e-Portfolio von Michael Lausberg
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Humanismus in Europa

Andrea di Piero della Gondola, genannt Palladio war der bedeutendste Architekt der Renaissance in Oberitalien. Palladio war der „erste große Berufsarchitekt“, der nur als Architekt tätig war, ohne sich auf einem anderen Gebiet der Kunst hervorzutun. Seine Vorbilder waren die römische Antike und die großen Architekten der italienischen Renaissance, vor allem Bramante, Michelangelo, Sanmicheli und Sansovino. Diese wurden von ihm jedoch niemals pedantisch imitiert, sondern immer schöpferisch und eigenwillig für die jeweilige Bauaufgabe fruchtbar gemacht. Sein Ziel war eine Architektur, bei der unter Beachtung ästhetischer Prinzipien von Proportion und Ausgewogenheit die Anforderungen an die Baufunktion, an die praktischen und ideellen Bedürfnisse des Auftraggebers ebenso berücksichtigt werden wie die Bedingungen, die sich aus den Gegebenheiten des Bauplatzes ergaben. Als Ergebnis wird die einzigartige Harmonie und Eleganz seiner Bauten hervorgehoben. Durch seine Bauten und seine theoretischen Schriften gewann Palladio als Begründer des Palladianismus großen Einfluss auf die dem Klassizismus verpflichtete Architektur in West- und Nordeuropa, Großbritannien und den Vereinigten Staaten.

Im Jahre 1536 lernte er den dreißig Jahre älteren Dichter und Philosophen Gian Giorgio Trissino kennen, der seine Begabung erkannte und ihn förderte. Palladio verdankt Trissino auch den Namen, unter dem er berühmt wurde und der auf die griechische Göttin der Weisheit Pallas Athene und den Engel Palladio, den Schutzengel des Generals Belisar, anspielt. Die Begegnung mit Trissino war für Palladios Laufbahn als Architekt außerordentlich folgenreich. Trissino ermutigte ihn, Mathematik, Musik und die lateinischen Klassiker und insbesondere das Werk Vitruvs zu studieren. Er finanzierte Palladio 1541 eine erste Reise nach Rom, wo dieser intensiv die römischen Bauten studierte und mit Zeichnungen festhielt. Ergebnis dieser und zwei weiterer Reisen sind die beiden Bücher über antike und christliche Architektur Roms, die Palladio 1554 veröffentlichte.

Um 1540 hatte Palladio begonnen, in Vicenza als Baumeister zu arbeiten. Einige seiner ersten Villenbauten im Umkreis der Stadt stammen aus dieser Zeit. Den ersten Wettbewerb als Architekt gewann er 1549 mit seinem Plan zur Umgestaltung des mittelalterlichen Palazzo della Ragione. Für dieses Rathaus von Vicenza, für das vor ihm schon Serlio, Sanmicheli und Giulio Romano Pläne eingereicht hatten, erhielt er den Auftrag. Auch Venedigs führender Baumeister Sansovino war konsultiert worden. Im selben Jahr ernannte man ihn zum leitenden Architekt eines Bauprojekts, das sich mit mehreren Unterbrechungen bis in das zweite Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts hinzog. In der Gliederung der beiden ersten Geschosse der auch als Basilica palladiana bezeichneten Halle variierte Palladio das von Serlio entwickelte Architekturmotiv der Serliana. Der architektonische Begriff des „Palladio-Motivs“ leitet sich von diesem Gebäude ab. Palladio verdoppelt die Säulenstellung der Arkaden, so dass aus dem Rundbogen ein schmales Tonnengewölbe wird. Zudem öffnet er die Bogenzwickel durch Rundfenster.

Dadurch wird die geschlossene Wand in die Raumtiefe geöffnet. Die plastische Gliederung der geöffneten Wand durch vorgestellte Säulen, Säulenpostamente, Friese, Balustraden und dergleichen ermöglicht das lebhafte Spiel von Licht und Schatten auf dem Baukörper. Dies ist für alle späteren Bauten Palladios charakteristisch. Der Palazzo strahlt die für Palladios Bauten typische Eleganz und harmonische Ausgewogenheit aus. Der Bau machte Palladio mit einem Schlag berühmt. Aufträge für Paläste in Vicenza und für ländliche Villen folgten. Von den Stadtpalästen wurden jedoch die wenigsten vollständig nach seinen Plänen fertiggestellt. Sie vermitteln heute nur lückenhaft einen Eindruck des ursprünglichen Konzepts. Am bekanntesten ist der Chiericati-Palast, den er 1551 im Auftrag des Grafen Girolamo Chiericati begann, der aber erst um 1680 fertig wurde.

In seinen frühen Palastbauten verarbeitete Palladio seine Kenntnis römischer Paläste, wie Bramantes Palazzo Caprini und auch Erfindungen Giulio Romanos. Bauelemente aus Rustika des Palazzo Antonini erinnern an Giulios Palazzo del Te in Mantua, wenn auch weniger deutlich als bei seinem späten manieristischen Bau der Villa Sarego. Bei dem Entwurf des Palazzo Valmarana wendete er die Kolossalordnung bei der Gliederung der Fassade eines privaten Palastes an. Diese Lösung fand vor allem im Schlossbau des Barock Nachahmer.

Sein letzter Auftrag für Vicenza war der Entwurf für das Teatro Olimpico, das erste freistehende Theatergebäude seit der Antike. Palladio gestaltete die Bühne wie eine zweistöckige Palastfassade mit zentralem Triumphbogen begleitet von jeweils einem seitlichen Tor, Fensternischen, die mit lebensgroßen Figuren bestückt sind, und einem breiten mit Reliefs geschmückten Fries. Der Zuschauerraum hat die Form eines Amphitheaters. Die Sitzstufen steigen wie in einer antiken Cavea steil an. Abgeschlossen wird der Zuschauerraum durch eine halbkreisförmige Kolonnade mit korinthischen Säulen, die eine mit Figuren bestückte Balustrade stützen. Der Theaterbau wurde nach Palladios Tod im Jahr 1580 zunächst von seinem Sohn Silla ausgeführt und später von Scamozzi vollendet und 1584 eröffnet.

Ab 1550 war Palladio auch in Venedig tätig. Ein Thema, das die Serenissima in dieser Zeit bewegte, war die bauliche Erneuerung und Verschönerung der Stadt nach dem erfolgreich abgewehrten Angriff der Liga von Cambrai. Das Klima für einen innovativen und renommierten Architekten, wie es Palladio war, sollte also günstig sein. Allerdings setzten sich in den großen repräsentativen Baumaßnahmen der Stadt die „Traditionalisten“ durch, und Palladio gelang es nicht, seine „revolutionären“ Ideen durchzusetzen. Zwei Beispiele für fehlgeschlagene Projekte sind die Rialtobrücke und der Dogenpalast.

Palladio hatte in der Stadt die einflussreichen Patrizier Marcantonio und Daniele Barbaro kennengelernt. Vor allem Daniele, der in dieser Zeit an der Übersetzung und einem Kommentar von Vitruv arbeitete, wurde Palladios wichtigster venezianischer Förderer und Mäzen, der ihn wahrscheinlich auch bewogen hat, sich um den Neubau der Rialtobrücke zu bewerben.

Seit geraumer Zeit stand das Projekt eines Neubaus der baufälligen hölzernen Brücke zur Debatte. Nachdem verschiedene Vorschläge – unter anderen hatte auch Michelangelo einen Entwurf angefertigt – verworfen worden waren, reichten 1554 auch Sansovino, Vignola und Palladio Entwürfe bei der Baukommission ein. Palladios Brücke war ein äußerst anspruchsvolles und repräsentatives Stück Architektur mit korinthischen Säulengängen, Tempelgiebeln und einem Aufmarsch allegorischer Figuren auf den Dächern. Nach einer sich hinziehenden Debatte, bei der es vor allem um den Vorzug einer einbogigen oder einer dreibogigen Lösung ging, kam schließlich der Entwurf Antonio da Pontes zum Zug, eine elegante und im Vergleich zu den Konkurrenzentwürfen leicht und grazil wirkende Brücke, die mit einem einzigen flachen Bogen den Kanal überspannt.

Der zweite Fehlschlag bei einem öffentlichen Bauprojekt war sein Konzept eines vollständigen Neubaus des Dogenpalastes, der in der Feuersbrunst von 1577 beschädigt worden war. Die „Traditionalisten“ setzten sich durch, und Palladios Plan wurde zugunsten eines identischen Nachbaus des alten Palastes verworfen. Erfolgreicher war er mit den zahlreichen Villen auf der Terraferma für verschiedene Patrizierfamilien, darunter die berühmte Rotonda bei Vicenza und die Malcontenta an der Brenta. In diesen Projekten entwickelte er jedoch nicht nur die Architektur, er war auch, wie etwa im Fall der berühmten um 1560/1561 durch Paolo Veronese ausgemalten Villa Barbaro an der Innendekoration beteiligt. Diese öffnet die Innenräume mit Hilfe einer illusionistischen Landschaftsmalerei auf fantasievoll ausgeführte Landstriche. In den Gewölben hingegen sieht der Betrachter allegorische und mythologische Szenen zum Land- und Villenleben.

Palladio hatte neben privaten auch kirchliche Auftraggeber in der Lagunenstadt. In seinen drei Kirchenfassaden in Venedig projizierte Palladio in verschiedenen Abwandlungen das Motiv einer klassischen Tempelfront auf eine Kirche. Dabei gelang es ihm, durch vielfältige Variationen und Kombinationen dieses Motivs auf der Fassade einen harmonischen Übergang zur Kuppel zu schaffen. 1559 wurde er vom Patriarchen Venedigs mit der Errichtung einer neuen Fassade von San Pietro di Castello betraut, Palladios erste praktische Auseinandersetzung mit dem Sakralbau überhaupt. 1564 erhielt er den Auftrag zum Neubau der Kirche San Giorgio Maggiore auf der Insel San Giorgio di Castello und schließlich 1576 als Auftrag der Signoria die Errichtung der Votivkirche Il Redentore auf der Insel Giudecca. Diese beiden Kirchen, die Palladio auch auf ihre gemeinsame städtebauliche Wirkung in Bezug auf Dogenpalast und Piazza, das Herz der Republik, konzipierte, tragen bis heute wesentlich zum Bild Venedigs um den Bacino bei.

Sein letzter kleiner Sakralbau war der Tempietto Barbarano, eine Kapelle für die Familie seines langjährigen Mäzen Marcantonio Barbaro. Die Kapelle mit einem an das Pantheon in Rom erinnernden Portikus ist ein überkuppelter Zentralbau, von dem Palladio sagt, er sei „die vollkommenste und hervorragendste Form der Gotteshäuser … da sie schließlich in allen ihren Teilen gleich weit entfernt vom Mittelpunkt entfernt ist, ist sie am geeignetsten, die Einheit, das unendliche Wesen, die Gleichförmigkeit und die Gerechtigkeit Gottes zu bezeugen.“ Palladio erlebte die Vollendung dieser Kirche nicht mehr. Er starb am 19. August 1580.

1554 veröffentlichte Palladio mit Antichità di Roma einen Führer der antiken Bauwerke Roms und 1570 das von ihm selbst illustrierte Werk I Quattro libri dell’architettura mit eigenen Entwürfen und zahlreichen Abbildungen antiker Architektur.

Die Quattro libri machten Palladio neben Leon Battista Alberti zum einflussreichsten Architekturtheoretiker der frühen Neuzeit. Nach ihrer Übersetzung in die englische Sprache durch den Architekten Giacomo Leoni 1715 beeinflusste Palladios Werk vor allem die protestantische und anglikanische Architektur Nordeuropas (Palladianismus). In diesem Zusammenhang wird auch oft vom (neo-) palladianistischen Stil gesprochen. Als „Aristoteles der Baukunst“ besticht er im Gegensatz zu Michelangelo weniger durch kapriziöse Einzelwerke als dadurch, in zahlreichen Bauten eine klassische, klare und einfach nachzuvollziehende Formensprache gefunden zu haben. Als Wiederbelebung der Antike erreichte die Renaissance im Klassizismus Palladios ihren Endpunkt. Die einfach nachzuvollziehende Formensprache hatte auch ihren Einfluss auf die spätere sogenannte Revolutionsarchitektur. In seinen späten Werken überwand Palladio den strengen Klassizismus im Sinne des Frühbarocks.

Zu Palladios Bauwerken zählt Guido Beltramini über achtzig Hauptprojekte, „darunter wenigstens sechzehn Stadtpaläste, dreißig Landsitze, vier öffentliche Gebäude, fünf Brücken, fünfzehn Kirchbauten, drei Theater und neun weitere Objekte wie Portale, Grabmonumente und triumphale Festapparate“.

Später war die markanteste Persönlichkeit der Drucker und Verleger Aldo Manuzio, der 1491–1516 in Venedig tätig war und auch griechische Textausgaben herausbrachte. Seine Produktion (Aldinen) war europaweit für den Buchdruck und das Verlagswesen wegweisend. Sein Verlagshaus wurde zum Mittelpunkt des Venezianer Humanismus. Die Philologen trafen sich in Manuzios Neoacademia. Bei dieser „Akademie“ handelte es sich um einen Gesprächskreis, nicht um eine feste Institution.

An den Höfen, die kulturell miteinander wetteiferten, fand der Humanismus vielerorts großzügige Förderer. Unter den Herrschern, die sich für humanistische Bestrebungen aufgeschlossen zeigten, ragten hervor:

Zu den Faktoren, die den italienischen Humanismus beeinflussten, gehört die Krise des byzantinischen Staates, die mit seinem Zusammenbruch im Jahre 1453 endete. Wegen des katastrophalen Verlaufs der Auseinandersetzungen mit den vordringenden Türken suchten die letzten byzantinischen Kaiser Unterstützung im Westen. Angesichts der verzweifelten militärischen Lage ließen sie sich zu weitreichenden kirchenpolitischen Zugeständnissen (Kirchenunion) herbei. Griechische Gelehrte kamen zeitweilig oder dauerhaft nach Italien, teils in politischer bzw. kirchenpolitischer Mission, teils um den Humanisten Griechischunterricht zu erteilen. Sie trugen zur philologischen Erschließung und Übersetzung der griechischen Klassiker bei. Große Mengen von Handschriften wurden von westlichen Sammlern bzw. deren Beauftragten im Byzantinischen Reich vor dessen Untergang aufgekauft.

In der Endphase der byzantinischen Geschichte kam es in Byzanz zu Ansätzen eines Humanismus im Rahmen einer Kulturblüte, die nach dem damaligen Kaisergeschlecht der Palaiologen „Palaiologische Renaissance“ genannt wird. Die Übertragung der westlichen Begriffe auf die byzantinischen Verhältnisse ist allerdings problematisch, da es in Byzanz keinen kulturellen Bruch mit einer als „mittelalterlich“ abgelehnten Vergangenheit gab. Kennzeichen der „humanistischen“ Strömung waren eine breite, intensive und systematische Erforschung der antiken griechischen Literatur (vor allem der Dichtung), Verbesserung der philologischen Arbeit, Betonung der Rhetorik und Reflexion über die Vorbildlichkeit der Antike. Aus diesem Milieu gingen die Gelehrten hervor, die nach Italien kamen.

Im Westen war eine Reihe von Werken griechischsprachiger Philosophen schon im 13. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt worden. Diese spätmittelalterlichen Übersetzungen folgten gewöhnlich dem starren Prinzip „Wort für Wort“ ohne Rücksicht auf die Verständlichkeit, geschweige denn auf den Stil. Daher bestand dringender Bedarf nach neuen, auch für Nichtfachleute verständlichen, fließend lesbaren Übersetzungen. Ein Großteil der griechischen Literatur (darunter die Werke Homers, die meisten Dialoge Platons, Tragödie und Komödie) wurde erstmals durch humanistische Übersetzungen und Textausgaben im Westen zugänglich.

Die Pionierrolle kam auch auf diesem Gebiet Florenz zu. Den Anfang machte Manuel Chrysoloras, der 1396 als Lehrer der griechischen Sprache und Literatur in Florenz eintraf. Er begründete die humanistische Übersetzungstechnik und verfasste die erste griechische Grammatik der Renaissance. Auf dem Konzil von Ferrara/Florenz gehörten der byzantinischen Delegation, die 1438–39 mit den Konzilsvätern verhandelte, bedeutende Gelehrte an.

Unter ihnen waren Georgios Gemistos Plethon, der eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Unterschieden zwischen aristotelischer und platonischer Philosophie anregte und einen Anstoß zur Ausbreitung des Platonismus gab, und Bessarion, der in Italien blieb und ein einflussreicher Kardinal und Förderer des römischen Humanismus wurde. Zu Bessarions Kreis gehörte Demetrios Chalkokondyles († 1511), der als Professor für Griechisch bedeutende Humanisten zu seinen Schülern zählte; er veröffentlichte 1488 die erste gedruckte Homerausgabe. Johannes Argyropulos, der 1456 auf einen philosophischen Lehrstuhl nach Florenz berufen wurde, leistete grundlegende Beiträge zur griechischen Philologie und zum Verständnis von Platon und Aristoteles in Italien. Theodoros Gazes und Georg von Trapezunt arbeiteten in Rom in päpstlichem Auftrag als Übersetzer philosophischer, naturwissenschaftlicher und patristischer Werke.

Die italienischen Humanisten betätigten sich hauptsächlich als Schriftsteller, Dichter und Altertumsforscher und orientierten sich dabei stets an ihren antiken Vorbildern. Daher liegen ihre Hauptleistungen auf dem Gebiet der Literatur, der Altertumswissenschaft und der Vermittlung antiker Bildungsgüter.

Hinsichtlich der Qualität des sprachlichen Ausdrucks im Lateinischen setzten die Renaissance-Humanisten neue Maßstäbe, die über ihr Zeitalter hinaus gültig blieben. Auch für die Etablierung des Italienischen als Literatursprache war ihre philologische und schriftstellerische Tätigkeit richtungweisend. Zahlreiche bisher verschollene literarische Werke und Geschichtsquellen aus der Antike wurden entdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die klassische Altertumswissenschaft wurde begründet; sowohl die Philologie als auch die Geschichtsforschung einschließlich der Archäologie empfingen richtungweisende Impulse und erhielten ihre für die folgenden Jahrhunderte gültige Gestalt. Die Forderung nach Rückkehr zu den Quellen („ad fontes“), zum Authentischen, wurde zum Ausgangspunkt für die Entstehung philologisch-historischer Wissenschaft im modernen Sinne. Sie wirkte sich auch auf die Theologie aus, denn die humanistische philologische Vorgehensweise wurde auch auf die Bibel angewendet. Diese Bibelforschung wird als Bibelhumanismus bezeichnet. Mit dem Bibelhumanismus war meist eine polemische Abwendung von der scholastischen Theologie verbunden.

Dank den humanistischen Bildungsbestrebungen verbreiteten sich die im Mittelalter noch äußerst seltenen Griechischkenntnisse, so dass es erstmals seit dem Untergang der Antike im Westen möglich wurde, die griechische Wurzel der europäischen Kultur in ihrer besonderen Eigenart zu verstehen und zu würdigen. Dabei waren die Leistungen der italienischen Humanisten und der in Italien tätigen griechischen Gelehrten bahnbrechend. Im 16. Jahrhundert war der Unterricht in griechischer Sprache und Literatur an den größeren west- und mitteleuropäischen Universitäten durch eigene Lehrstühle etabliert und an vielen Gymnasien ein fester Bestandteil des Lehrplans. Daneben erwachte auch das Interesse an Hebräisch-Studien und an der Erforschung orientalischer Sprachen und Kulturen sowie der altägyptischen Religion und Weisheit.

Die Leistung der italienischen Humanisten bei der Entdeckung verschollener antiker Werke wird nicht durch den Umstand geschmälert, dass die von ihnen vor allem in Klosterbibliotheken gefundenen Klassikerhandschriften zum weitaus größten Teil mittelalterliche Abschriften bzw. Abschriften von Abschriften waren. Antike Handschriften waren in der Renaissance sehr selten, da nur wenige die Wirren der Spätantike überstanden hatten. Fast alles antike Schrifttum, das erhalten geblieben ist, wurde durch die Abschreibtätigkeit der von den Humanisten verachteten mittelalterlichen Mönche gerettet.

Den Humanisten war eine grundlegende Schriftreform zu verdanken. Schon Petrarca trat für eine Schrift ein, die „genau gezeichnet“ und „deutlich“ ist, nicht „ausschweifend“ und „schwelgerisch“, und die nicht die Augen „reizt und ermüdet“. Die im Spätmittelalter üblichen gebrochenen Schriften missfielen den italienischen Humanisten. Die Alternative, für die sie sich entschieden, die Humanistenschrift, ist nicht etwa aus einer antiken Schriftart entwickelt worden, sondern durch Nachahmung der frühmittelalterlichen karolingischen Minuskel entstanden, in der viele der gefundenen Handschriften antiker Werke geschrieben waren. Schon im 13. Jahrhundert nannte man die karolingische Minuskel littera antiqua („alte Schrift“).

Coluccio Salutati und vor allem Poggio Bracciolini trugen maßgeblich zur Gestaltung der humanistischen Minuskel bei, die ab 1400 eine Form annahm, aus der dann im Buchdruck die Renaissance-Antiqua hervorging. Niccolò Niccoli entwickelte die humanistische Kursive, auf der die moderne Schreibschrift fußt. Sie wurde 1501 von Aldus Manutius in den Buchdruck eingeführt und wird dort wegen ihres italienischen Ursprungs im Englischen italic, im Französischen italique genannt.

In ihrer eigenen Epoche wurden die Renaissance-Humanisten hauptsächlich von streng kirchlich orientierten Kreisen kritisiert. Manchen von ihnen wurde vorgeworfen, nicht im Glauben verwurzelt zu sein, kirchliche Vorschriften zu missachten, Epikureer, Heiden oder gottlos zu sein, ein ausschweifendes und unsittliches Leben zu führen, Homosexualität zu billigen oder gar zu praktizieren und die Jugend zur Lektüre erotischer Literatur zu verleiten.

In der Moderne richtet sich die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte, die als Schwächen der humanistischen Bewegung erscheinen. Auf einige von ihnen hat schon Georg Voigt, der Begründer der modernen Humanismusforschung, hingewiesen. Dabei geht es vor allem um folgende in Humanistenkreisen verbreitete Phänomene:

Diese Kritikpunkte betreffen allerdings nicht sämtliche italienischen Humanisten. Es mangelt nicht an Gegenbeispielen.

Der Humanismus verbreitete sich von Italien aus in ganz Europa. Viele ausländische Gelehrte und Studenten begaben sich zu Bildungszwecken nach Italien und trugen dann die humanistischen Ideen in ihre Heimatländer. Eine sehr wichtige Rolle spielten bei der Ausbreitung der neuen Gedanken auch der Buchdruck und die lebhafte internationale Korrespondenz der Humanisten untereinander. Der intensive Briefwechsel förderte das Gemeinschaftsbewusstsein der humanistischen Gelehrten. Auch die Konzilien (Konzil von Konstanz 1414–1418, Konzil von Basel/Ferrara/Florenz 1431–1445), die zu vielfältigen internationalen Begegnungen führten, begünstigten den Siegeszug des Humanismus.

Die Aufnahmebereitschaft für die neuen Ideen war in den einzelnen Ländern sehr verschieden. Dies zeigte sich an der unterschiedlichen Geschwindigkeit und Intensität der Rezeption humanistischer Impulse und auch darin, dass in manchen Regionen Europas nur bestimmte Teile und Aspekte des humanistischen Gedankenguts und Lebensgefühls auf Resonanz stießen. Mancherorts war der Widerstand konservativer, kirchlich orientierter Kreise stark. Unterschiedlich waren auch die Bevölkerungsteile, die in den einzelnen Ländern als Träger einer humanistischen Bewegung in Betracht kamen. So hatte sich der Humanismus regionalen Gegebenheiten und Bedürfnissen anzupassen und länderspezifische Widerstände zu überwinden. Verschiedentlich verband sich humanistische Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung mit nationalen Bestrebungen in den einzelnen Ländern.

Während moderne Darstellungen des italienischen Renaissance-Humanismus nur bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zu führen pflegen, konstatiert die Forschung nördlich der Alpen eine Kontinuität bis ins frühe 17. Jahrhundert. In der deutschsprachigen Forschung hat sich für die mitteleuropäische Bildungs- und Kulturgeschichte im Zeitraum zwischen etwa 1550 und etwa 1620 die Bezeichnung „Späthumanismus“ eingebürgert. Die zeitliche Abgrenzung des Späthumanismus und seine Eigenständigkeit als Epoche sind umstritten.

Im deutschen Sprachraum verbreiteten sich die humanistischen Studien ab der Mitte des 15. Jahrhunderts, wobei überall das Vorbild der Italiener maßgeblich war. Die literarischen Bestrebungen der Humanisten nördlich der Alpen fußten auf den italienischen Mustern, die nachgeahmt wurden. Eine Schlüsselrolle spielte der italienische Humanist Enea Silvio de’ Piccolomini, der vor seiner Wahl zum Papst von 1443 bis 1455 als Diplomat und Sekretär König Friedrichs III. in Wien tätig war. Er wurde zur Leitfigur der humanistischen Bewegung in Mitteleuropa. Sein Einfluss reichte nach Deutschland, Böhmen und in die Schweiz. In Deutschland galt er als stilistisches Vorbild und war bis ins späte 15. Jahrhundert der einflussreichste humanistische Schriftsteller.

In der Anfangsphase waren in erster Linie die Höfe und Kanzleien die Zentren des Humanismus nördlich der Alpen. Einen wesentlichen Beitrag zu seiner Ausbreitung leisteten Deutsche, die in Italien studiert hatten und von dort antike und humanistische lateinische Texte mitbrachten und im deutschen Sprachraum verbreiteten. Exemplarisch zeigt sich diese Aneignung von Bildungsinhalten in der Textsammlung des Thomas Pirckheimer. In Briefen und Reden pflegten die deutschen Humanisten ihren neuen Kommunikationsstil.

Einer der wichtigsten Humanisten in Deutschland war Sebastian Münster. Cosmographia hat unter anderem Sebastian Münster (1488–1552) sein Hauptwerk auf dem Gebiet der Kosmographie genannt. Es war die erste wissenschaftliche und zugleich allgemeinverständliche Beschreibung des Wissens der Welt in deutscher Sprache, worin die Grundlagen aus Geschichte und Geographie, Astronomie und Naturwissenschaften, Landes- und Volkskunde nach dem damaligen Wissensstand zusammengefasst worden sind. Cosmographia ist die lateinische Form von griechisch kosmographía „Weltbeschreibung“ (kósmos „Weltordnung“, „Weltall“; gráphein „schreiben“).Sebastian Münster gehört zu den berühmten Kosmographen der Renaissance, zusammen mit Leonardo da Vinci (1452–1519), Martin Behaim (1459–1507), Martin Waldseemüller (1472/75–1520), Petrus Apianus (1495–1552) und Gerhard Mercator (1512–1594).

Nach seinen Studien in Theologie, Altgriechisch, Hebräisch, Mathematik, Geographie, Kosmographie und Astronomie war Sebastian Münster unter anderem von 1521 bis 1529 als Hochschullehrer in Heidelberg tätig. Bereits zu dieser Zeit (1524) regte der elsässische Humanist Beatus Rhenanus (1485–1547) an, Sebastian Münster solle sein Wissen in dem Gesamtwerk einer Kosmographie zusammenfassen. Aber erst in der Zeit seiner Hochschultätigkeit in Basel (ab 1529) und nachdem er durch seine Heirat mit Anna Selber, der Witwe des Basler Buchdruckers Adam Petri, von Alltagssorgen befreit war, konnte er sich diesem großen Vorhaben und seiner Begeisterung für die Geographie intensiv widmen. So entstand in einer Vorbereitungszeit von etwa zwanzig Jahren seine Cosmographia, an der nach eigener Darlegung mehr als 120 „Standespersonen, Gelehrte und Künstler“ mitgearbeitet hatten.

Das deutschsprachige Werk enthält in sechs Büchern „eine Beschreibung der ganzen Welt mit allem, was darinnen ist“. Die ersten Ausgaben von 1544 bis 1548 tragen den lateinischen Titel Cosmographia, die Ausgaben von 1550 bis 1614 den deutschen Titel Cosmographei oder Cosmographey. Die Ausgaben von 1615 bis 1628 haben wieder den Titel Cosmographia.

Im ersten Buch werden die Grundzüge der physischen und mathematisch-astronomischen Erdkunde dargestellt. In den folgenden Büchern sind Länderbeschreibungen enthalten: Süd- und Westeuropa (2. Buch), Deutschland (3. Buch), Nord- und Osteuropa (4. Buch), Asien und die neuen Inseln (5. Buch), Afrika (6. Buch).

Sein Wissen bezog Sebastian Münster aus den Reiseberichten und Erzählungen verschiedener Gelehrter, Geographen, Kartographen und von Seereisenden. Er zog auch literarische Werke heran, die mehr oder minder glaubwürdig waren. Marco Polo zählte ebenso zu seinen Quellen, wie beispielsweise der Bericht des (fiktiven) Ritters Jehan de Mandeville über Indien und China, der 1356 in Lüttich erschienen war. So beschrieb Münster nach und nach auch eine fabelhafte Welt, in der die seltsamsten Geschöpfe vorkommen, wie beispielsweise Menschen mit Hundeköpfen, Großfüßler, Blemmyer, Doppelköpfige sowie sagenhafte Tiere und Seeungeheuer. Die meisten dieser Geschöpfe werden auf Holzschnitten abgebildet.

Ungefährlich war die Sammlung und Recherche über andere Städte, Länder und Sitten nicht. Der Theologe Sigismondo Arquer beispielsweise klagte in seiner Reisebeschreibung Sardiniens, die er Münster für die Cosmographia zur Verfügung gestellt hatte, über die Intoleranz und Gier der Kirche. Nachdem seine Schrift auf italienisch übersetzt worden war, musste er sich vor der Inquisition rechtfertigen und wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 1544 erschien die erste Ausgabe der Cosmographia, gedruckt in der Offizin von Heinrich Petri in Basel. Heinrich Petri war ein Sohn aus der ersten Ehe seiner Frau mit dem Basler Buchdrucker Adam Petri.

Münster musste die ihm zugehenden Erzählungen ihrer Glaubwürdigkeit nach aussortieren und kritisch betrachten, was er als Weltbeschreibung gelten lassen wollte. Auf diese Weise leidet beispielsweise auch der Bericht über die Größe der Pyramiden in Ägypten, in Münsters Darstellung werden sie beträchtlich kleiner beschrieben. Begleitet werden die Berichte aus den damals bekannten Kontinenten und Ländern von zahlreichen, von Münsters selbst gezeichneten Karten. Die Weltkarte, die Münster 1532 bereits für die Cosmographia gezeichnet hatte, deutete den neuen amerikanischen Kontinent 40 Jahre nach seiner Entdeckung nur am Rande an, und ist, zehn Jahre nach der Weltumsegelung durch Ferdinand Magellan, von der Realität weit entfernt.

Am Ende der Cosmographia bittet Münster den Leser, wegen etwa vorkommender Fehler oder abweichender Meinungen nicht das ganze Werk abzulehnen, sondern zu bedenken, dass es unmöglich sei, jedermann zu Gefallen zu schreiben.

Das Werk wurde in viele Sprachen übersetzt und erlebte zahlreiche neue Ausgaben. Nach der ersten Ausgabe von 1544 folgten 1545 die zweite, 1546 die dritte, 1548 die vierte und 1550 die fünfte Ausgabe, jeweils durch neue Berichte und Details, Textbilder, Stadtansichten und Karten ergänzt sowie insgesamt überarbeitet.

Während die erste Ausgabe von 1544 nur 660 Seiten stark war, enthielt die letzte von Münster persönlich im Jahr 1550 überarbeitete Ausgabe bereits 900 Seiten und die letzte überhaupt gedruckte Ausgabe von 1628 fast 1800 Seiten. In der Offizin der Familie Petri in Basel entstanden auf diese Weise in 84 Jahren etwa 50.000 Exemplare in deutscher Sprache und etwa 10.000 Exemplare in lateinischer Sprache. Unter den insgesamt 46 Ausgaben waren 27 deutsche, acht lateinische, drei französische, drei italienische und vier englische Bearbeitungen sowie eine tschechische Ausgabe. Damit war die Cosmographia neben der Bibel zu dem am meisten gelesenen Buch in Deutschland geworden.

Sebastian Münster hat mit der Cosmographia erstmals ein Gemeinschaftswerk von gelehrten Geschichtsschreibern und Künstlern, von Verlegern, Holzschneidern und Stechern herausgegeben. Die zahlreichen Veduten sind in aller Regel als Holzschnitte ausgeführt. Die Forschung konnte zeigen, dass viele der Abbildungen jedoch nicht eigens für die Cosmographia gefertigt wurden, sondern aus den Beständen der Druckerei einflossen, um das Werk qualitativ aufzuwerten. So wurde z.B. der Druckstock einer Höhenburg mehrfach und je nach Auflage unterschiedlich bei mehreren Burgen zur Illustration eingefügt, gleichsam ein Piktogramm für Höhenburg. Auch Abbildungen zur Beschreibung von Ureinwohnern Afrikas und Asiens sind identisch in verschiedenen Bänden ein zweites mal verwendet worden. Mit den Ausgaben der Cosmographia ist quantitativ und qualitativ ein neuer Maßstab für die Ausstattung von Städtebüchern gesetzt worden. So ist das 1572 erschienene Städtebuch Civitates Orbis Terrarum in Format und Layout zwar am Theatrum Orbis Terrarum von Abraham Ortelius angelehnt, beruht im Konzept jedoch auf der Cosmographia.

Albrecht Dürer machte sich einen Namen als Künstler und Mathematiker und schwang sich zu einem der Vordenker des deutschen Humanismus auf.

Dürer machte sich 1497 selbstständig, und wohl ab 1503 konnte er in der Nürnberger Altstadt eine Werkstatt mit Hans Schäufelein, Hans von Kulmbach und Hans Baldung Grien als Mitarbeiter betreiben. Er arbeitete sehr intensiv an seinen Werken. In diese erste Periode seines Künstlerlebens fallen vorwiegend Porträts und einige Selbstporträts: das Bildnis seines Vaters (1497) in London (National Gallery), sein Selbstporträt (1498) im Prado in Madrid, das des Lindauer Kaufmanns Oswald Krell (beschriftet „Oswolt Krel. 1499“) in München (Bayerische Staatsgemäldesammlung), sein Selbstporträt (1500) ebenfalls in München, Bildnis Friedrichs des Weisen (1494/97) in Berlin (Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz) u. a. Von 1500 stammt auch der kleine Christus am Kreuz in der Dresdner Galerie, ein Bildchen von unvergleichlicher Feinheit der Ausführung, und aus derselben Zeit ein Altarwerk ebenfalls in Dresden („Die sieben Schmerzen Mariä“ und Maria das Kind anbetend, Mitteltafel in München), der „Dresdner Altar“.

Hauptsächlich widmete er sich jedoch dem Kupferstich und dem Vorlagenzeichnen für den Holzschnitt. Besonders den Kupferstich erprobte er schon sehr früh; das erste datierte Blatt ist von 1497, dem aber gewiss schon verschiedene andere vorangegangen waren. Aus dieser Zeit stammen ferner: Die Offenbarung des Johannes (1498), eine Folge von 16 Holzschnitten, Adam und Eva (1504), ein Kupferstich und Der verlorene Sohn bei den Schweinen, dessen Tierdarstellung maßgeblich für die Rückzüchtung des so genannten Albrecht-Dürer-Schweins wurde.

Dürers Verbindung zum Humanismus kommt u. a. in den Illustrationen zu Conrad Celtis’ Schrift Quatuor libri Amorum (1502) zum Ausdruck, der seinerseits Dürer zuvor bereits als zweiten Apelles gepriesen hatte.

Im Jahr 1505 unternahm er eine belegbare Reise nach Venedig, wo damals die größten Renaissancemaler der venezianischen Schule, Tizian, Giorgione, Palma il Vecchio, tätig waren. Vor allen aber beeindruckte ihn Giovanni Bellini, den er in einem Brief als den „pest in gemell“ (Bester in der Malerei) pries. Wenn ihn sein ernstes Studium, sein Fleiß und seine Einsicht schon früher in der Heimat den Wert der Korrektheit der Zeichnung und eine wahre Naturauffassung schätzen lehrten, so sah er hier eine ungeahnte Kraft und Tiefe des Kolorits, die nachhaltig auf ihn einwirkten.

Die deutschen Kaufleute (deren Oberältester Herr Fugger aus Augsburg war) zu Venedig bestellten für die Bartholomäuskirche ein großes Bild, das Rosenkranzfest, welches Kaiser Rudolf II. später für eine große Summe erwarb und von vier Männern nach Prag tragen ließ, wo es sich jetzt in der Národní Galerie (Nationalgalerie) befindet (zuvor im dortigen Kloster Strahow). Es stellt eine Krönung der Madonna durch zwei Engel dar. Die Jungfrau reicht dem Kaiser, das Christuskind dem Papst Rosenkränze, ebenso der heilige Dominik und mehrere Engel den Umstehenden. In dem durch Übermalung sehr verdorbenen Bild ist der venezianische Einfluss deutlich zu erkennen. In Venedig malte Dürer auch ein paar Portraits, wie bspw. 1506 Burkhard von Speyer. Obgleich Dürer in Venedig hohe Anerkennung fand und der Rat von Venedig ihm ein Jahresgehalt von 200 Dukaten anbot, wenn er sich in der Stadt dauerhaft niederlassen würde, trat er doch die Rückreise in seine Vaterstadt an.

Ab 1509 war Dürer Gesandter des Größeren Rats in Nürnberg, und so kann man davon ausgehen, dass er maßgeblich an der Planung künstlerischer Projekte der Stadt beteiligt war.

Während dieser Jahre veröffentlichte Dürer außer vielen kleineren Arbeiten in Kupferstich und Holzschnitt drei beeindruckende Holzschnittfolgen; in diesen Werkkomplexen zeigt sich Dürers Meisterschaft auf dem Gebiet der Grafik ganz besonders. Damals machte Dürer auch Versuche, mit der kalten Nadel auf Kupfer zu ritzen; so entstanden Die heilige Veronika von 1510, Der Leidensheiland und der büßende Hieronymus, beide von 1512. Von dieser Zeit an überwiegen die Arbeiten Dürers in Holzschnitt und Kupferstich, und man begegnet seltener Gemälden von seiner Hand.

Von den Gemälden kennt man aus dem Jahr 1512 das Tafelbild Maria mit der Birnenschnitte. In dasselbe Jahr fällt zum großen Teil eine Reihe kleiner Kupferstiche, die eine dritte Darstellung der Passion umfassen. Auch erhielt Dürer einen Freibrief von seinem Gönner Kaiser Maximilian zum Schutz vor der Nachbildung seiner Holzschnitte und Kupferstiche. Als hervorragende Werke aus dem Jahr 1512 sind noch zu erwähnen die Stiche: Maria auf der Rasenbank, Christus der Dulder, beides Nadelarbeiten, der heilige Hieronymus in der Felsenschlucht vor dem Betpult, sowie die Auferstehung, weiterhin 1513 Das Schweißtuch der Veronika, von zwei Engeln gehalten (ein sehr ähnliches Motiv entstand 1516 als Eisenradierung) und 1514 der Dudelsackpfeifer

Dürer hat mehrfach im Auftrag des Kaisers Maximilian I. gearbeitet. Seit spätestens 1510/11 gab es Verbindungen, die eventuell Willibald Pirckheimer vermittelt hatte. Alle Werke dienten zumindest mittelbar der Ehre und dem Ruhm des Kaisers – neben Dürer waren in diesem Sinne z. B. die Künstler Hans Burgkmair, Hans Schäufelin und Beck oder auch Albrecht Altdorfer, Lucas Cranach und Jörg Breu tätig.

Weitere Werke: Illustrationen zu den Hieroglyphen des Horapollon in der Übersetzung von Willibald Pirckheimer; Der Triumph (Ehrenpforte Maximilians I. und Großer Triumphwagen), für den Dürer und dessen Werkstatt-Mitarbeiter Hans Springinklee und Wolf Traut den größten und bedeutendsten Teil zu liefern hatten; das möglicherweise für den St. Georgs-Orden bestimmte Gebetbuch Maximilians I.

Zu dieser Zeit entstanden parallel seine berühmten Stiche: Ritter, Tod und Teufel (1513), Der heilige Hieronymus im Gehäus (1514), Melencolia I (1514) sowie vielleicht das ursprünglich für die Nürnberger Katharinen-Kirche bestimmte, jetzt in der Münchener Pinakothek befindliche Altarblatt der Geburt Christi mit den beiden Stifterbrüdern Paumgartner, bekannt als Paumgartner-Altar. Im gleichen Jahr hat er auch ein einzelnes tanzendes Bauernpaar gestochen und die vierschrötigen Tänzer recht lebendig geschildert. Zwei Monate vor deren Tod († 1514) fertigt er eine Kohlezeichnung seiner Mutter an; das erste Porträt eines sterbenskranken Menschen. Seit 1515 sind auch Eisenradierungen von Dürer überliefert.

Im Jahr 1515 entstand der Holzschnitt Rhinocerus, eines der bekanntesten Werke Dürers.Von 1518 bis 1520 widmete er sich intensiv den theoretischen Arbeiten wie beispielsweise der Proportionslehre.

Im Sommer 1518 war er als Vertreter der Stadt Nürnberg auf dem Reichstag in Augsburg, wo er Jakob Fugger und andere bedeutende Persönlichkeiten im Werk verewigte.

Vom 12. Juli 1520 ab begab sich Dürer mit seiner Frau über Bamberg (dem Bischof Georg III. übergab er eine gemalte Madonna, ein Marienleben, eine Apokalypse und für einen Gulden Kupferstiche), Frankfurt, Mainz, Köln nach Antwerpen und in andere niederländische Städte; von dort kam er erst im Herbst des folgenden Jahres zurück.

Die Reise in die Niederlande war ein wahrer Triumph, überall wurde der Meister auf das Glänzendste gefeiert; der Antwerpener Magistrat bot ihm vergeblich ein Jahresgehalt von 300 Philippsgulden, Steuerfreiheit, ein schönes Haus zum Geschenk, freien Unterhalt und außerdem Bezahlung aller seiner öffentlichen Arbeiten an, um ihn zum ständigen Verbleiben in Antwerpen zu bewegen. Fürsten, fremde Botschafter, Gelehrte, so Erasmus von Rotterdam, und Künstler ehrten ihn und machten ihn zum Mitglied ihrer Gesellschaft. Am 20. Oktober 1520 traf Dürer zur Krönung von Karl V. in Aachen ein. Der neugewählte Kaiser Karl V. bestätigte ihm die früher gewährten Privilegien (dies war der eigentliche Zweck der Reise) und bezeugte ihm außerdem seine besondere Gunst. Von hoher Bedeutung für ihn waren der Anblick der niederländischen Kunstschätze und die Bekanntschaft mit den hervorragenden dortigen Künstlern. Sein während dieser Reise geführtes Tagebuch ist im von Rupprich herausgegebenen Schriftlichen Nachlaß enthalten. Auch eine große Anzahl Bildnisse von Geistlichen, fürstlichen Personen, Künstlern usw. sind ein Ergebnis seiner niederländischen Reise. Am 2. Juli 1521 trat er die Rückreise an.

Nach seiner Heimkehr in die Vaterstadt widmete sich Dürer wieder der künstlerischen Tätigkeit. In den Jahren 1520/21 leitete er die heute verlorene Ausschmückung des Nürnberger Rathauses, die in Nachzeichnungen von 1530 in Wien, Albertina, überliefert ist. Das Programm für die Fassadenmalereien hatte Pirckheimer entworfen.

Aus dem Jahr 1526 besitzt die Alte Pinakothek in München zwei monumentale Tafeln, die zu den bedeutendsten Werken des Künstlers gehören: die lebensgroßen Figuren der vier Apostel Paulus und Petrus und der Evangelisten Markus und Johannes (Seitenstücke), zugleich die vier Temperamente verbildlichend (siehe Temperamentenlehre). Diese Tafeln hatte Dürer ursprünglich der Stadt Nürnberg geschenkt, sie waren im dortigen Rathaus ausgestellt. Aus dem Jahr 1526 stammt auch das Ölbild des Hieronymus Holzschuher in Berlin (Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz), das beste aller Bildnisse von der Hand Dürers, und ferner das Bildnis Jakob Muffels (ebenfalls in Berlin). Besonders erwähnenswert – nicht zuletzt auch wegen des ungewöhnlichen Darstellungstypus – ist das Bildnis Johann Kleeberger, welches sich im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet. Es stammt aus dem Jahr 1526 und soll das letzte Gemälde sein, das Albrecht Dürer gemalt hat.

