlich-gewollte Rassenbildung schien ihn die bedeutendere zu sein:[152] „ Es gibt wahrscheinlich keine reinen, sondern nur reingewordene Rassen, und diese in großer Seltenheit (…) Die Reinheit ist das letzte Resultat von zahllosen Anpassungen, Einsaugungen und Ausscheidungen, und der Fortschritt zur Reinheit zeigt sich darin, daß die in einer Rasse vorhandene Kraft sich immer mehr auf einzelne ausgewählte Funktionen beschränkt, während die vordem zu viel und oft Widersprechendes zu besorgen hatte: (…) weshalb reingewordene Rassen immer auch stärker und schöner geworden sind.“

Für ihn sind „die Griechen (…) das Muster einer reingewordenen Rasse und Kultur“; diesem Beispiel gilt es nachzuahmen und „eine reine europäische Rasse und Kultur“ zu schaffen.Nietzsche verlangte die Züchtung eines neuen Adels, einer Herrenrasse:[153]„Es wird von nun an günstige Vorbedingungen für umfänglichere Herrschaftsgebilde geben, deren Gleichen es noch nicht gegeben hat. Und dies ist noch nicht das Wichtigste: es ist die Entstehung von internationalen Geschlechts-Verbänden möglich gemacht, welche sich die Aufgabe setzten, eine Herren-Rasse heraufzuzüchten, die zukünftigen ‚Herren der Erde’; - eine neue ungeheure, auf der härtesten Selbst-Gesetzgebung aufgebaute Aristokratie, in der dem Willen philosophischer Gewaltmenschen und Künstler-Tyrannen Dauer über Jahr­hunderte gegeben wird: eine höhere Art Menschen, (…)“

Diese künstlich-gewollte Rassenbildung selbst stellte sich Nietzsche nach den Erkenntnissen der aufkommenden wissenschaftlichen Eugenik vor. Die neue Elite sollte in Anlehnung an Platon fernab von den anderen Ständen planvoll herangezüchtet werden.

An Nietzsches Idee, Rassen eher als Ergebnisse einer bewussten Züchtung denn als Naturprodukte aufzufassen, knüpften vor allem die rechten Intellektuellen der „Konservativen Revolution“ an.[154] (…) Moeller van den Bruck bezog sich darauf in seiner Zurückweisung rein biologischer Rassentheorien.[155] Die Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Völkern sollten auf der Grundlage des „Überlebenskampfes“ nach sozialdarwinistischen Prinzipien ausgetragen werden.[156] Edgar Julius Jung unterschied zwischen höher- und minderwertigen Rassen und wollte eine neue Aristokratie nur aus den ersteren schaffen.[157] Hans Blüher sprach von einer „Primärrasse“, die seit Anbeginn der Schöpfung existierte und ihre herausragenden Qualitäten auf dem Wege der Vererbung weitergab. Die „germanischen Rassenart“ nehme hier einen hegemonialen Platz, speziell die Deutsche.[158]Zunächst hatte Nietzsche Wagner in seiner frühen Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ noch als Erneuerer deutscher Kultur gefeiert und ihm in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ einen eigenen Essay „Richard Wagner in Bayreuth“ gewidmet. Diese Verehrung schlug spätestens 1879 nach Wagners vermeintlicher Hinwendung zum Christentum in „Parsifal“ in Feindschaft um. Seitdem warf er Wagner Dekadenz und ein „undeutsches” Wesen vor machte sich über das geistige Niveau der Wagnerianer in Bayreuth lustig. In seiner Spätschriften „Nietzsche contra Wagner“ wiederholte er seine Angriffe und Vorwürfe der „décadence“:[159] „Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens, ein schlechtes Werk. – Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: Ich verachte jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die Sinnlichkeit empfindet.“

Mit der Gründung der "Christlich-sozialen (Arbeiter-)Partei" suchte Stöcker eine parteipolitische Alternative zur weitgehend religionskritischen und kirchenfeindlichen Arbeiterbewegung zu schaffen. Schon zu Beginn seiner politischen Tätigkeit hatte es von ihm sporadisch judenfeindliche Äußerungen gegeben, doch zum Protagonisten des Antisemitismus avancierte er erst Ende der 1870er Jahre. Im September 1879 hielt er mit dem Vortrag "Unsere Forderungen an das moderne Judentum" seine erste programmatische judenfeindliche Rede. Durch das große Echo wurde er mit diesem Thema zum Erfolgsredner, zum Demagogen und Agitator, der große Säle füllte und die Massen mitzureißen verstand.

Für ihn sind „die Griechen (…) das Muster einer reingewordenen Rasse und Kultur“; diesem Beispiel gilt es nachzuahmen und „eine reine europäische Rasse und Kultur“ zu schaffen.Nietzsche verlangte die Züchtung eines neuen Adels, einer Herrenrasse:[160]„Es wird von nun an günstige Vorbedingungen für umfänglichere Herrschaftsgebilde geben, deren Gleichen es noch nicht gegeben hat. Und dies ist noch nicht das Wichtigste: es ist die Entstehung von internationalen Geschlechts-Verbänden möglich gemacht, welche sich die Aufgabe setzten, eine Herren-Rasse heraufzuzüchten, die zukünftigen ‚Herren der Erde’; - eine neue ungeheure, auf der härtesten Selbst-Gesetzgebung aufgebaute Aristokratie, in der dem Willen philosophischer Gewaltmenschen und Künstler-Tyrannen Dauer über Jahr­hunderte gegeben wird: eine höhere Art Menschen, (…)“

Diese künstlich-gewollte Rassenbildung selbst stellte sich Nietzsche nach den Erkenntnissen der aufkommenden wissenschaftlichen Eugenik vor. Die neue Elite sollte in Anlehnung an Platon fernab von den anderen Ständen planvoll herangezüchtet werden.

An Nietzsches Idee, Rassen eher als Ergebnisse einer bewussten Züchtung denn als Naturprodukte aufzufassen, knüpften vor allem die rechten Intellektuellen der „Konservativen Revolution“ an.[161] (…) Moeller van den Bruck bezog sich darauf in seiner Zurückweisung rein biologischer Rassentheorien.[162] Die Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Völkern sollten auf der Grundlage des „Überlebenskampfes“ nach sozialdarwinistischen Prinzipien ausgetragen werden.[163] Edgar Julius Jung unterschied zwischen höher- und minderwertigen Rassen und wollte eine neue Aristokratie nur aus den ersteren schaffen.[164] Hans Blüher sprach von einer „Primärrasse“, die seit Anbeginn der Schöpfung existierte und ihre herausragenden Qualitäten auf dem Wege der Vererbung weitergab. Die „germanischen Rassenart“ nehme hier einen hegemonialen Platz, speziell die Deutsche.[165]Zunächst hatte Nietzsche Wagner in seiner frühen Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ noch als Erneuerer deutscher Kultur gefeiert und ihm in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ einen eigenen Essay „Richard Wagner in Bayreuth“ gewidmet. Diese Verehrung schlug spätestens 1879 nach Wagners vermeintlicher Hinwendung zum Christentum in „Parsifal“ in Feindschaft um. Seitdem warf er Wagner Dekadenz und ein „undeutsches” Wesen vor machte sich über das geistige Niveau der Wagnerianer in Bayreuth lustig. In seiner Spätschriften „Nietzsche contra Wagner“ wiederholte er seine Angriffe und Vorwürfe der „décadence“:[166] „Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens, ein schlechtes Werk. – Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: Ich verachte jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die Sinnlichkeit empfindet.“

Mit der Gründung der "Christlich-sozialen (Arbeiter-)Partei" suchte Stöcker eine parteipolitische Alternative zur weitgehend religionskritischen und kirchenfeindlichen Arbeiterbewegung zu schaffen. Schon zu Beginn seiner politischen Tätigkeit hatte es von ihm sporadisch judenfeindliche Äußerungen gegeben, doch zum Protagonisten des Antisemitismus avancierte er erst Ende der 1870er Jahre. Im September 1879 hielt er mit dem Vortrag "Unsere Forderungen an das moderne Judentum" seine erste programmatische judenfeindliche Rede. Durch das große Echo wurde er mit diesem Thema zum Erfolgsredner, zum Demagogen und Agitator, der große Säle füllte und die Massen mitzureißen verstand.

Der Antisemitismus als Weltbild bot den zu kurz gekommenen Kleinbürgern - und nicht nur diesen - eine praktikable Ideologie an, sämtliche politischen, sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten auf die Juden abzulenken: der Jude als Objekt rhetorischer und realer Aggressionen und Brutalitäten. Die jüdische Minderheit wurde zum gesellschaftlichen "Abladeplatz", auf dem Ressentiments und Minderwertigkeitsgefühle kompensiert werden konnten, ohne das das soziale Gefüge des Volkes dadurch besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde. Im Dunkel wirrer Mythen wurde ein neues Fundament gelegt, auf dessen feste weltanschauliche Pfeiler sich später der rassistische nationalsozialistische Vernichtungsantisemitismus stützen konnte. "Was der Jude glaubt ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei!"[167] war der stereotyp vorgetragene Slogan deutscher Gossenantisemiten. Zwar versuchten sich die Salonantisemiten und intellektuellen Drahtzieher von dem national(sozial)istischen Radauantiemitismus zu distanzieren, der für ihr ästhetisches Gefühl zu blutig war, doch wurden sie die Geister, die sie gerufen hatten, nicht mehr los. Der moderne Antisemitismus zog sich durch alle gesellschaftlichen Schichten, er war die nationale Klammer - bewusstseinsstiftend und konstitutiv für die politische Kultur in Deutschland und Österreich.

Unmittelbar nach der Reichsgründung, in den wirtschaftlichen Rückschlägen der Gründerjahre, artikulierten sich antijüdische Gruppen und Parteien immer deutlicher. Die Zeitschrift, die Judenfeindlichkeit gesellschaftsfähig machte, war die "Gartenlaube". Diese illustrierte Familienzeitschrift mit einer Auflagenhöhe von etwa 400.000 Exemplaren im Jahre 1875 nahm sehr wesentlich Einfluss auf die Bildung des neuen Mittelstandes und verhalf mit einer Artikelserie aus der Feder Otto Glagaus dem Antisemitismus zu einer ungewöhnlichen Popularität bei breiten Bevölkerungsschichten. Die "Gartenlaube" war für "warme Herzen", doch ging es um die Juden, brach eine neue Eiszeit an: "Die ganze Weltgeschichte kennt kein zweites Beispiel, dass ein heimatloses Volk, eine physisch wie psychisch entschieden degenerierte Rasse bloss durch List und Schlauheit, durch Wucher und Schacher über den Erdkreis gebietet."[168]

In parteipolitischer Hinsicht wurde der Antisemitismus in der Gesellschaft im Kaiserreich durch die Deutsche Reformpartei (DRP) vertreten.[169] Die Deutsche Reformpartei (DRP) war eine antisemitische Partei im Deutschen Kaiserreich. Sie wurde zunächst unter dem Namen Antisemitische Volkspartei (AVP) am 20. März 1890 von Otto Böckel gegründet. Die Partei war, ebenso wie die Deutschsoziale Partei aus der 1886 in Kassel gegründeten Deutschen Antisemitischen Vereinigung hervorgegangen. 1893 wurde sie in Deutsche Reformpartei umbenannt und wählte Oswald Zimmermann zum Vorsitzenden.

Im Gegensatz zu den eher konservativen deutschsozialen Antisemiten um Max Liebermann von Sonnenberg verfolgten die „Reformer“ einen antikonservativen Kurs und traten unter der Wahlparole „gegen Junker und Juden“ für soziale Reformen zugunsten der unteren Bevölkerungsschichten ein. Die Spannungen zwischen diesen Gruppen beschrieb der Publizist Hellmut von Gerlach: „Der eine war Mittelständler, der andere Arbeiterfreund, der eine Aristokrat, der andere Demokrat. Der eine rief zum Kampf gegen Juden und Junker auf, der andere ging mit den Großagrariern durch dick und dünn. Bei jeder Abstimmung fiel die Fraktion auseinander.“[170]

Die Partei hatte ihre Schwerpunkte in Hessen unter Otto Böckel und in Sachsen unter Oswald Zimmermann.[171] Gewählt wurde sie vor allem in ländlichen Regionen von Bauern und Handwerkern. Bereits 1887 war Böckel als erster unabhängiger Antisemit in den Reichstag gewählt worden. 1890 gewann die AVP vier Mandate (Böckel, Zimmermann, Pickenbach und Werner).

1893 gewannen die Antisemitenparteien insgesamt 16 Sitze, von denen 11 auf die DRP entfielen. 1894 schloss sich die DRP mit den Deutschsozialen zur Deutschsozialen Reformpartei (DSRP) zusammen. Der Niedergang der Böckel-Bewegung in Hessen schwächte die DRP und stärkte den deutschsozialen Flügel. 1895 wurden die besonders radikalen Antisemiten Otto Böckel und Hermann Ahlwardt aufgrund ihrer antikonservativen Haltung aus der Partei ausgeschlossen, woraufhin sie die Antisemitische Volkspartei neu gründeten.[172] Diese blieb allerdings bedeutungslos. Die „Reformer“ unter Oswald Zimmermann verblieben zunächst in der DSRP, bis sich die Partei 1900 wieder in Deutschsoziale und „Reformer“ aufspaltete. Beide Flügel schlossen sich 1914 in der Deutschvölkischen Partei zusammen, deren Mitglieder den Kern des 1922 verbotenen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes stellten.[173]

Auch Wilhelm Busch, den Pessimismus und Humanismus verbindenden geistreichen, witzigen Dichter und Zeichner, der die Schwächen des Philistertums erkannte und schonungslos karikierte, verließ die Menschenliebe, wenn die Sprache auf die Juden kam: "Und der Jud' mit krummer Ferse, krummer Nas' und krummer Hos' schlängelt sich zur hohen Börse tiefverderbt und seelenlos."[174]

Bei Busch durchdringen sich wirtschaftliche und rassistische Ressentiments zu einem antisemitischen Gemisch, das den Juden immer negative Eigenschaften zuschreibt. "Schmulchen Schievelbeiner" ist für ihn der typische Vertreter des deutschen Juden, dessen charakteristischer Steckbrief sich so liest: "Kurz die Hose, lang der Rock, Krumm die Nase und der Stock, Augen schwarz und Seele grau, Hut nach hinten, Miene schlau - So ist Schmulchen Schievelbeiner. (Schöner ist doch unsereiner!)"

Mit seinen satirischen Zeichnungen und Dichtungen erzielte Busch große Wirkung, seine komisch-grotesken Typen wurden Allgemeinbesitz. Das "Fremde", das "Unheimliche" des Juden, das Busch so wirkungsvoll darstellen konnte, fand in der Romanliteratur wie in der Karikatur zahlreiche Nachahmer. So konnte sich das Bild des krummbeinigen, höckernasigen, schwulstlippigen, hässlichen Juden, der mit unredlichen Mitteln nach dem Geld jagt und unschuldigen blonden Mädchen auflauert, stereotyp verfestigen. Buschs "gutmütige" Karikatur des "Schmulchen Schievelbeiner" war eine rassistische Verzerrung, wie sie dem populären Humoristen bei keiner seiner "deutschstämmigen" Typen in den Sinn gekommen wäre. Durch ihre weite Verbreitung beeinflusste sie das Judenbild und wurde selbst von vielen jüdischen Lesern als eine Karikatur anderer Juden amüsiert zur Kenntnis genommen.

In vulgärer, hämischer und manchmal pornographischer Weise wurden Juden seit 1896 im "Simplicissimus" überzeichnet dargestellt. Diese satirische Wochenschrift stand auf künstlerisch hohem Niveau, und auch die literarischen Beiträge konnten sich sehen lassen - Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse zählten zu den Autoren. Abstoßende Darstellungen sexueller und geschäftlicher Verdächtigungen von Juden versprachen dem Blatt eine höhere Auflage. In einer Karikatur droht der jüdische Unternehmer seinen jungen weiblichen Angestellten in jiddisch: "Man is nich sufrieden mit eiern Leistungen", um dann, nachdem der Zweck des Begehrens erfüllt ist, in bestem Deutsch eine Lösung anzubieten: "Ihr werdet wahrscheinlich am Ersten entlassen. Die endgültige Entscheidung könnt ihr euch heut' Abend bei mir zu Hause in meiner Wohnung abholen."[175] Der Jude als Typus, ausgestattet mit einem fremden Jargon und einem ekelhaften Aussehen nutzt hier, so will der Text glauben machen, ein ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis aus, um mit seinen geilen Wünschen "arische" Mädchen zu schänden. Sexuelle Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen behandelte der "Simplicissimus" regelmäßig, manchmal satirisch kritisch, manchmal voyeuristisch genießend.

Der "hochgelehrte" Houston Stewart Chamberlain, Engländer von Geburt und als Schwiegersohn Richard Wagners in Bayreuth lebend, seit 1914 naturalisiert, sah in den Juden eine durch ein "blutschänderisches Verbrechen" gegen die Natur hervorgegangene "Bastardrasse" mit unreinem Blut: "(...) ein Bastardhund ist nicht selten sehr klug, jedoch niemals zuverlässig, sittlich ist er stets ein Lump".[176] Die wirklich große Rasse aber ist nach Chamberlain die germanische und ihr Hauptvertreter das Deutschtum, die eigentliche "Gegenrasse" die der semitischen Juden.

Paul Bötticher, der sich Paul de Lagarde nannte, hatte sich als Orientalist einen Ruf erworben und galt als ein christlicher Vorkämpfer für eine evangelische Nationalkirche. In seinen "Deutschen Schriften" kommen seine verdrängten atavistischen Hassgefühle in Form eines besonders bösartigen Antisemitismus zum Ausdruck: "Die Juden sind als Juden in jedem europäischen Staate Fremde, und als Fremde nichts anderes als Träger der Verwesung." Viele Deutsche seien zu feige, das jüdische Ungeziefer zu zertreten. Er selbst empfahl im Jahre 1888 folgende "Endlösung": "Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht 'erzogen', sie werden so rasch und gründlich wie möglich unschädlich gemacht.“[177] Lagarde ist ein "Klassiker" des Antisemitismus. In seinem Denken verschmelzen alle Gegensätze und Widersprüche zu einer völkischen Einheitsidee - Einheit von Rasse und Religion, von Blut und Geist. Dabei sind Blut und Rasse nach dem Verständnis der völkischen Ideologie nicht so kompromisslos und starr in rein biologischen Kategorien zu verstehen - weshalb auch christlich-kirchliche Kreise sich haben darauf einlassen können.

All diese Zitate, die beliebig ergänzt werden könnten, sind Gedankengänge des deutschen Kulturbürgertums, in dem der rassisch motivierte Antisemitismus seit den 1880er Jahren ideologisch und emotional fest verankert war. Der moderne Antisemitismus konnte sich auch und gerade etablieren, weil er von "intellektuellen" Agitatoren organisiert wurde, deren Parolen bei den Gebildeten, Halbgebildeten und "dummen Kerls" ankamen - ganz gleich, ob diese dem Kaiserhaus, dem Adel, der Geistlichkeit, der Beamten-, Professoren- und Lehrerschaft, den Angestellten, dem Handwerkertum oder der Kaufmannschaft angehörten. Gegen den antisemitischen Bazillus zeigte sich allein die Arbeiterschaft weitgehend immun.

Die große Verbreitung und politische Wirksamkeit des Antisemitismus - im Jahre 1893 gab es z.B. 16 Abgeordnete antisemitischer Parteien im Reichstag - führten den Juden vor Augen, dass die Integration in die Gesellschaft des wilhelminischen Kaiserreiches nicht so problemlos verlaufen würde, wie es nach der in der Reichsverfassung verbrieften Rechtsgleichheit schien.[178] Sowohl die Argumentation während der Emanzipationszeit, die Juden hätten ihre "Eigenart" aufzugeben und sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen, wie auch die Vorwürfe der Antisemiten, die den Juden generell "undeutsche" Eigenschaften und Fremdheit vorwarfen und damit grundsätzlich die Möglichkeit ihrer gesellschaftlichen Anpassung negierten, hatten die jüdischen Staatsbürger veranlasst, ihre deutsche Seite stets sehr deutlich zu betonen. Trotzt der Erfahrungen des Antisemitismus hat die Mehrheit der deutschen Juden den Weg der Assimilation niemals in Frage gestellt. Nur ein kleiner Teil zog aus der Realität des Antisemitismus die Konsequenz, sich der um die Jahrhundertwende entwickelnden zionistischen Bewegung anzuschließen.

Wie keine andere nationalistische Organisation im Deutschland des Kaiserreichs wirkte der im Jahre 1891 gegründete "Alldeutsche Verband" an der Herausbildung und Verbreitung des Rassenantisemitismus mit. Als Sammelbecken der Antisemiten übernahm er die Führung der völkischen Bewegung. In dem großes Aufsehen erregenden (1912 pseudonym erschienenen) Buch seines Vorsitzenden Heinrich Class "Wenn ich Kaiser wär" sind Forderungen zur "Behandlung" der Juden enthalten, die zehn Jahre später im Programm der NSDAP wiederkehren sollten. In dieser Propagandaschrift entwickelte Class seine Pläne, die darauf abzielten, jede weitere Demokratisierung Deutschlands zu verhindern und bereits eingeleitete Entwicklungen rückgängig zu machen. Class forderte u.a. die Aufhebung der Judenemanzipation, Verhinderung jeder jüdischen Einwanderung, Ausweisung aller nichteingebürgerten Juden und ein Fremdenrecht für alle deutschen Juden. [179]

Die grundlegenden Elemente der Ideologie der Alldeutschen fanden sich auch in deren Idee des völkischen Staats wieder. Die beiden Alldeutschen Heinrich Class und Leopold von Vietinghoff-Scheel entwarfen mehrere, komplexe Konzepte für dieses Hochziel des Verbandes. Im Wesentlichen basierten diese Pläne auf rassistischen und antisemitischen Ansichten und sahen deshalb eine Aussonderung nicht-deutscher Bürger vor. Danach könnte sich „das deutsche Volk … seelisch, geistig und körperlich von Stufe zu Stufe“ fortentwickeln. Dabei zeigt sich erneut das Ziel einer Rassenreinheit. Vietinghoff-Scheel forderte darüber hinaus eine Differenzierung der Bevölkerung in rassistischen Kategorien (wie etwa ‚Brauchbare‘ oder ‚Minderwertige‘). Von besonderer Bedeutung waren dabei die Themen Bildung und Jugend. Bereits bei der Schulbildung sollten alldeutsche, völkische Ansichten und Werte vermittelt werden, um die folgenden Generationen mit diesen Vorstellungen und Ideen zu prägen. Darüber hinaus sollte eine neue Reichs- und Wirtschaftsordnung geschaffen und eine verstärkte Politik in Bezug auf Bevölkerung und Raumplanung betrieben werden. Die Ablehnung von Parlamentarismus und Liberalismus führten zu der alldeutschen Forderung nach einer völkischen Diktatur.

Das Bewusstsein ihrer gesellschaftlichen Randstellung beeinflusste die Haltung der deutschen Juden im 1. Weltkrieg. Mit dem grössten Teil der nichtjüdischen Bevölkerung ließ sich die Mehrheit der Juden von der allgemeinen Kriegsbegeisterung mitreißen. In den Synagogen wurde für den "Sieg der deutschen Waffen" gebetet und in den jüdischen Zeitungen erschienen Kriegsgedichte, die in ihrem patriotischen Überschwang die Stimmung jener Tage widerspiegelten. In allen öffentlichen Aufrufen kam jedoch noch ein weiteres Motiv zum Ausdruck: Die große Mehrheit der Juden hoffte, durch die Betonung ihrer patriotischen Gesinnung die letzten Hindernisse auf dem Wege der Eingliederung in die deutsche Gesellschaft zu überwinden. Auch die jüdischen Freiwilligen wollten als "stammesstolze Juden" zu den "besten Söhnen des Vaterlandes" gehören.[180]

Selbst im Lager der offenen Antisemiten schien es zunächst, als ob man denn jüdisch-nichtjüdischen "Burgfrieden" akzeptieren wollte. Jedenfalls schrieb Houston St. Chamberlain 1915: "Deutschland zählt (...) zehnmal soviele Juden (als England), und wo sind sie jetzt! Wie weggeputzt von der gewaltigen Erhebung: als 'Juden' nicht mehr auffindbar, denn sie tun ihre Pflicht als Deutsche vor dem Feinde oder daheim."[181]

Doch die Verbrüderung war trügerisch. War der Antisemitismus in Deutschland bei Kriegsbeginn "staatlicherseits" obsolet geworden, so wurde er nach der Besetzung Russisch-Polens durch deutsche Truppen 1915 sehr bald vehement wiederbelebt. Als billige Arbeitskräfte teils freiwillig angeworben, teils gewaltsam ins Deutsche Reich deportiert, wurden die ostjüdischen Arbeiter bald Anlass zu wilder Agitation. Und weil die Regierung Bethmann-Hollweg nach Ansicht der Völkischen nicht genug gegen den "Zustrom" der Ostjuden tat, wurde sie als "verjudet" beschimpft. Die extremen Nationalisten und Antisemiten gaben jede Form der Zurückhaltung, auch dem Kaiser gegenüber, auf.

"Überall grinst das Judengesicht, nur im Schützengraben nicht!" war ein für diese Zeit typischer, die Juden verunglimpfender und diffamierender Spottvers, der nicht nur an deutschen Stammtischen die Runde machte.[182] So ist es nicht verwunderlich, dass es im Herbst 1916 auf antisemitischen Druck zu einer sog. "Judenzählung" kam, mit deren Hilfe das Kriegsministerium die aktive Beteiligung der jüdischen Soldaten am Weltkrieg nachprüfen ließ. Dass dieser statistischen Erhebung antisemitische Motive zugrunde lagen, geht nicht nur aus der Tatsache hervor, dass ausschließlich jüdische Soldaten erfasst wurden, sondern auch daraus, dass ihr Ergebnis nicht veröffentlicht wurde, so dass antisemitische Agitatoren weiterhin das Märchen von der "jüdischen Drückebergerei" verbreiten konnten. Bekannt gemacht, hätten die Daten das Gegenteil des von den Initiatoren der Erhebung Beabsichtigten belegt. Die "Judenzählung", mit der der antisemitischen Agitation erstmals ein Durchbruch größten Ausmaßes glückte, hatte für die Betroffenen nur die Wirkung, stigmatisiert und degradiert worden zu sein.

Das Militär war vollends zur Kaderschmiede der Judenfeindschaft geworden. Spott und Witze über die angebliche Untauglichkeit der Juden als Soldaten hatten geradezu sprichwörtlichen Charakter und machten in Offizierskasinos und in breiten Gesellschaftskreisen des wilhelminischen Deutschlands die Runde.[183] Dabei hatten die Juden in Deutschland seit den Befreiungskriegen ihre Pflicht als Soldaten tapfer erfüllt und sich damit gewissermaßen ihre Gleichberechtigung als loyale Staatsbürger "erkämpft". Doch das Militär blieb der gesellschaftliche Bereich, in dem die Juden auch nach der rechtlichen Emanzipation keine Aufstiegsmöglichkeiten besaßen. Bei aller weitverbreiteten, aus der jüdischen Tradition abzuleitenden pazifistischen Grundhaltung dokumentierten Juden ihren Patriotismus auch dadurch, dass sie in fünf Kriegen in aller Regel freiwillig zu den Fahnen eilten.

In seiner autobiographischen Schrift "Mein Weg als Deutscher und Jude" hat Jakob Wassermann die Atmosphäre im Vorkriegsheer in eindrucksvoll-erschreckender Weise festgehalten. Schon die distanziert-verächtliche Haltung der Vorgesetzten sei schwer erträglich gewesen: "Obwohl ich meine Ehre und ganze Kraft darein setzte, als Soldat meine Pflicht zu tun und das geforderte Maß der Leistung zu erfüllen, (...) gelang es mir nicht, die Anerkennung meiner Vorgesetzten zu erringen, und ich merkte bald, dass es mir auch bei exemplarischer Führung nicht gelungen wäre, dass es nicht gelingen konnte, weil die Absicht dawider war." Und weiter: "Von gesellschaftlicher Anerkennung konnte nicht die Rede sein, (...) Beförderung über eine zugestandene Grenze hinaus kam nicht in Frage, alles, weil die bürgerliche Legitimation unter der Rubrik Glaubensbekenntnis die Bezeichnung Jude trug." Bei den niederen militärischen Rängen, den Mannschaften, spürte Wassermann eine besondere Judenfeindschaft, die er als noch "quälender" empfand als das Verhalten der Vorgesetzten: "Auffallender, weitaus quälender war mir (...) das Verhalten der Mannschaften. Zum ersten Mal begegnete ich jenem in den Volkskörper gedrungenen, dumpfen, starren, fast sprachlosen Hass, von dem der Name Antisemitismus fast nichts aussagt, weil er weder die Art, noch die Quelle, noch die Tiefe, noch das Ziel zu erkennen gibt. Dieser Hass hat Züge des Aberglaubens ebenso wie der freiwilligen Verblendung, (...) der Ranküne des Benachteiligten, Betrogenen ebenso wie der Unwissenheit, der Lüge und Gewissenlosigkeit (...) wie des religiösen Fanatismus. Gier und Neugier sind in ihm, Blutdurst, Angst, verführt, verlockt zu werden, Lust am Geheimnis und Niedrigkeit der Selbsteinschätzung." Und den Antisemitismus deutscher Prägung sieht Wassermann so: "Er ist in solcher Verquickung und Hintergründigkeit ein besonderes deutsches Phänomen. Es ist ein deutscher Hass."[184]

Die Dreyfus Affäre in Frankreich blieb auch in Deutschland nicht unbeachtet und wurde kontrovers zwischen Antisemiten und toleranten Menschen diskutiert. Als Dreyfus-Affäre bezeichnet man die Verurteilung des französischen Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus 1894 durch ein Kriegsgericht in Paris wegen angeblichen Landesverrats zugunsten des Deutschen Kaiserreichs und die dadurch ausgelösten, sich über Jahre hinziehenden öffentlichen Auseinandersetzungen und weiteren Gerichtsverfahren.[185] Die Verurteilung des aus dem Elsass stammenden jüdischen Offiziers basierte auf rechtswidrigen Beweisen und zweifelhaften Handschriftengutachten. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Freispruch Dreyfus’ setzten sich zunächst nur Familienmitglieder und einige wenige Personen ein, denen im Verlauf des Prozesses Zweifel an der Schuld des Angeklagten gekommen waren.

