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Die Folgen der bolschewistischen Revolution

Von Margarete Lausberg

Die Führung des zaristischen Russlands wurde mit der Februarrevolution 1917 entmachtet. Die wenige Monate später von den Bolschewiki unter der Führung von Lenin initiierte Oktoberrevolution führte zur Ausrufung der „Russischen Sowjetrepublik“. Nach dem Sieg der Bolschewiki im Russischen Bürgerkrieg wurde im Dezember 1922 die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken gegründet, die einen Großteil der Territorien des zerfallenen Russsischen Reiches wieder zu einem Staat vereinte. In der Sowjetunion wurde eine zentralwirtschaftliche nachholende Industrialisierung durchgeführt. Ein vorher in vielen Bereichen rückständiges Bauernland, in dem zum Teil mittelalterliche, feudale Produktionsverhältnisse herrschten, sollte innerhalb von 20 Jahren zu einer Industriemacht und zum militärischen Ausgangspunkt der Weltrevolution umgestaltet werden. Dies geschah durch den forcierten, in seiner Ausführung Aufbau der Schwerindustrie von 1928 an. Die ideologische Macht der Partei sollte durch umfassende Alphabetisierungskampagnen unter der Bevölkerung gefestigt werden.

Durch die Bekämpfung ihrer Gegner während der Revolution und des nachfolgenden Bürgerkrieges (1917–1921) entstand eine katastrophale wirtschaftliche Lage. 1921 wurde eine Neue Ökonomische Politik (NEP) eingeführt, die eine Reihe marktwirtschaftlicher Zugeständnisse enthielt. Lenins Tod am 21. Januar 1924 führte zu einem erbitterten Nachfolgekampf, in dem sich Stalin, seit 1922 Generalsekretär der KP, gegen Leo Traotzki durchsetzte. Stalin festigte seine Macht durch gezielten Terror von 1926 bis 1927 gegen seine Widersacher von „links“ und von 1929 bis 1930 sowie jeden, der im Verdacht stand, mit ihnen zu sympathisieren.

Ab 1928 wurde die staatliche Wirtschaft Fünfjahrplänen unterworfen, die Industrialisierung und Infrastruktur, speziell im asiatischen Teil des Landes, vorangetrieben und die Landwirtschaft kollektiviert; Sowchosen und Kolchosen wurden gebildet. Der Widerstand der reicheren und mittleren Bauern wurde von 1929 bis 1933 in der sogenannten Entkulakisierung durch vielfältige Repressionen wie Verhaftungen, Enteignungen, Massendeportationen und Exekutionen rücksichtslos gebrochen. Die Folgen einer riesigen Hungersnot an der Wolga, in der Ukraine und im ganzen Land, des sogenannten Holodomor, kosteten etwa fünf bis sieben Millionen Menschen das Leben.

Seit 1935 eskalierte Stalin die Verfolgungen und Deportationen von Bürgern, die dem System scheinbar oder tatsächlich im Wege standen. Durch die „Säuberungen“ von 1936 bis 1940 wurde ein systematischer Terror gegen die Menschen betrieben, die angeblich gegen das kommunistische Regime Stalins konspirierten. Die Säuberungsaktionen waren oft als gerichtliche Verfolgung getarnt und durch unter Folter erpresste Geständnisse begründet. Es wurden ganze Völker der Sowjetunion, ethnische Minderheiten, in Arbeitslager (Gulag) deportiert. „Kulaken“, Priester und Mönche, kirchliche Laien, Großteile der militärischen Führungsspitze, führende Mitglieder der Partei und selbst Angehörige der Opfer wurden ermordet.Stattdessen schloss die UdSSR in einer dramatischen diplomatischen Wende am 24. August 1939 einen Nichtangriffspakt mit dem Deutschen Reich. Der sogenannte „Hitler-Stalin-Pakt“ verschaffte Deutschland für den Kriegsfall Rückendeckung im Osten und der Sowjetunion die Möglichkeit zur Rückgewinnung von Gebieten, die Russland infolge des Ersten Weltkriegs verloren hatte.

Am 1. September 1939 löste das Deutsche Reich mit dem Einmarsch in Polen den Zweiten Weltkrieg aus. Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt marschierte die Rote Armee am 17. September 1939 in Polen ein und besetzte die Osthälfte des Landes. Als Begründung dafür gab die sowjetische Führung an, die dort lebenden Weißrussen und Ukrainer gegen eine deutsche Bedrohung schützen zu wollen. Bereits am 28. September 1939 jedoch schloss die Sowjetunion einen Grenz- und Freundschaftsvertrag und am 10. Februar 1940 ein Wirtschaftsabkommen mit dem Deutschen Reich. Die Gründe für den Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts werden seither in der Geschichtsforschung diskutiert. Wahrscheinlich ist, dass Stalin in diesem Abkommen eine bessere Möglichkeit sah, den sowjetischen Einfluss in Osteuropa zu vergrößern, als in einem Bündnis mit den Westmächten, die Garantiereklärungen für Polen und Rumänien verlangt hatten. Stalin dürfte auf einen Zeitgewinn von mehreren Jahren und einen langen Abnutzungskrieg zwischen Deutschland und den Westmächten wie 1914–1918 gehofft haben.

Die unerwartet rasche Niederlage Frankreichs gegen Deutschland im Sommer 1940 verschlechterte die strategische Position der Sowjetunion entscheidend. Hitler stellte die geplante Eroberung Großbritanniens zurück und gab im Dezember desselben Jahres den Befehl zur Planung eines Feldzuges im Osten. Unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ begann die Wehrmacht am 22. Juni 1941 den Krieg gegen die Sowjetunion. Am 24. August 1941 besetzte die Sowjetunion zusammen mit Großbritannien das bis dahin neutrale Persien. Trotz des anhaltenden wechselseitigen Misstrauens einigten sich beide Länder sowie die USA in den Konferenzen von Teheran und Jalta auch formell auf ein Bündnis gegen Deutschland.

Im Kampf gegen die Wehrmacht trug die Sowjetunion seit 1941 die Hauptlast. Deutsche Truppen drangen bis weit ins Landesinnere vor. Millionen sowjetischer Soldaten und Zivilisten wurden getötet oder gerieten in Gefangenschaft. Das Land ging aus dem Zweiten Weltkrieg zwar kriegsverwüstet und materiell geschwächt, als einer der Sieger jedoch politisch erheblich gestärkt hervor. Die Sowjetunion galt von 1945 an als Weltmacht und unbestrittene Hegemonialmacht in Osteuropa. In der Potsdamen Konferenz versuchten die Siegermächte, sich auf eine Nachkriegsordnung für Europa zu einigen. Dies gelang jedoch nur zum Teil. Die Koalition zerbrach am gegenseitigen Misstrauen und aufgrund der unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und politischen Wertvorstellungen. Beide Seiten versuchten nur noch, ihre Einflusssphären zu sichern und womöglich zu vergrößern. Damit begann der Kalte Krieg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sicherte die Sowjetunion den gewonnenen territorialen Machtbereich. Das im Hitler-Stalin-Pakt vereinbarte sowjetische Interessengebiet in Ostpolen sowie das gesamte Baltikum schloss die UdSSR dauerhaft ihrem Staatsgebiet an. Albanien (1948–1961), Bulgarien, Polen, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Tschechoslowakei und die 1949 gegründete DDR gerieten unter den Machteinfluss der Sowjetunion und wurden als Satellitenstaaten kommunistisch regierte „Volksdemokratien“. 1953, nach Stalins Tod, wurde Nikita Chruschtschow Erster Sekretär der KPdSU. 1956, auf dem XX.Parteitag der KPdSU sprach er sich in einer Geheimrede gegen den Stalinismus aus. Er versuchte eine Wende in der sowjetischen Politik mit einer vorsichtigen Liberalisierung zu erreichen. Der Ungarische Volksaufstand wurde jedoch 1956 von der Roten Armee blutig niedergeschlagen.

Trotz intensiverer diplomatischer Kontakte zu den USA ging der Kalte Krieg weiter. Die Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Vertrages rüsteten unvermindert gegeneinander auf. Die Kuba-Krise von 1962 brachte die Welt an den Rand eines Atomkrieges. Auf Druck der USA zog Chruschtschow zwar die zur Stationierung auf der Karibikinsel vorgesehenen Atomraketen ab und verhinderte die drohende Eskalation, schaffte es aber gleichzeitig in einem geheimen Zusatzabkommen den Abzug amerikanischer Jupiterraketen aus der Türkei zu vereinbaren. Im Herbst 1957 begann die prestigeträchtige „Eroberung des Weltalls: mit Sputnik I. wurde der erste künstliche Satellit in die Erdumlaufbahn gebracht und noch im gleichen Jahr gelang es den sowjetischen Wissenschaftlern, mit dem Hund Laika das erste Lebewesen in den Weltraum zu befördern. 1961 glückte Juri Gagarin der erste Flug eines Menschen in das Weltall.

1964 wurde Chruschtschow durch den konservativen Leonid Breschnew als Erster Sekretär (1966 Generalsekretär) ersetzt. Reformversuchen in anderen kommunistischen Staaten widersetzte sich das Regime vehement. 1968 wurde mit dem Einmarsch von Panzern der Warschauer-Pakt-Staaten die Freiheitsbewegung des Prager Frühling in der Tschechoslowakei niedergeschlagen. Auch die Verhängung des Kriegsrechts in der Volksrepublik Polen 1980 (Niederschlagung der Reformbewegung der Gewerkschaft Solidarnosc) geschah unter dem Druck Moskaus. Die UdSSR unterzeichnete jedoch 1975 das KSZE-Abkommen.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetunion zeigte seit Anfang der 1980er Jahre einschneidende Wachstumsrückgänge. Ab 1985 wurden vom neu gewählten Generalsekretär Michail Gorbatschow erste Reformen eingeleitet. Durch Perestrojka (Umbau) und Glasnost (Offenheit) sollte der Realsozialismus reformiert werden und zu neuem, kritischen Denken führen. Dadurch traten die Probleme des Systems offen zutage, deren öffentliche Diskussion die Position der Zentralregierung schwächte. Die Entwicklung verselbstständigte sich und entglitt zunehmend der Kontrolle der Partei, die nicht reagieren konnte, da dem damit einsetzenden Demokratisierungsprozess der institutionelle Rahmen fehlte. Außenpolitisch wurde eine umfassende Politik der Entspannung und Abrüstung eingeleitet. Die von Gorbatschow initiierten Reformen brachten keine Wachstumssteigerung. Weder konnte die Weiterentwicklung der Industrie in großen Kombinaten gefördert werden, noch zogen die wachsenden Investitionsanteile des Agrarsektors eine bessere Lebensmittelversorgung der Bevölkerung nach sich. Die zunehmende Wirtschaftskorruption entzogen der Staatswirtschaft wichtige Ressourcen. Die durch die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche entstandene Unsicherheit wurden durch natürliche und technogene Katastrophen verstärkt. 1986 ereignete sich in der Ukraine mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl eine schwere nukleare Havarie.

Im Nationalitätengefüge der Sowjetunion entstanden ebenso Destabilisierungen. Im Dezember 1986 kam es erstmals nach der Ära Breschnew zu schweren ethnischen Konflikten als der kasachische Parteichef Kunajew infolge eines gravierenden Korruptionsverdachts durch den von Moskau an die Spitze Kasachstans gesetzten Russen Kolbin ersetzt wurde. Es folgte innerhalb kurzer Zeit die Entstehung einer Vielzahl von neuen Nationalitätenkonflikten innerhalb der Sowjetunion. In Folge der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der BRD und der DDR vom 1.7.1990 wurde die D-Mark in der DDR eingeführt. Die DDR-Regierung beschloss bereits am 30.5. 1990, dass mit Einführung der D-Mark in der DDR die Preise frei kalkuliert und Subventionen weitestgehend abgeschafft werden. Das führte wegen der veränderten Preisgestaltung bei den Unternehmen der DDR dazu, dass die Zulieferungen der Unternehmen der DDR in die planwirtschaftlich festgeschriebenen, zur gegenseitigen Bindung geschaffenen Wertschöpfungsketten des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe, die vor allem der Machtsicherung der Moskauer Zentrale dienten, nicht mehr verwirklicht werden konnten. Das Ausscheiden der DDR aus der Wertschöpfungskette führte zur Schwächung und schon bald zum Verfall des RGW und der Macht der Zentrale in Moskau und damit letztlich zum Niedergang der UdSSR.

Der Bruch der Randstaaten der Sowjetunion mit dem Moskauer Zentrum ging weniger vom Volk der in Vielzahl entstandenen kleinräumigen Krisenzentren aus, sondern von den politischen Führungen der Unionsrepubliken. Es waren die sich auf ihre nationale Identität berufenden baltischen Republiken, die den Anfang machten. 1990 und 1991 erklärten Litauen, Lettland und Estland ihre Unabhängigkeit. Am 19. August 1991, einen Tag bevor Gorbatschow und eine Gruppe der Führer der Republiken einen neuen Unionsvertrag unterzeichnen wollten, versuchte das Staatskomitee für den Ausnahmezustand, eine Gruppe hoher Funktionäre, die Macht in Moskau zu ergreifen. Bereits am 21. August war der Putsch am Widerstand der Bevölkerung unter Führung von Boris Jelzin gescheitert. Durch den Augustputsch war die Sowjetunion endgültig zerfallen. Die offizielle Auflösung erfolgte jedoch erst zum 26. Dezember 1991, dem Tag der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden zum Abkommen von Alma-Ata, durch Beschluss des Obersten Sowjets, womit zum 31. Dezember 1991 die Existenz der Sowjetunion offiziell endete.

Nach dem Putsch wurde die KPdSU durch Dekret verboten. Jelzin übernahm die Kontrolle über die Medien und die Schlüsselministerien. Gorbatschow trat als Generalsekretär der KPdSU zurück, blieb jedoch bis zum 25. Dezember 1991 Staatspräsident, als er die Amtsgeschäfte an den Präsidenten der Russischen Förderation, Boris Jelzin, übergab. Am Abend wurde die rote Flagge der Sowjetunion mit Hammer und Sichel vom Dach des Hauses des Ministerrates im Kreml eingeholt und die weiß-blau-rote Flagge Russlands aufgezogen Die Unionsrepubliken erklärten ihre Unabhängigkeit von der UdSSR. Schließlich beschlossen elf von ihnen – die baltischen Staaten und Georgien waren nicht zugegen – am 21. Dezember 1991 in Alma-Ata die Auflösung der Union. Die Sowjetunion ging damit durch Dismenbration in ihre bis dahin noch vorhandenen Gliedrepubliken unter, während diese als Nachfolgestaaten des sowjetischen Völkerrechtssubjekts uno actu den Status völkerrechtsunmittelbarer Staaten erlangten. Die ehemaligen Unionsrepubliken schlossen sich daraufhin in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zusammen.

Die in Russland mit Beginn der kommunistischen Herrschaft in Angriff genommene Aufgabe einer pädagogischen Umgestaltung der Gesellschaft kann als ein wesentliches Element der inneren Entwicklung der Sowjetunion seit 1917 angesehen werden. Sowjetische Politiker haben stets die fundamentale Rolle der Erziehung und Volksbildung in den Plänen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und den Aufbau einer kommunistischen Gesellschaftsordnung betont. Der Zusammenhang zwischen der staatlichen Bildungspolitik, den revolutionären gesellschaftlichen Zielvorstellungen und der wirtschaftlichen Modernisierung des Landes wurde erkannt. Russland wandelte sich langsam vom überwiegend agrarischen zum industrialisierten Land, was das Hauptkennzeichen der russischen Geschichte im 19. Jahrhundert darstellt. Wenn man sich mit der Bildungspolitik in der Sowjetunion beschäftigt, muss man sich als erstes der Frage nach den Ausgangsbedingungen zuwenden, die von der Kommunistischen Partei zum Zeitpunkt der Oktoberrevolution in Russland vorgefunden wurden. Marxismus und russisches Erbe müssen gleichermaßen berücksichtigt werden, wenn man zu einem richtigen Verständnis der Geschichte des sowjetischen Bildungswesens und der Erziehung gelangen will. Diesen Gesichtspunkt haben schon im Jahre 1930 die sowjetischen Historiker Sergius Hessen und Nikolaus Hans betont. Sie stellten fest, dass man die Revolution der Schule in der Sowjetunion in der Perspektive der nationalen russischen Geschichte betrachten müsse. Anderseits versuchten sie auch die jeweiligen Wandlungen der kommunistischen Bildungspolitik im Zusammenhang mit dem Schicksal des Marxismus in der Sowjetunion überhaupt zu deuten.[1]

Bei der Beurteilung des Standes der Volksbildung, den die neuen Machthaber im Jahre 1917 vorfanden, gehen die Meinungen auseinander. Während die amtlichen sowjetischen Darstellungen meistens ein rückständiges Bild der vorrevolutionären Zeit entwarfen, um so die eigenen Leistungen herauszuheben, haben umgekehrt ihre politischen Gegner und die vor der Revolution in der Volksbildungsarbeit aktiven Personen auf die bereits gelegten Fundamente hingewiesen, auf denen das sowjetische System aufbauen konnte. Die sozialgeschichtliche Forschung sowohl von marxistischer als auch bürgerlicher Seite hat bei allen Unterschieden übereinstimmend nachgewiesen, dass seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts der Modernisierungsprozess des zaristischen Russlands in ökonomischer Hinsicht Fahrt aufnahm, was man an den industriellen Produktionsziffern und am Ausbau des Eisenbahnnetzes festmachen konnte. In der Sozialstruktur war der Wandel langsamer und ungleichmäßiger, aber alles in allem eine bürgerliche Gesellschaft nach dem Muster westeuropäischer Staaten erfolgte. Im Gegensatz dazu behinderte die politische Verfassung des Reiches mit ihren reaktionären Formen der zaristischen Autokratie und des polizeilich-bürgerlichen Regimes den sozio-ökonomischen Modernisierungsprozess.

Zaristische Schulpolitik und gesellschaftliche Bildungsinitiativen

Diese Widersprüchlichkeit zwischen den objektiven Erfordernissen einer Entwicklungs- und Modernisierungspolitik und den konservativen politischen Strukturen fand auch in der Bildungspolitik ihren Ausdruck. In der Regierungszeit der letzten beiden Zaren Alexander III. (1881-1894) und Nikolaus II. (1894-1917), wo 12 verschiedene Minister für Volksbildung amtierten, kamen die Initiativen für eine Verbesserung des Bildungswesens überwiegend aus dem nichtstaatlichen Bereich. Die Behörden versuchten jeder Neuerung entgegenzuwirken und ultrakonservative Kreise am Zarenhof und in der orthodoxen Kirche sahen in einer Ausbreitung von Wissen in der russischen Gesellschaft sogar eine Gefahr für die Monarchie. Eine grundlegende Tatsache der vorrevolutionären russischen Bildungsgeschichte ist somit der Dualismus von staatlicher Schulpolitik und freier gesellschaftlicher Bildungstätigkeit. Dieser Zustand war im Wesentlichen das Ergebnis der innenpolitischen Reformen unter Alexander II. in den 1860er Jahren. Im Jahre 1864 wurden im europäischen Teil Russlands landwirtschaftliche Selbstverwaltungsorgane geschaffen, die weitreichende Aufgaben und Rechte in der lokalen Schulpolitik erhielten. Diese Reform fiel mit der klassischen Periode der russischen Pädagogik als volksbildnerischer und wissenschaftlicher Bewegung zusammen. In der Geschichte des russischen pädagogischen Denkens haben dabei K.D. Usinskij (1824-1870), der „Vater der russischen Volksschule“ und der christlich-anarchistische Schriftsteller L. N. Tolstoj (1828-1910) die bedeutendsten Wirkungen hinterlassen.

Im Jahre 186r erschien die erste staatliche „Ordnung für die Elementarvolksschulen“ (Zemstvo-Schulen), ohne dass dabei schon der Grundsatz der allgemeinen Schulpflicht verkündet wurde. Bis dahin war das im Jahre 1801 unter Zar Alexander I. gegründete Ministerium für Volksbildung zwar formal für die Elementarbildung zuständig, aber in Wirklichkeit erstreckte sich seine Verantwortung lediglich auf das mittlere Schulwesen und die Universitäten. Das schwach entwickelte dörfliche Schulwesen in Gestalt der kirchlichen Pfarrschulen erhielt nun durch die Zemstvo-Schulen einen Konkurrenten, die in den Augen der Orthodoxie die Gefahr eines laizistischen Geistes darstellte. Seit dem Jahre 1884 wurden daher die kirchlichen Elementarschulen stark subventioniert und ausgebaut. Es gab auch mehrmalige Versuche, die gesamte Elementarschulbildung der obersten Kirchenbehörde zu unterstellen. Dies scheiterte einmal an den unzulänglichen finanziellen Möglichkeiten für einen Unterhalt der Schulen, zum anderen an dem Widerstand der liberalen Öffentlichkeit, die für eine weltliche Verwaltung aller Schulen eintrat. Nach der Revolution von 1905 einen starken Aufschwung, da 1908 den Zemstva zusammen mit den städtischen Selbstverwaltungsorganen die praktische Durchführung der Pläne für einen allgemeinen obligatorischen Schulbesuch übertragen wurde.

Einerseits waren Zemstvo-Angestellte (Lehrer, Landärzte, Agronomen) Träger vieler Initiativen und Bestrebungen zur Hebung der Bildung der einfachen Bevölkerungsschichten, die für die vorrevolutionäre Zeit charakteristisch war. Seit der Bewegung der Narodniki in den 1870er Jahren hatten vor allem gebildete junge Frauen, denen ein Universitätsstudium verwehrt blieb, verschiedene sozialpädagogische und bildungspolitische Tätigkeiten entfaltet, die ausschließlich auf privater Basis beruhten und nur selten in Verbindung mit aktiver revolutionärer Betätigung standen. Die Anfänge der Kindergärten und die verschiedenen Formen der Erwachsenenbildung (Sonntags- und Abendschulen, Bibliotheken und Lesestuben, Literaturverlage usw.) verdankten ihre Entstehung und Verbreitung in erster Linie dem Engagement der gebildeten Mittelschicht, die sich für die Wissenssteigerung und damit auch der Demokratisierung der Bevölkerung verdient gemacht haben. Da sich der Staat auf diesem Gebiet nahezu aller eigenen Initiativen enthielt, konnte trotz Überwachungen und bürokratischer Eingriffe eine fruchtbare Tätigkeit ausgeübt werden. Nicht zufällig fanden gerade unter den hier tätigen Personen seit der Jahrhundertwende die modernen pädagogischen Ideen starke Verbreitung, so dass die Wurzeln der frühsowjetischen Reformpädagogik zu einem großen Teil in diesem Bereich der außerschulischen Bildung und Erziehung zu suchen sind.

Die Revolution von 1905 (noch näher schildern) brachte auch für den Bildungsbereich wesentliche Veränderungen mit sich. Einerseits fand eine konservative Wende statt, die sich in der Rücknahme der Abschaffung der Schüleruniformen für Gymnasiasten, die Abschaffung gewählter Elternausschüsse oder Aufhebung der Zulassung von Studentenvereinigungen widerspiegelte. Andererseits bewirkte der revolutionäre Umschwung eine rege Organisationstätigkeit sowohl unter russischen Lehrern und Wissenschaftlern als auch in der pädagogisch interessierten Öffentlichkeit. Schon im Frühjahr 1905 wurde der Allrussische Lehrerverband gegründet, dem vor allem Volksschullehrer und führende Köpfe der demokratischen Volksbildungsbewegung wie V. P. Vachterov (1853-1924) und N. V. Tschechov (1865-1947) angehörten. Eine weitere Neugründung war der Allrussische Verband der Mittelschullehrer an Gymnasien und Realschulen, es folgten weitere Organisationen auf gesamtstaatlicher oder lokaler Ebene mit gewerkschaftlichen und pädagogisch-fachlichen Zielsetzungen. Eine dieser Zusammenschlüsse die „Liga für Bildung“ entfachte eine Kampagne für ein Gesetz der Schulpflicht, das in die Beratungen der Duma einfloss.

Die aus der Revolution von 1905 hervorgegangenen Lehrerverbände mit reformerischer Zielsetzung mussten zwar seit Beginn der Restauration im Jahre 1907 in vielen Fällen ihre Tätigkeit einstellen, aber als sich in den Jahren vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges wiederum die Möglichkeit für ein öffentliches Auftreten bot, kamen die progressiven Pädagogen auf den wichtigsten Bildungskongressen (Allgemeiner Zemstso-Kongress über Volksbildung im August 1911, 1. Allrussischer Kongress über Familienerziehung in den Winterferien 1912/1913, 1. Allrussischer Kongress für Volksbildung in den Winterferien 1913/1914) wieder zu Wort. Die wichtigsten Forderungen der reformorientierten Pädagogen lauteten:

  1. Verwirklichung der allgemeinen Schulpflicht unter Verantwortung der lokalen Selbstverwaltung,
  2. Lehr- und Lernmittelfreiheit,
  3. Weltlichkeit der Schule,
  4. Unterricht für Kinder nichtrussischer Nationalitäten in deren Muttersprache,
  5. freier Übergang von der Grundschule zur anschließenden Mittelschule.

Ein Kennzeichen für den inneren Zusammenhang der schulpolitisch-volksbildnerischen Bewegung mit den reformpädagogischen Bestrebungen aus dem wissenschaftlichen Bereich lag darin, dass in dem Jahrzehnt zwischen 1906 und 1916 fünf Allrussische Kongresse für pädagogische Psychologie und experimentelle Pädagogik stattfanden, die für die Entwicklung der Psychologie und Pädagogik über das Revolutionsjahr 1917 hinaus grundlegende Bedeutung besaßen. Die pädagogische Publizistik vor der Oktoberrevolution zeigte ebenfalls eine große reformerische Bereitschaft. Der „Erziehungsbote“, „Freie Erziehung“ und „Die russische Schule“ spiegelten die Vielfalt des freien Bildungsgeschehens im Gegensatz zu der stagnierenden Bildungspolitik der zaristischen Regierung wider.

Das Bildungswesen vor der Oktoberrevolution

Sowohl in finanzieller wie organisatorischer Hinsicht bildete die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, die zugleich die wichtigste Voraussetzung für die allmähliche Beseitigung des hohen Anteils der Analphabeten in der russischen Bevölkerung darstellte, das Hauptproblem. Die Duma beauftragte im Jahre 190 die lokalen Selbstverwaltungskörperschaften in Stadt und Land damit, Schulbaupläne für den Ausbau der Elementarschulen bis zur vollen Erfassung aller Kinder im Grundschulalter vorzulegen, aufgrund derer staatliche Zuschüsse bewilligt wurden. Die Planung und der Ausbau der Grundschulen schritten bis zum Jahre 1916 voran, so dass mit der tatsächlichen Einführung der allgemeinen Schulpflicht für alle Kinder vom achten Lebensjahr an im Unfang von mindestens vier Jahren in ganz Russland im Jahre 1925 rechnete. Im Jahre 1915 erfasste das Grundschulnetz rund 51% aller Kinder von 8-11 Jahren. Die Zahl der Grundschulen war seit 1911 von 100.295 mit 6.180.510 Schülern auf 123.745 mit 7.788.552 Schülern um rund ein Viertel gestiegen. Allerdings war der Beschulungsgrad sehr ungleichmäßig verteilt; die Dorfbewohner waren gegenüber den größeren Städten ebenso benachteiligt wie die Mädchen auf dem Lande gegenüber den Jungen und die östlichen Reichsteile gegenüber dem europäischen Teil Russlands.

Die Volkszählung von 1897 mit einem Anteil von 78,9% Analphabeten an der Gesamtbevölkerung des Reiches oder 73% bei Ausschluss der noch nicht schulpflichtigen Kinder unter 9 Jahren dokumentierte den Rückstand Russlands in der elementaren Volksbildung gegenüber West- und Mitteleuropa sowie den USA eindeutig. In den zwei Jahrzehnten bis zur Revolution von 1917 hatte sich der Anteil der lese- und schreibkundigen Personen über 9 Jahre auf rund 38-39% erhöht. Das Analphabetentum von rund 60% der Bevölkerung und der fehlende Schulunterricht für nahezu die Hälfte der Kinder bildeten eine schwere Hypothek, die alle bildungspolitischen Maßnahmen der Sowjetregierung in den ersten beiden Jahrzehnten überschattete.

Da das russische Bildungssystem des Staates von oben nach unten im Sinne der absolutistischen Ideologie konzipiert war, wiesen die mittleren und höheren Lehranstalten einen quantitativ und qualitativ besseren Stand auf als die Volksschulen. Unter dem Begriff der „mittleren Bildung“ und der „Mittelschule“ fielen im Zarenreich um 1900 die klassischen Gymnasien für Jungen (achtjährig), die siebenjährigen Gymnasien und die Progymnasien für Mädchen, die siebenjährigen Realschulen und die Handelsschulen (sieben- oder achtjährig), in denen ebenfalls die allgemein bildenden Inhalte überwogen. Die Kadettenanstalten, die Diözesanschulen für Mädchen und die „Institute für adelige Fräulein“ konnte man als Relikte der ständischen Herkunft im mittleren Schulwesen ansehen. Die staatliche Schulpolitik im 19. Jahrhundert hatte mehrfach versucht, die verschiedenen Schultypen auf bestimmte Stände zu begrenzen, aber der Demokratisierungsprozess ließ sich nicht aufhalten. Die entstehende bürgerliche Gesellschaft in Russland schuf sich ihre eigene bürgerliche Schule, die keine geburtsständischen Privilegien mehr kannte und jedem das formale Recht auf freien Zutritt zu den höheren Bildungsstufen gewährte.

Während noch im Jahre 1894 unter den 54.590 Schülern der Knabengymnasien 56,4% dem Adel und der höheren Beamtenschaft, 33,5% den „städtischen Ständen“, 6,7% der Bauernschaft und 3,4% der Geistlichkeit entstammten, hatte sich das Bild im Jahre 1914 (152.110 Schüler) folgendermaßen verändert: 32,3% Adel und Beamten, 45,6% Angehörige städtischer Stände (darunter 26,9% Arbeiter und Handwerker), 22% Bauern und 5,6% Geistlichkeit. In den Realschulen stellten 1914 von den 80.800 Schülern die Bauernkinder mit 32,1% zusammen mit den städtischen Handwerkern und Arbeitern mit 29,6% sogar die Mehrheit der Schüler; ähnliches galt für die Mädchenanstalten. Das mittlere Schulwesen in Russland vor der Revolution 1917 kann daher nur bedingt als klassengebunden bezeichnet werden, auch wenn die sozialistischen Kritiker mit Recht auf die materiellen Ungleichheiten, die die Chancen für Kinder aus ärmeren Familien beeinträchtigten, hinwiesen.

Die Krisenerscheinungen des mittleren Schulwesens, insbesondere der Gymnasien, lagen auf einem anderen Gebiet: in dem Dualismus von klassischer und realistischer Bildung, der zwischen 1900 und 1904 zu verschiedenen Reformprojekten Anlass gab, und in der allgemein als pädagogisch rückständig empfundenen Erziehungs- und Unterrichtspraxis. Die Entfremdung von der Familie, bürokratischer Charakter, trockener Formalismus, Überbürdung der Schüler durch bloßes Auswendiglernen und fehlende Berücksichtigung der kindlichen Eigenarten waren regelmäßig erhobene Vorwürfe. Die Schüler der oberen Gymnasialklassen sympathisierten meistens mit den oppositionellen Strömungen und nahmen weiterhin an revolutionären Geheimzirkeln zusammen mit Studenten teil.

Für die russischen Universitäten und Hochschulen waren die letzten Jahre der zaristischen Herrschaft eine Periode permanenter politischer Unruhen bei einem gleichzeitigen Hochstand wissenschaftlicher Leistungen auf vielen Gebieten und einem starken Zuwachs der Studentenzahlen. Zwischen den Jahren 1900 und 1914 erhöhte sich die Zahl der Studenten an den neun Universitäten des Reiches von 16.357 auf 55.695, wobei allein an der Moskauer Universität im Jahre 1914 9.892 Studenten eingeschrieben waren. Auch die Zahl der Fachhochschulen, die ausschließlich Männern vorbehalten waren, und die der Höheren Frauenkurse, die den Universitäten kaum nachstanden, erlebte einen beträchtlichen Aufschwung. Insgesamt wurden im Studienjahr 1912/1913 an den genannten Hochschulen und Kursen 66.981 Personen unterrichtet. In der sozialen Zusammensetzung der Studenten hatte sich ebenfalls ein Wandel zugunsten der mittleren und unteren Sozialschichten vollzogen. An den Universitäten gehörten 1914 zwar noch 36,1% dem Adel und Beamtentum an, aber es folgten mit 24,3% Handwerker und Arbeiter; 14,8% gehörten dem städtischen Bürgertum, 14,5% der Bauernschaft und 10,3% der Geistlichkeit an. An den Technischen Hochschulen und den Höheren Frauenkursen war die Zusammensetzung noch stärker demokratisiert.

Alle russischen Universitäten und die meisten anderen Hochschulen waren Staatsanstalten; im 19. Jahrhundert waren preußisch-deutsche und französische Einflüsse für ihre innere Organisation maßgebend gewesen. Bis zur Oktoberrevolution von 1917 handelte es sich um einen wechselhaften Kampf um ihre Autonomie, d.h. die rechtlich gesicherte Selbstverwaltung, nach dem Vorbild der deutschen Universitäten. Die Autonomie wurde vom Staat – je nach den allgemeinen politischen Entwicklungen – abwechselnd teilweise geändert und dann wieder zurückgenommen. Die Hoffnungen aus dem Revolutionsjahr 1905 erfüllten sich nicht; im Jahre 1911 kam es zu Massenrelegierungen von Studenten sowie Entlassungen und Rücktritten von Professoren. Diese Krisensymptome zeigten die große Entfremdung zwischen den überwiegend demokratisch gesinnten Professoren, den zum Sozialismus neigenden Studenten und der konservativ-bürokratischen Staatsgewalt.

Gegenüber dem allgemein bildenden mittleren Schulwesen und den Universitäten und Hochschulen befand sich die „beruflich-technische Bildung“ in einem erheblichen Rückstand, gemessen an den wirtschaftlichen Bedürfnissen der kapitalistischen Industrialisierung, vor allem seit den 1890er Jahren. Dabei machte sich das niedrige allgemeine Schulniveau der arbeitenden Bevölkerung ebenso hemmend bemerkbar wie die noch ungenügende Zahl von Berufs- und Fachschulen. So hieß es in einer Resolution: „Das Analphabetentum der Arbeiter stellt das Haupthindernis für die Verbreitung technischer Kenntnisse im Volke dar und ist zugleich die wichtigste Ursache für die Unproduktivität der Arbeit.

Es wurden drei Berufsschultypen festgelegt: mittlere technische Lehranstalten zur Ausbildung von Technikern, niedere technische Schulen für künftige Werkmeister und handwerkliche Gewerbeschulen für Facharbeiter. In der Folgezeit entstanden verschiedene neue Typen, die von den jeweiligen Ressorts ins Leben gerufen wurden, so dass hier eine große Zersplitterung herrschte. Insgesamt ergab eine Zählung aus dem Jahre 1910 3.036 mittlere und niedere Berufsschulen aller Art mit 213.860 Schülern, wovon fast neun Zehntel zur zweiten Kategorie gehörten. Dabei handelte es sich um Vollzeitschulen, d.h. der Typ der in Deutschland um die Jahrhundertwende entstehenden Berufsschule als einer berufsbegleitenden Teilzeitschule blieb in Russland unbekannt. Die meisten der in die Industriebetriebe eintretenden jüngeren und älteren Arbeitskräfte wurden unmittelbar am Ort nur kurz angelernt; eine planmäßige betriebliche Lehrlingsausbildung gab es lediglich in einigen Staatsbetrieben.

Die Reformpläne am Vorabend der Revolution von 1917

Die Stagnation der von der zaristischen Regierung betriebenen Schul- und Hochschulpolitik und die im Gegensatz dazu äußerst produktive Selbsthilfe der Gesellschaft blieb ein Kennzeichen der russischen inneren Entwicklung bis zum Zusammenbruch der Monarchie. Lediglich in der knapp zweijährigen Tätigkeit des vorletzten Ministers für Volksbildung, P. N. Ignat’ev, der im Januar 1915 in sein Amt berufen wurde, schien sich eine Überwindung dieser Kluft und ein entschiedener Kurs auf eine umfassende Modernisierung und Reform des russischen Bildungswesens anzubahnen.

Ignat’ev, der sich von den zeitgenössischen westlichen pädagogischen Reformideen, so z.B. von den Gedanken des amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey, anregen ließ, plante die Errichtung eines einheitlichen Schulsystems, das an die Stelle des bisherigen Nebeneinanders von Volksschule und Mittelschule treten sollte. Es war kein radikaler Bruch mit den bestehenden Schulverhältnissen vorgesehen, aber eine entschiedene Orientierung auf neue pädagogische, ökonomische und gesellschaftliche Bedürfnisse. So schlug die von Ignat’ev berufene Reformkommission für das mittlere Schulwesen anstelle der bisherigen Typen des Gymnasiums und der Realschule eine in drei Zweige gegliederte vierjährige II. Stufe vor, die auf einem gemeinsamen dreijährigen Unterbau beruhte. Dieser wiederum sollte im Lehrplan mit den entsprechenden Klassen der höheren Grundschule identisch sein, so dass ein Übergang auch erst zu diesem Zeitpunkt möglich war. Die vierjährige gemeinsame Grundschule für alle Kinder im Unterschied zu den bisherigen gesonderten Vorklassen der Gymnasien und Realschulen sollte die Einheit des Schulsystems unterstreichen. Wenn man die gleichzeitige Erweiterung der Rechte für die Lehrerkonferenz und die Elternausschüsse hinzunimmt, wird deutlich, dass es Ignat’ev auf eine strukturelle und pädagogische Erneuerung ankam, die den Grundsätzen einer bürgerlichen Verfassung im Staate von den Schulen vorarbeiten sollte.

Die gleichzeitigen Pläne für eine Reform und einen umfassenden Ausbau des Berufs- und Fachschulwesens, die ein im Jahre 1916 gebildeter „Rat für Angelegenheiten der Berufsbildung in Russland“ vorbereiten sollte, dienten dem ökonomischen Programm der Erschließung Russlands, das Ignat’ev folgendermaßen formulierte: „Die Wohlfahrt Russlands und seine ganze Zukunft hängen von der Hebung der Produktivkräfte des Landes ab. Ein schneller und kräftiger Aufschwung ist ohne die breite Entwicklung der Berufsausbildung undenkbar. Eine vernünftige und ausgedehnte Nutzung der gewaltigen natürlichen Reichtümer unseres Vaterlandes verlangt tausende technisch gebildeter Menschen.“

Lenins Programm der umfassenden Elektrifizierung des Landes wie die in dem späteren Hauptkomitee für beruflich-technische Bildung entwickelten Grundsätze waren in ihrem praktischen Teil eine direkte Weiterführung der vorrevolutionären Pläne. Ignat’ev selbst scheiterte jedoch damit am Widerstand konservativer Kreise am Zarenhof.

Der nach dem Sturz des aus der Februarrevolution 1917 hervorgegangenen Provisorischen Regierung, die seit dem Mai eine bürgerlich-sozialistische Koalition darstellte, fehlte es umgekehrt nicht an politischen Zielvorstellungen und weitreichenden Reformideen, wohl aber in dem krisengeplagten Land infolge des 1. Weltkrieges mit seinen wachsenden inneren Spannungen an der realen Macht und den faktischen Möglichkeiten. Obwohl die bolschewistische Oktoberrevolution bald über die Dekrete und Pläne der Provisorischen Regierung zur Neugestaltung des Schul- und Hochschulwesens hinweg geschritten ist, verdienen diese Beachtung, da sie die Brücke zwischen dem alten Regime und der Sowjetmacht darstellen und auf diese Weise die trotz aller Umbrüche nicht verloren gegangene Kontinuität in den zentralen bildungspolitischen Aufgaben und praktischen Reformen dokumentieren.

Schon in den ersten Wochen nach dem Februarumsturz formierte sich die Lehrerschaft in verschiedenen lokalen und regionalen gewerkschaftlich-politischen Zusammenhängen, die in der Neugründung des Allrussischen Lehrerverbandes im April 1917 gipfelten. Die Initiatoren der Lehrerbewegung standen überwiegend im sozialistischen Lager, wobei die parteipolitischen Grenzen eher fließend waren und die Bolschewiki noch kaum Anhänger besaßen. Die auf den verschiedenen Lehrerkongressen erhobenen Forderungen waren das Resultat der geistigen Vorarbeit seit dem Jahre 1905, auf den Bildungskongressen vor 1914 und in den Spalten der pädagogischen Zeitschriften. Eine an das Ministerium gerichtete Resolution des Moskauer Lehrerkongresses Anfang April 1917 stellte die Grundsätze der Freiheit, Demokratisierung und Dezentralisierung an die Spitze der allgemeinen Reformforderungen. Im Einzelnen hieß das vor allem: „Selbstverwaltung und Selbstbestimmung der Schulen aller Nationalitäten auf allen Stufen unter breiter Einführung des Wahlprinzips; Beseitigung der Beschränkungen und Privilegien im Bildungswesen, die auf dem Geschlecht, der Nationalität, der Konfession und dem Stand beruhen; Unterricht in der Muttersprache; Einheit und Aufeinanderfolge aller Schultypen; allgemeine Grundschulpflicht; Unentgeltlichkeit der Bildung auf allen Stufen und Gewährleistung eines tatsächlichen Zugangs zu den Bildungseinrichtungen für alle; Freiheit der Privatinitiative im Bereich der Volksbildung; breite Entfaltung der Vorschulerziehung und der außerschulischen Bildung“.

Diese prinzipiellen Forderungen wurden vom Volksbildungsminister, dem ehemaligen Rektor der Moskauer Universität A. A. Manuilov, anerkannt. Allerdings war man in den zentralen Behörden gezwungen, vor allem die immer schwieriger werdenden äußeren Verhältnisse zu meistern, so dass lediglich ein Teil der Reformpunkte bis zum Herbst 1917 auch in administrative Verordnungen umgesetzt worden ist. Dazu gehörten unter anderem die Übertragung der lokalen Schulaufsicht auf die neuen demokratischen Verwaltungsorgane, die Übernahme der kirchlichen Grundschulen durch die staatliche Verwaltung, was allerdings auf den Widerspruch der orthodoxen Kirche stieß, das Recht auf Befreiung vom Religionsunterricht, die Aufhebung der Diskriminierung jüdischer Kinder bei der Zulassung zum Mittelschulbesuch und zum Studium, verschiedene Schritte zur Vereinheitlichung des mittleren Schulwesens sowie die Förderung von Koedukationsschulen. Auch die neue russische Rechtschreibung, die allerdings sehr umstritten war, wurde in den Schulen eingeführt. Für die russischen Hochschulen war die Gewährung der Universitätsautonomie am wichtigsten, die einen zentralen studentischen Ausschuss als Interessenvertretung der Studenten einschloss.

Die genannten Reformschritte wiesen in eine Richtung, die eine umfassende Neugestaltung des russischen Bildungswesens zum Ziel hatten. Die entscheidende Rolle sollte dabei dem Staatskomitee für Volksbildung zufallen. In den verschiedenen Kommissionen besaßen die wichtigsten Männer der Volksbildungsbewegung seit 1900 den entscheidenden Einfluss.

Aus den über 40 Einzelentwürfen, die bis zum Oktober 1917 erarbeitet wurden, sind zwei Dokumente besonders entscheidend: die „22 Leitsätze für die Ausarbeitung der Reform der Volksbildung“ sowie die „Provisorische Ordnung für die allgemeinbildende öffentliche Einheitsschule“. Das erste Dokument sollte das Verhältnis von Staat und Bildungswesen, das zweite die inneren Verhältnisse der Schule regeln. In beiden wurden die schon oben genannten Prinzipien eines demokratischen Bildungssystems und der pädagogischen Reformbewegungen im Einzelnen entwickelt, vor allem die Übertragung der Schulangelegenheiten auf die lokale Selbstverwaltung als Reaktion auf den bürokratischen Zentralismus der Zarenzeit, die Schaffung kollegialer Gremien in der Schule selbst und in der Schulverwaltung, die starke Heranziehung gesellschaftlicher Kräfte, die Einführung eines dreistufigen Einheitsschulsystems sowie zahlreiche weitere Schritte zur Modernisierung des Unterrichts.