In den letzten Jahren widmete sich Dürer vermehrt der Kunsttheorie; dabei kommt er zu Einsichten, die durchaus denen der Italiener widersprechen. Dürer starb überraschend am 6. April 1528, kurz vor seinem siebenundfünfzigsten Geburtstag, wohl an den Folgen eines Fiebers. Vielfach wurde gemutmaßt, Dürer habe seit dem Aufenthalt in den Niederlanden Ende 1520 an Malaria gelitten. Das könnte ein Symptom einer Malaria-Erkrankung andeuten, die sogenannte Splenomegalie, allerdings ist die Zeichnung vermutlich bereits vor dem Aufenthalt in den Niederlanden entstanden. Sowohl die klimatischen Bedingungen während seiner winterlichen Reise als auch seine Krankheitsgeschichte (Dürer hatte bereits seit 1507 immer wieder Fiebererkrankungen) und die Entwicklung nach 1520 passen insgesamt nicht zum typischen Verlauf einer Plasmodium vivax-Infektion.

Bis zu seinem Tod war er produktiv tätig, wobei er wohl zuletzt an der Vorbereitung zum Druck einer theoretischen Hauptschrift zur Proportionslehre arbeitete.

Nicht weit entfernt von dem Grab seines Freundes Willibald Pirckheimer) ruhten die irdischen Reste Dürers auf dem St. Johannisfriedhof zu Nürnberg lange unter einer einfachen Metallplatte, die sein Schwiegervater Frey für sich und seine Familie errichten ließ, bis 1681 Joachim von Sandrart das verfallene Grab neu errichtete

Dürer hat für die Entwicklung des Holzschnittes und des Kupferstiches Bedeutendes geleistet. Den Holzschnitt hat er aus dem „Dienst der Buchillustration“ befreit und ihm den Rang eines eigenständigen Kunstwerks verliehen, das dem gemalten Bild an die Seite gestellt werden konnte. Dürer schuf durch Verfeinerung der Linien und eine Erweiterung des künstlerischen Vokabulars eine reichere Tonigkeit bzw. feinere Farbabstufungen und führte den Holzschnitt so formal in die Nähe des Kupferstichs.

Wie den Holzschnitt, so perfektionierte und revolutionierte Dürer auch die Techniken des Kupferstichs. Durch Blätter wie Ritter, Tod und Teufel und Melencolia I wurde er in ganz Europa bekannt. Dürer hat genau wie Tizian, Michelangelo und Raffael die Bedeutung der Druckgrafik darin gesehen, den eigenen künstlerischen Ruf zu verbreiten und durch den Vertrieb zu Einnahmen zu kommen. Benutzten die Italiener die Grafik zur Verbreitung ihrer Gemälde, so erhebt Dürer den Holzschnitt selbst zum Kunstwerk. In diesem Zusammenhang spricht man von Reproduktionsgrafik und Originalgrafik. Dürer hat seine druckgrafischen Zyklen im eigenen Verlag verlegt und über den Buchhandel vertrieben. Der Vertrieb druckgrafischer Blätter hatte zur Folge, dass neue künstlerische Entwicklungen schnell und gleichmäßig in ganz Europa Verbreitung fanden.

Das gesteigerte Selbstbewusstsein und die vielschichtige Selbstreflexion deutet sich in Dürers zahlreichen Selbstporträts an. In ihnen thematisiert der Künstler seinen eigenen gesellschaftlichen Stand und darüber hinaus die hohe Wertigkeit der bildenden Kunst als intellektuelle Disziplin in einer Zeit, als diese noch zum gemeinen Handwerk gezählt wurde.

Neben seinem künstlerischen Schaffen schrieb Dürer Werke über das Perspektivproblem in der Malerei, darunter Underweisung der Messung, und betätigte sich mit der Befestigung von Städten. Ein wichtiger Ratgeber war ihm dabei der römische Architekt und Architekturtheoretiker Vitruv mit seinen zehn Büchern De architectura.

In der Geschichte der Mathematik zeichnet sich die Renaissance als ein Zeitraum aus, in der wesentliche mathematische Fortschritte gehäuft von Praktikern kamen, so von dem Ingenieur Simon Stevin, dem Uhrmacher Jost Bürgi, dem Juristen François Viète, dem Kartografen Gerhard Mercator oder dem Künstler Piero della Francesca.

Der „mathematischste Kopf“ unter den Künstlern seiner Zeit war jedoch Albrecht Dürer. So erwarb er 1507 ein Exemplar der ersten Ausgabe der von Zamberti in das Lateinische übersetzten Elemente des Euklid von 1505, des ersten Buchdrucks dieses Werks überhaupt, und wirkte 1515 im Auftrag von Kaiser Maximilian I. an einer von dem Hofastronomen Johannes Stöberer entworfenen Karte der Erdhalbkugel mit („Stabius-Dürer-Karte“). Sein Kupferstich Melencolia I enthält einige mathematische Andeutungen: Zum einen ist ein magisches Quadrat abgebildet, dessen Zeilen, Spalten, Diagonale, die Zahlen in den 4 Quadranten, die 4 Zahlen im Zentrum und die 4 Zahlen in der Ecke stets dieselbe Summe 34 ergeben und das in seinen beiden mittleren unteren Feldern das Entstehungsjahr 1514 angibt – in den Feldern links und rechts daneben zeigen zudem die Ziffern 4 und 1 die Initialen Dürers im Alphabet an (4 entspricht dem vierten Buchstaben des Alphabets, also dem D wie Dürer, die 1 dem ersten Buchstaben, also dem A wie Albrecht); zum anderen wird ein Polyeder gezeigt, der durch Streckung zweier diametral gegenüberliegender Ecken eines Würfels zu einem Rhomboeder und durch anschließendes Abschneiden der beiden Spitzen senkrecht zu dieser Achse entsteht, so dass er wieder eine Umkugel wie der ursprüngliche Würfel besitzt.

Wissenschaftshistorisch bemerkenswert jedoch ist seine Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien ebnen unnd gantzen corporen, das erste Mathematikbuch deutscher Sprache mit bedeutenden neuen Erkenntnissen. Im Titel ist das Wort „Messung“ im Zusammenhang mit der damals vorherrschenden Übersetzung „Messkunst“ für das griechische Wort Geometrie zu verstehen und bedeutet im heutigen Wortsinn eher „Konstruktion“. In der Underweysung definiert Dürer spezielle Kurven, insbesondere erstmals die Muschellinie und die Pascalsche Schnecke (die er selber wegen ihrer Konstruktionsvorschrift „Spinnenlinie“ nannte), gibt eine neue Konstruktion einer Ellipse an, erkennt Ellipse, Parabel und Hyperbel als Kegelschnitte (und ist damit Vorläufer von Gaspard Monge), zeigt ein neuartiges und sehr genaues Verfahren zur Winkeldreiteilung und stellt die Tangens-Funktion grafisch dar.

Nikolaus von Kues war ein schon zu Lebzeiten berühmter, universal gebildeter deutscher Philosoph, Theologe und Mathematiker. Er gehörte zu den ersten deutschen Humanisten in der Epoche des Übergangs zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Ob die herkömmliche Bezeichnung „Mystiker“ für ihn sinnvoll erscheint, hängt von der Definition des Begriffs Mystik ab und wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt.

In der Kirchenpolitik spielte Nikolaus eine bedeutende Rolle, insbesondere in den Auseinandersetzungen um die Kirchenreform. Auf dem Konzil von Basel stand er anfangs auf der Seite der Mehrheit der Konzilsteilnehmer, die eine Beschränkung der Befugnisse des Papstes forderte. Später wechselte er aber ins päpstliche Lager, das letztlich die Oberhand gewann. Er setzte sich tatkräftig für die päpstlichen Interessen ein, zeigte diplomatisches Geschick und machte eine glanzvolle Karriere als Kardinal (ab 1448), päpstlicher Legat, Fürstbischof von Brixen und Generalvikar im Kirchenstaat. In Brixen stieß er allerdings auf den massiven Widerstand des Adels und des Landesfürsten, gegen den er sich nicht durchsetzen konnte.

Als Philosoph stand Nikolaus in der Tradition des Neuplatonismus, dessen Gedankengut er sowohl aus antikem als auch aus mittelalterlichem Schrifttum aufnahm. Sein Denken kreiste um das Konzept des Zusammenfalls der Gegensätze zu einer Einheit, in der sich die Widersprüche zwischen scheinbar Unvereinbarem auflösen. Metaphysisch und theologisch sah er in Gott den Ort dieser Einheit. Auch in der Staatstheorie und Politik bekannte er sich zu einem Einheitsideal. Das Ziel, eine möglichst umfassende Eintracht zu verwirklichen, hatte für ihn höchsten Wert, sachliche Meinungsverschiedenheiten hielt er demgegenüber für zweitrangig. Im Sinne dieser Denkweise entwickelte er eine für seine Zeit ungewöhnliche Vorstellung von religiöser Toleranz. Dem Islam, mit dem er sich intensiv auseinandersetzte, billigte er einen gewissen Wahrheitsgehalt und eine Existenzberechtigung zu.

In Heidelberg immatrikulierte er sich 1416 in der Artistenfakultät der dortigen Universität, in der damals der Nominalismus die vorherrschende philosophische Richtung war. Im folgenden Jahr verließ er Heidelberg. Wahrscheinlich schon damals, spätestens 1420 ging er nach Padua zum Studium des Kirchenrechts, das er im Frühjahr oder Frühsommer 1423 mit der Promotion zum doctor decretorum („Doktor der Dekrete“) abschloss. In Padua knüpfte er Kontakte zu Persönlichkeiten, die in der Folgezeit prominente Kirchenmänner wurden, den späteren Kardinälen Giuliano Cesarini und Domenico Capranica. Dort schloss er auch eine lebenslange Freundschaft mit dem bedeutenden Mathematiker und Astronomen Paolo dal Pozzo Toscanelli. Entsprechend seinem allseitigen Bildungsinteresse erwarb er eine Fülle von Kenntnissen auf Gebieten, die in keinem Zusammenhang mit seinem Studienfach standen.

Im Frühjahr 1425 ließ sich Nikolaus an der Universität Köln als Doktor des Kirchenrechts immatrikulieren. Wahrscheinlich unterrichtete er dann dort in der juristischen Fakultät, doch gibt es dafür keinen Beleg. Er schloss Freundschaft mit dem sechs Jahre älteren Professor Heymericus de Campo, der in Köln zunächst an der Fakultät der Artes tätig war und ab 1428 Theologie unterrichtete. Heymericus, der zur Traditionslinie des scholastischen Philosophen und Theologen Albertus Magnus gehörte, beeinflusste Nikolaus stark; er brachte ihm den Neuplatonismus nahe und machte ihn mit den Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita vertraut, die dem Mittelalter spätantikes neuplatonisches Gedankengut vermittelt hatten.1428 reiste Nikolaus nach Paris, um dort Werke des katalanischen Denkers Raimundus Lullus zu studieren. Er setzte sich intensiv mit Lullus auseinander. Viele Werke des Katalanen schrieb er eigenhändig ab, wobei er sich dazu Notizen machte. Zwei Rufe nach Löwen, wo ihm die Universität eine Kirchenrechtsprofessur anbot, schlug er 1428 und 1435 aus.

Als Humanist leistete Nikolaus Bedeutendes in der historisch-philologischen Forschung, sowohl durch Auffindung von Handschriften teils verschollener antiker Werke und Entdeckung unbekannter mittelalterlicher Quellen als auch durch seine kritische Auseinandersetzung mit den Quellentexten.

Er gehörte zu den Pionieren der rechtshistorischen Forschung, die damals wegen der Auseinandersetzungen um die Kirchenreform einen besonderen Aktualitätswert hatte. Wegweisend war seine Leistung, nicht nur die gängigen Rechtssammlungen heranzuziehen, sondern auch verschollene Handschriften und Urkunden ausfindig zu machen und für aktuelle Konflikte auszuwerten. Er studierte die alten germanischen Volksrechte und verglich ihre Bestimmungen mit der Rechtspraxis seiner Zeit. In der Kölner Dombibliothek entdeckte er eine Handschrift mit Papstbriefen an die frühmittelalterlichen fränkischen Könige („Codex Carolinus“). 1433 zeigte er erstmals mit philologischen Argumenten, dass die Konstantinische Schenkung, eine angebliche Urkunde Kaiser Konstantins des Großen, auf die sich die Kurie seit dem 11. Jahrhundert zur Begründung ihrer territorialen Ansprüche stützte, eine Fälschung ist. Wenige Jahre später erbrachte Lorenzo Valla einen Beweis der Fälschung, der ebenfalls auf sprachlichen Beobachtungen basierte. Auch die Unechtheit von angeblichen Texten antiker Päpste, die in den pseudo-isidorischen Dekretalen enthalten waren, konnte Nikolaus nachweisen. Unter den Handschriften mit Werken antiker Schriftsteller, die er entdeckte, war eine, die zwölf bis dahin unbekannte Komödien des Plautus enthielt, und eine mit den ersten sechs Büchern der Annalen des Tacitus.

Wie bei Humanisten üblich war auch Nikolaus bibliophil (bücherliebend), er sammelte eifrig wertvolle Handschriften aller Art, wobei er auch Bände mit prachtvollem Buchschmuck zu schätzen wusste. Allerdings war er kein typischer Renaissance-Humanist, denn das primär an stilistischer Qualität orientierte Literatentum, die Begeisterung für vollendete rhetorische und poetische Kunst spielte bei ihm eine geringe Rolle. Stattdessen zeigte er ein bei damaligen Humanisten seltenes Interesse an eigenständiger Auseinandersetzung mit schwierigen philosophischen und theologischen Fragen.

1450 schloss Nikolaus mit dem Astronomen Georg von Peuerbach Freundschaft. Er beschäftigte sich intensiv mit Astronomie. 1444 kaufte er astronomische Instrumente und Schriften, doch ist unbekannt, ob er die Instrumente auch für eigene Beobachtungen benutzt hat.

In seiner Schrift über die Kalenderreform (De correctione kalendarii) ging Nikolaus auf die Fehlerhaftigkeit des Julianischen Kalenders und der Osterrechnung ein und war damit ein wichtiger Vertreter der Bemühungen um eine Kalenderreform. Sein Anliegen wurde jedoch erst 1582 durch die Gregorianische Kalenderreform verwirklicht.

Anfang 1430 starb Nikolaus’ Förderer Otto von Ziegenhain, der Erzbischof von Trier. Im Streit um die Nachfolge („Trierer Bischofsstreit“) stellte sich Nikolaus auf die Seite des Kandidaten Ulrich von Manderscheid, hinter dem eine starke Adelspartei stand. Ulrichs Rivalen waren Jakob I. von Sierck, den die Mehrheit des Domkapitels gewählt hatte, und Raban von Helmstatt, der Kandidat von Papst Martin V. Ulrich setzte sich mit Gewalt durch und wurde exkommuniziert. Nach dem Tod Papst Martins wandte sich Ulrich Anfang 1432 an das Konzil von Basel, wo er sich gegen den neuen Papst Eugen IV. durchzusetzen hoffte. Er schickte Nikolaus, der sein Sekretär und Kanzler war und ihn bereits auf dem Nürnberger Reichstag 1431 vertreten hatte, nach Basel. Nikolaus erhob die örtliche Auseinandersetzung um das Trierer Erzbistum zu einer Grundsatzfrage, indem er für die Rechte der Laienschaft eintrat, der kein Bischof vom Papst aufgezwungen werden dürfe. Er teilte die Auffassung der Konzilsmehrheit, wonach das, was alle betrifft, auch von allen gebilligt werden muss, und vertrat den Vorrang des göttlichen Rechts und des Naturrechts vor dem positiven Recht. Daran habe sich sogar der Papst zu halten; er müsse daher einen Konsens mit den von seinen Entscheidungen Betroffenen anstreben.

Zwar unterlag Ulrich vor dem Konzil, doch konnte Nikolaus dort zunehmend Ansehen und Einfluss gewinnen; sein diplomatisches Geschick und seine Befähigung zur Vermittlung in Konflikten fanden Wertschätzung. Zu den Aufgaben, die ihm übertragen wurden und die er lösen konnte, gehörten die Erzielung eines Kompromisses mit den rebellischen Hussiten, die sich nach anfänglicher Ablehnung auf seine Ideen einließen, und die Klärung der Rolle der päpstlichen Legaten auf dem Konzil. Anfangs stand er schon wegen seiner Rolle als Interessenvertreter Ulrichs auf der Seite der Konziliaristen, die für den Vorrang des Konzils gegenüber dem Papst eintraten und unter den Konzilsteilnehmern in der Mehrheit waren. Als Anhänger Ulrichs war er aus der Sicht der Kurie sogar exkommuniziert. 1436 vollzog er jedoch einen Parteiwechsel und stellte sich auf die Seite der Minderheit, die den Papst unterstützte. Ausschlaggebend war dabei für ihn das Ziel, eine Wiedervereinigung der katholischen Kirche mit der orthodoxen byzantinischen Kirche zu erreichen; diese Absicht glaubte er eher mit dem Papst als mit den Konziliaristen verwirklichen zu können. Der byzantinische Gesandte erkannte die päpstlich gesinnte Konzilsminderheit als rechtmäßige Vertretung der westlichen Kirche an.

Inwieweit Nikolaus’ Übertritt zur päpstlichen Partei eine Konsequenz aus seinen schon zuvor vertretenen theoretischen Überzeugungen war, wie er selbst behauptete, und welche Rolle möglicherweise opportunistische Motive spielten, war schon damals umstritten und konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Einerseits hatte Nikolaus schon als Konziliarist Argumente vorgebracht, auf die er sich später beim Parteiwechsel berufen konnte, andererseits legte auch ein machtpolitisches Kalkül den Schritt nahe; er hegte die realistische und zutreffende Erwartung, dass das Konzil scheitern werde, und seine Gesinnungsänderung wurde zum Ausgangspunkt für seine glänzende Karriere.

Am 17. Mai 1437 verließ Nikolaus Basel und begab sich im Auftrag der päpstlichen Partei zu Verhandlungen über die Kircheneinheit nach Konstantinopel. Dort setzte er sich gegen eine Gesandtschaft der Konzilsmehrheit durch. Am 27. November 1437 brachen der byzantinische Kaiser Johannes VIII. Palaiologos, der Patriarch von Konstantinopel und zahlreiche Bischöfe der Ostkirche mit den päpstlichen Gesandten, darunter Nikolaus, nach Westen auf. Ihr Ziel war, die Einheit auf einem Unionskonzil zu verwirklichen und so auch militärische Unterstützung für das Byzantinische Reich zu gewinnen, das im Kampf gegen die Türken vom Untergang bedroht war. Zu den Teilnehmern der langen Schiffsreise gehörte der griechische Erzbischof und spätere Kardinal Bessarion, der mit Nikolaus Freundschaft schloss. Am 8. Februar 1438 landeten sie in Venedig. Damit hatte sich Nikolaus erfolgreich auf europäischer Ebene in der Politik profiliert.

Im März 1438 erklärten die deutschen Kurfürsten und der neue König Albrecht II. ihre Neutralität im Konflikt zwischen Papst Eugen IV. und dem Konzil von Basel. Unter den prominenten päpstlichen Gesandten, welche diese Neutralität aufbrechen und die Deutschen für den Papst gewinnen sollten, war Nikolaus der einzige Deutsche. Zunächst hatte er formal nur einen niederen Rang unter den päpstlichen Beauftragten inne, doch am 22. Juli 1446 wurde er zum Legaten ernannt und übernahm damit eine Schlüsselposition. Seine zentrale Rolle würdigte Enea Silvio de' Piccolomini, der spätere Papst Pius II., indem er ihn den „Herkules der Eugenianer“ nannte; die Gegenseite griff ihn als Verräter an. In dem langwierigen, zehn Jahre dauernden Kampf trat er auf einer Reihe von Reichstagen und Fürstenversammlungen auf, darunter dem Reichstag von Nürnberg 1438, dem Reichstag von Mainz 1441 und dem Fürstentag von Aschaffenburg 1447, auf dem sich die deutschen Fürsten endgültig für den Papst entschieden. 1448 war er maßgeblich am Abschluss des Wiener Konkordats beteiligt, das die kirchlichen Verhältnisse im Reich und die Beziehungen zwischen Reich und Kurie abschließend regelte.

Daneben war Nikolaus in diesen Jahren mit einer Fülle von politischen und kirchlichen Aufgaben in Deutschland beschäftigt, wobei es vor allem um Streitschlichtung ging. Dabei war er insbesondere auch in seiner Trierer Heimatregion aktiv.

Nikolaus wurde zur Belohnung für seine erfolgreichen Dienste von Eugen IV. zum Kardinal ernannt, doch starb der Papst, bevor er diesen Schritt öffentlich verkünden konnte. Im anschließenden Konklave wurden bei der Papstwahl bereits Stimmen für Nikolaus abgegeben. Zum Nachfolger Eugens gewählt wurde aber Kardinal Tommaso Parentucelli (Nikolaus V.), ein bedeutender Förderer des Humanismus und langjähriger Freund des Nikolaus von Kues. Er erhob den Kusaner am 20. Dezember 1448 öffentlich zum Kardinal mit der Titelkirche San Pietro in Vincoli, doch nahm der Neuernannte erst am 11. Januar 1450 in Rom den Kardinalshut in Empfang. Er war zu diesem Zeitpunkt der einzige deutsche Kardinal.

Am 23. März 1450 wurde er vom Papst zum Bischof des Fürstbistums Brixen im heutigen Südtirol ernannt und am 26. April geweiht. Dort musste er sich gegen das Domkapitel durchsetzen, das bereits den dortigen Kanoniker Leonhard Wismair zum Bischof gewählt hatte. Hinter Leonhard stand Herzog Sigmund „der Münzreiche“ von Österreich, der in Tirol regierte. Im März 1451 kam es in Salzburg zu einer Einigung, Nikolaus erreichte den Rücktritt des Gegenkandidaten und wurde vom Herzog anerkannt.

Am 24. Dezember 1450 wurde Nikolaus zum päpstlichen Legaten ernannt und mit außerordentlichen Vollmachten zur Kirchen- und Klosterreform in Deutschland, Österreich und den Niederlanden ausgestattet. Anschließend begab er sich auf die Legationsreise, die bis zum Frühjahr 1452 dauerte. Wiederum bildete die Streitschlichtung einen wesentlichen Teil seiner Aufgaben; zu den Konflikten, mit denen er sich zu befassen hatte, gehörte insbesondere die langwierige Soester Fehde, an deren Beilegung er maßgeblich beteiligt war. Ein wichtiger Auftrag, den er auszuführen hatte, war die Verkündigung des Ablasses, der anlässlich des Jubeljahres 1450 den Gläubigen gewährt wurde.

Bei der Durchführung der Reform trat Nikolaus, der früher durch seine diplomatische, vermittelnde Art erfolgreich gewesen war, nun auf die Autorität seines Amtes gestützt oft hart und kompromisslos auf. Besonders bei den Bettelorden stieß er auf heftigen Widerstand. Auch die von ihm geforderten rigorosen Maßnahmen gegen die Juden riefen bei Bischöfen, beim Rat der Stadt Nürnberg und beim Markgrafen von Brandenburg Protest hervor und fanden auch beim König und beim Papst keine Zustimmung. Er warf den Juden Habgier und Wucher vor und forderte ihre Kennzeichnung durch sichtbare Zeichen an der Kleidung.

Nach dem Ende der Legationsreise übernahm Nikolaus im April 1452 persönlich die Verwaltung seines schwer verschuldeten Bistums Brixen. Dort wollte er seine Vorstellungen zur Kirchenreform beispielhaft verwirklichen und ein „kirchliches Musterbistum“ – eine „Art ‚Glaubensschweiz‘“ – errichten. Bei der wirtschaftlichen Sanierung des Bistums war er erfolgreich, doch geriet er in Machtkämpfe mit dem Tiroler Adel. Der Widerstand des Adels entzündete sich vor allem an der von Nikolaus vergeblich erstrebten Reform des Klosters Sonnenburg, das der Versorgung von Töchtern aus adligen Geschlechtern diente. Nach einem langwierigen Streit exkommunizierte Nikolaus die widerspenstige Äbtissin Verena von Stuben und zwang sie schließlich zum Rücktritt. In dem Konflikt kam es sogar – ohne Verschulden von Nikolaus – zu einer militärischen Auseinandersetzung („Schlacht im Enneberg“ am 5. April 1458), in der über 50 Mann fielen.

Als Nikolaus 1456 seinem Neffen Simon von Wehlen eine Pfründe im Domkapitel verschaffte und Domherren, die sich dieser Entscheidung widersetzten, exkommunizierte, erregte sein entschiedenes Auftreten Anstoß. Seine Gegner konnten die Unterstützung von Herzog Sigmund gewinnen, dem Nikolaus’ energische Machtausübung generell missfiel. Nikolaus wurde mit Morddrohungen eingeschüchtert. Er zog sich, um sein Leben fürchtend, im Juli 1457 auf die seinem Bistum gehörende Burg Buchenstein (Andraz) zurück, wo er bis September 1458 blieb. Über den gesamten Herrschaftsbereich des Herzogs verhängte er das Interdikt (Verbot gottesdienstlicher Handlungen). Im Mai 1458 trat der konziliaristisch gesinnte Staatsmann Gregor Heimburg in den Dienst Sigmunds. Gregor war ein konsequenter Gegner der päpstlichen Politik und war schon auf den Reichstagen gegen Nikolaus aufgetreten. Schließlich holte Pius II., der im August 1458 den Papstthron bestiegen hatte, Nikolaus nach Rom, wo der Kardinal am 30. September 1458 eintraf.

Am 11. Januar 1459 wurde Nikolaus vom Papst zum Legaten und Generalvikar im Kirchenstaat ernannt. Er übernahm die Leitung des Kirchenstaats, während sich Pius zum Fürstenkongress von Mantua begab.

Der Papst wünschte eine Versöhnung zwischen Nikolaus und Sigmund, doch scheiterten seine intensiven Vermittlungsversuche. Der Einfluss Gregor Heimburgs trug erheblich zur Verhärtung der Position des Herzogs bei. Insbesondere über das Recht zur Ausbeutung eines Silberbergwerks bei Garnstein konnte keine Einigung erzielt werden. Im Februar 1460 kehrte Nikolaus nach Brixen zurück und nahm den Kampf um sein Bistum auf. Militärisch war er von Anfang an hoffnungslos unterlegen, überdies konnte er sich nicht auf das Domkapitel und den Klerus verlassen. Viele Geistliche traten für einen Kompromiss ein. Priesterschaft und Bevölkerung waren über das Interdikt erzürnt, das der Kardinal verhängt hatte. Schließlich ging Sigmund zu Ostern 1460 militärisch gegen die Stadt Bruneck vor, wo sich Nikolaus aufhielt. Angesichts der Kräfteverhältnisse gab die Stadt den Kampf schnell auf, Nikolaus zog sich in die Burg zurück. Dort wurde er am 17. April zur Kapitulation gezwungen. Er musste sich zu einer Kriegsentschädigung von 10 000 Rheinischen Gulden verpflichten, auf die Silbergruben verzichten und auch in anderen Streitpunkten nachgeben. Nach seiner Freilassung widerrief er aber alle Zugeständnisse. Am 27. April verließ er Bruneck. Da er in seinem Bistum kaum noch handlungsfähig war, begab er sich zum Papst nach Siena, ohne für seine geistlichen Aufgaben im Bistum einen Vertreter einzusetzen.

Der Konflikt dauerte fort. In Italien fand Nikolaus viel Verständnis für seine Position, im deutschen Sprachraum lagen die Sympathien eher auf der Seite Sigmunds. Im August 1460 griff der Papst mit Bann und Interdikt zugunsten des Kardinals ein. Erst im Juni 1464 wurde der Streit beigelegt; Nikolaus blieb Bischof, musste aber die Amtsausübung einem Vertreter überlassen.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Nikolaus als Kurienkardinal im Kirchenstaat, wo er ein Konzept zur Reform der Kirchenleitung ausarbeitete, das folgenlos blieb. Ab 1461 war er schwer krank; unter anderem litt er an der Gicht.

Im Sommer 1464 wurde Nikolaus im Rahmen des von Pius II. betriebenen Kreuzzugsprojekts gegen die Türken beauftragt, sich um eine Schar von 5000 mittellosen und zum Teil erkrankten Kreuzfahrern zu kümmern, die zwischen Rom und Ancona, von wo die Flotte in See stechen sollte, umherirrten. Unterwegs starb er am 11. August in Todi. Sein Leichnam wurde sogleich nach Rom überführt und in seiner Titelkirche San Pietro in Vincoli beigesetzt; sein Herz jedoch wurde auf seinen Wunsch in der Kapelle des von ihm und seinen Geschwistern 1458 gestifteten St. Nikolaus-Hospitals (Cusanusstift) in Kues bestattet. Dem Hospital vermachte er auch den Hauptteil seiner Bibliothek, der sich noch heute dort befindet. Sie gilt mit ihrer Sammlung von Hunderten mittelalterlicher Handschriften und Inkunabeln (Wiegendrucken) aus Theologie, Philosophie, Wissenschaft und Mathematik als die bedeutendste Privatbibliothek, die aus dem Mittelalter erhalten geblieben ist

Nikolaus verfasste mehr als 50 Schriften, davon etwa ein Viertel in Dialogform, die übrigen in der Regel als Abhandlungen, ferner rund 300 Predigten sowie eine Fülle von Akten und Briefen. Seine Werke lassen sich nach dem Inhalt in drei Hauptgruppen gliedern: Philosophie und Theologie, Kirchen- und Staatstheorie, Mathematik und Naturwissenschaft. Eine Sonderstellung nimmt seine kurze Autobiographie ein, die er 1449 schrieb. Er veranlasste selbst eine (allerdings unvollständige) Sammlung seiner Schriften, die in zwei Handschriften seiner Bibliothek in Kues vorliegt.

Zu den bekanntesten Werken des Kusaners gehört die 1433/34 in Basel entstandene Schrift De concordantia catholica („Über die allumfassende Eintracht“) in drei Büchern. Vom Grundgedanken der Eintracht ausgehend entwickelt Nikolaus im ersten Buch eine allgemeine Kirchenlehre, erläutert im zweiten Buch seine Konzilstheorie und seine Ideen zur Reform von Kirche und Konzilien und legt im dritten Buch seine Staatstheorie und seine Vorstellungen zur Reichsreform dar. In den Zusammenhang der auf dem Konzil von Basel ausgetragenen Konflikte gehören auch weitere Schriften, darunter De maioritate auctoritatis sacrorum conciliorum supra auctoritatem papae („Über den Vorrang der Autorität der heiligen Konzilien über die Autorität des Papstes“, 1433), das Opusculum contra errorem Bohemorum („Gegen den Irrtum der Böhmen“, 1433) zum Konflikt mit den Hussiten und De auctoritate praesidendi in concilio generali („Über den Vorsitz in einem allgemeinen Konzil“, 1434). Seine Auffassungen über eine allgemeine Kirchenreform legt er 1459 in der Schrift Reformatio generalis („Allgemeine Reform“) dar.

In diesem Teil von Nikolaus’ Werk geht es primär um Fragen der Metaphysik und Ontologie und um die theologischen Konsequenzen, die sich aus deren Beantwortung ergeben. Kennzeichnend ist dabei, dass philosophische Aussagen für die Beantwortung theologischer Fragen nutzbar gemacht werden.

Schon in einer seiner ersten Schriften, De docta ignorantia („Über die belehrte Unwissenheit“, 1440), entwickelt Nikolaus die Grundlagen seiner Theologie und einer damit eng verbundenen spekulativen Kosmologie.

Von der Suche nach dem verborgenen Gott, die im Dunkel der Unwissenheit beginnt, und der Erkennbarkeit Gottes handelt ein großer Teil seiner Schriften. Hierzu gehören der Dialogus de deo abscondito („Dialog über den verborgenen Gott“, 1444/45), De quaerendo deum („Von der Suche nach Gott“, 1445), De filiatione dei („Von der Gotteskindschaft“, 1445), De dato patris luminum („Über die Gabe des Vaters der Lichter“, 1445/46), der Dialog Idiota de sapientia („Der Laie über die Weisheit“, zwei Bücher, 1450), De theologicis complementis („Über theologische Ergänzungen“, 1453), De visione dei („Von der Gottesschau“, 1453), De beryllo („Über den Beryll“, 1458) und De principio („Über den Anfang“, auch Tu quis es, 1459). In seinen letzten Lebensjahren kommt Nikolaus erneut auf diese Thematik zurück und fasst in einigen seiner letzten Schriften seine Ideen zur Gotteserkenntnis zusammen, darunter De non aliud („Vom Nichtanderen“, 1461/62), De venatione sapientiae („Über die Jagd nach der Weisheit“, 1462/63) und De apice theoriae („Über die höchste Stufe der Betrachtung“, 1464), Nikolaus’ letztes Werk; eine Kurzfassung bietet sein Compendium (1463/64). Einem Einüben der zur Gottesbetrachtung führenden Schritte dient der Dialogus de ludo globi („Dialog über das Kugelspiel“, 1463), in dem Nikolaus anhand des von ihm erfundenen „Kugelspiels“ seine Vorstellung vom Weltall und der Stellung des Menschen darin veranschaulicht.

In der Abhandlung De coniecturis („Über Mutmaßungen“, um 1442) setzt sich Nikolaus mit dem bereits in De docta ignorantia thematisierten Problem der Annäherung an das nicht Wissbare auseinander. Sie erfolgt über Mutmaßungen, mit denen sich der Mensch von einer Stufe zur anderen fortschreitend der Göttlichkeit annähert. Im Dialogus de genesi („Dialog über das Werden“, 1447) wird die Frage nach der Entstehung des Alls und dem Ursprung des Seins alles Seienden erörtert. Mit der Intellekt- und Erkenntnistheorie befasst sich der Dialog Idiota de mente („Der Laie über den Geist“, 1450). Der „Trialog“ (Dreiergespräch) „Über das Können-Ist“ (Trialogus de possest, 1460) behandelt den Gottesnamen „Possest“, der Gott bezeichnet als „alles das, was sein kann“ (omne id quod esse potest), das realisierte Alles-Können als einzige Wirklichkeit, Zusammenfall von Möglichkeit und Wirklichkeit.

Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der verschiedenen religiösen Lehren und nach der Toleranz zwischen den Religionen untersucht Nikolaus in De pace fidei („Über den Glaubensfrieden“), einer Schrift, die 1453 unter dem Eindruck der Eroberung Konstantinopels durch die Türken entstand. Speziell unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen Christentum und Islam erörtert er diese Thematik 1460/61 erneut in der Cribratio Alkorani („Sichtung des Korans“, drei Bücher).

Eine relativ geringe Rolle spielt in Nikolaus’ Werk die Exegese und biblische Theologie; sie bietet ihm gewöhnlich nur Ausgangspunkte für philosophische Erörterungen. Hierzu gehören die 1441 entstandene Auslegung des Vaterunser (Predigt 24) und die Schrift De aequalitate („Über die Gleichheit“, 1459), eine philosophische Auslegung einer Stelle im Prolog des Johannesevangeliums. Eine Sonderstellung nimmt die 1446 verfasste Coniectura de ultimis diebus („Mutmaßung über die letzten Tage“) ein, eine Abhandlung, in der Nikolaus den Zeitraum berechnet, in welchem das Weltende und die Auferstehung zu erwarten sei (nach seiner Vermutung 1700–1734).

Das mathematische und naturwissenschaftliche Werk des Cusanus ist vor allem von seinem Interesse an Wissenschaftstheorie und von seinen metaphysisch-theologischen Fragestellungen geprägt; er will von mathematischen zu metaphysischen Einsichten hinführen. Mit Analogien zwischen mathematischem und metaphysischem Denken befasst er sich in Schriften wie De mathematica perfectione („Über die mathematische Vollendung“, 1458) und Aurea propositio in mathematicis („Der Goldene Satz in der Mathematik“, 1459). Als sein mathematisches Hauptwerk gilt De mathematicis complementis („Über mathematische Ergänzungen“, 1453). Mit dem Problem der Kreisquadratur und der Berechnung des Kreisumfangs setzt er sich in mehreren Schriften auseinander, darunter De circuli quadratura („Über die Quadratur des Kreises“, 1450), Quadratura circuli („Die Kreisquadratur“, 1450), Dialogus de circuli quadratura („Dialog über die Quadratur des Kreises“, 1457) und De caesarea circuli quadratura („Über die kaiserliche Kreisquadratur“, 1457). Auch in De mathematica perfectione befasst sich Nikolaus mit diesem Problem. Er hält eine Kreisquadratur nur näherungsweise für möglich und schlägt dafür ein Verfahren vor.

Mit seinem Dialog Idiota de staticis experimentis („Der Laie über Versuche mit der Waage“, 1450) gehört er zu den Wegbereitern der Experimentalwissenschaft. De correctione kalendarii („Über die Kalenderverbesserung“, auch: Reparatio kalendarii, 1436) handelt von der damals bereits dringend erforderlichen Kalenderreform, die jedoch erst im 16. Jahrhundert verwirklicht wurde.

Eine Seite einer Abschrift von Proklos' Parmenides-Kommentar in lateinischer Übersetzung mit eigenhändigen Randbemerkungen des Nikolaus von Kues (Bernkastel-Kues, Bibliothek des Sankt-Nikolaus-Hospitals, Codex 186, fol. 125r)

Cusanus gehört zu den spekulativen Theologen des Spätmittelalters, auf die Meister Eckhart einen wesentlichen Einfluss ausgeübt hat. Er benutzte nur die lateinischen Schriften Eckharts, nicht die deutschen Predigten. Seine Eckharthandschrift, die er mit eigenhändigen Randnotizen versah, ist erhalten. Da eine Anzahl von Eckharts theologischen Thesen kurz nach seinem Tod durch eine päpstliche Bulle als häretisch verurteilt worden war, pflegte man ihn meist ohne Namensnennung zu zitieren. So verfuhr auch Cusanus. Nur in zweien seiner Werke nahm er ausdrücklich auf Eckhart Bezug: in einer lateinischen Predigt und in der Apologia doctae ignorantiae. In der Apologia verteidigte er sich und Eckhart gegen den Pantheismus-Vorwurf Johannes Wencks. Er schrieb, Eckhart sei zwar rechtgläubig gewesen, doch könnten seine Äußerungen leicht missverstanden werden; daher seien seine Werke für das einfache Volk ungeeignet.

Einen immensen Einfluss übte der spätantike Neuplatoniker Proklos auf Cusanus aus. Proklisches Gedankengut taucht erstmals um 1442 in der Schrift De coniecturis auf. Namentlich erwähnt und direkt zitiert wird Proklos erstmals 1458 in der Schrift De beryllo. In den Werken aus den letzten Lebensjahren des Kusaners kommt Proklos eine zentrale Bedeutung zu; benutzt werden sein Kommentar zu Platons Parmenides sowie ab 1462 auch seine Theologia Platonis, vereinzelt auch die Elementatio theologica.

Gedankengut neuplatonischen Ursprungs bezog Cusanus überdies auch aus Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita und des Albertus Magnus, insbesondere aus Alberts Dionysius-Kommentar, sowie aus Werken seines Freundes Heymericus de Campo, der die Lehren Alberts gegen die Thomisten verteidigte. Dabei ging es vor allem um das Konzept der Koinzidenz der Gegensätze, dem sich Albert bereits genähert hatte.

Wesentliche Anregungen erhielt Cusanus ferner von Raimundus Lullus. Allerdings zitiert er ihn selten und nennt ihn nur zweimal namentlich; diese vorsichtige Haltung dürfte mit der Umstrittenheit der Lehre des Lullus, die an der Theologischen Fakultät der Pariser Universität verboten war, zusammenhängen.

Nikolaus selbst kennzeichnet den Gedanken der Koinzidenz (coincidentia oppositorum), des Zusammenfalls der Gegensätze zu einer Einheit, als Kernelement seiner Betrachtungsweise oder Methode (womit er nicht eine Lehre oder ein System meint). Mit diesem Konzept tritt er als Urheber einer neuen Theorie auf, die der bisherigen Philosophie gefehlt habe. Er meint, alle geistige Anstrengung müsse sich darauf richten, die „einfache Einheit“ zu erreichen, in der alle Arten von Entgegengesetztem (opposita) zusammenfallen, somit paradoxerweise auch die kontradiktorischen (widersprüchlichen) Gegensätze, die einander nach dem aristotelischen Satz vom Widerspruch ausschließen. Die Einbeziehung auch dieser Gegensätze in die allumfassende Einheit ist das Neue gegenüber den früheren Ansätzen.

Im Sinne der neuplatonischen Tradition betrachtet Nikolaus als letztes Ziel aller Erkenntnisbemühungen den einen schöpferischen Urgrund des Werdens, der zugleich Ausgangspunkt und Bestimmung alles Werdens sei. In theologischer Sprache ausgedrückt ist das Gott, doch argumentiert Nikolaus philosophisch. Den Urgrund identifiziert er mit der äußersten Einfachheit. Zugleich schreibt er ihm aber auch Mannigfaltigkeit zu, denn er sieht in dem schlechthin Einfachen die Quelle der gesamten empirisch feststellbaren Vielheit in der Welt. Gäbe es das Viele neben dem Einen, so wäre das Eine nicht wirklich umfassend, sondern vom Vielen begrenzt. Das Eine ist für Nikolaus nur dadurch unendlich, dass es zugleich auch das Viele ist. Gott ist Einfaltung (complicatio) der Welt, die Welt Ausfaltung (explicatio) Gottes. Im Sinne seiner mit mathematischen Analogien arbeitenden Ausdrucksweise handelt es sich um ein absolutes Maximum, das zugleich das absolute Minimum ist (als maximale Kleinheit). Dieses Maximum ist keine besondere Substanz, die neben anderen Substanzen besteht, sondern es ist das, worin die Unterschiedlichkeit der Substanzen und überhaupt aller Einzeldinge gründet. Es ist eine Einheit, die in allem erscheint und alles umfasst, also auch das philosophierende und erkennende Subjekt einschließt. Da die Menschen jedoch in ihrem vom Widerspruchsprinzip beherrschten Denken befangen sind, erkennen sie diese Einheit nicht als Grund der Welt, sondern nähern sich ihr auf stets einseitige Weise. Erkennen sie das Unbefriedigende dieser Einseitigkeiten, so gelangen sie zur Auffassung, die Wahrheit sei unerreichbar. Dabei betrachtet sich der Wahrheitssucher als Subjekt, das selbst außerhalb der Wahrheit steht und diese daher in etwas anderem suchen muss. Sein Zweifel an der Auffindbarkeit der Wahrheit kann jedoch überwunden werden, wenn er versteht, dass sie nicht im Anderen zu suchen ist. Vielmehr ist sie gerade das Nicht-Andere (non-aliud), denn jedes Einzelne enthält in sich die gesamte Wirklichkeit, mit der es ungeachtet seiner individuellen Separatheit verbunden ist. Das Anderssein kommt nur den Weltdingen zu, insoweit der Verstand sie betrachtet.

Die unendliche Einheit veranschaulicht Nikolaus mit dem Beispiel einer unendlichen Geraden. Diese ist nicht nur Gerade, sondern zugleich auch ein Dreieck (mit größter Grundseite und kleinster zugehöriger Höhe), ein Kreis und eine Kugel (mit unendlich großem Durchmesser).

In De docta ignorantia bekennt sich Nikolaus zur neuplatonischen, besonders von Pseudo-Dionysius betonten negativen Theologie, die alle positiven Aussagen über Gott als unzulänglich und insofern irreführend verwirft. Er wendet sich Gott nicht zu, indem er Wissen über ihn für sich beansprucht, sondern indem er Wissen über sein eigenes Nichtwissen erlangt und damit eine über sich selbst „belehrte Unwissenheit“.

Seiner Terminologie zufolge ist der menschliche Verstand (ratio) die Kraft, welche die Sinneseindrücke ordnet und unter vereinheitlichende Begriffe bringt. Dies geschieht durch Unterscheidung zwischen ihnen, indem der Verstand einschließt und ausschließt und damit auch negiert, wozu die Sinne nicht imstande sind. Der Verstand kann dies, indem er das Unendliche aus seiner Betrachtung fernhält. Alles verstandesmäßige Wissen beruht auf Vergleichen und ist somit auf Relatives bezogen. Daher kann der menschliche Verstand etwas Absolutes wie das Maximum oder das Unendliche nicht erfassen, für ihn besteht zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen keine Proportion. Der Mensch verfügt jedoch noch über eine weitere Fähigkeit, die Vernunft (intellectus), die weit über dem Verstand steht. Sie ist in der Lage, das unterscheidende Negieren des Verstandes zu negieren und damit zum Begriff der Unendlichkeit und unendlichen Einheit zu gelangen. Dieser ist ein Vernunftinhalt und als solcher jenseits des der Verstandestätigkeit Zugänglichen.

Die Vernunft ist zwar endlich und kann daher nach De docta ignorantia ebenso wie der Verstand die Widersprüche nicht übersteigen und die Koinzidenz nicht erreichen; da sie aber zugleich „etwas Göttliches“ ist, kann sie die göttliche Wahrheit gleichsam „sehen“ und „berühren“.