Der Justizirrtum weitete sich zum ganz Frankreich erschütternden Skandal aus. Höchste Kreise im Militär wollten die Rehabilitierung Dreyfus’ und die Verurteilung des tatsächlichen Verräters Major Ferdinand Walsin-Esterházy verhindern.[186] Antisemitische, klerikale und monarchistische Zeitungen und Politiker hetzten Teile der Bevölkerung auf, während Menschen, die Dreyfus zu Hilfe kommen wollten, ihrerseits bedroht, verurteilt oder aus der Armee entlassen wurden. Der bedeutende naturalistische Schriftsteller und Journalist Émile Zola musste beispielsweise aus dem Land fliehen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Er hatte 1898 mit seinem berühmt gewordenen Artikel J’accuse…! (Ich klage an …!) angeprangert, dass der eigentlich Schuldige freigesprochen wurde.[187]

Die im Juni 1899 neu gebildete Regierung unter Pierre Waldeck-Rousseau setzte auf einen Kompromiss, nicht auf eine grundsätzliche Korrektur des Fehlurteils, um die Auseinandersetzungen in der Affäre Dreyfus zu beenden. Wenige Wochen nach seiner zweiten Verurteilung wurde Dreyfus begnadigt. Ein Amnestiegesetz garantierte gleichzeitig Straffreiheit für alle mit der Dreyfus-Affäre im Zusammenhang stehenden Rechtsbrüche. Lediglich Alfred Dreyfus war von dieser Amnestie ausgenommen, was es ihm ermöglichte, sich weiter um eine Revision des Urteils gegen sich zu bemühen. Am 12. Juli 1906 hob schließlich das zivile Oberste Berufungsgericht das Urteil gegen Dreyfus auf und rehabilitierte ihn vollständig. Dreyfus wurde wieder in die Armee aufgenommen, zum Major befördert und darüber hinaus zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt. Der strafversetzte Major Marie-Georges Picquart, ehemals Leiter des französischen Auslandsnachrichtendienstes (Deuxième Bureau) und eine Schlüsselfigur bei der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus, kehrte mit dem Rang eines Brigadegenerals in die Armee zurück.[188]

Die Dreyfus-Affäre war nach dem Panamaskandal und parallel zur Faschodakrise der dritte große Skandal in dieser Phase der Dritten Republik. Mit Intrigen, Fälschungen, Ministerrücktritten und -stürzen, Gerichtsprozessen, Krawallen, Attentaten, dem Versuch eines Staatsstreiches (23. Februar 1899) und einem zunehmend offenen Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft stürzte die Affäre das Land in eine schwere politische und moralische Krise. Insbesondere während des Kampfes um die Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens war die französische Gesellschaft bis in die Familien hinein tief gespalten.[189]

Die Friedensresolution des Reichstags im Juli 1917 und die Ankündigung der Einführung des gleichen und direkten Wahlrechts in Preussen im selben Monat waren Anlass zu einer immer vulgärer werdenden antisemitischen Phraseologie in der Öffentlichkeit. Demokratische Ideen waren in den Augen der Führer der alldeutschen Verbandsleitung "Gift", und dies war "jüdischer Herkunft".[190] Sie konstatierten die unumstössliche "Schuld des Judentums" an sämtlichen politischen Veränderungen in Deutschland und an allen damaligen Erscheinungen des wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Lebens, die von ihnen aufs schärfste missbilligt wurden.

Bedingt durch Opfer und Entbehrungen, die der Weltkrieg den Menschen auferlegte, nahm der Antisemitismus an Bedeutung zu. Teile der wilhelminischen Machtelite passten sich der veränderten Stimmungslage an und schufen so auf ihre Weise die Grundlage für den administrativen Antisemitismus, der sich durch die nachfolgenden Jahre der Weimarer Republik zog. Noch während des Weltkriegs bildete sich eine reaktionär-demagogisch-nationalistische Bewegung mit antisemitischer Stossrichtung heraus, die in der deutschen Politik einen ebenso gefährlichen wie spürbaren Einfluss ausübte.

Anders als in Russland wurden im nationalen Überschwang bei Ausbruch des Krieges die Juden im Deutschen Reich zusammen mit den Sozialdemokraten zunächst in den sog. "Burgfrieden" einbezogen.[191] Es schien, als sei der gegenseitige Argwohn, mit dem sich die Reichsregierung und die jüdische Gemeinschaft vor dem Krieg gegenübergestanden hatten, überwunden. Die Juden erhofften sich vom Nachweis ihrer patriotischen Gesinnung im Kriegsdienst die völlige Gleichbehandlung in der deutschen Gesellschaft. Dieser patriotische Konsens bestand vom liberalen C.V. über die Orthodoxie bis zu den Zionisten. Tatsächlich wurden Juden wie Walther Rathenau oder Albert Ballin in führende Positionen der Kriegswirtschaft berufen, und die antisemitische Agitation unterlag strenger Zensur. Der "Burgfrieden" erwies sich jedoch als eine "Schönwetter-Konstruktion", die vielleicht bei einem deutschen Sieg bleibende Effekte auf das deutsch-jüdische Verhältnis gehabt hätte. Je mehr sich das Kriegsglück gegen Deutschland wendete, desto mehr Raum gewann die Rechte für ihre antijüdische Agitation. Im Militär machte sich auf allen Ebenen bereits 1915 Antisemitismus wieder offen bemerkbar. Dahinter stand eine Kampagne der Rechten, die Eingaben an die Regierung und das Kriegsministerium organisierte, in denen Juden "Drückebergerei" vorgeworfen wurde. SPD und Fortschrittliche protestierten dagegen im Reichstag, und eine Weile widerstand die Regierung dem Druck von rechts, bis sie schließlich im Oktober 1916 eine "Judenstatistik" anordnete, die den Einsatz von Juden im Heer erfassen sollte. Gegen diese infame Maßnahme erhob sich vor allem von jüdischer Seite Protest, so dass die Ergebnisse nicht veröffentlicht wurden, was antisemitischen Unterstellungen Tür und Tor öffnete. Für die Juden bedeutete die "Judenzählung" eine tiefe Enttäuschung, sie fühlten sich von dem Land verraten, für das sie ihr Leben einsetzten.

Die antijüdische Stimmung der Front und die von der Rechten in die Welt gesetzte Legende von der jüdisch beherrschten Kriegswirtschaft beeinflussten die Bevölkerung, die die Juden als "Schieber" und "Kriegsgewinnler" für die sich im "Kohlrübenwinter" 1916/17 drastisch verschlechternde Versorgungslage verantwortlich machte.

Der Kriegsverlauf spaltete die Deutschen in zwei ideologische Lager: Die Kriegsziele der "Falken" liefen auf einen imperialistischen "Siegfrieden" hinaus, der Deutschland Weltgeltung sichern sollte. Innenpolitisch strebten sie die "Entfernung des Giftes aus dem deutschen Volkskörper" an, womit vor allem das "internationale Judentum" gemeint war.[192] In diesem Lager befanden sich die Spitzenverbände von Industrie und Landwirtschaft, die Konservative Partei, der Alldeutsche Verband und Teile der Nationalliberalen. Ihr Kampf richtete sich gegen die "Flaumacher", die einen Frieden ohne Annexion anstrebten und für Demokratie und soziale Rechte stritten. In diesem Lager fanden sich Liberale, Linke, Juden und Katholiken. Die Polarisierung zwischen beiden Lagern wuchs. Im Reichstag wurde 1917 mit den Stimmen von SPD, Nationalliberalen und Deutschkonservativen eine Friedensresolution verabschiedet. Gegen diese von der Heeresleitung ignorierte Resolution gab es eine heftige Kampagne des AV, der BdL, der Veteranenverbände und antisemitischen Gruppen. Der AV warnte, "der Reichstag der Juden wird einen Judenfrieden machen!"[193] Im September 1917 wurde vom späteren Putschisten Wolfgang Kapp und Admiral v. Tirpitz die "Deutsche Vaterlandspartei" gegründet, die als Sammelbecken völkisch-nationaler und annexionistischer Kreise zur mitgliederstärksten Partei des Kaiserreichs wurde.

Ein weiterer Streitpunkt war die schon vor dem Krieg debattierte "Ostjudenfrage", also die Einwanderung russischer Juden nach Deutschland (bis 1915 ca. 90.000), die sich schon bald nach dem Kriegsausbruch intensivierte, da man nun mit der Ausdehnung Deutschlands nach Osten die Gefahr einer Masseneinwanderung heraufkommen sah.[194] In der Broschüre "Die Ostjudenfrage, Zionismus und Grenzschluß" warnte Geheimrat Georg Fritz schon 1915 vor der Flut von "Millionen nicht nur armer, leiblich und sittlich verkümmerter Menschen, sondern rassefremder, verjudeter Mongolen". Für eine Grenzsperre für Ostjuden gab es durchaus auch Sympathie bei deutschen Juden, die eine Verschärfung des Antisemitismus befürchteten, warnten doch rechtsstehende Verbände, die verstärkte Zuwanderung würde zum Wiederaufleben der "Judenfrage" führen, die dann nur durch Aufhebung der Gleichberechtigung zu lösen wäre.[195] Im April 1918 kam es dann zur medizinalpolitisch mit Fleckfieber begründeten Grenzschließung, obwohl man allenthalben in Osteuropa Fremdarbeiter für die deutsche Wirtschaft anwarb. Trotz der Proteste deutsch-jüdischer Organisationen und des Auswärtigen Amtes blieb die Grenzsperre bis Kriegsende bestehen.

Die Alldeutschen und andere völkische und antisemitische Gruppen mussten nicht den Waffenstillstand, die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik im November 1918 abwarten, um den Juden die Schuld an der Niederlage zu geben, hatten sie doch bereits 1917 den Krieg in einen Kampf ums Dasein zwischen Deutschtum und Judentum umgedeutet.[196] Noch im September 1918 gründeten sie zur Koordination der antisemitischen Aktivitäten einen "Ausschuss für die Bekämpfung des Judentums", der die Bereitschaft signalisierte, Antisemitismus bedenkenlos als politische Waffe bis hin zum Mord einzusetzen. Mit der "Dolchstoßlegende" besaß man ein wirksames Propagandainstrument, um die Wende des Krieges aus der Verantwortung des Militärs auf andere Gruppen wie Juden und Sozialdemokraten abzuschieben. Auf jüdischer Seite sah man diese Aktivitäten mit Sorge und fürchtete, dass man sich würde "auf einen Judenkrieg nach dem Kriege gefasst machen müssen".[197]

Der Antisemitismus der Vor- und Nachkriegszeit besitzt starke organisatorische, personelle und inhaltliche Kontinuitäten, dennoch spricht vieles dafür, im Zusammenbruch der europäischen Ordnung von 1914 und im Erleben des ersten Massenkrieges und -todes eine Zäsur zu sehen.[198] Die Erfahrung der "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts - die Wirkung des Gaskrieges auf Adolf Hitler ist bekannt - hat gemeinsam mit der von Niederlage und Revolution vor allem, aber nicht nur in den Verliererstaaten zur Ausbreitung eines revolutionären Hypernationalismus (Faschismus) geführt und die Bereitschaft der Bevölkerung verstärkt, den "alten" Behauptungen der Antisemiten zu glauben, die "Lösung der Judenfrage" wäre die Lösung der sozialen und nationalen Probleme. Auch wenn die Wurzeln des deutschen und österreichischen Antisemitismus vor 1914 zu suchen sind, so erklären sich seine ungeheure Dynamik und Radikalität nach 1918 aus Krieg, Niederlage, Revolution und Gewalterfahrung. Auch das Beispiel Ungarn zeigt, wie ein scharfer politischer Antisemitismus relativ unvermittelt nach der Niederlage und den Gebietsverlusten von 1918 hervortrat. Offenbar sind durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen die Resonanzbedingungen für antisemitische Politik in vielen europäischen Staaten grundlegend verändert worden.[199]

Gegen den wachsenden Antisemitismus setzten die Juden sich zur Wehr. In einem Aufruf erklärte der "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens": "Keine Macht der Erde wird das Band zerreißen, das sich um die Volksgenossen schlingt. Mit ihnen kämpfen wir, wenn Deutschland weiterkämpfen muss (...) Wir wollen einig sein, vergessen, was Zwietracht geschaffen hat, zurückstellen, was Zwietracht schaffen kann (...)."[200]

Doch dieser patriotische Appell blieb ungehört. Im Gegenteil: Ohne alle Umschweife forderte Class die alldeutschen Aktivisten im Oktober 1918 auf, die krisenhaften Zeitumstände zu "Fanfaren gegen das Judentum" und die Juden "als Blitzableiter für alles Unrecht" zu benutzen.[201] Unumwunden versicherte Class, dass er sich von keinem Mittel zurückschrecken ließe, und forderte seine Zuhörer - sich an ein Zitat Heinrich von Kleists[202] anlehnend -, zur blutigen Rache an den Juden auf: "Schlagt sie tot, das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht!"[203]

Eine Hochburg antisemitischer Feindseligkeit blieb weiterhin das Militär, einschließlich der Freikorps und Freiwilligenverbände. Der Kapp-Putsch in Berlin 1920 machte dies hinreichend augenfällig: Hakenkreuze an Helmen und Fahrzeugen und Handzettel des "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" verteilend, zog die Brigade Ehrhardt in die deutsche Hauptstadt ein. Welches Ausmaß an Verhetzung in diesen Kreisen herrschen konnte, lässt die Eingabe eines bayerischen Freiwilligen erkennen, dessen radikale Haltung vielleicht nicht exemplarisch war, für das Militär wohl aber in ähnlicher Weise die Spitze eines Eisbergs markierte wie für die radikalen völkischen Gruppen und die gesamte, zumindest rechtsgerichtete Bevölkerung Deutschlands.

Die dem bayerischen Ministerpräsidenten 1920 eingereichte und sich ausdrücklich frei von "humanitären Erwägungen" erklärende Denkschrift zur "radikale(n) aber gerechte(n) Lösung der Judenfrage antizipierte die Ergebnisse der Berliner "Wannsee-Konferenz" 21 Jahre später: Innerhalb 24, längstens 48 Stunden, hätten sich 1. "der grösste Teil der Juden" mit den "notwendigsten Bekleidungsstücken" versehen an "bestimmten Sammelstellen" einzufinden. Von diesen Plätzen habe dann der "Abtransport in die Konzentrationslager" zu erfolgen. 2. Juden, die sich "durch Flucht oder durch Bestechung" dieser Internierung zu entziehen suchten, sollten zum Tode verurteilt werden. Ihr Vermögen sei einzuziehen. 3. Deutsche, die den Juden zur Flucht verhelfen würden, sollten "das gleiche Schicksal zu gewärtigen" haben. 4. Eröffne die Entente die Feindseligkeiten gegen Deutschland, so müsse "unverzüglich mit Repressalien an den Juden" geantwortet werden. Bei Verhängung der Blockade "müssen die Juden dem Hungertode ausgeliefert" werden. Erfolge der Einmarsch der Feinde, so müsse "die Niedermetzelung der Juden" stattfinden, bis der Vormarsch eingestellt sei. 5. Die Internierung solle so lange aufrechterhalten werden, wie Deutschland "von inneren und äusseren Feinden bedroht" bleibe. Für den Fall, dass Juden noch überlebten, sollte nach der Beseitigung der "inneren und äusseren Gefahren" deren "restlose Abschiebung" nach Palästina erfolgen, selbstverständlich unter Zurücklassung ihres Besitzes und Vermögens. Eine Rückkehr nach Deutschland habe als "todeswürdiges Verbrechen" zu gelten.[204]

Freikorpssoldaten und Studenten griffen 1919 bei der (vielerorts blutigen) Niederschlagung der kommunalen Räterepubliken zusätzlich Juden an; Rosa Luxemburg wurde kurz vor ihrer Ermordung (15. Januar 1919 in Berlin) als „Judenhure“ beschimpft und schwer misshandelt. Am 21. Februar 1919 fiel der durch die Novemberrevolution in Bayern an die politische Macht gelangte erste Ministerpräsident der bayerischen Republik Kurt Eisner kurz vor seinem geplanten Rücktritt einem auch antisemitisch motivierten Mordanschlag zum Opfer. Etwa zwei Monate später, kurz nach der Niederschlagung der auf Eisners Tod folgenden Münchner Räterepublik, wurde der anarchistische jüdische Intellektuelle und Pazifist Gustav Landauer, einer der Protagonisten der ersten Phase dieser Räterepublik, am 1. Mai 1919 verhaftet, von wachhabenden Freikorpssoldaten im Zuchthaus Stadelheim misshandelt und am 2. Mai 1919 ermordet.[205]

Seit der Republikgründung 1919 konnten Juden erstmals in höchste Staatsämter aufsteigen. Obwohl auch konservative Juden skeptisch gegen die Linksparteien waren, galten sie weithin als Profiteure von Umsturz und Kriegsniederlage. Antisemiten, die bislang auf staatliche Umsetzung ihrer Ziele gehofft hatten, lehnten daher fast immer Revolution und Demokratie zugleich ab, ihre Gegner verteidigten meist beides. Während des Krieges war allzu offene antisemitische Propaganda staatlich zensiert worden, um den „Burgfrieden“ nicht zu gefährden; seit Kriegsende konnten sich die Antisemiten ungehindert neu organisieren und agitieren. Zeitungen wie das Deutsche Wochenblatt und Flugblätter hetzten gegen die Juden. Bei deren Verteilung kam es bis zum Frühjahr 1920 öfter zu Prügeleien auf offener Straße; eingreifende Polizei nahm nicht selten Juden zu ihrem Schutz oder als Anstifter fest.

Neu gegründete rechtsradikale Gruppen wie die Thulegesellschaft propagierten die Dolchstoßlegende. In ihr verbanden sich antisemitische, antisozialistische und antidemokratische Motive so miteinander, dass die gesamte nationale Demütigung – eigene Kriegsschuld, Niederlage, Revolution und Elend der Nachkriegszeit – erneut auf die jüdische Minderheit als deren angebliche Drahtzieher projiziert wurden. Juden und Sozialdemokraten, die fast seit der Reichsgründung als „innere Reichsfeinde“ markiert worden waren, wurden nun auch mit den „Bolschewisten“ identifiziert: Sie seien angeblich dem „im Felde unbesiegten“ Heer heimtückisch in den Rücken gefallen, um Deutschland fremden Mächten auszuliefern und alle kulturellen Werte der Nation zu vernichten. Dabei verwies man auf jüdische Namen unter führenden russischen wie deutschen Revolutionären.[206]

Von 1919 an wurden immer neue völkisch-antisemitische Agitationsverbände gegründet, die in dem über das ganze Reich verbreiteten "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund" mit über 200.000 Mitgliedern ihre grösste organisatorische Plattform besaßen.[207] Mit beträchtlichen finanziellen Unterstützungen durch die Industrie und alle möglichen Wirtschaftsunternehmen konnte diese Organisation mit ihrem antisemitischen Gift in Form von Handzetteln, Flugblättern und Pamphleten aller Art Deutschland millionenfach überschwemmen. In rascher Folge erschienen Pamphlete wie "Judas Schuldbuch"[208], Arthur Dinters Roman "Die Sünde wider das Blut", der - vorsichtig geschätzt - anderthalb Millionen Leser fand, schließlich "Die Protokolle der Weisen von Zion", die den Mythos einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung unter die Massen brachten. In zahlreiche Sprachen übersetzt, feiert diese perfide Fälschung bis in die heutige Zeit fröhliche Urstände.

Die "Protokolle der Weisen von Zion" sind die weitverbreitetsten und hartnäckigsten Dokumente des modernen Antisemitismus.[209] Nicht nur in rechtsextremen Kreisen dienen sie als das Beweisdokument für das vermeintliche Streben der Juden nach der Weltherrschaft. Antisemiten sämtlicher politischer und religiöser Richtungen beziehen sich auf die Protokolle.

Der Text war und ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil er für Menschen reaktionärer Denkweise eine einfache und griffige Welterklärung bietet, die sämtliche unerwünschte Erscheinungen der Moderne auf einen Verursacher zurückführt.[210] Kern der Verschwörungslegende bildet eine geheime jüdische Verbindung, deren Ziel es sein soll, die traditionellen gesellschaftlichen Strukturen mit Hilfe von Demokratie, Liberalismus und Kapitalismus – im Zweifelsfall auch Sozialismus – zu zerstören und auf diese Weise die Weltherrschaft anzustreben.

Der Text, der erstmals am Anfang des 20. Jahrhunderts auftauchte – eine erste russischsprachige Ausgabe erschien 1903 im Zarenreich –, ist in 24 Abschnitte gegliedert, die jeweils das Protokoll einer Versammlung der "Weisen von Zion" darstellen sollen. In den Reden der beteiligten jüdischen Führer geht es – inhaltlich eher unstrukturiert - um die angeblichen Pläne des Weltjudentums, die Weltherrschaft zu übernehmen.[211] Dabei sollen Liberalismus und Demokratie, aber auch Finanzpolitik, eine jüdisch kontrollierte Presse und erforderlichenfalls Terror dazu dienen, die bestehenden Nationalstaaten zu destabilisieren. Am Ende sollen sich die Völker freiwillig in die Hände einer jüdischen Diktatur begeben, die dann umgehend alle Freiheiten, für die sich die Juden zuvor eingesetzt hätten, wieder rückgängig machen würde.[212] Die Darstellung als angebliches Protokoll soll dabei die Glaubwürdigkeit erhöhen. Zudem wird an mehreren Stellen auf die aktuelle Politik in Russland am Ende des 19. Jahrhunderts angespielt.

Die Echtheit des Dokuments wurde dennoch von Beginn an angezweifelt. Bereits 1921 erschien in der Times eine Artikelserie, in der die "Protokolle" als Fälschung entlarvt wurden. Von 1933 bis 1935 befasste sich ein Schweizer Gericht mit der Entstehungsgeschichte des Dokuments und stellte fest, dass der Text dem Genre der "Schundliteratur" zuzurechnen sei und es sich um ein Plagiat handelte.[213] Zweifelsfrei wurden die Quellen und die Schöpfer der "Protokolle" ermittelt. Bedient hatten sich die Schöpfer der "Protokolle" zum Beispiel aus den historisch-politischen Romanen von Hermann Ottomar Friedrich Goedsche, einem Redakteur der konservativen preußischen Kreuzzeitung, der unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe Romane veröffentlichte.

Goedsche war bestrebt, seiner Leserschaft eine antiliberale Überzeugung in einem geschlossenen Weltbild zu vermitteln.[214] Seine Bücher wären längst in Vergessenheit geraten, wäre da nicht eine Szene in seinem Roman "Biarritz" (1868). Sie spielt auf dem berühmten Prager Judenfriedhof. Alle hundert Jahre, so der Roman, treffen sich hier die Vertreter der zwölf jüdischen Stämme, um über den Stand der Welteroberung zu beraten. Der Autor führt an dieser Stelle die wesentlichen politischen und ökonomischen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die organisierten Aktivitäten der jüdischen Minderheit zurück. Damit leistete er einen bedeutenden Beitrag zur Popularität der Denkfigur einer jüdischen Weltverschwörung und lieferte eine literarische Schablone, auf die andere Autoren zurückgreifen konnten. Die besagte Szene wurde seit 1881 auch in eigener Form als "Rede eines Oberrabbiners in geheimer Versammlung" veröffentlicht und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Entlarvung als Fälschung konnte die Verbreitung des Textes kaum aufhalten. Als die Feststellung, es handele sich um "Schundliteratur", zwei Jahre später durch eine Berufungsinstanz in der Schweiz wieder aufgehoben wurde, feierten Antisemiten das Verfahren als Bestätigung für die Echtheit des Textes. Angesichts der propagandistischen Wirkung der "Protokolle der Weisen von Zion" ist ihre Echtheit aber von zweitrangiger Bedeutung, auch, weil Beweise, dass es sich um eine Fälschung handelte, als Lügen der jüdischen Medienmacht abgetan und so selbst zum Bestandteil der Verbreitung wurden.

Mit ihren planmäßigen Kampagnen gelang es den völkischen Organisationen, den ersten demokratischen deutschen Staat als "Judenrepublik" verächtlich zu machen, permanent zu attackiere und schließlich aus den Angeln zu heben.[215] Zur Zielscheibe antisemitischen Terrors wurde auch Walther Rathenau, Deutschlands erster nicht getaufter jüdischer (Außen-)Minister. Aber gerade an der Person Rathenaus zeigt sich die widersprüchliche Lage der Juden in der Weimarer Republik: Zwar genossen sie seit der Novemberrevolution 1918 formal die volle - soziale Aspekte einschließende - Gleichberechtigung und konnten auch Staatsämter bekleiden, andererseits aber war ihre Bedrohung durch den militanten Antisemitismus in hohem Masse gewachsen. Rathenau wurde 1923 von Rechtsradikalen ermordet, die ihn als "Erfüllungspolitiker" denunziert hatten. Bei dem tödlichen Attentat auf ihn spielte aber v.a. die Tatsache eine Rolle, dass er Jude war. "Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!" - so lautete die Parole der rechtsradikalen Stosstrupps.[216]

Antisemitisch eingestellte Studenten und Akademiker und ehemalige DVP-Mitglieder fanden ihre neue politische Heimat nun in einer der rechtsextremen und bürgerlich-konservativen Parteien, vor allem in der DNVP. Diese startete 1919 eine Kampagne gegen sogenannte Ostjuden: Etwa 34.000 meist polnische Juden waren im Krieg als Rüstungsarbeiter angeworben und interniert worden; danach flohen zudem etwa 107.000 in Osteuropa verfolgte und verarmte Juden nach Deutschland. Etwa ein Viertel davon lebte vorübergehend oder dauerhaft in Berlin Mitte. Bis 1921 waren ca. 40 Prozent weitergewandert. Die DNVP verlangte ein Ende des Zuzuges und die Ausweisung der Juden, um so die Meinungsführerschaft gegenüber den „Radauantisemiten“ wiederzugewinnen. In Bayern wurden osteuropäische Juden nach dem Kapp-Putsch 1920 von den Behörden gezielt schikaniert und zum Teil in Abschiebelagern interniert.

1921 schloss die DNVP Juden und Menschen mit einem jüdischen Elternteil aus der Partei aus.[217] Die Deutsche Burschenschaft beschloss 1921 den Ausschluss jüdischer Mitglieder. Mit der Propagierung der „nationalen Revolution“ begünstigten viele Studentenverbindungen den Aufstieg des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds (NSDStB). Mit diesem Schlagwort fanden Konservative, bürgerliche Monarchisten, Befürworter autoritärer Staatsmodelle und des Volkstums einen gemeinsamen ideologischen Nenner. Diese Ablehnung der oft als „Judenrepublik“ verachteten Demokratie im reaktionären Bürgertum gilt als ein wichtiger Faktor, der den Siegeszug des Nationalsozialismus mit ermöglichte.

Zugleich aber gab es Mitte der 1920er Jahre einen Höhepunkt bei Friedhofs- und Synagogenschändungen. Die Schändungen waren in der deutschen Öffentlichkeit weithin diskreditiert und daher besonders provokant, gerade in der politisch vermeintlich ruhigen Phase Mitte der 1920er Jahre. Die abseits der Wohnbebauung gelegenen Friedhöfe waren ein leichtes Angriffsziel. In einer regelrechten Schändungswelle wurden zwischen 1923 und 1932 fast 200 Fälle registriert, darunter auch eine nicht geringe Anzahl in Bayern: Juni 1924 Binswangen/Schwaben; August 1924 Regensburg; Mai 1926 Memmelsdorf i.Ufr. (Lkr. Haßberge); August 1928 Pretzfeld bei Bamberg; Frühjahr 1929 Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt). Auch Synagogen waren ein Ziel der Angriffe, so im April 1927 die Herzog-Max-Synagoge in München, im Oktober 1928 die Synagoge in Hof und im Dezember 1928 diejenige in Gunzenhausen.