Die Reformentwürfe des Staatskomitees für Volksbildung bildeten den konsequenten Abschluss der vorevolutionären demokratischen Reformbestrebungen der fortschrittlichen russischen Intellektuellenbewegung. Die mit der Oktoberrevolution begonnene radikale Umgestaltung im kommunistischen Sinne hat bestimmte Motive aufgegriffen und fortgeführt, andere dagegen nicht beachtet oder unterdrückt.

Die Zeit nach der Oktoberrevolution

Die bildungspolitischen Ziele der Bolschewisten

Als die Bolschewiki im Oktober 1917 an die Macht kam, verfügte sie in grobem Maße auch über ein pädagogisches und bildungspolitisches Programm, das auf den theoretischen Grundlagen des Marxismus beruhte und einige Zielvorstellungen mit der demokratischen Volksbildungsbewegung sowie anderer sozialistischer Parteien teilte. Konkrete Pläne und Reformentwürfe besaßen die Bolschewiki um diese Zeit jedoch noch nicht. Im Laufe des Jahres 1918 gesellten sich zu den wenigen Bolschewiki, die zuerst in Petrograd, dann in Moskau das ehemalige zaristische Ministerium für Volksbildung in den Generalstab der pädagogischen Revolution verwandelten, entschiedene Schulreformer wie P.P. Blonskij (1884-1941), S.T. Sackij (1878-1934) und V.N. Sulgin (1894-1965). Später kamen noch die beiden führenden pädagogischen Wissenschaftler der 1920er Jahre, A.P. Pinkevic (1883-1939) und M.M. Pistrak (1888-1940) hinzu.

Die pädagogischen Wortführer der Schulrevolution bezogen ihre Ideen vornehmlich aus drei Richtungen: aus der von Tolstoj beeinflussten radikalen pädagogischen Bewegung der freien Erziehung, aus der westeuropäischen und nordamerikanischen Reformpädagogik, für die John Dewey (näher darauf eingehen) repräsentative Geltung in Russland gewann, sowie aus der Theorie von Karl Marx. Während die allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Ziele des Marxismus, in der von Lenin geschaffenen Form, den prinzipiellen und programmatischen Rahmen abgaben, innerhalb dessen sich die kommunistische Bildungspolitik abspielte, flossen in ihre Realisierung während der ersten Periode in starkem Maße auch nichtmarxistische Gedanken ein.

Diese Vorstellungen waren vor allem für die innere Revolutionierung von Schule und Erziehung bestimmend und kamen in den entsprechenden Dekreten, Programmen und Lehrplänen seit 1918 zum Ausdruck. Bevor der Autor sich dieser Seite der pädagogischen Neuorientierung zuwendet, müssen jedoch die umgreifenden sozialpolitischen Zielsetzungen des bolschewistischen Programms zur Umgestaltung des russischen Bildungswesens dargelegt werden. Sie beruhen vor allem auf den von Lenin entwickelten Vorstellungen von einer „sozialistischen Kulturrevolution“ und von den Aufgaben die dabei der Diktatur des Proletariats zufielen. Lenin hat dem Ausdruck „Kulturrevolution“ erst gegen Ende seines Lebens geprägt, als sich mit Beginn der Neuen Ökonomischen Politik die Erkenntnis Bahn gebrochen hatte, dass Russland ein langwieriger sozialer, ökonomischer und kultureller Transformationsprozess bevorstand. Lenin schrieb Anfang 1923: „Unsere Gegner hielten uns oft entgegen, es sei ein sinnloses Beginnen von uns, in einem Lande mit mangelnder Kultur den Sozialismus anpflanzen zu wollen. Ihr Irrtum entstand aber daraus, daß wir nicht von dem Ende angefangen haben, an dem es nach der Theorie hätte geschehen sollen, und daß bei uns die politische und soziale Umwälzung jener kulturellen Umwälzung jener Kulturrevolution vorausgegangen ist, der wir jetzt dennoch gegenüberstehen.“

Lenin kehrte den Zusammenhang um: der Aufbau der geplanten sozialistischen Gesellschaftsordnung musste alles das nachholen, was der Kapitalismus im Westen geleistet, in Russland aber versäumt hatte: „Wenn zur Schaffung des Sozialismus ein bestimmtes Kulturniveau notwendig ist (obwohl niemand sagen kann, wie dieses bestimmte ‚Kulturniveau’ aussieht, denn es ist in jedem westeuropäischen Staat anders), warum sollten wir also nicht damit anfangen, auf revolutionärem Weg dieses bestimmte Niveau zu erringen, und erst dann, auf der Grundlage der Arbeiter- und Bauernmacht und der Sowjetordnung, vorwärts schreiten und die anderen Völker einholen.“

Schon lange vor 1917 hatte Lenin die bei der Verwandlung Russlands in einen Industriestaat auftretenden Hemmnisse mit dem niedrigen Bildungsniveau der Bevölkerung in Zusammenhang gebracht und betont, dass der „Faktor Kultur“ für den wirtschaftlichen Aufstieg von entscheidender Bedeutung sei. Kurz nach der Oktoberrevolution nannte er als die beiden wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung einer sozialistischen Wirtschaft in Russland „erstens die Hebung des Bildungs- und Kulturniveaus der Masse der Bevölkerung und zweitens die Hebung der Disziplin der Werktätigen, ihres Vermögens zu arbeiten, der Geschicklichkeit, der Intensität der Arbeit und ihre bessere Organisation.“

Lenin war sich aber dessen bewusst, auf welche großen Schwierigkeiten diese „Kulturrevolution“ stoßen musste, bei der „Umerziehung der Massen, bei der Organisations- und Schulungsarbeit, bei der Vermittlung von Wissen, beim Kampf gegen das uns zugefallene Erbe an Unwissenheit und Unkultur, Rohheit und Verwilderung.“

Im Unterschied zu den technikfeindlichen und zivilisationskritischen Kulturkonzeption Tolstojs, die noch im 20. Jahrhundert in der russischen Intelligenz lebendig war, erkannte Lenin den von Blonskij im Jahre 1919 niedergeschriebenen Satz an, dass die „technisch vollkommene Gesellschaft“ gleichbedeutend sei mit der „sozial vollkommenen Gesellschaft“ und dass „die Kultur der Zukunft eine industriell-kollektivistische Kultur“ sei. Die Verbindung von Technik und Sozialismus stellte Lenins Vermächtnis an Russland dar. Die Elektrifizierung der Industrie und der Anstieg der Kultur bildeten den Kern des „zweiten Parteiprogramms“, wie Lenin den Ende 1920 verabschiedeten Plan zur Elektrifizierung Russlands nannte. Bei der „Kulturrevolution“ in Russland handelte es sich also um ein Nachholen der europäischen und amerikanischen Entwicklung. Lenins Konzeption der „sozialistischen Kulturevolution“ unterstrich die rational-planerischen Aufgaben der neuen revolutionären Staatsmacht ebenso wie den instrumentellen Charakter der elementaren Massenbildung. „Kulturrevolution“ bedeutete in diesem Verständnis nicht die Schaffung einer neuen „proletarischen Kultur“, sondern den Erwerb wissenschaftlicher, technischer und organisatorischer Mittel zur Überwindung der sozioökonomischen Rückständigkeit des Landes und seiner Bevölkerung.

Aus der pragmatischen Einstellung Lenins und seinem Bewusstsein von der historischen Kontinuität ergab sich auch seine ablehnende Haltung gegenüber den Bestrebungen einer genuinen „proletarischen Kulturrevolution“, die fast alle Bereiche des kulturellen Lebens in den ersten Jahren der bolschewistischen Revolution durchdrangen. Die Bewegung des „Proletkul’t“ fand in der Literatur und in den bildenden Künsten den stärksten Ausdruck. Der „Proletkul’t“ sollte als autonome, von der Partei unabhängige Organisation die „proletarische Klassenkultur“ allein mit den Kräften des Proletariats unter ausdrücklichem Verzicht auf die Mitwirkung der Bauern und der bürgerlichen Intelligenz. Die kommunistische Partei war in diesem Konzept lediglich für die politische Revolution, die Gewerkschaften für die soziale Revolution zuständig. Lenin sah im proletarischen Radikalismus der Bewegung die Gefahr, dass dadurch die Bauern und die bürgerliche Intelligenz, deren Zustimmung für die Überlebensfähigkeit des Sowjetsystems entscheidend war, in eine scharfe Opposition zur Diktatur des Proletariats gebracht und damit der hegemoniale Bestand der kommunistischen Partei und auch seine eigene Position gefährdet wurde. Die Reglementierung des „Proletkul’t“ hatte in erster Linie politische Gründe, richtete sich aber gegen den dortigen Einfluss des Futurismus. Die Futuristen sahen in der Revolution vor allem die Befreiung der Künste aus verknöcherten Traditionen. Der Volkskommissar für das Bildungswesen, Lunacarskij, förderte zunächst die Futuristen und wies ihnen einflussreiche Posten auf dem Gebiet der Literatur-, Kunst- und Theaterpolitik zu. Aber es traten bald Differenzen auf. Der von den Futuristen propagierte totale Bruch mit der Kunst der zaristischen Vergangenheit widersprach der vor allem von Lenin vertretenen Ansicht, dass der Aufbau einer neuen Kultur nur mit Unterstützung der bürgerlichen Intelligenz und ihres Fachwissens eine gute Überlebenschance hätte. Bald darauf wurde deren Zeitung „Kunst der Kommune“ von der Regierung eingestellt. Der Einfluss der Futuristen auf die Literatur- und Bildungspolitik der Sowjetunion war damit gebrochen, obwohl sie sich bemühten, ihre Vorstellungen von einer revolutionären Kunst weiter zu verbreiten.

Der Geist der Absage an die Vorstellungen von einer besonderen proletarischen Kultur fand auch Eingang in die Thesen des ZK der „Gesamtrussischen Gewerkschaft der Kunstschaffenden“. Neben der Notwendigkeit einer Nutzung für die politische Agitation und der als Voraussetzung dazu erforderlichen „kommunistischen Propaganda unter den Dienern der Kunst selbst“ wurde darin hervorgehoben, dass „ die neue proletarische und sozialistische Kunst nur auf dem Fundament aller Errungenschaften der vergangenen errichtet werden kann“. Der „Proletkul’t“ entwickelte sich zu einer Massenorganisation, die mit der kommunistischen Partei zahlenmäßig konkurrieren konnte. Im Jahre 1920 gab es ca. 400.000 Sympathisanten und 80.000 aktive Mitglieder, die über 20 literarische und kulturpolitische Zeitschriften herausgaben.

Erkenntnistheoretisch nahm die Bewegung eine radikale Variante der Standpunkt-Theorie ein.[2] Die Standpunkt-Theorie geht von einer Abhängigkeit der Erkenntnisgewinnung innerhalb gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse aus. Es geben bessere und schlechtere Standpunkte, von denen aus die Welt betrachtet und interpretiert werden könne. Die standpunkttheoretischen Konzepte setzen bei Hegels Herr und Knecht-Kapitel in der „Phänomenologie des Geistes“ aus dem Jahre 1802 an.[3] Karl Marx hat Hegels Philosophie auf den Produktionsprozess im Kapitalismus bezogen, in der sich Kapitalisten und Proletarier in einer organisierten gesellschaftlichen Beziehung als Klassen gegenüberstehen. Aus der Sicht des Proletariers ist der Ablauf des Produktionsprozesses prinzipiell verfügbar, da seine Anstrengung die Beziehung zwischen Selbst und Gegenstand erst hervorbringe. Vom Standpunkt der herrschenden Klassen hingegen seien die tatsächlichen Praktiken nicht sichtbar. Aus dem Standpunkt des Proletariers resultiert sein Klassenbewusstsein und der damit verbundene Klassenkampf, wenn es von der Klasse an sich zur Klasse für sich werde.[4]

Ab August 1919 betrieb Lenin aktiv die Unterordnung des Proletkul’t unter das Volkskommissariat für das Bildungswesen. Die erstrebte Unterordnung wurde schließlich im Oktober 1920 vollzogen und im Dezember 1920 durch einen ZK-Beschluss bestätigt. Lenin hatte eine völlige Unterordnung des Proletkul’t angestrebt, aber letztlich wurde ihm doch Autonomie in seiner künstlerischen Arbeit (Musik, Theater, Literatur, bildende Kunst) eingeräumt, wogegen ihm eigenständige politische und wissenschaftspolitische Arbeit verboten wurde.

Die Unterordnung des „Proletkul’t“ unter die Regierung leitete seinen Verfall ein. Seine bisherigen Wortführer, A. Bogdanov und V. Poljanskij, wurden ausgeschaltet; viele Zeitschriften wie „Proletarische Kultur“ und „Zukunft“ wurden im Jahre 1921 eingestellt.

Die Bewegung des „Proletkul’t“ beeinflusste auch einige pädagogische Konzeptionen. Der Geist der spontanen und kollektiven Experimentierlust war in den Projekten für Schulkommunen oder Kinderhäuser ebenso lebendig wie in den radikalen Ideen von der „Vernichtung der alten Schule“ und dem „Absterben der Schule“ überhaupt. Im Augenblick der bolschewistischen Machtübernahme waren die Unterschiede noch überdeckt; der erste amtliche Aufruf des neuen Volkskommissars Lunacarskij erhielt folgende Aussagen: „Die werktätigen Volksmassen, die Arbeiter, Bauern und Soldaten lechzen nach Unterricht im Lesen und Schreiben und nach allem Wissen. Sie lechzen aber auch nach Bildung. Diese kann ihnen weder der Staat noch die Intelligenz noch irgendwelche Macht außerhalb ihrer selbst geben. Schule, Buch, Theater, Museum usw. können hier nur Hilfsmittel sein. Die Volksmassen werden selbst ihre Kultur bewußt oder unbewusst ausarbeiten. (…) Der städtische Arbeiter und der auf dem Lande Arbeitende werden sich, jeder auf seine Art, ihre lichte, von dem Klassenbewusstsein des Arbeiters durchdrungene Weltanschauung schaffen. Es gibt keine erhabenere und schönere Erscheinung als die, deren Zeugen und Beteiligte die nächste Generation sein werden: das Aufbauen des eigenen, gemeinsamen, reichen und freien Seelenlebens durch schaffende, werktätige Kollektive. (…) Überall in Russland, besonders unter den städtischen Arbeitern, aber auch unter den Bauern, erhob sich eine mächtige Welle der Kultur- und Bildungsbewegung, vermehren sich zahllos die Arbeiter- und Soldatenorganisationen dieser Art; ihnen entgegenzukommen, sie auf jede Weise zu stützen, den Weg vor ihnen freizumachen, ist die erste Aufgabe der revolutionären Volksregierung auf dem Gebiete der Volksbildung.“

Auf der 1. gesamtrussischen Konferenz der „Proletkul’t“ - Organisationen wurden die drei wichtigsten Prinzipien herausgestellt:

  1. die kulturell aufklärende Bewegung des Proletariats sollte einen selbständigen Platz neben seiner politischen und ökonomischen Bewegung einnehmen;
  2. ihre Aufgabe bestand in der Ausarbeitung einer proletarischen Kultur, die mit der klassenlosen Gesellschaft zu einer allgemein-menschlichen wurde;
  3. der Aufbau dieser neuen Kultur basierte auf der gesellschaftlichen Arbeit und der menschlichen Zusammenarbeit.

Die Sozialisierung von Bildung und Wissenschaft war das Ziel, d.h jedem einzelnen Menschen sollten die Kulturgüter und wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich gemacht werden: „Der Arbeiterklasse steht bevor, nicht nur das wissenschaftliche Erbe der bürgerlichen Welt zu übernehmen und umzuwandeln. Ihre historische Aufgabe, ihr soziales Ideal erfordert, daß sie im Keime der Wissenschaft etwas ganz Neues schafft. (…) Die Verwirklichung des Sozialismus bedeutet eine Organisationsarbeit von einer Weite und Tiefe, zu der noch keine Gesellschaftsklasse in der Geschichte der Menschheit berufen war. (…) Eine Wissenschaft, die vom Standpunkt der Arbeiterklasse betrieben wird, ist die gesammelte Arbeitserfahrung der Menschheit, ein Mittel der Organisation der Arbeit, ein Mittel der Organisierung des sozialen Kampfes und Aufbaues – eine Macht nicht der Person, sondern der Gesamtheit“

Erkenntnistheoretisch nahm die Bewegung eine radikale Variante der Standpunkt-Theorie ein.[5] Die Standpunkt-Theorie geht von einer Abhängigkeit der Erkenntnisgewinnung innerhalb gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse aus. Es geben bessere und schlechtere Standpunkte, von denen aus die Welt betrachtet und interpretiert werden könne. Die standpunkttheoretischen Konzepte setzen bei Hegels Herr und Knecht-Kapitel in der „Phänomenologie des Geistes“ aus dem Jahre 1802 an.[6] Karl Marx hat Hegels Philosophie auf den Produktionsprozess im Kapitalismus bezogen, in der sich Kapitalisten und Proletarier in einer organisierten gesellschaftlichen Beziehung als Klassen gegenüberstehen. Aus der Sicht des Proletariers ist der Ablauf des Produktionsprozesses prinzipiell verfügbar, da seine Anstrengung die Beziehung zwischen Selbst und Gegenstand erst hervorbringe. Vom Standpunkt der herrschenden Klassen hingegen seien die tatsächlichen Praktiken nicht sichtbar. Aus dem Standpunkt des Proletariers resultiert sein Klassenbewusstsein und der damit verbundene Klassenkampf, wenn es von der Klasse an sich zur Klasse für sich werde.[7]

Ab August 1919 betrieb Lenin aktiv die Unterordnung des Proletkul’t unter das Volkskommissariat für das Bildungswesen. Die erstrebte Unterordnung wurde schließlich im Oktober 1920 vollzogen und im Dezember 1920 durch einen ZK-Beschluss bestätigt. Lenin hatte eine völlige Unterordnung des Proletkul’t angestrebt, aber letztlich wurde ihm doch Autonomie in seiner künstlerischen Arbeit (Musik, Theater, Literatur, bildende Kunst) eingeräumt, wogegen ihm eigenständige politische und wissenschaftspolitische Arbeit verboten wurde.

Die Unterordnung des „Proletkul’t“ unter die Regierung leitete seinen Verfall ein. Seine bisherigen Wortführer, A. Bogdanov und V. Poljanskij, wurden ausgeschaltet; viele Zeitschriften wie „Proletarische Kultur“ und „Zukunft“ wurden im Jahre 1921 eingestellt.

Die Bewegung des „Proletkul’t“ beeinflusste auch einige pädagogische Konzeptionen. Der Geist der spontanen und kollektiven Experimentierlust war in den Projekten für Schulkommunen oder Kinderhäuser ebenso lebendig wie in den radikalen Ideen von der „Vernichtung der alten Schule“ und dem „Absterben der Schule“ überhaupt. Im Augenblick der bolschewistischen Machtübernahme waren die Unterschiede noch überdeckt; der erste amtliche Aufruf des neuen Volkskommissars Lunacarskij erhielt folgende Aussagen: „Die werktätigen Volksmassen, die Arbeiter, Bauern und Soldaten lechzen nach Unterricht im Lesen und Schreiben und nach allem Wissen. Sie lechzen aber auch nach Bildung. Diese kann ihnen weder der Staat noch die Intelligenz noch irgendwelche Macht außerhalb ihrer selbst geben. Schule, Buch, Theater, Museum usw. können hier nur Hilfsmittel sein. Die Volksmassen werden selbst ihre Kultur bewußt oder unbewusst ausarbeiten. (…) Der städtische Arbeiter und der auf dem Lande Arbeitende werden sich, jeder auf seine Art, ihre lichte, von dem Klassenbewusstsein des Arbeiters durchdrungene Weltanschauung schaffen. Es gibt keine erhabenere und schönere Erscheinung als die, deren Zeugen und Beteiligte die nächste Generation sein werden: das Aufbauen des eigenen, gemeinsamen, reichen und freien Seelenlebens durch schaffende, werktätige Kollektive. (…) Überall in Russland, besonders unter den städtischen Arbeitern, aber auch unter den Bauern, erhob sich eine mächtige Welle der Kultur- und Bildungsbewegung, vermehren sich zahllos die Arbeiter- und Soldatenorganisationen dieser Art; ihnen entgegenzukommen, sie auf jede Weise zu stützen, den Weg vor ihnen freizumachen, ist die erste Aufgabe der revolutionären Volksregierung auf dem Gebiete der Volksbildung.“

Auf der 1. gesamtrussischen Konferenz der „Proletkul’t“ - Organisationen wurden die drei wichtigsten Prinzipien herausgestellt:

  1. die kulturell aufklärende Bewegung des Proletariats sollte einen selbständigen Platz neben seiner politischen und ökonomischen Bewegung einnehmen;
  2. ihre Aufgabe bestand in der Ausarbeitung einer proletarischen Kultur, die mit der klassenlosen Gesellschaft zu einer allgemein-menschlichen wurde;
  3. der Aufbau dieser neuen Kultur basierte auf der gesellschaftlichen Arbeit und der menschlichen Zusammenarbeit.

Die Sozialisierung von Bildung und Wissenschaft war das Ziel, d.h jedem einzelnen Menschen sollten die Kulturgüter und wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich gemacht werden: „Der Arbeiterklasse steht bevor, nicht nur das wissenschaftliche Erbe der bürgerlichen Welt zu übernehmen und umzuwandeln. Ihre historische Aufgabe, ihr soziales Ideal erfordert, daß sie im Keime der Wissenschaft etwas ganz Neues schafft. (…) Die Verwirklichung des Sozialismus bedeutet eine Organisationsarbeit von einer Weite und Tiefe, zu der noch keine Gesellschaftsklasse in der Geschichte der Menschheit berufen war. (…) Eine Wissenschaft, die vom Standpunkt der Arbeiterklasse betrieben wird, ist die gesammelte Arbeitserfahrung der Menschheit, ein Mittel der Organisation der Arbeit, ein Mittel der Organisierung des sozialen Kampfes und Aufbaues – eine Macht nicht der Person, sondern der Gesamtheit“

Eine sozialistische Gesellschaftsordnung war nicht in erster Linie durch die Übernahme technischer Errungenschaften und der bloßen Aneignung notwendiger Arbeitsfertigkeiten aufzubauen, sondern durch die Selbstorganisation des Proletariats auf dem Wege über ihre kollektiven Erfahrungen im sozialen Leben, d.h. im Produktions- und Lernprozess.

Im Unterschied dazu räumte Lenin der Bildungsarbeit unter der Bevölkerung im Sinne der Aufklärung eindeutig den Vorrang vor der Schaffung neuer proletarischer Kulturprinzipien ein. Deshalb nahm er auch zum „bürgerlichen Kulturerbe“ der Vergangenheit eine andere Stellung ein, als es die vom „Proletkul’t“ beeinflussten Strömungen in Fragen der Pädagogik und Bildung taten. Lenin schrieb: „Der Marxismus hat seine weltgeschichtliche Bedeutung als Ideologie des revolutionären Proletariats dadurch erlangt, daß er die wertvollsten Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters keineswegs ablehnte, sondern sich umgekehrt alles, was in der mehr als zweitausendjährigen Entwicklung des menschlichen Denkens und der menschlichen Kultur wertvoll war, aneignete und es verarbeitete.“

In seiner Rede auf dem III. Kongress des Kommunistischen Jugendverbandes erklärte Lenin im Oktober 1920: „Wir können den Kommunismus nur aus jener Summe von Wissen, Organisationen und Institutionen aufbauen, mit jenen Vorräten an menschlichen Kräften und Mitteln, die uns die alte Gesellschaft hinterlassen hat. (…) Kommunist kann man nur werden, wenn man sein Gedächtnis mit der Kenntnis aller jener Schätze bereichert, die die Menschheit erarbeitet hat.“ Weiterhin nahm er auch „das Gute, das an der alten Schule war“, gegen die radikalen Reformer in Schutz. Dieses „Gute“ bestand für ihn ebenso in der systematischen Aneignung von Kenntnissen und in der wissenschaftlichen Methode des Unterrichts wie in der Überlieferung eines bestimmten Umfangs an gesichertem Wissens. Eine moderne Bildung war für Lenin diejenige, die sich dem industriell-kollektivistischen Ideal einordnen ließ, in unmittelbarer praktischer Beziehung zum wirtschaftlichen Aufbau des kommunistischen Russlands stand sowie die heranwachsende Generation zu einem revolutionären Bewusstsein erzog.

Für die weitere Entwicklung der Sowjetunion war die ideologische Konzeption Lenins von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. In seinen Schriften findet sich keine zusammenhängende, systematisch entwickelte Theorie der Wissenschaft, doch lassen sich aus seinen verstreut geäußerten Ansichten bestimmte Grundzüge herleiten. Lenin ging formal und inhaltlich vom Standpunkt des Klassenkampfes aus an die Auffassung von Wissenschaft heran. Grundlegend erschien hier der am Marxismus gewonnene materialistische Wissenschaftsbegriff, den Lenin bereits im Jahre 1908 scharf gegen die bürgerliche Auffassung abgrenzte: „Von der bürgerlichen Wissenschaft und Philosophie, die von staatlich ausgehaltenen Professoren in staatserhaltenem Geist gelehrt werden, um die heranwachsende Jugend der besitzenden Klassen zu verdummen und die auf den äußeren und inneren Feind zu ‚dressieren’, braucht man erst gar nicht zu reden. Diese Wissenschaft will vom Marxismus nichts wissen. (…) Das Wachstum des Marxismus, die Verbreitung und das Erstarken seiner Ideen in der Arbeiterklasse führen unausbleiblich zu immer häufigerer Wiederkehr und zur Verschärfung solcher bürgerlicher Ausfälle gegen den Marxismus, der aber aus jeder ‚Vernichtung’ durch die offizielle Wissenschaft immer stärker, gestählter und lebenskräftiger hervorgeht.“

Lenin verstand also Wissenschaft nicht nur, im Sinne des Marxismus, an die Arbeiterklasse gebunden, sondern musste auch in ihrem Dienst stehen und zu ihrem Nutzen angewendet werden. Das bedeutete eine Aktivierung wissenschaftlicher Forschung ganz allgemein, aber auch, dass durch diese Funktion jeglicher wissenschaftlicher Tätigkeit eine bestimmte Richtung gegeben wurde, die mit Herrschaft und Gesellschaft in Zusammenhang stand: hier lagen die Anfänge der wissenschaftspolitischen Konzeption. Kurz nach der Oktoberrevolution hat Lenin diese Auffassung formuliert: „Früher war das ganze menschliche Denken, der menschliche Genius nur darauf gerichtet, den einen alle Güter der Technik und Kultur zu geben und dem anderen das Notwendigste vorzuenthalten – Bildung und Entwicklung. Jetzt dagegen werden alle Wunder der Technik, alle Errungenschaften der Kultur zum Gemeingut des Volkes, und von jetzt an wird das menschliche Denken, der menschliche Genius niemals mehr ein Mittel der Gewalt, ein Mittel der Ausbeutung sein.“

Aus dieser Äußerung geht hervor, dass für Lenin Wissenschaft niemals in der bloßen Theorie bestand, sondern immer auch zugleich in der praktischen Anwendung und Nutzung. Wissenschaft und Technik gehörten zusammen und ließen sich im Grunde nicht trennen: diese Konzeption sollte für die weitere Entwicklung der Wissenschaft und auch der Wissenschaftspolitik in der Sowjetunion zur Grundlage werden. In dem von ihm im April 1918 verfassten „Entwurf eines Planes wissenschaftlich-technischer Arbeiten“ fasste er seine Vorstellungen von der zukünftigen Aufgabe von Wissenschaft und Technik in der Sowjetunion zusammen, in dem er die „Ausarbeitung eines Planes für die Reorganisation der Industrie und den ökonomischen Aufstieg Russlands“ forderte, sich dabei auf die Akademie der Wissenschaften bezog und als wichtigste Aufgabe „eine rationelle Standortverteilung der Industrie in Russland“ nannte. Der abschließende Hinweis: „Besonders große Aufmerksamkeit für die Elektrifizierung der Industrie und des Verkehrswesens und für die Anwendung der Elektrizität in der Landwirtschaft“ leitete schon zu dem Plan zur Elektrifizierung Russlands über, der drei Jahre später endgültig Gestalt annahm.

Auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Auslandskontakte hat sich vor allem die Akademie der Wissenschaften um einen Neubeginn bemüht. Hier lag der Schwerpunkt der angestrebten Beziehungen in Deutschland. Die Gelegenheit des 200. Gründungstages der Russischen Akademie der Wissenschaften im September 1925 wurde zu einer internationalen Feier genutzt. Es kamen 150 Wissenschaftler aus dem Ausland, darunter 30 Personen aus Deutschland. Vertreter der Preußischen Akademie der Wissenschaften war Max Planck, der im Jahre 1926 Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wurde. Die deutsche Teilnahme hat sich insbesondere durch die Aktivität des ehemaligen preußischen Kulturministers Friedrich Schmidt-Ott als bereichernd für die deutsch-sowjetische wissenschaftliche Zusammenarbeit ausgewirkt.

Einen großen Umfang nahmen wechselseitige Reisen zu Information und Forschung ein. Von deutscher Seite handelte es sich im Wesentlichen um Besuche von Wissenschaftlern, deren Forschung unmittelbar Russland oder die Sowjetunion betraf. Auf sowjetischer Seite lag der Schwerpunkt in den Naturwissenschaften und der Mathematik.

Eine Verbreiterung dieser Basis wurde am 08.03.1924 in Moskau durch die Gründung der sowjetisch-deutschen Gesellschaft „Kultur und Technik“ gelegt, zu deren Ehrenpräsident Albert Einstein, zu deren Vorsitzendem der stellvertretende Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, B.S. Stomonjanov, berufen wurde. Der wichtigste Partner der sowjetischen Mitglieder war in Deutschland der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit seinem Vorsitzenden Professor Matschoss, daneben der Deutsche Verband wissenschaftlich-technischer Gesellschaften. Um die sowjetischen Wissenschaftler über die Leistungen der ausländischen Wissenschaft zu informieren, gab die Gesellschaft einige russische Periodika mit russisch-deutschem Redaktionskollegium heraus. Die Gesellschaft „Kultur und Technik“ trug über ihre Verbindungen zu deutschen Wissenschaftlern und Technikern und ihren Organisationen vor allem zur Auswertung und Ausnutzung der deutschen Wissenschaft und Technik für den sozialistischen Aufbau bei. Das bedeutendste Ereignis dieser sowjetisch-deutschen wissenschaftlich-technischen Kooperation war eine „Woche der deutschen Technik“, die vom 7. bis 14.01.1929 von der Gesellschaft in Moskau durchgeführt wurde. Zur Intensivierung der Beziehungen wurde in Moskau mit dem Verband deutscher Ingenieure eine Vereinbarung geschlossen, die neben Publikations- und Dokumentationsaustausch der sowjetischen Seite folgende Möglichkeiten gab: „Organisation von Lektionszyklen deutscher Spezialisten in verschiedenen Industriezentren der Sowjetunion, Beschaffung von Ausbildungsmöglichkeiten für sowjetische Spezialisten in Deutschland, technische Konsultationen für die UdSSR.“

Es fanden zweimal monatlich „Tage der deutschen Technik“ statt, zu denen deutsche Wissenschaftler in die Sowjetunion reisten. Insgesamt wurden in den Jahren 1929 und 1930 57, im Jahr 1931 allein 55 Vorträge gehalten.

Zusammengefasst finden sich die allgemeinen bildungspolitischen Grundsätze der bolschewistischen Partei in dem Programm der RKP (B), das auf dem VIII. Parteikongress im März 1919 angenommen wurde und formell bis zur Neufassung des Parteiprogramms im Jahre 1961 galt. Die wichtigsten Forderungen lauteten:

  1. Allgemeine und polytechnische Bildung sowie Verbindung von Unterricht und Produktionsarbeit für alle Kinder und Jugendlichen bis zum 17. Lebensjahr;
  2. Schaffung eines breiten Netzes von Vorschuleinrichtungen zum Zwecke der Verbesserung der gesellschaftlichen Erziehung und der Emanzipation der Frau;
  3. Ausbau der beruflichen Ausbildung und Errichtung zahlreicher außerschulischer Bildungseinrichtungen für Erwachsene,
  4. Eröffnung eines breiten Zugangs zu den Hochschulen, besonders für die Arbeiter.

Die Schule und alle anderen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen sollten „aus einem Werkzeug der Klassenherrschaft der Bourgeoisie in ein Werkzeug der vollständigen Aufhebung der Klasseneinteilung in der Gesellschaft, in ein Werkzeug der kommunistischen Umgestaltung der Gesellschaft“ verwandelt werden. Besonders die Bildungseinrichtungen erhielten eine zentrale gesellschaftspolitische Funktion zugewiesen: „In der Periode der Diktatur des Proletariats (…) muß die Schule nicht nur die Prinzipien des Kommunismus im allgemeinen, sondern auch den geistigen, organisatorischen und erzieherischen Einfluß des Proletariats auf die halbproletarischen und nichtproletarischen Schichten der werktätigen Masse verwirklichen, um eine Generation zu erziehen, die fähig ist, den Kommunismus endgültig zu errichten.“

Es galt die These, dass es „im Grunde keine Wissenschaft und keine technischen Fertigkeiten gibt, die nicht in Beziehung zur Idee des Kommunismus oder zum kommunistischen Aufbau stehen.“ Die marxistische Ideologie wurde deshalb als unentbehrliches Moment der Erziehung und Volksbildung bezeichnet.

In diesem geistigen und politischen Führungsanspruch der kommunistischen Partei gegenüber Schule, Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung liegt eine der wichtigsten Konstanten der sowjetischen Bildungspolitik seit der Oktoberrevolution. Während sich die traditionelle Form der staatlichen Oberhoheit über das Bildungswesen in den letzten Jahrzehnten des Zarenreiches immer weiter auflockerte und der freien gesellschaftlichen Initiative zunehmend Raum gab, unterband der neue revolutionäre Etatismus bald alle unabhängigen Bildungsbestrebungen im Namen der universellen kommunistischen Ideologie.

Die Einheits-Arbeitsschule

Das erste Jahr der bolschewistischen Herrschaft brachte die Zerschlagung der pädagogischen Institutionen des alten Zarenreiches. An seinem Ende stand der Plan einer neuen Schule, deren Name ein Programm war: die Einheits-Arbeitsschule. Die folgenden Jahre bis 1920 brachten dann den Versuch, die neuen pädagogischen Grundsätze auch zu praktizieren. Da die Kluft zwischen Anspruch und Realität zu groß war, folgte bald eine Phase der Ernüchterung. Der Beginn der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) im Frühjahr 1921 zwang zu einer Besinnung auf das Mögliche und zu einer ersten Konsolidierung der Schulpolitik. Die pädagogische NEP, die bis zum Jahre 1927 andauerte, wurde dann unter Stalins Führung von einer zweiten radikalen Reform abgelöst, die in den Jahren 1930/31 kulminierte. Deren Scheitern und die folgende „Stabilisierung“ des Schul- und Hochschulwesens in den frühen dreißiger Jahren beendeten schließlich die frühsowjetische Periode und leiteten zu den folgenden beiden Jahrzehnten der Stalinschen Bildungspolitik über.

Die vom Volkskommissariat für das Bildungswesen der RSFSR im ersten Jahr nach der Oktoberrevolution erlassenen zahlreichen Dekrete und Aufrufe beseitigten die äußeren Merkmale der zaristischen Schule und proklamierten noch sehr vage die Umrisse einer neuen. Die wichtigsten Maßnahmen betrafen die Trennung der Schule von der Kirche (Dekret vom 21.01.1918), d.h. die Aufhebung der Religionsunterrichtes, die Konzentration aller Schulen und Bildungseinrichtungen (einschließlich der Berufsschulen) im Ressorts für Volksbildung, die allgemeine Einführung der Koedukation, die Abschaffung der Schulzensuren und des Lateinunterrichts als Pflichtfach (Dekret vom 31.05.1918), die Einführung des Kollegialitätsprinzips anstelle der Einzelleitung in der Schule sowie das Verbot der Schüler- und Studentenuniformen. Im Dezember 1917 wurde ein eigener kommunistischer Verband der „Lehrer-Internationalisten“ als Gegenpol zum Allrussischen Lehrerverband gegründet. Im Dezember 1918 wurde diese traditionelle Lehrerorganisation aufgelöst; der neue kommunistische Lehrerverband wurde im Sommer 1919 als „Gewerkschaft der Bildungsarbeiter“ reorganisiert und von nun an als einzige Vertretung der Lehrerschaft vom Staat unterstützt und anerkannt.

Die lokalen vorschulischen, schulischen und außerschulischen Angelegenheiten wurden im Januar 1918 besonderen „Räten für Volksbildung“ übertragen, die gleichzeitig die Funktionen der früheren Volksbildungsabteilungen bei den Zemstva und Stadtdumen übernahmen. Die neuen Organe bildeten ein entscheidendes Element einer demokratischen Schulreform, da auf diese Weise die Bevölkerung zur Mitarbeit herangezogen und eine wirksame Kontrolle der Schulbürokratie gewährleistet werden sollte.

Diese weitreichende Dezentralisierungs- und Demokratisierungstendenz geriet jedoch schon im Frühjahr 1918 in Konflikt mit den zentralistischen Bestrebungen des Staatsapparates, hervorgerufen unter anderem durch den beginnenden Bürgerkrieg. Eine allgemeine „Ordnung für die Organisation des Volksbildungswesens“ vom 26.06.1918 beließ den Räten für Volksbildung zwar Kontroll- und Beratungsrechte, konzentrierte die eigentliche Schulverwaltung aber in den Abteilungen für Volksbildung, die bei den entsprechenden lokalen und regionalen Sowjets der Arbeiter- und Bauerndeputierten errichtet wurden und nach dem Grundsatz des demokratischen Zentralismus der jeweils höheren Behörde, bis hin zum Volkskommissariat, verantwortlich waren. Die für die Gesamtleitung des Bildungswesens vorgesehene zentrale Staatliche Kommission trat nur bis zum Jahre 1919 zusammen, der als periodisch wiederkehrend gedachte Allrussische Kongress für das Bildungswesen tagte lediglich einmal, im August 1918.

Während somit die grundsätzliche Entscheidung für ein zentralistisches Leitungssystem im Schulwesen schon sehr früh gefallen war, bewegte sich die pädagogische Schulreform noch mehrere Jahre lang zwischen den Ideen anarchosyndikalistischer Theoretiker, die den „Tod der alten Schule“ proklamierten und den gemäßigten Reformern, die einen radikalen Bruch mit der bisherigen Bildungsaufgabe der Schule vermeiden wollten.

Die Meinungsverschiedenheiten über das Ausmaß der von allen pädagogischen Reformern gewünschten Umgestaltung der Schule kamen deutlich bei der Vorbereitung der grundlegenden Verordnungen vom 16.10.1918, der „Ordnung für die Einheits-Arbeitsschule der RSFSR“ und der erläuternden „Deklaration“ zum Ausdruck. Während die Moskauer „Linken“ für die Schulkommune eintraten, war die gemäßigte „Petrograder Gruppe“ gegen eine weitgehende Auflösung der Schule in der ökonomischen und sozialen Umwelt. Diese Reformgruppe wollte eine Arbeitsschule, die zwar die polytechnische Erziehung und eine produktive Arbeit der Schüler berücksichtigte, gleichzeitig jedoch an festen Lehrplänen und an einem systematischen Unterricht in den oberen Klassen festhielt.

Die wichtigsten Merkmale der Einheits-Arbeitsschule waren:

  1. der Aufbau einer zweistufigen horizontal gegliederten Schule im Umfang von neun Schuljahren (8. bis 17. Lebensjahr);
  2. diese Einheitsschule sollte zugleich eine Differenzierung vom 14. Lebensjahr ermöglichen;
  3. die Schülerselbstverwaltung und ein partnerschaftliches Verhältnis von Seiten der Lehrer sollte an die Stelle des autoritären Schulsystems treten;
  4. Individualität des Einzelnen und sozial verpflichtender Kollektivismus wurden nicht als Gegensätze, sondern als komplementäre Seiten aufgefasst;
  5. produktive Arbeit und polytechnische Bildung sollten den didaktischen Kern der neuen Schule darstellen.

Insgesamt beruhte das Projekt der Einheits-Arbeitsschule auf einer Verbindung reformpädagogischer Ideen und marxistischer Prinzipien, es war der Versuch einer Synthese von Pädagogik und Politik.

Die Revolutionierung der Erziehung und des Unterrichtes, die im Jahre 1918 einsetzte, traf in den von den Bolschewiki beherrschten Teilen des Landes und in den von ihnen 1920/1921 wieder eroberten Gebieten auf ein Schulwesen, das in materieller Hinsicht auf einen Stand zurückgefallen war, der weit unter dem von 1914 lag. Der Tiefpunkt war in den Jahren 1921-1923 erreicht, als zu der großen Hungersnot radikale Kürzungen der Staatsausgaben für das Bildungswesen hinzukamen. In einer solchen Situation konnten die weit reichenden Entwürfe für eine neue sozialistische Schule nur bruchstückhaft verwirklicht werden: „Wieviel Enttäuschungen haben wir erlebt! Der Kriegskommunismus erschien vielen als der direkte und kürzeste Weg in das Reich des Kommunismus. (…) Für uns kommunistische Pädagogen war die Enttäuschung besonders groß. Über alle Maßen wuchsen die Schwierigkeiten, in einem dunklen analphabetischen Land ein sozialistisches Volksbildungssystem aufzubauen; es fehlte völlig an kommunistischen Lehrern, Menschenreserven, materielle Mittel und Geld reichten nicht aus.“

Die 1920er Jahre, die bis 1927 im Zeichen der „Neuen Ökonomischen Politik“ standen, spiegelten den notwendig gewordenen Kompromiss zwischen den ursprünglichen Idealen der pädagogischen Revolution und den praktischen Möglichkeiten auf zahlreichen Gebieten wider. Während im Programm der RKB (B) und in der „Ordnung für die Einheits- Arbeitsschule“ noch ein obligatorischer Schulbesuch bis zum 17. Lebensjahr vorgesehen war, musste dieser Gedanke bald fallen gelassen werden. Als im Jahre 1923 die einzelnen Sowjetrepubliken damit begannen, gesetzgeberische Maßnahmen zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht zu entwickeln, begnügte man sich zunächst damit, einen vierjährigen allgemeinen Schulbesuch anzustreben.

Insgesamt gesehen war man im Jahre 1927 von der Verwirklichung der allgemeinen Grundschulpflicht noch fast ebenso weit entfernt wie vor der Oktoberrevolution: die Gruppe der 8-11jährigen Kinder wurde lediglich zu etwa 50% beschult, nur knapp ein Drittel dieser Grundschulen entsprach dem vierklassigen Normaltypus und besonders auf dem Lande war der Schulbesuch der Mädchen seltener und kürzer als bei den Jungen. Ein Gesetz zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht wurde erst im Jahre 1930 erlassen.