Später, in De coniecturis (um 1442) und den im Zeitraum 1445–1447 verfassten kleinen Schriften, gelangt Nikolaus zu einer optimistischeren Einschätzung der Möglichkeiten der Vernunft. Nun traut er ihr zu, gegen den Widerstand des Verstandes die Widersprüche zu überwinden und damit paradoxe Einsichten zu erlangen, etwa das Größte mit dem Kleinsten gleichzusetzen. Darüber hinaus nimmt er nun die Möglichkeit eines „göttlichen“ Denkens des Menschen an, das nicht mehr im Sinne der negativen Theologie die Verneinung als wahrere Ansicht der Bejahung vorziehe. Auch der Gegensatz von Affirmation und Negation wird im Sinne der Koinzidenzidee transzendiert. Nikolaus behauptet, dieses göttliche Denken lasse auch die Vernunft und deren Verständnis der widersprüchlichen Gegensätze hinter sich, um sich der absoluten Einheit und Unendlichkeit zuzuwenden. Gott sei nicht die Koinzidenz der Gegensätze, sondern das Koinzidenzdenken sei nur die der menschlichen Vernunft angemessene Art, sich ihm zu nähern. Daher bezeichnet Nikolaus 1453 in De visione dei die Koinzidenz als „Mauer“ zwischen dem Gottsuchenden und Gott. Diese Mauer hält er aber nicht für prinzipiell unüberwindlich.

In seinem letzten Werk, De apice theoriae, schreibt Nikolaus, er habe sich zu immer größerer Erkenntniszuversicht durchgearbeitet. Sein Optimismus hinsichtlich der Gotteserkenntnis hängt mit seiner Überzeugung von der Gottähnlichkeit des Menschengeistes zusammen. In De coniecturis bezeichnet er den Menschen sogar als geschaffenen „zweiten Gott“ – eine für damalige Verhältnisse kühne Formulierung. So wie der göttliche Intellekt die reale Welt schaffe, schaffe der menschliche Intellekt die Welt der Begriffe.

1450 wendet sich Nikolaus im Dialog Idiota de sapientia erneut dem Thema der Vernunfttätigkeit zu, diesmal in schroffer Abgrenzung von der scholastischen, aristotelisch geprägten Universitätsphilosophie des Spätmittelalters. Ein „Laie“, d.h. ein universitätsfremder, scheinbar ungebildeter Mensch, unterhält sich mit einem „Redner“, einem rhetorisch ausgebildeten Gelehrten, der sein Wissen nur aus Büchern bezieht, über die Weisheit. Der Laie übernimmt die Rolle, die Sokrates in den Dialogen Platons spielt. Er erklärt dem Redner, dass dessen Anstrengungen, durch Buchwissen Erkenntnis zu erlangen, vergeblich und auch freudlos seien; die aristotelische Schulwissenschaft mit ihren Autoritäten täusche, das Denken eines darin Befangenen sei „gefesselt“ und ermögliche keinen Zugang zur Wahrheit. Der Laie wendet sich nicht nur gegen die von den Humanisten verachtete spätmittelalterliche Scholastik, sondern ebenso gegen den humanistischen Kult der Rhetorik, die dem Bedürfnis nach überflüssiger Ausschmückung Kürze und Klarheit opfere. Schulwissenschaft sei umständlich und mühselig, Weisheit hingegen leicht und direkt zu finden und voller Freuden. Sie sei dem menschlichen Intellekt von Natur aus als dessen Nahrung zugeordnet.

Die Möglichkeit zu ihrer Auffindung sei in ihm angelegt, und dies sei der Grund dafür, dass er sich auf die Suche mache und, wenn er das Gesuchte gefunden habe, auch wisse, dass es das Gesuchte sei. In der Weisheit sei der Intellekt lebendig, aus sich heraus tätig und damit glückselig. Seine Befriedigung erlange er in seiner Bewegung auf sein Urbild hin; dieses sei Gott als der Begriff der Begriffe oder der absolute Begriff (conceptus absolutus). Voraussetzung dafür sei das Üben des Koinzidenzdenkens, das auch zur Fassbarkeit des Unfassbaren führe. Den damit gemeinten Prozess beschreibt der Laie als unendliche Annäherung durch ständiges Fortschreiten ins Unendliche, unablässiges Aufsteigen (continue ascendere).

Eine zentrale Rolle spielt in Nikolaus' staats- und kirchenpolitischem Denken die Frage, wie zwischen verschiedenen Gruppen und Individuen trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Ansichten und Ziele ein einträchtiges Zusammenwirken ermöglicht werden kann. Dafür ist erforderlich, dass sie freiwillig ihr Handeln gegenseitig als legitim anerkennen. Für eine solche Konkordanz müssen rechtlich-institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden, wobei das Konsensprinzip als Grundlage der Legitimität in den Regelungen zur Geltung kommen soll.

In seiner konziliaristischen Phase war Nikolaus von Marsilius von Padua beeinflusst. Dessen staatstheoretisches Werk Defensor pacis zitiert er in De concordantia catholica ausgiebig, meist ohne die Quelle zu nennen.

Den Gedanken der Konkordanz als Legitimationsprinzip für Herrschaftsausübung vertritt der Kusaner in dieser Schrift sowohl für den weltlichen als auch für den geistlichen Bereich. Nach seiner Ansicht bedürfen Gesetze der Zustimmung der von ihnen Betroffenen, und auch die Obrigkeit ist an sie gebunden. Bei der philosophischen Grundlegung des Rechts beruft er sich auf Cicero und dessen Konzept vom Naturrecht. Das Erstreben des Zuträglichen und Meiden des Schädlichen komme jedem Wesen von Natur aus zu; den Individuen sei ein Sinn gegeben, mit dem sie erkennen können, was für sie nötig ist, und dieser Sinn sei in der Mehrheit der Fälle verlässlich. Diese Denkweise veranlasst Nikolaus zur Befürwortung der Wahlmonarchie, da diese Staatsform dem Naturrecht am meisten entspreche

Er tritt für eine starke Zentralgewalt mit einem stehenden Reichsheer und für ein einheitliches Reichsgesetzbuch und eine Reichssteuer ein. Stellenweise tadelt er die Willkür des Adels, den er als Bürgerlicher generell kritisch betrachtet. Nach seinem Geschichtsverständnis haben sich die Teilgewalten im Reich verselbständigt, auf Kosten des Ganzen die Macht an sich gerissen und das Kaisertum um seine Autorität gebracht. Nun soll das „alte Recht“ wiederhergestellt werden. Der Verwirklichung der Konkordanz soll eine jährlich zusammentretende Ständeversammlung als ständige Einrichtung dienen. Auf den jährlichen Reichsversammlungen sind alle Reichsangelegenheiten zu behandeln. Das Reich soll in zwölf Gerichtsbezirke aufgeteilt werden, deren Gerichte direkt der kaiserlichen Gewalt unterstellt sind und über den landesherrlichen Gerichten stehen. Ferner fordert Nikolaus einen allgemeinen Landfrieden und ein Verbot der Fehde.

Bei der Beurteilung und Lösung von Konflikten erhebt Nikolaus sein Einheitsideal zum obersten Wert; sachliche Meinungsverschiedenheiten betrachtet er als zweitrangig, sie dürfen der Einheit nicht im Wege stehen. So fordert er von den Hussiten Unterwerfung unter die aktuellen Gebräuche der römischen Kirche und verwirft ihre Berufung auf eine biblische Tradition, von der die Kirche später abgewichen sei; die Kirche habe ein Recht, Riten zu ändern und die Bibel nach Zeitumständen auszulegen. Er meint, das Urchristentum sei keine Norm und die kirchliche Auslegung eines Bibeltextes stehe über dessen Wortlaut. Es gebe keine anderen Gebote Christi als diejenigen, welche die römische Kirche als solche anerkennt.

Diese Auffassung von der Unfehlbarkeit der römischen Kirche hat Nikolaus bereits in seiner konziliaristischen Phase vertreten; dabei bezieht er sich aber nicht auf den Papst, sondern auf die Gesamtkirche. Er weist sogar darauf hin, dass Päpste Häretiker waren, und nennt als Beispiele Liberius und Honorius I., der vom dritten Konzil von Konstantinopel nach seinem Tod verflucht wurde. Damit thematisiert er die „Honoriusfrage“, die noch im 19. Jahrhundert in der Diskussion um die päpstliche Unfehlbarkeit eine wichtige Rolle gespielt hat. Da der Papst in Glaubensfragen irren könne, unterstehe er den Glaubensentscheidungen des Konzils der Gesamtkirche. Die „wahre Kirche“ bestehe aus denjenigen Gläubigen, die in der Christenheit die Mehrheit ausmachen und sich mit der cathedra Petri, dem römischen Stuhl, verbinden. Die Gewissheit von Glaubensurteilen betrachtet Nikolaus als graduell; je einvernehmlicher eine Entscheidung in der Kirche getroffen werde, desto gewisser sei ihre Richtigkeit. Ein Konzil beziehe seine Autorität aus dem Konsens seiner Teilnehmer; diese seien Repräsentanten der Gesamtheit der Gläubigen. Alle geistliche und weltliche Gewalt sei im Volk in Verborgenheit als realisierbare Möglichkeit (Potenz) vorhanden.

Das Ideal der Eintracht strebt Nikolaus nicht nur in Kirche und Staat an, sondern er möchte es auch im Verhältnis zwischen Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen verwirklicht sehen. Den Weg dazu sieht er im Dialog über die Glaubensinhalte. Daher setzt er sich wiederholt intensiv mit der Frage nach dem Wahrheitsgehalt der verschiedenen Religionen bzw. Konfessionen auseinander: Judentum, antikes „Heidentum“, Islam, katholisches Christentum, Lehren der „Böhmen“ (Hussiten), der Perser (Zoroastrismus), Chaldäer usw. Er meint, jede Religion habe ein berechtigtes Anliegen und einen bestimmten Zugang zur Wahrheit und sei insofern besser, als ihre Gegner wahrhaben wollen, doch nur im Christentum seien alle diese Anliegen verwirklicht und Teilerkenntnisse vereint. So habe das Judentum mit Recht Gott als absolut, von allem sinnlich Wahrnehmbaren abgelöst erkannt und verehrt. Die Heiden hingegen hätten Gottes Wirken in seinen verschiedenen sichtbaren Werken wahrgenommen und ihm daher gemäß deren Verschiedenheit je verschiedene Namen gegeben; das sei nur scheinbar Polytheismus. Im Christentum sei beides zu finden, einerseits die Transzendenz Gottes, andererseits aber auch ein göttlicher Aspekt des sinnlich Wahrnehmbaren, denn der Mensch und Gott Christus habe beides in sich vereint. Daher verleugne ein Jude, der Christus ablehnt, damit den wahren Kern seiner eigenen Religion. Im Unterschied zur traditionellen christlichen Auffassung stellt Nikolaus die Juden nicht über die Heiden, sondern billigt beiden Religionen gleichermaßen eine gewisse Berechtigung zu, die jedoch dann hinfällig werde, wenn ihre Vertreter sich weigern, die richtig verstandene Verehrung Christi als die eigentliche Verwirklichung des von ihnen Angestrebten zu erkennen.

In De pace fidei („Über den Glaubensfrieden“) bedient sich Nikolaus zur Darlegung seiner Auffassung einer literarischen Fiktion. Geschildert wird eine Vision eines Mannes – gemeint ist der Autor selbst –, der eine Versammlung im Himmel miterlebt. Unter der Leitung Gottes beraten die Engel und die Seligen über das Elend auf der Erde, das durch gewaltsame religiöse Konflikte verursacht wird. Die weisesten Vertreter der einzelnen Völker werden – wie in Ekstase entrückt – herangezogen. Vor dem Wort Gottes sowie den Aposteln Petrus und Paulus legen sie ihre Standpunkte dar und werden von ihnen über die göttliche Wahrheit belehrt. Die Belehrung erfolgt nicht autoritativ, sondern mittels philosophischer Argumentation; die Weisen treten als Philosophen auf. Sie erhalten den Auftrag, zu ihren Völkern zurückzukehren und in Jerusalem eine Versammlung einzuberufen, auf der ein ewiger weltweiter Glaubensfrieden beschlossen werden soll.

In dieser Einkleidung präsentiert Nikolaus seine Meinung über die religiösen Streitigkeiten und deren mögliche Beendigung. Danach hat Gott den einzelnen Völkern zu verschiedenen Zeiten Könige und Propheten geschickt, die das rohe, ungebildete Volk unterwiesen und religiöse Vorschriften und kultische Riten einführten. Die Menschen haben dann jedoch diese „Gewohnheiten“ mit der absoluten Wahrheit verwechselt. Auch weiterhin sind sie der irrigen Überzeugung, ihre religiösen Sitten seien die Umsetzung direkter, wörtlicher Anweisungen Gottes. Daher meinen sie, sie müssten ihren besonderen Glauben, den sie aus Gewohnheit für allein wahr halten, auch mit Waffengewalt gegen die anderen durchsetzen bzw. verteidigen. Damit glauben sie den göttlichen Willen zu erfüllen. In Wahrheit sind aber aus Nikolaus’ Sicht die Verehrungsformen der verschiedenen Religionen und die unterschiedlichen christlichen Riten nur besondere Ausprägungen einer einzigen schlechthin wahren Universalreligion. In dieser kommt Christus die zentrale Funktion des Vermittlers zwischen Gott und den Menschen zu, weil in ihm die göttliche und die menschliche Natur auf die beste überhaupt mögliche Weise vereint sind. Nikolaus versucht zu zeigen, dass die Existenz eines solchen vollkommenen Vermittlers eine notwendige Konsequenz aus Gottes Vollkommenheit sei.

Die Einheit unter den Religionsgemeinschaften (lateinisch sectae), die Nikolaus analog zu seinem Bemühen um Einheit innerhalb der Christenheit erstrebt, läuft jedoch nicht auf ein Nebeneinander aller ihrer Lehren in Gleichberechtigung hinaus. Vielmehr tritt er dafür ein, den Nichtchristen christliche Glaubensinhalte wie Trinität, Menschwerdung Gottes und Sakramente so zu erläutern, dass die Andersgläubigen die richtig verstandene Verehrung Christi als die eigentliche Grundlage ihres eigenen Glaubens erkennen. Somit sollen die Anhänger anderer Religionen faktisch Christen werden, auch wenn sie an ihren Riten und Gebräuchen wie etwa der Beschneidung festhalten, was Nikolaus ihnen zugesteht.

Nikolaus hält sogar eine Vielfalt von Bräuchen und Riten für wünschenswert. Er lässt den Apostel Paulus einen Wettstreit der Völker (nationes) befürworten. Jedes Volk solle seine besondere religiöse Tradition pflegen, um die anderen im Wettstreit zu übertreffen. Eine solche Konkurrenz könne die Frömmigkeit fördern. Nikolaus lässt sogar seinen Christus erklären, die Verehrung einer Mehrzahl von Göttern im Polytheismus gelte implizit der allem zugrunde liegenden einen Gottheit und brauche daher nicht abgeschafft zu werden. Es solle nur zusätzlich der Kult der einen Ursache aller Dinge explizit in die religiöse Praxis (religio manifesta) der Polytheisten aufgenommen werden. Sie könnten dann ihre Götter weiterhin verehren so wie die Christen ihre Heiligen, sollten aber die Anbetung dem einen Schöpfer vorbehalten. So könne der Konflikt zwischen ihnen und den Monotheisten beigelegt werden.

Nikolaus ist der Meinung, das Universum könne nicht als begrenzt vorgestellt werden, da es keine auffindbaren Grenzen habe, doch folgt für ihn aus dieser Unbegrenztheit nicht eine Unendlichkeit in einem absoluten Sinn. Er stellt fest, die Erde sei nicht im Mittelpunkt der Welt, und es sei offenkundig, dass sie sich nicht in Ruhe befinde, wie der Augenschein vortäusche, sondern sich bewege. Sie sei ein „edler Stern“ und als solcher nicht von geringerem Rang als die Sterne am Himmel. Ihre Form sei nur annähernd die einer Kugel, und die Bahnen der Himmelskörper seien keine genauen Kreisbahnen. Außerdem trägt er die Hypothese einer Vielheit von Welten vor. Die Welten bestehen nicht zusammenhanglos nebeneinander, sondern sind in das System des einen Universums integriert, das sie alle umfasst. Mit diesen Ideen vollzieht Nikolaus einen radikalen Bruch mit dem geozentrischen Weltbild der damaligen Kosmologie, das von den Vorstellungen des Ptolemaios und des Aristoteles bestimmt war. Er verwirft den Gedanken eines hierarchischen Aufbaus der Welt mit der Erde als Unterstem und dem Fixsternhimmel als Oberstem sowie die Vorstellung von unbeweglichen Himmelspolen. Das geozentrische Weltbild ersetzt er nicht durch ein heliozentrisches, vielmehr hat für ihn die Welt weder einen Mittelpunkt noch einen Umfang. In einer solchen Welt kann es keine absolute Bewegung geben, da es kein ruhendes Bezugssystem gibt; alle Bewegung ist relativ. Nikolaus argumentiert nicht empirisch und astronomisch, sondern metaphysisch; insofern ist er kein Vorläufer des Kopernikus. So ist seine Überzeugung, nichts in der Natur befinde sich in vollkommener Ruhe, eine Konsequenz seiner Koinzidenzlehre: Gegensätze wie Ruhe und Bewegung können in der Natur nie in reiner Form vorkommen, denn Absolutes ist nur im schlechthin Unendlichen, in dem die Gegensätze zusammenfallen, gegeben.

Nikolaus fasst die Welt nicht als Ansammlung von selbständigen Substanzen auf, sondern geht von einer in jedem Einzelding auf jeweils spezifische Weise anwesenden Allnatur aus. In seinem Naturkonzept bilden Einheit und Vielheit keinen ausschließenden Gegensatz, sondern ein sich wechselseitig durchdringendes Gegensatzpaar; daher ist in jedem Einzelding auch die Einheit und damit die gesamte Wirklichkeit gegeben.

Hinsichtlich der Naturerkenntnis betont Nikolaus den Aspekt des Quantifizierens, der mathematischen Messbarkeit. Durch Erfassung von Unterschieden im spezifischen Gewicht seien Erkenntnisse über materielle Substanzen zu gewinnen. Krankheiten sollen messbar gemacht werden, damit durch Vergleiche zwischen Messergebnissen auf die richtige Arznei oder den Ausgang der Krankheit geschlossen werden kann. Ebenso sei es möglich, Geschwindigkeiten, Tages- und Jahreszeiten, den Feuchtigkeitsgehalt der Luft, geographische und astronomische Gegebenheiten usw. zu messen. Die Anziehungskraft eines Magneten sei mittels einer Waage messbar. So könne das Verborgene in der Natur gefunden werden. Unbekannt ist allerdings, ob die experimentelle Umsetzung eines oder mehrerer der Messungsvorschläge im Dialog Idiota de staticis experimentis jemals ausprobiert worden ist. Die dort vorgeschlagenen Versuche sind nur zum Teil ausführbar.

Nikolaus beschränkt sich nicht darauf, die Nützlichkeit des Abmessens zu betonen. Er behauptet, die erkennbaren Dinge seien um der erkennenden Seele willen da; die Welt sei so konstruiert, wie sie ist, damit sie vom Menschen erkannt werde. Daher betrachtet er den messenden Menschen, der allem Geschaffenen ein Maß setzt, als das Maß aller Dinge. Im Gegensatz zur scholastischen Tradition, der zufolge die menschliche Vernunft nur das ermessen kann, was ihren eigenen Rang nicht übersteigt, behauptet er, der menschliche Intellekt messe auch den göttlichen (mensurat divinum intellectum).

Nikolaus zieht mathematische Gegebenheiten heran, um zu metaphysischen Aussagen hinzuführen und diese symbolhaft zu veranschaulichen, wobei es ihm insbesondere um Transzendenz und Unendlichkeit geht. Seine theologisch motivierten Versuche, mathematisch Endliches zur mathematischen Unendlichkeit zu führen, um den Weg zur Unendlichkeit Gottes bildlich zu erläutern, gehören zu den Vorstufen der Entwicklung der Infinitesimalrechnung.

Ein beliebtes Thema humanistischer Reden war das Deutschenlob, die Würdigung von als typisch deutsch geltenden Tugenden: Treue, Tapferkeit, Standhaftigkeit, Frömmigkeit und Einfachheit (simplicitas im Sinne von Unverdorbenheit, Natürlichkeit). Diese Qualitäten wurden den Deutschen anfangs von italienischen Gelehrten, die dabei auf antike Topoi zurückgriffen, zugeschrieben. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts wurden sie von deutschen Universitätsrednern als Selbsteinschätzung übernommen, in der Folgezeit prägten sie den humanistischen Diskurs über eine deutsche Identität. Dabei betonten die Humanisten den deutschen Besitz des Kaisertums (imperium) und damit des Vorrangs in Europa. Sie behaupteten, der Adelsstand sei deutschen Ursprungs und die Deutschen seien den Italienern und Franzosen moralisch überlegen.

Gepriesen wurde auch der deutsche Erfindungsgeist. Dabei verwies man gern auf die Erfindung der Buchdruckerkunst, die als deutsche Kollektivleistung galt. Theoretisch umfasste der Anspruch auf nationale Überlegenheit alle Deutschen, konkret fassten die Humanisten dabei aber nur die Bildungselite ins Auge.

An den deutschen Universitäten betätigten sich deutsche und italienische „Wanderhumanisten“, darunter der Pionier Peter Luder. Die Auseinandersetzung mit der von den Humanisten als „barbarisch“ bekämpften scholastischen Tradition war härter und zäher als in Italien, da die Scholastik an den Universitäten stark verwurzelt war und ihre Verteidiger nur langsam zurückwichen. Es kam zu einer Vielzahl von Konflikten, die zur Entstehung einer reichhaltigen polemischen Literatur führten. Ihren Höhepunkt erreichten diese Auseinandersetzungen mit der Polemik um die Veröffentlichung der satirischen „Dunkelmännerbriefe“, die der Verspottung der Antihumanisten dienten und ab 1515 großes Aufsehen erregten.

Johannes Reuchlin war ein deutscher Philosoph, Humanist, Jurist und Diplomat. Er gilt als der erste bedeutendere deutsche Hebraist christlichen Bekenntnisses. Reuchlin wurde am 29. Januar 1455, „zur 9. Stunde des Nachmittags“, in Pforzheim als Sohn des Klosterverwalters Georg Reuchlin und seiner Frau Elissa Erinna Eck geboren. Das genaue Geburtsdatum wurde von der Forschungsstelle Reuchlin der Akademie Heidelberg in einem der Bücher Reuchlins entdeckt, wo es von Johannes Reuchlins Neffen Dionysius Reuchlin dem Jüngeren zusammen mit den genauen Sterbedaten dokumentiert ist. Er hatte unter anderem eine Schwester Elisabeth Reuter, geb. Reuchlin, die die Großmutter von Philipp Melanchthon ist.

Im Alter von 15 Jahren schrieb er sich nach dem Besuch der Elementar- und Lateinschulen des Pforzheimer Dominikanerklosters St. Stephan anno 1470 an der Universität zu Freiburg ein, wo er zunächst Grammatik, Philosophie und Rhetorik studierte. 1473 begleitete er als Erzieher einen der Söhne des badischen Markgrafen, Friedrich von Baden, zum Studium nach Paris. Hier war er auch Schüler des Theologen Johannes Heynlin von Stein.

1474 ließ er sich an der Universität Basel einschreiben, wo er sein Studium der Freien Künste 1477 mit dem Magister artium abschloss. In Basel entstand mit dem lateinischen Wörterbuch Vocabularius breviloquus Reuchlins erstes Werk.

Sein Jurastudium begann er 1479 an der Universität Orléans. In seinem Widmungsschreiben zu De rudimentis Hebraicis vom 7. März 1506 an seinen Bruder Dionysius berichtet Reuchlin, er habe in Orléans sein Studium des römischen Rechts durch Unterricht in den alten Sprachen finanziert. Im Wintersemester 1480/1481 wechselte er im Besitz eines Bakkalartitels an die Universität Poitiers, die hauptsächlich als Studenten Adlige und reiche Bürgerliche anzog, wenn sie danach in Verwaltungen tätig sein wollten. Am 14. Juni 1481 erhielt er dort sein Lizentiatendiplom im kaiserlichen (römischen) Recht.

Im folgenden Wintersemester 1481/1482 übernahm er in Tübingen für kurze Zeit ein Lehramt für Poetik oder für die Institutionen des römischen Rechts. Hierzu ließ er sich am 9. Dezember 1481 in die Matrikel der Universität Tübingen einschreiben und warb in einer überlieferten Ansprache für den Besuch der Tübinger Universität. Von Februar bis April 1482 begleitete Reuchlin den württembergischen Grafen Eberhard von Württemberg (Eberhard im Bart) als zweiter Orator auf dessen Reise nach Rom, bei der mit Papst Sixtus IV. erfolgreich vor allem über die personelle und finanzielle Trennung der 1477 gegründeten Universität Tübingen vom Tübinger Sankt-Georg-Stift verhandelt wurde. Entscheidende Einflüsse erhielt er auf dieser Reise durch zahlreiche Begegnungen in Rom und Florenz, darunter mit Angelo Poliziano.

Seit Frühjahr 1483 gehörte Reuchlin zu den besoldeten Räten des Grafen im württembergischen Dienst. Auf Grund der um 1484 geschlossenen Ehe mit einer vermögenden Tochter oder Verwandten des in Ditzingen bei Leonberg lebenden Hänslin Müller verfügte er nun auch über die finanziellen Mittel, um für seine weitere Karriere im Dienst des Grafen im Wintersemester 1484/1485 den Doktortitel im kaiserlichen Recht (legum doctor) an der Universität Tübingen zu erwerben. Auf zahlreichen wichtigen Missionen war er für den Grafen unterwegs und wurde seit 1483 außerdem mehrfach als Beisitzer an das württembergische Hofgericht berufen.

Während eines Aufenthalts Reuchlins bei Kaiser Friedrich III. in Linz in wichtigem Auftrag für den Grafen erhielt er vom Kaiser den erblichen Adelsstand und das Ehrenamt eines Hofpfalzgrafen. In Linz ergab sich für Reuchlin darüber hinaus ein prägender Kontakt zum kaiserlichen Leibarzt und wissenschaftlich gebildeten Juden Jacob ben Jechiel Loans, der ihn in der hebräischen Sprache unterrichtete. Der Linzer Aufenthalt wurde zur entscheidenden Etappe auf Reuchlins Weg zum führenden deutschen Hebraisten seiner Zeit.

Möglicherweise hat Reuchlin in seinem Werk über die Kunst der Kabbalistik (De arte cabalistica) Jakob ben Jehiel Loans ein literarisches Denkmal gesetzt: zwei christliche Schüler des gelehrten Juden Simon bedauern, dass dieser wegen des Sabbats ihr erstmaliges Zusammentreffen beenden musste. Nachdem er gegangen war, preisen sie wortreich seine Weisheit und einer der Schüler ruft schließlich aus: „Gute Götter, ein Jude, von Juden geboren, ernährt, erzogen und unterwiesen, ein Volk, das überall von den Völkern als barbarisch, abergläubisch, gemein, verworfen und dem Glanz aller guten Wissenschaften abgeneigt angesehen wird – glaube mir, ich hätte ihn in meiner Sehnsucht diesem Mann gerne die ganze lange Nacht ins Antlitz gesehen und seinen Worten gelauscht, wenn nicht dieser unglückselige Sabbatabend dazwischen gekommen wäre.“

Dies gilt als Beispiel für Reuchlins ungewöhnliche Toleranz in einer von Antijudaismus geprägten Zeit. Nach dem Tod des zum Herzog erhobenen Eberhard im Bart im Februar 1496 verließ Reuchlin Württemberg und überließ seiner Frau bis zu ihrem Tod um 1500 die Bewirtschaftung seines Landsitzes bei Ditzingen. Er musste die Rache Konrad Holzingers, eines engen Beraters des nachfolgenden Herzogs Eberhard II., fürchten, den er im November 1488 durch Berthold von Henneberg, den Erzbischof von Mainz, hatte verhaften lassen und der von Graf Eberhard im Bart danach in Tübingen in Haft genommen wurde.

In Heidelberg fand er Aufnahme beim Kanzler des Kurfürsten Philipp, dem Wormser Bischof Johann von Dalberg, und am Pfälzer Hof. Bei einer weiteren Italienreise im Auftrag Philipps 1498 erwarb er hebräische und griechische Werke und nahm Kontakt mit Aldus Manutius auf. Nach der Entmachtung Herzog Eberhards II. 1498 kehrte Reuchlin mit Unterstützung seines Mentors Johannes Vergenhans nach Württemberg zurück und wurde im Januar 1502 als dessen Nachfolger zu einem der drei hochbezahlten Richter des Schwäbischen Bundes gewählt.

Reuchlin nannte sich stolz Triumvir Sueviae und bemerkte in einer von Johann Philipp Datt 1698 zitierten lateinischen Auskunft (übersetzt von Adolf Laufs), er habe das Vaterland durch gerechtes Judizieren vor drohenden kriegerischen Umtrieben bewahrt und dabei seine fremdsprachigen Studien nicht vergessen.

Ausdruck humanistischer Gesprächskultur waren die gelehrten Gastmähler mit philosophisch-politischen Diskussionen, die sich nach einem Bericht von Michael Köchlin alias Coccinius jeweils den Sitzungen des 1502 bis 1513 regelmäßig in Tübingen tagenden Bundesgerichts anschlossen. Zusammen mit dem 1510 von Reuchlin aus Pforzheim nach Tübingen vermittelten Georg Simler und dem Drucker Thomas Anshelm wurde die Universität Tübingen in dieser Zeit wieder eines der Zentren des Humanismus im deutschen Südwesten.

Als am 1. Februar 1513 das Bundesgericht von Tübingen nach Augsburg verlegt wurde, da Herzog Ulrich von Württemberg dem im Vorjahr verlängerten Schwäbischen Bund nicht mehr beigetreten war, legten alle drei Bundesrichter wegen ihrer engen Verbindung mit dem württembergischen Hof im Januar 1513 ihre Ämter nieder.

Reuchlin verbrachte seine letzten Lebensjahre nunmehr als Privatgelehrter und Rat, dabei überschattet von dem Konflikt mit den Dominikanern (siehe Abschnitt unten). Aus den dynastischen Auseinandersetzungen in Württemberg nach der Ermordung Hans von Huttens 1515 durch Herzog Ulrich und der Flucht seiner Frau Sabine von Bayern hielt sich Reuchlin heraus, um eine Unterstützung Herzog Ulrichs im Prozess mit den Dominikanern vor dem Apostolischen Stuhl in Rom nicht zu gefährden.

Die Eroberung Württembergs 1519 durch den Schwäbischen Bund veranlasste Reuchlin, der nach dem Tod seiner um 1500 geehelichten zweiten Ehefrau Anna Decker wieder Witwer geworden war, nochmals zur Flucht, weil er Räubereien fürchtete. Im November 1519 fand er Unterkunft in Ingolstadt und erhielt im Februar 1520 auf Betreiben des bayerischen Herzogs Wilhelm IV. an der Universität Ingolstadt eine hochbezahlte Professur für Hebräisch. Johannes Gussubelius († 1529) hielt eine ausführliche Festrede auf Reuchlin.

Im Frühjahr 1521 verließ Reuchlin jedoch wieder Ingolstadt, vermutlich wegen der Pest, und kehrte nach Tübingen zurück, wo er eine Professur für Hebräisch und zusätzlich jetzt auch für Griechisch übernahm. Luthers Kirchenreform lehnte er ab und ließ sich schließlich zum Priester weihen. Bald danach, am Morgen des 3. Juni 1522, erlag er in Stuttgart dem Gelbfieber und wurde in der Stuttgarter Leonhardskirche neben seiner zweiten Frau bestattet.

Erasmus von Rotterdam und Johannes Reuchlin gelten als die beiden wichtigsten europäischen Humanisten. Von seinem älteren holländischen Kommilitonen Rudolf Agricola beeinflusst, entwickelte sich Reuchlin zum deutschen Repräsentanten des Renaissance-Platonismus. Er entdeckte die mystische und theologische Grundhaltung in den Chaldäischen Orakeln und der Kabbala (De verbo mirifico 1494 und De arte cabalistica 1517), bei Zoroaster und Pythagoras.

Sein Buch Augenspiegel, in dem er dafür eintrat, jüdische Bücher nicht zu verbrennen, wurde von Theologen der Kölner und Erfurter Universität begutachtet und von ihnen zur Zensur empfohlen. Der Erfurter Theologe Hermann Serges entschied sich zwar auch für die Zensur des Werks, zollte jedoch volle Anerkennung für Reuchlins Gelehrsamkeit und literarische Verdienste.

Als neulateinischer Dichter unternahm er den Schritt vom Dialog zum Drama und wurde so Begründer des neueren deutschen Dramas und des Schuldramas. In Heidelberg entstanden 1496/1497 seine dramatisierte Satire Sergius und Scaenica Progymnasmata (Henno), letzteres von Hans Sachs als Fastnachtsspiel bearbeitet. Er greift thematisch die italienische Commedia dell’arte auf.

Seine Übersetzungen, Textausgaben und persönlichen Anregungen förderten die Kenntnis der altgriechischen Sprache. Durch sein in Deutschland damals außergewöhnliches Studium der althebräischen Sprache erschloss er der Wissenschaft das Alte Testament. In der Folgezeit diente sein Werk De rudimentis hebraicis dazu als Grundlage.

Der Metzger Johannes Pfefferkorn, ein in Köln zum Christentum konvertierter Jude, veröffentlichte 1505 mit Unterstützung der Kölner Dominikaner zunächst mehrere Schmähschriften gegen Juden und erlangte dann ein Mandat von Kaiser Maximilian I. zur Beschlagnahme aller jüdischen Schriften, die er verbrennen wollte. Er beantragte auch das Verbot aller jüdischen Bücher. Der Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen beauftragte Reuchlin im Jahr 1510, den Einfluss der jüdischen Bücher auf den christlichen Glauben zu beurteilen. Reuchlin trat daraufhin in Publikationen in Opposition zu Pfefferkorn, woraus sich ein mehrjähriger Streitschriftenkrieg entwickelte, in dem Reuchlin seine Ablehnung des Verbots im Aulenspiegel 1511 verteidigte. Die Auseinandersetzung gipfelte in den anonym publizierten „Dunkelmännerbriefen“, fingierten Briefen von Dominikanern, mit denen diese parodiert und lächerlich gemacht wurden.

Die öffentliche Meinung in Deutschland folgte der Auffassung Reuchlins, der sich dennoch 1513 in Rom einem Häresieprozess stellen musste. Das 5. Laterankonzil (1512–1517) sprach sich einerseits zugunsten der Auffassung Reuchlins aus, im Talmud keine gegen das Christentum gerichteten Stellen finden zu können, andererseits beurteilte Papst Leo X. ebendiese Auffassung als häretisch. Als der Dominikaner und Inquisitor Jakob van Hoogstraten Reuchlins Schriften verbrennen ließ, appellierte dieser an den Papst, welcher 1514 die Bischöfe von Worms und Speyer beauftragte, im sogenannten „Reuchlin-Streit“ zu entscheiden.

Während sich der Wormser Bischof überhaupt nicht um die Angelegenheit kümmerte, gab der Speyerer Bischof Georg von der Pfalz wichtige Staatsgeschäfte vor und delegierte den Fall an den Domherren Georg von Schwalbach, der jedoch – angeblich aus Furcht vor den Dominikanern – aufgab und Domdekan Thomas Truchseß von Wetzhausen, einen Schüler Reuchlins, mit der Angelegenheit betraute. Dieser kam zu dem Schluss, dass der Augenspiegel keine Irrlehren enthalte. Das Urteil blieb jedoch nur ein Zwischenergebnis. 1520 verbot der Papst schließlich die weitere Verbreitung der „Dunkelmännerbriefe“.

In Deutschland und den Niederlanden waren die ersten herausragenden Vertreter eines eigenständigen Humanismus, der sich von den italienischen Vorbildern emanzipierte, Rudolf Agricola († 1485) und Konrad Celtis († 1508). Celtis war der erste bedeutende neulateinische Dichter in Deutschland. Er stand im Mittelpunkt eines weitgespannten Netzes von Kontakten und Freundschaften, das er auf seinen ausgedehnten Reisen schuf und durch Briefwechsel pflegte.

Sein Projekt der Germania illustrata, einer geographischen, historiographischen und ethnologischen Beschreibung Deutschlands, blieb unvollendet, doch den Vorstudien war eine intensive Nachwirkung beschieden. Durch Gründung von Gelehrtengemeinschaften (sodalitates) in einer Reihe von Städten stärkte er den Zusammenhalt der Humanisten. Der 1486 gewählte deutsche König Maximilian I. förderte die humanistische Bewegung als Mäzen mit Nachdruck und fand unter den Humanisten eifrige Anhänger, die ihn bei der Verfolgung seiner politischen Ziele publizistisch unterstützten. In Wien gründete Maximilian 1501 ein humanistisches Poetenkolleg mit Celtis als Leiter; es gehörte zur Universität und hatte vier Lehrer (für Poetik, Rhetorik, Mathematik und Astronomie). Als Studienabschluss war kein traditioneller akademischer Grad, sondern eine Dichterkrönung vorgesehen.

Im frühen 16. Jahrhundert war der Niederländer Erasmus von Rotterdam der angesehenste und einflussreichste Humanist nördlich der Alpen. Von großer Tragweite war seine Bemühung, eine reine, unverfälschte Fassung des Neuen Testaments durch Rückgriff auf dessen griechischen Text zu gewinnen. Einen außerordentlich starken Widerhall fanden – auch außerhalb von Gelehrtenkreisen – seine Schriften auf dem Gebiet der Lebensberatung.

1487 wurde Erasmus Regularkanoniker im Kloster der Augustinerchorherren in Steyn bei Gouda. Als Chorherr wurde er im April 1492 zum Priester geweiht und verließ im folgenden Jahr im Dienst des Bischofs von Cambrai das Kloster, das er später nie mehr betrat. Von 1495 bis 1499 studierte er an der Sorbonne und unterrichtete zugleich die Brüder Heinrich und Christian Northoff aus Lübeck. Von dort aus gelangte er mit seinem Schüler Lord Mountjoy nach England, wo er unter anderen Thomas Morus und John Colet kennenlernte, später auch William Warham, John Fischer und den jungen Prinzen Heinrich, den späteren König Heinrich VIII.. Er lernte in England auch das höfische Leben kennen (und schätzen) und entwickelte sich vom Kanoniker zum weltgewandten Gelehrten.

Von 1500 bis 1506 hielt er sich abwechselnd in den Niederlanden, in Paris und in England auf. In den Jahren 1506 bis 1509 bereiste er Italien, wo er intensive Schriftstudien betrieb und in Turin zum Doktor der Theologie promovierte, damit verbunden erhielt er den Rang eines Reichsbarons. In Venedig lernte er den Verleger Aldus Manutius kennen und ließ bei ihm einige seiner Werke drucken.

Anschließend reiste er wieder nach England, wo er in Cambridge Griechisch lehrte und 1511 auch die Pfarrei von Aldington erhielt. Er pendelte danach jahrelang zwischen England, Burgund und Basel. Ab 1515 wirkte Erasmus einige Jahre am Hofe von Burgund in Löwen, unter anderem als Erzieher (Rat) des Prinzen Karl, des späteren Kaisers Karl V.

Von 1514 bis 1529 lebte und wirkte Erasmus in Basel, um seine Schriften in der Werkstatt seines späteren Freundes Johann Froben drucken zu lassen. Er begegnete 1524 erstmals Johannes a Lasco, dem späteren Reformator Frieslands, der zu einem seiner Lieblingsschüler wurde. Als sich die von Johannes Oekolampad  betriebene, an Zwingli angelehnte Reformation in Basel durchsetzte, ging er 1529 nach Freiburg. Dort wohnte er zuerst im Haus Zum Walfisch und kaufte sich 1531 – inzwischen wohlhabend – das Haus Zum Kindlein Jesu.

Im Jahre 1535 kehrte er nach Basel zurück und verstarb dort am 12. Juli 1536. Sein hohes Ansehen zeigt sich auch darin, dass er als katholischer Priester in der Zeit heftigster konfessioneller Auseinandersetzungen im protestantischen Basler Münster beigesetzt wurde. Teile seines Nachlasses sind im Historischen Museum Basel ausgestellt.

Erasmus sprach meistens lateinisch und schrieb ausschließlich auf Latein oder Griechisch. Er war ein Vielschreiber und hat nach heutiger Erkenntnis etwa 150 Bücher geschrieben. Darüber hinaus sind über 2000 Briefe von ihm erhalten. Wegen seiner feinen Ausdrucksweise genossen seine Briefe in Europa große Aufmerksamkeit. Man schätzt, dass er täglich etwa 1000 Wörter zu Papier gebracht hat. Seine gesammelten Werke sind 1703 in zehn Bänden herausgegeben worden.

Er sah sich als ein Vermittler von Bildung: „Menschen werden nicht als Menschen geboren, sondern als solche erzogen!“ Als Textkritiker, Herausgeber und Grammatiker begründete er die neuzeitliche Philologie. Auf ihn geht die heute in westlichen Ländern übliche Aussprache, insbesondere die Betonung des Altgriechischen zurück. Die korrekte Aussprache ist heute umstritten und wohl nicht mehr zweifelsfrei klärbar, obwohl es eine in der Wissenschaft weitgehend akzeptierte Rekonstruktion gibt.

Sein heute bekanntestes Werk ist die Satire Lob der Torheit (Laus stultitiae) aus dem Jahr 1509, die er seinem Freund Thomas Morus widmete. In dieser „Stilübung“ (wie er sie nannte) trat er mit Spott und Ernst tief verwurzelten Irrtümern entgegen und setzte sich für vernünftige Anschauungen ein. Dafür fand er die ironischen Worte: „Die christliche Religion steht einer gewissen Torheit recht nahe; hingegen mit der Weisheit verträgt sie sich schlecht!“

Auch in der Satire Julius vor der verschlossenen Himmelstür (1513), die er nach dem Tode des „Soldatenpapstes“ Julius II. schrieb, zeigte sich Erasmus als begnadeter Formulierer, der die Ironie liebte.

1516 veröffentlichte Erasmus eine kritische Edition des griechischen Neuen Testaments, diligenter ab Erasmo Rot. Recognitum et Emendatum, mit einer neuen, von ihm selbst durch Überarbeitung der Vulgate erstellten lateinischen Übersetzung und Kommentar. Erasmus’ Neues Testament war der erste erhältliche vollständige gedruckte griechische Text des Neuen Testaments (ein anderes, schon früher begonnenes Projekt zum Druck des Textes war ins Stocken geraten und kam letztlich erst später auf den Markt). Offenbar sah Erasmus den griechischen Text zuerst nur als Beiwerk zu seiner neuen lateinischen Fassung an, um seine Änderungen gegenüber der Vulgata begründen zu können. Er widmete die Ausgabe Papst Leo X und nutzte dabei wiederentdeckte Manuskripte , die mit griechischen Flüchtlingen aus Konstantinopel in den Westen gelangt waren.

Nach dem Erfolg der Erstausgabe nannte er das Werk von der zweiten Auflage (1519) an schlicht Novum Testamentum. Es wurde von den Übersetzern der King-James-Bibel benutzt und diente auch Luther als Ausgangstext für seine deutsche Bibelübersetzung. Erasmus besorgte drei weitere, jeweils überarbeitete Auflagen 1522, 1527 und 1535.

In den Jahren 1522 bis 1534 setzte sich Erasmus in verschiedenen Schriften mit den Lehren und Schriften Luthes auseinander Zwei Jahre vor seinem Tod versuchte er mit der Schrift De sarciendas ecclesiae concordia noch einmal, die zerstrittenen Glaubensparteien zu befrieden. In den grundlegenden Glaubensfragen wäre man einig, war Erasmus überzeugt, weniger Wichtiges, die Adiaphora, könne man den einzelnen Gläubigen und ihren Gemeinden freistellen. In den von Kaiser und Fürsten initiierten Religionsgesprächen versuchten bedeutende Theologen bis ins 17. Jahrhundert hinein, die Konfessionen auf der erasmischen Grundlage wieder zusammenzuführen. Sie blieben erfolglos.

1536 schrieb Erasmus sein letztes Werk, De puritate ecclesiae christianae, eine Auslegung von Psalm 14, die er einem einfachen Leser, einem Zöllner, mit dem er sich auf einer seiner vielen Reisen angefreundet hatte, widmete. Sein Einfluss war bis in das Zeitalter der Aufklärung in Europa von überragender Bedeutung.

Erasmus hat sich besonders um die Bibelexegese verdient gemacht, in der er die Grundlagen für die reformatorische Theologie legte. Sein schlechter Ruf, er habe vor allem auf die ethische Seite der Religion Wert gelegt, beruht auf einem kleinen Frühwerk von 1503, dem Handbuch des christlichen Streiters, das zu seiner Zeit sehr beliebt war und in der Forschung lange als ein Hauptwerk von Erasmus galt. Zunächst der Reformation gegenüber offen, wandte sich der Humanist von ihr ab, als er Martin Luther in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur katholischen Kirche sah. Sie war auch die Ursache für seinen Streit mit Ulrich von Hutten.

1516 schrieb er Die Erziehung des christlichen Fürsten, die er als neuernannter Rat des Fürsten dem späteren Karl V. widmete. Das Werk sieht in christlich-moralischen Lebensgrundsätzen des Regierungsoberhauptes die wichtigste Voraussetzung für eine friedliche, segensreiche Politik. Dieser Fürstenspiegel war bei den zeitgenössischen Fürsten sehr beliebt. Ferdinand I. soll es auswendig gelernt haben.