Zwei Phänomene stechen dabei hervor: Zum einen handelte es sich bei den Tätern oft um strafunmündige Jugendliche. Zum zweiten galten Schändungen als die "undeutscheste, unchristlichste, roheste, gemeinste, feigste" Form der Judenfeindschaft (so der Schriftsteller Walter von Molo in der CV-Zeitung 21. September 28). Dadurch fiel auch konservativen Zeitgenossen die Distanzierung von den Schändungen leicht, ohne dass sie ihre antisemitische Grundhaltung aufgeben mussten.

Wie die politischen Gewalttaten generell, häuften sich in der Weimarer Republik auch Misshandlungen jüdischer Bürger.[218] Eine Zählung der Taten existiert nicht, so dass man auf Aktenüberlieferung einzelner Straftaten angewiesen ist. Bayerische Fälle sind vor allem in der Frühphase der Weimarer Republik nachweisbar, später scheinen sich die Aktionszentren verlagert zu haben. Schon 1920 wurde in München der Rabbiner Leo Baerwald (1883-1970) bei einer NSDAP-Versammlung mit Adolf Hitler als Redner angepöbelt, seine Begleiter verprügelt. Die stark zunehmende Öffentlichkeit des Antisemitismus, unter anderem durch massenhaft kursierende Flugblätter und Plakate, führte zu Schlägereien, etwa im März 1920 auf dem Münchner Odeonsplatz, als vier jüdische Männer ein Plakat abreißen wollten, eine "Menschenmenge" sie jedoch daran hinderte. Auch gab es regelrechte Boykottkampagnen gegen Firmen mit jüdischen Eigentümern, die persönlich bedroht wurden - zum Beispiel 1922 Simon Rosenberg, Besitzer der Münchner Romeo & Neptun Schuh AG. Im Oktober/November 1923 gab es in Nürnberg und in den fränkischen Gemeinden Untermerzbach (Lkr. Haßberge) und Autenhausen (Lkr. Coburg) brutale Überfälle auf jüdische Bürger. Mit Blick auf die Lage außerhalb Bayerns sind Angriffe mit teils lebensgefährlich Verletzten etwa in Herne und Alzey (1929), in Preußisch Holland und Berlin (Kurfürstendamm-Krawall 1931) zu erwähnen.

Die gewalttätige Offensive radikaler Antisemiten hatte eine starke Wirkungskraft und zog im Lager der Anhänger und Gegner unterschiedliche Reaktionen nach sich.

Im demokratischen Lager bemühte sich vor allem der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV), die größte jüdische Organisation in der Weimarer Republik, um eine gerichtliche Ahndung der Vorfälle. Ein Spezialthema der im CV arbeitenden versierten Juristen wie Wilhelm Levinger (1877-1958) in München oder Ludwig Foerder (1886-1954) in Breslau war der Kampf gegen antisemitische Gesinnung. Antisemitismus per se war in der Weimarer Republik nicht strafbar.[219] Ein Teil der Delikte wurde aber über die Strafgesetzbuch-Paragraphen 166 (Religionsbeschimpfung) und 130 (Aufreizung zum Klassenhaß) geahndet. Der CV bemühte sich nun, durch Präzedenzurteile den Bogen möglichst weit zu spannen und alle Äußerungen von Judenfeindschaft juristisch ahnden zu lassen, scheiterte jedoch letztlich an der zum Teil rechtskonservativen Justiz. So endete ein Prozess vor dem Nürnberger Schwurgericht im November 1929 kläglich: Der CV hatte gegen den Herausgeber des "Stürmers", Julius Streicher (NSDAP, 1885-1946), und seinen Redakteur Karl Holz (1895-1945) geklagt - ein Verfahren mit symbolischer Wirkung, weil der "Stürmer" ein reichsweit bedeutender Stichwortgeber für vehemente, regional agierende Antisemiten war. Doch Streicher und Holz wurden trotz großer Bemühungen des CV wegen Verunglimpfung des Talmuds nach §166 StGB nur zu geringen Strafen verurteilt, was die NSDAP als Triumph zu verkaufen wusste.

Zugleich ist in den 1920er Jahren ein gesellschaftlicher Trend zur Ausgrenzung der Juden unverkennbar, der aber sehr uneinheitlich blieb und nach dem momentanen Forschungsstand nicht quantifiziert werden kann. An den Universitäten etwa wurden einzelne "jüdischstämmige" Gelehrte diskreditiert oder gar vertrieben - in München verfolgbar am Streit um den Chemiker und Nobelpreisträger Richard Willstätter (1872-1942) und den Staatsrechtler Hans Nawiasky (1880-1961). Große Organisationen wie etwa der Alpenverein führten schon Mitte der 1920er Jahren de facto einen "Judenparagraphen" ein, dessen Umsetzung indes im Einzelfall bezweifelt werden kann. Einzelne Hotels in Oberbayern diskriminierten Juden, indem sie ihnen die Aufnahme verweigerten. Es gab auch Gegenbeispiele, etwa Bad Kissingen, wo die Kurverwaltung mit dem CV zusammenarbeitete. Doch der sog. Bäderantisemitismus - also die Diskriminierung von Juden an Kurorten - griff weiter um sich.

Die Geschichte der deutschen Juden seit der Aufklärung ist die Geschichte des allmählichen Hineinwachsens in eine nichtjüdische - christliche - Gesellschaft, die selbst einem langdauernden Wandlungs- und Modernisierungsprozess unterworfen war. Die Forderung aus der Emanzipationszeit, die Juden sollten für die Aufnahme in die deutsche Gesellschaft ihre jüdische Identität aufgeben, war am Ende der Weimarer Zeit weitgehend erfüllt worden. Die Mehrheit der jüdischen Staatsbürger betrachtete ihre Religion als Privatsache und lebte als deutsche Staatsbürger (jüdischen Glaubens) in Deutschland, das für sie Heimat war. Die Fremdheit zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen war weitgehend geschwunden. Juden und Nichtjuden waren ununterscheidbar geworden - und gerade diese Tatsache erfüllte die Antisemiten mit wachsendem Hass. Die Nationalsozialisten, die die Saat der völkischen Alldeutschen ernteten, stellten dann durch Sondergesetze für die deutschen Juden und ihre allmähliche gesellschaftliche Ausgrenzung erneut deren Fremdheit her und kennzeichneten die jüdischen Bürger mit dem gelben Stern.

Wie der Antisemitismus in der Ideologie von nationalistischen und antidemokratischen Organisationen und Parteien seit Beginn des 20. Jh. seinen festen Platz hatte, so nahm er in der Programmatik der Nationalsozialisten von Anfang an eine zentrale Stellung ein. Für sie war der Kampf gegen die Juden zugleich Ziel und Mittel ihrer Politik. Indem die Propaganda der NSDAP sowohl das Finanzkapital als auch den Kommunismus für "jüdisch" erklärte, schuf sie sich eine Möglichkeit, gesellschaftliche und innenpolitische Probleme in den Kampf gegen einen gemeinsamen Feind, "die Juden", umzuleiten.[220]

Dann kam der 30. Januar 1933. Der organisierte Fackelzug in die finstere Nacht, der Beginn von Hitlers Macht. Das Ende der Emanzipation. Ein gewichtiger Vertreter des emanzipierten deutschen Judentums, Jakob Wassermann, dessen millionenfach gedruckte Werke in vielen Bücherschränken standen und der sich als Deutscher und Jude zugleich verstand, hatte - ungeachtet dieser für ihn unlöslichen Verbindung - Jahre zuvor in tiefer Resignation festgestellt: "Es ist vergeblich (...) das Volk der Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage. Es ist vergeblich, die rechte Wange hinzuhalten, wenn die linke geschlagen worden ist, (...) sie schlagen auch die rechte. Es ist vergeblich, in das tobsüchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen. Sie sagen: was, er wagt es aufzumucken? Stopft ihm das Maul. (...) Es ist vergeblich, die Verborgenheit zu suchen. Sie sagen: der Feigling, er verkriecht sich, sein schlechtes Gewissen treibt ihn dazu. Es ist vergeblich, unter sie zu gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit? (...) Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauen frisches. Es ist vergeblich, für sie zu leben und zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude."[221]

Während der Zeit des Nationalsozialismus steigerte sich in Deutschland der Rassenantisemitismus, der alle antisemitischen Strömungen vereinigte, zu einem staatstragenden Vernichtungsantisemitismus. Zwischen 1941 und 1945 wurden ca. 6 Millionen europäische Juden in Vernichtungslagern fabrikmässig ermordet. Dem millionenfachen Judenmord ging die ideologisch-geistige Agitation einer Reihe von Theoretikern seit dem frühen 19. Jahrhundert voraus. Die politische Romantik, deren geistiger Ahnherr der Philosoph Johann Gottlieb Fichte war, die deutschtümelnde Publizistik eines Ernst Moritz Arndt oder Friedrich Ludwig Jahn führten zur sozialdarwinistischen Vorstellung, dass das stärkere Volkstum das schwächere besiege. Der Siegeszug der Naturwissenschaften, der eng mit dem Namen Darwin verknüpft ist, fällt zusammen mit der großen Industrialisierung seit den 1860er Jahren. Die Entwicklung wurde als Ergebnis westlicher Kulturleistung angesehen, die dazu berechtige, andere Völker zu beherrschen.

Diese Volkstumsdoktrinen, die prinzipiell von einer Hierarchie der Menschenrassen und von einer konstanten Ungleichwertigkeit ausgingen und vorgaben, die Deutschen seien als Herrenvolk von der Vorsehung dazu bestimmt, über andere zu herrschen, waren tradiertes, allgemeines, pädagogisch abgestütztes Bildungsgut. Die Volkstumsideologen schrieben den Deutschen alle guten und den Juden alle schlechten Eigenschaften zu, wobei der jüdische Volkscharakter angeboren und verderbt sei und den Krankheitskeim der Zersetzung in sich trage. Aus dieser Überhöhung des nationalen Gefühls speiste sich der aggressive Charakter des manifesten Antisemitismus und wurde sozusagen musterbildend für die spätere völkische und nationalsozialistische Propaganda.[222]

Innerhalb der Völkergemeinschaft hielten sich die Volkstumsideologen für biologisch überlegen gegenüber weniger "zivilisierten" Völkern anderer Hautfarbe und Rasse.[223] Oswald Spenglers Hauptwerk "Der Untergang des Abendlandes", das nach dem 1. Weltkrieg mit großem Erfolg herauskam, unterscheidet zwischen "Kultur" und "Zivilisation". Bei ihm gelten nur die Deutschen als "kultiviert"; die westlichen Völker bloß als "zivilisiert". Anders der Osten, der weder als "kultiviert" noch als "zivilisiert" angesehen wurde. Er wurde als rückständig, minderwertig und unkultiviert betrachtet.[224]

Die Zweite Marokkokrise 1911 nahm er als Demütigung des Deutschen Reichs war, dessen Außenpolitik ihm schwächlich erschien. Dies stellte er später als den Anlass dar, mit der Arbeit an seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes („Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte“) zu beginnen. Im April 1917 schloss er den ersten Band ab, der im September 1918 erschien, wenige Wochen vor Ende des Ersten Weltkriegs, an dem Spengler wegen seiner Gesundheitsprobleme nicht hatte teilnehmen können. Die Koinzidenz zwischen dem unheilverkündenden Titel und der deutschen Niederlage trug zum fulminanten publizistischen Erfolg des Buches bei. Spengler wurde schlagartig berühmt und in literarischen, wissenschaftlichen und politischen Kreisen zum Gegenstand heftiger Debatten und Kontroversen. Der zweite Band erschien 1922. Während seiner rund zehnjährigen Arbeit an seinem Hauptwerk lebte er isoliert, litt unter psychischen Problemen und später unter materiellen Schwierigkeiten. Während seiner Münchner Zeit litt Spengler stark unter seiner sozialen und intellektuellen Isolierung. „Insgeheim vergleicht er sich mit Deutschland, das ebenfalls allein ist.“[225] Er war erschöpft und fühlte sich müde. Dennoch ging er davon aus, dass sein Werk „epochemachend“ sein würde

Zwischen 1914 und 1917 verfasste Spengler zwei undatierte Denkschriften, die nur in Fragmenten überliefert sind. Die eine richtete er an Kaiser Wilhelm II., die andere an den Adel. In seiner Denkschrift an den Kaiser fordert Spengler, dass die „Monarchie der republikanischen Herausforderungen mit der Bereitschaft der Selbsterneuerung begegnen“ müsse.[226] Vom Adel forderte er, dass er auf seine politischen Privilegien verzichtet. Mit seiner antiaufklärerischen Kritik forderte Spengler eine demokratische Elitenbildung, damit „mit großer Wahrscheinlichkeit so starke Begabungen tatsächlich an der geeigneten Stelle und unter hinreichender Schulung vorhanden sind, wie das System stillschweigend voraussetzt“. Spenglers Überzeugung war, dass ein leistungsfähiger Adel in einem monarchischen Staat, der Aufstiegsmöglichkeiten für Nichtadelige bietet, grundsätzlich besser sei als eine reine Demokratie.[227]

Rassistische Dünkel Russen oder Polen gegenüber waren traditionell keine seltene Erscheinung. In den Juden hingegen, zumal aus Osteuropa stammenden, bündelten sich sämtliche Vorurteile in einem die menschliche Existenz bedrohenden Rassenantisemitismus.[228]

Als die Überlebenden des Holocaust aus den Lagern oder den Verstecken kamen, glaubten viele, dass das Ausmaß der Verbrechen jedem Antisemitismus den Boden entziehen und sich, wie Heinz Galinski, bis 1992 Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, es formulierte, "eine Welt auftun (würde), in der Menschenliebe und Verständnis unter den Völkern herrschen werde".

Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt, wenngleich heute in den europäischen Ländern und in den USA im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Antisemitismus in der Bevölkerung deutlich abgenommen hat und es auch keine Diskriminierungen von staatlicher Seite mehr gibt. Dennoch sehen sich Juden in vielen Ländern Vorurteilen und Übergriffen ausgesetzt. In Deutschland haben antisemitische Straftaten in den neunziger Jahren im Vergleich zu den Jahrzehnten davor erheblich zugenommen.

Woher kommen die Vorurteile gegen Juden? Weshalb halten sich antijüdische Stereotype so hartnäckig, obwohl man ihnen nun jahrzehntelang in der Schule und der Öffentlichkeit entgegengetreten ist und in vielen europäischen Ländern nur noch wenige Juden leben? Welche Rolle spielt dabei, dass negative Äußerungen über Juden in der Öffentlichkeit tabuisiert sind, dass das Thema "Juden" von vielen wegen des Holocaust als belastet und heikel empfunden und häufig gemieden wird? Gerade in Deutschland, wo Schuld- und Schamgefühle begreiflicherweise einem normalen, gelassenen Verhältnis zwischen Deutschen und Juden entgegenstehen, eignen sich antijüdische Bemerkungen, Witze oder gar Übergriffe besonders treffsicher als Mittel der Tabuverletzung und Provokation. Insofern gibt es in Deutschland und Österreich auch einen spezifischen "Antisemitismus wegen Auschwitz", der sich gegen die Juden wendet, weil sie als diejenigen gesehen werden, die die Deutschen permanent schmerzlich an die NS-Verbrechen erinnern. Dieser "sekundäre Antisemitismus" greift auf alte antijüdische Vorurteile und Stereotypen zurück und aktualisiert sie. Deshalb muss man, um den heutigen Antisemitismus in seinen verschiedenen Ausprägungen zu verstehen, auf die Geschichte der Judenfeindschaft zurückkommen, in der ein negatives Bild des Juden geprägt wurde, das ein zäher Bestandteil unserer kulturellen Überlieferung geworden ist. Hier liegt die große Gefahr bei der Weitergabe von Stereotypen, denn auch wenn man sie nicht teilt, kennt man die negativen Urteile über die Juden.

Die Judenfeindschaft besitzt mehrere historische Schichten, wobei die älteren Vorurteilsschichten in der nächsten Phase nicht "vergessen", sondern nur von neuen überlagert wurden.

Christlicher Antijudaismus

Die erste Schicht ist die religiös motivierte Ablehnung der Juden durch die Christen, die als abgespaltene jüdische Sekte seit dem ersten Jahrhundert n. Chr. in Konkurrenz zum Judentum standen, das in seiner Mehrheit die christliche Lehre ablehnte. Aus dieser Situation von Nachfolge und Konkurrenz entstand eine bereits im Neuen Testament spürbare antijüdische Tradition, die die Juden als "Volk des alten Bundes" aus dem neuen Gottesbund ausschloss.

Im Zentrum der judenfeindlichen Vorwürfe stand die Überbetonung des Anteils der Juden an der Leidensgeschichte Jesu in den Evangelien (Matthäus 27,25: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder"; Markus 15,6–15; Lukas 23,13–25), die im Vorwurf des Christusmordes gipfelte: "Welche auch den Herrn Jesum getötet haben, und ihre eigenen Propheten, und haben uns verfolgt" (1 Thessalonicher 2,15). Weiter findet sich eine negative Zeichnung der jüdischen Pharisäer und Schriftgelehrten als Heuchler (Matthäus 23,13–29) und Verfechter einer nur äußerlichen Frömmigkeit (Lukas 16,15). Im Johannes-Evangelium werden die Juden schlechthin zu Feinden der Christen erklärt und beschuldigt, sie hätten "den Teufel zum Vater" (8,23 und 8,40–44). Damit haben wir zentrale Bestandteile des religiösen Vorurteils beisammen: Verwerfung der Juden durch Gott, Vorwurf des Christusmordes und der Christenfeindlichkeit. Negative Stereotype aus dem neuen Testament reichen bis in den heutigen Sprachgebrauch hinein: Wir nennen einen Heuchler immer noch "Pharisäer". Judas ist bis heute die Symbolfigur des Verräters, und Juden wurden in der Geschichte häufig des Verrats an ihren "Gastvölkern" bezichtigt.

Der Abschluss der Christianisierung Europas, die innerkirchlichen Reformbewegungen, insbesondere die Missionsbestrebungen der Bettelorden und die Wendung gegen abweichende christliche "Irrlehren" (so genannte Ketzer) und Feinde des Christentums (Kreuzzüge), verbreiteten die Judenfeindschaft über den Kreis der Theologen hinaus unter den Laien, sodass Vorurteile gegen Juden zum festen Bestandteil der erstarkenden Volksfrömmigkeit wurden.

Im 13. Jahrhundert gewannen mit der Verkündigung der Transsubstantiationslehre, die annahm, dass sich beim Abendmahl Brot und Wein real in den Leib und das Blut Christi verwandelten, die geweihte Hostie und das Blut zentrale religiöse Bedeutung. Christen fürchteten nun, Juden würden als "Feinde Christi" die Hostie durchbohren, um damit den Leib Jesu erneut zu verletzen. Dieser Vorwurf der Hostienschändung hat häufig zu antijüdischer Gewalt geführt. Damals kam auch die Befürchtung auf, die Juden würden das Blut von Christen zu rituellen Zwecken benötigen und deshalb Christenknaben rauben oder kaufen, um sie dann zu ermorden. Obwohl diese Vorstellung im Widerspruch zur ausgeprägten Abneigung gegen den Genuss von Blut im Judentum stand (Das Schächtungsgebot sieht beispielsweise das völlige Ausbluten des geschlachteten Tieres vor. Blutig wird das Fleisch als unrein angesehen.) und auch die Kirchenführer ihr widersprachen, verbreitete sich diese so genannte Ritualmordlegende in ganz Europa und hat bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein immer wieder Anlass zu antijüdischen Übergriffen gegeben. Die Vorstellung, dass Andersgläubige Kinder misshandeln und zu rituellen Zwecken opfern, ist historisch und geographisch weit verbreitet. Diese Bedrohungsängste, zu denen – etwa angesichts der sich rasch ausbreitenden Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts – auch die Angst vor Brunnenvergiftungen gehört, machten die Juden zu einer dämonisierten Minderheit, die sich angeblich gegen die Christen verschworen hatte.

Soziale Stereotype

Die geschilderte Entwicklung seit dem 13. Jahrhundert führte zu einer deutlichen Verschlechterung der gesellschaftlichen Stellung der Juden. Kirchlicherseits wurden sie durch die Bestimmungen des IV. Laterankonzils von 1215 zu einer sozial ausgegrenzten Gruppe (Kennzeichnung der Kleidung, Ausschluss von öffentlichen Ämtern). Ihnen wurde die Zulassung zu den sich als christliche Bruderschaften verstehenden Zünften versperrt. Dies zwang die Juden zu einer ökonomischen Spezialisierung auf Handel und Geldleihe, die den Christen aus religiösen Gründen verboten war. Als Finanziers der Feudalherren und der Städte und als Großkaufleute galten sie als "reiche Wucherer", was sie zu einer lohnenden Beute in politischen Konflikten und zum Ziel von Übergriffen machte. Vor allem ihre Schuldner hatten ein Interesse, mit den Juden auch zugleich ihre Schulden loszuwerden.

Kleidungsvorschriften

Das Ziel der Nationalsozialisten war die Stigmatisierung und die vollkommene Isolierung der Juden von der übrigen Bevölkerung. Als Stigmatisierungszeichen verwendeten Nationalsozialisten den sechszackigen Davidstern bereits bei den ersten antisemitischen Ausschreitungen, so beim Boykotttag vom 1. April 1933, bei dem Geschäfte und Arztpraxen von Juden mit einem großen Davidstern beschmiert wurden. Viele Menschen erblickten damals in den Schmierereien einen Rückfall in mittelalterliche Methoden der Kennzeichnung von Juden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Kennzeichnung von Juden im Mittelalter in einem vollkommen anderen Kontext stand. Kleidungsvorschriften existierten im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit für alle Stände der Bevölkerung und waren ein wesentlicher Bestandteil der Ständegesellschaft. Neben den Juden mussten auch andere Außenseiter der Gesellschaft, beispielsweise Seuchenkranke, ein besonderes Erkennungszeichen tragen. Dennoch sind auch hier Absonderung und Stigmatisierung die eigentlichen Ziele dieser Verordnungen. [...]

Hierbei ordnete man erstmals die Farbe Gelb den Juden zu. Gelb galt dann auch während des gesamten christlichen Mittelalters als Farbe zur Kennzeichnung von Außenseitern.

Für die Kennzeichnung der Juden im christlichen Herrschaftsbereich ist das 4. Laterankonzil des Jahres 1215 das entscheidende Datum. Auch hier stellt die Angst vor einer möglichen Vermischung von Juden und Sarazenen einerseits und von Christen andererseits den entscheidenden Beweggrund dar. In den folgenden Jahrhunderten erließen Provinzialsynoden regional unterschiedliche Kleiderordnungen. [...] Die dabei am häufigsten verwendeten Kennzeichnungen waren der spitze Hut (Judenhut), der auf verschiedenen Provinzialsynoden und -erlassen des 13. Jahrhunderts verordnet wurde, und der ­ meist gelbe ­ Ring, den Nicolaus von Kues auf seiner Legationsreise durch Deutschland 1441/42 als Konkretisierung der allgemeinen Beschlüsse des Konzils von Basel festlegte.

In der frühen Neuzeit empfanden die Juden die Kennzeichnungen zunehmend als Stigmatisierung. Berichte verweisen darauf, dass die Regelungen immer häufiger missachtet wurden. Bereits im 16. Jahrhundert konnten sich einzelne Juden von der Kennzeichnungspflicht befreien und ab dem 18. Jahrhundert gab es auch die Möglichkeit, sich vom Tragen der Kennzeichen freizukaufen.

Mit der Lockerung des kirchlichen Wucherverbots (das heißt für die Bereitstellung von Kapital Zinsen zu erheben) wurden Juden durch ihre christlichen Konkurrenten auf die Geldleihe für die ärmeren Schichten und die Hehlerei abgedrängt und damit selbst zu verarmten und verfemten Außenseitern. Auch wenn keineswegs alle Juden zur reichen Schicht der Finanziers gehörten und die Juden später überwiegend eine verarmte Gruppe darstellten, blieb das Bild des "reichen Juden" als Stereotyp haften. Die berufliche Spezialisierung hielt sich teilweise bis ins 20. Jahrhundert hinein, so dass sich das Vorurteil festigte, das die Juden mit Geld(-gier), Kapitalismus und Ausbeutung verband. Man sprach Ende des 19. Jahrhunderts von der "Goldenen Internationale" und verknüpfte dabei die Vorstellung einer großen Finanzmacht der Juden mit dem altbekannten Vorwurf der Weltverschwörung.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein bildeten die Juden eine von der Mehrheitsgesellschaft verachtete, randständig lebende Gruppe mit einem hohen Grad an Selbstverwaltung und einer sehr kleinen und reichen Oberschicht von Hofjuden, die primär mit wirtschaftlichen Aufgaben betraut waren (zum Beispiel Hofbankiers).

Im Laufe der Judenemanzipation, das heißt ihrer allmählichen rechtlichen und sozialen Integration in die christliche Gesellschaft im Zuge der Aufklärungsbewegung, engagierten sich Juden besonders in den politisch fortschrittlichen Bewegungen und Parteien (Liberalismus, später Sozialismus und Kommunismus), die sich für die Gleichstellung der Juden einsetzten und weniger antijüdisch waren als christlich-konservative und völkisch-nationalistische Parteien und Organisationen. Aus diesem politischen Engagement einer intellektuellen Minderheit entwickelte sich das Stereotyp des zu Radikalismus und Umsturz neigenden Juden. Dieser Vorwurf traf besonders die linken und liberalen Parteien der Weimarer Republik, die von ihren Gegnern als "Judenrepublik" verunglimpft wurde. Die Nationalsozialisten sprachen dann vom "jüdischen Bolschewismus", um damit nach der russischen Oktoberrevolution die in der deutschen Bevölkerung verbreitete Furcht vor einem kommunistischen Umsturz für ihren Antisemitismus zu instrumentalisieren.

Rassebegriff

Der Begriff "Rasse" wurde in der Anthropologie seit Ende des 17. Jahrhunderts beschreibend als naturgeschichtlicher Begriff verwendet, um Gruppen von Tieren und Menschen mit gemeinsamen äußeren Merkmalen zu kategorisieren; doch stuften bereits die frühen Klassifikationsschemata Menschen in höhere und niedere Arten ein. An diese Rassentypologien knüpfte der französische Graf Joseph Arthur de Gobineau (1816–1882) in seinem geschichtsphilosophischen "Essai sur l'inégalité des races humaines" (1853/55) an, in dem er die Ungleichheit von Menschenrassen postulierte und soziale Schichtung auf Rassenunterschiede und den angeblichen neuzeitlichen "Kulturverfall" auf die fortschreitende Rassenmischung zurückführte. Die "arische weiße Rasse" verkörperte für ihn den Gipfel kultureller

und moralischer Entwicklung, doch sah er ihre Überlegenheit durch Rassenmischung bedroht. Mit diesem Ariermythos, der Betonung des Blutes und der Unterscheidung in niedere und edlere Rassen hatte Gobineau ein Denkmodell für den rassistischen Antisemitismus vorgegeben.

Einen neuen Gedanken führte der Sozialdarwinismus, eine im Anschluss an Charles Darwin (1809–1882) entstandene sozialphilosophische Strömung ein, indem er dessen Entwicklungstheorie der natürlichen Zuchtwahl von der Pflanzen- und Tierwelt auf die menschliche Gesellschaft übertrug. Die Darwinsche Anpassungstheorie vom "survival of the fittest" wurde zum "Kampf ums Dasein" zwischen "höheren" und "niederen" Rassen umgedeutet. Houston Stewart Chamberlain verband in seinem weit verbreiteten Buch "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) den Mythos vom reinrassigen "Arier" als Kulturträger mit dem Gedanken des Rassenkampfes, wonach die "Arier" der minderwertigen "Mischlingsrasse" der Juden in einem historischen Endkampf gegenüberstünden, in dem es nur Sieg oder Vernichtung geben könnte. Seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde so der vorher religiös oder ökonomisch begründete Antisemitismus zur "Rassenfrage" erklärt, wobei der vage Rassenbegriff eine Reihe anderer Begriffe wie Volk, Nation, Arier, Deutsch- und Germanentum umschloss.

Die nationalsozialistische Rassentheorie setzte diese Tradition fort. Sie lehnte eine Vermischung der Rassen ab. Entsprechend wurden sexuelle Kontakte von "Ariern" und Juden ab 1935 als "Blutschande" strafrechtlich verfolgt. Das vulgärantisemitische NS-Blatt "Der Stürmer" charakterisierte die Juden als zersetzende Elemente und als sexuelle Bedrohung und stufte sie rassentypologisch als "niedere Rasse" ein. Andererseits galten die Juden als gefährlichster Gegner im weltgeschichtlichen Endkampf ("Gegenrasse"), wurden sie doch – unlogischerweise – als die "Drahtzieher" sowohl hinter dem amerikanischen Kapitalismus ("Wall Street") wie auch hinter dem sowjetischen Kommunismus ("jüdischer Bolschewismus") vermutet.