Die sowjetische Erziehungspolitik war in den 1920er Jahren von einem anderen Massenproblem fast noch stärker herausgefordert: dem der Kinderverwahrlosung. Die Wurzeln dieses Problems reichten bis in den 1. Weltkrieg zurück, aber erst der Bürgerkrieg und vor allem die große Hungersnot 1921/1922 bewirkten das starke Anwachsen der Zahl heimatloser, verwahrloster Kinder und Jugendlicher; im Jahre 1922 waren nach Schätzungen 7-9 Millionen davon betroffen. Der Hunger trieb Scharen Minderjähriger aus dem Wolgagebiet und dem Ural in die Großstädte und in den Süden. Die Eisenbahnstrecken wurden zu Bahnen des Elends, die Bahnhöfe in Moskau, Rostow, Odessa und zahlreichen anderen Städten zu Sammelpunkten der Verwahrlosung. 1921 hatte eine Sonderkommission den Kampf gegen die Massenverwahrlosung aufgenommen; bis zur Neuregelung im Jahre 1935 erging eine Fülle von amtlichen Bestimmungen auf diesem Gebiet. Folgerichtig wurde das Kinderheim für Kinder bis zum 15. Lebensjahr als „universale Form der sozialen Einrichtung“ proklamiert, „in der sich das Kind in einer kommunistischen Umwelt und in der Gemeinschaft seiner Kameraden entwickelt, die den Forderungen seiner Natur entsprechen.“

Die überlieferten Formen der Schule und Erziehung wurden in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang gründete eine eigene kommunistische Kinder- und Jugendorganisation. Durch den Kommunistischen Jugendverband (Komsomol), der im Oktober 1918 gegründet wurde, und durch die Kindergruppen der Jungen Pioniere, die im Jahre 1922 dem Komsomol unterstellt wurden, wirkte die Kommunistische Partei unmittelbar an der Erziehung der Jugend mit. Die von Anfang an hervorgehobene Hauptaufgabe der Kinder- und Jugendorganisationen bestand darin, eine „Schule der kommunistischen Erziehung der Jugend“ zu sein, und zwar einmal als Nachwuchsschmiede der Partei und zweitens als Träger des kommunistischen Einflusses in der jungen Generation. Zusammen mit der im Jahre 1924 errichteten Unterorganisation der „Oktoberkinder“ im Alter von 8 bis 10 Jahren entstand so parallel zur Schule und Hochschule eine völlig neue Erziehungssituation.

Im System der sozialen Erziehung wurde der Pionierbewegung darüber hinaus die Aufgabe zugedacht, eine Einheit der schulischen und der gesellschaftlichen Erziehung zu schmieden. Es hieß unter anderem: (…) die Kinder aufs engste in die Ereignisse des Klassenkampfes einzubeziehen.“

In den ersten Jahren der Sowjetregierung galt dies insbesondere für die antireligiöse und atheistische Erziehung. Die Zirkel „Junger Gottloser“, die antireligiösen Umzüge („Komsomol-Weihnachten, „Komsomol-Ostern“) waren Formen einer amtlich gebilligten ideologischen Erziehung.

Von den drei charakteristischen Merkmalen der neuen sozialistischen Schule – Arbeitsschulprinzip, Selbstorganisation der Schüler und soziale Erziehung – wurde der schulischen Selbstverwaltung seit den Reformdekreten wesentliche Bedeutung für die innere Umwandlung der Schule beigelegt. Von den Anhängern der „Schulkommune“ wurde darunter die gemeinsame Leitung durch gewählte Lehrer- und Schülerorgane verstanden, die gemäßigten Reformer wollten sich mit der Bildung von gewählten Schülerausschüssen, die im Rat der Schule mitsprechen sollten, begnügen.

Die Schulrevolution hat auch auf didaktischem und unterrichtsmethodischem Gebiet eine Periode der Experimente eingeleitet, die bis zum Jahre 1931 dauerte und in den Kreisen der reformpädagogischen Erziehung im Ausland ein lebhaftes Echo hervorrief. In den Plänen und Versuchen mit dem fächerübergreifenden „Komplex-System“, dem Dalton-Plan und der Projektmethode kam es zu verschiedenen pädagogischen Aktivitäten. Diese aus dem westlichen Ausland übernommenen Neuerungen wurden mit kommunistischen Ansichten gefüllt und nicht wie in der Stalin-Ära als bürgerlich-reaktionär abgelehnt. Zentrum der didaktisch-methodischen Reformen war die Erziehungswissenschaftliche Sektion des Staatlichen Gelehrtenrates. Zwischen den Jahren 1923 und 1927 wurden von ihr neue Lehrpläne für die Einheits-Arbeitsschule der RSFSR ausgearbeitet. Gruppiert um die Achse „Arbeit“ sollten die beiden flankierenden Prinzipien „Natur“ und „Gesellschaft“ den dialektischen Zusammenhang und die materialistische Wurzel aller Erscheinungen verkörpern. Für die Schulpraxis ergaben sich daraus Schwierigkeiten, die man durch laufende Korrekturen der Lehrpläne zu beheben suchte. Bis auf einige Versuchsschulen blieben die oben genannten didaktisch-methodischen Reformen jedoch meistens oberflächlich und in formalen Einzelheiten stecken.

Blonskij eigenes Kapitel P.B. Blonskijs Buch „Die Arbeitsschule“, das im Jahre 1919 erschien, wirkte wie ein „wahrhaftig neues Wort, das mit gewaltiger Kraft und Leidenschaft gesprochen wurde.“ Indessen lief das Arbeitsschulprinzip in der Praxis auf Handarbeit und „gesellschaftlich-nützliche“ Arbeit (kulturelle, wirtschaftliche oder ideologische Vorhaben) hinaus.

Bis zum Ende der 1920er Jahre kann man daher lediglich von einer formalen Polytechnisierung der sowjetischen Schule sprechen. Hier standen sich schon früh zwei Konzeptionen gegenüber: Blonskij und andere unterstrichen die Bedeutung einer allgemeinen polytechnischen Bildung als unerlässliche Grundlage für eine relativ spät einsetzende berufliche Spezialausbildung; im Unterschied dazu verlangten die Gewerkschaften und der Komsomol eine monotechnische Bildung, d.h. die Umwandlung der beiden letzten Jahre der Einheits-Arbeitsschule in beruflich-technische Schulen. Die wurde folgendermaßen begründet: „Die Interessen der Produktion und des wirtschaftlichen Aufbaus verlangen gebieterisch die Verkürzung der sogenannten allgemeinbildenden Schule, die in Wirklichkeit eine reine Buch-Schule ist, sowie den möglichst frühen Übergang zu einer konkreten Spezialausbildung.“

Diese Auffassung hat sich im Jahre 1921 auch praktisch in der Weise durchgesetzt, dass man in der Ukrainischen SSR an der Stelle der früheren Gymnasien und Realschulen dreijährige Berufsschulen schuf, die den 15- bis 18jährigen eine Fachausbildung zusammen mit allgemeinen Kenntnissen vermittelten. In der RSFSR entstanden unter dem formal beibehaltenen Dach der Einheits-Arbeitsschule mehrere getrennte Schultypen allgemeinbildender oder stärker berufsbezogenen Art sowie daneben Fabrik- und Werkschulen für Lehrlinge, die zum Berufsschulsystem zählten.

Die „proletarische Hochschule“

Das Ziel der vorrevolutionären Bewegung im Bereich der Universitäten und Hochschulen war die rechtlich gesicherte Selbstverwaltung. Die Sowjetregierung wandte sich aber gegen die revolutionäre Umgestaltung der Hochschulen; es war keine Autonomie mehr gewünscht, sondern eine volle politische und gesellschaftliche Integration geplant. Die ersten Jahre nach der Oktoberrevolution waren daher gekennzeichnet durch die politische Eroberung der Universitäten und Hochschulen. Die überwiegende Mehrheit der russischen Professoren verhielt sich der Sowjetregierung aus politischen Gründen und wegen der Proklamierung radikaler Reformabsichten ablehnend. Die Entwürfe für eine Reform der inneren Universitätsstruktur, die nach dem Vorbild der rätedemokratischen Anfangsphase der Revolution erfolgen sollte, wurden im Juli und September 1918 auf zwei Hochschulkonferenzen abgelehnt. Die Professoren stimmten den Vorschlägen für eine studentische Mitbestimmung und eine Reform des Berufungs- und Prüfungswesens zwar zu, betrachteten aber das Recht auf Eigenergänzung des Lehrkörpers und auf die Verleihung akademischer Grade als unverzichtbar. Daraufhin wurden im Herbst 1918 die bisherigen Bestimmungen über die staatlichen Examina und Diplome, die akademischen Grade und die Amtsbezeichnung sowie die Stellung der Hochschullehrer durch Regierungsdekrete aufgehoben und im Jahre 1919 weitere Maßnahmen zur inneren Umgestaltung der Hochschulen ergriffen. So wurden bedingt durch die verschärfte Situation des Bürgerkrieges besondere Bevollmächtigte in jeder Hochschule eingesetzt, die gegenüber den teilweise formal fortbestehenden akademischen Organen das entscheidende Wort zu sprechen hatten. Andererseits wurden unter den Studenten kommunistische Zellen organisiert, die bisherigen studentischen Ältestenräte, die mehrheitlich bürgerlich und nationalistisch orientiert waren, fielen im Juni 1919 der Zwangsauflösung zum Opfer.

Anfang 1919 wurden die juristischen und historisch-philologischen Fakultäten der Universitäten aufgelöst, da hier der intellektuelle Widerstand gegenüber der sowjetischen Politik am stärksten verankert war. An ihre Stelle trat bis zur Reorganisation in einzelne fachliche Fakultäten im Jahre 1925 – die geisteswissenschaftliche Fakultät, in denen die Grundlagen der marxistischen Ökonomie, Philosophie und Geschichte als neue Lehrfächer einbezogen wurden.

IM Jahre 1921 erfolgte die Gründung des „Instituts der Roten Professur“, das kommunistisch geschulte Hochschullehrer für die Gesellschaftswissenschaften ausbildete. Dieses Institut bestand bis zum Jahre 1938, wurde dann aufgelöst.

Trotzdem blieben noch bis zum Ende der1920er Jahre zahlreiche gesellschaftswissenschaftliche Lehrstühle von Nichtkommunisten besetzt. Der Anteil von kommunistischen Parteimitgliedern war zehn Jahre nach der Oktoberrevolution gering; in der RSFSR betrug er im Jahre 1926 lediglich 6,5%.

Mit Beginn der NEP im Jahre 1921 verstärkte die Kommunistische Partei ihre Bemühungen, als Gegengewicht zu den notwendigen Zugeständnissen an „kapitalistische Elemente“ auf wirtschaftlichen Gebiet, die politische und ideologische Kontrolle im Bildungswesen, vor allem an den Hochschulen, zu verstärken.

In der einzelnen Hochschule wurde durch ein Dekret vom 02.09.1921 eine Verwaltung von 3 bis 5 Personen errichtet, wobei neben dem vom Staat ernannten Rektor das Lehrpersonal und die Studenten durch ein oder zwei gewählte Vertreter an der Leitung der Hochschule beteiligt waren. Diese kollegiale Leitungsstruktur sollte in erster Linie der Entmachtung der nichtkommunistischen Professoren dienen, sie wurde in den folgenden Jahren sukzessive der neuen politischen Situation an den Hochschulen angepasst, bis schließlich im Jahre 1932 das Mitbestimmungsrecht der kommunistischen Studenten ganz beseitigt und die „Ein-Mann-Leitung“ konsequent verwirklicht wurde.

In den Jahren 1921 und 1922 verließen zahlreiche russische Gelehrte die Sowjetunion, nachdem ihre Proteste gegen die Beseitigung der wissenschaftlichen Lehr-, Forschungs- und Selbstverwaltungsfreiheit wirkungslos geblieben waren. Um die administrativen Posten in den Hochschulen durch zuverlässige Kommunisten zu besetzen, wurden zwischen 1921 und 1925 führende Parteifunktionäre als Rektoren und Direktoren an die Hochschulen abkommandiert und zur Stärkung der ideologischen Arbeit im August 1924 ebenfalls über 60 leitende Parteikommunisten mit Lehraufgaben betraut.

Der eigentlich revolutionäre Faktor, auf den sich die Kommunistische Partei bei der Eroberung der Hochschulen vor allem stützte, war um diese Zeit die „proletarische Studentenschaft“ mit ihrem kommunistischen Kern. Die Studentenschaft als Ganzes gesehen war anfangs der 1920er Jahre in ihrer sozialen Zusammensetzung bei weitem nicht überwiegend proletarisch, nur eine kleine Minderheit gehörte dem Komsomol oder der KPdSU an. Im Studienjahr 1927/28 lautete die soziale Zugehörigkeit folgendermaßen: 25,4% Arbeiter, 23,9% Bauern, 33,9% Angestellte, 16,8% Sonstige. Rund ein Viertel aller Studenten waren 1925/1926 Parteimitglieder, rund ein Drittel gehörte dem Komsomol an.

In den Maßnahmen der frühsowjetischen Bildungspolitik standen egalitär-demokratische und proletarisch-revolutionäre Zielsetzungen auch im Bereich der Hochschulen anfangs oft nebeneinander. Am 2.August wurde ein von Lenin unterzeichnetes Dekret verkündet: „Jede Person, gleich welchen Bürgerstandes und welchen Geschlechts, im Mindestalter von 16 Jahren, kann als Hörer in eine beliebige Hochschule eintreten, ohne Vorlage eines Diploms, eines Zeugnisse oder eines Nachweises über den Abschluss der Mittelschule oder irgendeiner anderen Schule. Es ist untersagt, von den Eintretenden irgendeinen Nachweis zu verlangen, außer einer Bescheinigung über ihre Personalien und über ihr Alter.“ Studiengebühren wurden ebenfalls aufgehoben. Die meisten neuen Hörer ohne entsprechende Vorkenntnisse verließen bald wieder die Hochschulen. Das Ziel, die Studenten künftig vor allem aus den Reihen der Arbeiter und Bauern zu rekrutieren, musste planmäßig und langfristig in Angriff genommen werden; als Mittel dafür dienten die im Jahre 1919 gegründeten Arbeiterfakultäten. Diese Arbeiterfakultäten verfolgten zwei Ziele: einmal sollten sie „die Kluft zwischen der Arbeiterjugend und der Universität überbrücken“, indem sie neben der neunjährigen Einheits-Arbeitsschule einen zweiten Bildungsweg eröffnete, zweitens sollten sie „dem Proletariat helfen, die Hochschulen faktisch für sich zu erobern“. Den Arbeiterfakultäten, die bis 1940/1941 bestanden, kam eine erhebliche Bedeutung für die Heranbildung der neuen sowjetischen Intelligenz zu. Seit den 1930er Jahren stellten sie auch einen erheblichen Anteil an der politischen Führungsschicht der Sowjetunion.

Durch die Verordnung vom 11.09.1919 wurden die Arbeiterfakultäten organisatorisch in die bestehenden Universitäten und Hochschulen eingegliedert und den regulären Fakultäten gleichgestellt. Als Hörer wurden Arbeiter und Bauern zugelassen, „die eine Bescheinigung entweder eines Fabrikkomitees oder einer kommunistischen Zelle darüber vorweisen, daß sie zur Klasse der Arbeiter oder der Bauern gehören, nicht die Arbeitskraft anderer ausbeuten und auf der Plattform der Sowjetmacht stehen.“ Im Jahre 1927/1928 gab es 147 Arbeiterfakultäten mit 49.200 Hörern; ihren höchsten Stand erreichten die Arbeiterfakultäten aber erst 1932/1933 mit 1.025 Schulen und 339.500 Teilnehmern.

Die erfolgreichsten Absolventen der Arbeiterfakultäten genossen beim Eintritt in die Hochschulen gegenüber anderen Bewerbern ein Vorzugsrecht, obwohl ihre Lernleistungen im Vergleich mit den normalen Schulabgängern im Allgemeinen geringer blieben. Die Regulierung der Zulassungen zum Hochschulstudium erfolgte seit 1923 nach strengen Partei- und sozialpolitischen Kriterien aufgrund eines Quotensystems, wobei die Zentralorgane der RKP (B) der Gewerkschaften und des Komsomol die meisten Plätze für das Studium zugeteilt bekamen. Während die Arbeiter- und Bauernstudenten Stipendien erhielten, mussten die aufgrund einer Wettbewerbsprüfung für die restlichen Plätze aufgenommenen Studenten Gebühren entrichten.

Kampf gegen das Analphabetentum und Erweiterung der Berufs- und Fachbildung

Unter den ungelösten Problemen, die die Bolschewisten in Russland vorfanden, stand das Analphabetentum von mehr als der Hälfte der erwachsenen Bevölkerung an erster Stelle. Lenin sah in der Überwindung des Analphabetentums eine der fundamentalen Voraussetzungen für die sozialistische Kulturrevolution und die Industrialisierung Sowjetrusslands.

Im Bereich der außerschulischen Bildung, wie bis zum Jahre 1919 die Erwachsenenbildung bezeichnet wurde, musste daher der Unterricht der Analphabeten einen zentralen Platz einnehmen, gefolgt und begleitet von verschiedenen weiterbildenden Kursen, der Einrichtung von Bibliotheken und dörflichen Lesestuben. Auf dem I. Kongress für außerschulische Bildung im Mai 1919 wurde die „politische Aufklärung“ anstelle der bisherigen unpolitischen „Kulturarbeit“ als oberstes Ziel der Erwachsenenbildung proklamiert. Damit wurde auch die Analphabetenschulung unter die direkte Kontrolle der Kommunistischen Partei gestellt. In der ersten gesamtstaatlichen „Ordnung für die Organisation des außerschulischen Bildungswesens“ vom 14.06.1919 hieß es, dass „überall Herde der sozialistischen Kultur unter der Kontrolle des Proletariats und der werktätigen Bauernschaft“ errichtet werden sollten.

Den Schlusspunkt dieser Entwicklung bildete im November 1920 die Gründung des Hauptkomitees für politische Aufklärung. Ihm wurde „die Zusammenfassung der gesamten politischen Aufklärungsarbeit, der Propaganda und Agitation in der Republik“ übertragen. Ein weiterer Ausdruck dieser teilweisen Verschmelzung der staatlichen und der von der Partei betriebenen Schulungsarbeit war die Errichtung der Sowjet- und Parteischulen als unterster Stufe eines eigenen Schulungs- und Fortbildungssystems für die Kader der Partei und des Staatsapparats. An seiner Spitze standen die Kommunistischen Universitäten, von denen die im Jahre 1919 gegründete Sverdlov-Universität, die Kommunistische Akademie der Werktätigen des Ostens und die Kommunistische Akademie am wichtigsten waren. Dieses System blieb bis zur Mitte der 1930er Jahre bestehen.

In der politischen Aufklärung der Bevölkerung erkannten die Bolschewiki eine große Chance, die sich ihnen dadurch bot, dass in vielen Fällen das Buch und die Zeitung zugleich mit der kommunistischen Ideologie in das russische Dorf und unter die analphabetischen Bewohner der Randgebiete eindrangen.

Die vorhandenen Ansätze für eine Methodik des Analphabetenunterrichts wurden immer weiter ausgebaut. Dabei konzentrierte man sich stärker als zuvor auf bestimmte Analphabetengruppen. Unter der Arbeiterschaft sollten zunächst die Mitglieder der Gewerkschaften lesen und schreiben lernen, unter der Bauernschaft die Landarbeiter, von der weiblichen Bevölkerung die Deputierten in den Sowjets. Weitere Schwerpunkte bildete die Arbeit im Komsomol und vor allem in der Roten Armee, die eigene Analphabetenschulen unterhielt.

Trotz dieser Bemühungen förderte die erste Volkszählung vom 17.12.1926 die bedrückende Tatsache zu Tage, dass die Zahl der Analphabeten stagniert. Jedes Jahr wurden ungefähr 1 Million Analphabeten unterrichte, aber die gleiche Zahl wuchs aus den Schuljahrgängen nach.

Der Anteil der Analphabeten an der Bevölkerung über 9 Jahre belief sich immer noch auf 48,9%, was aber einen großen Fortschritt gegenüber dem Jahre 1897 bedeutete, wo 73% der Bevölkerung nicht lesen und schreiben konnten. Den höchsten Anteil der Lese- und Schreibkundigen wies die Gruppe der 20-24jährigen auf (81% der Männer und 53% der Frauen), d.h. derjenigen Jahrgänge, die ihre Schulbildung noch vor der Revolution begonnen und zum Teil abgeschlossen hatten. Hingegen betrug der Anteil der Analphabeten unter den Kindern im Alter von 9 bis 12 Jahren im Durchschnitt der UdSSR 45,2%. Das Analphabetentum war in erster Linie ein Problem des Dorfes und der Frau. 76,3% der städtischen Bevölkerung über 9 Jahren konnte lesen und schreiben gegenüber 45,2% der Landbewohner; darunter 66,5% aller Männer, aber lediglich 37,1% der Frauen.

Im Bereich der beruflich-technischen Bildung verfolgte die Sowjetregierung in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution einen zwiespältigen Kurs. Auf diesem Gebiet war der Widerspruch zwischen den ideologisch motivierten Forderungen und den praktischen Bedürfnissen und Möglichkeiten besonders groß. Mitarbeiter des Bildungsministeriums begannen nach der Proklamierung der Einheits-Arbeitsschule im Oktober 1918 damit, die bestehenden Berufs- und Fachschulen in Einheitsschulen umzuwandeln, was einem Abbau des ohnehin schwach entwickelten Berufsschulwesens gleichkam. Diese Linie stieß jedoch auf den Widerstand der Berufs- und Fachschullehrer, der Wirtschaftsbehörden und der Gewerkschaften. So machte der III. Gewerkschaftskongress im April 1920 geltend, dass die wirtschaftliche Krise Russlands nur durch eine Erhöhung der Arbeiterqualifikation und durch die Schaffung qualifizierter Abschlüsse auf dem Wege einer geregelten Lehrlingsausbildung behoben werden könne.

Im Hinblick auf die zu erwartenden Aufgaben des Wirtschaftsaufbaus nach dem Ende des Bürgerkrieges wurde die Bedeutung der Berufs- und Fachbildung von der Sowjetregierung immer deutlicher erkannt. Das Dekret „Über die Verpflichtung zum beruflich-technischen Unterricht“ vom 29.07.1920 ordnete für alle Arbeiter von 18 bis 40 Jahren und alle Lehrlinge über 14 Jahre die Teilnahme an beruflichen Schulungskursen an, aber in der Praxis konnte diese Vorstellung nicht realisiert werden. In der RSFSR wurde der entscheidende Schritt zur Neuordnung der Berufsausbildung durch die Gründung des oben bereits erwähnten Hauptkomitees für berufliche-technische Bildung im Januar getan. Ihm wurden alle berufsbildenden Lehranstalten einschließlich der Hochschulen unterstellt, so dass auf diese Weise ein selbständiges, mehrere Stufen umfassendes Berufsschulsystem entstand, dessen Aufbau dem vorrevolutionären Muster weitgehend folgte.

Gerade die Entwicklung der beruflich-technischen Schulung in den 1920er Jahren zeigte, in welch starkem Maße die ökonomischen Notwendigkeiten die ursprünglichen, stärker ideologisch begründeten Konzeptionen der kommunistischen Bildungspolitik beeinflussten und modifizierten. Besonders deutlich trat dies am Schicksal der FZU-Schulen, d.h. der Fabrik- und Werkschulen für Lehrlinge, hervor. Die FZU-Schulen wurden im Jahre 1921 gegründet und stellten die wichtigste Form der niedrigsten Berufsausbildung dar. Es handelte sich um betriebsgebundene Schulen, die einen fachlich qualifizierten und kommunistisch geschulten Arbeiternachwuchs heranbilden sollte. Die FZU-Schule avancierte jedoch zum Modell einer polytechnischen und allgemeinbildenden Schule, die neben beruflichen Spezialkenntnissen und praktischen Fähigkeiten gelehrt wurde.

Auf der Stufe der mittleren Berufsausbildung wurde bald nach 1920 das „Technikum“ gegründet. Fast alle industriellen und landwirtschaftlichen Technika während der ersten Jahre nach der Oktoberrevolution beruhten auf den entsprechenden Einrichtungen vor 1917. Die Bezeichnung „Technikum“ hatte sich inzwischen auch auf alle übrigen mittleren Fachschulen ausgedehnt. Sie bauten auf der siebenjährigen Mittelschule auf und verliehen ihren Absolventen die Hochschulreife, was zur Folge hatte, dass die Technika oft nur als Durchgangsstadium für den späteren Hochschulbesuch benutzt wurden.

Bildungspolitik in der Stalin-Ära

Kaderpolitik und Fünfjahresplan

Ca. 11 Jahre nach der Oktoberrevolution trat die sowjetische Bildungspolitik in eine neue Phase ein. Die Zäsur lag für die einzelnen Bereiche des Bildungswesens zu verschiedenen Zeitpunkten, aber die Wandlungen, die um die gleiche Zeit auch die anderen Gebiete des Kulturlebens erfassten, waren seit 1928/1929 unübersehbar. Sie hingen erstens mit der ökonomischen Umwälzung zusammen, die durch die Kollektivierung der Landwirtschaft und die beschleunigte Industrialisierung im Rahmen der Fünfjahrespläne bewirkt wurde, und zweitens mit der Herausbildung und Festigung der politischen Alleinherrschaft Stalins.

Auf dem XV. Parteitag der KPdSU im Dezember 1927, der den Wechsel von der Neuen Ökonomischen Politik zum ersten Fünfjahresplan einleitete und gleichzeitig Stalins Sieg über die Opposition besiegelte, durchzog die Feststellung von dem großen Rückstand der kulturellen gegenüber der ökonomischen Entwicklung alle Reden und Diskussionen. Die Kernwörter waren die der „kulturellen Schere“, was bedeutete:

  1. die Disproportion zwischen der Kapazität und der Leistungen des Bildungswesens einerseits und die wirtschaftlichen Anforderungen andererseits,
  2. das Missverhältnis der einzelnen Teile des Bildungswesens untereinander, vor allem den niedrigen Stand des Berufs- und Fachschulwesens,
  3. die tiefe soziale, technische und kulturelle Kluft, die zwischen der Stadt und dem Dorf bestand.

In den vom XV. Parteikongress angenommenen Direktiven für den Fünfjahresplan wurden dementsprechend diejenigen Maßnahmen im Bereich der Volksbildung als grundlegend bezeichnet, die „das kulturelle Wachstum der breiten werktätigen Massen (allgemeine Schulpflicht, Beseitigung des Analphabetentums, beruflich-technische Massenausbildung) sowie die Heranbildung qualifizierter Spezialisten und Wissenschaftler“ gewährleisten sollten.

Zwei Jahre später hieß es in der Resolution des ZK der KPdSU: „Das Tempo der Heranbildung neuer Kader steht in keinem Verhältnis zum Tempo der Industrialisierung und des sozialistischen Umbaus der Landwirtschaft. (…) Die Partei muß alle ihre Anstrengungen auf die Lösung des Kaderproblems konzentrieren, auf das wichtigste Problem für den sozialistischen Aufbau.“ Die zuständigen Behörden wurden daher angewiesen, „innerhalb von drei Monaten einen Fünfjahresplan für die Heranbildung von Spezialisten höherer und mittlerer Qualifikation und für den Bau neuer Technischer Hochschulen und Technika, in Übereinstimmung mit den konkreten Erfordernissen der Zweige der Volkswirtschaft, auszuarbeiten.“

Die Planansätze für die Kaderausbildung wurden daher drastisch heraufgesetzt; von 41.500 Ingenieuren und 60.000 Technikern auf 75.000 bzw. 110.000 am Ende des Fünfjahresplanes. Der erste Fünfjahresplan sollte den „großen Sprung nach vorn“ bringen, den die Sowjetunion nach dem Willen Stalins tat, um seine Rückständigkeit zu überwinden und die kapitalistischen Länder einzuholen und dann zu überholen. Mit dieser Parole wurde das erste Mal auch der „Bildungswettstreit“ mit dem kapitalistischen Westen als Arena der großen Auseinandersetzungen der Systeme angesprochen.

Für Stalin und seine Mitarbeiter stellten Bildung und Kultur weit mehr noch als für Lenin in erster Linie politische und wirtschaftliche Machtfaktoren dar. Ganz in diesem Sinne bemerkte ein Abgeordneter auf dem XVI. Parteikongress im Jahre 1930: „Wir brauchen nicht ganz allgemein die Kultur um der Kultur willen; was wir brauchen, ist eine Kultur, die einen raschen Aufschwung des sozialistischen Aufbaus gewährleistet. Wir brauchen die Kultur für die Beseitigung der Unwissenheit und Hilflosigkeit der ungeheuren Bauernmassen. (…) Mehr Elementarbildung und Kultur, mehr Technik – und wir werden in Kürze ein reiches Land sein.“ Es kam Stalin darauf an, in kürzester Zeit eine gleichmäßige Massenkultur zu schaffen, ohne die eine moderne technische Entwicklung nicht möglich war und eine industrielle Gesellschaft nicht auskommen konnte.

In den Betrieben, Kolchosen, Behörden, Hochschulen und Instituten wurden „Abteilungen der Kulturarmee“ organisiert, die bestimmte „Stoßeinsätze“ durchführten, z.B. Kampagnen unter Analphabeten in den Dörfern. Auch aus ökonomischen Gründen war die kommunistische Partei bestrebt, die gesellschaftliche Initiative in der Bevölkerung zu wecken: aus dem Staatshaushalt allein konnten die Massenbildungsaufgaben – trotz einer vorübergehend eingeführten „Kultursteuer“ – nicht finanziert werden. Freiwillige „Kultursoldaten“ mussten daher den Analphabetenunterricht übernehmen, Betriebe sich verpflichten, die Schulen auszurüsten und die Kolchosen, Kindergärten zu errichten.

Stalins Vorstellungen, das Industrialisierungstempo der Sowjetunion immer stärker zu beschleunigen, kam auch in seiner Aussage bei der Diskussion um den Jahresplan im Jahre 1931 zum Ausdruck:[8] „Wir sind hinter den fortgeschrittenen Ländern um 50 bis 100 Jahre zurückgeblieben. Wir müssen diese Distanz in 10 Jahren durchlaufen. Entweder wir bringen das zuwege, oder wir werden zermalmt.“

Neben der ökonomisch-technischen Seite besaß die von Stalin proklamierte „Kulturrevolution“ auch einen ausgeprägt politischen Aspekt. Die „Kulturfront“ wurde als eine „Front des Klassenkampfes“ bezeichnet, an der Lehrer und Schüler in vorderster Linie gegen den „Klassenfeind“ kämpfen sollten. Praktisch bedeutete dies erstens eine Durchführung von Agitationskampagnen zur Kollektivierung des Dorfes, zweitens die politische Säuberung in den Reihen der leitenden Kader im Volksbildungswesen und in großen Teilen der Lehrerschaft, ähnlich wie in den Hochschulen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen. Dabei handelte es sich um die geistige Gleichschaltung und die endgültige Festigung der politischen Kontrolle der Parteizentrale über alle Bereiche der Bildung und Kultur. Auf pädagogischem Gebiet waren die Folgen unter anderem darin zu sehen, dass zwischen den Jahren 1929 und 1932 die führenden Zeitschriften „Bote der Bildung“, „Volksbildung“ und „Auf dem Wege zur neuen Schule“ ganz eingestellt oder durch Parteizeitungen ersetzt wurden.

Stalins „Kulturrevolution“ war der Versuch der Schaffung einer neuen, sozialistischen Gesellschaft in möglichst kurzer Zeit. Jeder Wissenschaftler sollte sich als vollwertiges Mitglied dieser neuen Sowjetgesellschaft aktiv als ein marxistischer Gelehrter begreifen, dessen Arbeit allein in den Dienst des sozialistischen Aufbaus, also in den „Dienst des Volkes“ gestellt war. Die Formierung einer neuen technischen Intelligenz gehörte in diesen Zusammenhang; durch sie wurde zugleich ein Wissenschaftsbegriff postuliert, der sich mehr als nur graduell von den Auffassungen Lenins unterschied. Am 17.05.1938 sagte Stalin vor den Mitarbeitern der Hochschulen in Moskau: „Auf das Gedeihen der Wissenschaft, jener Wissenschaft, die sich vom Volk nicht abgrenzt, sich vom Volk nicht fernhält, sondern bereit ist, dem Volk zu dienen, bereit ist, dem Volk alle Errungenschaften der Wissenschaft zu übermitteln, die dem Volk nicht aus Zwang, sondern freiwillig, mit Freuden dient. – Auf das Gedeihen der Wissenschaft, die es nicht zulässt, daß ihre alten und anerkannten Führer sich selbstgefällig als Priester der Wissenschaft, als Monopolisten der Wissenschaft abkapseln, die den Sinn, die Bedeutung und die Allmacht des Bundes der alten Wissenschaftler mit den jungen Wissenschaftlern begreift, die freiwillig und mit Freuden alle Tore des Wissens den jungen Kräften unseres Landes öffnet und ihnen die Möglichkeit gibt, die Gipfel des Wissens zu bezwingen, die anerkennt, daß die Zukunft den jungen Wissenschaftlern gehört. – Auf das Gedeihen der Wissenschaft, jener Wissenschaft, deren Vertreter, obgleich sie die Kraft und Bedeutung der Traditionen, die sich in der Wissenschaft herausgebildet haben, begreifen und die verständnisvoll im Interesse der Wissenschaft ausnutzen, dennoch nicht Sklaven dieser Tradition sein wollen, der Wissenschaft, die die Kühnheit und Entschlossenheit besitzt, alte Traditionen, Normen, Einstellungen zu brechen, wenn die veralten, wenn sie zu einem Hemmschuh für den Vormarsch werden, und die es versteht, neue Traditionen, neue Normen, neue Einstellungen zu schaffen.“

Ab dem Jahre 1929 setzte der „Umbruch an der Front der Wissenschaft“ ein. Als richtungweisend kann die Verordnung des ZK der KPdSU „Über Maßnahmen zur Verstärkung der wissenschaftlichen Arbeit“ vom 27.05.1919 angesehen werden, die in Verbindung mit den Ergebnissen der 2.Gesamt-Unionskonferenz der marxistisch-leninistischen wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen erlassen wurde. Kernpunkt dieser Verordnung war die Forderung, die wissenschaftliche Forschung im Lande neu zu organisieren und zwar „in entschiedenem Widerstand gegen die bürgerliche und kleinbürgerliche Ideologie und zur Mitwirkung bei der Lösung der praktischen Aufgaben des sozialistischen Aufbaus. Diese Verordnung enthielt auch das Postulat nach einem institutionalisierten Zentrum zur Planung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit.

Lag bis zum Ende der 1920er Jahre der Schwerpunkt der Wissenschaft noch bei der Kommunistischen Akademie, die vom Institut der Roten Professur unterstützt wurde, so wies die Gründung eines neuen Dachverbandes für Wissenschaftler und Techniker in eine andere Richtung, die dem noch vorhandenen „marxistischen Wissenschaftspluralismus“ ein Ende setzte. Die Initiative dazu ging von einer Gruppe marxistischer Wissenschaftler und Ingenieure um den bekannten Biochemiker A.N. Bach aus, der auch Mitglied der Akademie der Wissenschaften war. Dies führte im Jahre 1928 zur Gründung der „Gesamtunions-Vereinigung der Arbeiter in Wissenschaft und Technik für die Unterstützung des sozialistisches Aufbaus in der UdSSR“, deren Statut am 13.02.1928 durch den Rat der Volkskommissare der UdSSR bestätigt wurde.

Die Verordnung des Rates der Volkskommissare der UdSSR „Über wissenschaftliche Grade und Titel“ vom 13.01.1924 regelte die gesamte wissenschaftliche Ausbildung neu. Mit der Einführung des Kandidaten- und Doktor-Grades wurde eine Rangfolge wissenschaftlicher Qualifikation geschaffen wie durch die Einführung fester Dienstbezeichnungen für das Lehrpersonal an den Universitäten und Hochschulen. Ebenfalls wurden die Fachrichtungen für den Erwerb wissenschaftlicher Grade festgelegt und mit der Höchsten Attestationskommission entstand ein Prüfungsorgan auf Unionsebene. Es führte ein Rechtsverzeichnis aller Institutionen des Landes, die berechtigt waren, wissenschaftliche Grade zu verleihen und Amtsbezeichnungen zu vergeben. In der Neufassung dieser Verordnung aus dem Jahre 1937 wurde die Trennung zwischen wissenschaftlichen Graden und den Amtsbezeichnungen für die Lehrtätigkeit – vom Assistenten bis zum Professor – noch deutlicher hervorgehoben.

Für die Wissenschaft waren die institutionellen und personellen Verluste im „Großen Vaterländischen Krieg“ schwer zu schultern. Die Besetzung großer Gebiete des Landes durch die deutsche Wehrmacht, die Zerstörung wichtiger Anlagen und Einrichtungen fast im gesamten europäischen Teil der Sowjetunion und der Kriegseinsatz des personals schnitten tief in die gesamte Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung ein und verursachten schwere Schäden und Verluste. Die Evakuierung von Instituten und Wissenschaftlern führte zum Ausbau neuer wissenschaftlicher Zentren wie etwa im Uralgebiet, wo z.B. die Kommission für die Mobilisierung des Urals für den Verteidigungsbedarf mit über 800 Wissenschaftlern und Technikern arbeitete. Eine Folge davon war die Erweiterung des Systems der Filialen der Akademie der Wissenschaften, die im Jahre 1949 eine einheitliche Rechtsform und die Einrichtung eigener Akademien der Wissenschaften in den einzelnen Unionsrepubliken. Georgien hatte dabei noch vor dem Ausbruch des Krieges eine eigene Akademie erhalten; während des Krieges folgten Armenien und Usbekistan (1943) sowie Aserbaidschan und Kasachstan (1945). Die weitere Entwicklung nach dem Krieg führte dazu, dass nach den drei baltischen Republiken (1946) auch die übrigen mittelasiatischen Unionsrepubliken Tadschikistan, Turkmenien (1951) und Kirgisien (1954) wissenschaftliche Akademien erhielten.

Gerade durch die Kriegsmaßnahmen wurde auf diese Weise das in den 1930er Jahren entworfene Organisationsschema erweitert und ausgefüllt. Mitten im Krieg gelang die Gründung von zwei weiteren Fachakademien: im Jahre 1943 die der Akademie der pädagogischen Wissenschaften der RSFSR und ein Jahr später die der Akademie der medizinischen Wissenschaften der UdSSR. Während das Präsidium der Akademie der Wissenschaften der UdSSR 1941 bis 1943 aus Moskau nach Sverdlovsk evakuiert wurde, blieben die Wissenschaftler Leningrads zum größten Teil auch während der Blockade in der belagerten Stadt. Der Einsatz der Wissenschaftler im Kriege vollzog sich organisatorisch in besonderen Kommissionen, wie z.B. der Kommission für die geologisch-geographische Betreuung für die Rote Armee oder der Kriegssanitätskommission, die unter der Leitung des bekannten Akademiemitglieds L.A. Orbeli stand.

In der Verwaltung des Bildungswesens traten ebenfalls im Jahre 1930 organisatorische Veränderungen ein, in deren Gefolge eine große Anzahl parteigebundener und Stalin ergebener jüngerer Funktionäre leitende Stellungen erhielt.

Im Zentrum des „Kulturfeldzuges“ standen die Überwindung des Analphabetentums und die Einführung der allgemeinen Elementarschulpflicht. Im Laufe des ersten Jahrzehnts nach der Oktoberrevolution hatten sich die optimistischen Erwartungen von 1918 lediglich zu einem geringen Teil erfüllt. Im Sommer 1928 wurde nun ein Umschwung verkündet und durch die neuen Methoden der organisierten Massenaktion in Angriff genommen. Die Zahl der erfassten und unterrichteten Analphabeten stieg sprunghaft an, aber die Erfolge blieben trotzdem hinter den Planziffern zurück. Stalin sprach auf dem XVI. Parteikongress im Jahre 1930 sogar von der Geringfügigkeit der bisherigen Ergebnisse, so dass die Kampagnen im Winter 1930/1931 noch einmal verstärkt wurden. Am 15. August 1931 wurde schließlich die gesetzliche Unterrichtspflicht für alle analphabetischen Personen zwischen 16 und 50 Jahren festgelegt.

Die Methoden des „Kulturfeldzuges“ brachten es mit sich, dass es oft nur bei formellen Verpflichtungen blieb, die Erfolgszahlen absichtlich überhöht wurden und vor allem die tatsächlichen Lese- und Schreibfertigkeiten in vielen Fällen sehr fragwürdig waren.

Als Massenphänomen war das Analphabetentum aber Ende der 1930er Jahre verschwunden; die Volkszählung am 17.01.1939 ergab, dass 81,2% der Bevölkerung über 9 Jahre und 89% der Altersklasse zwischen 9 und 49 Jahren lesen und schreiben konnten, wobei die Erfolge in den asiatischen Gebieten besonders ins Auge fielen. Die Volkszählung vom 17.01.1959 ergab zwei Jahrzehnte später lediglich eine Quote von 1,5% Analphabeten unter den 9 bis 49 Jahre alten Personen.

Entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hatte die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, das zweite höchst bedeutsame Ereignis im Bereich der allgemeinen Volksbildung nach 1930. Durch zwei Beschlüsse der obersten Partei- und Staatsorgane vom Juli und August 1930 wurde die allgemeine Schulpflicht in der gesamten Sowjetunion gesetzlich eingeführt. Danach sollte zunächst in der ersten Phase die vierjährige Grundschulpflicht in Stadt und Land realisiert werden; in der zweiten Stufe sollte, beginnend in den Industriestädten und Arbeitersiedlungen, die allgemeine siebenjährige Schulzeit obligatorisch werden.

Ein im Februar 1931 abgehaltener Allrussischer Kongress für die allgemeine Schulpflicht zog eine erste Bilanz. Dabei wurde deutlich, wo die größten Hindernisse lagen, die auch in den folgenden Jahren die Planerfüllung beeinträchtigten: in der Lehrerfrage und im Schulraum. Zwischen den Jahren 1930 und 1932 mussten allein in der RSFSR ca. 114.000 Grundschullehrer ausgebildet werden; die Absolventen der regulären Lehrerbildungsanstalten (Pädagogische Technika und Pädagogische Hochschulen) reichten dafür bei weitem nicht aus.

Im Jahre 1936 besaßen in der RSFSR 43% der Grundschullehrer keine abgeschlossene mittlere Schulbildung und 76,3% der Lehrer an den Siebenjahres- und Zehnjahresschulen kein Hochschulzeugnis. Dieses schlimme Bildungsdefizit der Lehrenden machte sich natürlich in den ungenügenden Kenntnissen der Schulabgänger bemerkbar. Durch die Anwerbung zehntausender rasch und oberflächlich ausgebildeter, häufig zwangsweise vom Komsomol zum Lehrerstudium kommandierter „Neulehrer“ erlebte die sowjetische Schule auf Jahre hinaus qualitative Einbußen, die bei der gleichzeitigen quantitativen Ausdehnung des Schulbesuchs nicht übersehen werden dürfen.

Die materiellen Voraussetzungen der allgemeinen Schulpflicht, um die sprunghaft ansteigenden Schülerzahlen zu bewältigen, blieb ebenfalls ein Problem. Neben der Schulraumnot, die vor allem durch Ausdehnung des Schichtunterrichts und die Benützung anderer Gebäude bekämpft wurde, bildete die Versorgung mit Unterrichtsmitteln einen ständigen Engpass. Die damaligen Zustände wurden folgendermaßen beschrieben: „Die Berichte aus der Provinz zeigen, daß die Versorgung der Schulen mit Lehrmittel unter aller Kritik ist. Ich brauche mich darüber nicht weiter auszulassen, jeder kennt das selbst zu Genüge. Vor kurzem hat das Zentralkomitee einen Beschluß über die Versorgung mit Heften und Schreibmaterialien gefaßt (…) und darin dem ZK des Komsomol empfohlen, eine Altpapiersammlung zu organisieren, um zusätzlich Papier für die Schulen zu bekommen. Diejenigen Schulen, die das meiste Papier gesammelt haben, werden als Prämien Hefte erhalten. In allen Schulen muß der Kampf um das Heft, um den Bleistift, um den Griffel geführt werden.“

Der Prozentsatz der Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren, die einen Schulunterricht erhielten, wuchs in der gesamten UdSSR von 46,6% im Jahre 1927/1928 auf 83,8% im Jahre 1931/1932. In der Altersgruppe der 8 bis 11jährigen lag er 1931/1932 bereits bei 95,2% (auf dem Lande bei 86,1%), unter den 12 bis 14jährigen bei 67,3% (auf dem Lande bei 47%). Bis zum Jahre 1936 ergab sich in der Altersgruppe der 12 bis 14jährigen zwar eine weitere Verbesserung, aber erst im Jahre 1940 wurde die vierjährige Grundschulpflicht restlos durchgeführt. Nach den angestellten Berechnungen wäre im Jahre 1943 auch die siebenjährige Schulpflicht realisiert worden, wenn nicht der 2.Weltkrieg eine weitere Verzögerung bewirkt hätte.

Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht und der weitgehenden Zurückdrängung des Analphabetentums waren nur die elementaren Bildungsvoraussetzungen für die von den Fünfjahresplänen in Angriff genommene durchgreifende Industrialisierung der Sowjetunion geschaffen. Die eigentliche Daueraufgabe lag in der Heranbildung einer breiten und differenzierten Schicht technischer, ökonomischer und wissenschaftlicher Fachkräfte oder wie es im sowjetischen Sprachgebrauch hieß: in der Kaderausbildung. Im engeren Sinne zählten zu den Kadern nur die Spezialisten mit Hochschul- oder Fachschulvorbereitung, die leitende Funktionen in der Wirtschaft und im Staats- und Parteiapparat innehatten sowie die wissenschaftlichen Kader. In der Kaderausbildung überschnitten sich demnach Bildungs- und Arbeitskräftepolitik, wobei von der letzteren ein entscheidender Einfluss auf die Zielsetzung, Art und Dauer der einzelnen Ausbildungswege ausging. So kann man das gesamte Bildungswesen als ein Mittel zur „Produktion und Reproduktion qualifizierter Arbeitskraft“ bezeichnen und in der Kaderausbildung das Kernstück der sowjetischen Bildungspolitik seit dem Jahre 1928 erblicken. Stalins Bildungspolitik konzentrierte sich auf die begabte und intellektuell gehobene Schicht von jungen Menschen, die den Staat ökonomisch voranbringen sollten und dabei ideologisch nicht gegen die Politik Stalins opponierten. Die ungebildete und für höhere Aufgaben völlig unqualifizierte Masse spielte in den Planungen höchstens eine untergeordnete Rolle; Stalins Worte aus dem Jahre 1935 „Die Kader entscheiden alles“ spiegelte dies wieder.

Die Bemühungen Stalins, aus Arbeiter und Bauern Literaten heranzubilden, hatten den Zweck, den Einfluss der KPdSU in der Literatur zu sichern. Während die Proletkul’tstudios nach der Oktoberrevolution noch eine aufklärerische Funktion erfüllten, hatte die zu Beginn der 1920er Jahre angekurbelten Massenbewegung der Arbeiter- und Bauernkorrespondenten den Sinn, als Reservoir künftiger sowjetischer Literaten zu dienen, die im Dienst an Staat und Partei geschult waren. Die Bemühungen, Autoren aus Arbeiter- und Bauernkreisen heranzuziehen, wurde nach 1927 – mit dem Einbau der Literatur in den sozialistischen Aufbau – verstärkt. Die KPdSU verpflichtete die Verlage, den Arbeiter- und Bauernautoren mit literatischem Rat und Weiterbildungsmöglichkeiten zur Seite zu stehen. Es entstanden massenhaft „Literaturkreise“ in den Betrieben, die von der Partei unterstützt wurde. Der Schriftstellerverband wurde im Jahre 1934 dazu verpflichtet, Literaten für Unterricht und Beratung schreibender Arbeiter abzustellen. Die Zeit zwischen 1934 und 1941 war durch eine Stagnation der Literatur gekennzeichnet, die ihren Grund in der drückenden Atmosphäre des stalinistischen Terrors hatte. Im Jahre 1937 wurden einige hundert frei schaffenden Literaten Opfer der „Säuberungen“. Die Verfolgung reichte von praktischem Berufsverbot, das viele Literaten auf übersetzenden Tätigkeiten oder Kinderliteratur ausweichen ließ, bis zum Tod im Lager. Die Verfolgung der Literaten war indessen weniger eine speziell literaturpolitische Maßnahme als vielmehr ein Teil der „Säuberungen“ seit Mitte der 1939er Jahre. Allerdings war der Prozentsatz der Literaten – gemessen an ihrer Zahl – besondern hoch. Dies hatte folgenden Grund; Literaten gehörten zu den geistig eigenständigsten Menschen in der Stalin-Ära, die für oppositionelle Neigungen am ehesten anfällig waren. Viele bedeutende marxistische Literaturhistoriker und – theoretiker sind dem Terror unter Stalin zum Opfer gefallen. Bislang konnte der Vorwurf nicht entkräftet werden, dass der Tod Maxim Gorkis, des ersten Vorsitzenden des sowjetischen Schriftstellerverbandes, im Jahre 1936 von Stalin angeordnet wurde. (Fußnote)

„Stabilisierung“ von Schule und Hochschule

Von den Ansprüchen der Wirtschaft an das Bildungswesen, wie sie in den Parteibeschlüssen zur Industrialisierung erhoben wurden, gingen erhebliche Wirkungen auf die Organisationsformen und die pädagogische Binnenstruktur der Schulen und Hochschulen aus. Die bildungspolitischen Diskussionen um die Neugestaltung des Schulsystems standen zwar eindeutig im Zeichen der ökonomischen Forderungen, aber gleichzeitig traten in ihrem Verlauf die pädagogischen und schulpolitischen Grundsatzfragen wieder hervor, die schon in den Revolutionsjahren erörtert worden waren. Im Mittelpunkt der Reformpläne stand die Frage nach der Polytechnisierung und der Produktionsorientierung der allgemeinbildenden Schule, insbesondere der beiden oberen Klassen (8. und 9. Klasse): „Wenn wir den Fünfjahresplan mit einer echten sozialistischen Umgestaltung verbinden wollen, dann müssen wir der polytechnischen Bildung die allergrößte Aufmerksamkeit zuwenden.“

Auf der II. Parteikonferenz für Volksbildung im April 1930 und auf dem I. Allrussischen Kongress für polytechnische Bildung im August wurde die Generallinie einer Polytechnisierung festgelegt, die in den Augen ihrer Verfasser einer „zweiten Schulrevolution“ nach der von 1918 gleichkam. Im Schuljahr 1930/1931 sollten alle Schulen einem Industriebetrieb, Staatsgut oder Kolchos angeschlossen werden; im Mittelpunkt der Lehrpläne und der Schularbeit sollte das Studium der Produktion und die Teilnahme der Kinder an der produktiven Arbeit stehen. Für die 12-13jährigen bedeutete dies teilweise die Arbeit unmittelbar im Betrieb. Die achten und neunten Klassen sollten in Technika umgewandelt werden, um besser die Aufgaben der Kaderausbildung zu erfüllen. Außerhalb der Schule sollte ein Netz technischer und landwirtschaftlicher Stationen entstehen; Schulklassen, Schulen und ganze Bezirke sollten sich an dem kollektiven „sozialistischen Wettbewerb“ beteiligen, wie er seit 1929 las wichtigstes Mittel der Planerfüllung galt. Schließlich wurde die Projektmethode und die Arbeits- und Schulbrigaden, die bisher nur selten angewendet wurden, als universale Unterrichtsmethode propagiert.

Der Aufbau der sowjetischen Industriegiganten und die Kollektivierung der Landwirtschaft schufen alle Voraussetzungen für eine polytechnische Massenerziehung und einen Wechsel von industrieller und landwirtschaftlicher Arbeit, den Marx und Engels als entscheidendes Charakteristikum der entfalteten kommunistischen Gesellschaft angesehen hatten. Die Idee einer Arbeits- und Erziehungsgesellschaft reichte von der umfassenden gesellschaftlichen Erziehung der Kinder im Vorschulalter über die polytechnische Ganztagsschule oder das Kinderheim bis hin zur kommunistischen Erwachsenenbildung. Diese Konstruktion war Ausdruck des utopischen Grundzugs der kommunistischen Pädagogik und Sozialphilosophie.

Der ukrainische Volkskommissar für das Bildungswesen, M.O. Skrypnik erklärte: „Das einheitliche System der Volksbildung muß alle Formen der ideellen Produktion, des geistigen Einflusses auf die Massen, alle Mittel und Wege der Erziehung des neuen Menschen, der für den Kommunismus kämpft und ihn erschafft, umfassen.“

Die „zweite Schulrevolution“ in der Sowjetunion erlebte um die Mitte des Jahres 1931 ihren Höhe- und Wendepunkt. Während nach der gesetzlichen Einführung der Grundschulpflicht Millionen von Kindern in die Schule drängten, drohte die Polytechnisierung der Schule mit ihren radikalen Experimenten zu einem Chaos zu führen. Neben den ideologischen Gründen für eine Revision des bisherigen Kurses spielten vor allem die realen Verhältnisse im Schulwesen die entscheidende Rolle für die im Herbst 1931 beginnende „Stabilisierung“. Der Kurswechsel wurde eingeleitet durch den Beschluss des ZK der KPdSU vom 5. September „Über die Grund und Mittelschule“. Diesem Parteibeschluss kam in der Tat eine Schlüsselrolle zu. Mit ihm endete die frühsowjetische Periode der pädagogischen Experimente und es begann die Entwicklung zur autoritären Lern- und Leistungsschule der Stalin-Ära. Der Beschluss enthielt vor allem eine Kritik an der Situation des polytechnischen Unterrichts und an den bisherigen methodischen Prinzipien der sowjetischen Schule. Ohne bereits der Polytechnisierung eine grundsätzliche Absage zu erteilen, hieß es darin, dass die „gesamte gesellschaftlich produktive Arbeit der Schüler den Unterrichts- und Erziehungszielen der Schule untergeordnet werden müsse. Jeder Versuch, die Polytechnisierung der Schule von der soliden und systematischen Aneignung der Wissenschaften, insbesondere der Physik, Chemie und Mathematik, zu trennen, stellt eine grobe Abweichung von der Idee der polytechnischen Schule dar.“

Der Unterricht sollte daher künftig nach genau gegliederten und sorgfältig ausgearbeiteten Lehrplänen und Stundentafeln erfolgen, in den Hauptfächern musste ein genau umrissener Kreis systematischen Wissens festgelegt werden.

Den durch den Beschluss vom 5. September 1931 vorgezeichneten Weg ist die Parteiführung in den folgenden Jahren konsequent weitergegangen. Dabei sind schrittweise nahezu alle charakteristischen Merkmale der Revolutionspädagogik und der frühsowjetischen Arbeitsschulidee abgebaut worden; eine neue Periode der „Stabilisierung der Schule“ wurde geschaffen.

Am 25.081932 erging ein weiterer richtungsweisender ZK-Beschluss, der sich den Lehrplänen und der inneren Schulordnung zuwandte. Am wichtigsten hinsichtlich der Lehrplangestaltungen waren diejenigen Abschnitte, die eine historische Einstellung in den Lehrplänen der gesellschaftlichen Fächer verlangten weiterhin im muttersprachlichen Unterricht den Nachdruck auf schriftliche Arbeiten und grammatische Analysen legten und schließlich eine Vermehrung der Stundenzahl für Mathematik vorsahen. Dabei waren alle drei Schwerpunkte der künftigen Inhalte in den allgemeinbildenden Schulen bezeichnet, die bei allen Wandlungen im Einzelnen bis zum Jahre 1956 konstant blieben.

Der ZK-Beschluss ordnete weiterhin an: „Die grundlegende Organisationsform der Unterrichtsarbeit muß die Unterrichtstunde sein“. Diese sollte im Klassenverband nach einem genau bestimmten Plan stattfinden. Damit wurden die reformpädagogischen Versuche einer freieren Unterrichtsgestaltung endgültig aus der sowjetischen Schule verbannt. Stattdessen wurde die „führende Rolle des Lehrers“ unterstrichen; im Jahre 1933 stand ihm auch die alte Zensurenskala wieder zur Verfügung. Seit einem besonderen ZK-Beschluss vom 12.02.1933 nahm auch das „stabile Lehrbuch“ einen zentralen Platz im Unterrichtssystem ein. Für jedes einzelne Fach gab es künftig lediglich ein obligatorisches Lehrbuch aus dem Staatlichen Lehrbuchverlag der betreffenden Republik – ein wichtiger Schritt zur einheitlichen geistigen Ausrichtung und Kontrolle der Lehrer und Schüler.

Durch die Direktive vom 25.08.1932 wurde auch die bisherige innere Schulverfassung entscheidend verändert. Mit der Autoritätsanhebung des einzelnen Lehrers gegenüber den Schülern wurde auch das Direktorialprinzip anstelle der kollegialen Schulleitung eingeführt. Im gleichen Umfang verlor die Schülerselbstverwaltung den Rest ihrer früheren Rechte; in einer neuen Ordnung von 1933 wurde es als ihre wichtigste Aufgabe bezeichnet, für Disziplin und gute Lernleistungen zu sorgen.

Bereits auf der II. Parteikonferenz über Volksbildung im Jahre 1930 wurde beschlossen, die bestehenden Unterschiede in dem sowjetischen Schulsystem – insbesondere die zwischen der RSFSR und der Ukrainischen SSR – aufzuheben. In der entsprechenden Resolution hieß es: Die Eigenart der nationalen Kultur und der lokalen Bedingungen muß innerhalb eines einheitlichen Systems der Volksbildung und eines einheitlichen Plans für die Kulturarbeit in der gesamten UdSSR berücksichtigt werden.“

Erst im Jahre 1934 kam es jedoch zu einem einheitlichen Aufbau des allgemeinbildenden Schulwesens, das folgende Typen aufwies:

  1. Grundschule (Klassen 1-4)
  2. unvollständige Mittelschule (Klassen 1-7)
  3. Mittelschule (Klassen 1-10)

Durch das Dekret vom 16.05.1934 wurde außerdem festgelegt, dass „die Absolventen der unvollständigen Mittelschule das Recht haben, bevorzugt in die Technika, die Absolventen der Mittelschule bevorzugt in die Hochschulen aufgenommen zu werden.“

Da für die beruflich-technischen Schulen geringere Voraussetzungen als die siebenjährige Schulzeit galten, ergab sich seit Mitte der 1930er Jahre eine ziemlich eindeutige Zuordnung der verschiedenen Schultypen und Ausbildungswege zu der künftigen Berufsposition und sozialen Stellung: Wer eine Schule weniger als sieben Jahre besucht hatte, wurde Kolchosbauer oder unqualifizierter Industriearbeiter; nach Abschluss einer Siebenjahresschule konnte ein Technikum besucht werden, das „mittlere Spezialisten“ ausbildete. Die zehnjährige Mittelschule berechtigte ausschließlich zum Universitäts- und Hochschulstudium. Wer sein Studium erfolgreich absolviert hatte und damit zur Gruppe der Hochschulspezialisten zählte, gehörte damit auch nach der amtlichen Klassifizierung zur sowjetischen Intelligenz. Die gestufte Kaderausbildung trug damit entscheidend zur sozialen Differenzierung innerhalb der Sowjetgesellschaft bei.

Die „Stabilisierung“ des Schulwesens wurde zwischen 1935 und 1937 endgültig abgeschlossen. In einer gemeinsamen Verordnung des Rates der Volkskommissare und des ZK der Partei vom 03.09.1935 erfolgte eine detaillierte Festlegung der täglichen Schularbeit, der Prüfungs- und Versetzungsbedingungen und erneut der disziplinarischen Ordnung in den Schulen. Für wiederholte Störungen der Disziplin konnte eine Überweisung in besondere Schulen erfolgen; auch die angekündigte Einführung der Schüleruniform diente in erster Linie der äußeren Disziplinierung. Parallel zu diesen Maßnahmen waren die rigorose Verschärfung der Bestimmungen zur Verhinderung und Bekämpfung der Kinderverwahrlosung und der Jugendkriminalität.

Auch auf dem Gebiet der polytechnischen Bildung führte die angestrebte „Stabilisierung“ schließlich zu einer völligen Negation der ursprünglichen Prinzipien. Zunächst sollten lediglich Überspitzungen und Fehler der Jahre 1929-1931 überwunden und die geforderte Verbindung des polytechnischen Unterrichts mit dem systematischen Fachunterricht in den Naturwissenschaften hergestellt werden. Indessen führten die erwähnten anderen Maßnahmen fast zwangsläufig zur Restauration der „Buchschule“, entscheidend gefördert durch die mangelhaften Voraussetzungen für eine wirksame technische Unterweisung, über die nur wenige Schulen verfügten. Als im März 1937 auch das Fach „Arbeit“, d.h. der Werkunterricht, aus dem Stundenplan gestrichen wurde, war zwanzig Jahre nach der Oktoberrevolution die Wiederanknüpfung an die traditionellen Formen der russischen Schule unübersehbar.

Die sowjetischen Hochschulen und mittleren Fachschulen durchliefen vom Ende der 1920er Jahre bis etwa 1940 einen in vieler Hinsicht ähnlichen Weg wie die Schulen. In noch höherem Maße als letztere unterlagen sie seit dem Jahre 1928 den Anforderungen der Kaderpolitik. Die zwischen 1928 und 1931 beschlossenen Maßnahmen bezweckten unter dem Leitgedanken einer Annäherung an die Produktion eine Verkürzung der Studiendauer, eine enge Spezialisierung und eine Verstärkung des praktischen Anteils an der Ausbildung. Gleichzeitig entstand seit dem Herbst 1928 ein neuer Typ der Technischen Hochschulen und Fachschulen, die in verkürzter Frist Ingenieure und Techniker mit guten Kenntnissen auf einem enger begrenzten Spezialgebiet und mit beträchtlicher Produktionspraxis ausbilden sollten. Im Jahre 1930 stellten diese neuen Lehranstalten mit ausgeprägter Spezialisierung und einer Ausbildungsdauer von drei Jahren die Hauptform der höheren und mittleren Spezialistenausbildung dar. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im Juli 1930, als die Universitäten aufgelöst und in Hochschulen umgewandelt wurden, die nach Produktionszweigen gegliedert und mit bestimmten Betrieben verbunden waren. Auf der Hochschulebene war damit dieselbe Ideologie der Verschmelzung von Studium und Produktion wirksam wie im Programm der Polytechnisierung der Schulen. Ausdruck dieser Bestrebungen war auch die Errichtung von Technischen Betriebshochschulen in Moskau, Leningrad und Charkow als integrierter Form einer produktionsgebundenen Ausbildung von Facharbeitern, Technikern und Ingenieren in Großbetrieben. Durch die Aufsplitterung der bestehenden Universitäten und Hochschulen, vor allem der Technischen Hochschulen, in eng spezialisierte Fachinstitute schnellte die Zahl der Lehranstalten im ersten Fünfjahresplan steil nach oben.

Die Zahl der Hochschulen aller Fachrichtungen stieg von 148 im Jahre 9127/1928 auf 832 im Jahre 1932/1933, die der Studenten von 168.500 auf 504.400. Im Bereich des mittleren Fachschulwesens gab es 1927/1928 1.037 Anstalten mit 189.400 Fachschülern und 1932/1933 3.509 mit 723.700 Personen.

Die zahlenmäßige Expansion der Hoch- und Fachschulbildung im Zuge der Fünfjahresplanpolitik war begleitet von dem Versuch einer zweiten „Proletarisierung“ der höheren Bildungseinrichtungen. Die Zahl der Werktätigen, die sich auf den Arbeiterfakultäten auf ein Studium vorbereiteten, erhöhte sich von 56.663 1928/1929 auf 339.517 1932/1933, so dass diese Gruppe in der Mitte der 1930er Jahre den größten Anteil an den Zugängen zum Hochschulstudium stellte und erst seit 1937 von den Abiturienten der zehnjährigen Mittelschule überholt wurde.

Auf dem XVI. Parteikongress wurde festgestellt: „Wir schicken die besten Proletarier auf die Hochschulen und erreichten gewaltige Erfolge bei der kommunistischen Durchdringung und Proletarisierung unserer Hochschulen. (…) Zehntausende Proletarier und Kommunisten, die an den Hochschulen studieren, werden morgen technische Kommandeurposten übernehmen (…) und damit das Gesicht der technischen Kader verwandeln.“

Die „Proletarisierung der Hochschulen“ hat zweifellos einen sozialen Strukturwandel innerhalb der sowjetischen intellektuellen Schicht, besonders in der technischen Intelligenz, bewirkt, auch wenn angesichts der rigorosen Lenkungs- und Restriktionsmaßnahmen der Unterschied zwischen 1928 und 1938 nicht besonders groß ausfiel.

Als Beginn der „Stabilisierung“ im Hoch- und Fachschulwesen kann das Jahr 1932 angesehen werden. Die Reaktion auf die organisatorischen Experimente machte sich schon bemerkbar, als die Zerschlagung der Universitäten ein Jahr später teilweise wieder rückgängig gemacht wurde und die naturwissenschaftlichen Fakultäten als erste wiederhergestellt wurden. Geblieben ist aus dieser Zeit die Ausgliederung der medizinischen Fakultäten; die Wiedereingliederung der historisch-philologischen Disziplinen sowie der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften zog sich über einen längeren Zeitraum – bis etwa 1941 – hin.

Das Problem der Qualität in der Kaderausbildung trat jetzt immer stärker in den Vordergrund. In der grundlegenden Verordnung vom 19. September „Über die Studienpläne und die Leitung in der Hochschule und in den Technika“ wurde festgestellt, dass „man die Aufmerksamkeit einseitig auf die wachsende Zahl des Hochschulnetzes und der Studenten gerichtet hat, unter mangelnder Beachtung der Qualität der Lehrtätigkeit und bei übermäßiger Aufspaltung der Fachrichtungen. Die zweite richtungsweisende Verordnung vom 23.06.1936 „Über die Tätigkeit der Hochschulen und über die Leitung der Hochschulen“ forderte von den Hochschulen „die Heranbildung hochqualifizierter, politisch erzogener, allseitig und kulturell gebildeter Kader, die fähig sind, sich in vollem Umfange die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft anzueignen, die Technik von Grund auf auszunutzen und auf bolschewistische Weise die Theorie mit der Praxis zu verbinden sowie die Erfahrungen der Produktion mit der Wissenschaft zu vereinigen.“

Die „Stabilisierung“ erstreckte sich auf die administrative Lenkung des Hoch- und Fachschulbereichs, die innere Struktur der Hochschulen und vor allem auf das Studiensystem. Im Jahre 1932 wurde für alle Technischen Hochschulen ein zentrales Aufsichts- und Lenkungskomitee geschaffen, dessen Kompetenz im Jahre 1936 auf die Hochschulen und auf die Universitäten ausgedehnt wurde. Wenn auch an der unmittelbaren Leitung der Hochschulen weiterhin die entsprechenden Fachbehörden, vor allem die Industriezweige beteiligt blieben, so hatte das zentrale Komitee doch die Verantwortung für die gesamte Hochschulbildung der UdSSR. Die einzelnen Aufgaben waren:

  1. die Prüfung des Budgets der Republiken und der Volkskommissariate der UdSSR für den Unterhalt der Hochschulen,
  2. die Festlegung der Anzahl und der Typen der Hochschulen,
  3. die Bestätigung der Muster für die Stundentafeln und Studienpläne,
  4. die Festsetzung der Kontingente für die Aufnahme der Studenten,
  5. die Prüfung des Planes für die Verteilung der Hochschulabsolventen,
  6. die Bestätigung der Direktoren der Hochschulen,
  7. die Bestätigung der Hochschullehrer im Range eines Professors und eines Dozenten.

Ähnlich wie in den Schulen und analog zu den Betrieben wurde auch in den Hochschulen und Technika die Einzelleitung konsequent eingeführt. In den Verordnungen aus den Jahren 1932 und 1936 wurden die Pflichten der Direktoren nach diesem Grundsatz ebenso festgelegt wie die der Dekane und Professoren. Durch Verordnungen über wissenschaftliche Grade und Titel sowie über ein neues Planstellen- und Gehältersystem aus dem Jahre 1937 wurde eine feste Hierarchie von Hochschullehrern und wissenschaftlichen Mitarbeitern geschaffen. Den studentischen Organisationen war es untersagt, sich in administrative und methodische Angelegenheiten einzuschalten. Die Hochschulleitungen wurden weiterhin angewiesen, durch Vorschriften für die Hausordnung und die Kontrolle der Lehrveranstaltungen auf eine strenge Studiendisziplin zu achten; sie konnten mit Disziplinarstrafen bis hin zur Entlassung Verstöße und eine mangelnde Lerndisziplin ahnden. Für das wissenschaftliche und technische Personal galten analoge Bestimmungen.

Die Maßnahmen zur Aufrichtung einer äußeren Ordnung im Studien- und Lehrbetrieb wurden unterstützt von den ebenfalls 1932/1933 begonnenen Studienreformen, die schließlich zu einer Verschulung des Hochschulstudiums führten. Im Zuge der Überprüfung der Fachrichtungen, die im Herbst 1936 im Wesentlichen abgeschlossen wurde, entstand eine zentrale Nomenklatur der Studienrichtungen als Basis der Ausbildung und des jeweiligen Profils der Hochschule. Dieses System bildete seitdem das Gerüst der fachlichen Spezialisierung und der dadurch bestimmten Ausbildung. Der Anteil der theoretischen Grundstudien wurde schon im Jahre 1932 auf Kosten der übermäßig langen Produktionspraktika erhöht. Auch das Fernstudium, das sich seit dem Jahre 1929 rasch ausgebreitet hatte, wurde durch eine Verordnung vom 29.08.1938 „stabilisiert“. Aufnahmebestimmungen, Organisationsformen, Studien- und Prüfungsordnungen, Urlaub mit Lohnfortzahlung wurden einheitlich geregelt.

Im Lehrbetrieb der Universitäten und Hochschulen hatte sich wie auch in den Schulen um das Jahr 1930 das Gruppenstudium („Labor- und Brigademethode“) anstelle der Vorlesungen und Kurse weitgehend durchgesetzt; jetzt wurde diese Studienform als wenig effektiv abgeschafft. Die schon oben genannte Verordnung vom 23.06.1936 enthielt detaillierte Informationen über die erlaubten Lehr- und Studienformen, Noten und Examina, die Anzahl der Lehrveranstaltungen und deren Dauer. Durch eine weitere Anordnung vom Mai 1936 wurde die Schaffung von verbindlichen Hochschullehrbüchern für alle Studienfächer in die Wege geleitet, wobei die neu gebildeten Autorenkollektive die inzwischen erfolgten ideologischen Wandlungen berücksichtigen mussten. Im Studienjahr 1938/1939 erfolgte auch eine Reorganisation des obligatorischen gesellschaftswissenschaftlichen Studiums. Die neuen vereinigten Lehrstühle für Marxismus-Leninismus waren für den Kurs „Grundlagen des Marxismus-Leninismus“ und die anschließende Unterweisung in der politischen Ökonomie und im dialektischen und historischen Materialismus verantwortlich.

Als Schlusspunkt der „Stabilisierung“ im Hochschulbereich kann der Erlass des neuen „Normalstatuts für die Hochschule“ vom 05.09.1938 angesehen werden, in dem die vorangegangenen administrativen und didaktischen Maßnahmen systematisiert und noch einmal erneuert wurden. Die darin enthaltene mehrfache Bezugnahme auf Stalin machte deutlich, dass die autoritäre Leitungsstruktur, die fachliche Qualitätssteigerung und die politisch-ideologische Disziplinierung Grundbestandteile der neuen, mit dem Namen Stalins verknüpften sowjetischen Ordnung waren, die sich in den Schulen und Hochschulen ebenso ausbildete wie in den anderen Bereichen von Kultur und Wirtschaft.

Bildungspolitik während des 2. Weltkrieges und im Spätstalinismus

Gegen Ende der 1930er Jahre wies das sowjetische Schul- und Hochschulwesen zahlreiche Merkmale auf, die an das zaristische Bildungssystem erinnerten:

  1. bürokratischer Zentralismus,
  2. politische Kontrolle auf allen Gebieten des Bildungswesens,
  3. staatspatriotische Appelle,
  4. fachliche Leistungsorientierung und bloße Wissensvermittlung.

Den Säuberungen und Verhaftungen zwischen den Jahren 1936 und 1939 fielen auch leitende Pädagogen und Funktionäre aus dem Volksbildungssektor zum Opfer. Die Folgen des Stalin-Kultes bildeten die negative Kehrseite jenes ideologischen Wandlungsprozesses, der ebenfalls Mitte der 1930er Jahre einsetzte und in der Erziehungs- und Bildungspolitik seinen Niederschlag fand. Es handelte sich um die Ausarbeitung und Propagierung einer neuen Staatsgesinnung, des sowjetischen Patriotismus, die im Jahre 1934 planmäßig begann. Der Sowjetpatriotismus erfuhr dann im „Großen Vaterländischen Krieg“ (1941-1945) seine Bewährungsprobe. In den Nachkriegsjahren wurde der Sowjetpatriotismus vor allem als Abgrenzungsmittel gegenüber dem kapitalistischen Westen benutzt und bildete den Kern der staatsbürgerlichen Erziehung der Jugend. Nach Stalins Tod und der Kritik an seinem autoritativen Führungsstil behielt er trotzdem die Funktion einer integrativen Staatsideologie in der Sowjetunion.

In der frühsowjetischen Periode bildete die am Leitbild des revolutionären Klassenkämpfers orientierte Erziehung zum proletarischen Internationalismus den wesentlichen Inhalt der politischen Erziehung. Die kommunistische Erziehung betonte vor allem den Gedanken der internationalen Klassensolidarität, den sie dem „bürgerlichen Nationalismus“ in den Schulen der kapitalistischen Länder des Westens entgegenstellte. Lunacarskij wandte sich im Jahre 1919 entschieden gegen einen „patriotischen Geschichtsunterricht“, eine bewusste Erziehung zum Nationalismus und eine überbetonte Hervorhebung der russischen Kultur auf Kosten der internationalistischen Ausrichtung: „Da die nationale Erziehung aufs engste mit dem Militarismus verbunden ist, müssen die Sozialisten dem Unterricht vor allem das internationalistische Prinzip zugrunde legen, das Prinzip der Einheit der Menschheit.“ Im Jahre 1926 schrieb Schulgin: „Wir sind nicht dazu berufen, ein russisches Kind, ein Kind des russischen Staates zu erziehen, sondern einen Weltbürger, einen Internationalisten, ein Kind, das die Interessen der Arbeiterklasse als Ganzes begreift und fähig ist, für die Weltrevolution zu kämpfen. (…) Wir erziehen unsere Kinder nicht zur Verteidigung des Vaterlandes, sondern für weltweite Ideale.“

In der Erziehungspolitik bahnte sich ein Wandel schon Ende der 1920er Jahre an, als eine ausgedehnte Kampagne für eine Verstärkung der Landesverteidigung auch Schulen, Hochschulen und Komsomol einbezog und seit dem Jahre 1928 schrittweise mit der Einführung einer vormilitärischen Ausbildung begonnen wurde. Vom Schuljahr 1932/1933 an besaßen die Wehrkunde und die praktische vormilitärische Ausbildung mit wechselnder Stundenzahl und Altersbegrenzung einen festen Platz im Lehrplan der Schulen. Im Rahmen des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht vom 01.09.1939 wurde die vormilitärische Ausbildung an den Schulen in zwei Stufen festgelegt.

Wehrerziehung und vormilitärische Ausbildung der Jugend bildeten aber nur einen Teil der sowjetpatriotischen Erziehung, die sich seit Beginn der 1930er Jahre deutlich gegenüber der vorangehenden Periode der Erziehung zum proletarischen Internationalismus abhob. Nicht auf ein bestimmtes Unterrichtsfach begrenzt, sondern als Prinzip in allen Fächern, nicht nur in der Schule, sondern ebenso der außerschulischen Erziehung. Die sowjetpatriotische Erziehung war auch nicht allein auf die lernende und arbeitende Jugend beschränkt, sondern als Teil der Erwachsenenbildung gewann sie seit Mitte der 1930er Jahre eine zentrale Stellung im Gesamtsystem der politisch-ideologischen Erziehung der Bevölkerung. Dabei traten zwei Merkmale besonders hervor: die Schaffung eines neuen Geschichtsbildes, die Herausbildung eines neuen Staatsbewusstseins und einer darauf bezogenen staatsbürgerlichen Erziehung.

Die Anfänge der sowjetpatriotischen Ideologie in Presse und Rundfunk fielen zeitlich mit einer Neuorientierung des Geschichtsunterrichts zusammen. Die Verordnung vom 16.05.1934 „Über den Unterricht in staatsbürgerlicher Geschichte in den Schulen der UdSSR“ sagte folgendes aus: „An Stelle eines Unterrichts der staatsbürgerlichen Geschichte in einer lebendigen, interessanten Form an Hand der Darlegung der wichtigsten Ereignisse und Tatsachen in einer chronologischen Folge und einer Charakteristik der historischen Persönlichkeiten werden den Schülern abstrakte Definitionen der sozialökonomischen Gesellschaftsformation geboten, so daß auf diese Weise eine zusammenhängende Darstellung der staatsbürgerlichen Geschichte durch abstrakte soziologische Schemata ersetzt wird.“

Es handelte sich bei der Revision des Lehrplane und der Lehrbücher für den Geschichtsunterricht jedoch in erster Linie um eine politisch-ideologische Umorientierung. Der Unterricht sollte das neue patriotisch gefärbte Geschichtsbild vermitteln, als dessen Urheber Stalin sich feiern ließ. Größen der russischen Vergangenheit wie Alexander Nevskij oder Peter I. wurden auf die Gegenwart projiziert. Indem Stalin in diese historische Reihe gestellt wurde, nahm die Kontinuität der russischen zur sowjetischen Geschichte plastische Gestalt an.

Als Propagandist des sowjetischen Patriotismus, einer neuen kommunistischen Moral und einer darauf beruhenden Erziehung trat besonders M. I. Kalinin (1875-1946) hervor. Auch das literarische Werk von A.S. Makarenko (1888-1939), das nach 1936 starke Resonanz fand, ließ sich wegen der Betonung eines autoritär-kollektivistischen Erziehungsstils und des staatsbürgerlichen Ideals in das neue sowjetpatriotische Modell einfügen.

Der sowjetische Patriotismus versuchte sich seit seiner offiziellen Propagierung als national übergreifender sozialistischer Patriotismus zu präsentieren, als Flickenteppich für die zahlreichen kulturell unterschiedlichen Nationalitäten der Sowjetunion. In der Bildungspolitik galt seit dem Jahre 1918 der Grundsatz, dass jede Nationalität „das Recht der Organisierung des Unterrichts in der Muttersprache“ in Schulen und Hochschulen besaß, wobei „mit dem Ziel der kulturellen Annäherung und der Entwicklung der Klassensolidarität der Werktätigen der verschiedenen Nationalitäten die Sprache der Mehrheit der Bevölkerung des entsprechenden Gebietes obligatorisch gelehrt“ werden sollte.

Seit der Oktoberrevolution galten drei Grundsätze als Leitlinien der sowjetischen Nationalitätenpolitik:

  1. die Priorität des Territorialprinzips,
  2. die Souveränität,
  3. der proletarische Internationalismus.

Die Nationalitätenpolitik im Bildungswesen war bis Anfang der 1930er Jahre dadurch gekennzeichnet, dass im Rahmen der nationalen Autonomie die nichtrussischen Nationalitäten mit eigenständiger kultureller Tradition ein nationales Schulwesen in ihrer Muttersprache unbehindert entwickeln konnten. Im Jahre 1927 wurde nach amtlichen Angaben der Unterricht in der Grundschule in 66 Sprachen, in der neunjährigen Mittelschule in 12 und auf den Hochschulen in 5 Sprachen abgehalten. Im Jahre 1932 gab es bereits Lehrbücher in 94 Sprachen. Die Gewährleistung des Gebrauches der Muttersprache vor Gericht und in der allgemeinen Verwaltung, ihre Verwendung in der Öffentlichkeit, vor allem zur Kennzeichnung öffentlicher Gebäude und der Benennung von Straßen und Plätzen, sowie die Verwendung der Muttersprache als Unterrichtssprache in Schulen und Hochschulen war entsprechend der sowjetischen Verfassung (Artikel 121) gesetzlich geregelt.

Eine russische Zentralisierung war seit der Ausschaltung derjenigen Kräfte durch Stalin, die weiterhin für lokale Autonomie im Bildungsbereich plädierten, augenscheinlich. Zwischen 1933 und 1938 vollzog sich im Zusammenhang mit den politischen „Säuberungen“ und getragen von der neuen sowjetpatriotischen Propaganda auch eine Gewichtsverlagerung zugunsten der russischen Geschichte, Sprache und Kultur. Am 13.03.1938 erging eine Verordnung über den obligatorischen Russischunterricht in den nationalen Schulen, die einheitliche Lehrpläne, neue Lehrbücher und eine Verstärkung des Anteils der russischen Sprache vorschrieb. Die „Prawda“ bejahte diese Maßnahme unter anderem mit der Begründung, dass „die russische Sprache zur internationalen Sprache der sozialistischen Kultur wird, so wie Latein die internationale Sprache der Oberschichten der frühmittelalterlichen Gesellschaft und die französische Sprache die internationale Sprache des 18. und 19. Jahrhunderts war.“

Die zwischen 1937 und 1940 durchgeführte Umstellung der Schrift derjenigen nichtrussischen Nationalitäten, die in den 1920er Jahren das lateinische Alphabet übernommen hatten wie die Tartaren, auf das kyrillische Alphabet, beseitigte die Schranke, die einem Einfluss der russischen Sprache von dieser Seite entgegenstand.

Die russische Komponente im Sowjetpatriotismus wurde durch den 2. Weltkrieg und in den ersten Nachkriegsjahren weiter verstärkt. Während des 2. Weltkrieges, vor allen nach dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf die Sowjetunion am 22.06.1941, unterlagen alle Bereiche des Bildungswesens den militärischen und wirtschaftlichen Anforderungen der Verteidigung des Landes. Dies hatte zur Folge, dass die Disziplinierung der Jugend, die bürokratische Reglementierung des Schullebens und die sowjetpatriotische Ausrichtung der Erziehung weiter verstärkt wurden. Der Alltag in den nicht von den deutschen Truppen besetzten Gebieten wurde vor allem durch die Massenevakuierung schulpflichtiger Kinder und Jugendlicher in die entfernteren Landesteile, die Verlagerung von Instituten und Hochschulen, den Schichtunterricht, die Einberufungen von Lehrern zum Militär, den Einsatz von älteren Schülern in Rüstungsbetrieben und in der Landwirtschaft sowie durch andere kriegsbedingte Maßnahmen charakterisiert. Zwischen 1940/1941 und 1945/1946 sank die Schülerzahl der allgemeinbildenden Schulen um 26%, in den oberen Klassen (8-10) sogar auf 41%, die Zahl der Hochschüler verringerte sich dagegen lediglich um 10%.

In den Kriegsjahren 1941-1945 standen die Bewältigung der konkreten materiellen und personellen Schwierigkeiten und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Schulen und Hochschulen im Vordergrund. Die ergriffenen Maßnahmen prägten die Struktur und Inhalte des Bildungswesens auch über die Kriegszeit hinaus. Bis zum Beginn der 1950er Jahre lässt sich von einer Verkrustung der Prinzipien und Formen in Unterricht und Erziehung sprechen.

Eine wesentliche Veränderung erfuhr im Jahre 1940 das System der Berufsausbildung. Durch einen Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 2.Oktober „Über die Staatlichen Arbeitsreserven der UdSSR“ und eine Reihe von Ausführungsbestimmungen wurde die beruflich-technische Ausbildung neu geordnet und einem Zentralorgan, der Hauptverwaltung der Arbeitsreserven unterstellt. Damit war ein entscheidender Schritt zur staatlichen Erfassung, Ausbildung und Verteilung des Nachwuchses für die Industrie und das Bauwesen getan. In dem Erlass hieß es: „Dem Rat der Volkskommissare der UdSSR wird das Recht eingeräumt, alljährlich 800.000 bis zu einer Million Menschen der Stadt- und Kolchosjugend männlichen Geschlechts im Alter von 14 bis 15 Jahren zur Ausbildung in Gewerbe- und Eisenbahnerschulen sowie im Alter von 16 bis 17 Jahren zur Ausbildung in den Schulen der Fabrik- und Werksausbildung einzuberufen.“

Diese Maßnahme sollte den drastischen Rückgang in der Ausbildung von Facharbeitern in den früheren FZU-Schulen auffangen und gleichzeitig die Voraussetzungen für eine kriegsmäßige Mobilisierung der Arbeitskräfte schaffen. Die militärähnliche Einberufung in den Schulen der Arbeitsreserven nach bestimmten Quoten wurde erst im Jahre 1955 aufgehoben. Zwischen 1941 und 1955 wurden insgesamt 8,2 Millionen Personen in den Schulen der Arbeitsreserven ausgebildet, davon 5,1 Millionen in Berufsschulen mit nur sechs- bis zwölfmonatiger Ausbildungsdauer.

Die sowjetische Führung war sich darüber klar, dass sie die qualitative Arbeit der Industrie nur verbessern konnte, wenn es ihr gelang, das technische Niveau der Arbeiterschaft bedeutend zu heben. Die Arbeiterschaft wurde aufgefordert, sich das so genannte technische Minimum anzueignen; bereits im Jahre 1935 legte Hunderttausende von Arbeitern in der Schwerindustrie ein technisches Examen ab. Arbeiter, die sich der Überwindung der technischen Normen, der projektierten Leistungsfähigkeiten und der bestehenden Produktionspläne zum Ziel setzten, wurden von der Staatsführung mit Orden ausgezeichnet. So gelang es, überholte Arbeitsmethoden und mangelhafte Qualifikation zu überwinden.

Ende der 1930er Jahre hatte man eine mächtige Schwerindustrie mit zahlreichen neuen Produktionszweigen geschaffen. Es waren Tausende neuer Betriebe entstanden, und die meisten alten Werke und Fabriken waren mit moderner Ausrüstung ausgestattet worden. So gab es im Bereich der Schwerindustrie kaum noch Betriebe mit veralteter Technik. Fast die gesamte Industrie war elektrifiziert, wobei der Kraftstrom zugleich technologischen Zwecken diente. Auch die Mechanisierung der Produktionsprozesse hatte inzwischen bedeutende Fortschritte gemacht, die vor allem dem Kohleabbau zugute kamen. Die Standortverteilung der Industrie hatte sich im Laufe der 1930er Jahre völlig geändert. Während sich die Industrie im zaristischen Russland in den südlichen und zentralen Gebieten des Landes konzentriert hatte, waren nun auch die östlichen und nördlichen Gebiete in hohem Maße von in den Industrialisierungsprozess einbezogen. Im Ural, in den Steppen Mittelasiens, in der Taiga Sibiriens und der Tundra im hohen Norden entstanden Industriegebiete und wurden Eisenbahnen gebaut. Das Ural-Kuzneck-Kombinat bildete die Voraussetzung für die industrielle Erschließung der östlichen und fernöstlichen Landesteile, die mit der Errichtung weiterer Industriezentren in Sibirien ihren Fortgang nahm, so dass sich das Schwergewicht der Investitionsarbeiten – auch aus strategischen Erwägungen – immer mehr in Richtung Osten verlagerte.

Im Jahre 1940 erzeugten allein die Betriebe von Moskau wertmäßig etwa doppelt soviel wie die Industrie des zaristischen Russlands zusammengenommen. Die Sowjetunion hatte dem Produktionsumfang nach Frankreich, England und Deutschland überholt und nahm somit den führenden Platz in Europa und nach den USA den zweiten Platz in der Welt ein.

Der Beginn des 2. Weltkriegs lenkte die Aufmerksamkeit der politischen Führung auf die Bedeutung der Fremdsprachen, die bisher im Schulunterricht noch nicht allgemein gelehrt wurden. In der Verordnung vom 16.09.1940 „Über den Unterricht in deutscher, englischer und französischer Sprache“ wurde die Einführung des Unterrichts in einer westlichen Fremdsprache in allen Mittelschulen von der 5. Klasse an bis zum Jahre 1943 angeordnet, weiterhin eine Erweiterung der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern und für die Hochschulen das obligatorische Studium einer Fremdsprache für alle Studenten. An 50 Moskauer und Leningrader Schuler sollte bereits von der 3. Klasse an eine Fremdsprache unterrichtet werden. Erst im Jahre 9161 wurde eine grundlegende didaktisch-methodische Reform des Fremdsprachenunterrichts eingeleitet, die sich vor allem eine Verbesserung des Niveaus zum Ziel setzte.