1517 erschien Die Kalge des Friedens, in der Erasmus während des erbarmungslosen Machtkampfes um die Oberherrschaft in Italien dem Friedenswillen eine Stimme verlieh. Er hat damit eine dezidierte pazifistische vertreten und lehnte Kriege mit einer Ausnahme ab: Nur wenn das gesamte Volk sich für einen Krieg ausspreche, sei er legitim. In seinem 1528 herausgegebenen Dialogus Ciceronianus trat Erasmus für eine individuell gestaltete Lebensweise ein, die sich nicht nur an antiken Vorbildern orientieren sollte.

In den letzten Lebensjahren vervollständigte Erasmus eines seiner umfangreichsten Hauptwerke, die Adagia. Es ist eine Sammlung von antiken Weisheiten und Sprichwörtern (als Fortsetzung seines Erstwerkes Antibarbari, vor 1500 begonnen), die er schrittweise von etwa 800 auf über 4250 Zitate ausbaute. Es wurde sein erfolgreichstes Werk und bis in die Zeit der Aufklärung gelesen (auch Goethe hatte es stets zur Hand). Ein ähnliches Werk, eine Sammlung von fast 3000 Anekdoten und Zitaten berühmter Männer und Frauen aus der Antike, sind die Apophthegmata, die er 1534 für den Herzog Wilhelm von Cleve veröffentlichte.

Seine Colloquien (1518) und sein Buch De civilitate (1530) wurden in den Schulen gelesen. Erasmus wandte sich gegen kirchliche Missstände, die Veräußerlichung der Religion und den Dogmenzwang . Er beklagte: „Wenn man sich die Durchschnitts-Christen ansieht, besteht nicht all ihr Tun und Lassen in Zeremonien?“ Auch Täufer und Spiritualisten beriefen sich auf ihn.

Erasmus und Luther haben sich persönlich nicht kennengelernt, korrespondierten jedoch mehr oder weniger öffentlich ab 1519 miteinander. Während Luther eine „harte Linie“ gegen das aus seiner Sicht dekadente Papsttum der römisch-katholischen Kirche vertrat, setzte sich Erasmus für „innere Reformen“ ein und bat Luther um Mäßigung.

Auch in religiösen Fragen zeigten sich bald Unterschiede. Während Erasmus die These aufstellte, Gott habe dem Menschen einen freien Willen gegeben, zwischen dem Guten und dem Bösen zu wählen, der freilich nur mit Gottes Gnade wirksam werden könne, argumentierte Luther mit der Erbsünde und der Allmacht Gottes, durch die jede Tat des Menschen vorausbestimmt sei. Luther verglich den menschlichen Willen mit einem Pferd, „das der Teufel reitet“ oder das Gott lenkt. Es sei unmöglich, einen der beiden Reiter loszuwerden, denn jedes menschliche Schicksal sei vorbestimmt und endet entweder in der Hölle oder im Himmel. Gottes Liebe und Hass seien ewig und unverrückbar, schrieb Luther in seiner Erwiderung an Erasmus, sie seien schon gewesen, „ehe der Welt Grund gelegt ward“, noch ehe es einen Willen oder Werke des Willens gab.

1521 erschien Luthers assertio omnium articulorum M. Lutheri per Bullam Leonis X novissiman damnatorum, zugleich als deutsche Schrift unter dem Titel Grund und Ursache aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind. 1524 veröffentlichte Erasmus seine Entgegnung: De libero arbitrio (Vom freien Willen), ein Werk, mit dem der Bruch mit Luther endgültig besiegelt wurde. Seine letzte kritische Auseinandersetzung mit dem Titel Hyperaspistes kommentierte Luther mit dem bekannten Ausspruch: „Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig.“

Einerseits sparte Erasmus nicht mit beißender Kritik an frömmelnden Christen, heuchlerischen Mönchen, korrupten Päpsten, katholischen Riten und dem Ablasshandel. Andererseits verteidigte er das Papsttum, distanzierte sich von jeder Veränderung durch Gewalt und versagte den Reformatoren seine Unterstützung

Auch manche Historiker – insbesondere aus dem protestantischen Lager – teilten später diese Einschätzung und kritisierten die als unentschlossen empfundene Haltung des Erasmus. Auch die Tatsache, dass er sich in der Reuchlin-Affäre, die viele humanistische Gemüter in Wallung brachte, zu einigen antijudaistischen Bemerkungen gegen Pfefferkorn hinreißen ließ, hat ihm Kritik eingebracht. Für Erasmus, der das Neue Testament gegenüber dem Alten als übergeordnet ansah und Talmud wie auch Kabbala ablehnend gegenüberstand, spielten Juden auch eine negative Rolle in den Konflikten mit den Täufern und im Bauernkrieg. Eine potentielle Gefahr sah er ebenso in jüdischen Konvertiten, die seiner Ansicht nach trotz Taufe an ihren jüdischen Traditionen festhielten und das Christentum angeblich von innen zersetzten. Im Gegensatz dazu hat Erasmus aber bei anderen Gelegenheiten gegen Antijudaismus protestiert.

Als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Repräsentanten des europäischen Humanismus wurde der Theologe durch seine kirchenkritische Haltung und seinen der historisch-kritische Exegese verpflichteten theologischen Schriften zum Vorreiter der Reformation. Durch sein Eintreten für relative Religionsfreiheit nahm er eine humanistische Position jenseits des katholischen wie auch des lutherischen Dogmatismus ein. Ihn als Verteidiger „religiöser Toleranz“ zu bezeichnen, ist insofern missverständlich, weil er selbst stattdessen die Begriffe Frieden und Konkordanz verwendet (tolerantia nur für die Wahl des Geringeren von zwei Übeln, was bei Konflikten religiöser Doktrinen nicht vorliegt). Ernsthafte Irrlehren, zu denen er letztlich auch die Reformation zählte, sollten auch seiner Meinung nach unterdrückt werden, ggf. auch durch Anwendung der Todesstrafe.

Erasmus zählte zu den geachtetsten Gelehrten seiner Zeit, man nannte ihn „den Fürsten der Humanisten“. Er korrespondierte mit fast allen Herrschern und Päpsten seiner Epoche und wurde allseits für seine offenen Worte und den brillanten Stil bewundert und geachtet, beispielsweise vom englischen König Heinrich VIII, dem er im September 1517 unter anderem schrieb: „Könige werden weise durch den Verkehr mit weisen Männern, zumal unter den vielen Reichsgeschäften, ja, ,Welthändeln‘, mit denen Du zu tun hast, kaum ein Tag vorübergeht, an dem Du nicht etwas Zeit auf Bücherlesen verwendest und gerne mit jenen alten Weisen ins Gespräch kommst, die am allerwenigsten Dir nach dem Munde reden […] Wie ein verständiger und frommer Fürst an alle denkt, für alle wacht, für alle insgemein sorgt, da er ein öffentliches Amt hat, kein privates, so ziemt es sich, dass jeder an seinem Teil nach Kräften diese Sorgen und Mühen zu unterstützen sucht. Da ich für meinen Teil nur durch meine kleinen wissenschaftlichen Studien den Königen diese Pflicht leisten kann, habe ich vorlängst die Schrift des Plutarch ,Über Art und Weise, einen Schmeichler von einem Freund zu unterscheiden‘, aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen und Deiner Majestät gewidmet …“

Der Priester und Mönch Erasmus übte scharfe Kritik an Missständen in der Kirche und trat für eine innere Reform der katholischen Kirche ein und gilt daher auch als Kirchenreformer. Er galt als einer der ersten „Europäer“ und hoffte auf die „Vernunft“ der Herrschenden, auch ohne Krieg zu einem dauerhaften Frieden zu kommen. Er legte Wert auf Neutralität und Toleranz und sah die Gefahren der Religionskriege voraus. Seine eigene Lebensleistung schätzt er in einem Brief an Willibald Pirckheimer wie folgt ein: „Meine Lebensleistung bestand darin, dass ich eine begrabene und vergessene Literatur zu neuem Leben erweckt und dass ich die Theologen von ihren philosophischen Haarspaltereien zur Kenntnis des Neuen Testaments zurückgeführt habe.“

Wegen seiner kritischen Haltung zur römisch-katholischen Kirche wurden seine Werke auf dem Konzil von Trient auf den Index gesetzt. Der holländische Kultur-Historiker und Erasmus-Biograph Johan Huizinga charakterisiert. Erasmus trefflich als einen geistigen Typus der ziemlich seltenen Gruppe, die zugleich unbedingte Idealisten und durchaus Gemäßigte sind … „sie können die Unvollkommenheit der Welt nicht ertragen, sie müssen sich widersetzen; aber sie fühlen sich bei den Extremen nicht zu Hause, sie schrecken vor der Tat zurück, weil sie wissen, dass diese immer ebenso viel zerbricht als aufbaut; und so ziehen sie sich zurück und rufen weiter, alles müsse anders werden; aber wenn die Entscheidung kommt, wählen sie zaudernd die Partei der Tradition und des Bestehenden. Auch hier liegt ein Stück von der Tragik im Leben des Erasmus: Er war der Mann, der das Neue und Kommende besser sah als irgend jemand; der sich mit dem Alten überwerfen musste und doch das Neue nicht ergreifen konnte.“

Als kritischer Denker seiner Zeit zählte Erasmus zu den Wegbereitern der europäischen Aufklärung und wurde gleichermaßen von Spinoza, Rousseau, Voltaire, Kant, Goethe, Schopenhauer, und Nietzsche geachtet..

El Greco war ein Maler griechischer Herkunft und Hauptmeister des spanischen Manierismus und der ausklingenden Renaissance. Er war auch als Bildhauer und Architekt tätig. Seine künstlerische Arbeit begann auf Kreta mit der Ausbildung zum Ikonenmaler in der byzantinischen Tradition. Er siedelte nach Venedig über und kam mit der Kunst Tizians in Berührung, bevor er sich in Rom niederließ. Anschließend gelangte El Greco auf ungeklärte Weise nach Spanien und zog nach Toledo. Trotz einiger Konflikte konnte er sich dort durchsetzen und blieb bis zu seinem Lebensende.

El Greco malte hauptsächlich Bilder mit religiösen Themen und Porträts. Hinzu kommen einige wenige Landschaften und Genrebilder. In Venedig und Rom adaptierte er westliche Bildthemen und künstlerische Techniken. So wandte er sich der Ölmalerei und Leinwänden als Malgrund zu. Gegen Ende seines Italienaufenthaltes fand El Greco zu einer starken Körperlichkeit seiner Figuren, was sich in Spanien fortsetzte. Dort arbeitete er an großen Altarprojekten und fertigte Porträts einflussreicher Personen an. Für seine Altarbilder entwarf El Greco oft auch das architektonische Rahmenwerk. Seine Malerei entwickelte sich weg vom Naturalismus hin zu einem Individualstil, indem er versuchte, einen neuen Ausdruck für spirituelle Phänomene zu suchen, und sich in seinem Spätwerk zunehmend auch wieder auf seine Herkunft als Ikonenmaler bezog. El Greco bereicherte die katholische Bilderwelt um neue Themen und um eine Neuinterpretation bekannter Ikonographien. Seine Kunst wurde weniger vom Adel gefördert, sondern von Intellektuellen, Geistlichen und Humanisten unterstützt.

Die Rezeption El Grecos fiel über die Zeit sehr unterschiedlich aus. Mit seinem Individualstil ging er einen sehr eigenen Weg, der von der Entwicklung der Malerei in Spanien weitestgehend unabhängig war. Nach seinem Tod wurde seiner Kunst wenig Wertschätzung zuteil und sie wurde zum Teil gar nicht beachtet. Eine langsame Wiederentdeckung El Grecos setzte im 19. Jahrhundert ein, um 1900 hatte er dann seinen Durchbruch. Dieser war weniger von der Kunstwissenschaft getragen, sondern von Schriftstellern, der Kunstkritik und der künstlerischen Avantgarde. Er wurde von Künstlern der Moderne, besonders des Expressionismus, als ein wichtiger Bezugspunkt gesehen und in Werken rezipiert. Zudem wurde er von spanischen Künstlern und Intellektuellen zur Stärkung der nationalen Identität herangezogen.

Das früheste heute noch bekannte und von El Greco mit seinem bürgerlichen Namen signierte Werk ist ein Motiv der Entschlafung Mariens. Das 1567 gemalte Bild hängt seit etwa 1850 in der gleichnamigen Kirche von Ermoupoli auf der Insel Syros.

1568 war El Greco in Venedig anwesend, was durch einen Brief vom 18. August 1568 belegt ist. In ihm teilt er mit, dass er Zeichnungen an den griechischen Kartographen Giorgio Sideris, genannt Calapodas, geschickt habe. Sideris gehörte zu jenen Intellektuellen, die den langsamen Aufstieg El Grecos unterstützt hatten. Es ist möglich, dass der Kartograph sogar den Anstoß für die Übersiedlung nach Venedig gegeben hat. In der Forschung wird angenommen, dass El Greco bereits im Frühjahr oder Sommer des Jahres 1567 nach Venedig aufgebrochen war.

Er hielt sich in Venedig drei Jahre lang auf und malte dort zahlreiche Bilder. Sie verbindet vor allem, dass El Greco sich in ihnen den einheimischen Künstlern wie Jacopo Bassano, Jacopo Tintoretto und Tizian annäherte. An die Stelle des Goldgrundes setzte El Greco nun einen perspektivischen Raum, wobei er etwa auf Architekturtraktate wie das von Sebastiano Serlio zurückgriff. Zudem gab er die Temperamalerei auf, wandte sich der im Westen seit Jan van Eyck verbreiteten Ölmalerei zu und begann, Leinwände als Bildträger zu verwenden. Dennoch legte er bis zu seinem Lebensende viele seiner Gemälde noch mit Temperafarben an, vollendete sie dann jedoch mit Ölfarben. Für die Lichtgestaltung und Farbwahl El Grecos war der Aufenthalt in Venedig prägend.

Im Jahre 1570 wies der Miniaturmaler Giulio Clovio seinen Mäzen Alessandro Farnese in Rom auf ein heute verlorenes Selbstporträt El Grecos hin, das die römischen Künstler erstaunt hätte, und empfahl, den Künstler in der Villa Farnese aufzunehmen. Er legte El Greco seinem Mäzen als Schüler Tizians ans Herz. Dieser malte daraufhin ein Porträt Clovios, das vielleicht als Gegenleistung für die Empfehlung gedacht war. Im Palazzo Farnese lernte er etwa den bedeutenden Humanisten und Bibliothekar Fulvio Orsini kennen, in dessen Sammlung sich später sieben Werke El Grecos befanden. Möglicherweise lernte er über Orsinis Freund Pedro Chacón zudem den kirchlichen Würdenträger Luis de Castilla aus Spanien kennen, mit dem El Greco in der Folge eine enge Freundschaft verband.

Im Haus der Farnese war El Greco wenig beansprucht, da dort vor allem Freskomaler gebraucht wurden. Zwar wurde die Mitarbeit eines griechischen Malers an den Fresken überliefert, es lässt sich ihm aber kein Werk zuordnen. El Greco suchte sich mit seinem verlorenen Selbstporträt, dem Porträt Clovios und weiteren Werken seine eigene Marktnische als Bildnismaler. Mit innovativen Bildnissen und anderen Bildexperimenten wie dem Genrebild eines eine Kerze entzündenden Jungen machte er sich einen Namen in den Kreisen römischer Gelehrter und Intellektueller. Auch suchte er in anderen Gattungen nach Anerkennung, musste sich in Rom jedoch der Konkurrenz vieler hochrangiger Maler stellen, die in der Tradition Michelangelos wirkten. Um sich abzusetzen und seine Fremdheit als Stärke zur Geltung zu bringen, berief sich El Greco auf Tizian. In diesem Kontext steht auch die von Mancini überlieferte Anekdote, nach der El Greco dem Papst angeboten habe, das kritisierte Jüngste Gericht von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle zu übermalen. Daraufhin habe er aufgrund der Kritik der römischen Maler die Stadt verlassen müssen.

El Greco wurde aus dem Haus Farnese entlassen und beschloss, eigene Wege in Rom zu gehen. Am 18. September 1572 entrichtete er die zwei Scudi Aufnahmegebühr und trat somit der römischen Lukasgilde unter dem Namen Dominico Greco bei. Er eröffnete in der Folge eine eigene Werkstatt in Rom, wobei er zuerst von dem Sieneser Maler Lattanzio Bonastri da Lucignano unterstützt wurde. Etwas später trat Francesco Prevoste, der El Greco auch später nach Spanien begleitete, der Werkstatt bei. Über die Zeit von September 1572 bis zum Oktober 1576 liegen keine Dokumente vor, die Hinweise geben könnten, was El Greco in dieser Zeitspanne tat. Auch weshalb er Italien verließ, ist nicht bekannt.

Für den Oktober 1576 ist die Anwesenheit El Grecos in Spanien nachgewiesen – wie er dorthin gelangte, ist nicht bekannt. Zwischen Rom und Spanien bestanden damals enge Kontakte. In Rom hielten sich viele Spanier auf, und zahlreiche italienische Künstler zog es auf die Iberische Halbinsel. Während seines Aufenthaltes bei den Farneses konnte El Greco Kontakte zu Spaniern wie zum Beispiel Luis de Castilla knüpfen. Über de Castilla erhielt El Greco mehrere Aufträge in Toledo, vor allem in der Anfangszeit seines Spanienaufenthaltes. Bevor er nach Toledo kam, hielt er sich wahrscheinlich kurzzeitig in Madrid auf, wo er sich eine Anstellung am Hof erhoffte. Genauere Informationen zu dieser Station existieren aber nicht. Auf Vermittlung von Diego de Castilla, dem Vater seines Freundes und Dekan der Kathedrale, schuf er einen Altar für das Kloster des hl. Dominikus von Silos in Toledo. Er gestaltete nicht nur das Bildprogramm, das mit der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel als zentralem Bild zur Begräbniskapelle passte, sondern entwarf auch die Architektur des Retabels, seines plastischen Schmucks und des Tabernakels.

Ebenfalls auf Vermittlung Diego de Castillas hin, der aber in diesem Fall nicht allein verantwortlich war, malte El Greco Christus wird seiner Kleider beraubt für die Kathedrale von Toledo. Dabei kam es zum Konflikt um den Preis und die Gestaltung des Gemäldes, wie es ihn in der Folge auch bei weiteren Gemälden gab. Der Gemäldepreis wurde in Spanien zu dieser Zeit nach Vollendung des Gemäldes durch vom Künstler und vom Auftraggeber beauftragte Gutachter festgesetzt. El Grecos Vertreter schlug den hohen Preis von 900 Dukaten vor, während die Vertreter der Kathedrale nur 227 Dukaten zahlen wollten. Die große Abweichung wurde damit erklärt, dass es Kritik am Bild gegeben habe. Üblicherweise hätte El Greco die Kritik nacharbeiten müssen, er weigerte sich jedoch, weil er sich als Schöpfer seiner Werke und nicht als bloßes ausführendes Organ seiner Auftraggeber sah. Der Konflikt ergab sich somit aus der unterschiedlichen sozialen Stellung des Malers in Italien und Spanien. Im September 1579 gab es in diesem Streitfall eine erste Einigung auf 317 Dukaten, die jedoch nicht lange hielt. 1585 gab es einen weiteren Kompromiss, nach dem El Greco auch den Rahmen gestalten sollte. Zwei Jahre später wurde nun der neue Preis von 535 Dukaten für Bild und Rahmen ausgehandelt. Dass der Rahmen in diesem Zusammenhang höher bewertet wurde als das Gemälde, lag in dem gegenüber der Malerei höheren Status der Skulptur im Spanien dieser Zeit. An der Ikonographie des Bildes veränderte El Greco im Laufe dieser Zeit nichts, obwohl das Bild weiterhin in der Hauptkirche des Bistums hing.

Zwischen 1577 und 1579 malte El Greco die Anbetung des Namen Jesu, mit der er sich bei König Philipp II. empfehlen wollte. In diesem Bild brachte er den König auch direkt als Figur ein. Im Jahr 1578 bekam er mit seiner Lebensgefährtin Jerónima de las Cuevas, über die kaum Informationen überliefert sind, einen Sohn, der nach seinem Vater und Bruder Jorge Manuel genannt wurde. Die neuere Forschung zu El Greco geht davon aus, dass Jerónima de las Cuevas wahrscheinlich eher aus einer Handwerker-Familie und nicht, wie oft angenommen, aus dem Adel stammte. Die Beziehung dauerte nicht lange, da Jerónima de la Cuevas jung starb.

In den Jahren 1580 bis 1582 malte El Greco Das Martyrium des heiligen Mauritius als Probebild für die Kirche des Escorial, um nach seinen Erfolgen in Toledo auch in Madrid bei Hofe Fuß zu fassen. In dieser Situation vollzog El Greco einen Stilwechsel vom Naturalismus hin zu einer Malerei, in der er nach gestalterischen Ausdrucksmöglichkeiten für Spiritualismus suchte. Der König verfolgte mit dem Bau des Escorial die Absicht, die Ideen des von ihm mitgeprägten Konzils von Trient umzusetzen. Zu diesem Zweck wollte er eigentlich Juan Fernández de Navarrete mit der Gestaltung sämtlicher Altäre betrauen. Navarrete starb jedoch, so dass neue Maler gesucht werden mussten. Vielleicht aufgrund des ersten Bildes, mit dem sich El Greco am Hof empfehlen wollte, der Anbetung des Namen Jesu, fasste der König dann den Griechen als möglichen Ersatz ins Auge. El Greco lieferte zwar ein kunstvolles Bild, doch es widersprach in seiner Wendung gegen den Naturalismus den Idealen des Konzils. Dieses Werk wurde zwar gut bezahlt und es kam nicht zu Korrekturen, dennoch erhielt El Greco keine weiteren königlichen Aufträge, da Philipp II. das Bild als für den Bestimmungsort ungeeignet empfand. Statt an dem geplanten Ausstellungsort auf dem Altar der Escorialkirche wurde das Bild an einem weniger prominenten Ort in der Kirche aufgehängt. Philipp II. erteilte Romulo Cincinato den Auftrag, ein Bild zum gleichen Thema anzufertigen. Dieser orientierte sich an der Komposition El Grecos, veränderte jedoch deren Schwerpunktsetzung. Für sein Werk erhielt Cincinato 500 Dukaten, während El Greco 800 erhalten hatte. Das Verhalten des Königs zeigte die aufkommende Unterscheidung zwischen Altar- und Sammlerbild. Insgesamt steht dieses Vorgehen den Anekdoten und Berichten über den starken Einfluss der Inquisition auf die Kunstproduktion in Spanien entgegen. Gerade mit Unterstützung aufgeschlossener Kirchenkreise konnte der Grieche El Greco in Spanien barocke Bildideen entwickeln, die sich andernorts erst im 17. Jahrhundert durchsetzen konnten.

El Greco hatte zweimal Kontakt mit der Inquisition. Im ersten Fall arbeitete er an neun Terminen zwischen Mai und Dezember 1582 als Übersetzer bei einem Verfahren gegen einen griechischen Diener, der wegen Häresie angeklagt, jedoch freigesprochen wurde. Der zweite Kontakt hatte direkt mit El Greco und seiner Kunst zu tun. Nach dem Fehlschlag am Hof suchte der Maler unter der Geistlichkeit von Toledo neue Mäzene. Sein Probebild war das Porträt eines Kardinales, das Fernando Niño de Guevara zeigte, der um 1600 Großinquisitor in Toledo war.

Die Zurückweisung in Madrid verstärkte El Grecos Bindung an Toledo. Am 10. September 1585 mietete er sich im Palast des Marques de Villena im ehemaligen jüdischen Viertel ein, wo er drei Wohneinheiten belegte und nach dem frühen Tod seiner Lebensgefährtin allein mit seinem Sohn wohnte. Dort lebte er bis 1590 und dann wieder ab 1604. Im Jahre 1589 wurde El Greco in einem Dokument als Bürger der Stadt bezeichnet. Am 18. März 1586 erteilte der Priester seiner eigenen Pfarrei den Auftrag für das Gemälde Das Begräbnis des Grafen von Orgaz. Zwischen 1596 und 1600 malte El Greco das Retabel für das Augustinerkolleg der Doña María de Aragón in Madrid. Für dieses Werk erhielt er mit 6000 Dukaten den höchsten Preis, den er je für ein Gemälde erzielen konnte.

Am 9. November 1597 erhielt El Greco den Großauftrag, die Capilla de San José in Toledo auszugestalten, seinen bedeutendsten Auftrag in Toledo nach Santo Domingo el Antiguo. Der Vertrag umfasste die beiden Altargemälde sowie die Gestaltung und Vergoldung des Rahmens. Sein Sohn, der für ihn in diesem Jahr zu arbeiten begann, tauchte als Name in einem Dokument auf, in dem er sich verpflichtete, im Falle des Todes seines Vaters ein Werk zu vollenden. Ab 1603 findet sich der Sohn häufiger in Dokumenten zum Werkstattbetrieb.

Trotz zahlreicher gut dotierter Aufträge befand sich El Greco oft in ökonomischen Schwierigkeiten, da er einen sehr gehobenen Lebensstil pflegte. So beschäftigte er zeitweise Musikanten, die ihn während der Mahlzeiten unterhielten. Zwischen 1603 und 1607 gab es Konflikte um das Bildprogramm für das Hospital de la Caridad in Illescas. Der Vertrag enthielt für El Greco ungünstige Konditionen, so dass ihm kaum seine Kosten erstattet wurden und ein Prozess notwendig wurde. Kritik rief unter anderem hervor, dass unter dem Schutzmantel der Madonna reiche Bürger anstatt arme gezeigt wurden. Nach dem Tod El Grecos wurden aus diesem Grund die Halskrausen übermalt. In dieser Zeit bildete er Luis Tristán aus, der nach El Grecos Tod zum bedeutendsten Maler von Toledo wurde und zwischen 1603 und 1606 als Schüler in El Grecos Atelier nachweisbar ist. 1607 übernahm El Grecos Sohn an Stelle des verstorbenen Prevoste eine leitende Position im Atelier. Vater und Sohn erhielten von der Erzdiözese Toledo Aufträge, die Ausstattung von Kirchen auf die Orthodoxie ihrer Bildprogramme zu untersuchen. Im Anschluss konnten sie sich mehrmals lukrative Aufträge sichern.

Im folgenden Jahr übernahm El Greco von Pedro Salazar de Mendoza den Auftrag für drei Altarbilder für das Hospital de Tavera. Dieses Werk blieb jedoch unvollendet. 1611 besuchte Francisco Pacheco El Greco in Toledo. Er fertigte sowohl ein Porträt des Malers als auch eine Biographie an, die in seinem Buch über berühmte Maler erschien. Beide Zeugnisse sind heute verschollen. In seinem 1649 erschienenen Buch El arte de la pintura veröffentlichte Pacheco Informationen über die Arbeitsweise und künstlerischen Ideen El Grecos. Von ihm wurde überliefert, dass El Greco auch als Theoretiker arbeitete. Am 7. April 1614 starb El Greco. Zwei Griechen waren als Zeugen am Totenbett anwesend. Luis de Castilla regelte in der Folge seinen Nachlass. Zum Zeitpunkt seines Todes war El Greco hoch verschuldet. Er hinterließ kein Testament, was zur damaligen Zeit ungewöhnlich war.

El Greco wurde zunächst im Kloster des hl. Dominikus von Silos bestattet, wo er 1612 die Einrichtung einer Begräbniskapelle mit Altar und dem Altarbild der Anbetung der Hirten vereinbart hatte. 1618 starb Luis de Castilla, der Patron des Klosters, und in der Folge kam es mit den Nonnen zum Streit über den Preis. Deshalb ließ der Sohn El Grecos dessen Leichnam 1619 nach San Torcuato umbetten. Diese Kirche wurde später abgerissen, wobei die sterblichen Überreste El Grecos verlorengingen.

Jorge Manuel Greco erstellte ein Inventar des Besitzes seines Vaters, worunter sich 143 meist fertige Gemälde, unter anderem drei Laokoon-Versionen, 15 Gipsmodelle, 30 Tonmodelle, 150 Zeichnungen, 30 Pläne, 200 Druckgrafiken und über 100 Bücher befanden. Die Familie des Sohnes blieb in seinem Haus wohnen. 1621 wurde anlässlich der zweiten Hochzeit des Sohnes noch einmal ein Inventar des Besitzes von El Greco angefertigt.

El Greco malte viele religiöse Bilder und Porträts. Hinzu kamen einige wenige Genrebilder und Landschaften. Von seinen Zeichnungen haben sich nur wenige Exemplare erhalten. Sein Werk lässt sich in drei geographisch definierte Phasen unterteilen. Seine Anfänge auf Kreta waren in der Forschung lange umstritten. Heute ist es kunsthistorischer Konsens, dass El Greco dort seine künstlerische Laufbahn als Ikonenmaler begann. Die zweite Phase ist seine Zeit in Italien, wo er westliche Techniken und Kompositionen adaptierte. Er arbeitete in Venedig und Rom, bevor er nach Spanien übersiedelte. Dort fand er zu seinem eigenständigen Stil und schuf seine Hauptwerke.

El Greco war ein technisch versierter Künstler, der hochwertige Materialien verwendete. Deshalb befinden sich seine Werke in der Regel in einem guten Erhaltungszustand. Er behielt von jedem Bild eine kleinformatige Ölreproduktion in seiner Werkstatt und griff Motive zu verschiedenen Zeiten erneut auf. Sein Beitrag zur künstlerischen Reform der katholischen Bilderwelt lag vor allem in der Formulierung neuer Bildthemen und Ikonographie und in der Abwandlung bereits bekannter Motive. Zudem experimentierte er mit einer neuen Bildsprache. Für sie besann er sich im hohen Alter erneut auf seine Wurzeln in der östlichen Ikonenmalerei und verknüpfte diese mit seinen westlichen Erfahrungen zu einem erfolgreichen Individualstil. El Greco maß der Zeichnung im Arbeitsprozess wohl eine wichtige Bedeutung zu. So ist es nicht verwunderlich, dass sich 1614 im Inventar seines Nachlasses 150 Zeichnungen befanden. Jedoch haben sich nur sehr wenige Zeichnungen El Grecos erhalten, da diesem Medium auf der Iberischen Halbinsel keine Bedeutung zugemessen und somit keine große Aufmerksamkeit geschenkt worden war.

Das früheste bekannte Gemälde El Grecos ist ein Marientod, den er um 1567 gemalt hat und der heute in der Kirche der Entschlafung Mariens in Ermoupoli auf der Insel Syros zu sehen ist. Er signierte das Gemälde mit Domenikos Theotokopoulos. Der Marientod lässt in seiner Konzeption erkennen, dass El Greco als Ikonenmaler ausgebildet worden war, jedoch löste er sich bereits von den typisierten Vorbildern, den zweidimensionalen und gleichen Formen folgenden Figuren samt Kleidung und dem aus dem Inneren der Form kommenden Licht. Die vom Heiligen Geist ausstrahlende Lichtaureole, in deren Zentrum sich eine Taube befindet, verbindet die schlafende mit der thronenden Madonna. Zudem neigt sich Christus in einer zärtlichen Geste. Ein weiteres auffälliges Detail sind die drei Kandelaber, die sich im Vordergrund befinden. Der mittlere weist an seiner Basis Karyatiden auf, die auf eine druckgraphische Vorlage verweist. Diese Bildelemente waren eigene künstlerische Beiträge des Malers, die über den bestehenden Bildtypus hinausgingen. Dass er das Bild signierte, war zudem ungewöhnlich, da Ikonen in der Regel nicht signiert wurden. Damit unterstrich er seinen humanistischen Anspruch und seine weiter gehenden künstlerischen Ambitionen.

Ein weiteres Bild aus seiner kretischen Phase ist Der Heilige Lukas malt eine Ikone der Jungfrau mit dem Kind, das zwar stark beschädigt ist, aber immer noch Teile seiner Signatur trägt. Das zentrale Motiv des Evangelisten Lukas und der Maria in der Form einer Hodegetria malte El Greco in traditioneller byzantinischer Weise, während er in den Randmotiven neue Motive einführte wie etwa Malerwerkzeug, Renaissancestuhl und malerisch umgesetzte Engel. Die bekannten Werke, die El Greco auf Kreta schuf, weisen alle eine hohe künstlerische Qualität auf mit ihrer Lichtführung und dem starken Ausdruck. Zudem haben sie alle freihändige Vorzeichnungen.

Die erste Werkphase war lange Zeit umstritten, da El Greco als Ikonenmaler nicht in den westlichen Kunstkanon passte. Harold E. Wethey ging etwa davon aus, dass sich El Greco erst in Venedig zum Künstler entwickelt hat. Zudem gab es auf Kreta zwei weitere Maler namens Domenikos. Erst als der Marientod gefunden wurde, der auch den Nachnamen Theotokopoulos trug, gab es ein eindeutiges Referenzwerk, das stilistische Vergleiche zweifelsfrei zuließ. In der aktuellen Forschung ist der Beginn der künstlerischen Laufbahn auf Kreta allgemein anerkannt.

In Venedig wandte El Greco sich der Ölmalerei zu und verwendete Leinwände als Bildträger. Wie dort üblich nutzte er grobe Leinwände, die mit ihrer plastischen Textur expressive Wirkungen unterstützten. Zuerst trug er eine dünne weiße Grundierung auf, über die er nochmals eine zweite Grundierung auftrug, die rosa bis dunkelrot gefärbt war. Dann trug er mit einem Pinsel und schwarzer Farbe die Konturen der Figuren als Vorzeichnung auf und setzte zudem mit Weiß Lichtpunkte und mit Schwarz und Karmin die dunkelsten Stellen über die ganze Bildfläche. Erst in einem weiteren Schritt wurde in einem komplexen Verfahren der eigentliche Farbauftrag vorgenommen. Die Formate blieben aber weiterhin eher klein, was auch der Auftragslage El Grecos geschuldet gewesen sein kann. Technisch blieb El Greco venezianisch geprägt.

Am Übergang zwischen seiner byzantinischen und venezianischen Malweise steht der als Modena-Triptychon bekannte Tragealtar, dessen Auftraggeber wahrscheinlich aus einer kreto-venezianischen Familie stammte. Der Objekttypus mit den vergoldeten Rahmenteilen war im 16. Jahrhundert auf Kreta üblich, die Ikonographie ist jedoch deutlich westlich geprägt. Der Altar trägt die Signatur El Grecos und ist somit ein wichtiges Referenzwerk für die Beurteilung von Werken aus dieser Zeit.

El Greco malte im Laufe seines Lebens mehrmals dasselbe Thema zu verschiedenen Zeiten. An diesen Bildern ist seine künstlerische Entwicklung nachvollziehbar. So malte er die erste Version der Blindenheilung in Venedig noch auf Holz. In ihr bezog er sich auf Bilder Tintorettos, aus denen er die Aufteilung in zwei Figurengruppen, den Fernblick und den in venezianischen Bildern beliebten Hund im Vordergrund entlehnte. Die Posen der Figuren beziehen sich auf verschiedene Druckgraphiken, die El Greco als Vorlagen nutzte. Die zweite Version entstand wahrscheinlich bereits in Rom und wurde auf Leinwand gemalt. Im Hintergrund ergänzte El Greco Ruinen, die Figuren ähnelten mehr antiken Skulpturen und Michelangelos Akten. Der nur leicht mit einem Tuch bekleidete Mann ähnelt dem Herkules Farnese.

Zwar blieb El Greco in seinem Schaffen zeit seines Lebens venezianischen Einflüssen treu; er nahm jedoch zum Ende seines Romaufenthaltes und zu Beginn seines Aufenthaltes in Spanien Bezüge zu Michelangelo auf. So malte er in den frühen 1570er-Jahren eine Pieta auf Holz, die sich auf Michelangelos um 1550 entstandene Skulpturengruppe Pieta di Palestrina in Florenz bezog. Im Gegensatz zum Vorbild stellte El Greco an die Spitze der Komposition Maria. Er verlieh dem Bild eine Dramatik, die sich bis dahin nicht in seinen Werken fand und schon stärker in Richtung Barock wies. Die Christusfigur hatte für El Grecos Werke eine ungewöhnliche Körperlichkeit. Eine weitere Version der Pieta malte er auf Leinwand. Sie wirkt noch monumentaler und die Gewänder stärker ausgearbeitet, auch wenn sie am rechten Arm noch Probleme mit den Proportionen erkennen lässt. Formal hat das Gemälde bereits Parallelen zu den frühen in Spanien entstandenen Werken. Dass es aber dort entstanden sein soll, wird jedoch in der Forschung abgelehnt.

Diese Entwicklung zur Körperlichkeit setzte El Greco in seinen ersten Aufträgen in Toledo fort. Dies ist am Altar für das Monasterio Santo Domingo el Antiguo in Toledo nachvollziehbar. Passend zur Aufstellung in der Begräbniskapelle ist das zentrale Bild eine Himmelfahrt Marias, das von den ganzfigurigen Bildern Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist eingefasst wird, sowie den Brustbildern Heiliger Bernhardt und Heiliger Benedikt. Im Giebelfeld befindet sich ein Bild des Schweißtuchs der Veronika und im folgenden Stockwerk mit der Heiligen Dreifaltigkeit ein weiteres großformatiges Bild. Der Hauptaltar wird von einer Anbetung der Hirten und der Auferstehung Christi als kleineren seitlichen Retabeln gerahmt. Dieser Altar war ein deutlich größerer Auftrag als seine von Kreta oder aus Italien bekannten Gemälde. El Greco bereitete die Arbeiten gründlich mit Vorzeichnungen vor. Eine Vorzeichnung von Johannes dem Täufer und zwei von Johannes dem Evangelisten haben sich erhalten. In den ersten Entwürfen positionierte er die beiden in Nischen und der Evangelist war im Profil dargestellt und blickte auf die Himmelfahrt. In der zweiten Zeichnung positionierte der Künstler ihn bereits so, wie er auch gemalt wurde. Bei der endgültigen Ausführung verzichtete El Greco jedoch auf den in der Zeichnung als Symboltier beigefügten Adler.

Unter dem Einfluss Michelangelos fand El Greco zu einem sehr naturalistischen Stil mit monumentalen Figuren. Zudem folgte seine Farbwahl der römischen Schule und verlieh etwa der Himmelfahrt Marias eine große Leuchtkraft, während er bei der Heiligen Dreifaltigkeit die kontraststarken kalten Farbtöne Grün, Gelb und Blau verwendete und zudem Weiß in einer dominierenden Rolle im Bildzentrum einsetzte. Das architektonische Rahmenwerk, das El Greco entwarf, weist klare klassizistische Formen auf.

Mit dem Martyrium des Heiligen Mauritius aus den Jahren 1580 bis 1582 vollzog El Greco den Wechsel vom Naturalismus hin zu einer Malerei, in der er nach einem gestalterischen Ausdruck für spirituelle Phänomene suchte. In den 1580er-Jahren wandte er sich immer mehr von den Regeln der Renaissance für Proportion und Perspektive ab. Statt lebende Modelle zu studieren, begann El Greco wie Tintoretto mit Tonmodellen zu arbeiten. Er ließ dem Licht eine deutlich stärkere symbolische Funktion zukommen, statt es bloß in natürlicher Weise zu verwenden. So entstanden starke Hell-Dunkel-Kontraste. Die verwendeten Farben wurden deutlich expressiver. Statt wie üblich den Fokus der Darstellung auf das Martyrium zu legen, zeigte El Greco vor allem das von rhetorischen Gesten begleitete Gespräch in Anlehnung an eine Sacra Conversazione. Der Stilwechsel wurde von El Greco auch in anderen Werken dieser Zeit vollzogen.

Eines seiner bekanntesten Gemälde schuf El Greco mit dem Begräbnis des Grafen von Orgaz, das er 1586 bis 1588 malte und das später zu einem Hauptwerk zum Studium des Malers wurde. Das Bild ist in zwei Zonen aufgeteilt. Im unteren Teil stellte El Greco die Begräbnisfeier dar, die einem Begräbnis wie zu dieser Zeit in Toledo üblich nachempfunden worden war. Der Adelige wird von den Heiligen Stephanus und Augustinus in das Grab gelegt, womit sich der Künstler auf die Legende zum Begräbnis bezog. Rechts liest wahrscheinlich der Auftraggeber das Requiem. Die obere Zone zeigt den Himmel, in den die Seele des Verstorbenen als Kind von einem Engel eingeführt wird, die dem Weltenrichter sowie Johannes und Maria als seine Fürsprecher und weiteren Heiligen gegenübertritt. In diesem Bild verwendete El Greco Licht nur noch als symbolisches Element. Im Himmel malte er ein unruhig erscheinendes Streiflicht. Die untere Hälfte ist dagegen gut ausgeleuchtet wie eine Bühne, die dortigen Fackeln haben keine reale Lichtwirkung. Das Gemälde nimmt zum einen auf eine historische Begebenheit, die religiös verklärt wurde, Bezug, ist zum anderen aber auch ein Gruppenporträt.

Ein Beispiel für ein von El Greco entwickeltes neues ikonographisches Thema ist die reuige Heilige in Halbfigur, das bereits in den folgenden Barock verweist. Eine einzelne Heiligenfigur wurde isoliert und monumental dargestellt und bot dem Betrachter die Möglichkeit, die Figur als gefühlsmäßigen Ansprechpartner zu sehen. Diese Bilderfindung kann als revolutionär eingeschätzt werden. Beispiele sind etwa Die büßende Magdalena, die im Gegensatz zu dem gleichnamigen Bild Tizians jedoch ohne erotische Bezüge auskommt, oder Der reuige Heilige Petrus. Ebenso populär waren Bilder des Heiligen Franziskus. El Greco malte Franziskus nicht wie bis dahin üblich beim Empfang der Wundmale Christi, sondern bei der Reflexion mit einem Totenkopf. Von dieser Bildidee gibt es noch etwa 40 erhaltene Versionen. Pacheco lobte, dass El Greco die in den Chroniken überlieferte Gestalt des Ordensgründers besonders gut dargestellt habe. Die Vielzahl der Bilder dieses Themas lag in der Popularität des Franziskus in Spanien begründet. Zudem setzte El Greco, wie er es aus Italien kannte, auf die druckgraphische Verbreitung, um seine Komposition zu popularisieren. Er ließ das Franziskus-Gemälde von seinem Schüler Diego de Astor nachstechen.

Neben neuen Bildideen erneuerte El Greco die katholische Bilderwelt mit stilistischen Innovationen. Zum einen bezog er sich auf seine Wurzeln als kretischer Ikonenmaler wie beim Das Begräbnis des Grafen von Orgaz, das sich etwa in der Komposition auf den frühen Marientod bezog. Auf der anderen Seite zeigt sich bei einer späten Version der Tempelreinigung von 1610 bis 1614 eine hohe Abstrahierung von der Naturbeobachtung. Die Bewegung und das Licht sind in solchem Maße gesteigert, dass sie teils als „expressionistisch“ charakterisiert wurden. Das Visionäre von El Grecos Kunst lässt sich auch in dem Gemälde Die Öffnung des fünften Siegels, das die Vision des Evangelisten Johannes zum Thema hat und ein Fragment eines späten Altarprojekts war, entdecken. Im Gegensatz zu anderen Bildern, die diese Vision thematisieren, integrierte El Greco den Heiligen in das Bild und verschob somit die Bedeutung von der Darstellung des erschienenen Ereignisses hin zum Moment der Erscheinung selbst. In diesem Bild erreichte die Entmaterialisierung der Form bei El Greco ihren Höhepunkt. Erst 1908 wurde die Thematik des Bildes erkannt und hat sich in seiner Bestimmung durchgesetzt. Zuvor existierten zahlreiche Interpretationen. Der obere Teil des Gemäldes ist verloren und die Stellung im geplanten Gesamtensemble ist nicht zu rekonstruieren. Visionen, wie hier eine von El Greco gemalt wurde, sind ein häufiges Thema in der spanischen Barockmalerei. Deshalb ist dieses Gemälde kein isoliertes Werk, sondern steht im Kontext der spanischen Malereientwicklung und verwies auf sie voraus.

Zwischen 1610 und 1614 malte El Greco drei Versionen des Laokoon, die sein Atelier nicht verließen und nach seinem Tod im Inventar verzeichnet wurden. Nur eine Version ist erhalten geblieben. Es handelt sich um das einzige mythologische Werk El Grecos und steht in einer reichen Bildtradition, die auf Vergils Aeneis und auf der 1506 in Rom entdeckten Plastik des Laokoon basierte. Das Bild konnte der Künstler vor seinem Tod nicht mehr fertigstellen, weshalb die Figuren am rechten Bildrand nicht vollständig ausgeführt wurden. Bei einer Restaurierung wurden 1955 die Pentimenti freigelegt, so dass nun ein dritter Kopf und ein fünftes Bein in der rechten Figurengruppe zu sehen sind. Diese Figuren wurden unterschiedlich interpretiert, unter anderem als Adam und Eva, womit El Greco eine Synthese von Mythos und Religion geschaffen hätte. An Stelle Trojas setzte der Maler seine Heimatstadt Toledo ins Bild.