In der Geschichte sind also negative Einstellungen zu Juden aus ganz unterschiedlichen Gründen entstanden und weiter vermittelt worden: Die früheste Schicht bildet die religiöse Feindschaft des Christentums gegenüber dem Judentum. Die (von der christlichen Gesellschaft erzwungene) besondere Berufsstruktur der Juden seit dem Mittelalter führt auf eine zweite Schicht: Die ökonomisch begründete Judenfeindschaft, in der die Juden als Wucherer, Betrüger, später als ausbeuterische Kapitalisten und Spekulanten gebrandmarkt wurden. Damit eng verbunden ist eine weitere Dimension, nämlich die Vorstellung von den Juden als einer mächtigen Gruppe, die mit ihrem Geld weltweit die Politik bestimmt. Hierher gehört das Stereotyp des "Drahtziehers", der Glaube an eine jüdische Weltverschwörung und Pressemacht. Eine weitere Schicht bilden rassistische Vorstellungen über den jüdischen Körper, also die vom schwachen, unsoldatischen (Stereotyp des "Drückebergers"), hässlichen, gebückten und hakennasigen Juden (was die jüdischen Frauen angeht, so dominierte das exotische Bild der "schönen Jüdin"), zum anderen die Fantasien vom sexuell bedrohlichen Juden. Alle diese Dimensionen des antijüdischen Vorurteils sind bis in die Gegenwart mehr oder weniger wirksam geblieben und finden sich heute in aktualisierter Form wieder.

Wandel des Judenbildes

Trotz des Holocaust änderte sich das antijüdische Stereotyp zunächst wenig. Als im Jahre 1951 Studenten der Freien Universität Berlin in einer Studie zu "Nationalen Vorurteilen" Völkern Eigenschaften aus einer Liste von über 300 Merkmalen zuordnen sollten, fanden sich die genannten Stereotype wieder: Es dominierten abwertende Kennzeichnungen des ökonomischen und sozialethischen Verhaltens (Handelsvolk, materiell eingestellt, Schacherer, scheut körperliche Arbeit, raffgierig, Ausbeuter), gefolgt von Begabungen (gute Ärzte, Wissenschaftler, intelligent, redegewandt, sprachbegabt, musikalisch). Diese positiven Stereotype sind allerdings als ambivalent anzusehen, da positive Eigenschaften bei einem "Feind" natürlich gefährlich sind: Dies ist zum Beispiel daran zu erkennen, dass Juden einerseits als intelligent (wie die Deutschen sich selbst sehen), andererseits als raffiniert und schlau charakterisiert wurden. Das rassistische Körperbild lebte in dieser Zeit ebenfalls fort (krumme Nase, unsoldatisch), ebenso wie die Vorstellung eines engen Zusammenhalts der Gruppe ("rassebewusst, Zusammengehörigkeitsgefühl, familiengebunden").

Vom historisch überlieferten Bild fehlten die Dimensionen des religiösen Konflikts und der Politik (radikal, kommunistisch). Eigenschaften, die exklusiv nur einem Volk zugeschrieben werden, spiegeln besonders gut das Stereotyp dieser Gruppe. Demnach werden die Juden als "krummnasig, raffiniert, schlau, raffgierig und heimatlos" bezeichnet, als "Schacherer und Ausbeuter mit einem großen Zusammengehörigkeitsgefühl". Es wird damit ein deutlich negativ akzentuiertes Bild einer Gruppe entworfen, die nicht zur Mehrheitsgesellschaft dazugehört (heimatlos), aber untereinander eng zusammenhält, und die andere Nationen ausbeutet. Zur Einschätzung der Beziehung zwischen zwei Gruppen ist der Vergleich zwischen dem Selbst- und dem Fremdbild aufschlussreich. Die deutschen Studenten des Jahres 1951 schrieben Deutschen und Juden zwar bestimmte Begabungen ("Intelligenz, sprachbegabt, Wissenschaftler") gleichermaßen zu, aber wesentliche Züge des deutschen Selbstbildes ("pflichtbewusst, sauber, fleißig, gründlich, zuverlässig, anständig, gemütlich, aber auch tapfer, guter Soldat") fehlten bei den Angaben zu den Juden, manche Eigenschaften, die beide Gruppen charakterisieren sollten, standen sogar in Opposition: "heimatliebend – heimatlos; militaristisch/der beste Soldat – unsoldatisch; Idealist – materiell eingestellt; Arbeitstier – scheut körperliche Arbeit".

Vergleichen wir nun diese frühen Ergebnisse mit der Eigenschaftsliste einer repräsentativen Meinungsumfrage aus dem Jahre 1987 (wiederholt 1993; ermittelt mit dem Verfahren der Faktorenanalyse), zeigen sich gegenüber 1951 sowohl Konstanz wie Veränderungen, die sich in sechs Dimensionen zusammenfassen lassen.

Antisemitismus heute

Wie ist es nun zu erklären, dass bestimmte Dimensionen des antijüdischen Vorurteils noch von vielen Deutschen geteilt werden und andere nicht mehr, obwohl nichtjüdische Deutsche mit Juden im Alltagsleben kaum je zusammentreffen? Die Erklärung liegt darin, dass sich vor allem die Vorurteile gehalten haben, die sich mit neuen Inhalten haben füllen lassen, die also die alten Vorurteile scheinbar "bestätigen". Diese Inhalte ergeben sich primär aus den Problemen, die die Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit haben.

Anders als bei den Vorbehalten gegen „Ausländer“ gibt es gegenüber den Juden in Deutschland kaum Gefühle einer ökonomischen Konkurrenz oder einer kulturellen Bedrohung durch eine große Zahl von Zuwanderern; auch Rassismus ist hier ohne Bedeutung. Umfragen zeigen, dass die soziale Distanz zu Juden heute sehr gering ist. Auch der religiöse Gegensatz zwischen Judentum und Christentum spielt weder in den Kirchen noch in der Bevölkerung eine wesentliche Rolle. Die Motive des Antisemitismus liegen vorwiegend in dem Schuldgefühl gegenüber den Juden, das in verschiedener Weise abgewehrt wird:

Man schreibt den Juden eine Mitschuld an ihrer Verfolgung zu: Dies tun seit fünf Jahrzehnten circa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung, die glauben, "dass die Juden mitschuldig sind, wenn sie gehasst und verfolgt werden". Hier haben wir es mit der Denkweise "Wo Rauch ist, ist auch Feuer" zu tun, die aus der Tatsache, dass Juden in der europäischen Geschichte häufig verfolgt wurden, schließt, dafür müsse es Gründe im Verhalten der Juden gegeben haben. Es ist deshalb für die Entkräftung von Vorurteilen wichtig, sich historisch die gesamte Breite der christlich-jüdischen Beziehungen zu vergegenwärtigen und diese nicht auf eine reine Konflikt- und Verfolgungsgeschichte zu reduzieren.

Man unterstellt den Juden, dass sie ihre Leiden unter der NS-Verfolgung heute dazu benutzen, um möglichst hohe Summen an "Wiedergutmachungs"-Geldern zu kassieren. Dieses Vorurteil verbindet sich mit dem traditionellen Bild des "geldgierigen, betrügerischen und ausbeuterischen Juden". Eng verbunden damit ist die Vorstellung vom großen Einfluss, den Juden ausüben, um die Deutschen zu weiteren Zahlungen zu zwingen. Auch hier kann sich das neue Motiv mit dem alten Vorurteil von der "jüdischen Weltmacht" verbinden, das heute ebenfalls noch von vielen Deutschen vertreten wird. Der Vorwurf, die Juden würden ihren Einfluss geltend machen, um die Deutschen auszubeuten, ist ein klassisches Beispiel für die im Antisemitismus generell zu beobachtende Täter-Opfer-Umkehr.

Die Juden werden als "Störenfriede" gesehen, die durch ihr Beharren auf der Erinnerung an den Holocaust – der Schriftsteller Martin Walser sprach 1998 öffentlich von der "Moralkeule Auschwitz" – permanent an eine Periode deutscher Geschichte gemahnen, die viele gern vergessen würden: Jeweils zwei Drittel der Deutschen würden am liebsten "einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit" ziehen. Auch hier verbindet sich ein aktuelles Unbehagen mit alten, aus dem Antijudaismus stammenden Negativurteilen über die "alttestamentarische Vergeltungssucht" der Juden.

Durch die Gründung des jüdischen Staates ist eine neue Vorurteilsdimension hinzugekommen, indem man nun die einheimischen Juden, die deutsche Staatsbürger sind, für die Politik Israels verantwortlich macht. Hier treffen wir auf ein weiteres wichtiges Motiv des heutigen Antisemitismus unter Deutschen: Die eigene Schuld an der Verfolgung der Juden soll verkleinert werden, indem man sie gegen Menschenrechtsverletzungen der Israelis im Nahostkonflikt aufrechnet. 17 Prozent waren 1987 der Meinung, dass das, "was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, im Prinzip auch nichts anderes ist als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben" (33 Prozent unentschieden, 50 Prozent stimmten nicht zu).

Mit der Zuwanderung von Aussiedlern, Osteuropäern und Muslimen kommen allerdings auch andere "Spielarten" des Antisemitismus nach Deutschland, sodass auch religiöse Formen des Vorurteils (Antijudaismus) und vor allem ein antizionistisches Feindbild, gespeist durch den arabisch-israelischen Konflikt, anzutreffen sind.

Psychische Bedingungen der Individuen und gesellschaftliche Bedingungen ergänzen einander; aber es hängt von den gesellschaftlichen Bedingungen ab, dass die Menschen vom Antisemitismus nicht loskommen und ihn affektiv besetzen. An dem nach Auschwitz fortlebenden Antisemitismus lässt sich die fortwirkende Barbarei erkennen, an der Aufklärung ihre Grenzen erfährt.[229]

Aufklärung versprach einst, im 18. Jahrhundert, die Menschen aus ihren Grenzen herauszuführen, ihnen eine kosmopolitische Welt zu eröffnen. Judenhass galt damals als der Inbegriff finsteren Mittelalters, das man überwunden glaubte. Aufklärung koppelte sich an den Fortschrittsbegriff, und das europäische neunzehnte Jahrhundert wird geprägt durch die Vorstellung vom Verschwinden des Überholten. Aber der Judenhass verschwindet nicht im 19. Jahrhundert, er transformiert sich zum modernen Antisemitismus. Inhaltsleerer Fortschrittsglaube muss dazu herhalten, die Gegenwart des Antisemitismus aus dem Bewusstsein der Menschen fernzuhalten. Alltagsvorstellung vom Leben und wissenschaftliche Praxis decken sich in der falschen Überzeugung: Antisemitismus hat es gegeben, aber gibt es nicht mehr. Dieses moderne Durchschnittsbewusstsein identifiziert Judenhass mit Antisemitismus oder unterscheidet bloß formal zwischen christlichem Mittelalter und säkularasierter Neuzeit.

Die Unterscheidung zwischen Judenhass und Antisemitismus eröffnet aber dem Erkennenden die Möglichkeit, sich vom naturwüchsigen Antisemitismus zu befreien. Die stete Wiederkehr des Antisemitismus erzeugt den Schein des "ewigen" Antisemitismus - aber dies ist ein falscher Schein. Spätestens nach Auschwitz, hat man gemeint, sei es unmöglich, noch Antisemit zu sein. Adorno und Horkheimer haben dies prägnant in ihrem Schlüsselwerk "Dialektik der Aufklärung" ausgedrückt: "Aber es gibt keine Antisemiten mehr."[230] A la lettre genommen, können wir über diese Formulierung aus dem Jahre 1947 vierzig Jahre später nur milde lächeln; aber es wird ein richtiger Gedanke angezeigt: Der Antisemitismus, der zu Auschwitz führte, und der Antisemitismus nach Auschwitz sind nicht identisch. Dieser Gedanke führt über das eng abgesteckte Feld der Antisemitismusforschung hinaus: Antisemitismus ist ein Moment im gesellschaftlichen Prozess, das nur künstlich zu isolieren ist. Auf den gesellschaftlichen Zusammenhang kommt es an, in dem der Antisemitismus erscheint. Dieser gesellschaftliche Zusammenhang läßt sich nur erkennen, wenn man die geschichtlichen Unterschiede herausarbeitet.

Die Rede vom "ewigen Antisemitismus" bedeutet nichts anderes als eine intellektuell-politische Kapitulation vor dem Sachverhalt: Man isoliert den Antisemitismus aus seinem jeweiligen gesellschaftlich-geschichtlichen Kontext und verwandelt ihn in eine anthropologische Konstante. Schnell folgt daraus der Kurzschluss auf angebliche Nationalcharaktere, zu denen ein nationalspezifischer Antisemitismus gehört. Die Rede von "Deutschen und Juden" macht den Antisemitismus zu einer Angelegenheit von anthropologisch differenten Personengruppen, ohne auf die gesellschaftlich-geschichtliche Bestimmung der Individuen zu achten. Der moderne Antisemitismus ist zweifellos an den Nationalismus gekoppelt, aber die Reduktion des Antisemitismus auf die nationale Besonderheit gibt gerade der ideologischen Form nach, zu der Nationalismus und Antisemitismus gehören. Das Gerede von der nationalen Identität putzt nur die alte Ideologie auf; die Identifikation mit nationalen Kollektiven wird für alle Beteiligten bestätigt. Über der Freude "irgendwo dazuzugehören" wird vergessen, dass Kollektivzugehörigkeit zunächst ein gesellschaftlicher Zwang ist. Der gelbe Stern ist äußeres Zeichen für diesen Zwang. Die Kennzeichnung der Juden als Juden im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich ermöglichte überhaupt erst ihre Erfassung und Vernichtung. Die Praxis, Individuen - unabhängig davon, was sie tun und sagen - Kollektiven zuzuschlagen, ahmt den gesellschaftlichen Zwang nach, statt ihn zu kritisieren.

Es beruhigt ungemein, Auschwitz als Folge des deutschen Nationalcharakters zu begreifen und Traditionslinien durch die letzten tausend Jahre zu ziehen. Aber diese anthropologische Formel verdeckt den wirklichen Zusammenhang von modernem Antisemitismus und der Massenvernichtung wehrloser, unbewaffneter Menschen. "Keineswegs ist der totalitäre Antisemitismus ein spezifisch deutsches Phänomen. Versuche, ihn aus einer so fragwürdigen Entität wie dem Nationalcharakter, dem armseligen Abhub dessen, was einmal Volksgeist hieß, abzuleiten, verharmlosen das zu begreifende Unbegreifliche. Das wissenschaftliche Bewusstsein darf sich nicht dabei bescheiden, das Rätsel der antisemitischen Irrationalität auf eine selber irrationale Formel zu bringen. Sondern das Rätsel verlangt nach seiner gesellschaftlichen Auflösung, und die ist in der Sphäre nationaler Besonderheiten unmöglich."[231]

Die falsche Auflösung des antisemitischen Rätsels durch nationale Formeln beruht nicht allein auf falschem Denken, sondern ist in der materiellen Realität begründet. Der Triumph des totalen Klassenkampfes und Krieges, den die Nationalsozialisten führten, lebt in der Entsubstantialisierung der bürgerlichen Gesellschaft nach. Die kosmopolitischen Ideale der Französischen Revolution "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" haben sich in den Individuen nicht durchgesetzt, sondern diese klammerten sich im Verlauf der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft an einen illusionären Strohhalm: an die Nation, der sie sich scheinbar von Natur zugehörig glaubten. In diesem Prozess zeigt sich, dass "Dialektik der Aufklärung" mehr ist als ein Buchtitel. Die bürgerliche Gesellschaft sollte, ihrem Begriff nach, die Menschen aus ihren naturwüchsigen kollektiven Zusammenhängen herauslösen und individuieren. Die Individuen hätten auf einem bestimmten geschichtlichen Stand die Fähigkeit erwerben sollen, sich von der Macht der Vergangenheit zu emanzipieren und frei zu handeln. Dieses Emanzipationsversprechen wird aber schon im 18. Jahrhundert gekoppelt an die Verklärung der bürgerlichen Gesellschaft als einer natürlichen Beziehungsform der Individuen untereinander. Durch die Französische Revolution ist überhaupt erst die französische Nation als politische entstanden. In der vorbürgerlichen Gesellschaft verstand man unter "Nation" hauptsächlich eine - die Juden. Die Proklamation der Menschenrechte löst die Juden als Nation auf in die konstituierte Französische Nation. Dieser Widerspruch drückt sich in den berühmten Worten Clermont-Tonnerres während der Emanzipationsdebatte der Nationalversammlung im Dezember 1789 aus: "Den Juden als Nation ist alles zu verweigern, den Juden als Menschen ist alles zu gewaehren."[232] Darin zeigt sich Verschränkung von Emanzipationsversprechen und Assimilationszwang als Fortschritt von Freiheit und Unterdrückung. Diese Dialektik durchzieht nicht nur die Geschichte der Großen Französischen Revolution, sie bestimmt auch die Verwandlung des Judenhass in Antisemitismus. Dialektik der Aufklärung kennzeichnet also den Prozess des Bewusstseins wie den der materiellen Realität.

Die widersprüchliche Struktur materieller Veränderungen und solchen des bürgerlichen Bewusstseins schlägt sich in der wissenschaftlichen Literatur der letzten zwei Jahrhunderte nieder - meist einseitig. Die große Emanzipationsliteratur, angefangen mit dem aufgeklärten preußischen Beamten Christian Wilhelm Dohm, macht Vorschläge, den traditionellen Judenhass gesellschaftlich aufzulösen. Die ungehemmte Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft wird nach den Vorstellungen von Dohm, Mirabeau, Gregoire und anderen die alten Vorurteile beseitigen. "Vorurteil" bedeutet in dieser Literatur nicht bloß "falsche Meinung", sondern Vorurteil bedeutet wesentlich die rechtliche und gesellschaftliche Sonderstellung der Juden in der traditionellen Gesellschaft, deren hässlichster Ausdruck das ummauerte Getto war. Der vom Kriegsrat Dohm gewählte Titel seines 1781 erschienenen Buches kann durchaus als Programm genommen werden: "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden". Aus der Perspektive des aufgeklärten Beamten erscheint die Masse der Juden als Objekt - von Besserungsmaßnahmen, durchaus im doppeldeutigen Sinn. Aber die Formulierung trifft ein wesentliches Verhältnis: Die bürgerliche Emanzipation erreicht die Masse der europäischen Juden von außen - sie werden zwangsemanzipiert.

Nach der Großen Revolution sind in Frankreich die reaktionären christlichen Argumente gegen jüdische Gleichberechtigung kaum noch zu hören, obwohl sie in Deutschland bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts nicht ganz verschwinden. Aber der Geist der neuen Zeit macht sich in der Verwandlung des christlich begründeten Judenhasses in modern antisemitische Argumentationen bemerkbar. Im Denken Fichtes, der zunächst die Revolution verteidigt, erscheint ein neues geschichtliches Subjekt: die Nation. Die deutschen Jakobiner hatten zur Beseitigung der "herrschenden Vorurteile" - darunter wurde wesentlich die Unterdrückung der Juden verstanden - aufgerufen[233]; 1793 macht Fichte aber eine erschreckende Wendung, die aus naturrechtlichem Geiste kommt: "Von einem Volke, dessen Geringster seine Ahnen höher hinaufführt, als wir andern alle unsere Geschichte, und in einem Emir, der älter ist, als sie, seinen Stammvater sieht - eine Sage, die wir selbst unter unsere Glaubensartikel aufgenommen haben; das in allen Völkern die Nachkommen derer erblickt, welche sie aus ihrem schwärmerisch geliebten Vaterlande vertrieben haben; das sich zu dem den Körper erschlaffenden, und den Geist für jedes edle Gefühl tötenden Kleinhandel verdammt hat, und verdammt wird; das durch das bindendste, was die Menschheit hat, durch seine Religion, von unsern Mahlen, von unseren Freudenbecher, und von dem süßen Tausche des Frohsinns ausgeschlossen ist; das bis in seinen Pflichten und Rechten, und bis in der Seele des Allvaters uns andere alle von sich absondert, - von so einem Volke sollte sich etwas anderes erwarten lassen, als was wir sehen; daß in einem Staate, wo der unumschränkte König mir meine väterliche Hütte nicht nehmen darf, und wo ich gegen den allmächtigen Minister mein Recht halte, der erste Jude, dem es gefällt, mich ausplündert."[234]

Fichte versucht den der bürgerlichen Gesellschaft inhärenten Widerspruch von politischer Freiheit und ökonomischer Unterdrückung auf Kosten der Juden zu lösen. Menschenrecht solle man ihnen gewähren, aber keine Bürgerrechte.

Diese Argumentation von Fichte verdient besondere Beachtung, weil sie deutlich die Differenz von traditionellem Judenhass und modernem Antisemitismus zeigt. In einer Fußnote versucht Fichte sich zu erklären. Er weist jede religiöse Intoleranz von sich - keineswegs aus taktischen Gründen: "Ich will nicht etwa sagen, daß man die Juden um ihres Glaubens willen verfolgen solle."[235] Fichte stellt der Emanzipationsliteratur und Aufklärung seine "Tatsachen" gegenüber; der Idealist wird zum Positivisten: "Ich weiß, daß man vor verschiedenen gelehrten Tribunalen eher die ganze Sittlichkeit, und ihr heiligstes Produkt, die Religion, angreifen darf, als die jüdische Nation. Denen sage ich, daß mich nie ein Jude betrog, weil ich mich nie mit einem einließ, daß ich mehrmals Juden, die man neckte, mit eigener Gefahr und zu eigenem Nachteil in Schutz genommen habe, daß also nicht Privatanimosität aus mir redet. Was ich sage, halte ich für wahr; ich sagte es so, weil ich das für nötig hielt: ich setze hinzu, daß mir das Verfahren vieler neuerer Schriftsteller in Rücksicht der Juden sehr folgewidrig scheint, und daß ich ein Recht zu haben glaube, zu sagen, was und wie ich's denke. Wem das Gesagte nicht gefällt, der schimpfe nicht, verleumde nicht, empfinde nicht, sondern widerlege obige Tatsachen."[236]

In Fichtes Argumentation erscheint noch unverstellt das Kennzeichen des modernen (bürgerlichen) Antisemitismus, das später durch die psychische Abwehr der Antisemiten verschleiert wird: Indifferenz. Ausdrücklich weist Fichte, "Privatanimositäet" von sich: Der Antisemitismus ist abstrakt, der Judenhass konkretistisch. Beim Judenhass geht es ums Totschlagen, brutal, mit Knüppeln und was dem Pogromisten gerade so in die Hand fällt; der Fortschritt zum Antisemitismus bedeutet nicht weniger Gewalt, sondern andere. Fichtes Argumentation bedarf der "Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre"[237]. Adorno konstatiert eine menschliche Qualität, durch die alle modernen Individuen geschlagen sind und die auch den Schuldlosen mitschuldig macht: "Die Schuld des Lebens, das als pures Faktum bereits andern Lebenden Atem raubt, einer Statistik gemäß, die eine überwältigende Zahl Ermordeter durch eine minimale Geretteter ergänzt, wie wenn das von der Wahrscheinlichkeitsrechnung vorgesehen wäre, ist mit dem Leben nicht mehr zu versöhnen. Jene Schuld reproduziert sich unablässig, weil sie dem Bewußtsein in keinem Augenblick ganz gegenwärtig sein kann."[238]

Der Ursprung bürgerlicher Subjektivität, wie wir ihn beim jungen Fichte beobachten können, ist aber kein bloß subjektiver: Meinung tritt hier zwar als Setzung auf, wird aber behauptet als Tatsache. Sie objektiviert sich in der Trennung von Menschen- und Bürgerrechten. Die in der Meinung latente Gewalttat wird manifest: "Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen; denn sie sind Menschen, und ihre Ungerechtigkeit berechtigt uns nicht, ihnen gleich zu werden. Zwinge keinen Juden wider seinen Willen, und leide nicht, daß es geschehe, wo du der Nächste bist, der es hindern kann; das bist du ihm schlechterdings schuldig. Wenn du gestern gegessen hast, und hungerst wieder, und hast nur auf heute Brot, so gib's dem Juden, der neben dir hungert, wenn er gestern nicht gegessen hat, und tust sehr wohl daran. - Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein ander Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken."[239]

Normalerweise werden nur die letzten Zeilen zitiert, um Fichte dann als Vorläufer der Nazis zu charakterisieren. Das Grauen wird aber erst durch den Zusammenhang unerträglich: Die sittlichen Regeln, die im ersten Absatz in aller Strenge und Rigidität betont werden, sind von der Wirklichkeit der nationalsozialistischen Herrschaft um eine Welt entfernt: Gerade als Menschen werden die Juden nicht behandelt, sondern - im Nazi-Sprachgebrauch - "sonderbehandelt als Untermenschen", als lebendige Dinge, über die die Herrenmenschen absolut verfügen.

Fichte überträgt die Spaltung, die im Unterschied von Menschen- und Bürgerrechten erscheint, und der alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft faktisch unterliegen, allein auf die Juden. Die Trennung von Menschen- und Bürgerrechten reflektiert den zentralen Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft selbst, den Fichte nicht durchschaut. Er spricht den Juden die Fähigkeit zur Emanzipation ab - sie sind der Heteronomie verhaftet durch die Praxis des Kleinhandels, und sie gelten darum als zur Autonomie des Staatsbürgers, des Citoyen, unfähig. Der Widerspruch des bürgerlichen Menschen, Bürger und Staatsbürger, Bourgeois und Citoyen in einer Person zu sein, wird von Fichte projiziert auf die Juden. Nur den Juden wird der Widerspruch, dem alle Subjekte der bürgerlichen Gesellschaft unterliegen, als unlösbarer schuldhaft zugeschoben: im Verweis auf ihre traditionelle ökonomische Praxis, auf Geld- und Warenhandel.

An Fichtes Argumentation kann man sehen, dass antisemitisches Meinen sich nur gesellschaftlich begreifen lässt, nicht als Tatsachendiskussion über die Juden. Unreflektiert bleibt bei Fichte der ökonomische Prozess, mit dem er die Juden identifiziert. Die Heteronomie ökonomischer Prozesse bedroht die Autonomie des selbstgesetzten Ichs. Die abstrakte Setzung einer Identität schließt die Juden aus; der gesellschaftlich emanzipative Inhalt weicht gegenüber der Autonomie des Subjekts zurück. Fichtes Gesellschaftsschrift "Der geschlossene Handelsstaat" macht aus der Not eine Tugend - die des absoluten Zwanges. Aus Fichtes Argumentation sind nur die schieren, subjektivistischen Urteile ins Arsenal des modernen Antisemitismus übergegangen. Fichte erscheint bloß als verdammungswürdiger Halsabschneider, nicht aber als der Antisemit, als der er zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft gehört - nicht als Ausnahme, sondern als Normalfall. Die Forderung nach Menschenrechten für die Juden bei gleichzeitigem Ausschluss von den Bürgerrechten erscheint heute noch: in der scheinbar anti-antisemitischen Allerweltsaussage "Die Juden sind doch auch Menschen".