Der seit dem Jahre 1940 amtierende Volkskommissar für das Bildungswesen der RSFSR, V.P.Potemkin (1878-1946), führte eine Reihe von Neuerungen ein, die eine Leistungssteigerung bezwecken sollten. Dazu gehörte unter anderem die mit dem Schuljahr 1943/1944 zuerst in Moskau, dann auch in anderen größeren Städten begonnene Einführung des getrennten Unterrichts für Jungen und Mädchen. Außerdem gab es einen Erlass verbindlicher „Regeln für die Schüler“, die in einem Schülerausweis abgedruckt waren und ständig bei sich getragen werden sollten. Drittens sollten die in Verbindung mit der Einführung der Reifeprüfung am Ende der Mittelschule die besten Schüler mit goldenen und silbernen Medaillen ausgezeichnet werden. Eine entsprechende Anordnung vom März 1944 stellte einen Katalog von Erziehungsmaßnahmen (Auszeichnungen, Belobigungen, Strafen) auf, der an die Schulideologie im zaristischen Russland erinnerte. In den Jahren nach dem Ende des 2.Weltkrieges wurden zahlreiche weitere Maßnahmen zur inneren Reglementierung des Schullebens getroffen, die das Bild einer umfassend verwalteten und durchgeplanten Schule vervollständigten.

In den Kriegsjahren wurden auch neue Schultypen geschaffen. Die nach Militaristen der napoleonischen Kriege und des Krimkriegs benannten Kadettenschulen waren ursprünglich nur für Kinder verdienter Offiziere bestimmt und nahmen bereits vom 8.-10. Lebensjahr Schüler zur Vorbereitung auf den Offiziersberuf in Armee und Flotte auf. Von zahlenmäßig größerer Bedeutung waren die 1943 und 1944 errichteten Schulen der Arbeiterjugend und Abendschulen der Landjugend. Beide Typen waren allgemeinbildende Schulen, die bereits berufstätigen Jugendlichen, die lediglich über eine vierjährige Grundschulausbildung verfügten, den Abschluss der Siebenjahresschule oder der zehnjährigen Mittelschule zu ermöglichen. Schon 1945/1946 wurden 348.000 Personen in den Schulen der Arbeiterjugend und 335.000 in den Schulen der Landjugend unterrichtet. Im Schuljahr 1955/1956 war die Zahl auf 1,4 Millionen in den Arbeiterschulen gestiegen, während die auf dem Lande mit 345.000 stagnierte.

Eine wichtige wissenschaftspolitische Entscheidung für die Pädagogik und das Bildungswesen wurde ebenfalls noch während des Krieges getroffen. Im Oktober 1943 erfolgte die Errichtung der Akademie der pädagogischen Wissenschaften der RSFSR in Moskau. Die Akademie stellte die zentrale erziehungswissenschaftliche Forschungs- und höchste Ausbildungsstätte der Sowjetunion dar. Ihr gehörten ca. 100 ordentliche und korrespondierende Mitglieder an. Die Aufgabe an die Akademie bezog sich von Anfang an auf alle wichtigen Gebiete der pädagogischen und psychologischen Wissenschaft, unter besonderer Berücksichtigung der Schulfächer. Ihr Gewicht bei der Vorbereitung bildungspolitischer Entscheidungen war in der Vergangenheit unterschiedlich stark und nahm erst in den 1960er Jahren erheblich zu.

Die Reformperiode Chruschtschows und das Ende der stalinistischen Bildungspolitik

Der XX. Parteitag und die Auswirkungen auf die Bildungspolitik

Nach ersten Versuchen zur Unterrichtsreform und zur Lenkung der Schulabsolventen in die benötigten Berufe wurde im Jahre 1956 eine breite Reformdiskussion in Gang gesetzt, die 1958 ihren Höhepunkt erreichte und in der Verabschiedung eines umfassenden Reformgesetzes gipfelte. Da diese Entwicklung von Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre wesentliche Impuls dem unmittelbaren Eingreifen Chruschtschows in die bildungspolitischen Grundsatzfragen verdankte, erscheint es gerechtfertigt, von der Reformperiode Chruschtschows zu sprechen.

Schon auf dem im Oktober 1952 abgehaltenen XIX. Kongress der KPdSU – einige Monate vor dem Tode Stalins – zeichneten sich gewisse Veränderungen ab, die aber als kontinuierliche Weiterentwicklung und nicht als grundsätzliche Neuerungen gedacht waren. In den vom Parteitag angenommenen Direktiven für den 5. Fünfjahresplan wurden drei bildungspolitische Hauptziele verkündet:

  1. Bis zum Jahre 1955 sollte in den größeren Städten und Industriezentren die siebenjährige allgemeine Schulpflicht auf zehn Jahre erweitert werden. Bis zum Jahre 1960 sollten dann die Voraussetzungen für eine volle Verwirklichung der allgemeinen mittleren Bildung (Zehnjahresschule) in den restlichen Städten und auf dem Lande geschaffen werden.
  2. Es sollte mit der Verwirklichung des polytechnischen Unterrichts in der Mittelschule begonnen werden, damit später der Übergang zum allgemeinen polytechnischen Unterricht erfolgen könne.
  3. Die Entwicklung der allgemeinbildenden Schulen mit Unterricht am Abend sowie des Abend- und Fernstudiums an Hochschulen und mittleren Fachschulen sollte weiter vorangetrieben werden.

Damit war in groben Zügen der Rahmen für die weitere Entwicklung des Bildungswesens über den Tod Stalins hinaus abgesteckt. Ökonomische und pädagogische Überlegungen wirkten dabei bei den politischen Entscheidungen ebenso mit wie ideologische Momente. Demzufolge stellten die Reformen dieser Jahre einen vielschichtigen Prozess dar, in dem sich langfristige Zielsetzungen mit gegenwärtigen Problemen und deren Lösungsversuchen mischten.

Schon Anfang der 1950er Jahre wurde deutlich, dass ein Hauptziel der Kaderpolitik als erfüllt angesehen werden konnte: der erhöhte Bedarf der Hochschulen an gut vorbereiteten Abiturienten, die ein Studium aufnahmen, war gedeckt. Mit der Ausdehnung der zehnjährigen Schulausbildung wuchs nun die Zahl derjenigen, die nach Abschluss der Mittelschule keinen Studienplatz erhielten. Schon im Jahre 1954 gab es auf 276.000 Studienplätze 1.113.600 Bewerber; im Jahre 1958 standen 1.570.000 Abiturienten lediglich 215.000 Zulassungen gegenüber. Diese Diskrepanz veranlasste im Jahre 1954 die Hauptverwaltung der Arbeitsreserven dazu, einen neuen Schultyp, die Technischen Lehranstalten zu schaffen, die speziell für Mittelschulabsolventen zur Ausbildung qualifizierter Facharbeiter bestimmt waren. Zwischen 1955 und 1963 wurden auf diesem Wege 744.000 Personen ausgebildet. Ebenfalls im Jahre 1954 erging eine Verordnung des Ministerrats der UdSSR, in der weitere Maßnahmen zur Eingliederung der Mittelschulabsolventen in die Produktion, z.B. durch die Teilnahme an verschiedenen beruflichen Kursen, getroffen wurden. Drei Jahre später wurden diese Bestimmungen noch erweitert.

Auf dem Juli-Plenum des ZK der Partei von 1955 sprach N.A. Bulganin davon, dass man „an der Schwelle einer neuen wissenschaftlichen-technischen und industriellen Revolution stehe, die in ihrer Bedeutung jene industrielle Revolution weit übertrifft, die mit dem Erscheinen von Dampf und Elektrizität verbunden waren.“ Die hier angedeutete Perspektive der wissenschaftlich-technischen Revolution, aus der neue und höhere Qualifikationsanforderungen erwuchsen, gewann in der Folgezeit ein immer größeres Gewicht für die Reform der Bildungsziele und –inhalte in der sowjetischen Schule.

Außerdem erfuhr die Idee der polytechnischen Bildung eine Wiederbelebung. Dieses zentrale Thema der kommunistischen Pädagogik war auch nach 1937, als die praktische polytechnische Unterweisung in den Schulen aufgehoben wurde, nicht aus den theoretischen Erörterungen verschwunden; die Unterrichtspraxis wurde davon jedoch kaum betroffen. In den Jahren 1954 und 1955 wurden jedoch neue Stundentafeln und Lehrpläne für die allgemeinbildenden Schulen eingeführt, in denen zum ersten Mal seit achtzehn Jahren wieder Elemente der polytechnischen Bildung enthalten waren (Werkunterricht in den Klassen 1-4, praktische Arbeiten in Schulwerkstätten und Schulgärten in der 5-7 Klasse sowie Praktika zur Maschinenkunde, Elektrotechnik und Landwirtschaft in der 8-10 Klasse).

Die pädagogischen Theoretiker, die sich um eine Reaktivierung der polytechnischen Bildung bemühten, argumentierten für eine mit Hilfe des polytechnischen Unterrichts angestrebte stärkere „Verbindung der Schule mit dem Leben“. Chruschtschow gab diesem Stichwort, das zum Motto der Reformen werden sollte, auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 eine deutliche Wendung ins Praktische: Er bemängelte, dass „der Unterricht nicht lebensnah genug ist, daß die Absolventen der Schule nur ungenügend auf eine praktische Tätigkeit vorbereitet sind. Mann muß schneller von Worten zu Taten übergehen.“

Die Schüler sollten nicht nur Kenntnisse über Technik und Produktion erwerben, sondern systematisch zur Arbeit in Betrieben, Kolchosen und Sovchosen herangezogen werden; entsprechend sollten die Lehrpläne im Sinne einer stärkeren Produktionsspezialisierung umgestaltet werden. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Masse der Schulabsolventen, die nicht studieren konnte, sondern gezwungenermaßen eine Arbeit aufnehmen musste, auf diese praktische Tätigkeit schon in der Schule vorbereitet werden.

Zwischen 1956 und 1958, in der Anlaufphase der Reform, wurde in der RSFSR zunächst in 585 Versuchsschulen, dann in einem Viertel aller Schulen, ein erweiterter polytechnischer lehrplan eingeführt, der Elemente einer speziellen Berufsorientierung enthielt.

Damit war in groben Zügen der Rahmen für die weitere Entwicklung des Bildungswesens über den Tod Stalins hinaus abgesteckt. Ökonomische und pädagogische Überlegungen wirkten dabei bei den politischen Entscheidungen ebenso mit wie ideologische Momente. Demzufolge stellten die Reformen dieser Jahre einen vielschichtigen Prozess dar, in dem sich langfristige Zielsetzungen mit gegenwärtigen Problemen und deren Lösungsversuchen mischten.

Schon Anfang der 1950er Jahre wurde deutlich, dass ein Hauptziel der Kaderpolitik als erfüllt angesehen werden konnte: der erhöhte Bedarf der Hochschulen an gut vorbereiteten Abiturienten, die ein Studium aufnahmen, war gedeckt. Mit der Ausdehnung der zehnjährigen Schulausbildung wuchs nun die Zahl derjenigen, die nach Abschluss der Mittelschule keinen Studienplatz erhielten. Schon im Jahre 1954 gab es auf 276.000 Studienplätze 1.113.600 Bewerber; im Jahre 1958 standen 1.570.000 Abiturienten lediglich 215.000 Zulassungen gegenüber. Diese Diskrepanz veranlasste im Jahre 1954 die Hauptverwaltung der Arbeitsreserven dazu, einen neuen Schultyp, die Technischen Lehranstalten zu schaffen, die speziell für Mittelschulabsolventen zur Ausbildung qualifizierter Facharbeiter bestimmt waren. Zwischen 1955 und 1963 wurden auf diesem Wege 744.000 Personen ausgebildet. Ebenfalls im Jahre 1954 erging eine Verordnung des Ministerrats der UdSSR, in der weitere Maßnahmen zur Eingliederung der Mittelschulabsolventen in die Produktion, z.B. durch die Teilnahme an verschiedenen beruflichen Kursen, getroffen wurden. Drei Jahre später wurden diese Bestimmungen noch erweitert.

Auf dem Juli-Plenum des ZK der Partei von 1955 sprach N.A. Bulganin davon, dass man „an der Schwelle einer neuen wissenschaftlichen-technischen und industriellen Revolution stehe, die in ihrer Bedeutung jene industrielle Revolution weit übertrifft, die mit dem Erscheinen von Dampf und Elektrizität verbunden waren.“ Die hier angedeutete Perspektive der wissenschaftlich-technischen Revolution, aus der neue und höhere Qualifikationsanforderungen erwuchsen, gewann in der Folgezeit ein immer größeres Gewicht für die Reform der Bildungsziele und –inhalte in der sowjetischen Schule.

Außerdem erfuhr die Idee der polytechnischen Bildung eine Wiederbelebung. Dieses zentrale Thema der kommunistischen Pädagogik war auch nach 1937, als die praktische polytechnische Unterweisung in den Schulen aufgehoben wurde, nicht aus den theoretischen Erörterungen verschwunden; die Unterrichtspraxis wurde davon jedoch kaum betroffen. In den Jahren 1954 und 1955 wurden jedoch neue Stundentafeln und Lehrpläne für die allgemeinbildenden Schulen eingeführt, in denen zum ersten Mal seit achtzehn Jahren wieder Elemente der polytechnischen Bildung enthalten waren (Werkunterricht in den Klassen 1-4, praktische Arbeiten in Schulwerkstätten und Schulgärten in der 5-7 Klasse sowie Praktika zur Maschinenkunde, Elektrotechnik und Landwirtschaft in der 8-10 Klasse).

Die pädagogischen Theoretiker, die sich um eine Reaktivierung der polytechnischen Bildung bemühten, argumentierten für eine mit Hilfe des polytechnischen Unterrichts angestrebte stärkere „Verbindung der Schule mit dem Leben“. Chruschtschow gab diesem Stichwort, das zum Motto der Reformen werden sollte, auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 eine deutliche Wendung ins Praktische: Er bemängelte, dass „der Unterricht nicht lebensnah genug ist, daß die Absolventen der Schule nur ungenügend auf eine praktische Tätigkeit vorbereitet sind. Mann muß schneller von Worten zu Taten übergehen.“

Die Schüler sollten nicht nur Kenntnisse über Technik und Produktion erwerben, sondern systematisch zur Arbeit in Betrieben, Kolchosen und Sovchosen herangezogen werden; entsprechend sollten die Lehrpläne im Sinne einer stärkeren Produktionsspezialisierung umgestaltet werden. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Masse der Schulabsolventen, die nicht studieren konnte, sondern gezwungenermaßen eine Arbeit aufnehmen musste, auf diese praktische Tätigkeit schon in der Schule vorbereitet werden.

Zwischen 1956 und 1958, in der Anlaufphase der Reform, wurde in der RSFSR zunächst in 585 Versuchsschulen, dann in einem Viertel aller Schulen, ein erweiterter polytechnischer lehrplan eingeführt, der Elemente einer speziellen Berufsorientierung enthielt.

Auf dem Parteitag von 1956 setzte mit den Enthüllungen Chruschtschows über Stalins Verbrechen und der Kritik an seinem Personenkult die von der Partei gelenkte und kontrollierte Entstalinisierung ein, die in unterschiedlichem Ausmaß die verschiedenen kulturpolitischen Bereiche erfasste. Auf der Grundlage des ZK-Beschlusses vom 30.06.1956 unterzogen sich auch die leitenden pädagogischen Instanzen der Kritik und Selbstkritik. So hieß es zum Beispiel in einem ausführlichen Redaktionsartikel der führenden Zeitschrift „Die Sowjetpädagogik“ vom September 1956: „Unter den Ursachen, die eine Entfremdung der Pädagogik vom Leben bewirkten, spielt der in ihr verbreitete Personenkult Stalins zweifellos eine wichtige Rolle. Infolge dieses Kultes wurden in der pädagogischen Wissenschaft die lebendigen Ideen gefesselt und zum Verstummen gebracht, es entstand eine dem Bolschewismus fremde Furcht davor, auf schöpferische Weise neue Fragen zu lösen. (…) Als Folge einer abergläubischen Hochachtung vor der Autorität Stalins erfuhren Dogmatismus und Buchstabengelehrtheit weite Verbreitung. Viele pädagogische Theoretiker verlernten zu experimentieren und selbständig zu denken, sie hatten Angst, bestimmte wissenschaftlichen Positionen einzunehmen.“

Die in den Entstalinisierungsappellen enthaltene Aufforderung, die neuen Probleme auf schöpferische Art zu lösen, bewirkte zweifellos eine gewisse Befreiung von alten Denkschemata und eine größere Selbständigkeit bei vielen Theoretikern und Praktikern der Erziehung. In den Schullehrplänen und Lehrbüchern wirkte sich die Kritik an Stalin vor allem im Geschichtsunterricht, im Literatur- und Biologieunterricht aus. Allerdings trat nach der ersten Diskussionswelle 1956/1957 die grundsätzliche kritische Erörterung des Stalin-Erbes im Bereich des Bildungswesens bald fast ganz hinter den sich überstürzenden Reformplänen Chruschtschows zurück.

Die Abkehr von Stalin auf dem XX. Parteitag wurde von einem großen Teil der literarischen Intelligenz mit der Hoffnung verbunden, dass nun die Stalinzeit und mit ihr ihre literaturpolitischen Methoden endgültig überwunden seien. Doch diese Hoffnungen trogen. Die Literatur konnte sich zwar freier entwickeln, aber es erwies sich immer wieder, dass Chruschtschow mit der Distanzierung von Stalin nur so weit gehen wollte, als ihm daraus kein politischer Schaden erwuchs.

Der XX. Parteitag löste eine neue Belebung in der Literatur aus, die als „zweites Tauwetter“ bezeichnet wurde. Aber der ungarische Aufstand im Jahre 1956 und die auf das „zweite Tauwetter“ folgenden Reaktionen der Konservativen, die an die Partei appellierten, eine härtere Linie einzuschlagen, führten schon im Herbst 1956 zu einer neuen Abkühlung. Die Konservativen befürchteten von den nonkonformen Literaten, die die „Wahrheit“ und „Aufrichtigkeit“ zum Kriterium der Literatur machten und demzufolge, wo sie konnten, harte Kritik an Überresten des Stalinismus übten, dass die eines Tages auch Grundprinzipien des Sowjetstaates, z.B. das Machtmonopol der KPdSU in Frage stellen könnten.

Nach der Abrechnung Chruschtschows mit Stalin ging die Entwicklung zur Meinungsvielfalt weiter; das Buchsortiment stieg nach dem XX. Parteitag schnell an; im Jahre 1956 erschien die im Jahre 1941 eingestellte Konsomol-Zeitschrift „Junge Garde“ wieder als Monatsschrift. Als spontane Publikationen der Nonkonformen konnten die beiden Sammelbände „Literarisches Moskau“ und – von nun an alljährlich und in immer mehr Städten- interessante Bände mit dem Titel „Tag der Poesie“ erscheinen. Im November 1956 wurde durch einen ZK-Beschluss die Herausgabe einer literaturwissenschaftlichen Zeitschrift verfügt, die ab dem Jahre 1957 als „Fragen an die Literatur“ erschien. Die Tendenz zur Verwissenschaftlichung, die sich auf anderen Gebieten durch die Übernahme früher verpönter naturwssenschaftlichen Theorien (Quantenmechanik, Relativitätstheorie) und moderner Forschungszweige (Kybernetik, Soziologie) zeigte, machte sich auch in der Literaturwissenschaft durch das größere Bemühen um historische Objektivität und methodische Modernisierung bemerkbar. Seit dem Jahre 1957 erschien in Leningrad die literaturhistorische Zeitschrift „Russische Literatur“.

Die Schul- und Hochschulreform von 1958/1959

Auf dem XIII. Kongress des Komsomol im April 1958 trug Chruschtschow zum ersten Mal ausführlich in der Öffentlichkeit die Gründe und Pläne für eine umfassende Reform des Bildungswesens vor. Ein Zeichen des neuen politischen Führungsstils im Gegensatz zur Stalin-Ära war die von ermutigte, lebhaft einsetzende öffentliche Diskussion mit kontroversen Standpunkten über die Kernpunkte der Reform. Die Diskussionen erreichten ihren Höhepunkt, nachdem Chruschtschow in eigenen Memorandum vom 19.09.1958 noch einmal ausführlich seine Vorschläge zur „Festigung der Verbindung der Schule mit dem Leben und zur weiteren Entwicklung des Volksbildungssystem im Lande“ dargelegt und dem ZK der Partei zugeleitet hatte. Daraufhin wurden vom ZK der KPdSU und vom Ministerrat der UdSSR insgesamt 47 Thesen zur Bildungsreform verabschiedet und am 16. November 1958 veröffentlicht. Sie bildeten die Grundlage für das am 24.12.1958 vom Obersten Sowjet der UdSSR beschlossene Gesetz. In den Monaten März bis Mai 1959 wurden dann in den einzelnen Unionsrepubliken entsprechende Gesetze – mit gelegentlich geringfügigen Unterschieden, für die jeweilige Republik verabschiedet.

Der Grundgedanke der Reform bestand gemäß der These 11 darin, „die gesamte Jugend von einem gewissen Alter an in die gesellschaftlich nützliche Arbeit einzubeziehen und den Unterricht in den Grundlagen der Wissenschaft mit produktiver Arbeit in Industrie und Landwirtschaft zu verbinden. Daraus folgt auch die Notwendigkeit, in der Mittelschule ein richtiges Verhältnis zwischen der allgemeinen, polytechnischen und beruflichen Bildung herzustellen.“

In seiner Rede auf dem Komsomolkongress drückte sich Chruschtschow deutlicher aus: „Jeder Junge und jedes Mädchen muß wissen, daß sie sich beim Lernen in der Schule auf die Arbeit vorbereiten müssen, um für die Menschen und die Gesellschaft nützliche Werte zu schaffen. Für jeden darf es, unabhängig von der Stellung der Eltern, nur einen Weg geben, zu lernen und, nachdem er ausgelernt hat, zu arbeiten.“

Die angestrebte Verbindung von Bildung und Produktion bekam neben dem erwähnten arbeitsökonomischen Zweck und der bildungstheoretischen Begründung eine starke gesellschaftliche Note. Chruschtschow meinte auf diese Weise die soziale Entfremdung zwischen der sowjetischen Intelligenz und der Masse der Produktionsarbeiter und Kolchosbauern überwinden zu können. Er schlug folgendes vor: „Meiner Ansicht sollten alle Schüler ohne Ausnahme, nachdem sie die siebente oder achte Klasse beendet haben, in die gesellschaftlich nützliche Arbeit in den Betrieben, Kollektivwirtschaften usw. einbezogen werden. Ob in der Stadt, im Dorf oder in der Arbeitersiedlung, im ganzen Land müssen alle Schulabgänger in die Produktion gehen; keiner soll darum herumkommen. Das wird erstens demokratisch sein, da für alle Bürger gleiche Bedingungen geschaffen werden: weder die Stellung der Eltern noch deren Gesuche werden irgend jemanden von der produktiven Arbeit befreien; zweitens wird das eine ausgezeichnete Schule der Erziehung unserer gesamten Jugend im Geiste der heldenhaften Traditionen der Arbeiter- und Bauernklasse sein.“

Chruschtschow versuchte in seiner Bildungspolitik, den dialektischen Zusammenhang der ökonomischen und pädagogischen Aufgabe deutlich zu machen, der seit dem Programm der sozialistischen Kulturrevolution als Lenins leitendes Prinzip der sowjetischen Erziehungs- und Bildungspolitik war. Auf dem Allrussischen Lehrerkongress im Juli 1960 führte er aus: „Wir lösen gegenwärtig zwei Aufgaben: die Schaffung der materiell-technischen Basis des Kommunismus und die Erziehung des neuen Menschen. Im Grunde genommen ist das ein einheitlicher Prozeß. Bleiben wir mit der Bildung und Erziehung des Sowjetmenschen zurück, dann wird unvermeidlich der gesamte Aufbau des Kommunismus ins Stocken geraten.“

Unter Chruschtschow wurde der Versuch unternommen, die revolutionären Potenzen des ideologischen Fernziels zu reaktivieren und die Vision des Kommunismus zu einer unmittelbar motivierenden politischen Kraft werden zu lassen. Das neue Parteiprogramm der KPdSU, das auf dem XXII. Parteitag im Oktober 1961 verabschiedet wurde, enthielt einen Zwanzigjahresplan, an dessen Ende die klassenlose kommunistische Gesellschaft stehen sollte. Als wichtigste Aufgaben auf dem Gebiet der Erziehung des kommunistischen Bewusstseins nannte das Programm sieben Punkte:

  1. Formung einer wissenschaftlichen Weltanschauung,
  2. Erziehung zur Arbeit,
  3. Entwicklung und Sieg der kommunistischen Moral,
  4. Entwicklung des proletarischen Internationalismus und des sozialistischen Patriotismus,
  5. allseitige und harmonische Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit,
  6. Überwindung der Überbleibsel des Kapitalismus im Bewusstsein und Verhalten des Menschen,
  7. Entlarvung der bürgerlichen Ideologie.

Die durch das Unions- und die Republikgesetze beschlossenen Reformen erstreckten sich auf die Struktur des Bildungswesens und auf die Inhalte und Methoden von Erziehung, Unterricht und Studium. Zwischen 1959 und 1963 wurde der gesetzlich vorgeschriebene Rahmen durch zahlreiche weitere Verordnungen und Instruktionen auszufüllen gesucht. Die sowjetischen Schulen und Hochschulen erlebten eine ähnliche Phase der Experimente wie um das Jahr 1930, wenn auch in einem zahlenmäßig größerem Umfang.

Das Gesetz vom 24.12.1958 verlängerte die allgemeine Schulpflicht von sieben auf acht Jahre; die Umstellung sollte innerhalb von fünf Jahren erfolgen. Die Stundentafel der neuen Achtjahresschule wies neben den herkömmlichen Unterrichtsfächern 15,3% der zur Verfügung stehenden Zeit für den Werkunterricht aus. Diese Arbeitserziehung sollte auf den polytechnischen Produktionsunterricht vorbereiten, der sich innerhalb der reformierten Mittelschule abspielte. Sie bekam jetzt den Namen „allgemeinbildende polytechnische Arbeits-Mittelschule mit Produktionsunterricht“ und wurde um ein Jahr, d.h. auf insgesamt elf Schuljahre verlängert. Ein Drittel der wöchentlichen Unterrichtszeit in den Klassen 9 bis 11 war nunmehr technischen Fächern, theoretischem und praktischem Produktionsunterricht sowie der „produktiven Arbeit“ vorbehalten. Die Schüler gingen meistens an zwei Tagen in der Woche in Fabriken und auf Baustellen, arbeiteten in landwirtschaftlichen Betrieben mit oder erfüllten in Schulwerkstätten bestimmte Produktionsaufträge der Industrie. Sie wurden für ihre Arbeit nach den bestehenden Normen und Lohntarifen bezahlt. Die Absolventen der Mittelschule erhielten, gemäß der neuen Schulordnung vom 29.12.1959, zusammen mit dem Abiturzeugnis „ein Zeugnis über die erworbene Qualifikation in dem gewählten Beruf“

Als den besten Weg zum Erwerb einer vollständigen mittleren Schulbildung hatte Chruschtschow im Herbst 1958 die Schulen der Arbeiter- und Landjugend bezeichnet, die im folgenden Jahr den Namen „allgemeinbildende Abend-bzw.-Schicht-Mittelschulen“ erhielten. Aus den früheren Schulen für eine nachholende Bildung sollte der Prototyp eines produktionsverbundenen Ausbildungsganges werden, der allgemeine und berufliche Elemente miteinander verband und die Trennung zwischen „Schule und Leben“ am besten zu überwinden versprach. Dieser Schultyp expandierte zwischen 1958/1959 und 1962/1963 am stärksten; die Schülerzahl stieg von 2,32 Millionen auf 3,96 Millionen, wovon allerdings nur 1,88 Millionen die drei Oberklassen besuchten.

Neben den drei genannten Hauptformen des allgemeinbildenden Schulwesens wurden durch die Reformen von 1958/1959 drei weitere Erziehungseinrichtungen in besonderem Maße weiter ausgebaut:

  1. Die Vorschulerziehung,
  2. Die Internatsschulen,
  3. Die Ganztagsgruppen oder –schulen.

Die bisher getrennt bestehenden und verwalteten Kinderkrippen (bis zu drei Jahren) und Kindergärten (3-7 Jahre) wurden zu einer gemeinsamen Vorschuleinrichtung für Kinder zusammengelegt und den für das Schulwesen zuständigen Behörden unterstellt.

Die Internatsschulen wurden schon im Jahre 1956 gegründet. In gewisser Hinsicht verkörperten sie das Zukunftsmodell der angestrebten Erziehung im entwickelten Stadium der kommunistischen Gesellschaft.

In der Akademie der pädagogischen Wissenschaften wurde geschätzt, dass bis zum Jahre 1980 40 Millionen Kinder in Vorschuleinrichtungen und 55 bis 60 Millionen Schüler in Internats- und Ganztagsschulen untergebracht sein würden.

Im Bereich der beruflich-technischen Bildung brachte das Reformgesetz von 1958 vor allem eine organisatorische Vereinheitlichung mit sich. Die verschiedenen Anstalten im System der staatlichen Arbeitsreserven sollten im Laufe von drei bis fünf Jahren in städtische beruflich-technische Tages- und Abendschulen mit ein- bis dreijähriger Dauer und in ländliche Schulen desselben Typs mit ein- bis zweijähriger Unterrichtszeit umgewandelt werden. Die bisherige Hauptverwaltung der Arbeitsreserven wurde im Jahr 1959 in „Staatskomitee des Ministerrats der UdSSR für beruflich-technische Bildung“ umbenannt und in ein allgemeines Leitungs- und Koordinierungsorgan verwandelt, während die einzelnen Republikbehörden größere Vollmachten erhielten. Da durch die Reform die bisherige allgemeinbildende Mittelschule ebenfalls Aufgaben einer beruflichen Ausbildung übertragen bekam, blieb die Frage offen, wie sich in Zukunft das Verhältnis beider Ausbildungsbereiche zueinander gestalten würde.

Für die sowjetischen Hochschulen und die mittleren Fachschulen bedeutete die Reform von 1958/1959 ebenfalls einen erheblichen Einschnitt, wie für das allgemeinbildende Schulwesen. Im Prinzip wurde auch hier die Verbindung von Studium und gesellschaftlich nützlicher Arbeit proklamiert, allerdings mit dem Zusatz, dass „die konkreten Formen der Verbindung der Ausbildung mit der Praxis, mit der Arbeit je nach der Fachrichtung der Hochschule, nach der Zusammensetzung der Studentenschaft sowie nach den nationalen und lokalen Besonderheiten festgelegt werden“

Eine wichtige Veränderung betraf die Aufnahmebestimmungen zum Hochschulstudium. Hier waren bereits vor dem Reformgesetz seit dem Jahre 1955 schrittweise die Zulassungsbedingungen dahingehend geändert worden, dass „in erster Linie Personen in die Hochschulen aufgenommen werden, die eine mindestens zweijährige Arbeitspraxis in der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion oder in anderen Zweigen der Volkswirtschaft und Kultur abgeleistet und sich bei dieser Arbeit bewährt haben. Das gleiche Recht wird den aus der Reihe der Sowjetarmee und der Kriegsflotte Demobilisierten gewährt.“

Diesen Bewerbern wurden bis zu 80% der freien Studienplätze zur Verfügung gestellt, gleichzeitig wurden die Privilegien der Gold- und Silbermedaillenträger unter den Abiturienten vermindert. In manchen Studienfächern wurden die Neuzulassungen ausnahmslos von einer zweijährigen Arbeitstätigkeit abhängig gemacht. Von 1957 bis 1960 stieg der Anteil der für ein Studium zugelassenen Studenten, die über praktische Arbeitserfahrungen verfügten, von 28 auf 59%.

Ähnlichen sozialpolitischen Motiven entsprang auch die im September 1959 geregelte „Kommandierung“ ausgewählter „Praktiker“ zum Studium durch die Betriebe, Kolchosen und Behörden sowie die Bevorzugung des Abend- und Fernstudiums an den Hochschulen und Fachschulen. Diese Studienform rückte in der Prioritätenskala nunmehr an die erste Stelle. Es war beabsichtigt, dass einige Studiengänge überwiegend im Fernunterrichtssystem absolviert werden sollten, andere mit dem Tagesstudium begonnen und anschließend während der praktischen Produktionstätigkeit im Abendstudium abgeschlossen wurden.

Eine Verordnung vom 02.07.1959 legte umfassende Vergünstigungen (Beurlaubung mit Lohnfortzahlung) für die einzelnen Abschnitte des Fern- und Abendstudiums fest. Im Jahre 1960 gab es 30 selbständige Abend- und Fernhochschulen sowie 880 Fern- und Abendfakultäten an den regulären Hochschulen. Der kontinuierliche Anstieg der Abend- und Fernausbildung in den Hochschulen, der schon Anfang der 1950er Jahre beträchtlich war, führte seit 1959 dazu, dass im Hochschulwesen die Gruppe der Fern- und Abendstudenten die der Vollzeitstudenten überholte und an den mittleren Fachschulen knapp die Hälfte betrug.

Die Bevorzugung des Fern- und Abendstudiums, die durch die Reform bewirkt wurde, sollte auch der angestrebten stärkeren „Verbindung des Studiums mit der Produktion“ dienen. Dieser Studienweg schien am ehesten zu gewährleisten, dass die von Chruschtschow beklagte Entfremdung der Intelligenz von den Werktätigen aufgehoben wurde und zugleich eine an den berufspraktischen, konkreten Bedürfnissen der Wirtschaftszweige orientierte Ausbildung erfolgte. Für alle Studienrichtungen, nicht nur für die technischen oder landwirtschaftlichen, wurden Zahl und Dauer der Produktionspraktika erhöht und in den Studienablauf eingebaut. In der neuen „Ordnung für die Hochschulen der UdSSR“ vom 21.03.1961, die das Statut aus dem Jahre 1938 ablöste, wurden die daraus resultierenden Veränderungen ebenfalls berücksichtigt. Die didaktischen und organisatorischen Probleme, die bei der Durchführung auftraten, gaben jedoch zu ständigen Klagen und neuen Vorschriften Anlass. Rund fünf Jahre nach Beginn der Reform musste sich eine gemeinsame Verordnung von ZK und Ministerrat vom 09.05.1963 mit den bestehenden Mängeln auseinandersetzen.

Die engste Verbindung von Berufsarbeit und Studium verkörperten die Technischen Betriebshochschulen, deren Errichtung an technisch führenden Industriebetrieben Ende 1959 beschlossen wurde. Die Technischen Betriebshochschulen sollten vor allem eine betriebseigene Intelligenz heranbilden, indem sie „Ingenieure aus den Reihen des betreffenden Betriebes ausbilden, und zwar in der Weise, daß die theoretischen Kenntnisse der Studierenden mit ihrer produktiven Arbeit im Betrieb auf ihrem Fachgebiet (…) während der ganzen Ausbildung und unter breiter Ausnutzung der Produktions- und Laboratoriumsbasen verbunden werden.“

Im Jahre 1963 studierten auf diese Weise an den 5 bestehenden Fachhochschulen etwa 7.000 Personen.

Die Veränderungen in der Wissenschaftspolitik, die sich auf dem XX. Kongress der KPdSU angedeutet hatten, konzentrierten sich im Jahre 1961 auf eine Reihe von politischen und organisatorischen Maßnahmen. Sie besaßen die Qualität einer historischen Zäsur in der wissenschaftspolitischen Entwicklung. Dazu kam, dass es sich nicht nur um organisatorische Maßnahmen handelte, sondern dass durch neue Definitionsversuche der Rolle der Wissenschaft ein Funktionswandel begründet wurde, der dazu berechtigte, die 1960er Jahre al eine eigene Periode der sowjetischen Wissenschaftspolitik aufzufassen.

Seine prägnanteste Formulierung fand dieser Funktionswandel der Wissenschaft in dem neuen Programm der KPdSU, das am 30.10.1961 vom XXII. Kongress der KPdSU angenommen wurde. Im Kapitel über die „Aufgaben der Kommunistischen Partei der Sowjetunion beim Aufbau der kommunistischen Gesellschaft“ wurde im Zusammenhang mit den Aufgaben der Partei beim wirtschaftlichen Aufbau, bei der Schaffung und Entwicklung der materiell-technischen Basis des Kommunismus auch zur Industrie Stellung genommen. Dabei wurde festgestellt, dass die „maximale Beschleunigung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts“ zu den wichtigsten Aufgaben der sowjetischen Bevölkerung gehörte. Über die Rolle der Wissenschaft hieß es dann: „Die Partei wird alles tun, um beim Aufbau der kommunistischen Gesellschaft der ‚Wissenschaft’ noch mehr Gewicht zu verleihen, um Forschungen zu fördern, durch die neue Möglichkeiten zur Entwicklung der Produktivkräfte entdeckt werden, und den neuesten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen auf jede Weise und schnellstens Eingang in die Praxis zu verschaffen, die Forschungs- und Versuchsarbeiten, namentlich unmittelbar in der Produktion, entschieden zu intensivieren und die wissenschaftliche und technische Information sowie das ganze System der Auswertung und Weiterleitung der besten Erfahrungen des In- und Auslands mustergültig zu gestalten. Die Wissenschaft wird in vollem Maße zu einer unmittelbaren Produktivkraft.“

Die Formel von der Wissenschaft als einer unmittelbaren Produktivkraft hat während der 1960er Jahre in der wissenschaftspolitischen Diskussion als Leitmotiv gewirkt. In der Theorie markierte sie für die Sowjetunion den Übergang von der partiellen zur systematischen Wissenschaftspolitik, als deren Kennzeichen die Leitung der wissenschaftlichen Forschung im Gesamtmaßstab der Sowjetunion anzusehen ist. Die enge Verbindung der Wissenschaft mit Technik und Produktion fand auch darin ihren Ausdruck, dass man in diesem Zusammenhang von einem „System Wissenschaft-Produktion“ sprach. Inhaltlich ging es darum, sich von der Konzeption einer in mehrere, vertikal gegliederte Bereiche geteilten Durchführung der wissenschaftlichen Forschung, wie sie sich organisatorisch im Laufe der 1930er Jahre herausgebildet hatte, zu trennen. Auch die Teilung zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Entwicklung erschien nach dieser neuen Definition nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen war das „System Wissenschaft-Produktion“ aufzufassen als ein einheitlicher Innovationsprozess, der von der ersten theoretischen Hypothese über die verschiedenen Stadien der Entwicklung und Erprobung bis hin zum fertigen Produkt oder Verfahren einen in sich zusammenhängenden Vorgang bildete.

Dieser neuen Auffassung standen nicht nur organisatorische Schwierigkeiten entgegen, sondern auch Eigentümlichkeiten der sowjetischen Wirtschaftsverwaltung, die sich unmittelbar aus der sozialistischen Gesellschaftsordnung ergaben. Die Einführung neuer Verfahren oder Produkte in der Produktion stieß nicht selten auf den Widerstand in den Betrieben, denen primär nicht an Gewinnmaximierung, sondern an Planerfüllung gelegen sein musste. Es gewannen daher Überlegungen die Oberhand, wie die Sicherung der Verbindung zwischen wissenschaftlicher Forschung und der Einführung ihrer Ergebnisse in den Produktionsprozess zu gewährleisten sei: dies machte den Gegenstand der wissenschaftspolitischen Diskussion in den 1960er Jahren in der Sowjetunion aus.

Nach Stalins Tod wurden die kulturellen und wissenschaftlichen Austauschprogramme wieder belebt. Zunächst wurden systematisch mit allen volksdemokratischen Ländern Abkommen über den wissenschaftlichen Austausch geschlossen. Der Hochschulbereich und der wissenschaftlich-technische waren allgemein durch Sonderabkommen gedeckt. Die Akademie der Wissenschaften der UdSSR hat in der Regel selbständige Abkommen mit analogen Institutionen anderer Länder abgeschlossen. Partner waren unter anderem die Royal Society, National Academy of Sciences of the USA, American Council of Learned Societies und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die zum Zuständigkeitsbereich des Staatskomitees für Wissenschaft und Technik gehörende angewandte Forschung, insbesondere die Ingenieurswissenschaften, waren vom individuellen Austausch ausgeschlossen. Teils unmittelbar von der westlichen Industrie, teils von staatlichen Stellen wurden Gruppeninformationsreisen vereinbart.

Zahlenmäßig das größte Gewicht hatte der Austausch mit dem Ministerium für Hochschul- und mittlere Fachschulbildung der UdSSR, dem alle Universitäten und Hochschulen unterstanden. Es handelte sich nicht um einen Studentenaustausch, da von sowjetischer Seite aus lediglich Hochschulabsolventen, bevorzugt Aspiranten, die ihre Dissertation vorbereiteten, entsandt wurden. Von sowjetischer Seite aus wurden etwa 80% qualifizierte Nachwuchswissenschaftler der technischen und naturwissenschaftlichen Fächer entsandt, die eine Fortbildung in aktuellen Schwerpunktgebieten anstrebten. Neben dem langfristigen Austausch wurde ein kurzfristiger für Hochschullehrer durchgeführt. Der Austausch von Wissenschaftlern bildete für die Sowjetunion insbesondere im ökonomisch-technischen Bereich ein großes Anliegen. Das von der KPdSU gesetzte Ziel, „auf allen Hauptgebieten die führenden Positionen in der internationalen Wissenschaft einzunehmen“, prägte die Struktur (Entsendungssystem, Ablehnung und Begrenzung westlicher Anträge) sowjetischer internationaler Wissenschaftspolitik.

Die Revision der Chruschtschow-Reform

Am 13.08.1964 veröffentlichte die sowjetische Presse eine gemeinsame Verordnung des ZK und des Ministerrats „Über die Änderung der Schulzeit in den allgemeinbildenden polytechnischen Arbeits-Mittelschulen mit Produktionsunterricht.“ Hinter der scheinbar bloß schulorganisatorischen Maßnahme einer Verkürzung der Unterrichtsdauer von elf wiederum nur zehn Jahre verbarg sich in Wirklichkeit der Anfang einer wichtigen Revision der Schulreform aus dem Jahre 1958. Durch den zwei Monate später, im Oktober 1964, erzwungenen Rücktritt Chruschtschows von seinen Partei- und Staatsämtern trat diese Maßnahme noch deutlicher als ein Wendepunkt der Schulpolitik hervor.

Auf der Mitte August 1964 tagenden, jährlich stattfindenden Gesamtrussischen Volksbildungskonferenz, erläuterte der Minister für das Bildungswesen der RSFSR, E. I. Afanesenko, die angekündigten neuen Maßnahmen. Er stellte fest, dass „die Erfahrung von fünf Jahren gezeigt hat, daß die Verlängerung der Unterrichtsdauer in der Mittelschule um ein Jahr, das im allgemeinen für den Produktionsunterricht verbraucht wurde, sich in der Mehrzahl der Fälle nicht bewährt hat: der Produktionsunterricht verwandelte sich infolge des Fehlens richtiger Bedingungen nicht selten als eine nutzlose Zeitvergeudung. Dieser Stand der Dinge rief bei den Schülern, ihren Eltern und in der Öffentlichkeit ernste Unzufriedenheit hervor.“

Seit Mitte 1963 hatte sich schon eine Kritik an den Mängeln der Berufsausbildung in der Mittelschule artikuliert. In der RSFSR empfahl schon im Herbst 1963 der Volkswirtschaftsrat eine Kürzung der Schulzeit, andere Republiken schlossen sich dem an.

Von entscheidendem Einfluss waren die bedenken der höchsten wissenschaftlichen Instanz, der Akademie der Wissenschaften, gegen eine Fortführung des Chruschtschow-Experimentes. Schon im Jahre 1958 hatten bekannte Mathematiker und Naturwissenschaftler die Befürchtung geäußert, dass durch die obligatorische Einführung einer zeitraubenden praktischen Berufsvorbereitung besonders diejenigen Schüler in ihrer Entwicklung gehemmt würden, deren wissenschaftliche Begabung deutlich erkennbar war und aus denen der wissenschaftliche Nachwuchs hervorging. Die Entwicklung seit dem Jahre 1958 gab diesen geäußerten Befürchtungen Recht. Die allgemein festgestellte Tendenz einer Niveausenkung in den technischen Fächern, die besonders bei den Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen auftrat, wurde vor allem auf die Überlastung der Schüler durch den Produktionsunterricht zurückgeführt.