El Greco war ein anerkannter Porträtmaler. Seit seinem Aufenthalt in Italien bis in seine letzten Lebensjahre fertigte er Bildnisse an, die ihm ein regelmäßiges Einkommen sicherten. Kurz nach seiner Übersiedlung nach Rom um 1570 malte er das Porträt von Giulio Clovio, das den anerkannten Miniaturmaler als Halbfigur mit dem Stundenbuch der Farnese in seiner Hand zeigt. Das Fenster am rechten Bildrand zeigt einen Ausblick auf eine Landschaft mit stürmischem Himmel. Das Querformat dieses Porträts ist ungewöhnlich für ein Porträt. Eines der herausragendsten Beispiele für El Grecos Bildnismalerei ist das Ganzfigurenporträt des Malteserritters Vincenzo Anastagi, das 1571–1576 entstanden ist. Der Ritter ist mit samtener Pluderhose und Brustpanzer vor einem dunklen Vorhang dargestellt. Der Raum, in dem ein Helm auf dem Boden liegt, ist sehr kahl und durch das Licht modelliert. Ein weiteres Porträt aus dieser Zeit, das El Greco zugeschrieben wird, ist das Bildnis von Charles de Guise, Kardinal von Lothringen aus dem Jahr 1572. Der sitzende Kardinal hält mit seiner rechten Hand ein Buch offen, in dem das Entstehungsjahr und das Alter des Dargestellten angegeben sind. Der Papagei im Fenster soll die Ambition des Kardinals auf das Amt des Papstes aufzeigen. In Toledo malte El Greco um 1600 mit Ein Kardinal (der Großinquisitor Fernando Niño de Guevara) ein sehr ähnliches Gemälde. Der Porträtierte trägt eine Bügelbrille, die zu der Zeit sehr modern und noch umstritten war. Dieses Attribut weist den Kardinal als dem Neuen aufgeschlossen aus, ebenso wie seine Wahl, El Greco als Künstler zu engagieren.

In Toledo war El Greco ein bedeutender Porträtmaler, der künstlerisch herausragend arbeitete. Das Bildnis eines Edelmannes mit der Hand auf der Brust aus den Jahren 1583 bis 1585 hat eine in der venezianischen Tradition stehende sehr reiche Farbigkeit des Hintergrundes und der Kleidung. El Greco nutzte für das Bild im Gegensatz zu den Madrider Hofmalern eine offene Malweise in der Tradition von Tizian, bei der im vollendeten Bild der Pinselstrich noch immer erkennbar ist. Die Haltung des Dargestellten mit seiner Schwurgeste ist streng. El Greco verzichtete abgesehen vom goldenen Knauf des Degens gänzlich auf Symbolik. Er porträtierte wichtige Persönlichkeiten Toledos wie den Mönch Hortensio Félix Paravicino y Arteaga, Antonio de Covarrubias und Jerónimo de Cevallos. In seinem Spätwerk findet sich zudem das Porträt des Kardinal Tavera, der unter Karl V. Großinquisitor und Regierungschef von Kastilien und zum Zeitpunkt des Malens bereits über ein halbes Jahrhundert tot war.

Ein kleiner Teil des Werks El Grecos lässt sich der Genremalerei zuordnen. Mit dem Bild Knabe, der eine Kerze entzündet, verwirklichte er eine originelle Bildidee, die er in verschiedenen Versionen und Kopien ausführte. Das in den frühen 1570er Jahren entstandene Gemälde, von dem sich eine Version in der Sammlung Farnese erhalten hat, war wahrscheinliche eine Ekphrasis nach einem Vorbild aus der Antike. Es gab zudem einige Vorläufer in der venezianischen Malerei, wo ein solches Motiv aber in einen größeren erzählerischen Kontext eingebunden worden war. El Greco isolierte eine einzelne Figur, die durch die Lichtregie und die Perspektive von unten in eine besondere Nähe zum Betrachter gesetzt wurde. Dieses Bild sicherte ihm in Rom eine eigene kleine Nische.

In seinem Spätwerk fertigte El Greco einige wenige Landschaftsgemälde an und ließ Elemente aus ihnen in andere Werke einfließen. So malte er in den Jahren 1597 bis 1599 die Ansicht von Toledo, in der er zum einen auf die bedeutende Geschichte der Stadt und die zu dieser Zeit erfolgten städtebaulichen Neuerungen Bezug nahm. Er schuf eine eigenwillige Sicht auf die Stadt, die sich stark von anderen Darstellungen unterschied und sich nicht um historische Treue bemühte.

El Greco malte eine Sicht auf den östlichen Teil der Stadt mit dem Palast, der Alcántara-Brücke, der Burg von San Servando und dem nach rechts versetzten Glockenturm der Kathedrale. Damit steigerte er den Anstieg des Stadtberges in dramatischer Weise. Er ließ zudem die Stadtmauer weg und veränderte im Bild den Flusslauf im Vordergrund. Das höchstgelegene Gebäude auf der rechten Seite ist der Alcázar, das Gebäude unter ihm mit dem Arkadengeschoss als Abschluss entspricht keinem realen Gebäude in Toledo. Es wurde als symbolischer Verweis auf die vielen Stadtpaläste reicher Bürger gedeutet. In einem weiteren Gemälde Ansicht und Plan von Toledo, das zwischen 1610 und 1614 entstand, verlieh der Maler der Stadt eine innere Leuchtkraft, die sie von ihrer realen Existenz in die Richtung des Himmlischen Jerusalem entrückte. Auch in dem Altargemälde Der Heilige Joseph mit dem Christuskind, das zwischen 1597 und 1599 gemalt wurde, und in weiteren Heiligenbildern nahm El Greco in der Landschaft Bezug auf Toledo. Auch im Hintergrund seines Laokoons ist eine Ansicht von Toledo zu sehen.

El Greco entwarf für viele seiner Altargemälde zudem das architektonische Rahmenwerk und den Skulpturenschmuck. Damit verschaffte er sich zusätzliche Einnahmen, vor allem den Umstand nutzend, dass damals die Skulptur in Spanien höher geschätzt und besser entlohnt wurde als die Malerei. Jedoch führte er diese Skulpturen meist nicht persönlich aus, sondern beauftragte andere Bildhauer. Dennoch stellte er wohl vor allem kleinere Skulpturen in verschiedenen Techniken her, die er meist als Modelle nutzte, wie er es bei Jacopo Tintoretto kennengelernt hatte. Diese Figuren aus Gips, Wachs oder Ton waren jedoch nicht sehr haltbar und gingen im Laufe der Zeit verloren. Daneben gab es eine Holzfigur, die sich im Besitz des Sohnes befand und zu Andachtszwecken genutzt wurde.

Es sind nur wenige Skulpturen El Grecos erhalten geblieben, zu denen zudem nur wenige Erkenntnisse vorliegen. Sie bezeugen vielfältige Einflüsse und sind damit für das Werk des Künstlers charakteristisch. Zu den heute noch erhaltenen Skulpturen zählen Epimetheus und Pandora, die zwischen 1600 und 1610 geschaffen wurden. Als Aktfiguren sind sie für die spanische Kunst der Renaissance ungewöhnlich. Zudem war das mythologische Thema nicht üblich, entsprach jedoch der humanistischen Bildung des Künstlers und seines Umfeldes in Toledo. Zudem wurde der Mythos von Epimetheus und Pandora zu dieser Zeit als heidnische Version von Adam und Eva interpretiert. Technisch führte El Greco sie in spanischer Tradition in polychromatischem Holz aus. Von der Gestaltung her ähneln die Figuren dem Manierismus von Alonso Berruguete, jedoch ist die Darstellung der Körper zugleich eine individuelle Gestaltungsweise El Grecos, die sich auch in seiner Malerei findet. Eine weitere erhalten gebliebene Skulptur ist ein Auferstandener Christus, den El Greco um 1595/1598 schuf. Sie war Teil des Tabernakels des Hauptaltars im Hospital de San Juan Bautista in Toledo. Die Haltung ähnelt gemalten Christusfiguren El Grecos dieser Zeit. Der männliche Akt war für das Spanien des 16. Jahrhunderts ein ungewöhnliches Sujet, wie etwa Harold E. Wethey betonte. Somit ging El Greco auch in der Skulptur seinen eigenen künstlerischen Weg.

Neben seiner künstlerischen Tätigkeit setzte sich El Greco auch mit der Kunst- und Architekturtheorie auseinander. Seine Überlegungen sind aber nur in Fragmenten als Annotationen in Büchern aus seiner Bibliothek überliefert. Sie zählen zu den wertvollsten handschriftlichen Dokumenten El Grecos. Im 17. Jahrhundert kursierte in Spanien ein Traktat El Grecos mit seinen theoretischen Überlegungen, welches der Künstler dem König präsentiert hatte. Diese Schrift ist jedoch verlorengegangen.

Die heute bekannten Überlegungen finden sich als Anmerkungen in einer Ausgabe von Giorgio Vasaris Viten und Vitruvs De architettura aus der Bibliothek des Künstlers. Insgesamt umfassen die Äußerungen El Grecos 18.000 Wörter, 7.000 zu Vasari, 11.000 zu Vitruv. Im Hinblick auf seine Position in Spanien ist bemerkenswert, dass er die religiöse Funktion der Kunst in den bekannten Äußerungen nicht behandelte. Hingegen stellte El Greco die Autonomie des Künstlers in Bezug auf die Gestaltung des Bildes heraus. Er betonte die Erkenntnisabsicht der Malerei in Hinblick auf Philosophie und Naturalismus. In seinen Anmerkungen setzte er sich von der mathematisch-theoretischen Richtung ab, die stark auf ein Studium der Proportionen abzielte. Außerdem wandte sich El Greco gegen den Klassizismus, der in der Tradition Michelangelos in Spanien populär geworden war. Die Viten forderten den Maler zur Stellungnahme heraus. Er lobte Tizian, während er Michelangelos Farbbehandlung und Raffaels starke Antikenrezeption kritisierte. Zudem lehnte El Greco Vasaris Modell des Verlaufs der Kunstgeschichte ab, das die byzantinische Kunst, aus deren Tradition El Greco selbst stammte, als plump und der italienischen Kunst unterlegen

Die Rezeption El Grecos fiel im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich aus. Er wurde nicht vom Adel gefördert, sondern stützte sich vor allem auf Intellektuelle, Geistliche, Humanisten und andere Künstler. Nach seinem Tod wurde seiner Kunst wenig Wertschätzung zuteil und sie wurde zum Teil gar nicht beachtet. Seine langsame Wiederentdeckung setzte im 19. Jahrhundert ein, um 1900 hatte El Greco dann seinen Durchbruch. Dieser war weniger von der Kunstwissenschaft getragen, sondern von Schriftstellern, der Kunstkritik und der künstlerischen Avantgarde.

Leon Battista Alberti war ein italienischer Humanist, Schriftsteller, Mathematiker, Kunst- und Architekturtheoretiker sowie Architekt und Medailleur der Frührenaissance.

Alberti gehört zu den erstaunlichsten und widersprüchlichsten Gestalten der italienischen Renaissance. Begabt mit außergewöhnlich vielen Talenten trat er als Autor von diversen Fachbüchern, kunsttheoretischen Traktaten, mathematischen Abhandlungen sowie von Büchern über gesellschaftliche Themen wie "Della famiglia“ oder von großangelegten Satiren wie „Momus“ hervor. Darüber hinaus beherrschte er alle sieben „artes liberales“Einzigartig in seiner Zeit aber wurde er als Theoretiker der Malerei, Skulptur und Architektur.

Als Kleriker und langjähriger Angestellter der päpstlichen Kanzlei entwickelte er sich darüber hinaus durch sein theoretisches und praktisches Studium der römischen Antike und durch seinen Zugang zu den führenden Humanistenkreisen des 15. Jahrhunderts zum größten Fachmann seiner Zeit für die antike Baukunst.

In seinem umfangreichen Werk Über die Familie schreibt er über die Ökonomie des familiären Haushalts, über die Ehe, die Kindererziehung und über die Freundschaft. Seine Methode zur Verschlüsselung von Texten wurde über mehrere Jahrhunderte nicht verbessert, und sein Orgelspiel im Dom von Florenz wurde allgemein gelobt. Allein in der Kunst der Malerei soll er, wie Giorgio Vasari bemängelt, kein Meister gewesen sein.

1432 wurde er Sekretär von Blasius Molin, dem Patriarchen von Grado und erhielt zusätzlich die Stelle eines Abbreviators an der päpstlichen Kurie in Rom. Aufgabe eines Abbreviators war es, Schriftstücke, die für den päpstlichen Geschäftsgang benötigt wurden, zu entwerfen. In dieser Zeit verfasste Alberti auch sein erstes literarisches Hauptwerk in italienischer Sprache, die drei Bücher "Della famiglia". Themen waren das Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen, die Familie und die Hauswirtschaft.

1434 begleitete er Papst Eugen IV. ins Exil nach Florenz. Er begründete oder erneuerte seine Freundschaft mit den Florentiner Künstlern Brunelleschi, Donatello, Ghiberti und anderen und verfasste bald darauf seine berühmten kunsttheoretischen Traktate "De Statua" und "De pictura". In dieser Zeit malte er auch selbst und legte sich seinen zweiten Vornamen Leo oder Leone zu. 1438 nahm er als Mitglied der päpstlichen Delegation am Konzil von Ferrara teil. In Ferrara lernte er Leonello d’Este kennen und bemühte sich dort um eine Anstellung als Höfling. Außerdem beriet er ihn in künstlerischen Angelegenheiten. 1443 kehrte er zusammen mit Papst Eugen IV. nach Rom zurück und begann seine Studien der baulichen Überreste der Antike. In dieser Zeit verfasste er eine kartographische Aufnahme Roms, "Descriptio urbis Romae". 1447 erhielt er von Kardinal Prospero Colonna den Auftrag, zwei römische Schiffe vom Grund des Nemisees zu bergen, der Versuch blieb jedoch erfolglos.

1447 bestieg mit Tommaso Parentucelli ein führender Humanist als Nikolaus V. den päpstlichen Thron. Nikolaus begann neben dem Aufbau der vatikanischen Bibliothek sofort mit einer umfangreichen Bautätigkeit. Eine Mitarbeit Albertis an den päpstlichen Maßnahmen zur Verschönerung und Erneuerung Roms ist jedoch nicht nachgewiesen, obwohl er dem Papst 1452 sein inzwischen weitgehend fertig gestelltes Werk über das Bauwesen "De re aedificatoria" präsentierte. Belegt ist hingegen in dieser Zeit (ab ca. 1452) sein Entwurf für die neue Fassade von San Francesco in Rimini, den so genannten "Tempio Malatesta". Zwischen 1455 und 1458 fertigte er Entwürfe für die Fassade von Santa Maria Novella in Florenz und für den Palazzo Rucellai, beides im Auftrag des Kaufmanns Giovanni Rucellai. 1459 hielt er sich in Begleitung von Papst Pius II. in Mantua auf und machte die Bekanntschaft des Markgrafen Luigi Gonzaga. Dieser beauftragte ihn 1460 mit dem Entwurf für die Kirche San Sebastiano, die zu seinen Lebzeiten ein Torso blieb und später vielfach umgebaut wurde.

1470 wurde er mit der Planung der Kirche Sant’Andrea betraut, deren Grundsteinlegung am 12. Juni 1472 er nicht mehr miterlebte. Alberti starb am 25. April 1472 in Rom, in seinen letzten Jahren gesuchter Gesprächspartner der Herrscher und Fürsten Oberitaliens, hoch angesehen bei den jungen Humanisten der platonischen Akademie in Florenz und weithin geschätzt und gefragt als Mathematiker, Ingenieur und Fachmann für Architektur.

In seinen kunsttheoretischen Schriften strebt Alberti danach, die von ihm beobachtete, in seiner Zeit übliche künstlerische Praxis zu verändern, nämlich die Unwissenheit (ignorantia) der Künstler zu beseitigen und Vernunft und Erkenntnis zu notwendigen Grundlagen der Kunst zu erklären. Sein Verdienst liegt auch darin, dem Diskurs über Kunst eine Sprache und eine rationale und literarische Grundlage gegeben zu haben.

Ziel des Traktats über die Malkunst ist weder eine Geschichte der Malerei noch eine handwerkliche Anleitung in der Art des Cennino Cennini, vielmehr soll die Malerei auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden. Im ersten Buch geht es um die Geometrie des Euklid, die Optik und deren Anwendung in der perspektivischen Malerei. Für Alberti ist der Körper, in der Antike definiert durch Teilbarkeit nach Länge, Breite und Tiefe, ein Gegenstand, der unter sichtbaren Oberflächen verborgen ist, oder was von der Oberfläche bedeckt ist, an denen unser Sehen an eine Grenze stößt. Folgerichtig hat er sich mit dem Problem des Sehens zu beschäftigen.

Die Beweglichkeit des Sehens ist nur schwer mit der starren Sehpyramide, dem in seiner Zeit üblichen optischen Modell für den Sehvorgang, in Einklang zu bringen. Das führt ihn zu einer Neudefinition des Bildes als einer der möglichen Schnittebenen durch die Sehpyramide und deren Projektion, die er Fenster nennt. Mit seinen Ausführungen beschreibt er die theoretischen Grundlagen perspektivischer Darstellung. Praktische Hilfsmittel für den Maler sind das Fadengitter oder velum und der Guckkasten, die camera ottica. In der Übertragung der Dreidimensionalität der Welt in die Zweidimensionalität der Bildfläche sah er eine Demonstration der Macht des menschlichen Geistes. Eine genaue mathematische Beschreibung perspektivischer Darstellung liefert allerdings erst Piero della Francesca in seinem Buch De Prospettiva Pigendi um 1470.

Im zweiten und dritten Buch geht es um die handwerklichen und geistigen Fähigkeiten des Malers. Mit ingenium bezeichnet Alberti die schöpferischen und geistigen Fähigkeiten der Erfindung (inventio), der Urteilskraft und des Auswahlvermögens (iudicium) sowie die Angemessenheit in Bezug auf den ausgewählten Gegenstand (aptum): Diese Begriffe sind aus der antiken Rhetorik entlehnt und werden hier als kunsttheoretische Begriffe eingeführt. Das auszuführende Werk, das die bildliche Darstellung von handelnden und leidenden Personen umfasst, die historia, ist durch sorgfältige Studien vorzubereiten. Der Begriff historia ist bei ihm allgemeiner gefasst, erst später wurde die Bedeutung auf die Historienmalerei eingeschränkt.

Oberstes Ziel der Malkunst ist die Wirkung des Gemäldes auf den Betrachter. Die anschauliche Darstellung von Affekten soll im Betrachter bestimmte Gemütsbewegungen, Stimmungen, sinnliche Empfindungen und geistige Erkenntnisse anregen bzw. auslösen. Unerschöpfliche Quelle und Vorbild für den Künstler ist die Natur. Zum Studium der Natur müssen aber notwendigerweise Tugenden, (virtus), wie Fleiß, Geschicklichkeit sowie Willenskraft und Ausdauer des Künstlers kommen, um ein vollkommenes Werk zu schaffen.

De Statua ist keine – wie man dem Titel nach annehmen könnte – „Abhandlung über die Skulptur oder die Plastik, sondern ein Vorschlag zur Lösung einiger Probleme wie der Messung von Längen und Durchmessern von Körpern und Statuen, der proportionalen Vergrößerung bzw. Verkleinerung eines Modells und der idealen Proportionen des menschlichen Körpers. Alberti unterscheidet dabei die drei Bereiche: Bildner (fictores), die aus Lehm oder Ton Figuren aufbauen oder Material hinzufügen, Bildhauer (sculptores), die Material entfernen, um die Figur zu erzeugen, und schließlich z.B. Gold- oder Silberschmiede (argentarii), die Hohlformen aus geschmiedetem Metall erzeugen. Für die Zwecke der Vermessung entwickelt Alberti drei Instrumente: die Hexempeda, eine proportionale Messlatte, die Normae zur Ermittlung von Durchmessern, und das Finitorium, ein kompliziertes Gerät mit einer runden, in Grade eingeteilten Scheibe plus beweglichem Zeiger, die auf dem Kopf der auszumessenden Figur befestigt wurde. Mit diesem Gerät konnte er die Koordinaten eines jeden Punktes im Raum oder an der Figur bestimmen und in einer Tabelle festhalten. Die Proportionstabelle des menschlichen Körpers am Ende von "De Statua" (Tabulae dimensionum hominis) berücksichtigt neben Länge und Breite des Körpers und seiner Teile auch deren dritte Dimension.

Albertis groß angelegtes Lehrbuch über das Bauwesen entstand wahrscheinlich zwischen 1443 und 1452 in Rom, eventuell auf Anregung des Fürsten von Ferrara, Leonello d’Este. In klassischem Latein geschrieben, richtete es sich nicht an Architekten, sondern vorrangig an gebildete Bauherren und an die akademische Welt der Humanisten. Im Mittelpunkt des Werkes steht die Architektur der römischen Antike, die Alberti als Vorbild und Anregung für seine Gegenwart ansah. Dabei ist sein archäologisch-denkmalpflegerischer Ansatz, der eine untergegangene Epoche rekonstruieren und vor dem gänzlichen Verfall retten wollte, von seinem idealistischen Ansatz, der diese in sich abgeschlossene Periode der römischen Antike mit neuem Leben füllen und für seine Gegenwart fruchtbar machen wollte, zu unterscheiden.

Alberti orientiert sich zunächst stark an dem einzigen aus der Antike überlieferten Werk über Architektur, Vitruvs De architectura libri decem aus der Zeit um 30 – 20 vor Chr. Er übernimmt nicht nur die Anzahl der Bücher (zehn), sondern auch Teile des Stoffes aus den Bereichen Baustoffkunde, Baukonstruktion, Gebäudetypologie und aus dem ganzen Komplex der Tempelformen und Säulenordnungen. Außerdem legt er der Großgliederung seines Traktats (genauer: den Büchern II-IX) die berühmten Vitruvschen Kategorien firmitas (Festigkeit), utilitas (Nützlichkeit) und venustas (Schönheit) zugrunde. Folgerichtig behandeln die Bücher II und III die Themen Baustoffkunde (De materia und Baukonstruktion (De opere), die Bücher IV und V die typologischen Beschreibungen sowohl der öffentlichen Anlagen (De universorum opere) wie auch der einzelnen sakralen, öffentlichen und privaten Gebäude (De singulorum opere), während es in den Büchern VI-IX um den Schmuck im Allgemeinen (De ornamento) wie auch um den Schmuck der Tempel und Basiliken, der sonstigen öffentlichen Gebäude und der Privathäuser geht. Das Buch I handelt von der Planung allgemein (De lineamentis), das Buch X von der Instandsetzung der Gebäude (Qui operum instauratio inscribitur).

Während Alberti jedoch in den Fragen der antiken Baupraxis weitgehend von Vitruv und anderen Autoren abhängig bleibt, löst er sich auf dem Gebiet der Architekturtheorie fast vollständig von seinem antiken Vorgänger. Z.B. verändert er die erforderliche Qualifikation des Architekten, die sich bei Vitruv noch gleichrangig aus handwerklicher Praxis (fabrica) und theoretischen Kenntnissen (ratiocinatio) zusammensetzte, zu Gunsten des reinen Planers, der sich für die Arbeit vor Ort eines Bauleiters bedient. Auch die sechs zentralen Vitruvschen Grundbegriffe ordinatio, dispositio, eurythmia, symmetria, decor und distributio ersetzt er vollständig durch seine eigenen sechs Kategorien regio, area, partitio, paries, tectum, apertio (Gegend, Grundstück, Einteilung, Wand, Dach und Öffnung).

Vor allem aber beschreitet er auf dem Gebiet der ästhetischen Theorie Neuland, indem er weit über Vitruvs Ausgangsthese vom „Wegnehmen“ und „Hinzufügen“, das bewirkt, das ein Gebäude „gehörig gestaltet zu sein scheint und beim Anblick nichts vermisst wird“, hinausgeht und zu einer umfassenden Definition der Schönheit voranschreitet: „Die Schönheit ist eine Art Übereinstimmung (consensus) und Einklang (conspiratio) der zugehörigen Teile in Bezug auf eine bestimmte Anzahl (numerus), Beziehung (finitio) und Anordnung (collocatio), so wie es die Harmonie (concinnitas), das vollkommene und ursprüngliche Naturgesetz, verlangt.“

Auffallend an der Architekturtheorie Albertis ist vor allem ihre erstaunliche Modernität. Ob es um die neue Rolle des Architekten als reiner Planer mit eigenem, nicht mehr handwerklich geprägtem Ausbildungsgang geht oder um das neue Bild der Stadt mit seiner Gleichrangigkeit von Öffentlichem Raum und Gebäuden; ob es die originelle Skelettbautheorie und das Konzept von Knochen und Haut, Skelett und Hülle ist oder die Relativierung des Schönheitsbegriffs und das Einbeziehen der subjektiven Wahrnehmung in die ästhetische Diskussion – immer weisen die Konzepte weit in die Zukunft, im mindesten Fall dreihundert Jahre bis über den Absolutismus hinaus in das Zeitalter der Aufklärung, im weitesten Fall bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein. Damit ist "De re aedificatoria" nicht nur die erste Abhandlung der Neuzeit über das Bauwesen, sondern bleibt auch über einen langen Zeitraum hinweg die bedeutendste Schrift zur Architekturtheorie.

Für den reichen Florentiner Kaufmann Giovanni Rucellai entwarf Alberti die Fassade der Gebäude an der Via della Vigna, die mehrheitlich im Besitz der Familie waren. Die Rucellai, die durch großen Reichtum und die Heirat mit einer Medici in die höchste Florentiner Gesellschaft aufgestiegen waren, sollten angemessen repräsentiert werden. Zu dem städtebaulichen Komplex gehören der Palast, die Loggia und die Piazza.

Insgesamt acht kleinere Gebäude wurden zu einem repräsentativen Palast mit zunächst fünf, später sieben Achsen zusammengefasst. Laut Vasari entwarf Alberti die Fassade und wendete bei ihrer Gliederung zum ersten Mal in der neueren Architekturgeschichte die Fassadeneinteilung des römischen Theaters mittels übereinander gestellter Säulenordnungen an. Die Fassade aus feiner Rustika wird durch flache Pilaster und Gebälkstreifen gegliedert, die Kapitelle der Pilaster orientieren sich im Erdgeschoss an der dorischen, im ersten Obergeschoss an der ionischen, im zweiten Obergeschoss an der korinthischen Ordnung. Bauleiter war vielleicht Bernardo Rossellino, der auch als Architekt des Innenausbaus vermutet wird.

Die einzige Quelle dafür, dass der Entwurf von Alberti stammt, ist die Aussage von Vasari. Das am Heiligen Grab in Jerusalem orientierte Grabmal ist mit Marmorfeldern verkleidet und wird durch korinthische Pilaster gegliedert. Zwei Pilaster fassen jeweils drei Quadrate aus weißem Marmor ein, in die jeweils ein kreisförmiges Ornament eingelassen ist. Neben variierten Sternformen enthalten diese Tondi die Embleme der Medici und der Rucellai.

Die 1278 begonnene gotische Kirche der Dominikaner wurde 1420 geweiht. Die Fassade mit geometrischen Inkrustationen aus grünem und weißem Marmor blieb bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts unvollendet. Laut Vasari lieferte Alberti für Rucellai einen Entwurf zur Vollendung der Fassade. Bauleiter war Giovanni Bettino.

Alberti hatte bei seinem Entwurf die Gliederung des Erdgeschosses, das große Rundfenster im ersten Obergeschoss der Basilika sowie die Pultdächer der Seitenschiffe zu berücksichtigen. Unter Respektierung der vorhandenen Teile entwickelte er die alte Konzeption in seinem Sinne weiter. Die neuen Partien wurden regelmäßiger und großzügiger angelegt, die geometrischen Linien klarer herausgearbeitet. Dreiviertelsäulen als Rahmung des Portals und der Gebäudeecken sowie kolossale Pilaster an den Seiten der Fassade geben dem Erdgeschoss eine geschlossene Form. Darüber hinaus wird das Erdgeschoss durch eine hohe Attikazone über dem Gebälk zusammengefasst. Der durch flache Pilaster gegliederte Aufsatz im Obergeschoss fasst den Okulus ein und wird durch einen klassischen Tempelgiebel bekrönt. Die für Santa Maria Novella gefundene Lösung, die Pultdächer der Seitenschiffe durch zwei Voluten abzudecken, wurde in der Folge von vielen Architekten, vor allem im Barock, nachgeahmt.

Von Sigismondo Malatesta erhielt Alberti den Auftrag einer externen Umgestaltung von S. Francesco (seit dem 19. Jh. Dom) von Rimini zu einer angemessenen Grabstätte für ihn und seine dritte Frau Isotta degli Atti. San Francesco war seit 1312 die Grablege der Malatesta. 1452 entwarf Alberti für die Kirche eine neue Fassadenverkleidung aus Marmor, die den Bau an drei Seiten umschließt. Die Frontfassade zeigt eine freie Interpretation des römischen Triumphbogenmotivs, wahrscheinlich inspiriert vom nahegelegenen Augustusbogen in Rimini.

Die Seiten wurden als Arkaden ausgebildet, deren Bogenöffnungen Sarkophage enthielten. Alberti lieferte für den Bau nur Pläne und ein Modell und gab schriftliche Anweisungen von Rom aus. Ausgeführt wurde das Projekt von den Baumeistern Matteo de'Pasti und Agostino di Duccio. Die Fassade blieb unvollendet, ihr geplantes Aussehen lässt sich nur skizzenhaft an einer Medaille erkennen, die zum Anlass des Baubeginns geprägt wurde.

Von besonderer Bedeutung für die Architekturgeschichte sind die für Ludovico Gonzaga in Mantua erbauten Kirchen San Sebastiano und Sant'Andrea, die den Kirchenbau revolutionierten. Es sind die einzigen Bauten, die Alberti vollständig entworfen hat. Sie wurden beide zu seinen Lebzeiten nicht vollendet, Sant'Andrea erst kurz nach seinem Tode begonnen. Bei beiden Bauten geht Alberti frei und schöpferisch mit den antiken Vorgaben um.

San Sebastiano ist ein Zentralbau auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes. Der Bau besitzt einen ungewöhnlich hohen Sockel (eventuell wegen Gründungs- und Feuchtigkeitsproblemen), die Fassade wird durch Pilaster gegliedert und mit einem Tempelgiebel abgeschlossen. Der Bau wurde in der Folge mehrfach verändert, so dass das ursprüngliche Konzept Albertis nicht mehr genau zu ermitteln ist.

In Sant'Andrea ersetzt Alberti die Seitenschiffe des normalen Basilikagrundrisses durch eine Reihe von Kapellen, eine für den Kirchenbau der Spätrenaissance und des Barock folgenreiche Erneuerung. In der Fassade kombiniert er die antike Tempelfront mit einem Triumphbogenmotiv mit flachen Pilastern anstelle der sonst üblichen Säulen oder Halbsäulen.

Alberti orientierte sich offenbar auch an einem biblischen Text, wo im ersten Buch Könige ( 6,7 ) der Salomonische Tempelbau beschrieben wird, dessen Proportionen von Länge, Breite und Höhe er aufnimmt. Die endgültige Fertigstellung von Sant' Andrea währte rund 300 Jahre, mit starken Veränderungen im Entwurf und Konzept. Bei Alberti war die Kirche noch auf das Hauptschiff und die Seitenkapellen begrenzt. Später wurden eine Vierung, die mit einer Kuppel gekrönt wird, ferner ein Chor und zwei Konchen angehängt.

Alberti schuf die architektonischen Voraussetzungen für die Weiterentwicklung in Italien. Im 15. Jahrhundert wurden die verschiedenen Höfe in Italien zu Zentren, die für die Ausbreitung der Renaissance-Philosophie, Kunst und Architektur sorgten. In Mantua entwarf Alberti zwei bedeutende Kirchenbauten für die Familie Gonzaga: Sant Andrea und San Sebastiano. Urbino war ein Machtzentrum, weithin sichtbar mit dem neuen Herzogspalast. In Ferrara, unter der Familie Este, entstanden mehrere neue Paläste wie der Palazzo die Diamati und der Palazzo Schifanoia für Borso d’Este. In Mailand schufen die Visconti die Certosa di Pavia, ehe sie von den Sforza vertrieben wurden, die das Castello Sforzesco errichten ließen.

In Venedig erhielt San Zaccaria seine Renaissancefassade unter der Leitung von Antonio Gambello und Mauro Codussi, begonnen um 1480. Giovanni Maria Falconetto, der Veroneser Architekt und Bildhauer, führte die Renaissance-Architektur in Padua mit der Loggia Cornaro im Garten von Alvis Cornaro  ein. In Süditalien rief Alfons V. von Aragon, nachdem er das Königreich Neapel eroberte, Renaissancebaumeister zu sich. Die bedeutendsten Beispiele der Renaissance-Architektur sind die Cappella Caracciolo, Bramante gewidmet, und der Palazzo Orsini di Gravina, erbaut von Gabriele d’Angelo zwischen 1513 und 1549.

Im ausgehenden 15. und dem frühen 16. Jahrhundert zeigen Architekten wie Bramante, Antonio da Sangallo der Jüngere und andere ihre Meisterschaft darin, den neuen Stil für Kirchen und Stadtpaläste anzuwenden, die sich von ähnlichen Bauwerken der altrömischen Zeit deutlich unterschieden. Der Stil wurde dekorativer, mit aufwändigen Ornamenten versehen, Kuppeln wurden bedeutsam. Diese Phase, als Hochrenaissance bezeichnet, fiel mit dem Wirken so bedeutender Künstler wie Leonardo, Michelangelo und Raphael zusammen.

Bramantes bedeutendstes Werk in Mailand ist der Anbau der Vierung, des Chors und des Querhauses für die Abteikirche Santa Maria delle Grazie. Der Backsteinbau folgt ganz der Tradition Norditaliens und wurde 1465 als gotischer Bau begonnen. Bramante beendete ihn 1492 im Renaissancestil. Die Bauteile, die Bramante zugeschrieben werden können (in der Literatur teilweise strittig), sind die Kuppel mit seinem Durchmesser von gut 20 Metern, das Eingangsportal und der Chorraum. Die Kuppel erscheint von außen als Kreis und von innen als ein oktogonales Gewölbe.

In Rom schuf Bramante mit dem Tempietto für das Kloster San Pietro in Montorio die „Vollendung der Renaissance“. Dieser kleine, kreisrunde Bau misst kaum fünf Meter im Durchmesser und ist ein meisterhaftes Spiel mit der Perspektive. Es war das Bauwerk, welches Papst Julius bewog, Bramante mit dem Neubau des Petersdoms zu beauftragen. Bramante gewann den Wettbewerb für den Petersdom und musste sich namhafter Konkurrenz erwehren. Er plante, ähnlich wie Alberti mit San Andrea, ein Langhaus. Seine Nachfolger veränderten seinen Entwurf mehrfach.

Antonio da Sangallo folgte Raphael nach dessen Tod als Bauleiter von St. Peter. Während seiner Baumeistertätigkeit gelangen nur geringe Fortschritte, zu oft hinderten Geldmangel oder langwierige und dann doch nicht realisierte Umplanungen den Weiterbau. Nach seinem Tod folgte ihm Michelangelo.

Sein Ruhm rührte nicht von St. Peter, sondern eher von seinem Entwurf für den Palazzo Farnese her. Es diente als Vorbild für viele spätere Palastbauten. Es ist proportional ausgewogen, aber inwieweit Michelangelo, der das oberste Stockwerk mit dem dominanten Dachgesims hinzufügte, dazu beitrug, bleibt offen. Die einfache Reihung der Fenster mit dem Wechsel von dreieckigen und runden Giebeln im Piano Nobile (1. Obergeschoss) betonen das Hauptgeschoss, vor dem die beiden anderen zurücktreten.

Zu den Wortführern der humanistischen Bewegung in Deutschland zählten damals die Historiker Johannes Aventinus (1477–1534) und Jakob Wimpheling (1450–1528), der Philosoph, Gräzist Johannes Reuchlin (1455–1522) und der Publizist Ulrich von Hutten (1488–1523). Ulrich von Hutten war der profilierteste Repräsentant eines kämpferischen politischen Humanismus; er verband humanistische Gelehrsamkeit mit patriotischen Zielen und einem kulturpolitischen Nationalismus. In der nächsten Generation nahm der Gräzist und Bildungsreformer Philipp Melanchton (1497–1560) eine überragende Stellung ein; er wurde Praeceptor Germaniae („Lehrmeister Deutschlands“) genannt. Als Wissenschaftsorganisator prägte er die Schul- und Universitätsorganisation im protestantischen Raum nachhaltig, als Verfasser von Schul- und Studienbüchern wurde er für die Didaktik wegweisend. Er beeinflusste Martin Luther im Sinne humanistischer Werte.

In Frankreich verbrachte Petrarca einen großen Teil seines Lebens. Seine Polemik gegen die französische Kultur, die er für minderwertig hielt, rief heftigen Protest französischer Gelehrter hervor. Petrarca stellte fest, es gebe außerhalb Italiens – also insbesondere in Frankreich – keine Redner und Dichter, also keine Bildung im humanistischen Sinne. Tatsächlich fasste der Humanismus in Frankreich erst ab dem späten 14. Jahrhundert Fuß. Ein herausragender Pionier war Nikolaus von Clamanges († 1437), der ab 1381 am College de Navarre Rhetorik unterrichtete und großen Ruhm gewann. Er war der einzige bedeutende Stilist seiner Zeit in Frankreich. In seinen späteren Jahren distanzierte er sich allerdings vom Humanismus. Nachhaltiger verinnerlichte sein Zeitgenosse Jean de Montreuil (1354–1418) die humanistischen Ideale.

Die Wirren des Hundertjährigen Krieges hemmten die Entfaltung des Humanismus, nach dem Ende der Kämpfe blühte er ab der Mitte des 15. Jahrhunderts auf. Den Hauptbeitrag leistete zunächst der Rhetoriklehrer Fichet, der in Paris die erste Druckerei einrichtete und 1471 ein Rhetoriklehrbuch veröffentlichte. Fichets Schüler Robert Gaguin († 1501) setzte das Werk seines Lehrers fort und löste ihn als führender Kopf des Pariser Humanismus ab. Viele italienische Humanisten, die sich zeitweilig in Paris aufhielten, gaben wesentliche Impulse. Janos Laskaris († 1534), ein griechischer Humanist, führte in Frankreich die neuplatonisch orientierte Strömung des italienischen Humanismus ein und vermittelte den französischen Humanisten Griechischkenntnisse.

Einen Aufschwung nahm die Altertumswissenschaft in Frankreich durch die Bemühungen von Jacques Lefèvre d’Étaples (lateinisch Jacobus Faber Stapulensis, † 1536), der unter anderem mit Textausgaben, Übersetzungen und Kommentaren maßgeblich zur Kenntnis und Erforschung der Werke des Aristoteles beitrug. Er trieb auch philologische Bibelstudien, die ihm die erbitterte Feindschaft der Pariser Theologen eintrugen. Ein bedeutender Altertumswissenschaftler war auch Guillaume Budé (1468–1540), der sich als Gräzist und als Organisator des französischen Humanismus große Verdienste erwarb. Wegweisend waren seine Forschungen zum römischen Recht und sein Werk De asse et partibus eius („Über das As und seine Teile“, 1515), eine Untersuchung des Münzwesens und der Maßeinheiten der Antike und zugleich der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Budé war Sekretär der Könige Karl VIII. und Franz I. und nutzte sein Amt zur Förderung des Humanismus. Als Leiter der Königlichen Bibliothek, die später zur Nationalbibliothek wurde, trieb er deren Ausbau voran. Vor allem auf seine Initiative ging die Gründung des Collège Royal (des späteren Collège de France) zurück, das zu einem bedeutenden Zentrum des Humanismus wurde. Das Collège Royal bildete einen Gegenpol zur antihumanistischen Strömung an der Pariser Universität, deren Vertreter konservative Theologen waren. Unter den literarisch tätigen Humanisten ragte der Dichter und Schriftsteller Jean Lemaire de Belges hervor, der sich von der italienischen Renaissance-Dichtung anregen ließ. Politisch und kulturell nahm er ebenso wie Budé und viele andere französische Humanisten eine nationalistische Haltung ein.

Clément Marot war ein französischer Dichter. Er gilt als der bedeutendste französische Lyriker der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Clément Marot wurde geboren als Sohn des Kaufmanns und angesehenen Dichters Jean Marot. Sein Vater stammte aus der Normandie, seine Mutter aus Cahors in Südfrankreich. Hier verbrachte er seine Kindheit, wobei er zweisprachig aufwuchs, d.h. französisch und vor allem okzitanisch. 1506 zog die Familie nach Paris, denn der Vater hatte einen Sekretärsposten im Dienst von Königin Anna von Bretagne erhalten. (Später wurde er zum Kammerdiener bei ihrem Gatten Ludwig XII. befördert und nach dessen Tod 1515 vom neuen König Franz I. übernommen.) Durch seinen Vater erhielt der junge Marot früh Kontakt zum Hof und bekam eine Stelle als Page bei einem hochrangigen Adeligen, der ihn auch weiterhin protegierte und ihm etwas später einen Schreiberposten in der Chancellerie (quasi beim Justizminister) verschaffte. Eine solide Schulbildung genoss Marot offenbar nicht, doch lernte er Latein sowie Italienisch und eignete sich eine gewisse klassische Bildung an.

Ab ca. 1511 dichtete er, angeleitet vom Vater und von dessen Dichter- und Sekretärskollegen Jean Lemaire de Belges. Daneben schulte er seine Feder mit Übertragungen von Texten Vergils und Lukians. 1514 trat er erstmals an die Öffentlichkeit mit der Versepistel (épître) Le Temple de Cupido, die er verfasst hatte zur Hochzeit von Claude de France, der älteren Tochter Ludwigs XII., und ihres Cousins Franz von Angoulême, der aufgrund des Fehlens eines direkten männlichen Thronerben engster Anwärter auf die französische Krone war. Im selben Jahr wurde auch ein erstes Werk gedruckt, die Épître de Maguelonne.

Nachdem Franz seinem Schwiegervater schon 1515 auf dem Thron gefolgt war, schaffte es Marot, ihm, dem nur zwei Jahre Älteren, mit weiteren Gedichten zu gefallen und seine Sympathie zu gewinnen, z.B. einer witzigen Petite épître au Roi. 1519 empfahl ihn Franz seiner älteren Schwester, Margarete von Angoulême, die ihn als Kammerdiener und Sekretär in ihre Dienste aufnahm.

Dies hinderte Marot nicht, Franz 1521 und 22 auf Feldzügen gegen Kaiser Karl V. in Flandern und im Hennegau zu begleiten. Meist jedoch lebte er als vom König geschätzter Dichter und Unterhalter am Hof in Paris. Hier verfasste er zu den verschiedensten Anlässen und Gelegenheiten Texte in allen lyrischen Gattungen der Zeit. Eine Spezialität dieser frühen Schaffensphase waren, neben Vers-Episteln, kürzere Gedichte zum Thema Liebe, insbesondere Rondeaus und Chansons. Seine Texte verbreitete er in der Regel zunächst durch Lesung oder Vortrag vor seinem Zielpublikum, doch kursierten meistens rasch auch Abschriften Dritter.

Unter dem Einfluss Margaretes und ihrer Umgebung öffnete Marot sich dem reformatorischen Gedankengut Martin Luthers, das sich um 1520 als „Evangelismus“ auch in Frankreich zu verbreiten begann. Dies, aber vermutlich auch ein etwas lockerer Lebenswandel und eine spöttische Zunge, trug ihm Anfeindungen und bald auch Probleme ein. Offensichtlich erzürnte er die konservativen Richter des Pariser Obersten Gerichts, des Parlements, und die orthodoxen Theologen der Sorbonne.

Als 1525 König Franz bei der Schlacht von Pavia in die Gefangenschaft von Kaiser Karl geraten war und seine Schwester Margarete zu Freilassungsverhandlungen nach Madrid gereist war, wurde Marot von einer rachsüchtigen Frau beschuldigt, er habe in der Fastenzeit Speck gegessen. Seine Feinde und Neider nutzten die Abwesenheit seiner fürstlichen Gönner, ihn im Februar 1526 inhaftieren und im berüchtigten Pariser Stadtgefängnis Le Châtelet einkerkern zu lassen. Dank der Fürbitte eines Freundes schaltete sich jedoch der Bischof von Chartres ein und ließ ihn in sein eigenes, humaneres Gefängnis überstellen. Im Mai kam Marot durch einen Gnadenerlass des soeben zurückgekehrten Königs frei. Seine misslichen Erlebnisse im Châtelet schilderte er sehr realistisch und mit bissigem Humor in einer Epistel mit dem sprechenden Titel L’Enfer (Die Hölle). Er veröffentlichte sie aber vorsichtshalber nicht, weil sie allzu leicht als Attacke auf die Pariser Justiz und deren Gehilfen verstanden werden konnte.

Ebenfalls 1526 wurde Marot zum Nachfolger seines kürzlich verstorbenen Vaters Jean im Kammerdieneramt ernannt. Als er 1527 er erneut im Kerker landete, weil er einem von der Polizei festgenommenen Bekannten zur Flucht verholfen hatte, befreite ihn König Franz umgehend selbst. Die betreffende Anordnung und der vorangehende Hilferuf Marots in Gedichtform sind erhalten, ebenso ein humorvolles Dankgedicht.