Es sind die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, die im antisemitischen Meinen ihren Ausdruck finden. Dieses Meinen ist latente Gewalttat, wie wir aus Fichtes Argumentation wissen. Bei seinen Nachfolgern wird aus der Argumentation die affektive Seite - der "süße" Tausch des Frohsinns mit uns von "Herz zu Herzen" - herausgebrochen und in einen "Brei des Herzens, der Freundschaft und Begeisterung" verwandelt, wie Hegel seinen Kollegen Fries, als "Heerführer dieser Seichtigkeit", kritisiert hat. [240] Eine Literatur, die Emanzipation und Assimilation als Irrweg verdammt, hat eine abschüssige Traditionslinie von Reformation über Aufklärung, deutschen Idealismus, Marxismus bis zu Hitler und Himmler gezogen, die selber einer irrationalen Formel gleicht. Der moderne Antisemitismus läßt sich aber ohne die im gesellschaftlichen Leben wirksame Dialektik nicht erkennen. Das trifft vor allem auf das monumentale Werk von Leon Poliakov "Geschichte des Antisemitismus" zu, einer ungeheuren Materialsammlung, aus der jüngere Autoren sich wie aus einem Steinbruch bedienen. [241]

"Wohl sieht retrospektiv alles so aus, als hätte es so kommen müssen und nicht anders sein können. Man wird unter den Berühmten der deutschen Vergangenheit bis hinauf zu Kant und Goethe nur wenige nennen können, die von judenfeindlichen Regungen ganz frei waren. Aber indem man auf solche Universalität insistiert und die Fatalität des Geschehens im Begriff nochmals wiederholt, macht man sie in gewissem Sinn sich selbst zu eigen. Den Spuren des heraufdämmernden Verhängnisses in der deutschen Vergangenheit ist allerorten auch deren Gegenteil gesellt, und die Weisheit, ex post facto zu dekretieren, was von vornherein das Stärkere gewesen sei, macht es sich allzu leicht, indem sie das Wirkliche als das allein Mögliche unterstellt."[242]

Der moderne Antisemitismus resultiert aus missglückter Emanzipation. Gerade weil weder Toleranz noch Intoleranz bei der antisemitischen Argumentation eine Rolle spielen, ist Fichtes Verteidigung der Französischen Revolution so genau zu lesen: Begründend wirkt eine Fehlinterpretation des gesellschaftlichen Prozesses. In den Juden wird der Inbegriff ökonomischer Modernisierung gesehen - die Vorkehrung von persönlicher Gewalt in die Gewalt der Sachen, die wesentliche Veränderung in jenem Prozess, wird zwar erfahren, aber nicht begriffen. Deswegen spricht Fichte von "Ausplündern". Fichte verteidigt eine Revolution ohne ihren gesellschaftlichen Inhalt; "Revolution" ohne Inhalt derart im nationalen Rahmen zu sehen, heißt nicht anderes als chauvinistischen Existenzkampf zu propagieren. Wo ein bestimmter Begriff der bürgerlichen Gesellschaft fehlt, leistet der Begriff der Nation Ersatz. Der gesellschaftliche Zusammenhang der Individuen erscheint als ein quasi natürlicher; es geht dann nur mehr um Bestimmungen des "Volks". Auf diese Weise konnte Fichte zum Ideologen der antinapoleonischen Befreiungskriege werden. Der Kantianer Saul Ascher hat diesen Umschwung als Germanomie bezeichnet. Fichte avancierte nicht zufällig zum Lieblingsphilosophen der deutschen Romantik. "Der Judenhaß beginnt erst mit der romantischen Schule (Freude am Mittelalter, Katholizismus, Adel, gesteigert durch die Teutomanen - Ruehs -)" heißt eine fragmentarische Notiz in Heines Nachlass. [243]

Wiederholung bedeutet nicht Identität. Freilich gibt es einen Zusammenhang von traditionellem Judenhass und modernem Antisemitismus. Beide, Judenhass und Antisemitismus, besitzen eine gemeinsame Substanz: Hass auf die nahen Fremden, die das Geheimnis des gesellschaftlich verweigerten Ersehnten kennen. Es gibt nur eine in der europäischen Geschichte identische Gruppe, auf die sich dieser Hass anwenden lässt: Das sind die Juden. Die Interpretationen, die einen ewigen Antisemitismus am Werke sehen, gehen fehl, weil sie die bestimmten Unterschiede nicht sehen wollen. Judenfeindliche Tendenzen hat es zweifellos in der Antike gegeben, und es hat solche Tendenzen im ersten christlichen Jahrtausend gegeben. [244] Aber es lässt sich kein identisches System hinter den Unruhen in Alexandria (38 nach christlicher Zeitrechnung) und den antijüdischen Attacken der Kirchenväter entdecken, - wenn man nicht ein nationales Modell mystifiziert, wie es in der zionistischen Literatur meist geschieht. [245] Andere Autoren sprechen von den Juden als Minderheit[246], - auch gegen die Absicht der Autoren verfälscht dieser Begriff der Minderheit das Einzigartige des Phänomens. "Minderheit" sagt nichts über die spezifische geschichtliche Konstellation, in welcher Juden mit anderen Völkern in verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen lebten. Um diese wechselvollen gesellschaftlichen Beziehungen geht es hier. Die seit dem Ausgang der Antike bis zur Säkularisierung in Europa vorherrschende Interpretation der Welt entstammt wesentlich der jüdischen Tradition und bekämpft sie zugleich: das nahe Fremde. Bissig hat das der junge Marx mit seinem Freund Friedrich Engels formuliert: "Ein Dorn, der mir - wie das Judentum der christlichen Welt - von der Stunde der Geburt im Auge sitzt, sitzen bleibt, mit ihm wächst und sich gestaltet, ist kein gewöhnlicher, sondern ein wunderbarer, ein zu meinem Auge gehöriger Dorn, der sogar zu einer höchst originellen Entwicklung meines Gesichtssinnes beitragen müßte."[247]

Diesen christlich verzerrten Gesichtssinn wollte die europäische Aufklärung korrigieren; aber es gelang ihr nur in begrenztem Maße, weil die geschichtliche und gesellschaftliche Dynamik, die diesen Sinn verzerrte, ihr verschlossen blieb. Die Aufklärer blieben an einer Vorstellung unverzerrter Kommunikation von großen Einzelnen hängen: Die überragende Rolle von Moses Mendelssohn als Dialogpartner der gebildeten europäischen Spitze lässt sich aus dieser Lage verstehen. Dem idealisierten Einzelnen, dem Weltbürger als der Zielvorstellung des aufgeklärten Emanzipationsanspruchs entspricht, als Kehrseite, die Verachtung der Masse. Der Individualitätsanspruch wird universalisiert. Dieser weltbürgerliche Kosmopolitismus wird allen späteren Nationalisten zum Greuel, denn damit wird die Vorherrschaft des traditionalen wie des modernen Kollektivs in Frage gestellt. Gegenaufklärung und Restauration, die auf Aufklärung und Emanzipation antworten, müssen der gesellschaftlich bereits erfolgten Verweltlichung soweit Rechnung tragen, dass traditionelle christliche Legitimationsfiguren in einen neuen ökonomisch-gesellschaftlichen Begründungszusammenhang eingeschmolzen werden müssen. Der moderne Antisemitismus als Reaktion auf die Französische Revolution und ihre politisch- ökonomischen Folgen erfüllt genau diese Funktion.

Wenn wir vom modernen Antisemitismus sprechen, bedeutet dies, dass der traditionelle Judenhass auch ein Antisemitismus war: Geschichtliches Denken erklärt aus der Anatomie des Menschen die des Affen und nicht umgekehrt. Die Periode von 1750 bis 1850 ist für die Geschichte des Antisemitismus deshalb so aufschlussreich, weil in dieser Zeit der Formwechsel des traditionellen Judenhasses zum Antisemitismus stattfindet - bevor Antisemitismus als Wort existiert. Der nationalsozialistische Antisemitismus hat versucht, sich noch einmal aufs Schärfste gegen den christlich legitimierten Judenhass abzugrenzen. Horkheimer und Adorno analysierten diese Verleugnung der geschichtlichen Wurzeln: "Der durchschnittliche Gläubige ist heute schon so schlau wie früher bloß ein Kardinal. Den Juden vorzuwerfen, sie seien verstockte Ungläubige, bringt keine Masse mehr in Bewegung. Schwerlich aber ist die religiöse Feindschaft, die für zweitausend Jahre zur Judenverfolgung antrieb, ganz erloschen. Eher bezeugt der Eifer, mit dem der Antisemitismus seine religiöse Tradition verleugnet, daß sie ihm insgeheim nicht weniger tief innewohnt als dem Glaubenseifer früher einmal die profane Idiosynkrasie."[248]

Beim traditionellen Judenhass verschränken sich rationale Kalküle und christliche Legitimation. In einer aufschlussreichen Untersuchung über Judenpogrome im 14. Jahrhundert hat Franticek Graus herausgearbeitet, dass es durchaus übliche Praxis war unter den Herrschenden, die besten Judenhäuser im voraus den christlichen Herren zu versprechen, "wann die Juden dasselbes un nehst werden geslagen". So steht es in einer Urkunde Karls IV. vom Juni 1349.[249] Manipulative Aufstachelung zeichnet nicht nur das Pogrom im späten Zarismus Ende des 19. Jahrhunderts, sondern schon das mittelalterliche Pogrom aus. Nicht nur das Christentum wird als Legitimation profaner Motive benutzt, auch die Revolte gegen die Herrschaft im Interesse der Herrschaft.

"Gott will es" - dieser fürchterliche Ruf der Kreuzzügler leitete die ersten systematischen Massaker an den Juden in Europa ein: 1096. Das nationalistisch werdende Europa des 19. Jahrhunderts hat in den Kreuzzügen sein identitätsstiftendes Modell gesehen. Die Praxis besteht in der von höchster moralischer und weltlicher Stelle gebilligten Aufhebung des Tötungstabus. Zeitlich wie räumlich kommt die Rechtfertigung von weit her: Die Ungläubigen sprich die Muslime - haben die heilige Stadt Jerusalem und das Grab des Herren in Besitz genommen. Elieser bar Nathan hat überliefert, wie damit der Massenmord an den Juden der Rheinländer gerechtfertigt wurde:"Sie sprachen in ihrem Herzen: 'Sehet, wir ziehen hinab, unseren Heiland zu suchen und Rache zu üben für ihn an den Ismaeliten; hier aber sind die Juden, welche ihn umgebracht haben und gekreuziget! Auf, lasset denn zuerst an ihnen uns Rache nehmen und sie austilgen unter den Völkern, auf das vergessen werde der Name Israel; oder sie sollen unseresgleichen werden und zu unserem Glauben sich bekennen!'"[250]

Die Herrschaft der christlichen Religion wird mit barbarischen Mitteln in Europa befestigt. Als ein Herrschaftsmittel spielt der Judenhass eine Rolle, der im Schoße der christlichen Herrschaft zur Tradition des christlichen Abendlandes wird. An der Schwelle zur Neuzeit haben wir es mit einem in ganz Europa verbreiteten traditionellen Judenhass zu tun. Heine hat diesen Vorgang in einem großartigen aufklärerischen Aphorismus ausgedrückt: "Juden - sie waren die einzigen, die bei der Christlichwerdung Europas sich ihre Glaubensfreiheit behaupteten -."[251] Der elementare Charakter des Judenhasses richtet sich gegen die Härte der christlichen Herrschaft, trifft aber die der Vaterreligion treuen Juden. Freud hat im Angesicht des nationalsozialistischen Triumphes Ursprungselemente des Judenhasses herausgearbeitet. Er hat nicht die simple Ideologie christlichen Judenhasses a la lettre genommen, sondern ihre Dialektik entwickelt: "Und endlich das späteste Motiv in dieser Reihe, man sollte nicht vergessen, daß alle diese Völker, die sich heute im Judenhaß hervortun, erst in späthistorischen Zeiten Christen geworden sind, oft durch blutigen Zwang getrieben. Man könnte sagen, sie sind alle 'schlecht getauft', unter einer dünnen Tünche von Christentum sind sie geblieben, was ihre Ahnen waren, die einem barbarischen Polytheismus huldigten. Sie haben ihren Groll gegen die neue aufgedrängte Religion nicht überwunden, aber sie haben ihn auf die Quelle verschoben, von der das Christentum zu ihnen kam. Die Tatsache, daß die Evangelien eine Geschichte erzählen, die unter Juden und eigentlich nur von Juden handelt, hat ihnen eine solche Verschiebung erleichtert. Ihr Judenhaß ist im Grunde Christenhass, und man braucht sich nicht zu wundern, daß in der deutschen nationalsozialistischen Religion diese innige Beziehung der zwei monotheistischen Religionen in der feindseligen Behandlung beider so deutlichen Ausdruck findet."[252] Die Entwicklung des modernen Antisemitismus wirft auch an dieser Stelle ein Licht nach rückwärts: auf den traditionellen Judenhass. Aus diesem Grunde sollte man nicht von einem christlichen, sondern von einem in der Volkstradition verwurzelten Judenhass sprechen, der von der christlich organisierten Herrschaft funktionalisiert wird. Der Judenhass bietet sich an wegen der Verschiebungsmöglichkeit der Affekte, die sich primär gegen die drückende Herrschaft richten. Dazu ist eine wesentliche psychische Qualität nötig, von der Adorno gesagt hat, sie könne soziologische Wunder vollbringen: Ambivalenz. In einer patriachalischen Gesellschaft gehört Ambivalenz zur psychischen Grundausstattung jeden Individuums; sie gehört zum "Wesen des Vaterverhältnisses",[253] das Modell von Herrschaft wird.

Die Individuen verinnerlichen den von der Herrschaft aufgezwungenen Triebverzicht; in ihnen selbst bildet sich eine Ambivalenz von Liebe und Hass gegen diesen mächtigen Herren, der einst der Vater oder Gott war. "Gott will es" - dieser Schlachtruf der Kreuzzüge ermöglicht es, das Schuldbewusstsein, das dem Hass auf den Herren entspringt, auf die Juden zu verschieben, die mit dem Herren identifiziert werden, aber doch nicht mit ihm identisch sind. Die christliche Herrschaft bedient sich dieser Gefühlsambivalenz, indem sie die verhassten Juden schlagen lässt und selbst, als Autorität, Liebe und Achtung einstreicht. Auf die antisemitische Untat, das Pogrom, muss deshalb auch die Strafe folgen, die wiederum die Autorität des Herren steigert. Der Tat gegenüber bleibt bei den Unterdrückten die Ambivalenz: Lustvoll war die Gewalt, weil sie die eigene Unterdrückung kurz aufhob, angstvoll wird sie verdrängt oder gar verleugnet, weil auf sie Strafe stand oder noch steht. Das eigene Schuldbewusstsein gegen den Herren der schlecht getauften Christen lässt sich im Pogrom ganz auf die Juden verschieben, bis die alte Ordnung wiederhergestellt ist. Die christliche Herrschaftsordnung bedarf der speziellen Unterdrückung der Juden, damit die allgemeine Unterdrückung erträglicher wirkt. Die Kreuzzüge stehen in der Geschichte als das brutalste Mittel zur Errichtung christlicher Herrschaft da; sie liefern das Modell des Heidenkriegs, der den Besiegten vor die Alternative Taufe oder Tod stellt. Nichtanerkennung des Feindes als oberstes Prinzip wird durch die christliche Religion legitimiert. Im 11. Jahrhundert gibt es Judenverfolgungen als Generalprobe, lange bevor es zu den Massakern der Kreuzzüge kommt. Die Verschwörungstheorie spielt dabei immer eine große Rolle: Die Juden seien mit dem äußeren Feind, und, ist der nicht sichtbar, mit dem Teufel im Bunde.

Verschwörungstheorie und Gerücht gehören zusammen: "Um so bezeichnender ist es, daß bis zum XI. Jahrhundert keine Chronik von Ausbruechen des Volkszorns gegenüber den Juden berichtet. Aber nun kurz nach tausend versetzen wirre Gerüchte die Christenheit in Unruhe. Auf Anstiften der Juden habe der 'Fürst von Babylon' das Grab des Herren zerstören lassen; er habe auch gegen die Christen im Land unzählige Verfolgungen in Gang gebracht und hätte dabei auch den Patriarchen von Jerusalem enthaupten lassen. Was hier auch immer in den Bereich der orientalischen Märchen gehören mag (in Wirklichkeit ging der unduldsame Hakim ebenso scharf gegen Juden wie auch gegen Christen vor), im Abendland beginnen Fürsten, Bischöfe oder Bauernlümmel unverzüglich damit, Rache an den Juden zu üben: die Juden werden in Rouen, Orleans, Limoges (1010), Mainz (1012) und zweifellos auch in anderen Städten am Rhein und, wie es scheint, auch in Rom zwangsweise bekehrt, niedergemacht und ausgetrieben."[254] Die reale Tat wird begangen - legitimiert durch das Gerücht. Schon zu Beginn der organisierten Judenverfolgung in Europa lässt sich Adornos Aphorismus lokalisieren: "Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden."[255]

Damit das Gerücht greift, müssen die Opfer designiert werden. Weltliches und noch viel mehr kirchliches Judenrecht besorgen dies in einem säkularen Prozess. Die Jahrtausendwende mit den spanischen Heidenkriegen und den Kreuzzügen ist gekennzeichnet durch den Zugriff der kirchlichen Macht, die eine äußerliche Kennzeichnung der Juden zur Folge hat. Die Juden werden von den Herrschenden verurteilt, in einer elenden Lage zu leben. "Anhand einer zusammenhängenden Urkundengruppe läßt sich so der Weg verfolgen vom freien königlichen Kaufmann, der weite Räume durchzieht und den Karolingerhof mit erlesenen Waren des Fernhandels versorgt, bis zum königlichen Kammerknecht, der - Objekt eines lehnbaren königlichen Rechts - inzwischen schon und künftig immer häufiger Gegenstand der Verleihung von Territorialfürsten ist. Obwohl Friedrich Il. nach seiner Einleitung über die Kammerknechtschaft den Text Heinrichs IV. von 1090 unverändert wiederholt, bedeutet dieser Text nicht mehr dasselbe. Denn der faktische Status der Juden, die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kirchenrechtlichen Bedingungen hatten eine allmähliche, aber gründliche Änderung erfahren, und Friedrich trug ihr mit dem Status der Kammerknechtschaft Rechnung. Die nun allseitig fixierte 'Knechtschaft' der Juden gab den Rechtstitel her für die seit dem 13. Jahrhundert erheblich beschleunigte Absonderung, Diskriminierung und Unterdrückung der Minderheit, deren ökonomische Unentbehrlichkeit abnahm."[256] Die geschichtliche Reflexion klärt darüber auf, dass dem modernen Vorurteil ein materielles Urteil der Herrschaft vorausgegangen ist, das die Verurteilten gezeichnet hat.

In der Geschichte des Antisemitismus ist auch dies wörtlich zu nehmen. Die klare Trennung von Christen und Juden teilt den Juden einen in jeder Beziehung anderen Status zu. Das IV. Laterankonzil 1215 macht den Juden deutlich Kleidervorschriften, aus denen dann der obligatorische Gelbe Fleck entwickelt wird. Die Juden werden nun auch auf eine soziale Rolle fixiert: auf die des Agenten im Waren- und Geldverkehr, auf letzteren in seiner gefährlichsten Form, den Geldverleih genannten Wucher. In der traditionalen Gesellschaft versucht die herrschaftliche Gewalt den freien Geldverkehr zu begrenzen: Den Christen hatte das III. Lateranische Konzil 1179 verboten, Zinsen zu nehmen. Den Juden hatte man damit ein zweifelhaftes Monopol zugeschanzt: die Geldwirtschaft innerhalb einer agrarischen Traditionsgesellschaft. Als Geldbesitzer, bei denen die christliche Umwelt verschuldet war, waren sie vorzügliche Objekte gewalttätiger Begierde: der Herren wie der christlichen Untertanen. Da es überhaupt keine Vergleichsmaßstäbe gab und das Risiko für den Verleiher ungeheuer war, setzte sich das Wort Wucher für jede Zinsnahme fest. Das ökonomische Vorurteil im modernen Antisemitismus hat seine materielle Basis in der verschleierten vorkapitalistischen Ökonomie. Der Konzilsbeschluss über den jüdischen Wucher schränkte gerade den jüdischen Zins ein und machte ihn kalkulierbar; der stille Profiteur des Zinsverbotes war die Kurie, besonders zur Zeit der Kreuzzüge.[257]

Das gefährliche Zinsgeschäft hatte noch eine andere Seite: Die Juden, denen agrarische Tätigkeit unmöglich gemacht wurde, mussten ihr Gewerbe ausüben als servi camerales - als Kammerknechte. Die Knechtschaft war total, denn die Juden wurden zu waffenlosen Schutzbedürftigen: "Wer das Waffenrecht verloren hat, ist in seiner rechtlichen und sozialen Umstellung herabgedrückt und nach germanischer und mittelalterlich- deutscher Auffassung Unfreier, Knecht und in vollständige Abhängigkeit von seinem Herrn gebracht."[258] Die jüdische Existenz im agrarischen Europa ist seitdem abhängig vom Geldgeschäft. Nur aus dessen Profiten können die Schutzgelder an die Herren bezahlt werden. Unter den Gezeichneten bildet sich eine ganz besondere Moral aus, die auf die Verfolgung und Verbannung in die Zirkulationssphäre reagiert: "Es ist die Religiösität der 'Frommen Deutschlands', wesentlich formuliert von dem 1207 gestorbenen Juda ben Samuel im 'Buch der Frommen'. Die 1096 aufgezwungene Alternative 'Tod oder Taufe' wird darin mit der Aktivierung der Theologie des Kidusch ha-schem, der 'Heiligung seines Namens', beantwortet, die die Selbsttötung in der Verfolgung zur unbedingten Forderung erhebt, Selbstverteidigung (wie sie 1097 geübt wurde) ablehnt und Selbsttötung als Askese, Weltabkehr, Fatalismus und rigorose Lebensverneinung verinnerlicht."[259] Schon dieses Zitat macht deutlich, wie sehr die radikale Abkehr von Gewalt die traditionellen Denkschemata sprengt. Die aschkenasischen Juden haben sich dem Gleich für Gleich traditioneller Gewalt entzogen und alle Verfolgungen bis in die Moderne überlebt: Die Verfolger empfinden diese Tatsache als unheimlich. Der moderne Antisemitismus wird die Juden als feige beschimpfen; die Auseinandersetzungen um die Kriegsteilnahme von Juden reichen von den sogenannten Befreiungskriegen bis in den ersten Weltkrieg.

Wie sehr die Stellung zur Gewalt von der gesellschaftlichen Lage abhängt, zeigt die Geschichte der sephardischen Juden. "Die Juden der frühen Neuzeit waren keine einheitliche Gruppe. Sie waren durch ihre Jahrhunderte währende Akkulturation an das arabische und christliche Spanien und an den deutschsprachigen Raum Mitteleuropas in zwei große Kulturen geschieden, die Sephardim und die Aschkenasim (von hebräisch spharad = Spanien, bzw. aschkenaz = Deutschland), also in eine spanisch- und eine deutschsprachige Gruppe. Die Sephardim erlebten als Teil der islamischen Kultur des mittelalterlichen Spanien eine kulturelle und wirtschaftliche Blüte, die sich nur mit der hellenistischen und der deutsch-jüdischen Periode der Emanzipationszeit vergleichen läßt."[260]

Das IV. Laterankonzil beschäftigte sich schon damit, die Juden aus hohen Ämtern fernzuhalten. Das galt nicht für Deutschland, sondern für das christlich werdende Spanien. In der Reconquista, der christlichen Eroberung des islamischen Spanien, die vor den Kreuzzügen des 11. Jahrhunderts schon das Modell des Heidenkrieges abgab, geht es um die Durchsetzung christlicher Herrschaft in Spanien. In dem Kampf gegen den Islam sind aber die kastilischen Könige zu schwach, ihr gewonnenes Land allein mit christlichen Herren zu verwalten. Die Juden, die im islamischen Spanien schon eine kulturelle und wirtschaftliche Blüte erlebten, waren sogar weit besser geeignet als die christlichen Krieger und Abenteurer, ein geordnetes gesellschaftliches Leben zu organisieren. Die Kurie versuchte auch hier, mit den Beschlüssen des IV. Laterankonzils die christliche Herrschaft exklusiv durchzusetzen.

Zunehmend verstärkt sich im 13. und 14. Jahrhundert, was man Subreconquista genannt hat. Spanien sollte durch den Druck des Heiligen Stuhls an das übrige Europa angeglichen werden: "Solange die eigentliche Reconquista im vollen Gange war und die militärische Streitmacht der Christen sich auf eine im wesentlichen von Juden wahrgenommene Verwaltung stützte, dachte jedoch in dem Spanien der drei Religionen niemand daran, an die traditionellen Strukturen zu rühren. Wie wir schon gesagt haben, verwandten die Kirchenfürsten und die Führer der militärischen Orden, ganz wie die Könige, die Juden als Verwaltungsbeamte und Finanzfachleute."[261] Man lebte so eng zusammen, daß die Kirche sich nicht scheute, den Zehnten auch von den Juden zu nehmen - sie also als Mitglieder der Kirchengemeinden betrachtete. Der Neid gegen die Juden wurde jedoch geschürt; als sichtbare Zeichen ihrer Blüte unter dem Islam existierten noch die Aljamas, die nicht mit den europäischen Gettogemeinden zu vergleichen waren. Der Druck nahm zu, obwohl oder gerade weil sich im Laufe der Jahrhunderte viele gemeinsame Rituale und Praktiken zwischen den drei unterschiedlichen Religionen entwickelt hatten. Viele Juden wurden im 14. Jahrhundert gezwungen, das Christentum anzunehmen; diese Neuchristen hießen Conversos, in jüdischer Tradition auch verständnisvoller Anussirn (Gezwungene) genannt: Bekannt geworden aber ist ihr spanischer Schimpfname Marranen, der die Juden zu Schweinen macht.

1492, unmittelbar nach dem Fall Granadas und dem Ende islamischer Herrschaft in Spanien, setzte sich Ferdinand von Spanien an die Spitze der klerikal angefachten antijüdischen Bewegung und vertrieb die Juden aus Spanien; ihnen wurde eine Frist von vier Monaten gewährt, Geld und wertvolle Metalle auszuführen, war ihnen untersagt. Religion wird in diesem Kampf als Herrschaftsmittel benützt - so eindeutig, dass der erste Theoretiker moderner Staatsgewalt, Machiavelli, den spanischen König als Beispiel des Neuen Principe lobt, der sich der Religion bedient. Der Kampf gegen die Marranen ging der Austreibung der Juden voraus. Die besonders hässliche Gestalt der Inquisition in Spanien fand ihre Legitimation in der Behauptung, dass die Übergetretenen nur Scheinchristen seien. Reiche Marranen als Opfer der Inquisition kamen auch Ferdinand recht; er finanzierte mit dem konfiszierten Vermögen den Sturm auf Granada.

Nach der Austreibung flohen viele Juden nach Portugal, das wirtschaftlich hinter Spanien zurückgeblieben war. Als aber eine Heirat Manuels 1. von Portugal mit der Infantin Spaniens in Aussicht genommen wurde, verlangten die Katholischen Könige, wie sich Ferdinand und Isabella stolz nannten, die Austreibung der Juden aus Portugal. Um den drohenden wirtschaftlichen Ruin Portugals abzuwenden, fand Ostern 1497 eine brutal durchgeführte Massenzwangstaufe statt. Auf diese Weise entstand die marranische Bevölkerung Portugals, eine Population von fünfhunderttausend Menschen, deren Nachkommen sich später stolz "Die Nation" nennen ließen.[262] Marranen, denen die Auswanderung gelang, haben sich oft in anderen Ländern wieder zum Judentum bekannt und zusammen mit den übrigen Juden die Erinnerung an eine Zeit stolzer jüdischer Herren in die Welt getragen, die Egon Erwin Kisch noch in seinen Reportagen von den sieben Gettos festgehalten hat - in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Marranen wurden verfolgt; sie besetzten die Stellen, die einst den Neid auf die Juden geweckt hatten. Im Vollzug der Inquisition, als die Alternative Taufe oder Tod sich als nicht hinreichend erwies, entstand auch ein neues, unüberwindliches Postulat: Limpieza de sangre, Reinheit des Blutes. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts musste jeder einen reinen Stammbaum vorweisen, der in Spanien bestimmte höhere Ämter erlangen wollte -Dreiviertel Jahrhunderte später setzten die Nazis die Nürnberger Rassengesetze in Deutschland durch. Gibt es also doch einen "ewigen Antisemitismus", und ist alles schon einmal dagewesen? Die Unterscheidung, die man nach 1945 zwischen religiösem und rassischem Antisemitismus getroffen hat, ist jedoch allzu formal und ungesellschaftlich.

Der Historiker Reinhard Rürup hat 1975 allzu optimistisch konstatiert: "Die These, daß der moderne Antisemitismus ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ist und aus den Strukturen und Tendenzen dieser Gesellschaft begriffen werden muß, dürfte in der wissenschaftlichen Diskussion heute kaum noch ernsthaft bestritten werden. Man ist sich einig darüber, daß es trotz einer scheinbaren räumlichen und zeitlichen Universalität der Judenfeindschaft seit hellenistischer Zeit keine Kontinuität eines 'ewigen' Antisemitismus gibt, daß vielmehr die religiös und wirtschaftlich motivierte, durch einen einzigartigen Minderheitsstatus der Juden bedingte Judenfeindschaft der vorbürgerlichen abendländisch- christlichen Welt deutlich vom Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts geschieden werden muß."[263] Dieser im Prinzip richtigen Feststellung fehlt der gesellschaftstheoretische Zusammenhang, ohne den die geschichtlichen Ereignisse bis zur Unverbindlichkeit relativiert werden.

Aus diesem Relativismus lässt sich aber kein Argument mehr gewinnen, mit dem man die These des "ewigen Antisemitismus" bestimmt zurückweisen könnte; eine These, mit der noch die unterschiedlichsten Aktionen gegen Juden in den zweitausend Jahren christlicher Geschichte auf einen abstrakten Generalnenner gebracht werden. Die Rede vom Antisemitismus als einer Naturkonstante abendländischer Geschichte ist politisch äußerst gefährlich. Denn, um die Generalthese halten zu können, muss die historisch entscheidende Epoche von Aufklärung und Emanzipation ebenso wie jede sozialrevolutionäre Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft für genuin judenfeindlich erklärt werden.

Die Verdrängung der Marxschen Theorie aus dem spätkapitalistischen Forschungsbetrieb wie aus dem marxistisch- leninistisch zugerichteten Kanon im "real existierenden Sozialismus" hat die produktive Marxsche Leistung in der Analyse der Emanzipationsepoche ganz in Vergessenheit geraten lassen. Ohne die Auseinandersetzung mit der Herrschaft der Religion im (hinter England und Frankreich) zurückgebliebenen Preußen ist die Marxsche Theorie nicht denkbar, im Vormärz spitzte sich die Frage moderner Gesellschaftsform an der damals sogenannten "Judenfrage" zu. Zwei Schriften des Junghegelianers Bruno Bauer "Die Judenfrage" und "Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden" provozierten den jungen Marx 1843 zu einer Antwort unter dem Titel "Zur Judenfrage". Wesentlich für die Marxsche Schrift ist das Argument, Bruno Bauer stelle die Frage falsch - er stelle als Judenfrage, was nur als Frage der allgemein menschlichen Emanzipation zu behandeln sei.