Andererseits blieben in den meisten Fällen die von der Reform erhofften positiven Ergebnisse für eine bessere Berufsorientierung ebenfalls aus. Wie veröffentlichte soziologische Studien zeigten, ergab sich nur in einer geringeren Zahl der Fälle eine positive Korrelation zwischen den am Ende der Schulzeit erworbenen Berufsqualifikationen und der danach von den Jugendlichen ergriffenen beruflichen Tätigkeit. Somit erwies sich sowohl der aus planökonomischen als auch aus pädagogischen Überlegungen der Versuch, von Seiten der Schule die Mängel der Arbeitskräftepolitik zu korrigieren, als ein Fehlschlag. Anfang März 1965 konstatierte der damalige Präsident der Akademie der pädagogischen Wissenschaften, I.A. Kairov, als Fazit der Reform: „Die Erfahrung hat überzeugend gezeigt, daß sich die Berufsausbildung der Schüler im Rahmen der Mittelschule nicht bewährt hat. Unter den Bedingungen unseres Landes erwies sich es als untauglich, das territoriale Prinzip bei der Erfassung der Schüler durch die allgemeinbildende Schule mit der Planung und Organisation der Berufsausbildung in Einklang zu bringen und dabei die Bedürfnisse der jeweiligen Wirtschaftsbezirke an Kadern in Rechnung zu stellen. Die persönlichen Interessen und Neigungen der Schüler wurden dabei fast gar nicht berücksichtigt.“

Aufgrund der Verordnung vom August 1964 sollten die elften Klassen mit Ende des Schuljahres 1965/1966 auslaufen und Lehrpläne sowie Stundentafeln entsprechend verändert werden. Nach der neuen Regelung wurde der Anteil des Produktionsunterrichts in den Klassen 9 und 10 um eine Viertel der Wochenstundenzahl herabgesetzt. Im März 1966 wurde die obligatorische Berufsausbildung in den Mittelschulen auch formell aufgehoben.

Der Fehlschlag der Reformen von 1958/1959 auf einem zentralen Gebiet der kommunistischen Bildungstheorie, wie ihn die Verbindung von Unterricht und Produktion darstellte, führte zu einer Neueinschätzung der Bildungsaufgaben der Mittelschule und einer gründlichen Überarbeitung der Lehrpläne.

Im Oktober 1964 wurde eine zentrale Kommission zur Bestimmung des Inhaltes der Bildung in der allgemeinbildenden Mittelschule ins Leben gerufen, der Wissenschaftler der verschiedenen Disziplinen, Unterrichtsmethodiker und leitende Funktionäre des Bildungswesens unter Vorsitz des Vizepräsidenten der Akademie der pädagogischen Wissenschaften, A. I. Markusevic, angehörten und der 15 Fachkommissionen angeschlossen waren. Innerhalb von zwei Jahren wurden durch eine in der Geschichte der sowjetischen Schule bisher einmalige Kooperation von Wissenschaftlern, Schulpraktikern und Politikern neue Lehrpläne für den Unterricht der Klassen 1 bis 10 erarbeitet. Die neuen Lehrpläne sollten „die modernsten Errungenschaften der Wissenschaft, Technik und Kultur vollständiger und organischer zum Ausdruck bringen als bisher und die theoretischen Grundlagen im Unterricht verstärken.“

Die polytechnische Bildung erfuhr eine didaktische Differenzierung, die aber nicht verhindern konnte, dass sie an den Rand des Unterrichts gedrängt wurde.

Den Schlusspunkt der ca. zehnjährigen Schulreformperiode bildete die gemeinsame Verordnung des ZK und des Ministerrats vom 10.11.1966 „Über Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Arbeit der allgemeinbildenden Mittelschule“. Das Anliegen war eine Rationalisierung der Reformschritte, eine bessere wissenschaftliche Begründung und einer größeren Stetigkeit des Innovationsprozesses. Die Hauptpunkte der Verordnung betrafen die Verwirklichung der zehnjährigen Schulbildung für alle Jugendlichen bis zum Jahre 1970, die gleichzeitige Einführung der neuen Lehrpläne, eine Differenzierung des Unterrichts in den oberen Klassen sowie die Verbesserungen in der Lehrerbildung und in der materiellen Ausstattung der Schulen.

Der durch die Verordnung vom 10.11.1966 markierte Einschnitt wurde auch dadurch deutlich, dass im August 1966 ein zentrales Ministerium für das Bildungswesen der UdSSR geschaffen wurde, das erste gesamtstaatliche Ministerium für das allgemeinbildende Schulwesen und der Lehrerausbildung seit der Oktoberrevolution. Gleichzeitig erfolgte die Umwandlung der Akademie der pädagogischen Wissenschaften der RSFSR in eine Unionsakademie.

Beide Maßnahmen verdeutlichen die Absicht, die sowjetische Bildungsplanung koordinierter, langfristiger und wissenschaftlich gründlicher zu betreiben, um damit besser den vielfältigen Aufgaben gewachsen zu sein.

Am 9. Mai 1945 um 0.01 mitteleuropäischer Zeit ruhten die Waffen. Der 2. Weltkrieg, der nach dem Willen der nationalsozialistischen Regierung und ihrer Helfershelfer in allen Teilen der Bevölkerung Deutschland zur führenden Weltmacht erheben und ein tausendjähriges „Germanisches Reich“ begründen sollte, mündete in einen vollständigen Zusammenbruch des deutsches Staates und die Auflösung aller überkommenen Ordnung. Die deutsche selbsternannte „Herrenrasse“ hatte es nicht geschafft, sich militärisch gegen die „bolschewistischen Untermenschen“ und ihre Verbündeten durchzusetzen.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden Schätzungen zufolge über 65 Millionen Menschen getötet. Es kamen mehr Zivilisten um als Soldaten bei Kampfhandlungen. Am stärksten betroffen war die Sowjetunion mit etwa 27 Millionen getöteten Menschen, davon ungefähr die Hälfte als Soldaten, von denen drei Millionen in deutscher Kriegsgefangenschaft starben. In den sowjetischen Opferzahlen sind die ca. 650.000 getöteten Soldaten der 1939/40 von der UdSSR annektierten baltischen Staaten enthalten.[9] Zu den vielen Verwundeten müssen auch zahlreiche als Deserteure verurteilte Soldaten hinzugezählt werden, die depressiv oder geisteskrank und deshalb unfähig zum Militärdienst waren, aber trotzdem verurteilt wurden, um die „Moral der Truppe aufrecht“ zu erhalten. Das geschah nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen kriegsbeteiligten Staaten. Sehr viele Zivilisten kamen bei den Schlachten um Stalingrad, Breslau, Königsberg, während der Leningrader Blockade und der Aushungerung von Charkow ums Leben.[10]

Am Ende des 2. Weltkriegs befanden sich 25 Millionen Deutsche – Flüchtlinge, Ausgebombte, Evakuierte, Kriegsgefangene, befreite KZ-Häftlinge – außerhalb ihres ursprünglichen Heimatortes, unzählige Familien waren zerrissen und von der Sorge um das Schicksal ihrer Angehörigen zermürbt.[11] Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen waren unterbrochen, die großen Städte verödet und zerstört. In Köln lebten von ca. 730.000 Einwohnern der Vorkriegszeit nur noch 40.000 in Kellern und notdürftig ausgebesserten Häusern.

Die von den alliierten Truppen befreiten Konzentrationslager enthüllten einen Schrecken, der das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Vernichtungslogik und Menschenverachtung zum Ausdruck brachte.[12] Nach der Befreiung der KZ-Gefangenen und deren medizinischer Versorgung sahen die Alliierten die Notwendigkeit, die deutsche Bevölkerung mit den unter ihren Augen begangenen Verbrechen zu konfrontieren. In den Konzentrationslagern wurden die unglaublichen Verbrechen sichtbar – auch für Menschen, die nicht bereits Augenzeugen der Verbrechen gewesen waren. Die örtliche Bevölkerung aus der Nachbarschaft der KZs wurde gezwungen, Lagerteile und Leichen der dort Ermordeten anzusehen. Sie wurde mehrfach gezwungen, Tote in würdigen Gräbern zu bestatten. Dabei ging es um unbestattete Leichen oder Umbettungen von Leichen aus Massengräbern.

Das Grauen des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau übertraf alles, was man sich bisher vorstellen konnte: Einige Krematorien und Gaskammern des KZ Birkenau wurden schon ab November 1944 abgerissen. Die Verbrennungsöfen wurden demontiert und sollten jüngsten Studien zufolge in dem noch als sicher geltenden KZ Mauthausen wieder aufgebaut werden. Das letzte Krematorium sprengten die Nationalsozialisten kurz vor der Befreiung des Lagers durch die anrückenden sowjetischen Truppen im Januar 1945. Zwischen dem 17. Januar 1945 und dem 23. Januar wurden etwa 60.000 Häftlinge evakuiert und in Todesmärschen nach Westen getrieben.

In den Lagern und Außenstellen blieben etwa 7500 Häftlinge zurück, die zu schwach oder zu krank zum Marschieren waren. Mehr als 300 wurden erschossen; man nimmt an, dass eine geplante Vernichtungsaktion nur durch das rasche Vorrücken der Roten Armee verhindert wurde.

Zuerst wurde das Hauptlager Monowitz am Vormittag des 27. Januar 1945 durch die 322. Infanteriedivision der 60. Armee der 1. Ukrainischen Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Pawel Kurotschkin befreit. Von den dort zurückgelassenen Gefangenen – die Angaben reichen von 600 bis 850 Personen – starben trotz medizinischer Hilfe 200 in den Folgetagen an Entkräftung.

Das Stammlager und Auschwitz-Birkenau wurden – auch durch die Soldaten der 322. Division – schließlich am frühen Nachmittag des 27. Januar befreit. In Birkenau waren fast 5.800 entkräftete und kranke Häftlinge, darunter fast 4.000 Frauen, unversorgt zurückgeblieben. In den desinfizierten Baracken wurden Feldlazarette eingerichtet, in denen die an Unterernährung und Infektionen leidenden und traumatisierten Häftlinge versorgt wurden.

Einige Tage später wurde die Weltöffentlichkeit über die Gräueltaten informiert. Die Ermittler fanden über eine Million Kleider, ca. 45.000 Paar Schuhe und sieben Tonnen Menschenhaar, die von den KZ-Wächtern zurückgelassen wurden.

In den Jahren 1940 bis 1945 wurden in die Konzentrationslager Auschwitz mindestens 1,1 Millionen Juden, 140.000 Polen, 20.000 Sinti und Roma sowie mehr als 10.000 sowjetische Kriegsgefangene deportiert. Knapp über 400.000 Häftlinge wurden registriert. Von den registrierten Häftlingen sind mehr als die Hälfte aufgrund der Arbeitsbedingungen, Hunger, Krankheiten, medizinischen Versuchen und Exekutionen gestorben.

Die nicht registrierten 900.000 nach Birkenau Deportierten wurden kurz nach der Ankunft ermordet. Als Obergrenze der Todesopfer im Konzentrationslager- und Vernichtungslagerkomplex Auschwitz wird die Zahl von 1,5 Millionen Opfern angegeben.

Eine „Befreiung“ wurde nur in der sowjetischen Besatzungszone öffentlich propagiert[13], in der westdeutschen Erinnerungspolitik und öffentlichen Diskussionskultur tauchte der Begriff erst viel später auf. Eben nicht für die Mehrheit, die ihre Hoffnung eher auf einen deutschen „Endsieg“ gesetzt hatte, aber für kleinere Gruppen war es durchaus eine reale Befreiung gewesen: für die Insassen der Konzentrationslager, für die in der Zeit des Nationalsozialismus politisch Verfolgten wie Sozialdemokraten, Kommunisten, Pazifisten, Christen oder für ausländische Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene.

Eine große Zahl der aus der Haft oder von der Arbeitszwangsverpflichtung befreiten Ausländer – Displaced Persons (DP’s) – drängte darauf, in ihre Heimatländer zurückgebracht zu werden.[14][15] Aus den von den sowjetischen Truppen besetzten Ostgebieten kamen weitere Displaced Persons in die Westzonen – darunter Angehörige der in die Sowjetunion einverleibte baltische Staaten, sowjetische und polnische Staatsbürger, die ihrer alten Heimat den Rücken kehrten. Eisenhower stellte fest:[16] „Von allen betrüblichen Eindrücken aus Europa, welche den amerikanischen Kriegsteilnehmern stets in Erinnerung bleiben werden, wird nichts so deutlich und bleibend sein wie der Gedanke an die DP’s und die von den Deutschen errichteten Lager des Grauens.“

Der Krieg hatte ein Drittel des deutschen Staatsvermögens von 1936 vernichtet, ein Fünftel aller gewerblichen Bauten und Produktionsmittel, zwei Fünftel aller Verkehrsanlagen, 15% des Wohnraumes zerstört sowie das Arbeitskräftepotential der Bevölkerung um annähernd ein Fünftel vermindert. Das Auslandsvermögen, die Handelsflotte und alle deutschen Patente wurden beschlagnahmt.[17]

Mit dem Zusammenbruch der durch Gesetze und Verordnungen gestützten Kriegswirtschaft versiegten die Lebensmittelzufuhren aus den von deutschen Truppen besetzten Ländern, so dass die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln stockte. Ein gewaltiger Geldüberhang ließ den Schwarzmarkt blühen, die Kriminalität stieg rapide an, Seuchen drohten auszubrechen.[18]

Zur gleichen Zeit wanderten Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten ein, insgesamt mehr als 12 Millionen Menschen. Im August 1845 kamen täglich 25.000 bis 30.000 Flüchtlinge durch Berlin, vom Juli bis Oktober wurden in den 59 Auffanglagern der besetzen Hauptstadt 1,3 Millionen Flüchtlinge gezählt. Bei den Gebieten, die von Flucht, Umsiedlung oder Vertreibung betroffen waren, handelte es sich um an Polen durch die Alliierten zuerkannte Teile des Deutschen Reiches wie das südliche Ostpreußen, Danzig-Westpreußen, das östliche Pommern und die Neumark Brandenburg sowie Schlesien.[19] Weiterhin ist der nördlichen Teil Ostpreußens zu nennen, der entsprechend dem Potsdamer Abkommen der Sowjetunion zugeschlagen und in die russische Teilrepublik (RSFSR) eingegliedert worden war und das zwischen Deutschland und Litauen lange umstrittene Memelland weitere deutsche Siedlungsgebiete in den baltischen Staaten , was bereits 1939/40 mit der Sowjetunion vertraglich vereinbart wurde.

Dies waren auch Gebiete, die seit 1919 dem Deutschen Reich abgesprochen wurden, in denen aber nach wie vor viele Deutsche lebten beispielsweise Westpreußen und das östliche Oberschlesien. Das Sudetengebiet ,der südliche Böhmerwald sowie Südböhmen und Südmähren, also die nördlichen, südlichen und westlichen Randgebiete der Tschechoslowakei waren genauso betroffen wie Prag, Brünn, Olmütz und deutsche Sprachinseln wie die mährischen Städten Mährisch Trübau, Zwittau und Landskron in Zentralböhmen und -mähren sowie Iglau. Gebiete der Sowjetunion, neben einer weitläufigen Streubesiedlung vor allem die von deutschstämmigen Staatsangehörigen besiedelte „Wolga-Republik“, wo Deutsche Vertreibung 1941 nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion vertrieben wurden oder flüchteten. Mehrere Regionen in Südosteuropa, vor allem in Ungarn, Rumänien (Siebenbürgen, Banat), Kroatien (Slawonien), Serbien (Vojvodina) und Slowenien, wo noch vermehrt Deutsche lebten, waren auch von dem Phänomen betroffen.

In der Nachkriegszeit flohen viele noch einmal – aus der sowjetischen in die amerikanische und die britische Besatzungszone. Die Bundesrepublik und die DDR standen vor einer unlösbar scheinenden Herausforderung. Durch die Bevölkerungsverschiebungen verdoppelten einige Länder und DDR-Bezirke wie Mecklenburg ihre Einwohnerzahl. In vormals konfessionell homogenen Regionen mit starken eigenen Traditionen – zum Beispiel Oberbayern und die Lüneburger Heide– lebten nun große Bevölkerungsgruppen mit anderem Lebensstil und fremder Konfession. Mit Espelkamp, Waldkraiburg, Traunreut, Geretsried, Trappenkamp, Neugablonz und anderen entstanden reine Flüchtlingsgemeinden.

In der englischen Zeitung „Spectator“ veröffentlichte der Bischof von Chichester, zu dem ein Teil der deutschen Widerstandsbewegung während des 2. Weltkrieges Verbindungen unterhalten hatte, einen Bericht:[20] „Die Wahrheit besteht darin, daß die Not im Reich von Tag zu Tag steigt, und daß eine fürchterliche Hungersnot ausbrechen muß, falls nicht schleunigst Hilfe einsetzt. (…) Man muß die Flüchtlinge gesehen haben, um beurteilen zu können, was über sie hereingebrochen ist. Es gibt keine Worte, die ihr Elend beschreiben können. Sie haben noch das, was sie am Körper tragen und besitzen weder physische noch geistige Kraft. Sieben oder acht Millionen Menschen werden in dem schmalen Landstreifen zwischen Oder und Elbe von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf gejagt, weil niemand sie aufnehmen und ernähren kann.“

Der Zweite Weltkrieg veränderte grundlegend die politischen und sozialen Strukturen der Welt. Die Organisation der UN wurde gegründet, deren ständige Mitglieder im Sicherheitsrat die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs, USA, Sowjetunion, China, Großbritannien und Frankreich, wurden. Die USA und die Sowjetunion wurden zu Supermächten, deren Rivalität zum Kalten Krieg führte. Die europäischen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich verloren ihre Großmachtstellung, und die meisten ihrer afrikanischen und asiatischen wurden de facto unabhängig.

In dieser Lage übernahmen die vier alliierten Siegermächte die politische Verantwortung für die Zukunft Deutschlands.

Alliierte Pläne für die Nachkriegszeit

Bereits während des Krieges hatten sich die Alliierten darüber Gedanken gemacht, wie Deutschland nach seiner bedingungslosen Kapitulation zu behandeln sei.[21]

Sie waren sich darin einig, Deutschland für alle Zeiten als möglichen Kriegsgegner auszuschalten, seinen Militarismus und seine Rüstungsindustrie zu zerstören sowie die Verantwortungsträger der nationalsozialistischen Herrschaft vor ein Kriegsverbrechergericht zu stellen.[22] Auch hinsichtlich der Wiederherstellung der Souveränität Österreichs, Polens sowie anderer von deutschen Truppen besetzter Gebiete gab es breite Zustimmung.

Im Mittelpunkt der Erörterung alliierter Nachkriegspläne für Deutschland stand jedoch die Frage, ob das besiegte Reich als Einheit behandelt oder in mehrere Einzelstaaten aufgeteilt werden sollte. Eine gemeinsame Linie konnte jedoch nicht festgelegt werden. Es stellte sich die Frage, ob Deutschland gewaltsam oder nur in Übereinstimmung mit separistischen Strömungen der Bevölkerung aufzuteilen sei, wie viele verschiedene deutsche Staaten zu schaffen sei und was aus Preußen werden solle.[23]

Schon im Dezember 1940 vertrat Stalin in Moskau dem britischen Außenminister Eden gegenüber die Auffassung, dass Preußen vom Rheinland und Süddeutschland isoliert und Polen durch deutsche Gebiete östlich der Oder für die Anerkennung der Curzon-Linie, d.h für die Abtretung polnischer Ostgebiete an die Sowjetunion, entschädigt werden müsse.[24]

Die USA und Großbritannien hatten zwar in der Atlantik-Charta vom August 1941 versichert, dass sie nach dem Kriege keinen Gebietsveränderungen zustimmen würden, die „den frei geäußerten Wünschen der betroffenen Völker“ widersprächen; sie ließen aber keinen Zweifel daran, dass die Atlantik-Charta sie – wie Winston Churchill im Mai feststellte – in keiner Weise hinsichtlich der Zukunft Deutschlands binde.[25]

Auf der Arcadia-Konferenz, die vom Dezember 1941 bis Januar 1942 in Washington stattfand, vereinbarten Churchill und Roosevelt als wichtigsten Beschluss, zuerst die deutsche Gefahr auszuschalten und die nationalsozialistische Armee in die Knie zu zwingen sowie einen bedingungslosen Frieden durchzusetzen: „Germany first“.

Die Konferenz war die Fortführung der vom 9. bis 12. August 1941 in der Placentia Bay auf Neufundland abgehaltenen geheimen britisch-amerikanischen Atlantikkonferenz. Die dort beschlossene Atlantik-Charta bildete die Grundlage für die Gespräche in Washington. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor Anfang Dezember waren die USA auf der Seite der Alliierten in den Krieg eingetreten, so dass auch der Krieg im Pazifik thematisiert wurde. Trotzdem war der wichtigste Beschluss die Festlegung des Hauptkriegsschauplatzes in Europa, um zuerst die deutsche Gefahr auszuschalten. Dazu waren eine Durchführung des Friedensprogramms der Rüstungsindustrie notwendig, das zuallererst eine absolute Geheimhaltung der Produktionsstätten erforderte, und zusätzlich die Aufrechterhaltung der Überseekommunikation, was eine unabdingbare Voraussetzung für den Sieg war. Außerdem galt die Bestimmung des europäischen Kriegsschauplatzes und des Atlantik als das ausschlaggebende Gebiet zur Bekämpfung der Achsenmächte und für einen Sieg über Deutschland. Weiterhin sollte der Aufbau einer Verteidigungsposition im Pazifik bis zum Sieg im Atlantik und über Europa mit der Möglichkeit, kleinere Offensivoperationen gegen Japan zu unternehmen. Der Angriff gegen Deutschland sollte offensiv über das Mittelmeer geführt werden mit massiven Bomberangriffen auf das deutsche Kernland und die Festung Europa. Blockade gegen Deutschland und subversive Operationen in deutsch besetzten Gebieten.

Die Casablanca-Konferenz war ein Geheimtreffen von US-Präsident Franklin D. Roosevelt, dem britischen Premierminister Winston Churchill und den Combined Chiefs of Staff (CCS), ein gemeinsamer Operations- und Planungsstab der USA und Großbritanniens während des Zweiten Weltkriegs. Sie fand vom 14. bis 26. Januar 1943 im marokkanischen Casablanca statt.

Auch Stalin war eingeladen, er konnte jedoch wegen des Kampfes um Stalingrad die Sowjetunion nicht verlassen.

Die von Stalin seit langem geforderte zweite Front in Europa war von Roosevelt bereits zugesagt, aber nicht vor Juli/August 1943 in Aussicht gestellt worden. Auf britischen Vorschlag wurde eine Landung auf Sizilien für Juni/Juli 1943 verabredet, um Italien zu besiegen. Mit ihr sollte die Mittelmeerposition der Alliierten gefestigt und der Sprung auf das italienische Festland vorbereitet werden. 

Präsident Roosevelt verkündete auf einer Pressekonferenz als vorrangiges Kriegsziel die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches, Italiens und Japans ("unconditional surrender"). Angestrebt werde nicht die Vernichtung der Völker, sondern die Zerstörung ihrer Kriegsmacht und ihrer auf Eroberung und Unterjochung anderer Länder ausgerichteten Weltanschauung. Mit dieser Formulierung sollte dem misstrauischen Stalin bewiesen werden, dass die Westmächte keinen Sonderfrieden anstrebten, sondern zusammen mit den Sowjets bis zur endgültigen Niederwerfung Deutschlands, Italiens und Japans kämpfen würden.

Die Ergebnisse von Casablanca und die Kapitulation in Stalingrad veranlassten die nationalsozialistische Propaganda zur Ausrufung des "totalen Krieges" in der Sportpalast-Rede von Goebbels[26] am 18. Februar 1943. Trotz des verstärkt einsetzenden Luftkrieges der Westalliierten über Deutschland solidarisierte sich die Bevölkerung mit den Durchhalteparolen der NS-Führung oder war zumindest zur resignativen Hinnahme des immer aussichtsloser erscheinenden Kriegsgeschehens bereit.

Die Invasion Westeuropas wurde im Zeitplan auf das Jahr 1944 verschoben. Während der Quadrant-Konferenz in Québec (August 1943) wurde die Operation Overlord (Invasion in der Normandie) beschlossen und General Frederick E. Morgan beauftragt, einen detaillierten Plan zu entwerfen. In Kairo (November 1943) vereinbarten der amerikanische Präsident Roosevelt, sein Pendant Churchill und der chinesische Befehlshaber Chiang Kai-shek, den Krieg in Ostasien bis zur bedingungslosen Kapitulation Japans, das an der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands im 2. Weltkrieg kämpfte, fortzusetzen. Die Alliierten setzten ihre militärischen Operationen bis zur bedingungslosen Kapitulation Japans fort. Es wurde beschlossen, dass Japan müssen alle seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs besetzten oder eroberten pazifischen Inseln entzogen werden müssten. Alle von Japan geraubten chinesischen Gebiete wie die Mandschurei, Taiwan oder die Pescadores müssten wieder an die Republik China zurückfallen; Korea solle frei und unabhängig werden.

Im November 1943 einigten sich Präsident Roosevelt, Premierminister Churchill und Stalin in Teheran darauf, die Curzon-Linie als polnisch-sowjetische Grenze anzuerkennen, Polen im Westen bis zur Oder-Linie vorrücken zu lassen und ostpreußisches Gebiet um den eisfreien Hafen von Königsberg der Sowjetunion zu übergeben. Es wurde eingehend eine deutsche Teilung erörtert, nachdem Roosevelt einen Plan für fünf autonome deutsche Staaten vorgelegt hatte. Die Regierungschefs erzielten jedoch keine Einigung und beauftragten die in London tagende Europäische Beratungskonferenz mit der weiteren Prüfung dieser Frage.[27] Für den künftigen Frieden wurde eine Zerstückelung Deutschlands vereinbart.

Churchill schlug eine Zweiteilung Deutschlands bei Abtrennung der Provinz Ostpreußen in eine nördliche und eine südliche Hälfte vor, bei der Teile Süddeutschlands (Bayern, Pfalz, Baden und Württemberg) mit Österreich und Ungarn zu einer „Donauföderation“ zusammengeschlossen werden sollten.

Roosevelt favorisierte die Bildung von fünf autonomen Einzelstaaten. Diese sollten jeweils folgende Gebiete umfassen: Preußen (Brandenburg einschließlich der Gebiete östlich der Oder, Berlin, Mecklenburg, Pommern, Schlesien und das nördliche Sachsen-Anhalt), Hannover mit Gebieten Nordwestdeutschlands, Sachsen (das heutige Sachsen ohne den niederschlesischen Teil sowie das heutige Thüringen), Hessen-Darmstadt vereinigt mit Hessen-Kassel und Gebieten südlich des Mains sowie einem südlichen Teil der Rheinprovinz sowie ein südlicher Staat aus Bayern, Baden, Württemberg und Württemberg-Hohenzollern.

Außerdem schlug er vor, die Gebiete um Kiel und Hamburg sowie das Ruhr- und Saargebiet unter internationale Verwaltung stellen zu lassen.

Die Einsetzung dieser Kommission zum Studium der alliierten Nachkriegspolitik war wenige Wochen vor der Teheraner Konferenz der Regierungschefs von den Außenministern Hull, Eden und Molotow auf ihrer Moskauer Tagung beschlossen worden.[28]

In den USA beschäftigten sich Deutschland-Experten in Jahren 1942 bis 1944 wiederholt mit dem Problem der Aufgliederung des nationalsozialistischen Deutschlands. Eine Mehrheit der Sachverständigen stützte die Überzeugung des amerikanischen Außenministers Hull, dass die gewaltsame Teilung den Aufbau demokratischer Einrichtungen in Deutschland gefährden müsse, während Unterstaatssekretär Welles den Präsidenten stärker für den Plan gewinnen konnte, „die Differenzen und Eifersüchte, die innerhalb Deutschlands alsbald entstehen würden, als separatistische Bewegungen zu begünstigen.“[29]

Der zügige Vormarsch der alliierten Armeen rückte den Tag der deutschen Kapitulation jedoch in greifbare Nähe. So kamen Roosevelt, Churchill und Stalin im Februar 1945 zu weiteren Verhandlungen über die Nachkriegsordnung in Jalta erneut zusammen und kamen zu folgendem Ergebnis::[30] „Gemäß dem im gegenseitigen Einvernehmen festgelegten Plan werden die Streitkräfte der drei Mächte je eine besondere Zone Deutschlands besetzen. Der Plan sieht eine koordinierte Verwaltung und Kontrolle durch eine Zentralkommission mit Sitz in Berlin vor, die aus den Oberbefehlshabern der drei Mächte besteht. Es ist beschlossen worden, daß Frankreich von den drei Mächten aufgefordert werden soll, eine Besatzungszone zu übernehmen und als viertes Mitglied an der Kontrollkommission teilzunehmen, falls es dies wünschen sollte (…) Es ist unser unbeugsame Wille, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, daß Deutschland nie mehr imstande ist, den Weltfrieden zu stören. Wir sind entschlossen, alle deutschen Streitkräfte zu entwaffnen und aufzulösen; den deutschen Generalstab (…) für alle Zeiten zu zerschlagen; sämtliche deutschen militärischen Einrichtungen zu entfernen oder zu zerstören; die gesamte deutsche Industrie, die für die militärische Produktion benutzt werden könnte, zu beseitigen oder unter Kontrolle zu stellen; alle Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen (…) eine im gleichen Umfang erfolgte Wiedergutmachung der von den Deutschen verursachten Schäden zu bewirken; die Nationalsozialistische Partei, die nationalsozialistischen Gesetze, Organisationen und Einrichtungen zu beseitigen. (…) Es ist nicht unsere Absicht, das deutsche Volk zu vernichten, aber nur dann, wenn der Nationalsozialismus und Militarismus ausgerottet sind, wird für die Deutschen Hoffnung auf ein würdiges Leben und einen Platz in der Völkergemeinschaft bestehen.“

Stalin forderte in Jalta, einen Beschluss über die Zerstückelung Deutschlands zu fassen und die von der Europäischen Beratungskommission vorbereitete Kapitulationsurkunde entsprechend zu ergänzen. Daraufhin wurde ein geheimer Teilungssauschuss eingesetzt, der in London tagte.[31]

In einer Geheimabsprache verpflichtete sich die Sowjetunion, zwei bis drei Monate nach der deutschen Kapitulation den Krieg gegen Japan zu eröffnen und ein Bündnis mit China einzugehen. Im Gegenzug erhielt sie territoriale Zugeständnisse in den Kurilen und Südsachalin sowie politische Vorrechte in der Mandschurei, Besatzungsrechte in Korea und die Autonomie der Äußeren Mongolei.

Die Sowjetunion verstand es, schon zu diesem Zeitpunkt eigene machtpolitische Interessen durchzusetzen oder zumindest verhandelbar zu machen. Stalin war vor allem daran interessiert, die ost- und südosteuropäischen Länder als sowjetische Interessensphäre anerkennen zu lassen und die Ostgrenze Polens zugunsten der Sowjetunion auf die sogenannte „Curzon-Linie“ festzusetzen. Unter der Voraussetzung, dass an einer provisorischen polnischen Regierung auch Nichtkommunisten und die Londoner Exilregierung beteiligt und freie demokratische Neuwahlen durchgeführt werden würden, stimmten Roosevelt und Churchill dieser Ostgrenze zu. Die Festlegung der polnischen Westgrenze wurde vertagt, allerdings wurde Polen ein „beträchtlicher Gebietszuwachs“ als Kompensation für den Verlust seiner Ostgebiete an die Sowjetunion zugesagt.

Dort einigten sich die Staatschefs auch über die letzten noch strittigen Punkte des Entwurfs zur Charta der Vereinten Nationen. Es ging insbesondere um den Abstimmungsmodus im mächtigsten Gremium der künftigen Organisation, dem Sicherheitsrat. Den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern – der UdSSR, den USA, Großbritannien, Frankreich und China – räumte man auf Betreiben der UdSSR ein Vetorecht in allen wichtigen Fragen ein.

Wie bereits die frühere Konferenz von Teheran ließ auch die Konferenz von Jalta viel Auslegungsspielraum offen. Nur über eine bedingungslose Kapitulation und die Entnazifizierung sowie die Entmilitarisierung Deutschlands war man sich von vornherein einig. Definitive Absprachen, Einzelheiten über die Abtretung der deutschen Ostgebiete oder die künftige polnische Westgrenze wurden nicht getroffen. Verabredet war allenfalls, dass Polen im Norden und Westen deutsche Gebiete erhalten solle, nach den Vorstellungen der USA und Großbritanniens jedoch keine westlich der Oder. Keine der teilnehmenden Parteien wollte ein Scheitern der Verhandlungen oder einen nicht mehr zu reparierenden Dissens riskieren und so den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland nicht zu gefährden oder eine mögliche Spaltung der Alliierten herbeizuführen.

Der sowjetische Vertreter Gussjew rückte in diesem Teilungsausschuss im März und April 1945 wieder von dem Jaltaer Teilungsbeschluss ab.[32] Er verhinderte, dass das Wort „Zerstückelung“, wie ursprünglich in Jalta vereinbart, in die Kapitulationsurkunde aufgenommen wurde, indem er der Absicht der USA und Großbritannien widersprach, Frankreich über den Geheimbeschluss der Großen Drei in Jalta zu informieren. Frankreich sollte aber die deutsche Kapitulationserklärung ebenfalls entgegennehmen. So kam es, dass in diesem Dokument schließlich nur der Absatz auftauchte:[33] „Diese Kapitulationserklärung stellt kein Präjudiz für an ihre Stelle tretende allgemeine Kapitulationsbedingungen dar, die durch die Vereinten Nationen oder in deren Namen festgesetzt werden.“

Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht wurde am 7. Mai 1945 im Obersten Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, untergebracht in den Gebäuden des heutigen Lycée Polyvalent Franklin Roosevelt, in Reims unterzeichnet und trat am 8. Mai um 23:01 Uhr in Kraft. Die Kapitulationserklärung wurde aus protokollarischen Gründen in Berlin-Karlshorst im Hauptquartier der sowjetischen 5. Armee am 8./9. Mai wiederholt. Die deutsche Staats- und Wehrmacht­führung räumte damit den alliierten Siegermächten das Recht ein, alle politischen, militärischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten Deutschlands zu regeln.

Der Kurswechsel der Sowjetunion nach der Jalta-Konferenz wurde vollends sichtbar, als Stalin am 8.Mai erklärte:[34] „Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten.“

Aus diesen Tatsachen ergibt sich, dass die Kriegsgegner Deutschlands trotz aller Beratungen und Erwägungen in den vergangenen vier Jahren keine einheitliche Konzeption für den nun gemeinsam zu beschreitenden Weg besaßen. Es herrschte bei den Alliierten immer noch die Angst, der Krieg könnte noch nicht vorbei sein und es könnten sich neonazistische Untergrundbewegungen bilden, die in Form von Anschlägen oder Straßenkämpfen die Auseinandersetzungen nochmals suchen würden.

Die USA hatten zwar durch ihre Vereinigten Stabschefs an den Oberbefehlshaber ihrer Besatzungstruppen im April 1945 eine Weisung – die Direktive JCS 1067 – ergehen lassen, in dem es unter anderem hieß:[35] „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat.“ Bald sollte sich jedoch herausstellen, dass die detaillierten Anweisungen der Wirklichkeit nicht gerecht zu werden vermochten und die Sowjetunion andere Vorstellungen durchsetzen wollte.[36]

Das Potsdamer Abkommen

Die in der Kapitulationsurkunde angekündigten allgemeinen Bedingungen wurden Anfang Juni von den Oberbefehlshabern der Besatzungstruppen – dem amerikanischen General Eisenhower, dem Marshall der Sowjetunion Shukow, dem britischen Feldmarschall Montgomery und dem französischen Armeegeneral Lattre de Tassigny – verkündet, nachdem am 23. Mai die Geschäftsführende Reichsregierung des Großadmirals Dönitz in der Nähe von Flensburg verhaftet worden war.[37]

In der „[Berliner Deklaration] Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands durch die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und durch die Provisorische Regierung der Französischen Republik“ in Anbetracht der Niederlage Deutschlands vom 5. Juni 1945 teilten die vier Siegermächte mit, dass sie „hiermit die oberste Regierungsgewalt in Deutschland übernehmen, einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden.[38] Die Übernahme zu den vorstehend genannten Zwecken der besagten Regierungsgewalt und Befugnisse bewirkt nicht die Annektierung Deutschlands.“[39]

Die fünfzehn Artikel dieser Erklärung regelten im Einzelnen die Entwaffnung und Gefangennahme aller deutschen Streitkräfte und die Verhaftung der nationalsozialistischen Rädelsführer. In einer am gleichen Tage veröffentlichten Feststellung über das Kontrollverfahren in Deutschland hieß es:[40]

  1. "Während der Zeit, in der Deutschland die sich aus der bedingungslosen Kapitulation ergebenden grundlegenden Forderungen erfüllt, wird in Deutschland die oberste Gewalt von den Befehlshabern Großbritanniens, der Vereinigten Staaten, Sowjetrusslands und Frankreichs auf Anweisung ihrer Regierungen ausgeübt, von jedem in seiner eigenen Besatzungszone und gemeinsam in allen Deutschland als ein Ganzes zu betreffenden Angelegenheiten. Die vier Oberbefehlshaber bilden zusammen den Kontrollrat. Jeder Oberbefehlshaber wird von einem politischen Berater unterstützt.
  2. Der Kontrollrat, dessen Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, trägt für eine angemessene Einheitlichkeit des Vorgehens der einzelnen Oberbefehlshaber in ihren entsprechenden Besatzungszonen Sorge. (…)
  3. Unter dem Kontrollrat sind ein ständiger Koordinationsausschuss, der sich aus einem Vertreter der vier Oberbefehlshaber zusammensetzt, und ein Kontrollstab tätig, der aus folgenden Abteilungen besteht: Heer, Marine, Luft, Transport, Politik, Wirtschaft, Finanzen, Reparationen und Wiedererstattung, Innere Angelegenheiten und Nachrichtenwesen, Rechtswesen, Kriegsgefangene und Zwangsverschleppte, Arbeitseinsatz. Jede Abteilung hat vier Leiter, von denen einer von jeder der vier Mächte ernannt wird.“

Berlin sollte von einer Interalliierten Behörde, bestehend aus den vier Stadtkommandanten, unter Aufsicht des Kontrollrates verwaltet werden. Den übrigen Kriegsgegnern Deutschlands wurde die Ernennung von Militärmissionen beim Kontrollrat empfohlen. Zwei weitere Dokumente, die das Datum des 5. Juni trugen, bestimmten, dass Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 in vier Besatzungszonen, Berlin in vier Sektoren aufgeteilt und dass die übrigen verbündeten Regierungen gelegentlich von den vier Besatzungsmächten konsultiert würden.[41]

Weiterhin regelte die Erklärung die Freilassung der in deutscher Kriegsgefangenschaft befindlichen Personen (Art. 6), Verbot des Vernichtens von offiziellen Dokumenten (Art. 8), Einstellung des Rundfunks (Art. 9), Gefangennahme der Kriegsverbrecher (Art. 11) und Stationierung der alliierten Streitkräfte in Deutschland (Art. 12).

Die geplanten Grenzen der Besatzungszonen stimmten nicht mit dem Verlauf der Fronten am Ende des Krieges überein. Britische und US-amerikanische Truppen mussten sich aus Teilen Mecklenburgs, Thüringens und Sachsens zurückziehen, die der sowjetischen Besatzungszone zugeteilt worden waren. Anfang Juli rückten die sowjetischen Truppen vor und besetzten strategische Städte wie z.B. Schwerin, Halle, Leipzig, Weimar und Erfurt, während die drei Westmächte ihre Berliner Sektoren übernahmen.

Zu dieser Zeit hatten sich aber bereits starke politische Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion offenbart – vor allem wegen des sowjetischen Vorgehens in Polen, aber auch wegen der Einflussnahme der Sowjetunion auf die Regierungsbildungen in den Balkan-Staaten und Österreich.

So hatte Churchill bereits am 4. Juni der amerikanischen Regierung mitgeteilt:[42] „Ich sehe dem im Mittelabschnitt unserer Front beabsichtigten Rückzug der amerikanischen Armee auf unsere Zonengrenzen mit größtem Unbehagen entgegen, ist doch damit der Vormarsch der Sowjetmacht im Herz Westeuropas und die Senkung eines eisernen Vorhangs zwischen uns und dem ganzen Osten verbunden. Ich hatte gehofft, dieser Rückzug würde, falls er überhaupt erfolgen muß, von der Regelung vieler wesentlicher Dinge begleitet sein, die allein eine echte Grundlage des Weltfriedens darstellen könnten. Noch ist nichts von Bedeutung geregelt.“

Die nach der Jalta-Konferenz entstandenen Meinungsverschiedenheiten sollten beigelegt, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Nachkriegspolitik geschaffen werden, als die drei Regierungschefs vom 17.7-02.08 im Cäcilienhof bei Potsdam zusammenkamen. Die Leiter der Delegationen waren Präsident Truman, der an die Stelle des im April verstorbenen Franklin D. Roosevelt getreten war, unterstützt von seinem Außenminister Byrnes, Stalin und sein Außenminister Molotow, Premierminister Churchill und Außenminister Eden, die Ende Juli – nach dem Sieg der Labour-Party bei den britischen Unterhauswahlen – durch den neuen Regierungschef Attlee und Außenminister Bevin ersetzt wurden.[43]

Auf der Tagesordnung der Potsdamer Konferenz stand nicht nur das Deutschland-Problem. Im Fernen Osten dauerte der Krieg mit Japan an. Bis zu ihrer Politik gegenüber Spanien und der Türkei hatten die drei Mächte eine Fülle internationaler Probleme zu erörtern. „Als wir nach Potsdam gekommen waren, sahen wir uns hinsichtlich der polnisch-deutschen Grenze einer vollendeten Tatsache gegenüber“, berichtete Byrnes.[44] Die Sowjetunion hatten das deutsche Gebiet östlich der Oder und Neiße, das eigentlich zur sowjetischen Besatzungszone gehören sollte, polnischer Verwaltung unterstellt, ohne sich vorher mit den Regierungen in London und Washington abzustimmen:[45] „Die Sowjets hatten damit praktisch eine weitere Zone errichtet; sowohl Präsident Truman wie Premierminister Churchill baten sofort um eine Erklärung dieser einseitigen Handlungsweise. Die Sowjets rechtfertigten sich, indem sie sagten, die Deutschen seien vor den russischen Truppen geflohen.“

Die Westmächte beharrten darauf, dass die deutsch-polnische Grenze erst in einem Friedensvertrag festgelegt werden könne. Churchill warnte vor einer Hungersnot, wenn man Deutschland kurzfristig seiner landwirtschaftlich wichtigen Ostgebiete beraube. Truman erwähnte das schlesische Industriegebiet, ohne dass die von der Sowjetunion geforderten Reparationen – 20 Milliarden Dollar, von denen die Hälfte Russland zugute kommen sollte – nicht aufgebracht werden könnten. Ohnehin warnte die USA davor, Deutschland zu hohe Reparationen aufzuerlegen, die nur – wie nach dem 1. Weltkrieg - durch amerikanische Anleihen gesichert würden.

Erst in der Schlussphase der Potsdamer Konferenz gingen die westlichen Regierungen von ihrer Forderung ab, dass die östliche Neiße als vorläufige Grenze gelten, mithin Breslau und außerdem Stettin zu dem vom Kontrollrat verwalteten deutschen Gebiet gehören sollen. Stalins Machtpolitik setzte die Anerkennung der westlichen Neiße als Grenzlinie durch.[46] Auf der Konferenz wurde keine konkrete Festlegung des nördlichsten Grenzabschnittes bei und seewärts von Stettin getroffen. Allerdings waren sich die Westalliierten und die Sowjetunion politisch insoweit darin einig, als der Hafen von Stettin dem polnischen Territorium zugeschlagen werden sollte. Polen hatte dies gegenüber den Alliierten im Vorfeld der Konferenz stets angeregt.

Dies galt auch für die Gegend um Königsberg. Im Artikel VI über die „Stadt Königsberg und das anliegende Gebiet“, hieß, dass die (…) Westgrenze der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, [die] an die Ostsee grenzt, von einem Punkt an der östlichen Küste der Danziger Bucht in östlicher Richtung nördlich von Braunsberg-Goldap und von da zu dem Schnittpunkt der Grenzen Litauens, der Polnischen Republik und Ostpreußens verlaufen soll.“[47]

Die Regierungschefs kamen überein, einen Rat der Außenminister mit einem in London ansässigen Sekretariat zu bilden, dem Frankreich und in bestimmten Fragen China angehören sollten. Diesem Rat wurde aufgetragen, rasch die Friedensverträge mit Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland vorzubereiten – anschließend ein ähnliches Dokument für Deutschland.