Die Jahre nach 1526 waren sehr fruchtbar für Marot, zunächst auch dank seiner Verliebtheit in Anne d’Alençon, eine junge Nichte von Margaretes erstem Gatten, die ihn zu vielen Gedichten, insbesondere Rondeaus und Chansons, inspirierte. Vor allem jedoch fungierte er wie schon vorher als Hofdichter mit Gelegenheitsgedichten aller Art und zu allen möglichen Anlässen, wobei er u.a. die Gattung Epigramm entwickelte, d.h. witzige, oft bissige, einstrophige Texte. Finanziell ging es ihm ebenfalls gut, so dass er 1529 (?) heiraten konnte und angeblich seine bald vorhandenen drei Kinder täglich dankbar für den König beten ließ.

Nachdem 1531 eine erste Sammlung seiner Gedichte als Raubdruck in Lyon erschienen war, gab Marot 1532 unter dem etwas burschikosen Titel L'Adolescence (= Jugendzeit) clémentine erstmals selber einen Sammelband heraus, dem er 1534 eine Suite (= Fortsetzung) de l'adolescence clémentine folgen ließ.

Schon um 1525 hatte er die Idee gehabt, nach quasi humanistischen Editionsprinzipien Werke der älteren französischen Literatur gedruckt herauszugeben. So hatte er 1526 den Roman de la rose (Rosenroman, 13. Jahrhundert) in leicht modernisierter Sprache ediert. 1533 ließ er eine Ausgabe der Dichtungen von François Villon (15. Jahrhundert) folgen.

Der Oktober 1534 brachte einen tiefen Einschnitt im Leben Marots. Er wurde in die Affaire des Placards verwickelt, eine Plakataktion protestantischer Aktivisten (vielleicht aber auch verkappter katholischer Scharfmacher), die bewirkte, dass König Franz seine bis dahin geübte religiöse Toleranz oder auch Gleichgültigkeit aufgab, Partei auf Seiten der konservativen Kräfte des Katholizismus bezog und einer scharfen Repression des Protestantismus freien Lauf gewährte, was zu einer Reihe von Ketzerprozessen vor dem Parlement und zahlreichen Todesurteilen und Hinrichtungen führte sowie eine erste Fluchtwelle auslöste (der z.B. auch Jean Calvin angehörte).

Als Marot erfuhr, dass er auf einer Liste Verdächtiger stand, floh auch er, zunächst zu Margarete nach Nérac im Béarn, das als Hauptort des kleinen Königreichs (Rest-) Navarra diente, dessen Titularkönig Henri d'Albret sie inzwischen geheiratet hatte. Nachdem er 1535 vom Pariser Parlement in Abwesenheit verurteilt worden war, ging er auf Anraten Margaretes nach Ferrara an den Hof der Herzogin Renée d'Este, der mit Luthers Lehren sympathisierenden jüngeren Tochter von Ludwig XII., die schon andere französische Flüchtlinge beherbergte

Von dort aus richtete er eine Bitt-Epistel an König Franz, worin er den Vorwurf, er sei „Luthériste“, zu entkräften versuchte und sich sarkastisch über seine Feinde in der Pariser Justiz und an der Sorbonne beklagte. Er bekam aber keine Antwort, so dass er eine weitere Epistel, nunmehr an den Dauphin (Kronprinz), verfasste.

Als er in Ferrara wenig später mit Duldung des Herzogs, der de jure Lehensmann des Papstes war, von der Inquisition bedrängt wurde, floh er 1536 weiter nach Venedig. Hier erreichte ihn 1537 die Nachricht, dass er amnestiert worden war, und er kehrte, nachdem er in Lyon dem Protestantismus abgeschworen und sich von Lyoneser Sympathisanten etwas feiern lassen hatte, nach Paris und zu seiner Familie zurück. Wieder aufgenommen am Hof wurde er dort zunächst in eine Fehde mit Gedichten verwickelt von einem alten Rivalen namens François de Sagon, der sich inzwischen als Platzhirsch betrachtete. Marot setzte sich jedoch durch und erreichte hiernach den Höhepunkt seiner Anerkennung.

1538 ließ er unter dem schlichten Titel Les Œuvres bei dem bekannten Drucker Étienne Dolet in Lyon eine erste Gesamtausgabe seiner Werke erscheinen. Im selben Jahr übertrug er Gedichte Francesco Petrarcas, darunter sechs Sonette.

1539 bekam er vom König ein Haus in Paris als Geschenk. Seine Stellung als bester Dichter seiner Zeit schien gesichert.

Schon 1533 hatte er einen Bibel-Psalm in Gedichtform übertragen. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil hatte er, auf Vorschlag des Königs, diese Arbeit wieder aufgenommen und fortgeführt. 1541 gab er das Ergebnis unter dem Titel Trente psaumes de David mis en français in Druck und durfte das Buch sogar Kaiser Karl widmen, der gerade während einer Kriegspause auf der Durchreise in Paris weilte.

Nachdem ihm die Trente Psaumes zunächst viel Lob eingebracht hatten als der erste gelungene Versuch einer künstlerisch adäquaten Nachdichtung der Psalmen in französischen Versen und Strophen, wurden sie 1542 auf Betreiben der Sorbonne überraschend verboten. Ein Grund war, dass soeben der inzwischen eindeutig proprotestantische Dolet ohne Genehmigung Marots dessen L’Enfer veröffentlicht hatte; ein anderer war der Umstand, dass der in Genf gerade an die Macht gelangte Reformator Calvin die Psalmen-Nachdichtung ebenfalls lobte und seinen Anhängern empfahl.

Marot floh einmal mehr aus Paris und ging nach Genf, wo er weitere 20 Psalmen übertrug, so dass er 1543 eine Neuauflage mit nunmehr 50 Psalmen herausbringen konnte. Kurz danach jedoch verließ er Genf, weil er Probleme mit Calvin und dessen fundamentalistisch strengem Regime bekam. Er zog weiter in das von französischen Truppen besetzte Herzogtum Savoyen, von wo aus er vergeblich Kontakt mit König Franz aufzunehmen versuchte. Nach kürzeren Aufenthalten in Annecy und Chambéry starb er 1544 verbittert in Turin. Kurz nach seinem Tod (dessen genaues Datum ebenso unbekannt ist wie das seiner Geburt) erschien eine Neuauflage der Œuvres.

Ob Marot auch komponierte, ist nicht bekannt, aber eher unwahrscheinlich. In seinem Epigramm An Maurice Scève schreibt er, dass dieser seine Singstimme gelobt und es bedauert habe, dass er sie nicht schule. Er habe aber keine Lust, "Musiker" zu werden und Noten zu lernen.

Marots literarhistorische Bedeutung liegt darin, dass er (im Sinne seiner beiden Lehrmeister) einerseits die reiche eigenständige französische lyrische Tradition mit ihrem vielfältigen Formenbestand weiterführte, sich andererseits aber als einer der ersten französischen Autoren auch an der zu dieser Zeit tonangebenden italienischen Lyrik inspirierte. Vielleicht war er es, der das Sonett in Frankreich einführte. Er pflegte insbesondere die Gattung Versepistel, wobei er oft sehr persönlich wirkende Passagen einflicht. Vor allem aber gilt er als ein erster Meister, wenn nicht sogar Erfinder der Kurzform Epigramm. Insgesamt verfasste er 65 Episteln, 80 Rondeaus, 15 Balladen, 300 Epigramme, 27 Elegien.

Viele seiner Gedichte, insbesondere der Elegien, Rondeaus und Chansons, gelten dem Thema Liebe (siehe als Beispiel das Huitain Epigramme de soy mesme), wobei er höchst kunstvoll, mal eher ernst, mal eher scherzhaft, die Begrifflichkeit und die Vorstellungswelt der überkommenen höfischen Lyrik aufnimmt und variiert.

Sein Markenzeichen, vor allem der Gedichte, die der leichteren Muse gelten, ist formale und stilistische Vielfalt bei gleichzeitiger Eleganz und spielerischer, oft verspielter Leichtigkeit des Ausdrucks: der sprichwörtlich gewordene "style marotique".

Die Beurteilung Marots in Frankreich war nicht immer frei von antiprotestantischen Motiven. Dennoch war seine Nachwirkung groß (allein im 16. Jahrhundert wurden die Œuvres weit über zweihundertmal neu aufgelegt), und er blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein ein von vielen Lesern und Autoren sehr geschätzter und gern pastichierter (spaßhaft nachgeahmter) Dichter, der als prototypisch galt für die vermeintlich guten alten Zeiten. Seine Cinquante psaumes wurden zum Kern des Genfer Psalters (Hugenottenpsalters).

Pierre de Ronsard war ein französischer Autor. Von den Zeitgenossen hochgeschätzt, danach lange vergessen, gilt er heute als der bedeutendste französische Lyriker der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Ronsard war der jüngere Sohn eines gebildeten und literarisch dilettierenden Adeligen, der sich als Offizier in den Italienkriegen der Könige Ludwig XII. und dann Franz I. hervorgetan hatte und von 1526 bis 1530, also während der frühen Kindheit Pierres, länger von seiner Familie getrennt war, weil er den beiden ältesten Söhnen von König Franz als Haushofmeister diente, während sie in Madrid von Kaiser Karl V. als Geiseln festgehalten wurden nach dessen Sieg in der Schlacht bei Pavia.

Nachdem er zunächst von seinem Vater unterrichtet worden war, wurde Ronsard mit neun Jahren aus dem ländlichen Schlösschen der Familie ins ferne Paris geschickt, um dort als Internatsschüler das Collège de Navarre zu besuchen. Schon nach sechs Monaten wurde er jedoch wieder heimgeholt. Mit zwölf Jahren kam er erneut in die Hauptstadt, diesmal an den Hof. Hier wurde er, sicher dank der Nähe seines Vaters zum König, Franz I. und zu dessen Söhnen, Page bei dem ältesten, François, dem Dauphin. Als dieser kurz darauf starb, wurde Ronsard dem dritten Königssohn, Charles, zugeordnet. Wenig später, im Sommer 1537, wurde er an die 17-jährige Tochter des Königs, Madeleine, weitergereicht, die soeben mit dem jungen schottischen König James Stuart verheiratet worden war. In ihrem Gefolge reiste er nach Schottland und blieb dort bis zu ihrem frühen Tod im Jahre 1538. Die Heimreise führte ihn auf dem Landweg durch England und Flandern. Mit vierzehn Jahren ging er zurück nach Paris, wo er wieder Page bei Charles wurde. 1539 reiste er erneut nach Schottland, diesmal im Gefolge der neuen Braut des Schottenkönigs, Marie de Guise.

1540 begleitete er den französischen Diplomaten Lazare de Baïf (1496–1547), einen Verwandten, auf einer dreimonatigen Reise ins westliche Deutschland, u.a. ins Elsass, wo jener Kontakt mit protestantischen deutschen Fürsten aufnehmen sollte, um sie als Bundesgenossen Frankreichs gegen Kaiser Karl V. zu gewinnen. Durch den hochgebildeten Lazare de Baïf kam Ronsard mit humanistischem Gedankengut in Berührung.

Er gab die bis dahin für ihn vorgesehene Offiziers- und/oder Höflings- und Diplomatenlaufbahn auf und kehrte nach Hause zurück. Dort las er insbesondere lateinische Literatur und übte seine Feder an französischen und lateinischen Versen sowie an Nachdichtungen von Texten der großen römischen Dichter Vergil und vor allem Horaz. 1543, mit 18, ließ er sich die niederen Weihen erteilen, um bei Gelegenheit eine der gut dotierten Kirchenpfründen besetzen zu können, über die die Könige ein Verfügungsrecht hatten und mit denen sie vorzugsweise jüngere Söhne adeliger Familien versorgten. Im selben Jahr zeigte Ronsard seine Nachdichtungen horazischer Oden dem bekannten Humanisten Jacques Peletier du Mans, der ihn ermutigte.

1545, sein Vater war kürzlich gestorben, ging er zurück nach Paris. Hier fand er Aufnahme bei Lazare de Baïf und nahm teil an dem Unterricht, den dessen (gut sieben Jahre jüngerer) Sohn Jean-Antoine von einem Hauslehrer erhielt, dem jungen Gräzisten Jean Dorat. Beide Schüler folgten Dorat, als er 1547 Direktor des humanistisch ausgerichteten Collège de Coqueret wurde. Ronsard mietete sich sogar bei ihm ein und begann unter seinem Einfluss, Oden auch des altgriechischen Autors Pindar nachzudichten.

Vielleicht schon 1543, bei einer Beerdigung, hatte er den wenig älteren Joachim du Bellay kennengelernt, der ähnliche Interessen verfolgte. Ende 1547 traf er ihn auf einer Reise wieder und bewog ihn, ebenfalls nach Paris zu kommen, um bei Dorat in die Schule zu gehen. Zweifellos war Ronsard als Diskussionspartner beteiligt an der Konzeption von Du Bellays programmatischer Schrift La Défence et illustration de la langue française (deutsch: Verteidigung und Berühmtmachung der französischen Sprache), die Anfang 1549 erschien.

Im selben Jahr 1549 schloss er sich mit Du Bellay, Jean-Antoine de Baïf, Jean Dorat sowie einigen weiteren humanistisch interessierten Literaten zu einem Kreis zusammen, den sie zunächst „La Brigade“ („Die Schaar/Gruppe“) nannten. In die Literaturgeschichte ging er jedoch ein unter dem Namen „La Pléiade“ („Das Siebengestirn“), nachdem er gegen 1556 von Ronsard, der rasch zum informellen Chef avanciert war, auf sieben Mitglieder eingegrenzt und umgetauft worden war.

1550 publizierte Ronsard seine bis dahin verfassten Oden in dem Sammelband Les quatre premiers livres des Odes (Die ersten vier Bücher der Oden), wobei er im Vorwort die Ideen der „Brigade“ propagierte. 1552 schob er eine Fortsetzung nach als Le cinquième (fünfte) livre des Odes.

Der Publikumserfolg der Oden, mit denen er eine neue Gattung in der französischen Literatur einführte und sich selbst als „erster französischer lyrischer Autor“ (Vorwort) zu etablieren gedachte, war geringer als erhofft. Zwar behandelten sie in einer Vielfalt von Formen eine Vielzahl von Themen, z.B. das Preisen mehr oder minder bedeutender Personen (à la Pindar) oder das Lob der schönen Natur oder des Glücks eines einfachen, den Augenblick genießenden Lebens in ländlicher Idylle (à la Horaz). Doch waren vor allem die pompösen pindarischen Oden von Buch I und V mit Gelehrsamkeit überfrachtet und zielten sichtlich mehr auf den Beifall der Freunde als auf den einer breiteren Leser-/Hörerschaft. Auch der Hof, zu dem Ronsard als einstiger Spielgefährte des seit 1547 herrschenden Heinrich II. Zutritt hatte, reagierte kühl und bevorzugte die gefälligen Gedichte, wie sie insbes. der Hofdichter Mellin de Saint-Gelais im Stil Clément Marots produzierte.

Ronsard nahm sich die Lektion zu Herzen. So ließ er noch 1552 unter dem Titel Les Amours de Cassandre einen Sammelband von ebenfalls in den Vorjahren entstandenen Liebesgedichten – fast ausschließlich Sonette – erscheinen. Obwohl sie im äußerst kunstvollen Stil des Petrarkismus der Zeit verfasst waren, trafen sie den Geschmack am Hof erheblich besser als die Odes. Sie besingen eine gewisse Cassandra Salviati, die der Autor am 21. April 1545 bei einem Hoffest in Blois als 13-jähriges Mädchen in einer ähnlich flüchtigen poetischen Szene erblickt haben will wie Dante seine Muse Beatrice oder Petrarca am 6. April 1327 seine Laura. Wie weit diese Liebe real empfunden oder nur imaginiert war, ist kaum zu entscheiden. Ein wichtiges Motiv für Ronsard war sicher auch der Umstand, dass sein Freund Du Bellay kurz zuvor einen Zyklus von Sonetten an eine Muse namens Olive verfasst und 1549 als erste Sammlung petrarkistischer Liebesgedichte in Frankreich veröffentlicht hatte.

Vor allem aber näherte Ronsard sich mit den Texten, die er anschließend schrieb, dem Stil Clément Marots an, von dem er sich im Vorwort der Odes noch herablassend abgesetzt hatte, um sich stolz als Jünger der alten Griechen und Römer zu präsentieren. Darüber hinaus imitierte er, neben Horaz, nun auch Anakreon, d. h. die von Liebe, Wein und Lebenslust handelnden Lieder, die (fälschlich, wie man heute weiß) dem alten Griechen Anakreon zugeschrieben wurden und die sein Brigade-Freund Henri Estienne gerade herausgab (ersch. 1554), während sich zugleich ein weiterer Brigade-Freund, Rémi Belleau, mit ihrer Übertragung beschäftigte (ersch. 1556)

Seine Hinwendung zu einem breiteren, wenn auch überwiegend höfischen Publikum zeigen die nächsten Sammelbände Ronsards. Sie vereinen in bunter Mischung längere Oden sowie kürzere „Ödchen“, odelettes, Sonette, Chansons, Elegien, Epigramme, Versepisteln und andere Gedichte verschiedener zeitgenössischer Gattungen zu den verschiedensten Themen. Ihre Titel lauten bezeichnenderweise Le Livret des folâtries, 1553 (=das Büchlein der Späße), Le Bocage, 1554 (=das Wäldchen) und Mélanges, 1554 (=Vermischtes).

Ronsards Bemühungen wurden nicht nur durch die Gunst seines Publikums belohnt, sondern auch von König Heinrich, der ihm 1553 einige Pfründen zuwies (die man kumulieren konnte). Hiermit war er finanziell erfreulich unabhängig, so dass er z. B. seine unmündigen Nichten und Neffen unterstützen konnte, als 1556 sein älterer Bruder verstarb.

1555 hatte er wieder ein Bändchen Liebesgedichte zusammen, die er als La Continuation [Fortsetzung] des Amours in Druck gab. 1556 ließ er ein weiteres Bändchen folgen: La nouvelle [neue] continuation des Amours. Beide enthalten Gedichte unterschiedlicher Form, die in einem natürlicher wirkenden „niederen“ Stil anfangs noch Cassandre und später ein einfaches Mädchen namens Marie besingen, die Ronsard Anfang 1555 als 15-Jährige kennengelernt hatte.

Ebenfalls 1555 und 1556, aber wie ein Kontrastprogramm, ließ er zwei Bände mit dem Titel Innes (= Hymnen) erscheinen. Denn er pflegte seit einiger Zeit eine weitere Versgattung nach griechischem Vorbild: längere Texte in paarweise reimenden Zehnsilblern oder Alexandrinern zum Lobpreis bedeutender Personen am Hof, z. B.  des Kanzlers von Frankreich, chancelier de France Michel de L’Hôpital, aber auch zur Verherrlichung mythologischer Figuren oder abstrakter Wesenheiten wie die Ewigkeit oder der Tod. Die Innes trugen sichtlich dazu bei, das Ansehen Ronsards am Hof zu erhöhen.

1558, nach dem Tod von Saint-Gelais, bekam Ronsard dessen Amt eines „conseiller et aumônier du roi“ (Königlicher Rat und Almosenier) übertragen. Zugleich fiel ihm wie selbstverständlich die Rolle des Hofdichters zu, der zu vielerlei Anlässen, z.B. Festivitäten, Gelegenheitsgedichte produzierte.

Auch nach dem Unfalltod von Heinrich II. (1559) blieb die Position Ronsards am Hof intakt. 1560 erhielt er von dem neuen jungen König Franz II. (1559-60) bzw. der Königinmutter und Regentin Katharina von Medici weitere Pfründen und war damit ein wohlhabender Mann.

Ebenfalls 1560 ließ er eine erste Gesamtausgabe seiner Werke erscheinen, die er in vier Sektionen bzw. Bände einteilte: Les Amours, Les Odes, Les Poèmes (Gedichte verschiedenster Art) und Les Hymnes. Diese Einteilung behielt er auch in den nachfolgenden Neuausgaben bei, wobei er die zwischenzeitlich neu hinzugekommenen Gedichte jeweils in die passende Sektion einfügte.

1561 präsentierte er dem 12-jährigen neuen König Karl IX. ein in Alexandrinern verfasstes Lehrbuch für junge Monarchen (Institution pour l’adolescence du Roi), womit er sich naturgemäß vor allem den Beifall der Königinmutter und Regentin Katharina erhoffte. Den verdeckten Hintergrund bildete allerdings die innenpolitische Situation in Frankreich, wo seit dem Vorjahr 1560 die Spannungen zwischen Katholiken und Reformierten stark eskaliert waren.

Als 1562 offener Bürgerkrieg ausbrach, konnte Ronsard, der sich bis dahin als eine Art unpolitischer Hohepriester seiner Kunst gesehen hatte, die Politik nicht mehr nur indirekt behandeln. Da er offenbar der Reformation nicht völlig ablehnend gegenübergestanden hatte, versuchte er zunächst ausgleichend zu wirken und veröffentlichte in diesem Sinne als Broschüren mehrere „Reden“ (discours) in gereimten Alexandrinern: D. à la Reine = Rede an die Königin; D. sur les misères de ce temps = Rede über die Nöte der Gegenwart; Rémontrance au peuple de France = Mahnung an das franz. Volk (alle 1562). Wenig später jedoch engagierte er sich entschieden auf Seiten der katholisch bleibenden Krone und wurde zum gefürchteten Pamphletisten, wobei er sicher auch an seine Kirchenpfründen dachte, die er als Protestant hätte aufgeben müssen. Entsprechend wurde er von der Gegenseite attackiert, wobei man ihm insbesondere, um ihn moralisch zu diskreditieren, einen starken Hang zum Wohlleben vorwarf. Hierauf antwortete er ironisch mit der Réponse aux injures et calomnies de je ne sais quels prédicanteaux et ministreaux de Genève (=Antwort auf die Anwürfe und Verleumdungen irgendwelcher [protestantischer] Genfer Prediger- und Priesterlaffen, 1563). Naturgemäß war er damit für die französischen Protestanten abgestempelt als katholischer Autor.

1564 und 1566 begleitete er König Karl und die Königinmutter auf zweien ihrer nur kurzfristig erfolgreichen Befriedungsreisen in die Provinz.

Zwischendurch, 1565, publizierte er jedoch auch wieder Unpolitisches, nämlich den Gedichtband Élégies, mascarades et bergeries (Schäfereien), der vor allem Gelegenheitslyrik aus seiner Rolle als Hofdichter enthält, sowie einen Abrégé de l'art poétique (Abriss der Dichtkunst), worin er grosso modo das Programm der Pléiade resümiert.

Ab 1566 zog er sich aus der Politik wieder zurück und weilte immer häufiger in seinem Priorat Saint-Cosme nahe Tours, das er 1565 erhalten hatte. Dort stellte er 1567 eine neue Gesamtausgabe seiner Werke fertig sowie 1569 zwei Bändchen mit „poèmes“, Gedichten der verschiedensten Art.

Ebenfalls 1569 machte er sich an das große Projekt seines Lebens: das Versepos La Franciade. Schon 1550 hatte er Heinrich II. den Entwurf zu einem Epos um den legendären Frankenreichgründer Francus unterbreitet, das sich an dem parahistorischen Werk Illustrations de Gaule et singularités de Troye von Jean Lemaire de Belges (1511–1513) inspirierte. Jetzt nahm er es endlich in Angriff, nicht zuletzt mit der Absicht, dem konfessionell gespaltenen und von Religionskriegen zerrissenen Frankreich ein nationales Epos nach dem Muster von Vergils Aeneis zu geben. Allerdings vermochte er trotz intensiver Bemühungen schließlich nur 4 von 24 geplanten Gesängen fertigzustellen. Sie erschienen wenige Tage vor dem Protestantenpogrom der Bartholomäusnacht am 22./23. August 1572. Hiernach brach er die Arbeit ab. Sichtlich hatten sich die Hoffnungen auf eine innere Befriedung Frankreichs als Illusion erwiesen. Zudem war offenbar der Zehnsilbler, den er als Metrum gewählt hatte, nicht recht geeignet und war er selber letztlich doch kein Epiker. Vermutlich aber konnten auch er selbst sowie sein Publikum sich nicht mehr wirklich erwärmen für die apokryphe Figur des Francus, jenes erst im Mittelalter erfundenen Sohnes des trojanischen Helden Hektor, der sich zusammen mit dem legendären Rom-Gründer Aeneas aus dem eroberten Troja gerettet und seinerseits „Francia“ und sogar die Dynastie der Kapetinger gegründet habe. Inzwischen (1560) nämlich war das sehr erfolgreiche Buch Recherches de la France von Étienne Pasquier erschienen, das die Vorstellungen der Franzosen rasch in dem Sinne veränderte, dass nicht irgendein Francus (und auch nicht die Römer) ihre Urväter seien, sondern die keltischen Gallier. Die später an den Schluss des Epos angefügte Begründung Ronsards, der Tod von Karl IX. (1574) habe ihm den Mut zur Vollendung des Werkes genommen, ist sicher nicht beim Wort zu nehmen.

Nach dem Scheitern der Franciade und angesichts der fast pausenlosen weiteren Religionskriege, aber wohl auch des Umstands, dass ihn der neue König Heinrich III. (seit 1574) nicht sonderlich schätzte, zog Ronsard sich praktisch ganz ins Private und auf seine beiden Lieblingspfründen zurück, Saint-Cosme und Croixval im Vendômois. Hier überarbeitete er seine Werke im Hinblick auf eine weitere (die inzwischen fünfte) Gesamtausgabe. Sie erschien 1578 und enthielt als neue Elemente der Sektion Les Amours eine Serie melancholischer Gedichte über den Tod Maries sowie vor allem die rd. 130 Sonnets pour Hélène (sc. Hélène de Surgères, eine Ehrenjungfer der Königinmutter). Mit diesen Sonetten feierte Ronsard ein spätes, so überraschendes wie anrührendes Come back als Liebeslyriker.

Zunehmend kränklich und von Gicht geplagt, überarbeitete er in den folgenden Jahren nochmals grundlegend das Korpus seiner Werke, wobei er, wie schon bei den vorangehenden Überarbeitungen, manche heute als gelungen erscheinenden Texte tilgte und andere eher verschlimmbesserte. 1584 ließ er die sechste und letzte Gesamtausgabe erscheinen, die unter dem Titel Bocage royal (=königliches Wäldchen) eine weitere Sektion vermischter Gedichte enthält. Daneben und danach schrieb er, wie immer, auch Neues. Seine letzten Gedichte, die er z.T. noch angesichts des nahen Todes verfasste, kamen postum 1586 als Les derniers vers heraus.

Obwohl er zu seinen Lebzeiten ein sehr anerkannter und Maßstäbe setzender Autor gewesen war, geriet Ronsard im 17. und 18. Jh. weitgehend in Vergessenheit. Grund hierfür waren nicht zuletzt die abwertenden Urteile, die eine bzw. zwei Generationen später François de Malherbe und Nicolas Boileau-Despréaux über ihn fällten. Erst die Romantiker entdeckten den im engeren Sinne lyrischen Teil seines Schaffens wieder, und die Literarhistoriker des 19./20. Jh. wiesen ihm den insgesamt sehr bedeutenden Platz zu, der ihm gebührt und den er selbstbewusst schon zu seinen Lebzeiten für sich reklamiert hatte.

Joachim du Bellay (1522-1560 in Paris) war ein französischer Autor. Er gilt neben Pierre de Ronsard als der bedeutendste französische Lyriker der Mitte des 16. Jahrhunderts.

Du Bellay war jüngerer Sohn aus einer ärmeren Linie eines alten Adelsgeschlechts des Anjou. Über seine jungen Jahre ist sehr wenig bekannt. Offenbar verlor er früh seine Mutter, war mit 10 Jahren Vollwaise und verlebte, von Kindesbeinen an kränklich, unter der Vormundschaft seines 15 Jahre älteren Bruders René eine freudlose Jugend. Eine solide Bildung erhielt er angeblich nicht, doch will er früh Verse gemacht haben. 1540 begann er ein Jurastudium in Poitiers, zweifellos mit der Absicht, sich für einen Posten in der königlichen Verwaltung bzw. Gerichtsbarkeit zu qualifizieren, den er sich erhoffen konnte dank der Protektion eines Cousins seines Vaters, des Bischofs von Paris (und späteren Kardinals), Jean Du Bellay.

In Poitiers fand er Anschluss an einige humanistisch gebildete Literaten, insbesondere Jacques Peletier du Mans (1517-82), und neulateinische Dichter, in deren Kreis er Gedichte verfasste, ebenfalls zum Teil auf Latein. Spätestens hier lernte er zudem Italienisch und beschäftigte sich mit den Autoren der italienischen Renaissance, vor allem der Lyrik von Francesco Petrarca und seinen Nachfolgern.

Vielleicht schon 1543, bei der Beerdigung eines hochstehenden Verwandten, hatte er den wenig jüngeren Dichterkollegen Ronsard kennengelernt. Bei einer Wiederbegegnung 1547 ließ er sich von ihm bereden, nach Paris zu kommen, um dort mit ihm bei dem bekannten Gräzisten Jean Dorat am Collège de Coqueret Studien auch der altgriechischen Literatur zu treiben. Wenig später gründete er mit Ronsard sowie einigen anderen, heute wenig bekannten Autoren einen Dichterkreis, den man zunächst „la brigade“ (=Trupp, Gruppe) nannte und der später (1556?) von Ronsard in „La Pléiade“ (=Siebengestirn) umgetauft wurde.

Der Wechsel Du Bellays nach Paris trug rasch Früchte. Schon im März 1549 publizierte er zwei seiner bedeutsamsten Werke: die programmatische Schrift La Défense et illustration de la langue française („Verteidigung und Berühmtmachung der französischen Sprache“), die er seinem Verwandten, dem Kardinal, widmen durfte, und die Gedichtsammlung L'Olive et quelques autres œuvres poétiques („Die Olive und einige andere lyrische Werke“).

Die Défense war ein Manifest der Theorien und der künftigen Praxis der Brigade-Autoren und war sicher die Frucht vieler Diskussionen in ihrem Kreis. Im ersten Teil wird das Französische zu einer Sprache von der gleichen Dignität proklamiert wie das Griechische, Lateinische oder auch Italienische; allerdings seien seine Ausdrucksmöglichkeiten und damit seine Eignung als Literatursprache durch die Dichter noch zu verbessern, vor allem durch die produktive Anverwandlung bedeutender Werke der genannten Sprachen. Der zweite Teil ist eine Poetik (die viele Anstöße einer im Vorjahr erschienenen Poetik des Pariser Juristen Thomas Sébillet verdankt), d.h. eine Anleitung zum Dichten. Neu ist, dass auch hier eine Orientierung der französischen Literatur, insbes. der Lyrik, an den Themen und am Formenschatz der antiken sowie der inzwischen als vorbildhaft geltenden italienischen Literatur gefordert wird, und zwar unter konsequenter Abkehr von der eigenen, angeblich mittelalterlich-gestrigen französischen Tradition, wie sie vor allem der eine Generation ältere Clément Marot und seine Schüler repräsentierten. Die zu ihrer Zeit zwar kurz diskutierte, dann aber nur noch mäßig beachtete Défense wurde im 19./20. Jh. von patriotischen Literarhistorikern, denen der selbstbewusste, quasi nationalistische Tenor Du Bellays gefiel, zu einem Schlüsseltext stilisiert.

L’Olive war die erste Sonett-Sammlung der franz. Literatur und, neben dem Gedichtband Délie von Maurice Scève (1544), eine der ersten französischen Sammlungen petrarkistischer Lyrik. Die äußerst kunstvollen, auf heutige Leser oft manieriert wirkenden Sonette des Bändchens inspirieren sich überwiegend an italienischen Vorbildern und kreisen zumeist um eine unerreichbare ideale Geliebte namens Olive (deren Identität unbekannt, aber auch unerheblich ist). Hierbei nimmt Du Bellay Gedankengut des Neuplatonismus auf sowie gelegentlich auch christliche Vorstellungen. Ende 1550 brachte er eine zweite, von 50 auf 115 Stücke erweiterte Neuauflage heraus. Diese durfte er der Prinzessin Marguerite zueignen, der er im Vorjahr mit einem Begrüßungsgedicht an ihren Bruder, den neuen König Heinrich II., aufgefallen war und die auch weiterhin seine Gönnerin blieb.

Seinen humanistischen Interessen folgend betätigte Du Bellay sich zugleich als Vermittler lateinischer Klassiker und ließ 1552 eine Nachdichtung von Buch IV der Äneis Vergils und andere freie Übertragungen erscheinen. Anfang 1553 publizierte er eine weitere Gedichtsammlung, Recueil de poésie.

Sein Gesundheitszustand in diesen Jahren war offenbar prekär (Tuberkulose?); u.a. litt er zunehmend unter Schwerhörigkeit, die ihm, dem sichtlich ohnehin Depressiven, das Leben zusätzlich verdüsterte. Ebenfalls prekär war seine materielle Situation, anscheinend war er gezwungen, längere Prozesse um Besitzansprüche zu führen.

Im April 1553 ließ er sich, da er nach dem Tod seines Bruders René einen Neffen zu versorgen hatte, in die Dienste von Kardinal du Bellay aufnehmen, eines hochgebildeten Mannes, der bis kurz zuvor François Rabelais protegiert hatte. Wenig später begleitete er ihn nach Rom, wo jener als Gesandter des franz. Königs den Papst, d.h. den Kirchenstaat, auf die Seite Frankreichs ziehen sollte im Kampf gegen Kaiser Karl V. ,der auf dem 1551 beendeten Konzil von Trient gerade seine Macht gegenüber dem Papst demonstriert hatte.

Der Aufenthalt Du Bellays in Rom dauerte vier Jahre, wobei er als Majordomus des Kardinals fungierte. Zwar bot die Stadt ihm neue Horizonte und bekam er Anschluss an Literatenkreise, wobei er einen Freund gewann in (dem heute kaum bekannten) Dichter Olivier de Magny, dem Domestiken eines anderen Kardinals; doch absorbierte ihn sein Posten offenbar mehr als erwartet, ohne, wie es ihm erschien, Perspektiven zu öffnen. Auch desillusionierten ihn die Einblicke in die Verhältnisse am päpstlichen Hof und in die große Politik, die er erhielt. So erlebte er 1555 zwei Papstwahlen samt ihren Intrigen hautnah mit, zumal bei der zweiten auch sein Dienstherr Du Bellay kurz Kandidat war; und 1556 sah er enttäuscht, wie jener in Ungnade fiel bei König Heinrich, der ohne Rücksicht auf ihn und die Bundesgenossen, insbes. den Papst, überraschend einen Waffenstillstand mit dem spanischen König Philipp II. schloss, dem Sohn Kaiser Karls, der dessen italienische Interessen weiter verfolgte.

Immerhin verfasste er in diesen Jahren zahlreiche Gedichte und hatte er, mit einer nicht nur idealen Faustina, ein reales Verhältnis.

Im Spätsommer 1557 kehrte er mit dem Kardinal zurück nach Paris, wo er von ihm mit mehreren Pfründen versorgt wurde, deren Einkünfte er jedoch, wie üblich, mit den Priestern teilen musste, die ihn jeweils vor Ort vertraten.

Zurück in Paris fand er wieder Anschluss an die alten sowie auch an neue Literatenkollegen. Darüber hinaus versuchte er sich mit Gedichten zu verschiedenen offiziellen und anderen Anlässen auch am Königshof zu etablieren, so wie es, während seiner Abwesenheit, Freund Ronsard geschafft hatte, den er sichtlich beneidete.

Die Zeit nach der Rückkehr war sehr fruchtbar. Im Januar 1558 ließ Du Bellay sein wohl bedeutendstes Werk erscheinen, Les regrets (=Klagen), eine Sammlung von 191 größtenteils in Rom verfassten Sonetten mit vielfältiger Thematik, aber einem gemeinsamen Unterton von Nostalgie, Frustration und Desillusion. Viele der Texte beklagen, erstaunlich bekenntnishaft, eigene existenzielle und psychische Nöte, insbes. sein Heimweh und die Enttäuschung seiner Karrierehoffnungen. Andere kommentieren, oft im Vergleich mit den vermeintlich besseren französischen Verhältnissen, aktuelle Ereignisse und Zustände der hohen und der weniger hohen Politik in Rom. Wieder andere karikieren sarkastisch die Höflinge dort, aber dann auch, nach seiner Rückkehr, die in Paris, was natürlich wenig dazu beitrug, ihm Sympathien am französischen Hof zu verschaffen. Der Band war insofern neuartig und epochemachend, als er die Gattung Sonett als passendes Medium nicht nur für das Thema Liebe, sondern für ein breites Themenspektrum etablierte. Viele der Sonette sind, wie Briefe, an namentlich genannte Freunde (z.B. Ronsard) und Bekannte gerichtet.

Ebenfalls im Januar ließ er den Sammelband Divers jeux rustiques („Diverse ländliche Spiele“) erscheinen. Dieser enthält, ähnlich wie Ronsards Folâtries von 1553, Gedichte der verschiedensten Gattungen und Sujets und zeigt, wie der Titel andeutet, einen überraschend heiteren, manchmal sogar witzigen Du Bellay.

Den melancholischen wiederum bietet Le premier livre des antiquités de Rome („Buch I der römischen Altertümer“), ein im März gedrucktes Bändchen mit 32 Sonetten. Hauptthema der ebenfalls überwiegend in Rom entstandenen Gedichte sind die überall in der Stadt (die in der Spätantike stark geschrumpft war) und ihrer Umgebung verstreuten antiken Ruinen bzw. das Gefühl von Vergänglichkeit und Vergeblichkeit, das sie in Du Bellay auslösten. Dasselbe Gefühl spiegeln die 15 Sonette, die unter dem Sammeltitel Songe (=Traum) an die Antiquités angehängt sind und eine Traumvision in 15 Teilen schildern, wo jeweils eine zunächst glanzvolle Erscheinung am Ende unrühmlich in sich zusammenfällt.

Zugleich mit den Antiquités erschien eine vierbändige Sammlung der lateinischen Gedichte des Autors, von denen einige relativ offen sein Verhältnis zu Faustina behandeln. Ende des Jahres kam seine Übertragung von Platons Symposion heraus.

Ebenfalls 1558 konnte Du Bellay endlich den lange erhofften Karrieresprung verzeichnen: Er erhielt einen höheren Posten in der Verwaltung des Erzbistums Paris. Allerdings profitierte er kaum noch hiervon, denn er starb, depressiv und nach längerem Kränkeln, mit 37(?) an einem Herzschlag in der Nacht vom 1. auf den 2. Jan. 1560.

Postum kamen 1561 nochmals ein Bändchen Lyrik sowie etliche andere Texte heraus. Hierunter sind einige politisch intendierte Discours (= Reden) in Versform, mit denen Du Bellay auf die Eskalation der innenpolitischen Spannungen in den späten 1550er Jahren reagiert hatte. Die grausame Bestrafung der meist protestantischen Verschwörer von Amboise (1560) und den Ausbruch der Religionskriege 1562 erlebte er nicht mehr.

1568/69, in einer Friedenspause zwischen dem Zweiten und dem Dritten Religionskrieg, erschien die erste Gesamtausgabe seiner Werke, die in der Folgezeit mehrfach nachgedruckt wurde.

König Franz I., der von 1515 bis 1547 regierte, galt bei seinen Zeitgenossen als der bedeutendste Förderer des französischen Humanismus. Zahlreiche Autoren des 16. Jahrhunderts betrachteten die Blüte der humanistischen Bildung als sein Verdienst.

In England zeigten sich schon im frühen 14. Jahrhundert Ansätze zu einem vorhumanistischen Denken im Milieu der Franziskaner. Der eigentliche Humanismus wurde aber erst im 15. Jahrhundert eingeführt. Dabei wirkte zunächst sowohl französischer als auch italienischer, im späten 15. Jahrhundert auch burgundisch-niederländischer Einfluss prägend. Ein bedeutender Förderer des Humanismus war Herzog Humphrey von Gloucester (1390–1447). Im frühen 16. Jahrhundert wurde Erasmus zum überragenden Impulsgeber.

An den Universitäten setzte sich – auch dank der Lehrtätigkeit italienischer Humanisten – im Lauf des 15. Jahrhunderts das humanistische Denken langsam gegen die scholastische Tradition durch, teils gegen erbitterten Widerstand konservativer Kreise. Zugleich wurden zahlreiche nichtkirchliche Bildungsanstalten (Colleges, Grammar Schools) gegründet, die mit den alten kirchlichen Schulen konkurrierten. Gegen Ende des Jahrhunderts und nach der Jahrhundertwende kam es zu einem markanten Aufschwung des humanistischen Bildungswesens. Zu den führenden Persönlichkeiten gehörte dabei der Gelehrte John Colet (1467–1519), ein Freund des Erasmus, der in Italien studiert hatte und als Schulgründer hervortrat. Der ebenfalls in Italien ausgebildete königliche Hofarzt Thomas Linacre († 1524) verbreitete unter seinen Kollegen die Kenntnis der antiken medizinischen Literatur. Linacres Freund William Grocyn († 1519) brachte den Bibelhumanismus nach England. Der berühmteste Repräsentant des englischen Humanismus war der Staatsmann und Schriftsteller Thomas Morus († 1535), der als königlicher Sekretär und Diplomat tätig war und ab 1529 als Lordkanzler eine Führungsposition einnahm.

Morus‘ bekanntestes Werk ist Utopia in dem er ein erfundenes Inselreich mit einer ganz anderen Gesellschaftsstruktur beschreibt, als sie zu seiner Zeit in England herrscht. Wo Utopia liegt, bleibt ungeklärt. Aus Morus’ Vorrede erfährt man nur, dass die Insel in der Nähe von Amerika liegen soll. Die Hauptstadt Amaurotum heißt übersetzt „Nebelstadt“ und ist damit eine Anspielung auf London. In den Sozialwissenschaften wird das Werk als Kritik an den damaligen Verhältnissen und als Gegenentwurf zum zeitgenössischen England gesehen, andere sehen darin eine boshafte Satire desselben England. Der Begründer der Insel hieß Utopos, vorher hieß sie Abraxa. Die Insel hat 54 Städte, alle groß und prächtig, die in Sprache, Sitten, Einrichtungen und Gesetzen vollständig übereinstimmen. Das Glück des Lebens liegt dort in der Freiheit und Pflege des Geistes, alle Bürger sollten damit möglichst viel Zeit verbringen und nicht mit körperlicher Arbeit. Der Geist wird angeregt durch das Zusammenspiel von Religion und Philosophie, das auf Vernunft aufbaut. Krieg wird verabscheut. Der Ruhm, der im Kriege erworben werden kann, verachten die Utopier. Es gibt nur Übung im Kriegshandwerk von Männern und Frauen, um zur Verteidigung ausgebildet zu sein und die Grenzen zu schützen. Die Utopia ist aus der Bestrebung entstanden, die herrschenden Zustände anzuprangern und zu verbessern. Ein Idealbild der Gesellschaft nach dem Muster Platons wurde gezeichnet. Vielleicht greift Morus auch auf die bereits von Platon im Timaios angewandte Methode zurück. In dem Stadtstaat dieser Insel herrscht eine Art Kommunismus: die Interessen des Einzelnen sind denen der Gemeinschaft untergeordnet. Wie in einem (idealen) Kloster hat jeder zu arbeiten; jedermann bekommt Bildung und genießt religiöse Toleranz. Anders als in der Realität der Renaissance sind Grund und Boden gemeinsamer Besitz. Das Ende von Utopia wird bewusst offen gelassen: Die Aufgabe des Nachdenkens und der Bewertung wird dem Leser übertragen wie in Platons Dialogen. Nach dem Erscheinen in Löwen wurde es bald in mehrere Sprachen übersetzt und wurde der Vorläufer der Romanutopie. Für Kautsky ist Morus der Vater des utopischen Sozialismus; Bloch wertet Morus als bedeutenden Sozialisten.

Die Utopische Literatur ist die Bezeichnung für eine Gattung von literarischen Werken, die sich mit einer idealen Gesellschaft befasst, deren Realisierung für die Zukunft als denkbar möglich vorgestellt wird. Der tatsächlichen, aktuellen politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit gegenübergestellt, übernimmt die Utopie eine Vorbildfunktion. Diese beinhaltet sowohl Ideengespinste der abstrakten als auch real mögliche konkrete Utopien. Im Gegensatz hierzu dient die Anti-Utopie, auch Dystopie genannt, der Abschreckung.

Sir Thomas Morus (1478-1535) war ein englischer Staatsmann und humanistischer Autor. Er ist ein Heiliger und Märtyrer der römisch-katholischen Kirche (Gedenktag 22. Juni).  Morus war Sohn eines Richters, besuchte eine Lateinschule, besaß ein Stipendium für die Universität in Oxford, wo Morus Latein und Griechisch studierte. Ab 1496 durchlief er eine juristische Ausbildung in der Rechtsschule Lincoln's Inn, 1504 wurde er Parlamentsmitglied. 1516 verfasste Morus das erste Buch der Utopia und redigierte das ganze Werk, das im Dezember erschien. Er pflegte eine enge Beziehung mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam.1517 Mit 39 Jahren trat er ganz in den Dienst des Königs von England, der ihn bald zum Mitglied des Geheimen Rates machte. Morus wurde 1529 zum Lordkanzler ernannt, eine Position, die etwa der des heutigen Premierministers entspricht. In seiner Funktion als Lordkanzler ließ er Anhänger der Reformation verfolgen und verbrennen, er war ein entschiedener Gegner Luthers.