Die Bauersche Frage nämlich läuft auf die Absurdität hinaus, den unterdrückten Juden den Verzicht auf ihre Religion sozusagen als Vorschuss auf eine allgemeine Emanzipation abzuverlangen. Marx dagegen fragt: ist die durch die Französische Revolution erreichte menschliche Emanzipation schon die ganze Emanzipation? Zunächst, im Vergleich zwischen Frankreich und Preußen, stellt Marx fest, Preußen befinde sich noch gar nicht auf dem historischen Stand Frankreichs, die Säkularisation habe gar nicht stattgefunden, die Unterdrückung der Juden in Deutschland bedeute ein Stück reales Mittelalter. Die politische Konsequenz daraus zieht Marx im nächsten, um die Jahreswende 1843/44 geschriebenen Aufsatz: "Die einzig praktisch mögliche Befreiung Deutschlands ist die Befreiung auf dem Standpunkt der Theorie, welche den Menschen für das höchste Wesen des Menschen erklärt. In Deutschland ist die Emanzipation von dem Mittelalter nur möglich als die Emanzipation von den teilweisen Überwindungen des Mittelalters. In Deutschland kann keine Art der Knechtschaft gebrochen werden, ohne jede Art der Knechtschaft zu brechen."[264] Marx unterstützt die Judenemanzipation, weil sie ein Teil der allgemein menschlichen Emanzipation ist; er kritisiert die isoliert gestellte "Judenfrage", weil er dies für den Versuch einer bloß teilweisen Abschaffung des Mittelalters hält, der misslingen muss und wird.

In den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wird die "Judenfrage" überall dort diskutiert, wo sich die bürgerliche Gesellschaft noch nicht durchgesetzt hat und die bürgerliche Ökonomie noch von traditionellen Herrschaftsformen gefesselt wird. Die Bedeutung der Ökonomie bleibt verdeckt, das macht die Verzerrung der Perspektive aus: "Im christlich-germanischen Staat ist aber die Religion eine 'Wirtschaftssache', wie die 'Wirtschaftssache' Religion ist. Im christlich-germanischen Staat ist die Herrschaft der Religion die Religion der Herrschaft."[265]

Die Unkenntnis bürgerlicher Ökonomie lässt den Junghegelianer Bauer die spezifische Differenz zwischen einer vorbürgerlichen und der bürgerlichen Gesellschaft übersehen. Bauer bleibt fixiert an die politische Oberfläche, darin ähnelt seine Position der von Fichte, fünfzig Jahre vorher. Aus dem politischen Verständnis der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft bleibt alles Ökonomische ausgeblendet, daraus folgt, in der Zeit nach 1850, ein politischer Antisemitismus, wie er von Bruno Bauer und auch von Richard Wagner vertreten wurde. Bei Richard Wagner erscheint dieselbe Vorkehrung wie bei Fichte - nun aber auf dem Hintergrund der zurückgewiesenen Emanzipation: "Ganz unvermerkt ist der 'Gläubiger der Könige' zum König der Gläubigen geworden, und wir können um das Nachsuchen dieses Königs um Emanzipierung nicht anders als ungemein naiv finden, da wir uns vielmehr in die Notwendigkeit versetzt sehen, um Emanzipierung von den Juden zu kämpfen. Der Jude ist, nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht und wird so lange herrschen als das Geld die Macht bleibt, vor welcher all' unser Tun und Treiben seine Kraft verliert."[266]

Diese Sätze ähneln zwar dem Schluss der Marxschen Schrift "Zur Judenfrage", aber ein Unterschied sollte nicht übersehen werden. "Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden", heisst es beim jungen Marx, "ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum."[267] In diesem pointierten Schlusssatz erscheint komplex zusammengezogen ein richtiger Grundgedanke, doch in verzerrter Form. In der vorbürgerlichen Gesellschaft bezeichnet "Judentum" weniger eine Religionszugehörigkeit als den Umstand, dass den Juden zu ihrer gesellschaftlichen Reproduktion nur Handel und Geldverkehr, also die Sphäre der Zirkulation offenstand. Die im Mittelalter randständige zirkulative Praxis wird aber in der modernen bürgerlichen Gesellschaft zum Zentrum aller gesellschaftlichen Beziehungen: In der "modernen", der bürgerlichen Gesellschaft regiert das Tauschprinzip alle gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse der Individuen. Was einst "jüdische" Domäne war, herrscht jetzt allgemein. Aber keineswegs herrschen, wie Richard Wagner nahelegt, "die Juden", in der bürgerlichen Gesellschaft herrscht ein unpersönliches ökonomisches Prinzip. Die Verzerrung beim jungen Marx kommt zustande, weil er 1842 die kapitalistische Gesellschaft noch nicht durchschaut. Er spricht von der Geldmacht und meint die Ökonomie; das Produktionsprinzip dieser Ökonomie erkennt erst der Autor des "Kapital". An zwei Stellen kommt Marx in seinem ökonomischen Hauptwerk auf die Stellung von Juden in vorkapitalistischer und kapitalistischer Produktionsweise zu sprechen - ein Wechsel der Gesellschaftsformation, von der schon der junge Marx wusste, dass er nicht ausschließlich jüdischer Tätigkeit zu verdanken war: "Die Handelsvölker der Alten existierten wie die Götter des Epikur in den Intermundien der Welt, oder vielmehr wie die Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft. Der Handel der ersten selbständigen, großartig entwickelten Handelsstädte und Handelsvölker beruht als reiner Zwischenhandel auf der Barbarei der produzierenden Völker, zwischen denen sie die Vermittler spielten."[268]

Gesellschaftstheoretisch bedeutet "ökonomisch" wesentlich Bestimmteres als das, was Zeithistoriker unter "wirtschaftlich" subsumieren. Die Juden waren nicht das einzige Handelsvolk, aber durch die Geschichte sind sie zu dem einzig identifizierbaren Handelsvolk geworden, das vom europäischen Mittelalter bis an die Schwelle der Emanzipationsepoche als identisches existiert. In der Entwicklung von der vorkapitalistischen zur kapitalistischen Gesellschaft geschieht etwas Entscheidendes: Die Ökonomie, ein rationales, über Sachen und sachliche Verhältnisse (Eigentum und Tausch) vermitteltes Machtverhältnis, erfasst alle menschlichen Beziehungen. Gleichwohl lebt, im Denken und Fühlen der Zeitgenossen, die Vorstellung persönlicher Machtverhältnisse fort. Gerade weil die Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse sich nicht ohne Leiden durchsetzte und darum auch nicht widerstandslos hingenommen wurde, heftet sich der antiökonomische Affekt, wie seit dem Mittelalter Tradition und Vorurteil, an die Juden. Sie waren keineswegs die einzigen Vermittler von Handel und Geldverkehr, aber die Juden waren die einzige Gruppe, die sich identifizieren ließ. Darum konnten die Vorstellungen von der Rolle und der Macht des Geldes mit der Person des Juden, mit dem Charakter des jüdischen Volkes verschmelzen.

Solche Vorstellungen überlebten selbst dann noch, als, wie beispielsweise in Frankreich oder England, die Juden schon recht früh, in der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert, vertrieben worden waren. England, bis zur Cromwellschen Revolution ohne Juden, gilt seitdem als das klassische Beispiel eines Landes, das Antisemitismus kennt, ohne Juden zu kennen. Dieses Phänomen verlangt eine genauere Untersuchung. Zunächst einmal bedeutet der säkulare Prozess der Ökonomisierung der menschlichen Beziehungen die Ersetzbarkeit eines Gegenstandes durch den anderen; sinnlich erscheint diese Fähigkeit im Tauschmittel, im Geld. Selbst der junge Marx war noch an das Tauschmittel fixiert. Das Geld nivelliert die naturwüchsigen Unterschiede und löst naturwüchsige Identität auf. An die Stelle persönlicher Macht tritt eine unpersönliche. Nur differenzierendes Denken vermag beide auseinanderzuhalten.

In ihrem unmittelbaren Erleben, in ihrer Phantasie heften die Zeitgenossen, zumal sie selbst, wie bewusst auch immer, sich als Opfer eines übergreifenden Prozesses erfahren, unpersönliche Machtverhältnisse an Personen, die gesellschaftliche Prozesse verantworten sollen. Ökonomisierung ist ein Prozess der Entpersönlichung. Mit dem Mittel der Personalisierung setzen die unter Entfremdung und Verdinglichung Leidenden wieder Personen an die Stelle versachlichter Prozesse. Einst waren die Juden identifizierbar als Tauschagenten. Obwohl die moderne bürgerliche Gesellschaft diese Funktion des Tausches verallgemeinert hat und jeder am Tauschverkehr teilhat, werden immer noch allein die Juden mit dem Tauschakt identifiziert, weil die versachlichten modernen Verhältnisse psychisch schwer zu ertragen sind. Die Juden waren schon im Mittelalter weder die einzigen Zirkulationsagenten, noch waren sie - wegen ihrer äußerlichen Beschränkung und ihrer Notsituation - die schlechtesten Geldverleiher. Ihre äußerliche Kennzeichnung aber diente gerade dazu, sie identifizierbar zu machen. Das abenteuerliche Schicksal der Hofjuden im 17. und 18. Jahrhundert, die in einer vorkapitalistischen Welt Modernität repräsentierten, bildet den Stoff für Massenphantasien, die in Antisemitismus umschlugen. Als Gläubiger der Herrscher erschienen die Juden als persönlich verantwortlich für das ökonomische Missgeschick der Massen. Die Nationalsozialisten haben für ihren erfolgreichen Propagandafilm "Jud Süß" sehr geschickt einen Stoff aus dem 18. Jahrhundert gewählt, an dem sich alle antisemitischen Alltagsphantasien auch im 20. Jahrhundert noch entzünden konnten.

Was aber hat die vorkapitalistische Welt mit dem Antisemitismus der Gegenwart zu tun? In der vorkapitalistischen Welt erschienen die Juden als das personifizierte Unglück. Sie selbst waren gezwungen, ohne Heimat zerstreut im Ausland zu leben was früher auch sprachlich identisch war mit "im Elend" leben (Ausland = Elend). Die Begegnung mit Juden beschwor dunkle Gefahren. Man suchte sie meist nur in Not auf, die Unberechenbarkeit ökonomischer Verhältnisse konnte einen Verschuldeten sehr schnell ins Elend hinabstoßen, wenn er seine Schuld nicht zahlen konnte. Periodisch gab es aber Entlastungen vom herrschaftlichen Druck, wenn die Juden "geschlagen" wurden Pogrome hießen im altertümlichen Deutsch "Judenschlachten". Die Schulden, die aus dem ökonomischen Prozess resultierten, wurden auf barbarische Weise getilgt.

In der modernen Gesellschaft ist die vorherrschende Verkehrsform die Tauschbeziehung geworden: Sie erfordert Verzicht auf unmittelbare Gewalt. Um seine Bedürfnisse zu befriedigen, muss das Individuum am gesellschaftlichen Tauschverkehr teilnehmen. Der Tausch vermittelt zwischen Sachen, den Gegenständen der Begierde, und Personen. Im Warentausch steht der fremde Warenbesitzer B zwischen dem Warenbesitzer A und dem Gegenstand seiner Begierde, der Ware B. Im Mittel Geld, das die Tauschverhältnisse reguliert, versachlicht sich diese Beziehung. Der Tausch erfordert Abstraktion vom Bedürfnis solange, bis der Genuss eintreten kann. Die Volksweisheit: "Geld macht sinnlich" beinhaltet den begehrlichen Wunsch des Warenbesitzers auf fremde Ware, die er auch mit Gewalt nehmen würde. Das Tötungstabu und die schweren Sanktionen verhindern dies im Normalverlauf; in der Phantasie aber lebt die Erinnerung fort, dass es einmal möglich und nicht in jedem Fall verboten war, sich fremden Besitz gewaltsam und direkt anzueignen. Jeder Tauschakt bewegt diese komplexen psychischen Transaktionen. Der Warenbesitzer B wird von dem Warenbesitzer A als Fremder erlebt und umgekehrt. Äußerlich scheint ihre Begegnung ganz sachlich zu verlaufen, aber innerlich geschieht Entscheidendes: "Andererseits anerkennen wir den Tod für Fremde und Feinde und verhängen ihn ebenso bereitwillig und unbedenklich wie der Unmensch. Hier zeigt sich freilich ein Unterschied, den man in der Wirklichkeit für entscheidend erklären wird. Unser Unbewußtes führt die Tötung nicht aus, es denkt und wünscht sie bloß. Aber es wäre unrecht, diese psychische Realität im Vergleich zur faktischen so ganz zu unterschätzen. Sie ist bedeutsam und folgenschwer genug. Wir beseitigen in unseren unbewußten Regungen täglich und stündlich alle, die uns im Wege stehen, die uns beleidigt und geschädigt haben. Das 'Hol' ihn der Teufel', das sich so häufig in scherzendem Unterton über unsere Lippen drängt, in unserem Unbewußten ist es ein ernsthafter, kraftvoller Todeswunsch. Ja, unser Unbewußtes mordet selbst für Kleinigkeiten; wie die alte athenische Gesetzgebung des Drakon, kennt es für Verbrechen keine andere Strafe als den Tod, und dies mit einer gewissen Konsequenz, denn jede Schädigung unseres allmächtigen und selbstherrlichen Ichs ist im Grunde ein crimen laesae majestatis."[269]

Genau dieses prekäre Kräfteverhältnis zwischen äußerer und psychischer Realität verschafft sich im antisemitischen Meinen Luft: Die Meinung wird zur Gewalttat; die Meinung veräußerlicht verinnerlichte Gewalt. Das Vorurteil bekommt auf diesem Hintergrund einen verbindlichen Sinn: "Man darf endlich annehmen, daß aller innere Zwang, der sich in der Entwicklung des Menschen geltend macht, ursprünglich, d.h. in der Menschheitsgeschichte, nur äußerer Zwang war."[270] Im Tauschakt wird die materielle Welt angeeignet, ohne dass durchschaubar wird, wie und wo die Dinge, die zu Waren wurden, produziert werden. Im Tauschakt bildet sich aber die Meinung, das Modell primärer intellektueller Aneignung. Im Meinen wird etwas noch Subjektives als Wahrheit behauptet; die Meinung wird festgehalten gegen den weiteren Lauf der Dinge, der ohnedies nur schwer zu durchschauen ist. So verhärtet Meinung sich zum Vorurteil. Meinung wird zudem gebildet unter affektiver Beteiligung: "Töricht wäre, wer von dieser Neigung sich freispräche. Sie beruht auf Narzißmus, also darauf, daß die Menschen bis heute dazu gehalten sind, ein Maß ihrer Liebesfähigkeit nicht etwa geliebten Anderen zuzuwenden, sondern sich selber, auf eine verdrückte, uneingestandene und darum giftige Weise zu lieben. Was einer für eine Meinung hat, wird als sein Besitz zu einem Bestandstück seiner Person, und was die Meinung entkräftet, wird vom Unbewußten und Vorbewußten registriert, als werde ihm selber geschadet. Rechthaberei, der Hang der Menschen, törichte Meinungen selbst dann hartnäckig zu verteidigen, wenn ihre Falschheit rational einsichtig geworden ist, bezeugt die Verbreitung des Sachverhalts."[271]

In das Meinen sickert über die effektive Besetzung des Meinenden der geschichtliche Gehalt unreflektiert ein - und verdinglicht zum Vorurteil. Das Meinen scheint nur individuell, ist der Struktur nach aber konformistisch. Gerade indem er auf seiner Meinung beharrt, fühlt der einzelne sich von den anderen bestätigt, das ist gewissermaßen der psychische Gewinn des Einzelnen, kommt seinem Selbstwertgefühl zugute. Man muss sich lösen von der Vorstellung, das antisemitische Meinen wären das Unnormale und aufgeklärte Rationalität das Normale - das Gegenteil ist der Fall. Aber kritische Selbstreflexion ist auf subjektiver Seite das einzige Gegengift gegen antisemitisches Meinen - Subjektivität, die sich in den Produktionsprozess objektiver Wahrheit versenkt. Die Einsicht in die Beschränktheit des sich allmächtig wähnenden Subjekts ruft Abwehr hervor. Die Hilflosigkeit rationaler Argumente gegen antisemitisches Meinen erfährt jeder, der gegen Vorurteile Wahrheit zu behaupten versucht. Antisemitisches Meinen ist gerade deswegen schwer zu erschüttern, weil es nicht allein auf subjektiv fehlerhaftem Denken beruht, sondern dem ohnmächtigen Individuum das Gefühl gibt, mit einer objektiven gesellschaftlichen Tendenz im Bunde, also: stark zu sein.

Das Meinen entzieht sich der Sache; mit jedem Meinen ist die Gefahr der Hypostase verbunden. "Die Grenze zwischen der gesunden und der pathogenen Meinung wird in praxi von der geltenden Autorität gezogen, nicht von sachlicher Einsicht."[272] Autorität aber bedeutet verinnerlichte, vergangene Gewalt, der sich das Individuum unterworfen hat. Die Autorität in der tausendjährigen europäischen Geschichte verhielt sich zweideutig gegenüber den Juden: Die herrschende Autorität verurteilte die Juden, im Elend zu leben, gleichzeitig beschützte sie die Juden als willkommene Einnahmequelle. Die Emanzipation sollte die Juden aus dieser Zweideutigkeit befreien; dazu musste aber der Staat selbst von der Herrschaft der Religion befreit und zu einem vernünftigen Staat werden. Bei Hegel finden wir, in Abgrenzung zu Fichte, deutliche Worte: "So formelles Recht man etwa gegen die Juden in Ansehung selbst von bürgerlichen Rechten gehabt hätte, indem sie nicht bloß als eine besondere Religionspartei, sondern als einem fremden Volk angehörig ansehen sollten, so sehr hat das aus diesen und anderen Gesichtspunkten erhobene Geschrei übersehen, daß sie zuallererst Menschen sind und daß dies nicht nur eine flache abstrakte Qualität ist, sondern daß darin liegt, daß durch die zugestandenen bürgerlichen Rechte vielmehr das Selbstgefühl, als rechtliche Person in der bürgerlichen Gesellschaft zu gelten, und aus dieser unendlichen, von allem anderen freien Wurzel die verlangte Ausgleichung der Denkungsart und Gesinnung zustande kommt. Die den Juden vorgeworfene Trennung hätte sich vielmehr erhalten und wäre dem ausschließenden Staate mit Recht zur Schuld und Vorwurf geworden; denn er hätte damit sein Prinzip, die objektive Institution und deren Macht verkannt. Die Behauptung dieser Ausschließung, indem sie aufs höchste recht zu haben vermeinte, hat sich auch in der Erfahrung am törichtsten, die Handlungsart der Regierungen hingegen als das Weise und Würdige erwiesen."[273]

Hegel spricht hier gegen die aufkommende, moderne antisemitische Literatur zu einem Zeitpunkt, als es das Wort Antisemitismus noch nicht gab. Das "Geschrei" ist nicht nur im übertragenen, sondern auch im Wortsinne zu verstehen. Während der Abfassung der Rechtsphilosophie erschütterten mehrere Ereignisse das Deutschland der beginnenden Restauration: das Wartburgfest 1817, auf dem unter anderen der Code Napoleon als Inbegriff der Fremdherrschaft verbrannt wurde; die HEP-HEP-Unruhen 1819, bei denen in den ehemaligen Ländern der Kontinentalsperre jüdische Läden gestürmt wurden; und die Ermordung Kotzebues, der keineswegs die finstere Gestalt war, als der er von den teutomanen Studenten hingestellt wurde. Aus Hegels Worten spricht der Geist der Emanzipation, den er schon in seinem ersten großen Werk, der "Phänomenologie des Geistes" 1806 in Gedanken fasste. Das für den Emanzipationszusammenhang entscheidende Kapitel heißt "Herrschaft und Knechtschaft". Hegel begreift die Arbeit des Knechtes als Möglichkeit von Emanzipation in einer agrarischen Gesellschaft; am Ende triumphiert die geistige Arbeit, die zum Denken sublimierte Arbeit des ehemaligen Knechtes.

Die wirkliche Geschichte hat allerdings die Gesellschaft nicht vernünftig werden lassen, wie es Hegels Vorstellung der Vernunftherrschaft entspricht. Hegels Philosophie entmachtet die Herrschaft der Religion und setzt an ihre Stelle die Herrschaft des Gesetzes; in den Juden sieht er das erste "Volk des Geistes", das aber auf eine elende gesellschaftliche Stellung herabgedrückt ist. Objektiv gesehen sind die vorbürgerlichen Juden weder Herren noch Knechte, sie sind die Vermittler. Ohne Vermittlung aber kann es kein dialektisches Denken geben: Auf die Beziehung kommt es an. Die Emanzipation aus den vorbürgerlichen Verhältnissen missglückt: Auf die bürgerliche Gleichstellung folgt schon 1808 das Decret Infaeme, das die unveräußerlichen Rechte wieder aufhebt; auf Revolution und Reform folgt die Restauration, die auch alle Judenemanzipation wieder einschränkt. Das Ergebnis der großen Epoche von Revolution und Napoleonischen Kriegen entspricht nicht der Wirklichkeit der Vernunft, sondern dem auf Herrschaft und Knechtschaft folgenden "unglücklichen Bewußtsein" - das unglückliche, in sich entzweite Bewusstsein, das einer entzweigebrochenen Wirklichkeit entspricht. In der deutschen Literatur hat Heinrich Heine wie kein zweiter dieses unglückliche Bewusstsein artikuliert: "Wir haben nicht mehr die Kraft, einen Bart zu tragen, zu fasten, zu hassen und aus Haß zu dulden; das ist das Motiv unserer Reformation. Die einen, die durch Komödianten ihre Bildung und Aufklärung empfangen, wollen dem Judentum neue Kulissen geben, und der Souffleur soll ein weißes Bettchen tragen; sie wollen das Weltmeer in ein niedliches Bassin von Papiermache gießen und wollen dem Herkules auf der Kasseler Wilhelmshöhe das braune Jäckchen des kleinen Marcus anziehen. Andere wollen ein evangelisches Christentümchen unterjüdischer Firina und machen sich ein Talles aus der Wolle des Lamm Gottes und machen sich ein Wams aus den Federn der Heiligen-Geist-Taube und Unterhosen aus christlicher Liebe, und sie fallieren, und die Nachkommenschaft schreibt sich: Gott, Christus & Co. Zu allem Glück wird sich dieses Haus nicht lange halten, seine Tratten auf die Philosophie kommen mit Protest zurück, und es macht bankrott in Europa, wenn sich auch seine von Missionarien in Afrika und Asien gestifteten Kommissionshäuser einige Jahrhunderte länger halten. Dieser endliche Sturz des Christentums wird mir täglich einleuchtender. Lange genug hat sich diese faule Idee gehalten."[274]

Heines Ausbruch reagiert auf die Rücknahme der Emanzipationsgesetzgebung von 1812, die ihn und seinen Freund Eduard Gans zwangen, sich taufen zu lassen. Es ist völlig verkehrt, diese Taufen noch in religiösen Termini fassen zu wollen. Diese Generation ist schon ein Produkt der Emanzipationsepoche - als Bürger fühlen sie in religiösen Angelegenheiten indifferent. Sie erleiden die Konflikte des unglücklichen Bewusstseins in einer emanzipationsfeindlichen Gesellschaft, in der die bürgerliche Emanzipation zur Judenfrage sich verengt. Der Judenhass im christlichen Europa ließ keine Wahl: Taufe oder Tod. Traditionelle Juden behandelten einen abgefallenen Juden als tot. Der Getaufte war ein neuer Mensch, ein Fremder in einer manichäischen Welt. Die bürgerliche Gesellschaft schafft zum ersten Mal die Möglichkeit, sich aus diesem Manichäismus zu befreien. Aufklärung, Kantische und Hegelsche Philosophie wie die Marxsche Theorie befördern diesen Vorgang der Befreiung vom vorbürgerlichen Manichäismus. Aber die Dialektik der Aufklärung fällt auch auf diese Autoren zurück, weil sie ein objektiver Vorgang ist. Man kann diese Dialektik bewußt machen; hierin besteht die einzige Chance, dem Antisemitismus nicht blind sich auszuliefern.

Der Antisemitismus ist in den objektiven gesellschaftlichen Bedingungen verankert. Der ökonomische Prozess verlangt Triebverzicht oder zumindest unlustvollen Triebaufschub von den gesellschaftlichen Individuen, den sie nicht unter Umgehung des Tötungstabus verkürzen dürfen. Die fremde Warenwelt erinnert vor jedem Tauschakt an diese unlustvolle Wirklichkeit. In der vorbürgerlichen europäischen Gesellschaft fand der Tausch nur am Rand des gesellschaftlichen Geschehens, nur in Ausnahmefällen statt, und wurde mit den Juden identifiziert, in der bürgerlichen Gesellschaft wird der Mensch durch Tauschakte vergesellschaftet, orientiert sich aber weiterhin an der Sozialisierung durch unmittelbare persönliche Beziehungen. Das subjektive Meinen entspricht der Unmittelbarkeit vorökonomischen Begehrens; der unpersönliche Tauschakt wird in persönliche Beziehungen rückübersetzt; als vermittelnde Instanz fungiert im falschen Bewusstsein nicht das Geld, sondern der Jude. Der marginale vorbürgerliche Judenhass wird in der bürgerlichen Gesellschaft an den zentralen ökonomischen Mechanismus gekoppelt: Die bürgerliche Gesellschaft wird zur antisemitischen Gesellschaft per excellence.[275]

In der kapitalistischen Gesellschaft dominiert das abstrakt Allgemeine, das Kapital, der Wert. Der Warenfetischismus, das im Tauschakt entstehende verkehrte Bewusstsein, verhindert, dass die Menschen durchschauen, was der Wert eigentlich ist: ein an Dinge gebundenes, vermitteltes Verhältnis von Personen. Der Wert erscheint an den Dingen und ist doch nirgends zu greifen: "Die Wertgegenständlichkeit unterscheidet sich dadurch von der Wittib Hurtig, daß man nicht weiß, wo sie zu haben ist."[276] Diese Unfassbarkeit des Wertes wird von den Warenbesitzern identifiziert mit den ehemaligen Tauschagenten, den Juden, die auch unfassbar und überall sind. Die Arbeit wird dem Tauschakt unterworfen, und selbst bei einem geistigen Arbeiter wie Fichte kommt antisemitisches Ressentiment zum Vorschein, weil er die Durchsetzung der Herrschaft geistiger Arbeit in Form der Kapitalherrschaft nicht begreift. Der gebildete Antisemitismus hat hier seine Quelle: Er idealisiert die geistige Arbeit zur geld- und wertfreien Tätigkeit und hasst im "jüdischen Geist" die bürgerliche Wirklichkeit geistiger Arbeit, für welche die gleichen Markt- und Tauschgesetze gelten wie für die materielle Arbeit. Ebenso heftet sich das Ressentiment der Unterdrückten gegen die Herrschaft des Wertes an die Juden, das als Volk des Geistes gilt: "Sie sind irgendwie schlauer." Antisemitismus und Antiintellektualismus zehren vom selben Stoff.