Über die bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zu verfolgende gemeinsame Politik hieß es im Potsdamer Abkommen:[48] „Das deutsche Volk fängt an, die furchtbaren Verbrechen zu büßen, die unter der Leitung derer, welche es zur Zeit ihrer Erfolge offen gebilligt hat und denen es blind gehorcht hat, begangen wurden.“

Unter Berufung auf die Jalta-Beschlüsse bekräftigten die Regierungschefs erneut ihren Willen, Deutschland vollständig zu entmilitarisieren und alle nationalsozialistischen Organisationen und Einflüsse zu beseitigen:[49] „Die Verwaltung Deutschland muß in Richtung auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und der Entwicklung einer örtlichen Selbstverwaltung durchgeführt werden. In ganz Deutschland sind alle demokratischen Parteien zu erlauben und zu fördern. Bis auf weiteres wird keine zentrale deutsche Regierung errichtet werden. Jedoch werden einige wichtige zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen errichtet werden, an deren Spitze Staatssekretäre stehen, und zwar auf den Gebieten des Finanzwesens, des Transportwesens, des Verkehrswesen, des Außenhandels und der Industrie. Diese Abteilungen werden unter der Leitung des Kontrollrates tätig sein.“

Die wirtschaftlichen Grundsätze des Abkommens verpflichteten den Kontrollrat, Deutschland als ein einziges wirtschaftliches Ganzes zu betrachten, das Wirtschaftsleben so rasch wie möglich zu dezentralisieren – mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen – und schließlich mit Hilfe eines deutschen Verwaltungsapparates eine Kontrolle des Wirtschaftslebens zu gewährleisten:[50] „Nach der Bezahlung der Reparationen sind dem deutschen Volke genügend Mittel zu belassen, um ohne eine Hilfe von außen zu existieren.“

Wie hoch diese Reparationen sein würden, blieb in der Erklärung unerwähnt. Die Mächte sollten ihre Reparationsansprüche jeweils aus ihrer eigenen Besatzungszone und den von ihnen beschlagnahmten Auslandsguthaben auftreiben, wobei der Sowjetunion zusätzlich Lieferungen aus den westlichen Zonen zugesagt wurden.[51]

Die für Deutschland folgenschwersten Bestimmungen betrafen das Schicksal der Ostgebiete:[52] „Die Konferenz hat grundsätzlich dem Vorschlag der Sowjetregierung hinsichtlich der endgültigen Übergabe der Stadt Königsberg und des anliegenden Gebietes an die Sowjetunion (…) zugestimmt. Der Präsident der USA und der britische Premierminister haben erklärt, dass sie den Vorschlag der Konferenz bei der bevorstehenden Friedensregelung unterstützen werden. (…) Die Häupter der drei Regierungen bekräftigten ihre Auffassung, dass die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll. Die Häupter der drei Regierungen stimmen darin überein, daß bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens die früheren deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der westlichen Neiße, und die westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teiles Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der UdSSR (…) gestellt wird, und einschließlich des Gebietes der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen.“

Byrnes berichtete, die Konferenz habe in guter Stimmung geendet, obwohl die US-amerikanische Delegation weniger zuversichtlich abgereist sei als nach der Konferenz in Jalta:[53] „Wir waren fest davon überzeugt, daß die erzielten Beschlüsse eine Grundlage für die baldige Wiederherstellung dauerhafter Verhältnisse in Europa bildeten. Tatsächlich haben die Beschlüsse die Konferenz zu einem Erfolg gemacht, aber die Verletzung dieser Beschlüsse verwandelte den Erfolg in einen Fehlschlag.“

Frankreich, das seine Vertreter in die Europäische Beratungskommission entsandt und die Deklarationen vom 5. Juni mit unterzeichnet hatte, war zur Potsdamer Konferenz nicht hinzugezogen worden. Die französische Regierung unter dem Vorsitz von General de Gaulle beschränkte sich darauf, das Potsdamer Abkommen zur Kenntnis zu nehmen und nur Teile davon offiziell zu akzeptieren (z.B. die Beschlüsse über die deutschen Ostgebiete). Frankreich erhob Vorbehalte hinsichtlich der geplanten Zentralverwaltung, sperrte seine eigene Zone für Flüchtlinge und Vertriebene und begann, auf eine Abtrennung des Saargebietes und eine Internationalisierung der Ruhr zu drängen. Vornehmlich am französischen Widerstand sollte in den folgenden zwei Jahren die Bildung einer dem Kontrollrat unterstellten deutschen Zentralgewalt scheitern.

Diese Vereinbarungen dienten der UdSSR in den folgenden Jahren als Legitimation, um stufenweise ihre veränderte Politik in Deutschland durchzusetzen.[54]

Ein Fernziel der UdSSR bestand wohl darin, in Deutschland ihr eigenes System zu installieren. Nur dadurch glaubte sie Faschismus und Militarismus beseitigen zu können, die nach der sowjetischen Ideologie Folgen des Kapitalismus und der bürgerlichen Staatsform waren.[55] Die aktuellen Interessen der UdSSR verlangten 1945 jedoch eine andere Taktik. Die Sowjetunion wollte eben nicht nur ihren Machtbereich erweitern und ihr internationales Gewicht zu verstärken, sie benötigte auch nach den schweren Kriegsverlusten Ruhe für den Wiederaufbau und sie brauchte Reparationen.

Zunächst war also die Zusammenarbeit mit den westlichen Alliierten notwendig. Daher sollte jeder Anschein einer kommunistischen Entwicklung oder einer Übertragung des Sowjetsystems in Osteuropa und erst recht im gemeinsam besetzten Deutschland vermieden werden. Ideologisch gestand Stalin deshalb allen kommunistischen Parteien einen eigenen Weg zum Sozialismus zu und verzichtete auf eine sofortige Sowjetisierung, was die Westmächte provoziert und die sowjetischen Reparationsansprüche gefährdet hätte.[56]

In Bezug auf den Pazifikkrieg legte die Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945 die offiziellen amerikanisch-britisch-chinesischen Bedingungen für die Kapitulation des Kaiserreichs Japan fest. Die Potsdamer Erklärung wurde von Präsident Harry S. Truman und Premierminister Winston Churchill im Rahmen der Potsdamer Konferenz formuliert, von Generalissimo Chiang Kai-shek telegrafisch mitunterzeichnet.

Die Gliederung des besetzten Deutschland

Deutschland in den Grenzen, die es von 1919 bis 1937 besessen hatte, zerfiel in den Monaten, die der Potsdamer Konferenz folgten, in acht Teile:[57]

  1. das von der Sowjetunion besetzte Gebiet um Königsberg, in dem nur wenige tausend Deutsche zurückblieben, wurde als Gebiet Kaliningrad in die russische Sozialistische Förderative Sowjetrepublik einbezogen, während das Memelgebiet zur Litauischen Sowjetrepublik gehören sollte.
  2. in dem unter polnische Verwaltung gestellten Gebiet, das verwaltungsrechtlich in sechs Woiwodschaften aufgegliedert wurde, wohnten weiterhin mehrere hunderttausende Deutsche, die nach und nach die polnische Staatsangehörigkeit annahmen. Die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie umfassten ein Viertel des Reichsterritoriums. Ein weiteres Viertel des Staatsgebietes von 1937 wurde von der Roten Armee verwaltet.
  3. die sowjetische Besatzungszone. Ende Oktober lebten in dieser Zone und dem Sowjetsektor von Berlin 18,35 Millionen Menschen. Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) in Berlin-Karlshorst gliederte ihre Zone in die Länder Mecklenburg, Sachsen, Thüringen und die Provinzen Brandenburg und Sachsen-Anhalt (letztere wurden nach dem Kontrollratsbeschluss über die Liquidierung des preußischen Staates am 21.7.1947 in Länder umgewandelt). Unter der Aufsicht der örtlichen Kommandanten der Roten Armee, deren Verbände während des Einmarsches häufig der Kontrolle ihrer Befehlshaber entglitten waren, entstanden in den Gemeinden deutsche Verwaltungsämter. Im Juli 1945 setzte die SMAD Provinzial- und Landesverwaltungen ein. Noch vor Abschluss der Potsdamer Konferenz schuf sie durch den Befehl Nr. 17 am 25.7. elf Deutsche Verwaltungen – für Transport, Post- und Telegraphenwesen, Brennstoff und Energieerzeugung, Handel und Versorgung, Industrie, Landwirtschaft, Finanzen, Arbeit und Sozialwesen, Volksbildung, Justiz, Gesundheitswesen im Bereich der gesamten sowjetischen Zone.

Auch in den westlichen Besatzungszonen begann eine Neustrukturierung. Die Ermordung des von den Alliierten eingesetzten Aachener Bürgermeisters durch unerkannt entkommende deutsche Täter im März 1945 ließ die Besorgnis der Alliierten wachsen, eine deutsche Untergrundbewegung könne die Bevölkerung terrorisieren. Diese Befürchtungen erwiesen sich jedoch nach der Kapitulation als unbegründet. Das Oberkommando der westlichen Streitkräfte musste auf Geheiß der Regierungen – gegen den Willen General Eisenhowers – seine gemeinsamen Stäbe auflösen und seine Kompetenzen an die drei neuen Militärregierungen abtreten. Eine Neugliederung der deutschen Länder und Provinzen erschien vor allem angesichts der Auflösung des preußischen Staates notwendig. Im Jahre 1946 bildete sich die verwaltungsrechtliche Gestalt der westlichen Hälfte Deutschlands endgültig heraus. Danach gehörten zur# amerikanischen Besatzungszone die Länder Bayern, Groß-Hessen, Württemberg-Baden und die Enklave Bremen, der Zugang der amerikanischen Truppen zum Meer. In Bayern wurde bereits am 28.5. 1945 Fritz Schäffer, der letzte Vorsitzende der Bayerischen Volkspartei in der Weimarer Republik, zum Ministerpräsidenten ernannt. Ihn löste allerdings schon nach drei Monaten der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner ab, in dessen Kabinett Ludwig Erhard das Wirtschaftsministerium übernahm.

In Württemberg-Baden wurde der Liberale Reinhold Maier Ministerpräsident. Hessens erster Ministerpräsident wurde Karl Geiler, ein Heidelberger Historiker. Im Oktober 1945 schlossen sich die drei Regierungschefs in Stuttgart zu einem Länderrat zusammen, der durch einstimmige Beschlüsse eine Rechts- und Verwaltungsgleichheit der drei Länder sichern sollte. Die Ministerpräsidenten verabredeten, sich an jedem ersten Dienstag eines Monats zu treffen und ein Direktorium (bestehend aus je einem Regierungsmitglied, einem Bevollmächtigten der Ministerpräsidenten und dem Generalsekretär) zu berufen. Ein Sekretariat mit neun Fachabteilungen und zahlreichen Ausschüssen sollte seinen ständigen Sitz in Stuttgart haben und mit dem Coordinating Office der amerikanischen Militärregierung zusammenwirken. Bremen, zu dessen Senatspräsident der Sozialdemokrat Kaisen berufen wurde, konnte erst ab Februar 1947 zum Länderrat gehören.# Die britische Zone bestand aus den Ländern Schleswig-Holstein (erster Ministerpräsident der christlich-demokratische Theodor Steltzer), Hamburg (Bürgermeister Petersen), Nordrhein-Westfalen (Ministerpräsident der parteilose Rudolf Amelunxen) und Niedersachsen. Zu diesem neuen Land schlossen die Briten die Länder Hannover, Braunschweig und Oldenburg zusammen; Niedersachsens Ministerpräsident wurde im Oktober der Sozialdemokrat Kopf.

Mitte Februar 1946 schuf die britische Militärregierung eine beratende deutsche Körperschaft – den Zonenbeirat in Hamburg. Seine mindestens einmal monatlich tagenden, mit einfacher Stimmenmehrheit beschließenden 32 Mitglieder sollten der Militärregierung fachliche Ratschläge vor allem in jenen Bereichen erteilen, die der Kompetenz der Landesregierungen entzogen waren (Währungsfragen, Verkehrsprobleme, Außenhandel, Strafrecht und Strafverfahrensrecht).

  1. Das Saargebiet gehörte ursprünglich zur französischen Zone. Frankreich schickte sich jedoch bald an, die Saar aus der Besatzungszone herauszulösen, einem Sonderstatut zu unterstellen, das nicht von allen vier Mächten gebilligt wurde, und schließlich wirtschaftlich eng mit dem französischen Staatsgebiet zu verbinden. Frankreich hoffte, auf diese Weise vollendete Tatsachen zu schaffen, die durch den Friedensvertrag nur noch sanktioniert werden sollten. Im Unterschied zu dem sowjetisch-polnischen Vorgehen im Osten konnte die knapp eine Million Menschen umfassende Saarbevölkerung jedoch in ihrer Heimat bleiben. Grenzveränderungen vergrößerten in den folgenden Jahren das Saargebiet, so wie es im Versailler Vertrag umrissen worden war, um etwa ein Drittel auf Kosten des rheinland-pfälzischen Territoriums. Politische Kräfte, die sich einem Anschluss der Saar an Frankreich widersetzten, durften sich nicht entfalten. Der Vorsitzende der Christlichen Volkspartei des Saargebietes, Johann Hoffmann, der bereits am 09.05.1945 die wirtschaftliche Angliederung an Frankreich gefordert hatte, übernahm 1947 die Regierungsgeschäfte.
  2. Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, wurde – gemäß alliierten Vereinbarungen vom 12.09 und 14.11.1944 – in vier Sektoren aufgeteilt und von einer Alliierten Kommandantur verwaltet:[58] „Es ist aufschlußreich, daß in allen diesen Dokumenten die gemeinsame Besetzung Berlin stand, daß aber in keinem der Zugang garantiert oder besondere Rechte zum Verkehr auf den Straßen-, Schienen- oder Luftwege festgelegt wurden.“

Die westlichen Diplomaten in der Europäischen Beratungskommission hatten zwar über diese Unterlassung beraten, waren aber zu dem Ergebnis gelangt, „das Recht in Berlin zu sein, schließe das Zugangsrecht mit ein; es werde nur Verwirrung stiften, die Angelegenheit in Zusammenhang mit der Vereinbarung zur Sprache zu bringen, (…) man würde damit sowjetisches Misstrauen erregen und die Verständigung noch schwieriger machen.“ Unmittelbar vor der Verlegung der westlichen Truppen nach Berlin kam es zu einer ersten „lebhaften Auseinandersetzung über die Verkehrswege von der englischen und amerikanischen Zone zu den entsprechenden Sektoren in Berlin (…) daraufhin erklärten sich die Russen bereit, eine Straße und eine Eisenbahnlinie zuzuteilen, auf denen Engländer und Amerikaner das uneingeschränkte Verkehrsrecht haben sollten; die Verantwortung für die Instandhaltung und Kontrolle behielten dagegen die Russen.“[59] – so berichtete Montgomery, während General Clay das Ergebnis der nicht protokollierten Besprechung am 29. Juni in einer Notiz festhielt:[60] „Es wurde vereinbart, daß aller Verkehr – Luft, Straße, Schiene (…) frei sein sollte von Grenzkontrollen oder der Kontrolle durch Zollbeamte oder militärischen Behörden. Unmöglich konnte ich voraussehen, daß die Sowjets eines Tages auf Grenz- und Zollkontrollen bestehen würden, um sie als Vorwand für die einleitenden Maßnahmen zur Verhängung der Blockade über Berlin zu benutzen.“

Der sowjetische Sektor umfasste acht Bezirke (Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee, Pankow) mit 45,6 Prozent der Fläche und 36,8 Prozent der Einwohner Berlins, das im August 1945 2,8 Millionen Menschen zählte. Zum amerikanischen Sektor gehörten sechs Bezirke (Kreuzberg, Zehlendorf, Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Neukölln), zum britischen vier (Tiergarten, Charlottenburg, Spandau, Wilmersdorf) und zum französischen zwei Bezirke (Wedding, Reinickendorf).[61]

Noch vor dem Einzug der westlichen Truppen ging der sowjetische Stadtkommandant Bersarin, mit großer Energie daran, eine deutsche Verwaltung zu errichten.[62] Am 17. Mai gab der neu ernannte Oberbürgermeister Arthur Werner die Zusammensetzung des Magistrats bekannt: neun der 18 Stadträte, darunter die Abteilungsleiter für Personalfragen, Volksbildung und Arbeitseinsatz waren Kommunisten, die sich eines schon im Mai geschaffenen Systems von Straßen-, Block- und Vertrauensleuten bedienten, um sowjetische Befehle und eigene Absichten durchzusetzen. Dem Magistrat hatten sich aber auch Männer aus den früheren demokratischen Parteien angeschlossen – so der für das Berliner Ernährungswesen verantwortliche Andreas Hermes. Der Architekt Professor Scharoun war Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch Stadtrat für Gesundheitswesen geworden.

In allen Bezirken ernannten die Sowjets rasch Bezirksbürgermeister als Leiter der jeweils aus neun Abteilungen bestehenden Bezirksämter. Schon im August sahen sich die Kommandanten in den Westsektoren gezwungen, gegen die von den Sowjets eingesetzten Obleute einzuschreiten und die Zusammensetzung der ihnen unterstellten Bezirksämter zu verändern.

Berlin war nicht nur Sitz der Alliierten Kommandantur und des Kontrollrates, sondern auch Residenz von 37 Militärmissionen, über 30 Konsulaten und den 11 Zentralverwaltungen der Sowjetzone.[63]

Berlin erlebte das politische Ringen der Nachkriegszeit in geographisch verkleinertem Maßstab.[64] Wie im Alliierten Kontrollrat so folgten auch in der Kommandantur Berlins auf eine Periode halbwegs sinnvoller Zusammenarbeit der vier Besatzungsmächte eine Zeit wachsender Gegensätze und schließlich der Zerfall.[65]

Nach den Oktober-Wahlen des Jahres 1946 vermochte die SED in Berlin einen stärkeren Einfluss auf das öffentliche Leben auszuüben, als es der Zahl seiner Sitze angemessen gewesen wäre.

Dies hing damit zusammen, dass ein großer Teil der öffentlichen Einrichtungen im Ostsektor Berlins lag – so das Rathaus. Die Polizei unter dem Kommando des von der Sowjetunion mit seinem Amt betrauten Polizeipräsidenten Markgraf entzog sich den Weisungen des Magistrats und ließ ein parlamentarisches Misstrauensvotum unbeantwortet. Übergriffe kommunistischer Behördenleiter wurden vom sowjetischen Stadtkommandanten gedeckt, so dass die auf das Prinzip der Einstimmigkeit verpflichtende Kommandantur wenig dagegen ausrichten konnte.

Im Dezember 1946 wählten die Stadtverordneten den Sozialdemokraten Otto Ostrowski zum Oberbürgermeister, unter dessen Vorsitz alle vier Parteien – SPD, CDU, SED und LDPD – im Magistrat zusammenwirkten. Aber bereits im April 1947 musste Ostrowski zurücktreten – die drei nichtkommunistischen Parteien warfen ihm vor, sowjetische Forderungen zu nachgiebig zu begegnen.[66]

Eine breite Mehrheit der Stadtverordneten wünschte Ernst Reuter an die Spitze des Magistrats zu berufen, aber die Sowjetunion legte gegen die Wahl Reuters zum Oberbürgermeister ihr Veto ein, so dass Louise Schröder (SPD) als amtierende Oberbürgermeisterin fungieren musste.

Die Abneigung der Sowjetunion gegen Ernst Reuter lag in seiner Biographie begründet.[67] Der 1890 geborene Reuter hatte sich beim Ausbruch der Russischen Revolution 1917 als Kriegsgefangener den Bolschewiki angeschlossen, war nach seiner Rückkehr zum Generalsekretär der KPD aufgestiegen, hatte jedoch 1922 aus Sorge vor dem russischen Einfluss auf die deutschen Kommunisten mit der Partei gebrochen und sich der Sozialdemokratie angeschlossen. Als Berliner Stadtrat für Verkehr hatte er in der Weimarer Republik das hauptstädtische Verkehrswesen glänzend organisiert. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war er emigriert, um bis zu seiner Rückkehr 1946 in der Türkei als Verkehrsexperte tätig zu sein. Die Sowjetunion hatte ihm den Bruch mit der KPD nie verziehen.

Die Berliner Bevölkerung sah der Ausbreitung der sowjetischen Interessenpolitik nicht tatenlos zu. Als der FDGB mehr und mehr auf die Linie der Einheitspartei einschwenkte, schufen demokratische Gewerkschaftler die „Unabhängige Gewerkschaftsorganisation“ (UGO). Studenten und Professoren widersetzten sich den Eingriffen der Volksbildungsverwaltung unter Paul Wandel (SED) in die Autonomie der Berliner Universität. Nachdem im April 1948 Redakteure einer unabhängigen Studentenzeitung relegiert worden waren, riefen Studenten zur Gründung einer „Freien Universität“ in Westberlin auf.[68]

Seit dem Sommer 1947 sprach General Kotikow in den Sitzungen der Kommandantur immer häufiger von Groß-Berlin als einem Teil der SBZ.[69] Die nach der Bildung der Bizone beginnende Verlegung westalliierter Stäbe nach Frankfurt am Main deutete die Sowjetunion in der Öffentlichkeit als Abzug der Westmächte, um so die Unruhe unter der Bevölkerung zu steigern. Nach der gescheiterten Außenministerkonferenz von London im Frühjahr 1948 nahmen die Behinderungen des Verkehrs zwischen den Westzonen und Berlin ständig zu. Die Westalliierten mussten zeitweilig eine kleine Luftbrücke errichten, die täglich 60 bis 100 Tonnen Güter für den eigenen Bedarf transportierte. Nach einem Luftzwischenfall im April drohten die Briten an, ihre Passagierflugzeuge fortan von Jagdmaschinen begleiten zu lassen. Sie planten, Lebensmittellager anzulegen und ordneten den Bau eines Kraftwerkes im britischen Sektor an, da das in Ostberlin gelegene Kraftwerk Klingenberg sowjetischer Kontrolle unterlag.[70]

Insgesamt jedoch waren die Westmächte auf die Blockade mangelhaft vorbereitet:[71] „Auf die sowjetischen Versuche, ihre Herrschaft über Berlin zu behaupten und die Verbindungen mit dem Westen zu lähmen, antworteten die Alliierten zusammenhanglos, manchmal mit starken Worten und militärischen Gesten, manchmal mit Unentschlossenheit und Kompromissbereitschaft.“

Die Regierungen in Washington und London waren sich der Auswirkungen eines Rückzuges aus Berlin auf das europäische Kräfteverhältnis durchaus bewusst, wohl in stärkerem Maße als die französische Diplomatie.[72] Dennoch enthielt das Londoner Kommuniqué vom Juni 1948[73] keine Äußerungen zur Lage in Berlin, obwohl General Clay in einer telefonischen Konferenz mit dem Washingtoner Kriegsministerium im April in beschwörenden Worten Härte gefordert hatte:[74] „ Die Tschechoslowakei haben wir verloren, Norwegen schwebt in Gefahr. Wir geben Berlin auf. Wenn Berlin fällt, folgt Westdeutschland als nächstes. Wenn wir beabsichtigen, Europa gegen den Kommunismus zu halten, dürfen wir uns nicht von der Stelle rühren. Wir können Demütigungen und Druck, die nicht zum Kriege führen, in Berlin einstecken, ohne das Gesicht zu verlieren. Wenn wir fortgehen, gefährden wir unsere europäische Position. Falls Amerika dies jetzt nicht versteht, wenn es nicht begreift, daß die Würfel gefallen sind, wird es nie zu dieser Erkenntnis kommen, und der Kommunismus wird alles überrennen. Ich glaube, die Zukunft der Demokratie verlangt von uns, daß wir bleiben.“

In dieser Lage erkannte der Kreis um Ernst Reuter früh, wie viel von der Haltung der Berliner Bevölkerung selbst abhing. Am 18. März, am Tage der Jahrhundertfeier der 1848er Revolution, zur selben Stunde, als in Ostberlin der Volkskongress tagte, riefen Franz Neumann (SPD), Jakob Kaiser (CDU), Karl Hubert Schwennicke (LDPD) die Berliner in einer Massenversammlung vor der Ruine des ausgebrannten Reichstages zum Widerstand auf. [75]

So wurde die deutsche Hauptstadt der Schauplatz dramatischen Geschehens, an welchem deutsche Politiker in stärkstem Maße die Entscheidungen der Besatzungsmächte mitzugestalten vermochten.[76]

Am 16.06.1948 verließen die sowjetischen Vertreter die Sitzung der Alliierten Kommandantur; die Ausschüsse setzten ihre Beratungen allerdings noch einige Zeit fort. Am 18. Juni gaben die Westmächte ihre Währungsreform bekannt, ohne sie sogleich auf Berlin auszudehnen.[77] Vier Tage später erörterten Finanzexperten der vier Mächte noch einmal ergebnislos die Auswirkungen der getrennten Reformmaßnahmen auf Berlin. Die französischen Sachverständigen waren bereit, die Ostmark in ganz Berlin als verbindliches Zahlungsmittel anzuwenden. Dem widersetzten sich die beiden anderen Stadtkommandante, solange bestimmte Bedingungen hinsichtlich der Kontrolle des Geldumlaufs ungeklärt erschienen.[78]

Die Sowjetunion ordnete darauf kurzfristig an, dass ihre Währungsreform in allen Sektoren Berlins zu gelten habe. Sie verpflichteten Louise Schröder, ihre Anweisungen durchzuführen. Am 23.06 verfügten die Westmächte, dass in ihren Sektoren die Westmark als gültiges Zahlungsmittel einzuführen sei. Sie verlangten vom Magistrat, dass er die sowjetischen Anweisungen lediglich im Ostsektor respektiere.[79]

Für die Nachmittagsstunden hatte der Stadtverordnetenvorsteher Suhr (SPD) eine Sitzung des Berliner Parlamentes in das im Sowjetsektor gelegene Stadthaus einzuberufen. Die Einheitspartei mobilisierte Demonstranten. Grumke schilderte die Ereignisse folgendermaßen:[80] „Die Straßen vor dem Stadthaus sind mit Menschenmengen überfüllt. Die Demonstranten, die sich gegen 14 Uhr Einlaß verschafft haben, haben die Tribünen des Stadtverordnetensaales gewaltsam besetzt und füllen fast den ganzen oberen Korridor des Gebäudes. Stadtrat Theuner soll, wie wir erfahren, verstärkten Polizeischutz angefordert haben.“

Die Polizei kam dieser Aufforderung nicht nach, so dass nach dem Ende der Sitzung einzelne Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung Misshandlungen erdulden mussten. Die Situation begann, sich zuzuspitzen:[81] „Unter lautem Protest und Drohrufen der im Stadthaus versammelten Menge erklärte Stadtverordnetenvorsteher Suhr, daß die Sitzung nicht eher eröffnet werde, bis die Tribüne wieder geräumt worden sei. Immer mehr Leute haben sich vor dem Stadthaus versammelt. Sie tragen rote Fahnen und Transparente. Ein Lautsprecherwagen überträgt Ansprachen von Otto Grotewohl und Walter Ulbricht.“

Einige der Parlamentarier konnten erst in den späten Abendstunden das Rathaus wieder verlassen, nachdem der Magistrat gegen den Protest der SED-Fraktion seine Absicht bekundet hatte, zwei Währungen nebeneinander bestehen zu lassen. In der Nacht vom 23. zum 24. Juni sperrte die Sowjetunion den gesamten Personen- und Güterverkehr nach Berlin, die Stromlieferung aus dem Ostsektor und die Lebensmittelzufuhr aus ihrer Zone.[82]

Beide Seiten verlagerten sich auf die psychologische Kriegsführung. Im Laufe des 24. Juni strahlte der Ostsender Meldungen aus, die Westberliner Wasserversorgung sei im Begriffe zusammenzubrechen. Eine Gegendarstellung des amerikanischen Rundfunksenders RIAS veranlasste die Westberliner Haushalte, die sprunghaft gestiegen Wasserentnahme wieder auf ein normales Maß zu vermindern. Die UGO warnte die Arbeitnehmer vor Streikparolen des FDGB. Während 80.000 Berliner sich auf einer Massenversammlung zum Zeichen des Protests gegen die in den frühen Morgenstunden begonnene Blockade vereinten, liefen die ersten Gegenmaßnahmen des Westens an: die Transporte von Kohle und Stahl aus der Bizone in den Osten wurden unterbrochen.[83]

Am 25. Juni fasste General Clay den Entschluss, eine Luftbrücke einzurichten.[84] Noch zögerte die Regierung in Washington, sich eindeutig zu entscheiden. An jenem Tag transportierten britische Maschinen 6,5 Tonnen Lebensmittel nach Berlin. Niemand hielt es für möglich, dass genau dreihundert Tage später 927 Flugzeuge in ein bis zwei Minuten Abstand auf den Flugplätzen Tempelhof, Gatow und Tegel landend, an einem Tage 6.393,8 Tonnen Güter in die belagerte Stadt befördern würden, nicht nur Lebensmittel, sondern auch Kohle, Werkzeuge und Maschinen.[85]

Noch am selben Tag beschloss der Magistrat, die dringendsten Maßnahmen zur Rationierung einzuleiten und einen Appell an die Vereinten Nationen zu entwerfen.[86] Die Demonstrationen im Stadthaus erzwangen erste – mit Rücksicht auf die zum Magistrat gehörenden SED-Stadträte noch informelle – Gespräche über eine mögliche Verlegung von Dienststellen aus dem Ostsektor nach Westberlin.

Die sowjetische Seite erklärte am 1. Juli, dass die Alliierte Kommandantur nicht mehr bestehe:[87] „Am 3. Juli begaben sich die drei westlichen Militärgouverneure einzeln zu Sokolowskijs Hauptquartier bei Potsdam. Sie wurden an der Stadtgrenze von sowjetischen Begleitoffizieren empfangen. Man führte uns direkt in Sokolowskijs Vorzimmer, sodann in seinen Arbeitsraum. Dort begrüßte er uns höflich, aber kalt. (…) Robertson drückte seine Besorgnis über die Verschlechterung unserer Beziehungen aus, die in der Blockade gipfelten, und sagte, wir wünschten uns in der Währungsfrage eine Übereinkunft zu erzielen, durch die alles wieder in Ordnung käme. Sokolowskij unterbrach ihn, um in verbindlichem Ton zu erklären, die technischen Schwierigkeiten würden solange anhalten, bis wir unsere Pläne für eine westdeutsche Regierung begraben hätten. Das war ein erstes Eingeständnis der wirklichen Blockadegründe.“

Offenbar war die Sowjetunion davon überzeugt, dass die Luftbrücke auf die Dauer keinen Erfolg haben könnte – schon gar nicht während der Wintermonate.[88] Am 7. Juli traf zwar der erste Kohletransport an Bord einer Skymaster an. Die Zahl der einsatzbereiten Maschinen erschien dennoch zu gering, obwohl aus allen Teilen der Welt britische und amerikanische Flugzeuge nach Deutschland geschickt wurden.

So erwog General Clay eine Mitteilung an die Sowjetunion, ein bewaffneter Konvoi werde nach Berlin durchbrechen, um die „technischen Schwierigkeiten“, von denen in sowjetischen Verlautbarungen die Rede war, zu beseitigen.[89] Clay ging von der Vermutung aus, dass die Sowjetunion an einem Krieg gar nicht interessiert sei. Die Regierung der USA hielt jedoch das Risiko für zu groß und zog daher einen Notenwechsel und diplomatische Verhandlungen vor.[90]

In der Tat begannen in den letzten Tagen des Juli Gespräche zwischen den Botschaftern der Westmächte und sowjetischen Regierungsstellen in Moskau, an denen sich zeitweilig Stalin selbst beteiligte. Immerhin konnten sich die vier Verhandlungspartner Ende August über eine Direktive an ihre Berliner Kommandanten einigen – mit dem Inhalt, dass die Blockade aufzuheben und in ganz Berlin die Ostwährung einzuführen sei.[91]

Das Abkommen erwies sich jedoch als hinfällig, sobald die Besatzungsbehörden in die Beratung der technischen Details eintraten.[92]

Eine Verständigung erschien umso schwieriger, als die SED inzwischen die Angriffe auf die gewählten politischen Organe Berlins verstärkt hatte.[93] Im Juli war ein Aufruf an die Westberliner ergangen, sich zum Einkauf von Lebensmitteln im Ostsektor registrieren zu lassen. Die Bevölkerung sah darüber hinweg, da selbst in den harten Wintermonaten schätzungsweise 4% der Westberliner Bevölkerung in Ostberlin einkaufte.[94]

Als im Herbst Louise Schröder erkrankte und Friedensburg (CDU) als amtierender Bürgermeister an ihre Stelle trat, legte dieser Wert darauf, sein Büro im alten Stadthaus zu behalten, obwohl einige Dienststellen inzwischen nach Westberlin umgezogen waren und man auch mit dem Aufbau einer – der Befehlsgewalt des Polizeipräsidenten Markgraf nicht länger unterworfenen – Polizei begonnen hatte.

Am 26. August drangen SED-Demonstranten in eine Stadtverordnetensitzung ein. Als am folgenden Tag die eisernen Gitter vor dem Haupteingang geschlossen wurden, stürmte die Menge das Stadthaus. Suhr musste die Sitzung des Parlamentes vertagen. Ein dritter Versuch am 6. September, die Stadtverordneten im Rathaus zu versammeln, scheiterte angesichts der Ausschreitungen der Demonstranten, so dass die Mehrheit der Stadtverordneten sich entschloss, die Sitzung von nun an im Westsektor abzuhalten. Ca. 250.000 Menschen protestierten am 9. September auf dem Platz der Republik vor dem Reichstag gegen das Vorgehen der SED.[95] Als einige Demonstranten versuchten, die rote Fahne vom Brandenburger Tor herunterzuholen und zu verbrennen, eröffneten sowjetische Soldaten das Feuer und töteten dabei einen Jugendlichen.[96]

In der ersten Oktoberwoche beschäftigte sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Konflikt in Berlin.[97] Der Gedanke, die Weltorganisation einzuschalten, nachdem die Moskauer Botschaftergespräche als gescheitert gelten mussten, ging von amerikanischer Initiative aus. Großbritannien und Frankreich zögerten zunächst, freundeten sich aber dann mit dem amerikanischen Vorschlag an.[98] Der sowjetische Vertreter teilte mit, er werde sich an den Beratungen nicht beteiligen. Als die nicht unmittelbar in den Konflikt verwickelten Mitglieder des Sicherheitsrates ihre Bemühungen verstärkten, um eine Kompromissformel auf der Grundlage der im August getroffenen Vereinbarungen zu erzielen, bezog die sowjetische Delegation ihrerseits Stellung. Sie bediente sich des Vetorechtes, um eine Entschließung des Sicherheitsrates zu verhindern, die die Einführung der Ostwährung in ganz Berlin mit einer Vier-Mächte-Kontrolle des Geldwesens verbinden wollte.[99] Es erwies sich dabei, dass die in Deutschland tätigen westalliierten Militärs und Politiker solche Kompromisspläne skeptischer beurteilten als die Diplomaten in den ausländischen Hauptstädten.[100] Vorstellungen der um Vermittlung bemühten Finanzexperten der UNO mussten sich ab Ende November mit einem zusätzlichen administrativen Problem auseinandersetzen: der Spaltung des Berliner Magistrats.

Im Herbst 1948 hatte die Sowjetunion den Ring um Berlin, die Sperren an der Sektorengrenze enger gezogen und die Bezirksämter der acht Ostberliner Bezirke personell verändert. Am 30. November, als der Sicherheitsrat einen Spezialausschuss mit der Untersuchung der Berliner Währungssituation betraute, da rief die SED über tausend Funktionäre und Abgesandte der Parteien und Organisationen in einem Ostberliner Theatersaal zusammen, erklärte den demokratisch gewählten Magistrat für abgesetzt und ernannte Fritz Ebert (SED)[101] zum neuen Oberbürgermeister.[102] Ebert versicherte, dass Berlin voll in die sowjetische Zone eingegliedert werde.[103] Am folgenden Morgen hinderte die Polizei im Ostsektor den amtierenden Bürgermeister Friedensburg am Betreten des Stadthauses. Die Sowjetunion erkannte sogleich den neu eingesetzten Magistrat an, dem die in Westberlin tagende Stadtverordnetenversammlung ebenso wie die westlichen Kommandanten jede Legitimation absprach.

Der Grund für die Spaltung des Magistrats lag auf der Hand: nach der vorläufigen Verfassung der Stadt mussten alle zwei Jahre Wahlen abgehalten werden. Sie waren für Anfang Dezember geplant, obwohl die Wahlvorbereitungen im Ostsektor auf sowjetische Weisung abgebrochen worden waren. Die SED rief zum Boykott der Wahlen auf und ließ kein Mittel unversucht, die Bevölkerung von der Ausübung des Stimmrechts abzuschrecken.

Dennoch gaben 86,6% der wahlberechtigten Westberliner ihre Stimme ab. 64,5% entschieden sich für die SPD, 19,4% für die CDU und 16,1% für die LPD. Nach den Wahlen vom 5. Dezember übernahm Ernst Reuter das Amt des Oberbürgermeisters.

Ende Januar gab Stalin der amerikanischen Nachrichtenagentur INS ein Interview, das die Diplomaten aufhorchen ließ.[104] Stalin machte die Aufhebung der Blockade davon abhängig, dass die vom Westen an der Zonengrenze errichtete Gegenblockade ebenfalls beendet und eine Vier-Mächte-Außenministerkonferenz einberufen werde, bevor der westdeutsche Staat endgültig aus der Taufe gehoben sei.[105] Die Währungsfrage erwähnte Stalin nicht mehr. Am 15. Februar richtete der stellvertretende Delegierte der USA im Sicherheitsrat, Jessup, an den sowjetischen Vertreter Malik die Frage, ob die Unterlassung Stalins zufällig sei. Einen Monat später teilte Malik Jessup mit, nichts sei zufällig, die Sowjetunion halte die Währungsfrage für wichtig, glaubten jedoch, sie sei am besten auf einer Außenministerkonferenz zu besprechen. Am 21. März ergänzte Malik seine Mitteilung dahingehend, dass die Blockade vor dem Beginn der Konferenz aufgehoben werden könnte, sobald nur der Tagungstermin fest vereinbart sei.

Einen Tag zuvor hatten die Westmächte die DM-West zum einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel innerhalb ihrer Sektoren erklärt.[106]

Ende März rief die Sowjetunion Sokolowskij aus Deutschland ab und ernannte an seiner Stelle General Tschuikow zum Befehlshaber. Verschiedene Umstände deuteten darauf hin, dass der politische Berater der SMAD, Oberst Tulpanow, in Ungnade gefallen war.

Die USA und Großbritannien unterstrichen am 16. April noch einmal die Leitungsfähigkeit der Luftbrücke: 12.940 Tonnen Güter wurden binnen 24 Stunden nach Berlin gebracht. Die Sowjetunion hatte ihre Vertreter auch während der Blockade nicht aus der Alliierten Luftsicherheitszentrale zurückgezogen und wusste daher über den Verkehr in den drei Luftkorridoren genau Bescheid.

Am 4. Mai legten die Siegermächte ein zusammen ausgearbeitetes Kommuniqué der Öffentlichkeit vor.[107] Darin wurde beschlossen, dass Blockade und Gegenblockade am 12. Mai zu beenden und danach dieselben Maßnahmen anzuwenden seien, die vor dem 1. März 1948 gegolten hatten.[108]

In annähernd 200.000 Flügen transportierten britische und amerikanische Maschinen während der Zeit der Luftbrücke ca. 1,44 Millionen Tonnen nach Berlin – darunter 950.000 Tonnen Kohle und 438.000 Tonnen Lebensmittel.[109] In Berlin selbst waren zehntausende Arbeitskräfte in drei Schichten am Werk, in Tempelhof und Gatow neue Landebahnen anzulegen und den Flughafen Tegel zu bauen.[110] Dabei starben mehr als 50 Menschen (Piloten, Bodenpersonal, Zivilbevölkerung).[111]

Das Ende der Blockade feierten die Berliner gemeinsam mit den alliierten Soldaten.[112][113]

Über die Ursachen des sowjetischen Nachgebens gingen die Meinungen im Westen auseinander: die Gegenblockade[114] hatte zweifellos die Wirtschaft der Sowjetzone in Schwierigkeiten gebracht. Der Kampf um Berlin fügte dem sowjetischen Prestige schweren Schaden zu.[115] Dessen ungeachtet hatte die Sowjetunion in der Zwischenzeit jedoch in ihrer Besatzungszone eine volksdemokratische Ordnung herangebildet.

Der Abbruch der Blockade[116] am 12.05.1949 war in den Augen der Weltöffentlichkeit die schwerste Niederlage, die die Sowjetunion seit dem Ende des 2. Weltkrieges hinnehmen musste.[117] Aber zur gleichen Zeit bedeutete der Sieg der kommunistischen Armee in China den größten Machtzuwachs der Sowjetunion seit 1945.[118]

Die Entwicklung der SED zur „Partei neuen Typus“

Das entscheidende Vorgehen bei der Errichtung eines volksdemokratischen Systems in der SBZ war die Umgestaltung der SED zur „Partei neuen Typus“, d.h. zu einer leninistischen Kaderpartei, die sich politisch-ideologisch dem Führungsanspruch der KPdSU unterwarf.[119]

Am 29.06.1948 versicherte Grotewohl in einer Rede vor dem SED-Parteivorstand, die SED werde sich in den nächsten Jahren „eindeutig und ohne jeden Rückhalt nach dem Osten zu orientieren“ haben. Der Weg der Volksdemokratien Osteuropas sei die einzige Entwicklungsmöglichkeit in der sowjetischen Zone.

Die SED mit nahezu 2 Millionen Mitgliedern müsse von einer Massenpartei zu einer Kaderpartei umgeschmiedet werden. Der Parteivorstand verpflichtete am folgenden Tag alle Mitglieder zur ideologischen Schulung. Offenkundig bereiteten der Parteiführung auch nationalkommunistische Strömungen Sorge, denn am 3. Juli machte die SED sich in einem Beschluss „Zur Jugoslawienfrage“ alle Argumente zu eigen, deren sich Stalin und das Kominform beim offenen Bruch mit den jugoslawischen Kommunisten unter Tito bedient hatten. Wenige Wochen später wandte Ulbricht sich scharf gegen „antisowjetische Propaganda“ in Belegschaftsversammlungen großer Betriebe und bei Zusammenkünften von SED-Mitgliedern.

Der Parteivorstand gab Ende Juli Anweisungen für eine umfangreiche Parteisäuberung, die vor allem die ehemaligen Sozialdemokraten bedrohte. Parteikontrollkommissionen überprüften auf allen Ebenen der Parteiorganisation Mitglieder und Funktionäre.

Im September rückte die SED auch offiziell von der These ab, ein „besonderer deutscher Weg zum Sozialismus“ sei möglich und wünschenswert.[120] Anton Ackermann selbst, der diese Konzeption im Frühjahr 1946 mit der Billigung der kommunistischen Parteiführung entwickelt hatte, übte Selbstkritik und versprach, diese „ernste theoretische Entgleisung“ zu liquidieren und „bis auf den letzten Rest auszumerzen“. Die KPdSU sei in jeder Hinsicht das Vorbild der marxistisch-leninistischen Arbeiterparteien.

Die im Januar 1949 tagende 1. Parteikonferenz der SED, ein außerordentlicher Parteitag, vollendete die Struktur der „Partei neuen Typus“. Aus dem zahlenmäßig starken Parteivorstand ging ein kleineres Spitzengremium hervor, das Politbüro. Der Beitritt zur SED wurde erschwert: Bewerber mussten zunächst eine Zeit als Kandidat durchlaufen. Die paritätische Besetzung der Führungsgremien wurde auch offiziell beseitigt. Ehemalige Sozialdemokraten, die ihrer politischen Überzeugung treu bleiben wollten, schieden aus. Die SED beschränkte den politischen Spielraum der anderen Parteien auf ein geringes Maß.[121]

Der bedeutsamste Vorgang bei der Gleichschaltung der Parteien und Verbände war die Umgestaltung des FDGB. Er spielte in der politischen Strategie der SED schon deshalb eine Rolle, weil die Partei im Juni 1948 einen Zweijahresplan zur wirtschaftlichen Entwicklung der Zone 1949/50 der DWK zugeleitet hatte: dieser Plan sollte den Anschluss an den Fünfjahresplan-Rhythmus der Sowjetunion herstellen. Er ging davon aus, dass die Produktion gegenüber 1947 um 35% zu steigern sei. Angesichts des geringen Investitionsaufwandes setzte dies eine vermehrte menschliche Arbeitsleistung voraus und in der Tat verlangte der Zweijahresplan ein Wachstum der Arbeitsproduktivität um 30%.