Im Jahre 1534 erließ König Heinrich VIII die „Suprematsakte“, durch die der Krone Englands sämtliche Vollmachten über die englische Kirche, auch die Entscheidung in Glaubensfragen, übertragen wurden. Morus weigerte sich, die Suprematsakte anzuerkennen, deshalb wurde er 1535 hingerichtet.

In der Utopia geht es um  die Erzählungen eines Seemannes (Rafael Hythlodeus), der eine Zeit lang bei den Utopiern gelebt haben will. Raphael Hythlodaeus ist frei erfundene Person, die als weiser Philosoph beschrieben wird. Die Handlung ist Antwerpen, die wichtigste Handelsmetropole Europas im frühen 16. Jahrhundert. Inhaltlich setzt die Erzählung mit der Begegnung dreier Figuren ein: Nach einem Gottesdienstbesuch trifft der Ich-Erzähler Thomas Morus den befreundeten Humanisten Peter Gilles, den er in ein Gespräch mit dem fiktiven Weltenbummler Raphael Hythlodaeus verwickelt sieht. Gegen Ende der Schilderung hält Raphael ein flammendes Plädoyer für die Institutionen der Utopier, doch Morus gibt sich skeptisch, was die Möglichkeit der Umsetzung auch in Europa betrifft.

Der zweite Teil des Werkes, die „Rede über die beste Staatsverfassung“ im Jahre 1515 wurde während Morus’ Aufenthalt in Flandern in engem Austausch mit Erasmus konzipiert. Das erste Buch mit der Staats- und Gesellschaftskritik und der bereits von Cicero erörterten Frage, ob ein Philosoph Staatsgeschäfte übernehmen sollte, wurde erst nachträglich im Jahre 1517 eingebaut.

Das Kernproblem des ersten Buches ist die Frage, ob der weise Philosoph in den aktiven Dienst des Fürsten treten soll oder nicht. Das Privateigentum wird als Hindernis gerechter Politik gesehen: Der Besitz sollte gleichmäßig und gerecht verteilt werden und das Privateigentum aufgehoben werden. Solange es besteht, wird der größte Teil der Menschheit immer in Armut leben. Der erste Teil des Werks hat eine Rahmenhandlung zum Inhalt, in der eine ausführliche Kritik an den damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Europas, insbesondere Englands, geübt wird. Heftig angeprangert wird beispielsweise die Praxis der Todesstrafe, die in England selbst Dieben droht, da es durch die harte Bestrafung für den Dieb keinen Unterschied mache zu stehlen oder zu morden.

Im zweiten Buch werden immer wieder Bezüge zur Situation in Europa hergestellt und zwar in einem negativen Sinne: die hohe Wertschätzung für Geld, Prunk und Ruhm, zu harte Gesetze, auf vertragsbrüchige Fürsten oder die kirchlichen Missstände.

Wo Utopia liegt, bleibt ungeklärt. Aus Morus’ Vorrede erfährt man nur, dass die Insel in der Nähe von Amerika liegen soll. Die Hauptstadt Amaurotum heißt übersetzt „Nebelstadt“ und ist damit eine Anspielung auf London.

Der Begründer der Insel hieß Utopos, vorher hieß sie Abraxa. Die Insel hat 54 Städte, alle groß und prächtig, die in Sprache, Sitten, Einrichtungen und Gesetzen vollständig übereinstimmen.

Die Vernunft ist das Fundament der Konstruktion von Utopia. Die Utopier halten sich an ein utilitaristisches Vernunftsprinzip, das den Gesamtnutzen der Gemeinschaft maximiert.

Der Staat der Utopier ist eine Republik. Das politische System der Utopier basiert auf einer förderalen Struktur. Das Volk wählt ein Oberhaupt, das lebenslang herrscht, wenn er tyrannische Züge zeigt, kann er abgesetzt werden. Es wird auch eine „Rat der gesamten Insel“ gewählt, über dessen Funktionen aber kaum etwas gesagt wird. Das politische Führungspersonal rekrutiert sich aus den fünfhundert von der Arbeit freigestellten Wissenschaftlern. Die Regierungsform ist eine Mischung aus Gelehrtenaristokratie und Demokratie. Die Idee der platonischen Philosophenherrschaft war hier Vorbild. Jede Stadt wird von einem Senat regiert, der sich aus Wahlbeamten auf Zeit zusammensetzt. Das jeweilige Stadtoberhaupt ist auf Lebenszeit gewählt; entwickelt er tyrannische Züge, so kann er abgesetzt werden. Nirgendwo anders soll es ein besseres Volk und ein glücklicheres Staatswesen geben.

Die Utopier leben in den Städten in Familienverbänden. Es herrscht allgemein eine patriarchalische Hierarchie, und die Älteren bestimmen über die Jüngeren. Überfamiliär ist die Gemeinschaft klosterähnlich organisiert mit Gemeinschaftsküche und gemeinsamen Speisungen. Ein jährlich gewählter Vorsteher hat die Aufsicht über einen Familienverband von 30 Familien.

Erwachsene Geschlechtspersonen gehen eine monogame Ehe ein. Die Utopier praktizieren ein liberales Eherecht, das dem christlichen entgegensteht. Scheidung und Wiederverheiratung sind erlaubt.

Geldverkehr kennen die Utopier nicht. Sie sollen aber durch eine Überproduktion an Gütern vieles davon anhäufen, und verwenden es um Söldnerheere oder Handel zu betreiben. Die Utopier selbst schätzen Gold nicht. Sie üben Kritik an den bestehenden Staaten wegen fehlender Gleichheit und einer Verschwörung der Reichen, die im Namen des Staates ihren Vorteil suchen. Sie profitieren von der Armut und der Arbeit der Armen. Armut würde beseitigt werden, wenn das Geld abgeschafft werde. Nächstenliebe wird gepredigt. Morus führt aus, mit der Abschaffung des Geldes werde die Geldgier verschwinden und damit Betrug, Raub, Mord und Furcht.

Die Städte dürfen nur eine bestimmte Größe erreichen. Überbevölkerung wird durch Migration bzw. Bildung einer Kolonie im Ausland ausgeglichen. Umgekehrt findet bei Einwohnermangel ein Rückfluss aus den Kolonien oder überbevölkerten Städten statt.

Das Glück des Lebens liegt in der Freiheit und Pflege des Geistes, alle Bürger sollten damit möglichst viel Zeit verbringen und nicht mit körperlicher Arbeit. Der Geist wird angeregt durch das Zusammenspiel von Religion und Philosophie, das auf Vernunft aufbaut. Es sind geistige Dinge, aus denen die Utopier ihre Freude ziehen. Falsche Bedürfnisse sind die Gier und die Jagd. Ein humanes Verhalten gegenüber behinderten Menschen wird ebenfalls praktiziert.

Müßiggang wird bestraft; es gibt keine Kneipe, kein Freudenhaus, ein puritanisches Leben wird von Morus favorisiert.

Es gibt auch Sklaven bei den Utopiern: entweder solche, die wegen eines Verbrechens zu Sklaven gemacht werden oder fleißige Tagelöhner aus anderen Staaten, die es vorziehen, freiwillig als Sklaven zu dienen. Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist verboten. Ehebrecher werden zu Sklaven gemacht. Es gibt nur bei schlimmen Verbrechen die Todesstrafe, weil Zwangsarbeit der Täter dem Staat mehr nützt.

Zweck des utopischen Erziehungswesens ist die Vorbereitung für die Übernahme von religiösen und politischen Ämtern sowie die Schulung für eine Integration in das kollektive Leben der Utopier. Es gibt eine Gleichbehandlung der Geschlechter: Jungen und Mädchen werden in gleicher Weise unterrichtet. Es werden alle Kinder in den Wissenschaften durch Priester unterrichtet, in ihrer Freizeit sollen die arbeitenden Menschen sich mit Wissenschaft beschäftigen. Die Kinder werden ab dem dritten Lebensjahr in Sprache unterrichtet. Später findet auch Unterweisung in praktischer Arbeit (Ackerbau und Viehzucht) statt.

Die religiösen Anschauungen sind nicht nur auf der Insel, sondern auch in den einzelnen Städten verschieden. Trotz Glaubensunterschiede gibt es den Konsens, dass alle an die Existenz eines höchsten Wesens glauben, der die Welt erschaffen hat. Dieses Wesen nennen sie Mythras. Es existiert religiöse Toleranz, einige der Utopier sind zum Christentum konvertiert. Priester können auch Frauen werden, männliche Priester können auch heiraten. Kein Amt besitzt bei den Utopiern höhere Ehre. Es gibt einen religiösen Pluralismus, aber weder Atheisten noch Materialisten gehören zu den Staatsbürgern Utopias. Trotz mancher Parallele mit christlichen Glaubenspraktiken ist die Religion der Utopier keine offenbarte, sondern eine vernunftbegründete. Die Utopier sind somit im theologischen Verständnis keine Christen, sondern Heiden.

Krieg wird dort verabscheut. Der Ruhm, der im Kriege erworben werden kann, verachten die Utopier. Es gibt nur Übung im Kriegshandwerk von Männern und Frauen, um zur Verteidigung ausgebildet zu sein und die Grenzen zu schützen. Die Utopier werben lieber Söldner für den Krieg an als ihre eigenen Leute zu opfern. Die Reihe der Gründe, die sie dennoch bewegen könnten, zu den Waffen zu greifen, reicht von der Verteidigung des eigenen Staatsgebietes über die Befreiung und Unterstützung der Bundesgenossen. Dies sei der Begriff eines „gerechten Krieges“.

 

Rationale Gesetzgebung und statische, prinzipiengeleitete Organisation der Lebensgemeinschaft werden zu Garanten des Glücks erhoben. Hauptsorge der vorindustriellen Gesellschaft war die Verteilungsgerechtigkeit für eine optimale Versorgung der Bürger mit den knappen Gütern und die Bewahrung des inneren und äußeren Friedens. Obwohl die Renaissance als Zeitalter der Entdeckung des Individuums gilt, wurde der Egoismus in seinen Formen der Sündhaftigkeit und triebhaften Unmoral als Antipode des Gemeinschaftssinns und damit als Störelement des gerechten Ausgleichs der Lebensverhältnisse und der Gemeinschaftsinteressen beschrieben.

Am Ende des Werkes wird ein Lob der utopischen Staatsverfassung erhoben, da dort die Belange der Allgemeinheit vertreten werden. Es gibt keine Armen und keine Bettler. Gegen Ende der Schilderung hält Raphael ein flammendes Plädoyer für die Institutionen der Utopier, doch Morus gibt sich skeptisch, was die Möglichkeit der Umsetzung auch in Europa betrifft.

Das Ende von Utopia wird bewusst offen gelassen: Die Aufgabe des Nachdenkens und der Bewertung wird dem Leser übertragen wie in Platons Dialogen.

Im Werk gibt es einige Merkmale, die nicht ganz zusammenpassen: Die Institution der Sklaverei widerspricht dem geforderten Prinzip der Gleichheit in einem klassenlosen Staat.

Nach dem Erscheinen in Löwen wurde die in lateinischer Schrift erschienene „Utopia“ bald in mehrere Sprachen übersetzt und wurde der Vorläufer der Romanutopie.

Die Utopia von Thomas Morus gilt es eine der besten Staatsromane des Humanismus. Er enthält Elemente der Literatur des „utopischen Sozialismus“ der späteren Zeit (Robert Owens „New moral world“ oder  Fouriers „Neue industrielle und soziale Welt“).

Antike Wurzeln der Utopia sind  Mythos vom Goldenen Zeitalter, die griechische Atlantis-Sage oder der biblische Garten Eden. Die Darstellung von einem Goldenen Zeitalter als dem Anfang aller Geschichte taucht erstmals bei Hesiod 700. v. Chr. auf. Platons Politeia war Vorbild für Morus bei der Abfassung seiner Schrift. Die ständische Gliederung der Politeia wird von Morus nicht übernommen.

Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus ist eine zentrale Voraussetzung für das utopische Denken der frühen Neuzeit. Es gab eine Erweiterung des abendländischen Erfahrungshorizontes und die damit verbundene Wunschvorstellung einer besseren Welt.

Morus’ Utopia enthält nicht weder den Willen noch den Aufruf zur Realisierung. Das Werk ist konzipiert als fiktives Gegenbild, als gedankliches Experiment, es versucht, in kritisch-satirischer Absicht den herrschenden Missständen den Spiegel vorzuhalten.

Die Utopia ist aus der Bestrebung entstanden, die herrschenden Zustände anzuprangern und zu verbessern. Ein Idealbild der Gesellschaft nach dem Muster Platons wurde gezeichnet.

DasKernproblem der Deutungsversuche ist folgendes: Morus starb für die Einheit der katholischen Kirche am Galgen, ausgerechnet dieser Mann ist Urheber eines utopischen Entwurfes, der einen heidnischen, rationalen und sozialistischen Staat beschreibt und keinen genuin christlichen. In seinen Schriften „Dialogue Concerning Heresies (1529) und der „Confutation of Tyndale’s Answer“ (1532/33) sprach sich Morus gegen die Reformation aus.

In der christlich-konservativen Interpretation ist Utopia ist als mahnendes Gegenbild gedacht, um die korrupte Christenheit zur Besinnung zu rufen. Erst Erasmus von Rotterdam, der Humanist, habe den heidnischen Charakter, die kommunistische Lebensform und die religiöse Toleranz nachträglich in die Utopia eingefügt.

In der sozialistischen Interpretationen wird die Schrift gefeiert. Für Kautsky ist Morus der Vater des utopischen Sozialismus; Bloch wertet Morus als bedeutenden Sozialisten.

Die Utopia enthält keine praktischen Anweisungen für einen Übergang zur Wirklichkeit. Dies spricht gegen die Behauptung, Morus habe mit der Utopia ein politisches Handlungsprogramm entworfen. Als Lordkanzler versuchte Morus niemals, den utopischen Staat in die praktische Politik zu übersetzen.

Nach dem Vorbild Morus’ erschienen in den Folgezeit weitere Werke in utopischer Richtung. Tommaso Campanella (1568 in Kalabrien-1639 in Paris; eigentlich Giovanni Domenico) war ein italienischer Philosoph, Dominikaner, Dichter und Politiker, der den „Sonnenstaat“ entwarf. Im Pariser Exil widmete sich Campanella vorrangig der Veröffentlichung seiner Werke. Weiterhin unterstützte er die französische Politik und setzte sich für die Konversion der Hugenotten ein. La città del Sole oder auch Civitas solis (deutsch „Sonnenstaat“) ist ein 1602 in einem Kerker von  Campanella verfasstes und 1623 publiziertes Werk, das den wirtschaftlichen und politischen Aufbau des idealen Staates darstellt. Er führt alle sozialen Übel auf das Privateigentum zurück. Dieses will er mit seiner voll kollektivistischen Gesellschaftsordnung, welche sämtliche Lebensbereiche umfasst, beseitigen. Genau ermittelte Bedarfspläne bestimmen nach ihm die Produktion. Die Institution der Familie, welche das materielle Denken fördert und deshalb das Privateigentum stützt, soll aufgelöst werden. An ihrer Stelle soll ein Weiber- und Kinderkommunismus verwirklicht werden. Im „Sonnenstaat“ bedeutet die Gattung alles, das Individuum nichts. Politisch träumt Campanella von einer päpstlichen Universalmonarchie; im „Sonnenstaat“ liegt daher die Macht absolutistisch in den Händen der priesterlichen Hierarchie.

Der lutherische Pfarrer Andreae schrieb das Werk „Christianopolis“ 1619 nach dem Vorbild Campanellas. Durch einen Schiffbruch wird der Ich-Erzähler an das Ufer der Insel „Capharsalama“ getrieben und dort von einem Wächter aufgenommen, der ihn in die Stadt „Christianopolis“ bringt. Nicht den Glauben der Europäer lehnen die Bewohner ab, sondern deren Sitten, weil die Europäer wegen des christlichen Glaubens Krieg führen. Damit kritisiert die Schrift die Missstände der Zeit. Dem Bildungs- und Erziehungsgedanken kommt höchste Priorität zu. Der Staat übernimmt die Erziehung der Kinder, die im Alter von sechs Jahren von ihren Eltern getrennt werden. Es wird die Abschaffung des Privateigentums gefordert. Andreae entwirft damit das Ideal eines christlichen Staates.

Francis Bacon (1561-1626) war ein englischer Philosoph und Staatsmann sowie Wegbereiter des Empirismus. Er machte als Jurist und Politiker in England Karriere. 1618 wurde er zum Lordkanzler befördert. Bacon verfasste zahlreiche philosophische, literarische und juristische Schriften. Etwa im Jahr 1614 schrieb er mit „Nova Atlantis“ eine Utopie, in der er die Gründung wissenschaftlicher Akademien nach seinen Vorstellungen anregte. Ziel der Wissenschaft sei Naturbeherrschung im Interesse des Fortschritts, Wissenschaft muss einen praktischen Nutzen haben.

 „Nova Atlantis“ erschien 1627 – ein Jahr nach dem Tod des Verfassers – in neulateinischer Sprache. Es ist der Versuch einer Darstellung eines vollkommenen Staatswesens, dessen Bestand und Zukunft durch die experimentellen Methoden der Wissenschaft und die wachsende Fülle ihrer Ergebnisse gesichert sein sollte. „Nova Atlantis“ ist die erste neuzeitliche Utopie, die sich sowohl im Titel als auch im Text explizit auf Platons Atlantis beruft. Bacon erhebt Atlantis dabei zum historischen Fakt, um der eigenen Geschichte mehr Glaubwürdigkeit zu geben. Dieses „alte Atlantis“ sei einst in der von Platon beschriebenen Katastrophe untergegangen, jedoch hätten sich einige Bewohner auf das „neue Atlantis“, die (fiktive) Südseeinsel Bensalem retten können. Rein äußerlich handelt es sich um einen romanhaften Reisebericht, der sich an der „Utopia“ von Morus zum Teil anlehnt. Bensalem ist eine Insel im Stillen Ozean, die Bewohner sind Christen voller Frömmigkeit und Menschenliebe. An materiellen Werten wie Gold oder Silber sind sie nicht interessiert. Bensalem ist wenigen Menschen bekannt, die Bewohner der Insel kennen jedoch die meisten Staaten der Welt ganz gut. Auf Bensalem siedelten sich Phönizier, Karthager, Ägypter, Palästinenser, Araber und Chinesen an. König Solamona, ihr Gesetzgeber, ordnete an, die Einwanderung von Fremden zu unterbinden aus Angst vor Neuerungen oder Verwirrung der Sitten. Einigen Juden, die auf der Insel leben, wird freie Religionsausübung gewährt.

Johann Gottfried Schnabels Werk „Insel Felsenburg“ hat sowohl utopischen Charakter[1] als auch bedeutende Schnittmengen mit der Robinsonade.[2] Bei der Darstellung einer unbekannten Welt geht es vor allem um die Schilderung persönlicher Einzelschicksale; die Figuren treten als individualisierte Charaktere auf.  Der Zeitpunkt des Erscheinens von Schnabels Werk ist nicht festlegbar; zwischen 1731 und 1743 erschien es unter dem Titel „Wunderliche Fata einiger See-Fahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebornen Sachsen“. Anstatt dieses langen Titels setzte sich im Laufe der Zeit die Bezeichnung „Insel Felsenburg“ durch. Dieser Roman entwickelte sich zu einem der beliebtesten Schriften des 18. Jahrhunderts. Zwischen 1731 und 1772 gab es  insgesamt 26 neue Auflagen.

Schnabel, der in der Nähe von Bitterfeld geboren wurde, nahm zwischen 1708 und 1712 auf Seiten Prinz Eugens in den Niederlanden am Spanischen Erbfolgekrieg teil.[3] Zwischen 1731 und 1741 arbeitete er als Herausgeber einer Zeitung und als Autor. In dieser Zeit entstand neben der Insel Felsenburg der Roman „Der im Irrgarten der Liebe herum taumelnde Kavalier“. Im Jahre 1750 veröffentlichte Schnabel den phantastischen Roman „Der aus dem Mond gefallene und nachero zur Sonne des Glücks gestiegene Printz“ unter dem Pseudonym Gisander. Unter diesem Pseudonym publizierte Schnabel auch den Roman Insel Felsenburg.[4]

Der utopische Charakter ist dabei in eine doppelte Rahmenhandlung eingebunden. Die äußere Handlung erzählt die Geschichte des fiktiven Herausgebers Gisander, der das Manuskript des Romans von dem Literaten Eberhard Julius erhielt, den er auf einer Reise kennenlernte. Nachdem Julius bei einem Postkutschenunfall verstarb, ordnete Gisander die Manuskripte von Julius und gab sie dann heraus. Die innere Handlung bildet dann die autobiographische Erzählung des Eberhard Julius. Als Julius einen Brief von dem Ahnvater der Insel Felsenburg, Albertus Julius, erhielt, brach Eberhard Julius mit dem Kapitän Leonhard Wolffgang auf, um ihn auf der Insel aufzusuchen. Nachdem er dort angekommen war, berichtet Julius von der fiktiven Insel und seinen Bewohnern.

Neben diesen Erzählungen berichten auch andere Emigranten über die utopische Insel. Deren Berichte heben immer wieder den Unterschied zwischen dem Europa im 18. Jahrhundert, wo schreckliche Zustände herrschten, und dem jetzigen Ort hervor. In verschiedenen Ländern Europas, aus denen die Emigranten ursprünglich stammten, gab es Krieg, Armut, allgemeinen Sittenverfall und religiöse Intoleranz. Ein Grund zur Rückkehr in diese Welt gibt es nicht, die Insel Felsenburg wird als glückseliger Ort beschrieben, wo die europäischen Zustände überwunden worden sind.

Kurz nach seiner Ankunft auf der Insel erzählte ihm Albertus Julius die Anfänge des Insellebens. Nach einem Schiffbruch erreichten er selbst, sein Freund Carl Frantz van Leuven, dessen Frau Concordia sowie der Kapitän des Schiffes, Lelemie, die Insel. Dort angekommen, wurden die Regeln der patriachalische „Gleichheit“ der Personen und des gemeinsamen Besitzes beschlossen. Albertus sagte zum Kapitän Lelemie: „Die Zeiten haben sich geändert, euer Kommando ist zu Ende, es gilt unter uns dreien einer so viel wie der andere, die meisten Stimmen gelten, die Viktualien und andere Sachen sind gemeinschaftlich.“[5]

Concordia als Frau wurden diese basisdemokratischen Entscheidungsbefugnisse vorenthalten, lediglich männliche Mitglieder durften abstimmen. Diese patriarchalische Ordnung setzte sich in der staatlichen Ordnung Felsenburg fort. Mit dem Hinweis auf die „Gottebenbildlichkeit“ des Mannes wurde deren Herrschaft legitimiert. Die freiwillige, monogame Ehe bildete die Grundlagen der Gesellschaft Felsenburgs. Frauen- und Kindergemeinschaften, die in Platons Staat wesentlich für das Gemeinschaftsleben angesehen wurden, gab es auf Felsenburg nicht. Hier dominierte die Kleinfamilie mit einer  christlichen Lebens- und Moralphilosophie. Schölderle bemerkte: „Die abgebildeten Ideale, allen voran die protestantische Religion, haben ihren Ort in der familiären Privatheit und nicht in den staatspolitischen  Institutionen oder Repräsentanzorganen.“[6]

Nach dem Tod van Leuvens wurden Albertus und Concordia ein Paar und zeugten neun Kinder, die schließlich die neun „Julischen Stämme“ bildeten. Diese Stammesfamilien waren die Organisationseinheiten des staatlichen Gemeinwesens auf der Insel Felsenburg. Die festgelegten basisdemokratischen Entscheidungsbefugnisse wurden im politischen System Felsenburgs nicht fortgesetzt. Das Vorbild der absolutistischen Herrschaft im Europa des 18. Jahrhunderts wurde zwar auch abgelehnt, aber es das staatliche System trug Züge einer monarchistischen Verfassung und einer starken Zentralgewalt. Diese Zentralgewalt sollte in ihren Befugnissen von neun Senatoren aus den jeweiligen Stammesfamilien eingeschränkt werden. Albertus stellte fest: „Jedoch ist meine Meinung nicht, dass ein solches Oberhaupt als ein souveräner Fürst regieren und befehlen solle, sondern seine Macht und Gewalt muss durch das Ansehen und Stimmen noch mehrerer Personen eingeschränkt sein.“[7]

Aufgrund der milden klimatischen Verhältnisse und des fruchtbaren Bodens gedieh das wirtschaftliche Leben auf Felsenburg. Mangel an Lebensmitteln gab es nicht, es wurde gar von einer Überflussgesellschaft berichtet, die im Gegensatz zum Europa des 18. Jahrhunderts die erarbeiteten Güter gerecht verteilte. In Felsenburg gab es bevorzugt Wirtschaftseinrichtungen im Acker-, Garten- und Weinbau. Felsenburg wurde als ein Ort dargestellt, wo „die Tugenden in ihrer angeborenen Schönheit anzutreffen, hergegen die Laster des Landes fast gänzlich verbannt und verwiesen sind.“[8]

Wie auch in anderen Utopien war auf der Insel ein geometrisches Ordnungsdenken vorherrschend. In einem Dreieck zwischen den beiden größten Flüssen befand sich die Albertsburg, das politische Zentrum der Insel. Um die Albertsburg herum wurden die neun Regierungsbezirke angeordnet. Rationalität und ein alles beherrschender Utilitarismus war auf Felsenburg vorherrschend: „Die Natur wird, ohne jede Schwärmerei, durchweg nach den Kriterien der Nützlichkeit beurteilt und der menschlichen Herrschaft unterworfen, wobei die ‚zivilisatorische Rationalität‘ auch vor dem Menschen nicht halt macht.“[9] Rationale Gesetzgebung und eine statische, prinzipiengeleitete Lebensgemeinschaft wurden zu den Garanten des Glücks erhoben.

Auf Felsenburg gab es kein Geldverkehr oder Privateigentum, alles wurde nach dem Prinzip der Gemeinschaftlichkeit auf dem ökonomischen Sektor organisiert. Es existierte „Gold, Silber, Kleinodien und Geld“ auf der Insel, was aber kaum eine Rolle spielte, da es auf der Insel keinen Nutzen brachte.[10] Es gab keinen Handel mit anderen Inseln in der Nähe, es kam lediglich in den neun Siedlungsterritorien zu einem Austausch von Gütern. Arbeit bedeutete für die Felsenburger keine Mühe, es wurde als Freude betrachtet. Müßiggang wurde abgelehnt und bestraft.

Die Insel wurde als schwer zugänglich beschrieben, so dass ein Bild der isolierten Abgeschiedenheit gezeichnet wurde. Das Innere der Insel wurde mit künstlichen Gräben und Hindernissen abgeschottet, um nicht von ungebetenen Neuankömmlingen belästigt zu werden. Schnabel betont die Exklusivität der Bewohner, der Zutritt blieb nur „gewissen erlesenen Leuten“ vorbehalten. Es wurde außerdem eine Art militärischer Verteidigung der Insel aufgebaut, um die selbstgewählte Isolation zu gewährleisten.[11] Durch die Abschirmung der Insel vom Rest der Welt kannten die Bewohner Felsenburgs keinen Krieg, wie er im Europa des 18. Jahrhunderts üblich war.

Schnabels Utopie enthieht weder den Willen noch den Aufruf zur Realisierung.[12] Das Werk war konzipiert als fiktives Gegenbild, als gedankliches Experiment. Es versuchte, den herrschenden Missständen im Europa des 18. Jahrhunderts den Spiegel vorzuhalten. 

Schnabel versuchte niemals, das politische und soziale Programm der Insel Felsenburg in die Praxis umzusetzen. Er wollte die von Sittenverfall und Egoismus geprägten Verhältnisse in Europa mit dem Bild einer idyllischen Inselwelt, wo es keine Probleme und materielle Sorgen gibt, konfrontieren. Der Egoismus in seinen Formen der Sündhaftigkeit und Unmoral wurde als Antipode des Gemeinschaftssinnes und damit als Störelement des gerechten Ausgleichs der Lebensverhältnisse und der Gemeinschaftsinteressen beschrieben. Die Bewohner der Insel Felsenburg verzichteten auf den Kontakt mit der übrigen Welt; somit kann von einer Flucht vor den Problemen Europas gesprochen werden. Ihre Insel war dabei das positive Gegenbild einer problembehafteten Realität.

Schnabel wollte mit seinem Roman seine eigene bedrängte und als mangelhaft empfundene Gegenwart überschreiten und erdachte sich deshalb ein besseres Dasein wie so viele Utopisten wie Thomas Morus, Tommaso Campanella oder Francis Bacon vor ihm.

Schnabels Insel Felsenburg ist ein Prototyp der Utopie mit den Merkmalen: die Verwendung der Inselmetapher, die Berufung auf die Vernunft, die Identifizierung von Geld und Privateigentum als Wurzel allen Übels, die Geringschätzung von Gold und Silber, die geometrischen Ordnungsmuster sowie der Verzicht auf die Produktion unnützer Güter.[13] Die Organisation des staatlichen Gemeinwesens auf Felsenburg widersprach mit ihrer Mischverfassung der staatsabsolutistischen Praxis in den Staaten Westeuropas im 18. Jahrhunderts; dies war auch eine versteckte Kritik am Absolutismus und seinen Vertretern. Schnabels Utopie ging nicht nur auf die ideale politische und soziale Ordnung auf Felsenburg ein, er schilderte auch persönliche Einzelschicksale.[14] Bei allen Vergesellschaftungstendenzen auf Felsenburg wurde das Individuum diesen nicht streng untergeordnet, es blieb weiterhin ein wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Lebens.

Morus Utopia prägte auch die Ideen der Frühsozialisten. Der Begriff Frühsozialismus bezieht sich auf die Tatsache, dass die genannten Theorien und Ideen vor den Revolutionen von 1848/1849, vor den ersten eigentlich sozialistischen Vereinigungen und vor allem vor den Schriften von Karl Marx veröffentlicht wurden. Neben dem Wirken von Marx und dem Entstehen der Sozialdemokratie spielten auch Persönlichkeiten des vor allem in Süd- und Osteuropa erstarkenden Anarchismus wie Pierre-Joseph Proudhon und Michail Bakunin eine Rolle bei der Ablösung frühsozialistischer Ideen. Diese frühen oder utopischen Sozialisten lebten alle etwa um dieselbe Zeit, nämlich 1770 bis 1825. Diese sozialistischen Autoren seien aber keine Utopisten etwa im Sinne von Thomas Morus gewesen, denn sie hätten daran geglaubt, dass ihre ideal vorgestellten Gesellschaften in naher Zukunft zu realisieren gewesen seien.

François Noël Babeuf (1760–1797) war wahrscheinlich der erste Autor, der den Sozialismus als Staatsform anstrebte. Er gründete dazu während der Französischen Revolution die verschwörerische Société des égaux („Gesellschaft der Gleichen“): Damit begann der Frühsozialismus sich politisch zu organisieren. Über Filippo Buonarotti gelangten Babeufs Ideen zu den Frühsozialisten Charles Fourier (Theorie der vier Bewegungen und der allgemeinen Bestimmungen, 1808) und Louis-Auguste Blanqui (1805–1881). Von seinen Ideen und denen des Henri de Saint-Simon war wiederum der 1834 in Paris gegründete Bund der Geächteten beeinflusst. Saint-Simon begründete nicht nur die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Denkschule der Saint-Simoniens, die in den 1830er und 1840er Jahren sehr bedeutsam wurde, sondern er wirkte auch stark auf die sozialpolitischen Vorstellungen vieler Autoren der Romantik und vor allem vieler politischer Akteure der Zeit.

Er zählte zu den Vertretern jenes Frühsozialismus, der den Widerspruch von Karl Marx erregte und insofern dessen Denken beeinflusste. Mit Le nouveau christianisme wurde er einer der Väter der katholischen Soziallehre, die um und nach 1900 florierte und sich als christliche Alternative zum atheistischen Sozialismus à la Marx verstand.

Von ihm spaltete sich 1836 der Bund der Gerechten ab, dessen Führung bis 1848 der Schneider Wilhelm Weitling übernahm. Weitling, ein Frühsozialist mit christlichen Überzeugungen, gilt als erster deutscher Theoretiker des Kommunismus.

Frühe Sozialisten waren auch der deutsch-jüdische Philosoph Moses Hess (1812–1875), der den sozialistischen Flügel des Zionismus begründete, Hermann Kriege und der deutsche Journalist Karl Grün (1817–1885). Der deutsche Ökonom Karl Rodbertus (1805–1875) gilt als Begründer des Staatssozialismus.

In England war Robert Owen der bedeutendste Frühsozialist, der sich aus Armut schon in jungen Jahren zum Unternehmer emporgearbeitet hat. Vor allem bis zu seinem öffentlichen Bekenntnis zum Atheismus war er auch in den gehobenen Gesellschaftsschichten sehr populär. Owen war, eine Ausnahme unter den Frühsozialisten, auch praktisch politisch aktiv, so beeinflusste er beispielsweise die Arbeiterschutzgesetze und versuchte sich (erfolglos) in Amerika mit einer sozialistischen Mustersiedlung. Er gilt als Vertreter des Genossenschaftssozialismus.

Viele Ideen, die Owen in seiner Baumwollspinnerei New Lanark hatte und umsetzte, sind heute in den Industrieländern selbstverständlich. Dazu zählen unter anderem: Abschaffung der Kinderarbeit, Schulbildung der Kinder, Arbeitszeitbeschränkung, effiziente Organisation der Betriebsabläufe, Motivation der Mitarbeiter, saubere Arbeitsplätze, Gewerkschaftsbildung, Genossenschaftswesen, etc.

1825 verkaufte Owen die Fabrik und ging in die Vereinigten Staaten, um dort seine utopisch genossenschaftlich konzipierte Kolonie New Harmony zu gründen. Die Siedlung war ihm von Johann Georg Rapp verkauft worden. Das Experiment scheiterte schnell. Owen kehrte 1829 nach England zurück. Die mittlerweile stärker gewordenen Gewerkschaften griffen seine Ideen der Genossenschaft auf.

 Bei der Auseinandersetzung um den Utopiebegriff hält Thomas Schölderle eine Orientierung an die Musterschrift von Morus für sinnvoll, da sich aus Form, Inhalt, Funktion und Intention seiner „Utopia“ die meisten Kriterien eines generalisierbaren Begriffs ermitteln lassen. Schölderle definiert Utopie folgendermaßen: „Eine Utopie ist der meist literarische Entwurf von idealtypisch und rational-experimentell konstruierten Institutionen oder Prinzipien eines Gemeinwesens, der den realhistorischen Verhältnissen in kritischer Intention gegenübersteht und auf ein besseres Leben der Menschen gerichtet ist.“[15]

Er versteht Utopien als Instrumentarium der Sozialkritik, die in einem selbst geschaffenen Szenario die politischen Unzulänglichkeiten und Missstände der Gegenwart beschreiben und kritisieren: „Utopien fungieren immer als Denkappell, als Spiel mit Möglichkeiten, als ein Raum des geistigen Experiments und als restriktionsbefreiter Entwurf von Ideen, der (…) nie mit der praktisch-politischen Tat zusammenfällt.“[16]

Schölderle plädiert dafür, dass Utopien auch in der Zukunft benötigt werden, um gegenwärtige oder zukünftige gesellschaftliche Ungerechtigkeiten mit Hilfe von rationalen Lösungsstrategien anzuprangern: „Als hypothetisch-anzipierte Realitäten sozialer und technischer Innovationen bleiben Utopien nach wie vor von zentraler Bedeutung. (…) Utopien fragen unablässig nach den institutionellen Bedingungen des gesellschaftlichen Daseins und Glücks, nach den Gerechtigkeitsprinzipien seiner Ordnung und nach der Rationalität seiner Umsetzung. (…) Sie wecken Bewusstsein, fordern Antworten und suchen Lösungen.“[17]

Morus’ Schüler Thomas Elyot veröffentlichte 1531 die staatstheoretische und moralphilosophische Schrift The boke Named the Governour. Darin legte er humanistische Erziehungsgrundsätze dar, die im 16. Jahrhundert maßgeblich zur Ausbildung des Gentleman-Ideals beitrugen.

In der politischen Theorie gingen im 16. Jahrhundert die stärksten Impulse vom Platonismus aus. Die englischen Humanisten setzten sich intensiv mit Platons Lehre von einem guten und gerechten Staat auseinander.[18] Sie rechtfertigten die bestehende aristokratische Gesellschaftsordnung und versuchten sie zu verbessern, indem sie für eine sorgfältige Erziehung der Kinder des Adels nach humanistischen Grundsätzen eintraten. Humanistische Bildung sollte zu den Merkmalen eines Gentleman und politischen Verantwortungsträgers zählen. Diese tendenziell meritokratische Werteordnung war nicht problemlos mit dem Prinzip der Herrschaft des Erbadels vereinbar. Den Humanisten stellte sich die Frage, ob der Erwerb humanistischer Bildung zu einem Aufstieg in Stellungen, die normalerweise Adligen vorbehalten waren, qualifizieren konnte und ob ein nicht bildungswilliger Angehöriger der aristokratischen Führungsschicht seinen ererbten sozialen Rang aufs Spiel setzte, ob also letztlich die Bildung oder die Abstammung ausschlaggebend war. Die Antworten fielen unterschiedlich aus.[19]

John Locke war ein einflussreicher englischer Philosoph und Vordenker des Humanismus. Er ist zusammen mit Isaac Newton und David Hume der Hauptvertreter des britischen Empirismus. Des Weiteren ist er neben Thomas Hobbes (1588–1679) und Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) einer der bedeutendsten Vertragstheoretiker im frühen Zeitalter der Aufklärung.

Seine politische Philosophie beeinflusste die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, die Verfassung der Vereinigten Staaten, die Verfassung des revolutionären Frankreichs und über diesen Weg die meisten Verfassungen liberaler Staaten maßgeblich [20]

In seinem Werk Two Treatises of Government argumentiert Locke, dass eine Regierung nur legitim ist, wenn sie die Zustimmung der Regierten besitzt und die Naturrechte Leben, Freiheit und Eigentum beschützt. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, haben die Untertanen ein Recht auf Widerstand gegen die Regierenden.

Lockes erste Veröffentlichung war ein 1653 publiziertes Lobgedicht auf Oliver Cromwell, nachdem dieser eine Schlacht im Englisch-Niederländischen Krieg gewonnen hatte.[21] Während seiner Zeit in Christ Church befasste sich Locke in seinen Schriften nicht mit Philosophie im engeren Sinne, er bereitete aber einige Texte zur Politik Englands und zum Naturrecht vor. Eine Abhandlung über den civil magistrate bereitete er 1664 zum Druck vor, sie wurde aber nie veröffentlicht. Zusammen mit seinen universitätsinternen Schriften zeigt der Text, dass Locke zu dieser Zeit weit autoritärer war als zu späterer Zeit.

Er verteidigt die absolute Macht des Magistrats über die Mitglieder der Gesellschaft; die Entscheidungen binden selbst das Gewissen der einzelnen Mitglieder.[22] Die Freiheit des Individuums beginnt erst dort, wo es keine bindende Entscheidung gibt. Im Gegensatz zu Verfechtern eines monarchischen Absolutismus legt Locke aber bereits in dieser Phase eine Art Rechtsstaat zugrunde: die höchste legitime Gewalt war nicht die Person des Herrschers, sondern die Gesamtheit der Gesetze, die er repräsentierte.

Lockes erste weiter verbreitete Publikationen sind wahrscheinlich in enger Zusammenarbeit mit dem 1. Earl of Shaftesbury entstanden. The Fundamental Constitutions of Carolina (Die grundlegende Verfassung Carolinas) erschien 1669, der Letter from a Person of Quality (Brief eines Vornehmen) 1675, beide wurden anonym veröffentlicht.

In seinen späten Jahren fernab des politischen Tagesgeschehens veröffentlichte er seine Hauptwerke; die Entwürfe und Skizzen dazu waren aber weit älter.[23] Sie sind in ihren Grundzügen bereits entstanden, als Locke noch eng mit dem Earl of Shaftesbury zusammenarbeitete. Sein erster Entwurf zum Versuch über den menschlichen Verstand datiert von 1671.

1686 erschienen die anonym veröffentlichten Briefe über Toleranz, die teilweise wahrscheinlich auch aus der Feder Shaftesburys stammen.[24] 1690 folgten ebenfalls anonym Zwei Abhandlungen über die Regierung, im selben Jahr erschien der Versuch über den menschlichen Verstand, in dem zumindest sein Name unter dem Vorwort stand; 1692 wurden die bereits 1668 geschriebenen Betrachtungen über die Senkung des Zinssatzes und die Erhöhung des Geldwertes publiziert, in denen er sich für eine frühe Form des Freihandels einsetzte, 1694 schließlich die Thoughts Concerning Education (Gedanken zur Erziehung).

Eine Ausnahme in seinem Werk bilden die zwei Abhandlungen über die Regierung (Two Treatises on Government), über die es keine Skizzen, Manuskripte oder andere Aufzeichnungen Lockes gibt[25]. Das Buch entstand im Wesentlichen wahrscheinlich Mitte der 1680er vor der Bill of Rights. Da es erst nach dieser veröffentlicht wurde, konnte er aber Einleitung und bestimmte Teile so umschreiben, dass es als Begründung dieser gelesen werden konnte. Er ließ die Arbeit nicht nur anonym verlegen, sondern beseitigte auch alle Spuren, die ihn als Verfasser mit dem Werk in Zusammenhang bringen konnten. Unter anderem vernichtete er das Manuskript. Obwohl bereits zu Lebzeiten viele Zeitgenossen ihm die Abhandlung öffentlich zuschrieben und sie lobten, reagierte Locke nicht darauf. Selbst in seinem eigenen alphabetisch geordneten Bücherregal war es bei den unbekannten Autoren eingeordnet. Erst in seinem Testament bekannte er sich zur Autorenschaft.

Locke lieferte einen bedeutenden Beitrag zur Erkenntnistheorie.[26] Er befürwortet zwar die rationale Theologie und die Wende der Philosophie des Mittelalters zur Philosophie der Neuzeit, die die rationalistische Philosophie vor allem René Descartes verdankt. Locke wandte sich aber gegen die Rechtfertigung der Naturwissenschaften aus dem bloßen Denken und suchte ihr Fundament stattdessen in der Erfahrung.

Dennoch nahm er wie Descartes als Ausgangspunkt der philosophischen Überlegungen den Zweifel an der gegenständlichen Wirklichkeit, an der Existenz der Außenwelt.[27] Die Aufhebung dieses Zweifels wurde von ihm nun nicht mehr über den Gottesbegriff vollzogen, sondern empiristisch, angeregt durch Pierre Gassendi. In seinem aus vier Büchern bestehenden Hauptwerk An Essay concerning Human Understanding (Ein Versuch über den menschlichen Verstand) untersuchte Locke den Ursprung, die Gewissheit und den Umfang menschlichen Wissens in Abgrenzung zu Glauben, Meinen und Vermuten. Ausgangspunkt war einerseits Lockes scholastische Ausbildung in Oxford auf Basis des in England vorherrschenden Nominalismus. Andererseits hatte er sich in seinem vierjährigen Frankreichaufenthalt intensiv mit Descartes und dessen Vorstellung eingeborener Ideen auseinandergesetzt.

Entsprechend untersuchte Locke im ersten Buch zunächst den Ursprung der Ideen und entwickelte eine Vielzahl pragmatischer Argumente gegen die Existenz eingeborener Ideen. Seine Grundthese ist die bereits weit vor ihm formulierte Aussage: Nihil est in intellectu quod non (prius) fuerit in sensibus („Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre“). Das zweite Buch befasst sich mit dem Zusammenhang von Ideen und Erfahrung. Das menschliche Bewusstsein ist bei der Geburt wie ein weißes Blatt Papier (Tabula rasa), auf das die Erfahrung erst schreibt. Ausgangspunkt der Erkenntnis ist die sinnliche Wahrnehmung. Er unterschied äußere Wahrnehmungen (sensations) und innere Wahrnehmungen (reflections). Der nächste Schritt ist im dritten Buch die Untersuchung der Rolle der Sprache, ihres Zusammenhangs mit den Ideen und ihrer Bedeutung für das Wissen. Buch vier handelt schließlich von den komplexen (zusammengefassten) Ideen, von den Grenzen des Wissens und dem Verhältnis von Begründung und Glauben.[28]

Lockes Kritik der Vorstellung der eingeborenen Ideen (ideae innatae) hat einen aufklärerischen Charakter. Durch die Untersuchung der Dinge selbst soll den Dogmen, Vorurteilen und den von Autoritäten vorgegebenen Prinzipien, wie sie zu seiner Zeit an der Tagesordnung waren, der Boden entzogen werden. Nachdrücklich wandte er sich gegen Descartes' Annahme, dass auch die Gottesidee angeboren sei: denn in vielen Gegenden der Welt gebe es keine entsprechende Gottesvorstellung.