Gegen viele Beschwichtigungsversuche und Relativierungen muss man betonen: Der Antisemitismus ist in der objektiven Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft begründet. Aber die gesellschaftlichen Individuen fassen die Gesellschaft nicht so auf, wie sie ist. Das antisemitische Meinen setzt die Gefühlswelt anstelle der in Abstraktion vom unmittelbaren Gefühl erarbeiteten Erkenntnis. Um zu tauschen und eine Meinung zu haben, muss man vielleicht schlau sein, aber wirklich nachdenken muss man nicht. Deswegen hat der moderne Antisemitismus diesen pseudodemokratischen Gestus des Mitreden- Wollens: "Man wird doch einmal sagen dürfen ... " Das antisemitische setzt an die Stelle disziplinierten Denkens die Willkür: "Da für wirkliches Dasein und Handeln jedoch entschieden werden muss, so tritt dasselbe ein wie bei der als das Absolute wissenden Subjektivität des Willens überhaupt, dass aus der subjektiven Vorstellung, d. i. dem Meinen und dem Belieben der Willkür entschieden wird."[277]

Gefühl und unkritische Positivität fallen aus einem Grund zusammen, den Hegel noch nicht durchschauen konnte. Die Kritik der politischen Ökonomie hat, gut dreißig Jahre nach Hegel, gezeigt, dass die bürgerliche Gesellschaft keineswegs die Geschichte abschließt. Dieser Schein konnte entstehen, weil, im Unterschied zu den vorbürgerlichen Gesellschaftsformationen, die bürgerliche die von Zeit und Raum scheinbar unbeschränkt warenproduzierende Gesellschaft ist. Dieser gesellschaftlich produzierten Geschichtslosigkeit, die in der Struktur des Wertes begründet ist, korreliert die Geschichtslosigkeit des psychischen Geschehens. Das Unbewusste entspricht der Struktur des Wertes in seiner Zeitlosigkeit, zugleich aber bewahrt es auf, was in der äußeren Realität vergeht: "Wir rühren hiermit an das allgemeine Problem der Erhaltung im Psychischen, das kaum noch Bearbeitung gefunden hat, aber so reizvoll und bedeutsam ist, daß wir ihm auch bei unzureichendem Anlass eine Weile Aufmerksamkeit schenken dürfen. Seitdem wir den Irrtum überwunden haben, daß das uns geläufige Vergessen eine Zerstörung der Gedächtnisspur, also eine Vernichtung bedeutet, neigen wir zu der entgegengesetzten Annahme, daß im Seelenleben nichts, was einmal gebildet wurde, untergehen kann, daß alles irgendwie erhalten bleibt und unter geeigneten Umständen, z. B. durch eine so weit reichende Regression, wieder zum Vorschein gebracht werden kann."[278]

Durch diese Möglichkeit des psychischen Apparates wird verständlich, warum Vorurteile die gesellschaftlichen Situationen überleben, in denen sie entstanden sind. Psychische Gesetze spielen in der unkritischen Aneignung der Realität, im Meinen, eine entscheidende Rolle. Erwähnt sei nur das in diesem Sachverhalt Wichtigste: die Ambivalenz. Die Ambivalenz lebt davon, dass es zwei Arten von Juden gibt: den Herren und den Elenden. Die alten Trennungen von Sephardim und Aschkenasim, von Portugieser Juden und Elsässer Juden, von deutschen Juden und Ostjuden lassen sich mit den Netteln der Ambivalenz gut bearbeiten: In der Vorstellung der "zwei Arten von Juden" kämpft die antisemitische Vorstellung mit Widersprüchen, die auf diese Weise erträglich gestaltet werden. In der Untersuchung "Authoritarian Personality" hat ein weißer Boy- Scout-Fuehrer diese Unterscheidung zwischen weißen und nichtangepassten Juden zum Ausgangspunkt seiner "Lieblingstheorie" gemacht: "Nehmen Sie die Juden. Es gibt Gute und Schlechte in allen Rassen. Wir wissen das, und wir wissen, daß die Juden eine Religionsgemeinschaft sind und keine Rasse; aber die Schwierigkeit ist, daß es zwei Typen von Juden gibt. Da sind die weißen Juden und die Kikes. Meine Lieblingstheorie ist, dass die weißen Juden die Kikes ebensosehr hassen wie wir. Ich kannte sogar einen guten Juden, der einen Laden hatte und einige Kikes rauswarf, indem er erklärte, mit Kikes wolle er nichts zu tun haben."[279]

Die Unterscheidung zweier Arten von Juden entlastet in Normalzeiten vom Schuldgefühl, das mit dem gewöhnlichen Antisemitismus einhergeht. Die antisemitische Propaganda versucht aus der Ambivalenz ihr Kapital zu schlagen: Der Agitierte kann sich zugleich als Herr und als Rebell gegen die Herrschaft fühlen. Ambivalenz aber ist auch wirksam in der Relation von Antisemitismus und Philosemitismus; beiden gemeinsam ist die unaufgeklärte affektive Beziehung zum Meinen. In Deutschland konnte das Umschlagen von Antisemitismus in Philosemitismus und umgekehrt mit den wechselnden Autoritätsverhältnissen in den letzten Jahrzehnten gut beobachtet werden. Die Grundstruktur bleibt die Korrelation von Antisemitismus und Gesellschaft; der erklärte "offizielle" Philosemitismus ist jederzeit kündbar. Als Lackmus können Auseinandersetzungen um kulturelle Phänomene gelten.

Kultur gilt als positiver Wert in der spätkapitalistischen Gesellschaft; Protest gegen Antisemitismus, der sich in kulturellen Objektivationen niederschlägt, provoziert sofort antisemitisches Vorurteil. Ebenso wenn es um die "nationale Selbstachtung" oder Identität geht: Nationales Selbstgefühl gilt als natürlich; wird es gekränkt, schlägt der offiziell gepflegte Philosemitismus in Antisemitismus um. Falsch an beiden, Philo- und Antisemitismus, pflegt die vorgeordnete Rolle des Kollektive zu sein, die der Emanzipation des einzelnen zuwiderläuft: "Einen Menschen a priori, nicht als einzelnen, als Person, sondern generell und vornehmlich als Deutschen, Neger, Juden, Fremden oder Welschen zu behandeln, ohne daß man schon die Erfahrungen hätte, er ermangele eigenen Urteils und verdiene nicht, für sich selbst zu gelten, ist barbarisch."[280]

Der Antisemitismus der Nazis musste vom modernen Antisemitismus abstrahieren, um zu der Tat zu gelangen, die mit dem Namen Auschwitz verbunden ist. Die fabrikmäßige Tötung von Millionen Juden gelang nur unter der Abstraktion von dem gefühlsgebundenen Agitationsantisemitismus. Von den antisemitischen Parteien im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Berliner Sportpalast durchzieht den modernen Antisemitismus etwas Theatralisches, das Adorno auch an der faschistischen Agitation in den USA beobachtet hat: "So wenig die Menschen im Innersten wirklich glauben, daß die Juden Teufel sind, glauben sie ganz an den Führer. Sie identifizieren sich nicht mit ihm, sondern agieren diese Identifizierung, schauspielern ihre eigene Begeisterung und nehmen so an der "Show" ihres Fuehrers teil."[281]

Die Praxis der Versammlungsrede widersprach schon den von Hitler früh geforderten veränderten Politikformen: Hitler forderte einen "Antisemitismus der Vernunft"[282], der die begrenzte Gewaltform des Pogroms überwindet. Nur unter Abstraktion von Gefühlen lässt sich die mechanische Tötung von Millionen organisieren und durchführen. Sadistische Qual- und Folterszenen, mit der die Unterhaltungsindustrie das Geschehen in Auschwitz oft aufbereitet, hindern nur den sachlichen Ablauf des Mordens. Selbst die Massenerschießung erweist sich in der Praxis als zu aufwendig; die psychische Rückwirkung, die Demoralisierung der Erschießungspelotons wird gefürchtet.

Die Nichtanerkennung des Feindes offenbart sich in der Tötungsart: Zyklon B - Unkrautvernichtung, wie die Propaganda es versprochen hat. Die Massenvernichtung von Menschen im Konzentrationslageruniversum lässt die Geschichte des Antisemitismus hinter sich. In der Aufhebung aller bisherigen Geschichte wollten die nationalsozialistischen Machthaber eine bleibende Tat begangen haben. Um diese unbegreifliche Vorstellungswelt überhaupt als real zu zeigen, muss man Zeugen und Täter selbst sprechen lassen. Der Eichmann verhörende Offizier Avner Less berichtet von einem SS-Zeugen, der Eichmanns letzte offizielle Worte zu Protokoll gab, und hält sie Eichmann im Verhör vor: "Eichmann" - so hat der Zeuge Wisliceny erzählt - "drückte das in einer besonders zynischen Weise aus, er sagte, er würde lachend in die Grube springen, denn das Gefühl, daß er fünf Millionen Menschen auf dem Gewissen habe, wäre für ihn außerordentlich befriedigend." Eichmann regt sich im Verhör auf: "Das ist ... Theater, Theater! ... Das ist die letzte Ansprache gewesen, die ich an meine Leute hielt, wie ich schon gesagt habe. Was ich da gesagt habe, das muß nicht wörtlich stimmen, aber sinngemäß stimmt's ganz genau. Denn das ist meine... meine... das ist meine, mein Resuemee gewesen damals in der... in der... wie soll ich sagen Weltuntergangsstimmung, in der ich lebte - die dann einige Tage einen Schock in mir - ah - also nicht einen, einen Nervenschock, sondern einen ... einen moralischen Schock hervorrief: Das Reich ist kaputt, es hat alles nichts genutzt, es ist alles, es ist alles umsonst, umsonst der ganze Krieg. Das habe ich da gesagt, was da angegeben ist. Aber das ist Theater!"[283]

Aus Eichmanns Worten spricht die Verharmlosung des Geschehens: Eigentlich soll alles nur ein 'Theater gewesen sein - wie vorher im Sportpalast, als man noch sagen konnte, man habe sich verführen lassen. Der Antisemitismus ist nicht trotz Auschwitz wiedergekehrt, sondern der Antisemitismus nach Auschwitz hat Auschwitz in sein System der Abwehr von Schuld aufgenommen. Auf der einen Seite gibt es die brutale Verleugnung der Existenz von Auschwitz. Diese Behauptung hat nur eine Funktion: Man will am Status quo ante des Antisemitismus anknüpfen können. Auf der anderen Seite lässt sich die Nivellierung von Auschwitz, der Vorgeschichte und der Nachgeschichte beobachten. Es wird oft (pseudopsychoanalytisch) von Verdrängung gesprochen, aber in beiden Fällen ist Verleugnung am Werk: Die Geschichte, also reale Taten in der Außenwelt, nicht in der Phantasie, soll nicht so wahrgenommen werden wie sie wahrgenommen werden müsste. Jedes Aufkommen von Schuldgefühl soll verhindert werden. Die Verleugnung soll schützen vor einem Wirrwarr der Gefühle, die mit intellektueller Anstrengung bearbeitet werden müssten.

Im Reden über Antisemitismus nach Auschwitz ziehen die meisten Gesprächspartner die Ebene der Gefühle vor; denn allein auf der Gefühlsebene lässt sich das psychische Meisterstück leisten, das von Schuld entlasten soll: die sinnliche Gewissheit, dass auch das Opfer schuldig ist. Denn psychische Schuld rechnet sich nach dem Gleich für Gleich des Blutracheschemas. Nur die Wahrnehmung der ganzen Geschichte vom traditionellen Judenhass in der vorbürgerlichen Welt bis zum modernen Antisemitismus, von Auschwitz und der Gleichmacherei von Täter und Opfer nach Auschwitz, ermöglicht eine klare Sicht auf mögliche Schuld. "Man darf vielleicht sagen, daß eigentlich nur der von neurotischem Schuldgefühl frei ist und fähig, den ganzen Komplex zu überwinden, der sich selbst als schuldig erfährt, auch an dem, woran er im handgreiflichen Sinne nicht schuldig ist"[284].