Ende November tagten Funktionäre des FDGB in Bitterfeld und verlangten eine Abkehr von den „überholten gewerkschaftlichen Traditionen in der Lohn- und Tarifpolitik.“ Der Leistungslohn sei überall anzuwenden. Die Gewerkschaften hätten nicht mehr länger die Aufgabe, „Arbeiter gegenüber den Unternehmern zu vertreten, sondern vielmehr in Zukunft ihre Aufmerksamkeit der Arbeitsdisziplin und der Steigerung der Arbeitsproduktivität zuzuwenden.“ Die aus freien und geheimen Wahlen hervorgegangenen Betriebsräte wurden aufgelöst und durch Betriebsgewerkschaftsleitungen als unterste Organe des FDGB ersetzt.

Im Oktober 1948 beendete der Deutsche Volksrat seine Beratungen über den Verfassungsentwurf der Deutschen Demokratischen Republik. Der Entwurf beschrieb zwar die Grund- und Bürgerrechte, andererseits fanden sich in ihm sehr zweifelhafte Bestimmungen wie der Begriff „Boykotthetze“ als Mittel der Bekämpfung politischer Opposition und der Verzicht auf eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die selbst Parlamentsmehrheiten zur Respektierung der Grundrechte anhalten könnte. Die Verfassung sah eine 400köpfige Volkskammer und eine Länderkammer vor, daneben die Möglichkeit des Volksentscheides. Volkskammer und Länderkammer sollten gemeinsam den Präsidenten wählen. Die Verfassung schrieb vor, dass der Ministerpräsident von den stärksten Fraktionen zu ernennen sei und dass jede Fraktion mit mehr als 40 Abgeordneten an der Regierungsbildung zu beteiligen sei, sofern sie nicht ausdrücklich Opposition bleiben wollte.

Im Frühjahr 1949 hielt die SED eine neue Wahl in der Sowjetzone für zweckmäßig. Sie ließ indessen nicht mehr wie im Herbst 1946 mehrere Parteien nebeneinander bestehen, sondern schuf eine Einheitsliste, die der Wähler bei der Wahl zum Dritten Deutschen Volkskongress nur noch annehmen oder ablehnen konnte. Die Sitze bei dieser Wahl waren nach folgendem Schlüssel willkürlich verteilt worden: SED 25%, CDU und LDPD je 15%, NDPD und DBD je 7,5%. Ein Zehntel der Sitze entfiel auf den FDGB, 5% auf FDJ und den Kulturbund, je 3,7% auf den Demokratischen Frauenbund und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und je 1,3% auf die VdgB und die Genossenschaften.

Noch während der Stimmenauszählung erkannte die SED, dass ein zustimmendes Votum zum Dritten Deutschen Volkskongress ausgeblieben war. Daraufhin ließen die Länderinnenminister die Stimmauszählung nach neuen Gesichtspunkten wiederholen. In Brandenburg erhielten die Wahlvorstände folgendes Fernschreiben:[122] „Der Landesvolksausschuß hat nach Mitteilung von Herrn Minister Bechler einstimmig beschlossen, daß nur die Stimmzettel als Nein gezählt werden, bei denen das Kreuz im Kreis ‚Nein’ gekennzeichnet wurde. Alle anderen Stimmzettel sind gültig. Unbeschriebene Stimmzettel gelten als Ja-Stimmen. Alle Bürgermeister haben sofort die ungültigen Stimmzettel und Stimmzettel mit ‚Nein’ vom Sonntag in dieser Richtung zu überprüfen. Die Bürgermeister tragen für die Durchführung dieser Maßnahme die volle Verantwortung.“[123]

Ähnliche Maßnahmen erfolgten in den anderen Ländern. Das Endergebnis konnte daher erst 20 Stunden nach Schließung der Wahllokale bekannt gegeben werden. Bei einer Wahlbeteiligung von 95,2% bezifferte die SED den Anteil der Ja-Stimmen auf 61,1%, in Ostberlin sogar nur 51,6%). Die 38,9% der Abstimmenden, die trotz Wahlmanipulationen als Nein- oder ungültige Stimmen gewertet werden mussten, hatten keine Repräsentanten im Dritten Deutschen Volkskongress, der am 29-30. Mai in Ostberlin zusammentrat. Die 1400 aus der SBZ stammenden Mitglieder bestätigten die Verfassung der DDR, wählten einen 400-köpfigen 2. Deutschen Volksrat und forderten eine „Nationale Front für Einheit und gerechten Frieden“. An die Außenministerkonferenz richteten sie einen Appell im Namen des deutschen Volkes.

Das entscheidende Vorgehen bei der Errichtung eines volksdemokratischen Systems in der SBZ war die Umgestaltung der SED zur „Partei neuen Typus“, d.h. zu einer leninistischen Kaderpartei, die sich politisch-ideologisch dem Führungsanspruch der KPdSU unterwarf.[124]

Am 29.06.1948 versicherte Grotewohl in einer Rede vor dem SED-Parteivorstand, die SED werde sich in den nächsten Jahren „eindeutig und ohne jeden Rückhalt nach dem Osten zu orientieren“ haben. Der Weg der Volksdemokratien Osteuropas sei die einzige Entwicklungsmöglichkeit in der sowjetischen Zone.

Die SED mit nahezu 2 Millionen Mitgliedern müsse von einer Massenpartei zu einer Kaderpartei umgeschmiedet werden. Der Parteivorstand verpflichtete am folgenden Tag alle Mitglieder zur ideologischen Schulung. Offenkundig bereiteten der Parteiführung auch nationalkommunistische Strömungen Sorge, denn am 3. Juli machte die SED sich in einem Beschluss „Zur Jugoslawienfrage“ alle Argumente zu eigen, deren sich Stalin und das Kominform beim offenen Bruch mit den jugoslawischen Kommunisten unter Tito bedient hatten. Wenige Wochen später wandte Ulbricht sich scharf gegen „antisowjetische Propaganda“ in Belegschaftsversammlungen großer Betriebe und bei Zusammenkünften von SED-Mitgliedern.

Der Parteivorstand gab Ende Juli Anweisungen für eine umfangreiche Parteisäuberung, die vor allem die ehemaligen Sozialdemokraten bedrohte. Parteikontrollkommissionen überprüften auf allen Ebenen der Parteiorganisation Mitglieder und Funktionäre.

Im September rückte die SED auch offiziell von der These ab, ein „besonderer deutscher Weg zum Sozialismus“ sei möglich und wünschenswert.[125] Anton Ackermann selbst, der diese Konzeption im Frühjahr 1946 mit der Billigung der kommunistischen Parteiführung entwickelt hatte, übte Selbstkritik und versprach, diese „ernste theoretische Entgleisung“ zu liquidieren und „bis auf den letzten Rest auszumerzen“. Die KPdSU sei in jeder Hinsicht das Vorbild der marxistisch-leninistischen Arbeiterparteien.

Die im Januar 1949 tagende 1. Parteikonferenz der SED, ein außerordentlicher Parteitag, vollendete die Struktur der „Partei neuen Typus“. Aus dem zahlenmäßig starken Parteivorstand ging ein kleineres Spitzengremium hervor, das Politbüro. Der Beitritt zur SED wurde erschwert: Bewerber mussten zunächst eine Zeit als Kandidat durchlaufen. Die paritätische Besetzung der Führungsgremien wurde auch offiziell beseitigt. Ehemalige Sozialdemokraten, die ihrer politischen Überzeugung treu bleiben wollten, schieden aus. Die SED beschränkte den politischen Spielraum der anderen Parteien auf ein geringes Maß.[126]

Der bedeutsamste Vorgang bei der Gleichschaltung der Parteien und Verbände war die Umgestaltung des FDGB. Er spielte in der politischen Strategie der SED schon deshalb eine Rolle, weil die Partei im Juni 1948 einen Zweijahresplan zur wirtschaftlichen Entwicklung der Zone 1949/50 der DWK zugeleitet hatte: dieser Plan sollte den Anschluss an den Fünfjahresplan-Rhythmus der Sowjetunion herstellen. Er ging davon aus, dass die Produktion gegenüber 1947 um 35% zu steigern sei. Angesichts des geringen Investitionsaufwandes setzte dies eine vermehrte menschliche Arbeitsleistung voraus und in der Tat verlangte der Zweijahresplan ein Wachstum der Arbeitsproduktivität um 30%.

Ende November tagten Funktionäre des FDGB in Bitterfeld und verlangten eine Abkehr von den „überholten gewerkschaftlichen Traditionen in der Lohn- und Tarifpolitik.“ Der Leistungslohn sei überall anzuwenden. Die Gewerkschaften hätten nicht mehr länger die Aufgabe, „Arbeiter gegenüber den Unternehmern zu vertreten, sondern vielmehr in Zukunft ihre Aufmerksamkeit der Arbeitsdisziplin und der Steigerung der Arbeitsproduktivität zuzuwenden.“ Die aus freien und geheimen Wahlen hervorgegangenen Betriebsräte wurden aufgelöst und durch Betriebsgewerkschaftsleitungen als unterste Organe des FDGB ersetzt.

Im Oktober 1948 beendete der Deutsche Volksrat seine Beratungen über den Verfassungsentwurf der Deutschen Demokratischen Republik. Der Entwurf beschrieb zwar die Grund- und Bürgerrechte, andererseits fanden sich in ihm sehr zweifelhafte Bestimmungen wie der Begriff „Boykotthetze“ als Mittel der Bekämpfung politischer Opposition und der Verzicht auf eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die selbst Parlamentsmehrheiten zur Respektierung der Grundrechte anhalten könnte. Die Verfassung sah eine 400köpfige Volkskammer und eine Länderkammer vor, daneben die Möglichkeit des Volksentscheides. Volkskammer und Länderkammer sollten gemeinsam den Präsidenten wählen. Die Verfassung schrieb vor, dass der Ministerpräsident von den stärksten Fraktionen zu ernennen sei und dass jede Fraktion mit mehr als 40 Abgeordneten an der Regierungsbildung zu beteiligen sei, sofern sie nicht ausdrücklich Opposition bleiben wollte.

Im Frühjahr 1949 hielt die SED eine neue Wahl in der Sowjetzone für zweckmäßig. Sie ließ indessen nicht mehr wie im Herbst 1946 mehrere Parteien nebeneinander bestehen, sondern schuf eine Einheitsliste, die der Wähler bei der Wahl zum Dritten Deutschen Volkskongress nur noch annehmen oder ablehnen konnte. Die Sitze bei dieser Wahl waren nach folgendem Schlüssel willkürlich verteilt worden: SED 25%, CDU und LDPD je 15%, NDPD und DBD je 7,5%. Ein Zehntel der Sitze entfiel auf den FDGB, 5% auf FDJ und den Kulturbund, je 3,7% auf den Demokratischen Frauenbund und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und je 1,3% auf die VdgB und die Genossenschaften.

Noch während der Stimmenauszählung erkannte die SED, dass ein zustimmendes Votum zum Dritten Deutschen Volkskongress ausgeblieben war. Daraufhin ließen die Länderinnenminister die Stimmauszählung nach neuen Gesichtspunkten wiederholen. In Brandenburg erhielten die Wahlvorstände folgendes Fernschreiben:[127] „Der Landesvolksausschuß hat nach Mitteilung von Herrn Minister Bechler einstimmig beschlossen, daß nur die Stimmzettel als Nein gezählt werden, bei denen das Kreuz im Kreis ‚Nein’ gekennzeichnet wurde. Alle anderen Stimmzettel sind gültig. Unbeschriebene Stimmzettel gelten als Ja-Stimmen. Alle Bürgermeister haben sofort die ungültigen Stimmzettel und Stimmzettel mit ‚Nein’ vom Sonntag in dieser Richtung zu überprüfen. Die Bürgermeister tragen für die Durchführung dieser Maßnahme die volle Verantwortung.“[128]

Ähnliche Maßnahmen erfolgten in den anderen Ländern. Das Endergebnis konnte daher erst 20 Stunden nach Schließung der Wahllokale bekannt gegeben werden. Bei einer Wahlbeteiligung von 95,2% bezifferte die SED den Anteil der Ja-Stimmen auf 61,1%, in Ostberlin sogar nur 51,6%). Die 38,9% der Abstimmenden, die trotz Wahlmanipulationen als Nein- oder ungültige Stimmen gewertet werden mussten, hatten keine Repräsentanten im Dritten Deutschen Volkskongress, der am 29-30. Mai in Ostberlin zusammentrat. Die 1400 aus der SBZ stammenden Mitglieder bestätigten die Verfassung der DDR, wählten einen 400-köpfigen 2. Deutschen Volksrat und forderten eine „Nationale Front für Einheit und gerechten Frieden“. An die Außenministerkonferenz richteten sie einen Appell im Namen des deutschen Volkes.

Der Aufbau des neuen Staates

Die sowjetische Besatzungszone umfasste ein Gebiet von rund 108.000 qkm und hatte 1946 18,3 Millionen Einwohner.[129] Die sowjetischen Kommandanturen in den Städten, Orten und Kreisen, die in den ersten Wochen nach der Besetzung die Macht selbst ausübten, versuchten zunächst eine notdürftige Ordnung aufzurichten.[130] Bereits im Juni/Juli 1945 ernannten die Kommandanten deutsche Verwaltungen in den Gemeinden und Kreisen, die sich an den traditionellen Aufgaben dieser Organe orientierten und sich um die Lebensmittelversorgung und die Wohnungsverteilung kümmerten. Im Juli 1945 setzte die SMAD für die Länder Sachsen, Mecklenburg und Thüringen Landesverwaltungen ein, für die Provinzen (die 1947 ebenfalls in Ländern umgewandelt wurden) Brandenburg und Sachsen-Anhalt Provinzialverwaltungen.[131] Ab Oktober 1945 konnten die Landes- und Provinzialverwaltungen Gesetze erlassen- allerdings nur in Übereinstimmung mit der SMAD. Bereits am 27. Juli 1945 errichtete die SMAD aber auch 11 Zentralverwaltungen (u. a. Verkehrswesen, Handel und Versorgung, Volksbildung, Justiz), die als Hilfsorgane der SMAD arbeiteten und eine Keimzelle für eine deutsche Zentralregierung sein sollten.[132] In den Landesverwaltungen wurden alle Parteien berücksichtigt (in der Landesverwaltung Sachsen waren Anfang 1946 440 Mitglieder der KPD, 512 der SPD, 90 der LDP, 87 der CDU und 901 Parteilose beschäftigt) aber vor allem in den Schlüsselpositionen und Zentralverwaltungen war die KPD überrepräsentiert. Der Neuaufbau der Verwaltung war gekennzeichnet durch eine weitgehende personelle Neubesetzung.[133] Wie jede Maßnahme in den ersten Jahren nach der NS- Diktatur wurde sie mit der Beseitigung der Überreste des Hitler-Regimes begründet. Tatsächlich erreichte die SMAD durch rigorose Ausschaltung der Nationalsozialisten (bis 1948 etwa 520.000 Personen) aus dem öffentlich- politischen und beruflichen Leben eine weitgehende Entnazifizierung. Gleichzeitig benutzte die SMAD jedoch den radikalen Bruch mit dem faschistischen Deutschland, um alle entscheidenden Funktionen mit Kommunisten besetzen.[134] So erhielten die deutschen Kommunisten alle Machtpositionen, die allmählich von der Besatzungsmacht in deutsche Hände übergingen, und sie konnten nicht nur die Verwaltung, sondern vor allem Polizei und Justiz befehligen. Die SMAD baute bereits 1945 eine deutsche Polizei auf, die zunächst für Verkehrsregelung und Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung zuständig war. Doch bereits früh wurde auch eine politische Abteilung K 4 geschaffen, und bewährte Kommunisten übernahmen die Kommandohöhen. Die Volkspolizei unterstand zunächst den Innenministern der Länder. Mit der Bildung einer deutschen Zentralverwaltung des Innern begann 1948 jedoch der Aufbau einer zentralen Polizei, die von der SED beherrscht wurde.

Auch in der Justiz bestimmte in der ersten Phase allein die Besatzungsmacht. Auf Anweisung der SMAD wurde eine Justizreform durchgeführt, die von Anfang an unter kommunistischem Vorzeichen stand.[135] Nach Gesetz Nr. 4 des Kontrollrates sollten alle ehemaligen „aktiven“ Mitglieder der NSDAP aus dem Justizdienst entfernt werden. In der Sowjetzone legte die SMAD das Gesetz so aus, dass alle NSDAP- Mitglieder (also auch die passiven) entlassen wurden, d. h. etwa 85 Prozent aller Richter. Die KPD bzw. SED ersetzte sie durch rasch ausgebildete „Volksrichter“ und schuf sich so im Laufe der Zeit einen linientreuen Justizapparat. Bei den Landtagswahlen von 1946 konnte die SED, wie oben erwähnt, nicht die absolute Mehrheit der Stimmen erringen. Bei den Gemeindewahlen im September 1946 hatte die SMAD (durch Verweigerung der Registrierung von LDPD- und CDU- Ortsgruppen, ungleiche Papierzuteilung usw..) der SED günstige Ausgangspositionen verschafft, die dadurch in vielen kleinen Gemeinden siegte. In Großstädten (Leipzig, Dresden, Zwickau usw.) blieb die SED dennoch in der Minderheit. Bei den Landtagswahlen im Oktober 1946 erreichte die Partei in den Landtagen von Sachsen, Thüringen und Mecklenburg gemeinsam mit der SED- beherrschten „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“(VdgB) die Mehrheit der Sitze, nicht aber in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. CDU und LDPD mussten nach den Wahlen an der politischen Leitung beteiligt werden, von den Mitgliedern der Landesregierungen gehörten 21 der SED, 9 der LDPD, 8 der CDU und einer der VdgB an. Doch die SED behielt die wichtigsten Positionen, sie stellte in vier von fünf Ländern die Ministerpräsidenten ( diese kamen alle aus der SPD ), vor allem aber fünf Innenminister (alles frühere Kommunisten), alle Kultusminister und vier von fünf Wirtschaftsministern.[136] In den Regierungsprogrammen standen die Sicherung der Ernährung und der Aufbau der Wirtschaft im Vordergrund, aber auch die Fortführung der antifaschistisch demokratischen Umwälzung.[137] Die Verfassungen und Verordnungen der Länder bestätigten das parlamentarisch- demokratische Prinzip und die sozialen Veränderungen.[138] Die Landtage beschlossen 1947 Gesetze zur teilweisen Sozialisierung (in Thüringen gegen die Stimmen von LDPD und CDU). Der Widerstand zahlreicher Politiker der CDU und LDPD gegen die Auslegung des Begriffs „ antifaschistisch-demokratisch“[139] im Staat veranlasste die SMAD zu Eingriffen in die Personalstruktur dieser Parteien, missliebige und oppositionelle Politiker wurden 1947 und 1948 ausgewechselt, so dass die Stellung der SED unantastbar wurde.[140] Die Veränderung des Parteiensystems durch die SED, die Umwandlung zur „Partei neuen Typus“ und der Umbau des Staatswesens noch vor der Gründung der DDR schufen (unter der Herrschaft der sowjetischen Besatzungsmacht) ein neues politisches System. [141]

Die 1949 gegründete DDR wollte eine völlig neue gesamtdeutsche Gesellschaftsordnung auf antifaschistischer Grundlage konzipieren.[142] Die DDR war bestrebt, seine Bürger in Richtung Marxismus/Leninismus zu erziehen und somit ihre Macht abzusichern und eine kommunistische Gesellschaft zu schaffen. Die Begriffsverbindung wurde auch zur Würdigung der eigenständigen theoretischen und praktischen Verdienste Lenins bei der Weiterentwicklung des Marxismus geschaffen. In Anlehnung an Stalin definierte die SED den Marxismus-Leninismus als „(…) die von Marx und Engels begründete und von Lenin weiterentwickelte wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse, die von der internationalen kommunistischen Bewegung auf der Grundlage der Erfahrungen des sozialistischen und kommunistischen Aufbaus und der Praxis des revolutionären Befreiungskampfes ständig bereichert wird.“[143]

Die sowjetische Militäradministration SMAD hatte eine eigene Kulturabteilung, deren Leiter, der russische Literaturwissenschaftler Alexander Lwowitsch Dymschitz, die Richtlinien für die neue Kunst in die SBZ trug. Er betreute dabei die Wiederinstandsetzung und Wiedereröffnung von Theatern, Zusammenstellung von Spielplänen, Engagement von Schauspielern und vieles mehr. Auch an der Gründung der DEFA war er wesentlich beteiligt. Während er sich einerseits für die Aufführung umstrittener Stücke einsetzte, veröffentlichte er gleichzeitig auf Parteilinie liegende Artikel in der Täglichen Rundschau zu neuen Kunstentwicklungen. 1949 wurde Dymschitz nach parteiinternen Anschuldigungen von seinem Posten abberufen. Individualismus, Subjektivismus, Emotionen und Fantasien seien Ausdruck bürgerlicher Dekadenz und somit abzulehnen. Sein am 19. November 1948 in der Zeitung Tägliche Rundschau erschienener Artikel gilt als Auslöser für eine Kehrtwende in der Kunst Ostdeutschlands im Sinne einer wenig später „sozialistischer Realismus“ genannten Doktrin. Zwei Wochen später wies die Abteilung „Parteischulung, Kultur und Erziehung“ der SED die Landesparteien an, Diskussionen über den Dymschitz-Artikel zu organisieren. Im Januar 1949 regte die SED an, die Dymschitz-Thesen auch auf andere Teile der Kunst als die Malerei auszudehnen. In zahlreichen Veranstaltungen, unter anderem auch des Kulturbunds, begannen nun Grundsatzdiskussionen mit, wie Magdalena Heider in ihrem Buch über den Kulturbund ausführt, auch vielen kritischen Stimmen. So hielten Teilnehmer einer Diskussionsveranstaltung des „Arbeitskreises Bildende Kunst im Kulturbund“ im thüringischen Hildburghausen die Einteilung von Kunst in richtig und falsch, in gut und böse, für falsch. „Die Brandmarkung als entartet bzw. dekadent“ erinnere an die NS-Zeit.[144]

Die Kunst konnte sich in der ersten Periode noch frei entwickeln.[145] Im Mittelpunkt von Literatur, bildender Kunst und Film stand die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Krieg; Besatzungsmacht und SED ließen hier zunächst einen großen Spielraum.[146] Nach den Erfahrungen mit der NS- Zeit und ihrem Kampf gegen „entartete Kunst“ akzeptierte man bewusst ein breites Spektrum, in dem sich auch (noch) die Moderne entfalten konnte.[147] 1949 signalisierten Angriffe gegen die abstrakte Kunst aber bereits einen Richtungswechsel. Da die SMAD die Massenkommunikationsmittel früh in die Hände der deutschen Kommunisten gelegt hatte, bestimmte die Partei im Rundfunk und im Verlagswesen, und - da SED- Zeitungen zahlreicher waren, höhere Auflagen und größere Papierzuteilungen hatten- auch in der Presse. Die öffentliche Meinung wie das Bildungswesen konnten so bereits in der ersten Phase stark von der Einheitspartei beeinflusst werden.[148] Im Juni 1945 gründete sich der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“.[149] Der Kulturbund bedeutete eine Integration der künstlerischen Kräfte zur Unterstützung der neuen Führungsmacht. Die Zeitschrift „Aufbau“ fungierte als wichtigstes kulturpolitisches Organ.[150][151] Die Kulturpolitik in der SBZ bis 1947 wurde von Offizieren der SMAD bestimmt, die „ein traditionell freundliches Verhältnis zur deutschen Kulturtradition hatten“.[152] Das wichtigste Instrument zur Durchsetzung der sozialistischen Kulturpolitik im Bereich der bildenden Kunst war jedoch der Verband Bildender Künstler Deutschlands (VBKD) (ab 1969 VBK der DDR).[153] Er konstituierte sich im Juni 1950 in Berlin auf dem vom Kulturbund einberufenen 1. Kongress der bildenden Künstler der DDR. Im Zuge der territorialen Neugliederung des Landes in Bezirke bildeten sich 1952 Bezirksverbände, die sich ebenso wie der Zentralvorstand in Sektionen gliederten (Malerei und Grafik, Plastik, Karikatur, Formgestaltung, Kunstwissenschaft). Auf den etwa alle vier bis fünf Jahre stattfindenden Verbandskongressen wurde ein Zentralvorstand gewählt, der seinerseits über die personelle Besetzung des Präsidiums und des Sekretariats bestimmte. Der Präsident und der 1. Sekretär erhielten allerdings nur eine formale Bestätigung, über die Besetzung entschied allein die Partei. Die Bezirksebene des Verbandes mit Bezirksvorstand, Bezirkssekretariat und den jeweiligen Sektionen entsprach dieser Struktur. Der Verband war zuständig für alle Belange seiner Mitglieder: Er besaß ein Mitspracherecht und oft genug die Entscheidungsbefugnis, was die Förderung und Vergabe von Stipendien und Preisen, die Verteilung öffentlicher Aufträge oder die Organisation von Ausstellungen betraf. Die zentralen „Deutschen Kunstausstellungen“ in Dresden, die sich zu den größten und wichtigsten offiziellen „Leistungsschauen“ der Kunst in der DDR entwickelten, entstanden unter seiner Regie.[154]

Fußnoten

  1.  ↑ Hessen, S./Hans, N.: Fünfzehn Jahre Sowjetschulwesen, Langensalza 1933, S. V
  2.  ↑ Vgl. dazu Bogdanov, A.: Die Wissenschaft und die Arbeiterklasse, Frankfurt/M. 1971
  3.  ↑ Hegel, G.W.E.: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 1986, S. 154
  4.  ↑ List, E./Studer, H. (Hrsg.): Denkverhältnisse. Feminismus und Kritik, Frankfurt/M. 1989, S. 76ff
  5.  ↑ Vgl. dazu Bogdanov, A.: Die Wissenschaft und die Arbeiterklasse, Frankfurt/M. 1971
  6.  ↑ Hegel, G.W.E.: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 1986, S. 154
  7.  ↑ List, E./Studer, H. (Hrsg.): Denkverhältnisse. Feminismus und Kritik, Frankfurt/M. 1989, S. 76ff
  8.  ↑ Stalin, Werke, Band 13, Berlin 1956, S. 36
  9.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 16
  10.  ↑  ↑ Olsen, G.: Germany after the Second World War, Boston 1991, S. 18
  11.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 149
  12.  ↑ Ebd.
  13.  ↑  ↑ Von Siegler, H.: Archiv der Gegenwart, Jahrgänge 1945-1963, Bonn/Wien/Zürich 1963, hier 1945, S. 247
  14.  ↑ Eisenhower, D.: Kreuzzug in Europa, Amsterdam 1948, S. 503
  15.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 149
  16.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 17
  17.  ↑ Die deutsch-polnische Grenze wurde zunächst von der BRD nicht anerkannt. Trotz des Warschauer Vertrages gab es in Polen immer wieder Zweifel, ob Deutschland nicht doch eines Tages gebietsrevisionistisch und revanchistisch argumentieren könnte. Als im Zuge der sich anbahnenden „Wiedervereinigung“ 1990 insbesondere in der Republik Polen die Sorge wuchs, das vereinte Deutschland könne eine Revision der deutschen Ostgrenzen fordern, verlangten die vier Siegermächte als Voraussetzung für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als rechtmäßige Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen. Diese Anerkennung wurde im Zwei-plus-vier-Vertrag verankert und im deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990 in einem völkerrechtlichen Vertrag bekräftigt. Durch diesen am 16. Januar 1992 in Kraft getretenen Vertrag gab die Bundesrepublik Deutschland alle Ansprüche auf die Ostgebiete des Deutschen Reiches auf, die östlich dieser Linie lagen und seitdem auch völkerrechtlich zu Polen gehören.
  18.  ↑ Von Siegler, Archiv der Gegenwart 1945, a.a.O., S. 379
  19.  ↑ Leonhard, W.: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln/Berlin 1955, S. 11
  20.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 148
  21.  ↑ Schöneberg, K.: Das Schicksalsjahr 1945, München 1999, S. 34
  22.  ↑  ↑ Ebd., S. 48f
  23.  ↑ Anfang 1943 war die militärische Lage zunehmend schlecht, in Nordafrika waren die Achsenmächte in die Defensive geraten und an der Ostfront war die 6. Armee in Stalingrad eingekesselt. Goebbels drängte auf eine Intensivierung der Kriegswirtschaft (des sogenannten totalen Krieges) und schlug Hitler in einer Denkschrift vor, „Faulenzer und Parasiten“ wie die „Töchter der Plutokraten“ zur Arbeit in der Kriegswirtschaft zu zwingen und die Zivilwirtschaft durch Stillegungsverfügungen zuvorderst für Luxusgaststätten, Modesalons und Läden zugunsten der Kriegswirtschaft zu verkleinern. Beeinflusst von der Dolchstoßlegende war Hitler jedoch der Ansicht, dass das deutsche Volk der Wehrmacht in den Rücken fallen könnte, wenn die Zivilgesellschaft in ihrem Konsum allzu sehr beschränkt würde. Goebbels spekulierte auch darauf als Manager des totalen Krieges zum zweiten Mann im NS-Staat aufzurücken. Er plante die Sportpalastrede zu dem Zweck auf Hitler Druck auszuüben. Indem er das Volk auf radikale Maßnahmen vorbereitet, glaubte er Hitler auf seine Linie festlegen zu können. Die Rede selbst war detailliert inszeniert, Goebbels hatte das Publikum auf treueste Parteianhänger hin handverlesen, Sprechchöre studierten Slogans ein, eine Hundertschaft wurde instruiert, wann und wie lange sie applaudieren sollten.
  24.  ↑ Ebd., S. 52
  25.  ↑ Ebd., S. 56
  26.  ↑ Ebd., S. 78
  27.  ↑ Zitiert aus Graml, H.: Die Allierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Hamburg 1985, S. 100f
  28.  ↑  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 102
  29.  ↑ Ebd., S. 105
  30.  ↑ Ebd., S. 108
  31.  ↑ Ebd., S. 115
  32.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 16
  33.  ↑
     ↑ Ebd., S. 18
  34.  ↑ Hohlfeld, J.(Hrsg.): Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1948 bis zur Gegenwart, 8 Bände, Berlin 1951ff, S. 3
  35.  ↑ Ebd. S. 8f
  36.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 148
  37.  ↑ Zitiert aus Müller, P.: Deutschland 1945-1949, Berlin 1997, S. 78f
  38.  ↑ Leonhard, W.: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln/Berlin 1955, S. 29
  39.  ↑ Ebd., S. 87
  40.  ↑ Ebd., S. 88
  41.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 24
  42.  ↑ Zitiert aus Schubarth, W./Schmidt, T.: „Sieger der Geschichte“. Verordneter Antifaschismus und die Folgen, in: Heinemann, K.-H./Schubarth, W. (Hrsg.): Der antifaschistische Staat entlässt seine Kinder. Jugend und Rechtextremismus in Ostdeutschland, Köln 1992, S. 12-18, hier S. 13
  43.  ↑ Hohlfeld, Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1948 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 26ff
  44.  ↑ Ebd., S. 31f
  45.  ↑ Ebd., S. 33
  46.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 109
  47.  ↑ Ebd., S. 33
  48.  ↑ Zitiert aus Moseley, I.: Die Friedenspläne der Allierten, New York 1997, S. 32
  49.  ↑ Bauerkämper, A. (Hrsg.): „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1996, S. 46
  50.  ↑ Danyel, J./Groehler, O./Kessler, M.: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Kocka, J./Sobrow, M. (Hrsg.): Die DDR als Geschichte. Fragen-Hypotheken-Perspektiven, Berlin 1994, S. 148-152, S. 148
  51.  ↑ Leonhard, W.: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln/Berlin 1955, S. 27
  52.  ↑ Müller, Deutschland 1945-1949, a.a.O., S. 59ff
  53.  ↑ Ebd., S. 75
  54.  ↑ Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Hrsg.): Dokumente zur Berlinfrage, München 1959, S. 34
  55.  ↑ Ebd., S. 43
  56.  ↑ Müller, Deutschland 1945-1949, a.a.O., S. 122f
  57.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 36
  58.  ↑ Ebd., S. 40
  59.  ↑ Graml, H.: Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Hamburg 1985, S. 62
  60.  ↑ Materna, I./Ribbe, W.: Geschichte in Daten. Berlin, Berlin 1993, S. 78
  61.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 132
  62.  ↑ Guhl, M.: Ernst Reuter – ein Demokrat in Berlin, in: Berliner Forschungen, (1992), Nr. 12, S. 24-36, hier S. 27f
  63.  ↑ Ebd. S. 29
  64.  ↑ Timm, A.: Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zum Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997, S. 69
  65.  ↑ Poetzsch, H.: Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart. Die Entwicklung der beiden deutschen Staaten, München 1998, S. 66f
  66.  ↑ Zitiert aus Grumke, J.: Berlin 1948, Stuttgart 1992, S. 23
  67.  ↑ Comides, W. (Hrsg.): Europa-Archiv. Jahrgänge 1946-1963, Frankfurt/M./Wien 1964, S. 297
  68.  ↑ Graml, H.: Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Hamburg 1985, S. 66f
  69.  ↑ Ebd., S. 25
  70.  ↑ Poetzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 67
  71.  ↑ Eschenhagen, W./Judt, M. (Hrsg.): Chronik Deutschland 1949-2009. 60 Jahre deutsche Geschichte im Überblick, Frankfurt/M. 2008, S. 179
  72.  ↑ Timm, A.: Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zum Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997, S. 72
  73.  ↑ Eschenhagen, W./Judt, M. (Hrsg.): Chronik Deutschland 1949-2009. 60 Jahre deutsche Geschichte im Überblick, Frankfurt/M. 2008, S. 134
  74.  ↑ Graml, H.: Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Hamburg 1985, S. 63
  75.  ↑ Grumke, Berlin 1948, a.a.O., S. 26f
  76.  ↑ Ebd., S. 29
  77.  ↑ Stuge, R.: Totale Blockade, totale Luftbrücke, in: Giesla, B./Lemke, M./Lindenberger, T.: Sterben für Berlin ? Die Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 2000, S. 59-77, hier S. 68ff
  78.  ↑ Rohde, F.: Die sowjetische Deutschlandpolitik, Köln 1996, S. 45
  79.  ↑ Graml, H.: Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Hamburg 1985, S. 65
  80.  ↑ Stuge, R.: Totale Blockade, totale Luftbrücke, in: Giesla, B./Lemke, M./Lindenberger, T.: Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 2000, S. 59-77, hier S. 60
  81.  ↑ Foitzig, J.: Die parteiinterne Behandlung der Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU durch die SED, die PVAP und die KPTsch, in: Kircheisen, I. (Hrsg.): Tauwetter ohne Frühling. Das Jahr 1956 im Spiegel blockinterner Wandlungen und internationaler Krisen, Berlin 1995, S. 60-83, S. 78
  82.  ↑ Ebd., S. 70
  83.  ↑ Eschenhagen, W./Judt, M. (Hrsg.): Chronik Deutschland 1949-2009. 60 Jahre deutsche Geschichte im Überblick, Frankfurt/M. 2008, S. 88
  84.  ↑ Stuge, R.: Totale Blockade, totale Luftbrücke, in: Giesla, B./Lemke, M./Lindenberger, T.: Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 2000, S. 59-77, hier S. 69
  85.  ↑ Loth, W.: Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939-1957, 3. Auflage, Göttingen 1996, S. 75
  86.  ↑ Herf, J.: Antisemitismus in der DDR. Geheime Dokumente zum Fall Paul Merker aus SED und MfS-Archiven, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 42, (1994), S. 635-667, hier S. 645
  87.  ↑ Rohde, F.: Die sowjetische Deutschlandpolitik, Köln 1996, S. 90
  88.  ↑ Moseley, I.: Die Friedenspläne der Alliierten, New York 1997, S. 72
  89.  ↑ Hurwitz, H.: Die politische Kultur der Bevölkerung und der Neubeginn konservativer Politik. Band 1.: Demokratie und Antikommunismus nach 1945, Berlin 1993, S. 93
  90.  ↑ Hahn, K.-E.: Wiedervereinigungspolitik im Widerstreit. Einwirkungen und Einwirkungsversuche westdeutscher Entscheidungsträger auf die Deutschlandpolitik Adenauers von 1949 bis zur Genfer Viermächtekonferenz 1959, Hamburg 1993, S. 62
  91.  ↑ Ebd. S. 74
  92.  ↑ Kosthorst, D.: Brentano und die deutsche Einheit. Die Deutschland- und Ostpolitik des Außenministers im Kabinett Adenauer 1955-1961, Düsseldorf 1993, S. 44
  93.  ↑ Stuge, R.: Totale Blockade, totale Luftbrücke, in: Giesla, B./Lemke, M./Lindenberger, T.: Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 2000, S. 59-77, S. 71
  94.  ↑ Ebd., S. 46
  95.  ↑ Ebd., S. 49
  96.  ↑ Stuge, R.: Totale Blockade, totale Luftbrücke, in: Giesla, B./Lemke, M./Lindenberger, T.: Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 2000, S. 59-77, hier S. 70
  97.  ↑ Grumke, Berlin 1948, a.a.O., S. 74
  98.  ↑ Ebd., S. 77
  99.  ↑ Ebd., S. 82ff
  100.  ↑ Stuge, R.: Totale Blockade, totale Luftbrücke, in: Giesla, B./Lemke, M./Lindenberger, T.: Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 2000, S. 59-77, hier S. 73
  101.  ↑ Kosthorst, D.: Brentano und die deutsche Einheit. Die Deutschland- und Ostpolitik des Außenministers im Kabinett Adenauer 1955-1961, Düsseldorf 1993, S. 63
  102.  ↑ Moseley, I.: Die Friedenspläne der Alliierten, New York 1997, S. 24
  103.  ↑ Ebd., S. 64
  104.  ↑ Hahn, K.-E.: Wiedervereinigungspolitik im Widerstreit. Einwirkungen und Einwirkungsversuche westdeutscher Entscheidungsträger auf die Deutschlandpolitik Adenauers von 1949 bis zur Genfer Viermächtekonferenz 1959, Hamburg 1993, S. 92
  105.  ↑ Materna, I./Ribbe, W.: Geschichte in Daten. Berlin, Berlin 1997, S. 55
  106.  ↑ Ebd., S. 87ff
  107.  ↑
     ↑ Stuge, R.: Totale Blockade, totale Luftbrücke, in: Giesla, B./Lemke, M./Lindenberger, T.: Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 2000, S. 59-77, hier S. 76
  108.  ↑ Graml, H.: Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Hamburg 1985, S. 89
  109.  ↑ Döscher, H.-J.: Verschworene Gesellschaft. Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität, Berlin 1995, S. 77
  110.  ↑ Kosthorst, D.: Brentano und die deutsche Einheit. Die Deutschland- und Ostpolitik des Außenministers im Kabinett Adenauer 1955-1961, Düsseldorf 1993, S. 70ff
  111.  ↑ Barclay, D.E.: Schaut auf diese Stadt. Der unbekannte Ernst Reuter, Berlin 2000, S. 66
  112.  ↑ Posener, A.: John F. Kennedy, 4. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1995, S. 17
  113.  ↑ Mattedi, Gründung und Entwicklung der Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschland 1945-1949, a.a.O., S. 134
  114.  ↑ Eschenhagen, W./Judt, M. (Hrsg.): Chronik Deutschland 1949-2009. 60 Jahre deutsche Geschichte im Überblick, Frankfurt/M. 2008, S. 164
  115.  ↑ Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 67
  116.  ↑ Mattedi, Gründung und Entwicklung der Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone 1945-1949, a.a.O., S. 140
  117.  ↑ Rohde, F.: Die sowjetische Deutschlandpolitik, Köln 1996, S. 75
  118.  ↑ Mattedi, Gründung und Entwicklung der Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschland 1945-1949, a.a.O., S. 134
  119.  ↑ Eschenhagen, W./Judt, M. (Hrsg.): Chronik Deutschland 1949-2009. 60 Jahre deutsche Geschichte im Überblick, Frankfurt/M. 2008, S. 164
  120.  ↑ Pötzsch, Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart, a.a.O., S. 67
  121.  ↑ Mattedi, Gründung und Entwicklung der Parteien in der Sowjetischen Besatzungszone 1945-1949, a.a.O., S. 140
  122.  ↑ Rohde, F.: Die sowjetische Deutschlandpolitik, Köln 1996, S. 75
  123.  ↑ Ebd., S. 82
  124.  ↑ Materna, I./Ribbe, W.: Geschichte in Daten. Berlin, Berlin 1997, S. 52
  125.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 326
  126.  ↑ Materna, I./Ribbe, W.: Geschichte in Daten. Berlin, Berlin 1997, S. 162
  127.  ↑ Vollnhals, C. (Hrsg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949, München 1991, S. 62f
  128.  ↑ Schöneburg, K.-H./Mand, R.: Vom Werden unseres Staates. Eine Chronik. Band 1: 1945-1949, Berlin (Ost) 1966, S. 162
  129.  ↑ Mampel, S.: Die Entwicklung der Verfassungsordnung in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands 1945-1963, Tübingen 1998, S. 25
  130.  ↑ Ackermann, A.: Aufbruch, in: Staat und Recht, 14. Jahrgang, Heft 5, Mai 1965, S. 665-670, S. 668
  131.  ↑ Loeding, M./Uwe Rosenthal, U.:: Ein Jahrzehnt Gewerkschaftseinheit: ein historischer Rückblick auf Rolle und Strategien des Deutschen Gewerkschaftsbundes und zwei seiner Einzelgewerkschaften im Prozeß staatlicher und gewerkschaftlicher Vereinigung. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 43, 4, 2001, S. 3–44, hier S. 25
  132.  ↑ Ebd.
  133.  ↑ Hahn, K.-E.: Wiedervereinigungspolitik im Widerstreit. Einwirkungen und Einwirkungsversuche westdeutscher Entscheidungsträger auf die Deutschlandpolitik Adenauers von 1949 bis zur Genfer Viermächtekonferenz 1959, Hamburg 1993, S. 89
  134.  ↑ Uschakow, A./Frenzke, D.: Der Warschauer Pakt und seine bilateralen Bündnisverträge, Berlin 1987, S. 62
  135.  ↑ Ebd., S. 34
  136.  ↑ Mampel, S.: Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik: Kommentar; mit einem Nachtrag über die Rechtsentwicklung bis zur Wende im Herbst 1989 und das Ende der sozialistischen Verfassung. 3. Auflage 1997, S. 24ff
  137.  ↑ Zitiert aus Geißler, G.: ''Geschichte des Schulwesens in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik 1945 bis 1962,'' Frankfurt am Main u. a. 2000, S. 16
  138.  ↑ Grauer, M.: DDR-Bildungspolitik 1949-1961, Köln 1989, S. 13f
  139.  ↑ Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Hrsg.): Dokumente zur Berlinfrage, München 1959, S. 43
  140.  ↑ Ebd. S. 56ff
  141.  ↑ Zimmermann, P.: Industrieliteratur in der DDR. Vom Helden der Arbeit zum Planer und Leiter, Stuttgart 1984, S. 82
  142.  ↑ Walther, J.: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1996, S. 25
  143.  ↑ Arnold, H. u.a. (Hrsg.): Literatur in der DDR. Rückblicke, München 1991, S. 73ff
  144.  ↑
     ↑ Ebd., S. 62
  145.  ↑ Brenner, P.J.: Neue deutsche Literaturgeschichte. Vom „Ackermann“ zu Günter Grass, 2. Auflage, Tübingen 2004. S. 274ff
  146.  ↑ Grauer, M.: DDR-Bildungspolitik 1949-1961, Köln 1989, S. 103f
  147.  ↑ Ebd., S. 106