Fußnoten

  1.  ↑ Kirn, H.-M.: Das Bild vom Juden im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts, Tübingen 1989, S. 76
  2.  ↑ Stolle, V.: Israel als Gegenüber Martin Luthers – im Horizont seiner biblischen Hermeneutik. In: Siegert, F. (Hrsg.): Israel als Gegenüber: Vom Alten Orient bis in die Gegenwart. Studien zur Geschichte eines wechselvollen Zusammenlebens, Göttingen 2000, S. 322–359, hier S. 324
  3.  ↑ Helmar Junghans: Martin Luther und die Juden. In: Michael Beyer, Günther Wartenberg, Helmar Junghans (Hrsg.): Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: Ausgewählte Aufsätze, Leipzig 2001, S. 162–189, hier S. 166
  4.  ↑ Andreas Späth: Luther und die Juden. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 2001, S. 26
  5.  ↑ von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 64
  6.  ↑ von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 73
  7.  ↑ Helmar Junghans: Martin Luther und die Juden. In: Michael Beyer, Günther Wartenberg, Helmar Junghans (Hrsg.): Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: Ausgewählte Aufsätze, Leipzig 2001, S. 162–189, hier S. 179
  8.  ↑ von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 78
  9.  ↑ Helmar Junghans: Martin Luther und die Juden. In: Michael Beyer, Günther Wartenberg, Helmar Junghans (Hrsg.): Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: Ausgewählte Aufsätze, Leipzig 2001, S. 162–189, hier S. 172
  10.  ↑ Kirn, H.-M.: Luther und die Juden. In: Albrecht Beutel (Hrsg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, S. 217–225, hier S. 220
  11.  ↑ von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 112
  12.  ↑ Stolle, V.: Israel als Gegenüber Martin Luthers – im Horizont seiner biblischen Hermeneutik. In: Siegert, F. (Hrsg.): Israel als Gegenüber: Vom Alten Orient bis in die Gegenwart. Studien zur Geschichte eines wechselvollen Zusammenlebens, Göttingen 2000, S. 322–359, hier S. 345
  13.  ↑ Kirn, H.-M.: Luther und die Juden. In: Albrecht Beutel (Hrsg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, S. 217–225, hier S. 224
  14.  ↑ Andreas Späth: Luther und die Juden. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 2001, S. 31
  15.  ↑ Pulzer, P. G.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004, S. 72
  16.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 62
  17.  ↑ Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 281
  18.  ↑ Pulzer, P. G.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004, S. 233
  19.  ↑ Seeber, G.: Zum Kampf der deutschen Sozialdemokratie gegen den Antisemitismus im Kaiserreich. (Texte zur politischen Bildung, 16). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 1999, S. 7–17, hier S. 12
  20.  ↑ Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 283
  21.  ↑ Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 32
  22.  ↑ Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 72
  23.  ↑ Seeber, G.: Zum Kampf der deutschen Sozialdemokratie gegen den Antisemitismus im Kaiserreich. (Texte zur politischen Bildung, 16). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 1999, S. 7–17, hier S. 10
  24.  ↑ Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 280
  25.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 85
  26.  ↑ Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 90
  27.  ↑ Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 127f
  28.  ↑ Seeber, G.: Zum Kampf der deutschen Sozialdemokratie gegen den Antisemitismus im Kaiserreich. (Texte zur politischen Bildung, 16). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 1999, S. 7–17, hier S. 16f
  29.  ↑ Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 274
  30.  ↑ Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 74
  31.  ↑ Pulzer, P. G.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004, S. 54
  32.  ↑ Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 279
  33.  ↑ Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 75
  34.  ↑ Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 97ff
  35.  ↑ Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 283
  36.  ↑ Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 97ff
  37.  ↑ Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 283
  38.  ↑ Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 80
  39.  ↑ Graetz, M.: Jüdische Aufklärung, in: Breuer,M. Graetz, M.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 1, Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 2000, S. 251-351, hier S. 253
  40.  ↑ Feiner, S.: Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim / Zürich / New York 2007, S. 76
  41.  ↑ Graetz, M.: Jüdische Aufklärung, in: Breuer,M. Graetz, M.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 1, Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 2000, S. 251-351, hier S. 269
  42.  ↑ Lauer, G.: Die Rückseite der Haskala. Geschichte einer kleinen Aufklärung, Göttingen 2008, S. 47
  43.  ↑ Feiner, S.: Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim / Zürich / New York 2007, S. 28
  44.  ↑ Graetz, M.: Jüdische Aufklärung, in: Breuer,M. Graetz, M.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 1, Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 2000, S. 251-351, hier S. 265
  45.  ↑ Gründer, K./Rotenstreich, N.: Aufklärung und Haskala in jüdischer und nichtjüdischer Sicht, Tübingen 1990, S. 34
  46.  ↑ Lauer, G.: Die Rückseite der Haskala. Geschichte einer kleinen Aufklärung, Göttingen 2008, S. 89
  47.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 35
  48.  ↑ Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 39f
  49.  ↑ Clemens Brentano, Der Philister vor, in und nach der Geschichte. scherzhafte Abhandlung, in: ders., Werke, 2 Bde, München 1973, S.959-1016
  50.  ↑ Heinrich Heine, Almansor. Eine Tragödie, in: ders., Sämtliche Schriften Bd. 1, hg. v. Klaus Briegleb, Frankfurt/Main/Berlin/Wien 1981, S.284f
  51.  ↑ Walter Grab, Der preussisch-deutsche Weg der Judenemanzipation 1789-1938, München 1991, S.15
  52.  ↑ Friedrich Ludwig Jahn, Deutsches Volkstum (1806), zit. nach: Ludger Graf v. Westphalen, Geschichte des Antisemitismus in Deutschland im 19. und 20. Jh. (= Quellen- und Arbeitshefte zur Geschichte und Politik), Stuttgart 1971, S.15
  53.  ↑ Ernst Moritz Arndt, Ein Blick aus der Zeit auf die Zeit (1814), zit. nach: Ebd., S.16
  54.  ↑ Heinrich Heine, Bekenntnis, zit. nach: Julius Höxter, Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, 5. Teil. Neueste Zeit: 1789 bis zur Gegenwart, FfM 1930, S.98f
  55.  ↑ Christian Ludwig Palzow, über das Bürgerrecht der Juden, übersetzt von einem Juden, Berlin 1803, S.98f
  56.  ↑ Zum Wort und zur Bedeutung des "Hepp-Hepp"-Rufes vgl. die überzeugenden Erklärungen bei: Alex Bein, Die Judenfrage. Biographie eines Weltproblems, Bd.2, Anmerkungen, Exkurse, Register, Stuttgart 1980, S.160ff
  57.  ↑ Gehring-Münzel, U. Vom Schutzjuden zum Staatsbürger: Die gesellschaftliche Integration der Würzburger Juden 1803-1871, Würzburg 1992, S. 121
  58.  ↑ Eva Reichmann, Flucht in den Hass. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe, Frankfurt/Main o.J. (1956)
  59.  ↑ Gehring-Münzel, U. Vom Schutzjuden zum Staatsbürger: Die gesellschaftliche Integration der Würzburger Juden 1803-1871, Würzburg 1992, S. 124
  60.  ↑ Katz, J.: Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994, S. 87ff
  61.  ↑ Sterling, E.: Anti-Jewish Riots in Germany in 1819: A Displacement of Social Protest. Historia Judaica 12/1950, S. 105-142, hier S. 121
  62.  ↑ Rohrbacher, S.: Deutsche Revolution und antijüdische Gewalt (1815-1848/49). In Alter, P./ Bärsch, E./Berghoff, P. (Hrsg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München, 1999, S. 29-47, hier S. 30
  63.  ↑ Sterling, E. Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815-1850), 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Marburg1969, S. 75
  64.  ↑ Rohrbacher, S.: Deutsche Revolution und antijüdische Gewalt (1815-1848/49). In Alter, P./ Bärsch, E./Berghoff, P. (Hrsg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München, 1999, S. 29-47, hier S. 33
  65.  ↑ Sterling, E.: Anti-Jewish Riots in Germany in 1819: A Displacement of Social Protest. Historia Judaica 12/1950, S. 105-142, hier S. 124
  66.  ↑ Katz, J.: Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994, S. 65
  67.  ↑ Rohrbacher, S.: Deutsche Revolution und antijüdische Gewalt (1815-1848/49). In Alter, P./ Bärsch, E./Berghoff, P. (Hrsg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München, 1999, S. 29-47, hier S. 38
  68.  ↑ Sterling, E.: Anti-Jewish Riots in Germany in 1819: A Displacement of Social Protest. Historia Judaica 12/1950, S. 105-142, hier S. 132
  69.  ↑ Sterling, E. Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815-1850), 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Marburg1969, S. 108
  70.  ↑ Katz, J.: Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994, S. 52
  71.  ↑ Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands, Tübingen 1968, S.70
  72.  ↑ Neue Preussische Zeitung, Nr. 120/1850
  73.  ↑ Ebd
  74.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 102
  75.  ↑ Bruno Bauer, in: Hermann Wagener, Staats- und Gesellschaftslexikon, 23 Bde, Berlin 1859-1867, hier: Bd.7, S.11f
  76.  ↑ Ebd.
  77.  ↑ Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 87ff
  78.  ↑ Ebd., S. 90
  79.  ↑ Eduard Bernstein, Die Geschichte der Berliner Arbeiter-Bewegung, 2.Teil. Neudruck: Glashütten 1972, S.59
  80.  ↑ Koch, G.: Adolf Stoecker 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche (= Erlanger Studien. Bd. 101), Erlangen/Jena 1993, S. 106
  81.  ↑ Kampmann, W.: Adolf Stoecker und die Berliner Bewegung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. 13 (1962), S. 558–579, hier S. 559
  82.  ↑ Opfermann, U. F.: „Im Volksleib schlimmer als der Tuberkulosen-Bazillus“. Zu Verbreitung und Rezeption des christlich-sozialen Antisemitismus 1881–1914. In: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 11 (2006), S. 109–146; 12 (2007), S. 81–113, hier S. 97
  83.  ↑ Kampmann, W.: Adolf Stoecker und die Berliner Bewegung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. 13 (1962), S. 558–579, hier S. 564
  84.  ↑ Pulzer, P. G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1876–1914. Göttingen 2004, S. 87
  85.  ↑ Massing, P. W.: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1959, S. 75
  86.  ↑ Koch, G.: Adolf Stoecker 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche (= Erlanger Studien. Bd. 101), Erlangen/Jena 1993, S.18
  87.  ↑ Pulzer, P. G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1876–1914. Göttingen 2004, S. 74
  88.  ↑ Opfermann, U. F.: „Im Volksleib schlimmer als der Tuberkulosen-Bazillus“. Zu Verbreitung und Rezeption des christlich-sozialen Antisemitismus 1881–1914. In: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 11 (2006), S. 109–146; 12 (2007), S. 81–113, hier S, 90
  89.  ↑ Koch, G.: Adolf Stoecker 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche (= Erlanger Studien. Bd. 101), Erlangen/Jena 1993, S.92
  90.  ↑ Erlangen/Jena 1993,
  91.  ↑ Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 - 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 15f
  92.  ↑ Ebd., S. 17
  93.  ↑ G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 - 1914. Mit einem Forschungsbericht des Autors. Reihe: Erich Maria Remarque Jahrbuch-Yearbook, Göttingen 2004, S. 86
  94.  ↑ Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 - 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 79
  95.  ↑ Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 - 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 43
  96.  ↑ Engelmann, H. Die Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und Adolf Stoeckers 'Antijüdische Bewegung' ,. Erlangen, 1953, S. 62
  97.  ↑ G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 - 1914. Mit einem Forschungsbericht des Autors. Reihe: Erich Maria Remarque Jahrbuch-Yearbook, Göttingen 2004, S. 89
  98.  ↑ Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 - 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 110
  99.  ↑ Engelmann, H. Die Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und Adolf Stoeckers 'Antijüdische Bewegung' ,. Erlangen, 1953, S. 85
  100.  ↑ Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 - 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 112ff
  101.  ↑ Engelmann, H. Die Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und Adolf Stoeckers 'Antijüdische Bewegung' ,. Erlangen, 1953, S. 45ff
  102.  ↑ Opfermann, U. F.: „Im Volksleib schlimmer als der Tuberkulosen-Bazillus“. Zu Verbreitung und Rezeption des christlich-sozialen Antisemitismus 1881–1914. In: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 11 (2006), S. 109–146; 12 (2007), S. 81–113, hier S. 110
  103.  ↑ Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 - 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 115
  104.  ↑ Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 21
  105.  ↑ Bajohr, F.: Judenfeindschaft – transatlantisch. Der Antisemitismus in Seebädern, Kurorten und „Summer Resorts“ in Deutschland und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) (2003), Hamburg 2003, S. 57–76, hier S. 62
  106.  ↑ Gold, H./Heuberger, G.: Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarte, Bonn 2001, S. 66
  107.  ↑ Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 66
  108.  ↑ Bajohr, F.: Judenfeindschaft – transatlantisch. Der Antisemitismus in Seebädern, Kurorten und „Summer Resorts“ in Deutschland und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) (2003), Hamburg 2003, S. 57–76, hier S. 70
  109.  ↑ Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 52
  110.  ↑ Von den führenden Sozialdemokraten hat Wilhelm Hasenclever - unter dem Pseudonym "Revel" - eine sozialdemokratische Antwort auf die Stöcker-Bewegung verfasst, wobei er selbst einem latenten Antisemitismus das Wort redete. Siehe dazu: Wilhelm Revel, Der Wahrheit die Ehre. Ein Beitrag zur Judenfrage in Deutschland, in: Wilhelm Hasenclever. Reden und Schriften, hg. u. eingel. v. Ludger Heid / Klaus-Dieter Vinschen / Elisabeth Heid, Bonn 1989, S.181-206
  111.  ↑ Zur sozialdemokratischen Gegenbewegung vgl. Bernstein, Berliner Arbeiter-Bewegung, 2. Teil, S. 58-80, u. Paul W. Massing, Vorgeschichte des politischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 1959, S.180ff
  112.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 53
  113.  ↑ Walter Grab, Der preussisch-deutsche Weg der Judenemanzipation, a.a.O., S.29
  114.  ↑ Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 21
  115.  ↑ Bajohr, F.: Judenfeindschaft – transatlantisch. Der Antisemitismus in Seebädern, Kurorten und „Summer Resorts“ in Deutschland und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) (2003), Hamburg 2003, S. 57–76, hier S. 62
  116.  ↑ Gold, H./Heuberger, G.: Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarte, Bonn 2001, S. 66
  117.  ↑ Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 66
  118.  ↑ Bajohr, F.: Judenfeindschaft – transatlantisch. Der Antisemitismus in Seebädern, Kurorten und „Summer Resorts“ in Deutschland und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) (2003), Hamburg 2003, S. 57–76, hier S. 70
  119.  ↑ Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 52
  120.  ↑ Von den führenden Sozialdemokraten hat Wilhelm Hasenclever - unter dem Pseudonym "Revel" - eine sozialdemokratische Antwort auf die Stöcker-Bewegung verfasst, wobei er selbst einem latenten Antisemitismus das Wort redete. Siehe dazu: Wilhelm Revel, Der Wahrheit die Ehre. Ein Beitrag zur Judenfrage in Deutschland, in: Wilhelm Hasenclever. Reden und Schriften, hg. u. eingel. v. Ludger Heid / Klaus-Dieter Vinschen / Elisabeth Heid, Bonn 1989, S.181-206
  121.  ↑ Zur sozialdemokratischen Gegenbewegung vgl. Bernstein, Berliner Arbeiter-Bewegung, 2. Teil, S. 58-80, u. Paul W. Massing, Vorgeschichte des politischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 1959, S.180ff
  122.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 53
  123.  ↑ Walter Grab, Der preussisch-deutsche Weg der Judenemanzipation, a.a.O., S.29
  124.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 66ff
  125.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 108
  126.  ↑ Wilhelm Marr, Der Sieg des Judentums über das Germanentum, Bern 1879
  127.  ↑ Heinrich v. Treitschke, Unsere Aussichten, in: Preussische Jahrbücher, Nov. 1879, zit. nach: Der Berliner Antisemitismusstreit, hg. v. Walter Böhlich, FfM 1965, S.11
  128.  ↑ Bergmann, W.: Ein „weltgeschichtliches ‚Fatum‘“. Wilhelm Marrs antisemitisches Geschichtsbild in seiner Schrift: „Der Sieg des Judentums über das Germanenthum“, in: Ders./Ulrich Sieg (Hrsg.): Antisemitische Geschichtsbilder (= Antisemitismus: Geschichte und Strukturen, Band 5); Essen 2009, S. 61–82, hier S. 68
  129.  ↑ Gerlach, A.: Deutsche Literatur im Schweizer Exil. Die politische Propaganda der Vereine deutscher Flüchtlinge und Handwerksgesellen in der Schweiz von 1833 bis 1845; Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 26; Frankfurt am Main 1975, S. 64
  130.  ↑ Bergmann, W.: Ein „weltgeschichtliches ‚Fatum‘“. Wilhelm Marrs antisemitisches Geschichtsbild in seiner Schrift: „Der Sieg des Judentums über das Germanenthum“, in: Ders./Ulrich Sieg (Hrsg.): Antisemitische Geschichtsbilder (= Antisemitismus: Geschichte und Strukturen, Band 5); Essen 2009, S. 61–82, hier S. 76
  131.  ↑ Young, E:J.: Gobineau und der Rassismus. Eine Kritik der anthropologischen Geschichtstheorie, Meisenheim am Glan 1968, S. 15.
  132.  ↑ Large, D. C.: Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Borchmeyer, D. (Hrsg.): Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000, S. 144-159, hier S. 149
  133.  ↑ Biddiss, M.: Father of Racist Ideology. The Social and Political Thought of Count Gobineau, London 1970, S. 12.
  134.  ↑ Breuer, Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 49.
  135.  ↑ Breuer, S.: Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, Darmstadt 2001, S. 89
  136.  ↑ Gobineau, Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen, a.a.O., Band 4, S. 319.
  137.  ↑ Geulen, C.: Geschichte des Rassismus, München 2007, S. 72.
  138.  ↑ Schemann, K.L.: Gobineaus Rassenwerk: Aktenstücke und Betrachtungen zur Geschichte und Kritik des „Essai sur l’inégalité des races humaines“, Stuttgart 1910, S. 23
  139.  ↑ Breuer, Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 51.
  140.  ↑ Hartwich, W.-D.: Richard Wagners ästhetische Herrschaftsform. Zur Soziologie der „Bayreuther Idee“, in: Faber, R./Holste, C. (Hrsg.): Kreise-Gruppen-Bünde, Würzburg 2000, S. 307-328, hier S. 314ff.
  141.  ↑ Weiner, M.A.: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners, Berlin 2000, S. 45
  142.  ↑ Vgl dazu die im Jahre 1849 erschienene Schrift „Die Kunst und die Revolution“ in Weiner, M.A.: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners, Berlin 2000.
  143.  ↑ Fischer, J.M.: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“, Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des europäischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 2000, S. 15.
  144.  ↑ Zitiert aus Ebd., S. 68.
  145.  ↑ Ebd., S. 73.
  146.  ↑ Hartwich, W.-D.: Richard Wagners ästhetische Herrschaftsform. Zur Soziologie der „Bayreuther Idee“, in: Faber, R./Holste, C. (Hrsg.): Kreise-Gruppen-Bünde, Würzburg 2000, S. 307-328, hier S. 321
  147.  ↑ Rose, P.L.: Wagner und der Antisemitismus, Zürich 1999, S. 267.
  148.  ↑ Ebd., S. 274.
  149.  ↑ Field, G. G.: Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain, New York 1981, S. 43ff.
  150.  ↑ Large, D.C.: Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Borchmeyer, D. (Hrsg.): Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000, S. 144-159, hier S. 146f
  151.  ↑ Deschner, G.: Gobineau und Deutschland. Der Einfluss von Gobineaus „Essai sur l’inégalité des races humaines“ auf die deutsche Geistesgeschichte 1853-1917, Erlangen 1968, S. 154.
  152.  ↑ Field, G. G.: Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain, New York 1981, S. 43ff.
  153.  ↑ Geulen, Geschichte des Rassismus, a.a.O., S. 88.
  154.  ↑ Schlechta, K. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke in drei Bänden, München 1966, Band 2, S. 776f.
  155.  ↑ von Klemperer, K.: Arthur Moeller van den Bruck, in: Neue Deutsche Biographie, Band 17, Berlin 2004, S. 650-652, hier S. 650
  156.  ↑ Osterhammel, J.: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 1995, S. 24
  157.  ↑ Breuer, Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 52.
  158.  ↑ Schlechta, Friedrich Nietzsche, a.a.O., Band 1, S. 1182.
  159.  ↑ Colli, G./Montinari, M. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke, 15. Bände, München 1988, Band 9, S. 87f.
  160.  ↑ Geulen, Geschichte des Rassismus, a.a.O., S. 88.
  161.  ↑ Schlechta, K. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke in drei Bänden, München 1966, Band 2, S. 776f.
  162.  ↑ von Klemperer, K.: Arthur Moeller van den Bruck, in: Neue Deutsche Biographie, Band 17, Berlin 2004, S. 650-652, hier S. 650
  163.  ↑ Osterhammel, J.: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 1995, S. 24
  164.  ↑ Breuer, Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 52.
  165.  ↑ Schlechta, Friedrich Nietzsche, a.a.O., Band 1, S. 1182.
  166.  ↑ Colli, G./Montinari, M. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke, 15. Bände, München 1988, Band 9, S. 87f.
  167.  ↑ Zit. nach: E.V.v. Rudolf, Georg Ritter v. Schönerer, der Vater des politischen Antisemitismus, o.O. 1936, S.61
  168.  ↑ Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel, in: Die Gartenlaube 1876, zit. nach: Die Zerstörung der deutschen Politik. Dokumente 1871-1933, hg. v. Harry Pross, FfM 1983, S.259
  169.  ↑ Bergmann, W.: Deutschland, in: Benz, W. (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 1: Länder und Regionen, München 2008, S. 91
  170.  ↑ Fricke, D.: Antisemitische Parteien 1879–1894. In: ders. (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 36–40., hier S. 39
  171.  ↑ Fricke, D.: Die Organisation der antisemitischen Deutsch-Sozialen Reformpartei 1894–1900. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 29 (1981), S. 427–442, hier S. 432
  172.  ↑ Fricke, D.: Die Organisation der antisemitischen Deutsch-Sozialen Reformpartei 1894–1900. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 29 (1981), S. 427–442, hier S. 439
  173.  ↑ Bergmann, W.: Deutschland, in: Benz, W. (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 1: Länder und Regionen, München 2008, S. 93
  174.  ↑ Wilhelm Busch, Die fromme Helene (Lenchen kommt aufs Land). Zit. nach: ders., Und die Moral von der Geschicht, hg. v. Rolf Hochhuth, Gütersloh o.J. (1959), S.559
  175.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 92
  176.  ↑ Houston St. Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts. Volksausgabe, München 1909, S.312
  177.  ↑ Paul de Lagarde, Juden und Indogermanen, Göttingen 1888, S.339
  178.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 97
  179.  ↑ Daniel Frymann (i.e. Heinrich Class), Wenn ich Kaiser wär'. Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, Leipzig 1912
  180.  ↑ Jüdische Rundschau Nr.32, 7.8.1914
  181.  ↑ Houston Steward Chamberlain, Kriegsaufsätze, München 1915, S.46
  182.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 129
  183.  ↑ Schoeps, J.H./Simon, H. (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen, Berlin 1995,S. 113
  184.  ↑ Jakob Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude, Berlin 1921, S.38f
  185.  ↑ Johnson, M. P.: The Dreyfus Affair - Honour and Politics in the Belle Époque, Basingstoke 1999, S. 74
  186.  ↑ Schoeps, J.H./Simon, H. (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen, Berlin 1995, S. 81ff
  187.  ↑ Kotowski, E—V./Schoeps, J. H. (Hrsg.): J’accuse…! …ich klage an! Zur Affäre Dreyfus. Eine Dokumentation. Begleitkatalog zur Wanderausstellung in Deutschland Mai bis November 2005. Hrsg. im Auftrag des Moses-Mendelssohn-Zentrum, Potsdam 2005, S. 6f
  188.  ↑ Pagès, A. (Hrsg): Emile Zola - Die Dreyfus-Affäre; Artikel - Interviews - Briefe. Übersetzt und ergänzt von Karl Zieger, Innsbruck 1998, S. 19
  189.  ↑ Schoeps, J.H./Simon, H. (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen, Berlin 1995, S. 89ff
  190.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 135
  191.  ↑ Bergmann, W.: Geschichte des Antisemitismus, München 2002, S. 134
  192.  ↑ Bergmann, W.: Geschichte des Antisemitismus, München 2002, S. 138
  193.  ↑ Katz, J.: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989, S. 38
  194.  ↑ Claussen, D.: Grenzen der Aufklärung: Zur gesellschaftlichen Geschichte des modernen Antisemitismus, Frankfurt am Main 1987, S. 64
  195.  ↑ Goldenbogen, N. (Hrsg.): Antisemitismus und Massenmord. Beiträge zur Geschichte der Judenverfolgung. (Texte zur politischen Bildung, 16), Leipzig 1994, S. 64
  196.  ↑ Claussen , D.(Hrsg.): Vom Judenhaß zum Antisemitismus. Materialien einer verleugneten Geschichte., Darmstadt 1988, S. 62
  197.  ↑ Katz, J.: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989, S. 62
  198.  ↑ Claussen, D.: Grenzen der Aufklärung: Zur gesellschaftlichen Geschichte des modernen Antisemitismus, Frankfurt am Main 1987, S. 75
  199.  ↑ Goldenbogen, N. (Hrsg.): Antisemitismus und Massenmord. Beiträge zur Geschichte der Judenverfolgung. (Texte zur politischen Bildung, 16), Leipzig 1994, S. 72
  200.  ↑ Zit. nach: Rhein- und Ruhrzeitung Nr.550, Duisburg, 27.10.1918
  201.  ↑ 30 Protokoll der Sitzung der Hauptleitung und des geschäftsführenden Ausschusses am 19. und 20. Oktober 1918 in Berlin, zit. nach: Werner Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870-1945, Hamburg 1988, S.120
  202.  ↑ Heinrich v. Kleist, Germania an ihre Kinder. Dort heisst es: "Schlagt ihn tot! Das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht!"
  203.  ↑ 32 zit. nach: W. Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft, a.a.O., S.121
  204.  ↑ Hans Knodn am 11. Mai 1920 an Ministerpräsident v. Kahr, Bayr. Hauptstaats-Archiv, Allg. StA, M Inn 66282, zt. nach: W. Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft, a.a.O., S.144
  205.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 121
  206.  ↑ Thöndl, M.: Die Jahre der Entscheidung im faschistischen Imperium. Die Rezeption von Oswald Spengler in Mussolinis Italien, in: Gasimov, Z./Lemke Duque, C. A. (Hrsg.), Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Der Transfer der Kultur- und Geschichtsmorphologie im Europa der Zwischenkriegszeit 1919–1939, Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 99), S. 239–262, hier S. 254
  207.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 131
  208.  ↑ Judas Schuldbuch. Eine deutsche Abrechnung von Wilhelm Meister (i.e. Paul Bang), München 1919. - Wie viele Antisemiten stand Bang nicht mit seinem Namen für diese Propagandabroschüre ein. Sie erschien im März 1919 in 1. Auflage und erreichte bis August 1920 insgesamt 6 Auflagen mit über 30.000 Exemplaren.
  209.  ↑ Uebelhart, M.: Eine endlos plagiierte Fälschung und ihre Hehler. Carl Albert Loosli und die „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Jochen Bung, Malte-Christian Gruber, Sebastian Kühn (Hrsg.): Plagiate. Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, Berlin 2011, S. 55–72, hier S. 56
  210.  ↑ Sammons, J. L. (Hrsg.): Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus. Eine Fälschung. Text und Kommentar. 6. Auflage, Göttingen 2011 , S. 37
  211.  ↑ Tarach, T.: Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt. Mit einem Geleitwort von Henryk M. Broder. 3. überarbeitete Auflage, Freiburg (Breisgau) 2010, S. 48
  212.  ↑ Uebelhart, M.: Eine endlos plagiierte Fälschung und ihre Hehler. Carl Albert Loosli und die „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Jochen Bung, Malte-Christian Gruber, Sebastian Kühn (Hrsg.): Plagiate. Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, Berlin 2011, S. 55–72, hier S. 67
  213.  ↑ Sammons, J. L. (Hrsg.): Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus. Eine Fälschung. Text und Kommentar. 6. Auflage, Göttingen 2011 , S. 68
  214.  ↑ Tarach, T.: Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt. Mit einem Geleitwort von Henryk M. Broder. 3. überarbeitete Auflage, Freiburg (Breisgau) 2010, S. 110
  215.  ↑ Tilly, M.: Die „Protokolle der Weisen von Zion“ und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. In: Sachor. Beiträge zur jüdischen Geschichte. Bd. 19, Essen 2000, S. 67–75, hier S. 72
  216.  ↑ Uebelhart, M.: Eine endlos plagiierte Fälschung und ihre Hehler. Carl Albert Loosli und die „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Jochen Bung, Malte-Christian Gruber, Sebastian Kühn (Hrsg.): Plagiate. Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, Berlin 2011, S. 55–72, hier S. 70
  217.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 145
  218.  ↑ W. Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft, a.a.O., S.143
  219.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 156
  220.  ↑ Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 132f
  221.  ↑ J. Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude, a.a.O., S.122f
  222.  ↑ Zum Axiom konstanter, unveränderbarer und kollektiver nationaler Mentalitäten und zur Rassendoktrin der romantischen Volkstumsideologen vgl. Walter Grab, Aspekte der Judenemanzipation in Tagesliteratur und Publizistik 1848-1869, in: Ders., Der deutsche Weg der Judenemanzipation, a.a.O., S.108-133, bes. S.123
  223.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 142
  224.  ↑ Thöndl, M.: Die Jahre der Entscheidung im faschistischen Imperium. Die Rezeption von Oswald Spengler in Mussolinis Italien, in: Gasimov, Z./Lemke Duque, C. A. (Hrsg.), Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Der Transfer der Kultur- und Geschichtsmorphologie im Europa der Zwischenkriegszeit 1919–1939, Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 99), S. 239–262, hier S. 243
  225.  ↑ Vollnhals, C. Praeceptor Germaniae. Spenglers politische Publizistik. In: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Hrsg. von Walter Schmitz und Clemens Vollnhals. Thelem, Dresden 2005, S. 117–137, hier S. 128
  226.  ↑ Thöndl, M.: Die Jahre der Entscheidung im faschistischen Imperium. Die Rezeption von Oswald Spengler in Mussolinis Italien, in: Gasimov, Z./Lemke Duque, C. A. (Hrsg.), Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Der Transfer der Kultur- und Geschichtsmorphologie im Europa der Zwischenkriegszeit 1919–1939, Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 99), S. 239–262, hier S. 352
  227.  ↑ Vollnhals, C. Praeceptor Germaniae. Spenglers politische Publizistik. In: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Hrsg. von Walter Schmitz und Clemens Vollnhals. Thelem, Dresden 2005, S. 117–137, hier S. 130
  228.  ↑ Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 70
  229.  ↑ Vgl. Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung, Frankfurt 1987
  230.  ↑ Max Horkheimer, Theodor W Adorno, Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947, S. 235. Mit diesem Satz beginnt die Nachschrift von 1947 zu den 1944 geschriebenen "Elementen des Antisemitismus"
  231.  ↑ Max Horkheimer, Theodor W Adorno, Vorwort, Sommer 1959, zu Paul W Massing, Vorgeschichte des politischen Antisemitismus, Frankfurt 1959,S.VI f., der deutschen Ausgabe des 1949 in der Reihe "Studies in Prejudice" erschienenen Rehearsal for Destruction
  232.  ↑ Zitiert nach Simon Dubnow, Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes 1789-1914, Berlin 1920, Bd. 1, S. 70
  233.  ↑ F.W.v. Schütz, Niedersaechsischer Merkur, Altona 1792, zitiert in: Bernhard Wilms, Johann Gottlieb Fichte - Schriften zur Revolution, Frankfurt Berlin -Wien 1973, S. 299
  234.  ↑ J.G.Fichte, Schriften zur Revolution, a. a. 0., S. 175
  235.  ↑ Ebd., S. 176
  236.  ↑ Ebd. An Fichtes persönlichem Verhalten ist auch später kein Tadel zu üben. Aufschlußreich verhält er sich in der Affäre Brogi, 1812, als ein handfest beleidigter jüdischer Student aus armen Verhältnissen den Beleidiger verklagt, statt sich zu duellieren. Das widersprach ganz dem studentischen Kodex, den Schleiermacher noch rechtfertigte. Fichte verhält sich in diesem Konflikt gar nicht deutschtümelnd, sondern zivilisatorisch: Gesetz gegen Gewohnheit. Vgl. Wilhelm G. Jacobs, Johann Gottlieb Fichte, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 122f
  237.  ↑ Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankturt 1966, S. 353
  238.  ↑ Ebd., S. 355
  239.  ↑ Fichte, a. a. 0., S. 176
  240.  ↑ G. W F Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hegels Werke (HW), Bd. 7, S. 19, 18
  241.  ↑ Von Poliakovs instruktive Geschichte des Antisemitismus, Worms 1977ff., erweist sich als brauchbar, soweit es um die Vorgeschichte und den traditionellen Judenhass geht. Bd. V, Die Aufklärung und ihre judenfeindliche Tendenz, kann das Neue nicht erkennen, weil es nur das Alte im Neuen sucht. So wird z. B. die Philosophie des deutschen Idealismus in toto als antisemitisch beurteilt, weil die Philosophen Protestanten und Luther ein Antisemit war
  242.  ↑ Max Horkheimer Theodor W. Adorno, Vorwort zu P.Massing...,S.VII
  243.  ↑ Heinrich Heine, Aphorismen und Fragmente, Werke und Briefe, Bd. 7 (HW), Berlin und Weimar 1980, S. 412
  244.  ↑ Ausgesprochen instruktiv lesen sich die Vorträge von Walter Schmitthenner "Kennt die hellenistisch-römische Antike eine "Judenfrage"?" und ""Adversus Judäos" in der Alten Kirche" von Karl Suso Frank in der von Bernd Martin und Ernst Schulin herausgegebenen Vorlesungesreihe Die Juden als Minderheit in der Geschichte, Muenchen 1981
  245.  ↑ Alex Bein bringt sein Thema unter den Oberbegriff "Die Judenfrage, Biographie eines Weltproblems", 2 Bde., Stuttgart 1980, der im säkularisierten Sinne von einer dreitausendjährigen Einheit der jüdischen Nation ausgeht. "Judenfrage" als Begriff faßt schwammig Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Judenemanzipation - eine ebenso vage Formulierung wie die gleichzeitig im Vormärz gestellte "Soziale Frage". In der Formulierung "Judenfrage" deutet sich schon eine Verschiebung der Emanzipationsforderung an - aufgegriffen wird die "Judenfrage" gegen die Emanzipationsgesetzgebung in ganz Deutschland in den 70er Jahren des Zweiten Reiches. Die "Judenfrage" wird von der zionistischen Literatur zum Ausgangspunkt der zionistischen Lösungsvorschläge gemacht. In dieser Tradition versteht sich Alex Bein.
  246.  ↑ Bernd Martin und Ernst Schulin wählten den Oberbegriff "Minderheit" für ihre Vorlesungsreihe, die nicht nur den Antisemitismus zum Gegenstand hat, sondern auch jüdische Geschichte. Ein Reclamband von Hans-Gert Oomen und Hans-Dieter Schnüd versteckt eine Materialauswahl über die "Anfänge des modernen Antisemitismus am Beispiel Deutschlands" unter dem Titel Vorurteile gegen Minderheiten (Stuttgart 1978). Die pädagogisierte Bearbeitung des Themas steht immer in Gefahr, das Spezifische des Antisemitismus in leere Allgemeinheiten aufzulösen. Was ist nicht alles ein Vorurteil, was nicht alles eine Minderheit? Diese Formulierungen kommen dem Alltagsbedürfnis entgegen, das Grauen, das mit Antisemitismus assoziiert wird, zu nivellieren. Der Wunsch nach Beliebigkeit drückt sich in der allzu häufigen Formulierung xy sind die Juden von heute" - man setzt ein, was gerade gefällt - Türken, Asylanten etc.
  247.  ↑ Karl Marx, Friedrich Engels, Die heilige Familie, 1845, MEW 2, S. 93
  248.  ↑ Horkheimer, Adorno, Dialektik der Aufklärung, a. a. 0., S. 208
  249.  ↑ Franticek Graus, "Judenpogrome im 14. Jahrhundert: Der schwarze Tod", in: Martin, Schulin, Die Juden . . ., a. a. 0.,S. 72
  250.  ↑ Zitiert nach: Hans Wollschläger, Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem, Geschichte der Kreuzzuege, Zuerich 1973, S. 20
  251.  ↑ Heinrich Heine, Aphorismen und Fragmente, HW 7, S. 374
  252.  ↑ Sigmund Freud, Der Mann Moses und die monotheistische Religion, Gesammelte Werke (GW), Bd. XVI, London 1950, S. 198
  253.  ↑ Ebd., S. 243 "Gleichzeitige Anwesenheit einander entgegengesetzter Strebungen, Haltungen und Gefühle, z. B. Liebe und Hass, in der Beziehung zu ein- und demselben Objekt". (J. Laplanche, J.-B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt 1972, Bd. 1, S. 55)
  254.  ↑ Leon Poliakov, Geschichte des Antisemitismus, Bd. 1, Von der Antike bis zu den Kreuzzuegen, Worms 1977, S. 32
  255.  ↑ Theodor W Adorno, Minima moralia, 1945, Frankfurt 1951, S.141
  256.  ↑ Dieter Mertens, "Christen und Juden zur Zeit des ersten Kreuzzuges", in: Schulin/Martin, Die Juden . . ., a. a. 0., S.61 f.
  257.  ↑ Im 36. Kapitel "Vorkapitalistisches" macht Marx sich Gedanken über diesen historischen Abschnitt. Stichwort Wucher: "Im Mittelalter herrschte in keinem Lande ein allgemeiner Zinsfuß. Die Kirche verbot Zinsgeschäfte von vornherein. Gesetze und Gerichte sicherten Anleihen nur wenig. Desto höher war der Zinssatz in einzelnen Fällen. Der geringe Geldumlauf, die Notwendigkeit, die meisten Zahlungen bar zu leisten, zwangen zu Geldaufnahmen, und um so mehr, je weniger das Wechselgeschäft noch ausgebildet war. Es herrschte große Verschiedenheit sowohl des Zinsfusses wie der Begriffe vom Wucher. Zu Karls des Grossen Zeit galt es fuer wucherisch, wenn jemand 100% nahm. Zu Lindau am Bodensee nahmen 1344 einheimische Buerger 216%. In Zuerich bestimmte der Rat 43« % als gesetzlichen Zins. In Italien mußten zuweilen 40 % gezahlt werden, obgleich vom 12.-14. Jahrhundert der gewöhnliche Satz 20% nicht überschritt. Verona ordnete 12«% als gesetzlichen Zins an. Kaiser Friedr. 1. setzte 10% fest, aber nur für Juden. Fuer die Christen mochte er nicht sprechen. 10% war schon im 13. Jahrhundert im rheinischen Deutschland das gewöhnliche." (MEW 25, S. 611) Das Zinsverbot brachte den jüdischen Zins unter Kontrolle der Herrschaft und zwang vor allem die Kreuzzügler, ihren Besitz der sog. "toten Hand" zu übergeben. Juden waren selbstverständlich von diesem heiligen Geschaeft ausgeschlossen. Kam der Kreuzzügler nicht wieder und/oder konnte seinen Besitz nicht auslösen, fiel er an die Kirche. Marx zitiert J. G. Büscher "Theokratisch-praktische Darstellung der Handlung etc.": "Ohne das Verbot der Zinsen würden die Kirchen und die Klöster nimmermehr so reich haben werden können." (MEW 25, S. 626)
  258.  ↑ Wanda Kampmann, Deutsche und Juden, Frankfurt 1979, S. 21. Unter die Kategorie der besonders Schutzbeduerftigen fallen neben den Juden Geistliche und Frauen
  259.  ↑ Mertens, Christen und Juden. . ., a. a. 0., S. 64
  260.  ↑ Herbert A. Strauss, "Juden und Judenfeindschaft in der fruehen Neuzeit", in: Herbert A. Strauss, Norbert Kampe (Hg.), Antisemitismus, Von der Judenfeindschaft zum Holocaust, Frankfurt 1985, S. 70
  261.  ↑ Leon Poliakov, Religiöse und soziale Toleranz unter dem Islam. Geschichte des Antisemitismus Bd. 3, a. a. 0., S. 143
  262.  ↑ "In den staatlichen Urkunden wurden die neuen Christen als die Nation gefuehrt, als ein gesonderter Teil der Bevoelkerung. Das wollten sie so und waren stolz darauf. Sie hatten die ummauerten Juderias verlassen und wohnten nun in anderen Quartieren der Stadt, dicht beieinander, Haus an Haus. Die Reichen unter ihnen waren jetzt mit dem hohen Adel versippt und selbst zu Rattern geschlagen. Der große Haufen blieb geruhig, was er auch im Ghetto gewesen war: Portugals Mittelstand. Die jüngeren Soehne jedoch suchten die grosse Karriere in dem weiten Feld, das den Juden versperrt war, den neuen Christen jedoch, den Vollbürgern, weit offenstand. Sie wurden Offiziere, Richter, Bürgermeister, sie sicherten sich ihr Teil an den fetten geistlichen Pfründen." (Fritz Heymann, Der Chevalier von Geldern. Geschichten jüdischer Abenteurer, Königstein 1985, S. 27)
  263.  ↑ Reinhard Ruerup, Emanzipation und Antisemitismus, Göttingen 1975, S. 74
  264.  ↑ Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung 1844, MEW 1, S. 391.
  265.  ↑ Karl Marx, Zur Judenfrage, 1843, MEW Bd. 1, S. 359
  266.  ↑ Richard Wagner, "Das Judentum in der Musik", 1850, in: Richard Wagner, Mein Denken, hg. von Martin Gregor-Delhn, München 1982, S. 174. Bruno Bauers Artikel "Das Judenthum in der Fremde" erschien 1863 als Separatdruck, gut zwanzig Jahre nach der "Judenfrage", als Bauer längst ins konservative Lager zurückgekehrt war. Vgl. Hermann Greive, Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, Darmstadt 1983, S. 91 f
  267.  ↑ MEW 1, S. 377
  268.  ↑ Karl Marx, Das Kapital, Bd. 3, MEW 25, S. 342. Beim jungen Marx heißt es: "Der Jude hat sich auf jüdische Weise emanzipiert, nicht nur, indem er sich die Geldmacht angeeignet, sondern indem durch ihn und ohne ihn das Geld zur Weltmacht und der praktische Judengeist zum praktischen Geist der christlichen Völker geworden ist." (MEW 1, S. 373. Erste Hervorhebung von mir, D. C., zweite von Marx)
  269.  ↑ Sigmund Freud, Zeitgemäßes über Krieg und Tod, 1915, GW X, S. 351
  270.  ↑ A. a. 0., S. 333 "Im antisemitischen Meinen wird ständig legitime Gewalt in der psychischen Realitaet ausgeuebt. Das waren ja nur Worte, "persoenliche" Meinung. Hypostasierte Meinung - wissen wir - ersetzt die Gewalttat oder ist ein Versprechen auf sie." (Detlev Claussen, "Ueber Psychoanalyse und Antisemitismus", in: Psyche 1, 41. Jahrgang, Stuttgart, Januar 1987, S. 16.)
  271.  ↑ Theodor W Adorno, "Meinung Wahn Gesellschaft", 1961, in: Eingriffe, Frankfurt 1963, S. 150
  272.  ↑ A. a. 0., S. 153
  273.  ↑ Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, 270, HW 7, S. 421. "Der gegen Hegel stets erhobene Vorwurf, er habe den preußischen Staat vergottet, pflegt zu übersehen, daß zu jener Zeit in Deutschland Preussen recht fortgeschrittene Institutionen besaß, und daß es dem Philosophen mehr als um Preußen um die Einrichtung der Freiheit ging." (Max Horkheimer, "Nachwort zu Porträts deutsch-jüdischer Geistesgeschichte", 1961, in: Gesammelte Schriften, Bd. 8, Frankfurt 1985, S. 181.)
  274.  ↑ Heine, Brief an Imanuel Wohlwill 1. 4. 1823, in: HW 8, S. 64f. Hans Mayer hat die Literatur der Emanzipationsepoche unter der Kategorie Das unglueckliche Bewusstsein (Frankfurt 1986) interpretiert
  275.  ↑ "Dass Emanzipation und Liberalismus nicht gelangen, dass sie nicht verwirklichten, was einmal die Aufklärung und die Revolution an Hoffnungen auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit aufbrechen lassen, dafür, und nicht für eine partielle Schwierigkeit im Verhaeltnis einer bestimmten Gruppe zur Gesamtgesellschaft, ist der Antisemitismus ein Index. Antisemitische Gesellschaft, d. h. eine Gesellschaft, in der die zahlenmässig größten Schichten des Volkes ihr unerhelltes Unbehagen, ja ihre Wut und Verzweiflung in Hass gegen eine schwache, an den Ursachen des Unbehagens durchaus unschuldige Minderheit umsetzen, entsteht im ausgeprägten Sinne erst mit bürgerlicher Revolution, Liberalismus und industrieller Wirtschaft." (Margherita v. Brentano, "Die Endloesung - Ihre Funktion in Theorie und Praxis des Faschismus", in: H. Huss, A. Schroeder [Hg.1, Antisemitismus, Frankfurt 1965, S. 56.)
  276.  ↑ Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, S. 62
  277.  ↑ Hegel, Grundlinien. . ., HW 7, S. 419
  278.  ↑ Sigrnund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, 1929, in: GW XIV, S. 426
  279.  ↑ Zitiert nach Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt a. M. 1973, S. 131
  280.  ↑ Max Horkheimer, "Nachwort ... ", a. a. 0., S. 191 f. "Es ist mir fast nicht weniger verdaechtig, wenn einer sagt, daß er "Die Juden", schlechthin liebt, als wenn er ihnen etwas Falsches vorwirft - " (S. 192)
  281.  ↑ Theodor W. Adorno, "Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda", in: Helmut Dahmer (Hg.), Analytische Sozialpsychologie, Bd. 1, Frankfurt 1980, S. 340
  282.  ↑ Adolf Hitler, Brief an Adolf Gemlich, 16. 9. 1919, in: Sämtliche Aufzeichnungen, hg. v. E. Jäckel, S. 89: "Der Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen Gründen wird seinen letzten Ausdruck finden in der Form von Progromen. Der Antisemitismus der Vernunft jedoch muß führen zur planmäßigen gesetzlichen Bekämpfung und Beseitigung der Vorrechte der Juden, die er zum Unterschied der anderen zwischen uns lebenden Fremden besitzt (Fremdengesetzgebung). Sein letztes Ziel aber muss unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein." Wie viele Nazis kennt Hitler nicht einmal den Namen der traditionellen antisemitischen Gewalttat: Pogrom
  283.  ↑ Jochen v. Lang (Hg.), Das Eichmann-Protokoll, Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre, Berlin 1982, S. 150
  284.  ↑ 1950 hat Theodor W Adorno dies in einer erschütternden Studie über "Schuld und Abwehr" (Gesammelte Schriften 9,2, Frankfurt 1975, S. 320) resümiert. Das heutige Gerede vom "Man muß doch endlich vergessen können" war schon damals gang und gäbe (Vgl. Detlev Claussen, "Auschwitz erinnern", in: Neue Rundschau, Heft 3/4, 96. Jg., Frankfurt 1985, S. 205), Jean Paul Sartre ("Betrachtungen zur Judenfrage", Oktober 1944, in: Drei Essays, Frankfurt - Berlin - Wien 1975, S. 181) hat sich am Abend der Befreiung Gedanken über Schuld auch derer gemacht, die gegen die Nazis gekämpft haben: "Keiner von uns ist unter diesen Umständen unschuldig, wir sind Verbrecher, und das Blut, das die Nazis vergessen haben, kommt auf unser Haupt." Das gilt auch für die Nachgeborenen