Wenn es angeborene Ideen gäbe, müssten diese auch bei geistig zurückgebliebenen Menschen vorhanden sein.

Eingeborene Ideen würden auch die Vernunft überflüssig machen, da man nicht erst zu entdecken braucht, was man schon besitzt.[29] Prinzipien wie das vom ausgeschlossenen Widerspruch („Nichts kann zugleich und in derselben Hinsicht sein und nicht sein“) oder von der Identität („Alles, was ist, das ist“) sind evident, müssten aber erst durch die Vernunft erschlossen werden. Es gibt keine Kriterien zur Unterscheidung eingeborener von erworbenen Ideen. Auch das Kriterium der Evidenz kann aus Sicht Lockes nicht eingeborene Ideen kennzeichnen, denn es gebe so viele evidente Aussagen, dass diese unmöglich angeboren sein könnten. Aus den gleichen Gründen gebe es auch keine eingeborenen moralischen Prinzipien. Grundsätze wie Gerechtigkeit oder das Einhalten von Verträgen müssten durch die Vernunft begründet werden, damit sie Allgemeingültigkeit erhalten.[30]

Als wesentliches Argument gegen den Innatismus sah Locke an, dass seine eigene, für ihn schlüssige Erkenntnistheorie ohne die Vorstellung der eingeborenen Ideen auskam.[31]

Das Material der Erkenntnis sind einfache Ideen. Deren Ursprung liegt in der Erfahrung. Locke unterschied dabei sensations (äußere Eindrücke) und reflections (innere Eindrücke), die erst im Verstand zu komplexen Ideen verbunden und geformt werden. Die inneren Eindrücke umfassen geistige Tätigkeiten wie Wahrnehmen, Zweifeln, Glauben, Schließen, Erkennen oder Wollen. Komplexe Ideen entstehen durch Vergleichen, Zusammensetzen, Abstrahieren und andere entsprechende Tätigkeiten des Verstandes. Damit war Locke nicht – wie so oft zu lesen ist – Sensualist. Für ihn gab es sehr wohl einen aktiven Verstand (vgl. intellectus agens), der im Erkenntnisprozess eine wesentliche Rolle spielt. Soweit besteht kein Unterschied zu Kant.

Für Locke gab es lediglich keine Ideen a priori, sondern nur das Vermögen, Wahrnehmungen zu verarbeiten zu Abbildern, komplexen Ideen und Begriffen.[32] Bei komplexen Ideen unterschied er Substanzen, Relationen und Modi. Substanzen sind Dinge, die eigenständig existieren, einschließlich der Engel, Gott und anderer „konstruierter“ Gegenstände. In Relationen drückt sich das Verhältnis verschiedener Ideen aus. Modi sind Ideen, die nicht die Wirklichkeit abbilden, sondern geistige Konstrukte, beispielsweise „Dreieck“, „Staat“ oder „Dankbarkeit“.

Bei der Erfassung der Substanzen, die für Locke jeweils komplexen Ideen entsprechen, unterschied er primäre und sekundäre Qualitäten. Primär sind solche Eigenschaften, die den Substanzen unmittelbar innewohnen wie Ausdehnung, Festigkeit oder Gestalt. Sekundäre Qualitäten sind Eigenschaften, die nicht tatsächlich im Körper des Gegenstandes vorzufinden sind, sondern in der Idee der jeweiligen Substanz von unserer Wahrnehmung hinzugefügt werden.[33]

Locke fand in der Unterscheidung der sekundären Qualitäten ein Problem, das noch in der Philosophie der Gegenwart unter dem Stichwort Qualia intensiv diskutiert wird. Sekundäre Qualitäten sind für Locke Produkte des Geistes. Sie „sind nichts weiter als die Vermögen verschiedener Kombinationen der primären Qualitäten.“. Primäre Qualitäten sind Eigenschaften fester Körper, deren Abbilder Ideen im menschlichen Geist hervorrufen.

Dies setzt einen nicht näher bestimmbaren Träger voraus, eine Substanz, deren Erkenntnis angenommen werden muss, ein Ding von dem wir offensichtlich keine klare Idee haben. Diese Substanz beschrieb Locke in Anlehnung an Gassendi und in Übereinstimmung mit dem von Boyle vertretenen Atomismus als nicht wahrnehmbare kleinste Teilchen. Seine Vorstellung kennzeichnete er als Hypothese. Die Welt ist so, wie sie uns erscheint, auch wenn sie mit der realen Welt nicht übereinstimmen muss.[34] Aber am Konzept einer realen Welt muss man festhalten. Als Konsequenz ergibt sich ein Dualismus von Geist und Materie. Die Annahme sowohl einer geistigen Welt als auch einer realen Welt war Ansatzpunkt der Kritik sowohl durch Berkeleys Idealismus als auch Humes Skeptizismus.

Erkenntnis ist Locke zufolge die Perzeption (Wahrnehmung) der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von Ideen.[35] Zur Erkenntnis bedarf es also des Urteils, ob eine Aussage gültig ist. Locke unterschied drei Elemente der Erkenntnis, die intuitive, die demonstrative und die sensitive Erkenntnis. Intuitiv erkennt man Ideen als solche, wenn sie im Geist als Einheit vorhanden sind (Identität) und sie sich von anderen Ideen unterscheiden (Distinktheit). Das intuitive Erfassen einer Idee ist notwendig für die weiteren Erkenntnisschritte. Intuitive Wahrheit ergibt sich, wenn die Ideen nicht mehr weiter analysierbar sind (Evidenz).

Demonstrative Erkenntnis findet nur mittelbar statt.[36] Der Verstand hat das Vermögen, mit Hilfe der Ideen einen Zusammenhang zwischen zwei Ideen herzustellen. Dieses Vermögen ist nach Locke die Vernunft. Diese Art der Erkenntnis nannte er die rationale. Die Verknüpfung der Ideen erfolgt dabei in Einzelschritten, wobei jeder Schritt durch intuitive Erkenntnis bestätigt wird. Die scholastischen Syllogismen waren für Locke nur deduktiv, also nicht geeignet, tatsächlich neue Erkenntnis zu erzeugen. Sie hatten nur eine didaktische Funktion.

Mit der sensitiven Erkenntnis schließlich erfasst der Mensch die Existenz realer Gegenstände; denn „niemand kann im Ernst so skeptisch sein, dass er über die Existenz der Dinge, die er sieht oder fühlt, ungewiss wäre“.[37] Allerdings sind die Sinne gegenüber der Evidenz und der Ableitbarkeit mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, so dass Locke am Ende die Erkenntnis im engeren Sinne als intuitive und demonstrative Erkenntnis bestimmt.

Lockes Empirismus begrenzt die Erkenntnis auf die Erfahrung. Was jenseits der sinnlichen Erfahrung liegt, die Essenz (das Wesen) der Dinge, kann nicht erkannt werden. Der Verstand gibt dem Erkannten Einheit, indem er den „Begriff von der reinen Substanz im allgemeinen“ bildet.[38] Über die Natur lässt sich nichts Endgültiges sagen. Mit Hilfe der Vernunft kann der Mensch die Sinne nicht übersteigen. Er kann nur Hypothesen aufstellen als Leitfaden für Forschung und Experiment. Absolute Gewissheit ist auf empirischem Wege nicht möglich. Im Bereich der Hypothesen arbeitet der Verstand mit abstrakten Begriffen wie Art und Gattung, indem er von der Erfahrung abgeleitete, aber abstrahierte komplexe Ideen wie Relationen und Modi verwendet. Solche Ideen wie die des Dreieckes haben nicht nur nominale, sondern auch reale Essenz. Deshalb ist es in den abstrakten Wissenschaften wie der Mathematik möglich, unanfechtbare Wahrheiten zu finden.[39]

Da er z.B. Gerechtigkeit, Dankbarkeit oder Diebstahl gleichzeitig als Modi einstufte, zählte Locke die Moral zu den abstrakten Wissenschaften, für die man diese allgemeinen und sicheren Wahrheiten mit Hilfe der Vernunft herleiten kann.[40]

Erste Reaktionen auf den Essay gab es bereits zu Lockes Lebzeiten, wobei sich sowohl Cartesianer (John Norris) als auch Thomisten (John Sergeant) ablehnend äußerten. Von den bekannten Philosophen reagierten sowohl Leibniz mit Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (1704, gedruckt 1759) als auch Berkeley mit der Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis (1709) unmittelbar kritisch auf das Werk Lockes. Dieses kann daher als Anstoß für eine neue Gattung von Abhandlungen in der Philosophie angesehen werden, die sich ausschließlich auf die erkenntnistheoretische Frage konzentriert.

In diesem Sinn stehen auch Humes Untersuchungen über den menschlichen Verstand und Kants Kritik der reinen Vernunft in einer Linie der Diskussion über die Erkenntnistheorie. Während Locke, Berkeley und Hume jeweils die empiristische Position vertraten, sind Leibniz und Kant Vertreter des Apriorismus – ein Gegensatz, der seit Descartes und Locke die philosophische Auseinandersetzung über den Positivismus (John Stuart Mill) und Neopositivismus einerseits sowie den deutschen Idealismus einschließlich Arthur Schopenhauer, der Locke als seicht kritisierte, und dem Neukantianismus andererseits bis in die Gegenwart bestimmte. Lockes Theorie der Erfahrung fand in Prozess und Realität bei Alfred North Whitehead eine positive Aufnahme, wohingegen er kritisierte, dass Locke die Trennung von Subjekt und Substanz ebenso wie viele andere Philosophen seiner Zeit zumindest implizit übernommen habe.[41]

Von Lockes theologischen Schriften ist besonders The Reasonableness of Christianity as Deliver’d in the Scriptures (Vernünftigkeit des Christentums wie in der Heiligen Schrift dargestellt, 1695) wichtig. Locke verband rationalistisches Gedankengut mit dem überkommenen Supranaturalismus[42]. Er wollte darlegen, dass das in der Bibel Bezeugte der Vernunft entspricht, ja von ihr als logisch anerkannt werden muss. Die Wunder seien eine Beglaubigung des Wahrheitsanspruchs der Bibel. Locke hielt an der wörtlichen Eingebung der biblischen Texte (Verbalinspiration) fest, ebenso am kosmologischen Gottesbeweis. Jesus war für ihn sowohl Lehrer des göttlichen Willens (Heiland) als auch Erlöser (Christus) und Inhalt der göttlichen Selbstbekundung (Gottes Sohn). Ähnlich wie Luther beschäftigte sich Locke intensiv mit den Briefen des Apostels Paulus. Posthum erschien A Paraphrase and Notes on the Epistles of St. Paul (Eine Paraphrase und Anmerkungen zu den Paulusbriefen).[43]

Die Eltern Lockes waren Puritaner. Deshalb waren ihm von klein auf reformatorische Frömmigkeit, Lebensführung und Theologie vertraut. Dazu gehörten ganz wesentlich die demokratischen Strukturen im Leben der Kirchengemeinden bei Kongregationalisten, Presbyterianern, Baptisten und Quäkern (z. B. Wahl der Kirchenältesten (Presbyter) und der in die regionalen und nationalen Synoden entsandten Vertreter durch die Gemeindeglieder, Gleichstellung von Geistlichen und Laien). Dieser demokratische Ansatz geht zurück auf Anschauungen Luthers („allgemeines Priestertum aller Gläubigen“, Wahl und gegebenenfalls Abwahl von Pfarrern durch die Gemeindeglieder), Calvins Kirchenordnung (1541; gewählte Kirchenälteste usw.) und die Schaffung von Synoden auf regionaler und nationaler Ebene durch die Hugenotten (Trennung von Kirche und Staat).[44]

Die 1620 von Kongregationalisten („Pilgerväter“) in Nordamerika gegründete Plymouth Colony wurde ebenso demokratisch verwaltet wie die benachbarte Massachusetts Bay Colony. Der Baptist Roger Williams gründete 1636 die Kolonie Rhode Islands, die demokratische Grundsätze mit Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle christlichen Bekenntnisse verband. Dasselbe verwirklichte William Penn 1682 in der Kolonie Pennsylvania, die eine Zufluchtsstätte für in Europa verfolgte religiöse Minderheiten wurde (Quäker, Hugenotten, Mennoniten, Böhmische Brüder und viele andere).[45]

Die englische Öffentlichkeit erfuhr von diesen für das 17. Jahrhundert umwälzenden Ereignissen durch Schriften, die Führungspersönlichkeiten dieser Kolonien veröffentlichten (z. B. Edward Winslow, William Bradford, John Cotton). Die Kolonien kannten bereits ansatzweise das Prinzip der Gewaltenteilung.[46]

Im Zusammenhang mit der Reformation war die Täuferbewegung entstanden. Als vielfach verfolgte Minderheit bestanden die Täufer auf Glaubens- und Gewissensfreiheit. Anfang des 17. Jahrhunderts bildeten sich aus dem englischen Täufertum Baptistenkirchen (General Baptists und Particular Baptists). Führende Baptisten wie John Smyth, Thomas Helwys und John Murton forderten in einer Reihe von Schriften das Recht auf freie Religionsausübung. Auch Roger Williams schrieb ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit von Glauben und Gewissen.

Locke war von diesen Schriften beeinflusst. Zu diesen Einflüssen gehörte zudem der Verfassungsentwurf der Independenten (Kongregationalisten) unter ihrem Führer Oliver Cromwell (Agreement of the People, 1647), der als Folge demokratischer Tendenzen die Gleichheit aller Menschen betonte. Der „positiv-gläubigen Stellung Lockes zur Religion“ entsprach es, dass er religiöse Toleranz nicht bzw. nicht nur philosophisch begründet (siehe unten), sondern wie etwa auch Roger Williams biblisch-theologisch. Schon im frühen 16. Jahrhundert hatte Luther die „unerzwingbare Freiheit des Glaubens“ betont. Locke nahm von der Tolerierung durch den Staat den Atheismus und den Katholizismus aus. Damit sind auch alle atheistischen Formen der Aufklärung abgelehnt.

Die katholische Kirche verhindert nach Lockes Ansicht die Verwirklichung seines zentralen Anliegens, des Rechts des Einzelnen, über sein Denken, Glauben und Handeln selbst bestimmen zu können.[47] Locke unterstützte die Kräfte, die sich gegen die absolutistischen Ansprüche Karls I., Karls II. und Jakobs II. sowie ihre Anstrengungen wandten, in England und Schottland gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit des Volkes den Katholizismus als Staatsreligion wieder einzuführen. Damit wäre auch die Inquisition zurückgekehrt. Deshalb begrüßte Locke die Glorious Revolution (1688) und den Beschluss des Parlaments, dass jeder englische Monarch Mitglied der anglikanischen Kirche sein muss.

In seinem Letter Concerning Toleration (Brief über die Toleranz) und den zwei Nachfolgebriefen ging Locke auf das Verhältnis zwischen Staat und Religion ein.[48] Er fürchtete damals die Machtübernahme der Römisch-katholischen Kirche und eine Verfolgung aller Andersgläubigen. Er sprach sich dafür aus, dass der Staat die Religion größtenteils seinen Bürgern überlasse. Locke griff dabei im Wesentlichen auf ein religiös-christliches und drei im engeren Sinn philosophische Argumente zurück. Religiös argumentierte er, dass sich nirgendwo in der Bibel ein Hinweis darauf finde, dass Menschen mit Gewalt dazu gezwungen würden, ihre Religion zu wechseln.[49]

Innerhalb der philosophischen Argumentation nahm er einen Gedanken aus seinen Two Treatises auf: der Daseinszweck der Regierung sei es, Leben, Freiheit und Eigentum zu schützen; würde sie in das religiöse Leben ihrer Bürger eingreifen, würde sie ihre Kompetenzen überschreiten. Dies wäre auch nicht sinnvoll, da es beim Glauben auf eine innere Einkehr und Überzeugung ankäme, die mit Gewalt und Verfolgung nicht erzwungen werden könne. Die rein äußerliche Annahme einer anderen Religion würde keinen Schritt zum wahren Glauben hinführen, aber in die Naturrechte der Untertanen eingreifen. Und selbst angenommen, die Regierung könnte auf eine Art die innere Überzeugung der Untertanen ändern, so wäre es immer noch fraglich, ob dies der wahren Religion helfen würde, da Regierungen an sich genauso anfällig dafür seien, eine falsche Religion zu propagieren wie ihre Untertanen.

In der Erziehung wandte sich Locke, der nicht verheiratet war und keine Kinder hatte, gegen strenge Schulzucht.[50] Stattdessen müsse die Erziehung die Individualität der Kinder und Jugendlichen fördern. Lockes Empfehlungen zu Bildung und Erziehung sind eng verknüpft mit seiner Lehre, dass jedes Kind in geistiger Hinsicht als Tabula rasa zur Welt kommt.

Locke schrieb seine Werke vor dem Hintergrund der Konflikte zwischen Parlament und Krone. Zu seiner Zeit waren es keine abstrakten Überlegungen, sondern argumentatorische Waffen im Konflikt um die neue Gesellschaftsordnung. Dabei stand das absolute Recht des Königs gegen die Ansprüche des Bürgertums auf Regierungsbeteiligung und eigene Rechte gegenüber dem König. Locke begründet, warum die Macht des Herrschenden eingeschränkt sein soll.

Lockes politisches Denken geht von „protestantisch-christlichen“ Annahmen aus.[51] Als Theologe leitet er bestimmte zentrale Begriffe wie Gleichheit der Menschen aus biblischen Texten ab und untersucht dann als Philosoph mit Hilfe des Verstandes die Konsequenzen, die sich aus den Begriffen für Staat und Gesellschaft ergeben.[52] Der Whig (Anhänger der konstitutionellen Monarchie) Locke geht 1689 in seinen politischen Hauptwerk Two Treatises of Government (Zwei Abhandlungen über die Regierung) von natürlich gegebenen Rechten der Menschen aus. Er setzt bestimmte Annahmen über den Zustand des Menschen in Abwesenheit des Staates und leitet von diesen ab, wie die Menschen im Naturzustand zusammenlebten. Über die Anhäufung von Eigentum bildeten sich Gesellschaften. Mithilfe seiner Vertragstheorie begründet Locke, wie diese sich Gesellschaftsverträge und somit Regierungen gaben. Da Regierungen nur geschaffen wurden, um bestimmten menschlichen Zwecken zu dienen, kann er im Folgenden legitime und illegitime Regierungen unterscheiden. Gegen illegitime Regierungen sieht er ein Recht auf Revolution.[53]

Die Naturrechtsphilosophen Hugo Grotius, Samuel Pufendorf und John Locke, alle drei waren Protestanten, entgingen dem Dilemma der inhaltlichen Unbestimmtheit des Naturrechts, indem sie es mit der biblischen Offenbarung gleichsetzten, da beide ihrer Ansicht nach auf denselben Urheber, Gott, zurückgingen. Locke war zeitlebens fest in einem calvinistisch gefärbten Protestantismus verwurzelt. Er nimmt in allen seinen Schriften, die sich mit politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, ständig Bezug auf das Alte Testament und Neue Testament.

Natur ist von Gott geschaffene Wirklichkeit. „Was den Inhalt des Naturrechts angeht, so ist Locke fest davon überzeugt, dass Gottes Gebote notwendigerweise vernunftgemäß sind: Gott gab dem Menschen die Vernunft, und ‚mit ihr ein Gesetz, das nichts anderes enthalten konnte, als was die Vernunft vorschrieb.‘“[54] Der Dekalog stellt unter anderem Leben, Eigentum und guten Ruf des Menschen, also seine Ehre und Würde, unter göttlichen Schutz. Der Vorspruch weist auf die Befreiung des Volkes Israel aus ägyptischer Sklaverei hin. Gottes Befreiungstat geht den Forderungen voraus und begründet sie. Das Recht auf Leben, Freiheit, Würde und Eigentum – damit sind zentrale naturrechtliche Begriffe nicht nur des politischen Denkens Lockes, sondern auch anderer Aufklärungsphilosophen benannt und mit biblischem Gehalt gefüllt.[55]

Das Recht ergibt sich für Locke zwingend aus seinem Verständnis der Naturrechte. Freiheit, Gleichheit und Unverletzlichkeit von Person und Eigentum erklärt er zu den höchsten Rechtsgütern. Er geht dabei von dem Gedanken aus, dass das höchste Ziel und Zweck des Menschen das Leben ist. Locke begründet dies noch explizit damit, dass der Mensch durch Gott geschaffen sei:

Aber er stellt auch fest, dass Gottes Wille durch reines Nachdenken und Weltbeobachtung erkennbar ist.[56] Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die Argumentation auch ohne Gott funktioniert. Dieser Umkehrschluss lässt aber außer Acht, dass der Verweis auf den biblischen Gott von Locke bewusst gesetzt wurde. Lockes Gedankengänge lassen sich nicht von ihrer Verankerung im biblischen Denken ablösen. Denn damit werden die Rechte inhaltlich definiert. Um das Überleben zu sichern, sind die Rechte auf Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum (Life, Health, Liberty, Property) notwendig.[57]

Im Gegensatz zur Konzeption Thomas Hobbes' sind die Naturrechte bei Locke durch die Rechte anderer begrenzt. Während bei Hobbes im Prinzip jeder ein Recht auf Alles hat, werden die Rechte auf Freiheit und Eigentum bei Locke durch die Freiheits- und Eigentumsrechte anderer eingeschränkt. Niemand soll einem anderen an seinem Leben, seiner Gesundheit, seiner Freiheit oder seinem Besitz Schaden zufügen: “No one ought to harm another in his Life, Health, Liberty, or Possessions”. Aus dieser Einschränkung leitet er selbst Rechte ab, diejenigen zu bestrafen und Ausgleich gegenüber denen zu fordern, die sie verletzten. Während Hobbes von individuellen Rechten ausgeht, ist Lockes Law of Nature überindividuell angesiedelt: “the state of nature has a law of nature to govern it, which obliges every one”.[58] Damit greift er auf ältere naturrechtliche Konzeptionen zurück.

Folgend seiner Konzeption der Naturrechte und des daraus resultierenden Naturzustandes bedeutet es auch, dass das Leben der Menschen bereits im Naturzustand gesichert ist. Anders als bei Hobbes kann die Aufgabe der Regierung nicht nur sein, das Leben der Menschen zu schützen.

Es ist bezeichnend für Lockes Denken, dass er die Gleichheit der Menschen, einschließlich der Gleichheit von Mann und Frau, nicht aus philosophischen Prämissen herleitet, sondern aus 1. Mose 1, 27 f, der Grundlage der theologischen Imago-Dei-Lehre. Gleichheit ist für Locke die Voraussetzung dafür, dass eine Regierung Macht nur mit Einverständnis der Regierten ausüben darf. Insofern ist sie auch Voraussetzung von Freiheit und die unabdingbare Grundlage jeder rechtsstaatlichen Demokratie.

Locke definiert aber auch eine legitime totale Einschränkung der Freiheit: Sklaverei.[59] Menschen können andere Menschen in dem Moment legitim versklaven, in dem letztere einen ungerechten Krieg beginnen und verlieren. Der Sieger hat, um den Krieg zu beenden, in diesem Moment nur die Wahl, seinen Gegner entweder zu töten oder zu versklaven. Bietet aber der Verlierer als Akt der Reue eine angemessene Wiedergutmachung für das von ihm verschuldete Unrecht an, so muss der Sieger der Vernunft des Naturgesetzes folgen und den Kriegszustand beenden. Beide Parteien verfügen nun wieder über die absolute Freiheit, die dem Naturzustand innewohnt.

Die Argumentation Lockes zum Eigentum verläuft zweistufig.[60] In der ersten Stufe, der Arbeitstheorie, begründet er, wie Menschen überhaupt rechtmäßig Privateigentum erwerben können. Im ersten Schritt widerspricht er der absolutistischen These, die nur dem König legitime Eigentumsrechte zubilligt. Sie lautet, dass die Welt Adam, Noach und dann ihren Nachfahren, den Königen gegeben worden sei, um über sie zu herrschen. Nach Locke gab Gott die Natur allen Menschen gemeinsam, begründungsbedürftig ist vielmehr, dass Einzelne sich Privateigentum aneignen können und damit den anderen Menschen Zugriff auf diesen Teil der Natur verwehren.[61]

Das Eigentum rechtfertige sich aus dem Selbsterhaltungsrecht: Der Mensch sei folgend dem Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht nicht nur Eigentümer seiner selbst und damit seiner Arbeit, sondern auch berechtigt, der Natur ein angemessenes Stück zu entnehmen, um sich selbst zu erhalten.

Durch die Vermischung der Natur, die noch allen gehört, mit der eigenen Arbeit, die dem Individuum selbst gehört, ist der Mensch berechtigt, sich diesen Teil der Natur anzueignen. Er selbst gibt als Beispiel die Aneignung eines vom Baum gefallenen Stückes Obst: Es gehört dem, der es aufgehoben hat, weil er es durch das Aufheben mit seiner Arbeit vermischt hat:

An dieser Stelle der Argumentation greift Locke auf ältere Theoretiker des Privateigentums wie Hugo Grotius oder Samuel von Pufendorf zurück.[62] Das Eigentum ist bei Locke zunächst durch mehrere Einschränkungen begrenzt: Man darf der Natur nicht mehr entnehmen, als man selbst verbrauchen kann. Andere Menschen müssen ebenfalls genug von der gemeinsam gegebenen Natur zurückbehalten, um selbst überleben zu können.

In der zweiten Stufe, seiner Geldtheorie, legt er dar, wie die ursprüngliche, auf Subsistenz beruhende Eigentumsordnung rechtmäßig in eine kapitalistisch geprägte Eigentumsordnung übergehen kann: Es ist erlaubt, verderbliche Gaben der Natur gegen weniger verderbliche einzutauschen, also beispielsweise Äpfel gegen Nüsse.[63] Man darf mehr Nüsse besitzen, als man aktuell braucht, solange diese nicht verderben. Über diesen Zwischenschritt erlaubt er, Naturprodukte, die man sich angeeignet hat, gegen Geld, das heißt Gold oder Silber zu tauschen:

Locke kein Recht im eigentlichen Sinn, sondern entsteht durch menschliche Übereinkunft und Akzeptanz. Da Geld nicht verdirbt, darf man sich davon so viel aneignen, wie man will und kann. Damit umgeht Locke die im älteren Naturrecht entwickelte und aufrechterhaltene Schranke für das private Eigentum, ohne sie zu verletzen. Die naturrechtliche Beschränkung, dass nichts verderben darf, bleibt formal anerkannt, faktisch darf man sich aber „unendlichen“ Reichtum aufhäufen, da Geld nicht verdirbt.

Da Menschen Eigentumswerte ansammeln, nehmen auch die Ungleichheiten in der Gesellschaft zu. Im ersten Stadium sind Menschen an das gebunden, was sie persönlich produzieren und konsumieren können, die Eigentumsverhältnisse werden relativ gleich bleiben. In der fortgeschrittenen Geldwirtschaft werden die Eigentumsunterschiede beträchtlich, was zu Neid, Streitereien und häufigeren Verstößen gegen das Naturrecht führt. In der Theorie kann jeder jemanden bestrafen, der gegen das natürliche Recht verstößt. In der Praxis wird es jedoch meist das Opfer sein, das die Strafe vollstreckt. Da die Strafe aber im Verhältnis zur Tat stehen sollte und das Opfer oft die Schwere des Vergehens überschätzt, kann es hier häufig zu Überreaktionen kommen. Durch übertriebene Strafen und darauf folgende Vergeltung kommt es zu Auseinandersetzungen bis hin zum Krieg. Laut Locke schließen sich die Menschen in diesem Moment zusammen, um den Vorgang abzubrechen und die eigenen Eigentumsrechte zu beschützen.

Locke baut auf die von Thomas Hobbes aufgebrachte Theorie vom Gesellschaftsvertrag auf, wonach die Beziehung zwischen Volk und Regierung als Verhältnis einer freien bürgerlichen Eigentümergesellschaft verstanden wird. Dabei weitet er das Widerstandsrecht gegen die Regierung erheblich aus. Anders als bei Hobbes können Menschen bei Locke ihre Rechte, auch das auf Leben, ganz verwirken durch eine Tat.[64]

Ausgehend von der Entwicklung des Gesellschaftsvertrages entwickelt Locke Maßstäbe, nach denen sich die Legitimität einer Regierung entscheiden lässt: Legitim sind Regierungen, welche die natürlich gegebenen Rechte des Menschen beschützen; illegitim diejenigen, die sie verletzen. Da eine illegitime Regierung danach keine Existenzberechtigung hat, ist es wiederum rechtmäßig, gegen eine solche Regierung zu rebellieren.[65]

Noch vor Charles de Montesquieu entwickelt Locke innerhalb der zweiten Abhandlung über die Regierung (und zwar im 12. bis 14. Kapitel) eine Theorie der Gewaltenteilung.[66] Er sieht zwei bereits im Naturzustand dem Einzelnen zugeschriebene, durch den Gesellschaftsvertrag aber abgegebene Gewalten, und zwar die Exekutive und die Föderative. Im Staat kommen die Legislative und die Prärogative hinzu. Unter Föderative versteht Locke die Gewalt, die Entscheidungen über Bündnisse und damit über Krieg und Frieden trifft, unter Prärogative eine der Exekutive zugeordnete Gewalt, die auch außerhalb des Gesetzes nach eigener Entscheidung für das öffentliche Wohl handelt.

Zwar hatte Locke den Leviathan Thomas Hobbes' wahrscheinlich gelesen – es lassen sich in den Zwei Abhandlungen implizite Hinweise darauf finden –, vor allem aber war sein Buch als Erwiderung auf Robert Filmers Patriarcha, or the Natural Power of Kings konzipiert. Da die ersten Auflagen zahlreiche Druckfehler enthalten, die von Locke angemahnt wurden, ist es schwer, von einer Originalversion auszugehen. Allgemein wird heute die 4. Auflage als autorisierte Version angesehen.

Lockes Staatstheorie hat die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1776, den französischen Verfassungsentwurf von 1791 sowie die gesamte Entwicklung des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaates bis in die Gegenwart maßgeblich beeinflusst.[67] Die Einleitung der Unabhängigkeitserklärung baut direkt auf Locke auf: Wie Locke leitet die Unabhängigkeitserklärung die allgemeinen Menschen- und demokratischen Bürgerrechte aus dem biblischen Schöpfungsglauben ab. Sie sind theonomes, d.h.Gottesrecht betreffendes Gedankengut. Die Trias Life, Liberty and the pursuit of happiness ist eine literarisch adaptierte Version von Lockes Naturrechten auf Life, Health, Liberty and Property, wobei in den ersten Entwürfen Property auch wörtlich im Text stand und Thomas Jefferson es erst später durch das weniger eindeutige Pursuit of Happiness ersetzte.[68]

Neben den revolutionären Politikern der damaligen Zeit beeinflusste Locke aber auch die Entwicklung der politischen Theorie maßgeblich: die von ihm zugrunde gelegten Naturrechte sind bis heute Kernbestand des Liberalismus. Ebenso lassen sich mit seinen Abhandlungen sämtliche Konzeptionen des Minimalstaats begründen, die Eingriffe der Regierung in das Leben der Menschen nur zu eng definierten Zwecken zulassen.

Die akademische Diskussion um seine Staatstheorie beeinflussten besonders Leo Strauss (1953) und C. B. Macpherson (1962).[69] Für Strauss und seine Anhänger hat Lockes Theorie große Ähnlichkeiten mit der Thomas Hobbes. Locke habe lediglich seine Ansätze für die damalige Zeit sozial akzeptabler formuliert. Macpherson legt eine marxistisch geprägte Interpretation vor, die Locke als Apologeten des Kapitalismus sieht. Beide monieren, Lockes Werk legitimiere die unbegrenzte Eigentumsanhäufung des sich abzeichnenden Kapitalismus. Die Einschränkungen, die er macht, seien nur oberflächlich und letztlich bedeutungslos.[70]

Andere wie James Tully interpretieren das Werk fast gegenteilig: Demnach machten das Geld und die damit verbundene Anhäufung von Reichtum sowie die darauf beruhenden Ungleichheiten die Loslösung aus dem Naturzustand notwendig. Die Einführung einer Staatsgewalt auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrags verhinderte den Niedergang der Menschheit.[71]

Während Locke in seiner Arbeit mit Hilfe der Geldtheorie die Verschwendungseinschränkung des Eigentums aushebelt, geht er darauf, dass jedem Menschen genug zum Überleben bleiben muss, nur knapp ein.[72] Zu Lockes Zeiten handelte es sich dabei um kein gravierendes Problem, da mit dem neu entdeckten Amerika scheinbar unbegrenzte natürliche Schätze zur Verfügung standen. Heute, nachdem es kein Land mehr auf der Erde gibt, das nicht von jemand beansprucht wird, beschäftigt sich ein großer Teil der wissenschaftlichen Diskussion damit, wie diese Begrenzung der Ressourcen zu interpretieren ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Für Großbritannien besaß auch die Freiheitslehre John Miltons für die Ausprägung der Aufklärung eine große Bedeutung. John Milton (9.12.1608-8.11.1674) war ein englischer Dichter und Staatsphilosoph.

Auf einer Reise durch Europa lernte er Hugo Grotius und seine politischen Vorstellungen in Paris kennen.[73] Außerdem verbrachte er mehrere Jahre in Florenz und Rom, wo er sich mit italienischen Epen beschäftigte. Als er von den politischen Unruhen in England erfuhr, kehrte er dorthin zurück. Am Anfang mischte er sich nicht in die öffentlichen Diskussionen ein und lebte zurückgezogen in der Nähe von London, wo er sich mit der Erziehung und Bildung junger Menschen beschäftigte.

Als die republikanische Partei an die Macht gelangt war, ernannte ihn der regierende Ausschuss des Parlaments zum Geheimschreiber des Staatsrats für die lateinischen Ausfertigungen.[74] In dieser einflussreichen Stellung veröffentlichte er 1649 die schon vor dem Tode des Königs begonnene Schrift „The tenure of kings and magistrates“, eine bedingungslose Rechtfertigung der Hinrichtung Karls I. aufgrund des Naturrechts. Im Gegenzug schrieb Claudius Salmasius die „Defensio regia“, welche Milton 1651 mit der „Defensio pro populo anglicano“ beantwortete. Darin verkündet er die Freiheit als ein angeborenes Recht der Völker und spricht der Nation das Recht zu, einen verräterischen Tyrannen zu richten und zu strafen. Milton führt als Präzedenzfälle für die Hinrichtung Karl Stuarts Osiris, Saul, David und die Erhebung des Schmalkaldischen Bundes gegen Karl V. an. Der Schwerpunkt seiner Aussagen lag aber seiner naturrechtlichen Doktrin, wonach die Freiheit dem Menschen angeboren ist.

In seinen letzten Lebensjahren schrieb er das Epos „Paradise Lost“ wofür er aber erst nach zwei Jahren, also 1667, einen Verleger fand.[75] Dabei handelte es sich um das bedeutendste religiöse Werk angelsächsischer Dichtkunst, das vom tragischen Fall des Menschengeschlechts handelt und sich vor dem Hintergrund eines gigantischen Ringens zwischen den Mächten des Himmels und der Hölle abspielt.

Jakob I. von England (1556-1625) löste mit seinen Schriften über die göttlichen Rechte der Könige nicht nur in England, sondern auch auf dem europäischen Kontinent, heftigen Widerspruch aus.[76] Die Parteinahme der anglikanischen Kirche für die Monarchie vermochte den wachsenden Widerstand des Parlaments, in dem sich die soziale Schicht der adeligen Gutsbesitzer und bürgerlichen Kaufleute ihr politisches Instrument schuf, nicht zu überwinden. Die Gegensätze verhärteten sich umso mehr, als diese soziale Schicht sich religiös mit dem puritanischen Kalvinismus identifizierte. Die Auseinandersetzungen zwischen Krone und Parlament hat sich in einer großen Zahl von politischen Traktaten und Pamphleten niedergeschlagen. Darunter stach Edward Cokes’ „Institutes of the Laws of England“ aus dem Jahre 1642 hervor. Coke deutete das Common Law als Ausdruck der Vernunft und bezeichnete das Parlament als die Verkörperung des Rechts in der Geschichte Englands. Als Musterbeispiel diente ihm dabei die Magna Charta, die er im zweiten Teil seiner Schrift publizierte und kommentierte.[77] Der bedeutendste unter den Publizisten, die sich im Kampf zwischen Krone und Parlament zu Wort meldeten, was John Milton (1608-1674).[78] Zuerst richtete sich sein Focus in dem Werk „The Doctrine and Discipline of Divorce Restor’d to the Good of Both Sexes“ aus dem Jahre 1643 auf die Ehegesetzgebung. Darin argumentierte Milton, dass der Mensch sein Handeln auf Natur und Vernunft gründen solle. Er forderte darin das Recht auf Ehescheidung als das Recht, einen Vertrag zu schließen und wieder aufzulösen, wenn es notwendig ist, wie auch eine Gesellschaft seiner Regierung den Vertrag aufkündigen könne. Allerdings wollte er die Entscheidung über die Trennung der Ehe nicht den Gerichten, sondern, der alttestamentlichen Anschauung entsprechend, nur dem Gewissen des Mannes überlassen.

Sein politisches Denken stellte dagegen die Schrift „Areopagitica. A Speech For The Liberty Of Unlincensed Printing, To The Parliament Of England“ ein Jahr später dar. Das Ziel des Buches lag darin, Unter- und Oberhaus dazu zu bringen, jede politische Zensur von Büchern fallen zu lassen. Milton warnte vor jeder Form von Inquisition und äußerte, dass freies Sprechen und Schreiben einer milden, freien und humanen Regierungsform entspricht.[79]

Ab dem Jahre 1649 folgten die Schriften, in denen Milton seine Lehre von der Freiheit entwickelte. Für Milton sind alle Menschen von Natur aus frei geboren, als Ebenbild und Gleichnis Gottes. Es war ein menschliches Vorrecht allen anderen Geschöpfen gegenüber, zum Herrschen und nicht zum Gehorsam geboren zu sein:[80] „Man darf sich wohl wundern, daß irgendeine Nation, die sich selbst frei nennt, es dulden kann, daß irgendein Mensch ein erbliches Recht über sie als Herr beansprucht, da sie doch, durch Anerkennung dieses Rechtes selbst den Schluß zieht, daß sie ihm als Knecht und Vasall unterworfen sei und so auf ihre eigene Freiheit Verzicht leistet.“ In dieser Weise lebten die Menschen auch, bis der Sündenfall Adams sie zu Unrecht und Gewalttätigkeit animierte.[81]

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, schlossen die Menschen ein allgemeines Bündnis, um sich gegen Unrecht und Niedertracht durch dieses Abkommen zu schützen. Dadurch entstanden zunächst Dorfgemeinschaften, später Städte und Staaten. Es wurde eine Autorität eingesetzt, die mit Ordnung und Strafe der Verletzung von Frieden und Recht entgegenwirken sollte. Ursprünglich und von Natur aus lag dieses Recht auf Selbstverteidigung und Vorsorge bei jeder einzelnen Person und bei allen insgesamt. Einer oder mehreren Personen, die sich durch Weisheit und Kampfkraft auszeichneten, übertrugen sie wahlweise ihre ihnen zustehende Befugnisse (König, Obrigkeiten). Ihr Auftrag lautete, aufgrund der ihnen anvertrauten Macht, als Abgeordnete und Beauftragte das Recht zu schaffen, das sonst jeder Person selbst durch Natur und Vertrag zustand. Die Macht der Könige und Obrigkeiten ist also nichts anderes als etwas Übertragenes, das von der Gesellschaft übergeben wurde zum allgemeinen Wohl derer, bei denen die Macht zuletzt bliebt und denen sie nicht genommen werden kann ohne Verletzung ihres natürlichen Geburtsrechtes.

Aus dieser Voraussetzung zog Milton die entscheidende Folgerung, dass König oder Obrigkeit ihre Stellung vom Volk mit dem Ziel des Allgemeinwohls erhalten. Die Gesellschaft kann sie, wenn sie davon überzeugt ist, die Herrschenden wählen oder ablehnen kann, und zwar auch wenn sie keine Tyrannen sind, sondern allein aufgrund der Freiheit und des Rechts frei geborener Menschen.[82]

In diesem Zusammenhang nennt Milton das Parlament den Zaum des Königs, was bedeutet, dass es die Aufgabe des Parlamentes ist, darüber zu wachen, dass der König nicht gegen das allgemeine Wohl verstößt. Das Parlament befindet sich, wenn es gegen einen tyrannischen Monarchen vorgeht, im Zustand der Notwehr und es vollzieht für die Gesellschaft damit nicht anderes, als was das Naturrecht auch der einzelnen Person zubilligt, die sich gegen die Person des Königs in Notwehr befindet:[83] „Ein Tyrann ist, er möge nun mit Unrecht oder mit Recht zur Krone gelangt sein, derjenige, welcher ohne das Gesetz und das allgemein Beste zu beachten, nur zu seinem eigenen und seiner Partei Wohl regiert. (…) Die Griechen und Römer hielten es, wie ihre besten Schriftsteller bezeugen, nicht allein für gesetzlich, sondern auch für eine herrliche und heldenmäßige Tat, die öffentlich mir Bildsäulen und Kränzen belohnt wurde, einen schändlichen Tyrannen zu jeder Zeit ohne weitere Untersuchung zu töten (…)“

Im Jahre 1660 veröffentlichte Milton die Schrift „The Ready and Easy Way to Establish a Free Commonwealth and the Excellence thereof Compared with the Inconveniences and Dangers of Re-admitting Kingship in this Nation“. Auch diese Abhandlung verfolgt die Grundgedanken von der natürlichen Freiheit der Menschen und ihrer politischen Repräsentation durch das Parlament.[84]

Milton warnt vor der Wiederherstellung des Königtums, da er davon überzeugt war, dass die freiheitliche Entwicklung in England zu weit fortgeschritten ist, als dass ein monarchisches Regiment noch zeitgemäß sei. Er schlägt vor, eine Republik zu erreichten und bedauert, dass dieses nicht sofort nach dem Sturz der Monarchie geschehen wäre. Als Ursachen dieses Versäumnis nennt er Unruhen und die Auflösung des Parlamentes, die durch die unzufriedene Gesellschaft sowie durch militärische Anführer hervorgerufen wurden. Milton erinnerte damit, nach dem Tode Oliver Cromwells, an die Diskussionen und Konflikte, die zur Hinrichtung des Monarchen führten.

Damals stellte sich die Frage, was es denn bedeute, dass die Macht ursprünglich bei der Gesellschaft liegt, also das Parlament sie nur repräsentiert aufgrund eines Vertrages mit der Gesellschaft, die alle freien Engländer umfasst, nicht nur die Kaufleute und Gutsbesitzer im House of Commons und die Lords im Oberhaus. Cromwell hatte das Argument, die Armee verkörpere die Gesellschaft, gegen die Krone und auch das Parlament gelten lassen.[85]

Wenn Milton 1660 die Gründung einer Republik vorschlug, ging er von einer Voraussetzung aus, dass alle Menschen frei geboren sind, ihre Regierung wählen und ihr die Regierungsgewalt übertragen. Wie er auch eine Monarchie ablehnt, ist er aber kein Anhänger der Demokratie. Er stellt sich eine Republik vor, deren zentrale Institution ein großer oder allgemeiner Rat ist:[86] „Die Glücksseligkeit eines Volkes muß notwendigerweise am festesten und sichersten in einer vollzähligen und freien, von ihm selbst gewählten Ratsversammlung sein, wo nicht eine einzelne Person, sondern die Vernunft allein regiert. (…) Denn der Grund und die Basis einer jeden freien und gerechten Regierung (seitdem die Menschen so oft dafür gebüßt haben, daß sie alles einer Person übertrugen) ist eine allgemeine Ratsversammlung der geschicktesten vom Volk gewählten Männer, um die öffentlichen Angelegenheiten von Zeit zu Zeit zum allgemeinen Besten zu beraten.“

An historischen Beispielen belegt Milton die Gründung dieses Staatsrats:[87] „So bestanden unter den Juden der höchste Rat der siebzig, Sanhedrim genannt, von Moses gegründet, in Athen der es Areopag, in Sparta, der der Alten, in Rom der Senat, aus Mitgliedern, die auf Lebenszeit gewählt waren und blieben dadurch für Generationen gleichsam immer dieselben. In Venedig wechseln allerdings einige besondere Versammlungen des Staates öfter als jedes Jahr, wie die der Sechs oder andere solcher Art, aber der wahre Senat, welcher die Regierung trägt und aufrechterhält, ist die ganze unabänderliche Aristokratie.“

Bei diesem souveränen Staatsrat liegt die Verfügung über die Streitkräfte zur Sicherung von Frieden und Freiheit, das Recht Steuern zu erheben und über sie zu verfügen, die Gesetzgebung, der Abschluss von Handelsverträgen sowie die Entscheidung über Krieg und Frieden.[88]

Den größten Wert legt Milton auf eine krisenfeste Stabilität der Regierung. Deshalb schlägt er vor, die Mitglieder des Staatsrates auf Lebenszeit zu wählen. Was die Wahl selbst angeht, so denkt Milton nicht an ein allgemeines Wahlrecht. Er ist davon überzeugt, dass das Machtstreben in Volksversammlungen nicht weniger ist als bei einzelnen Menschen und so die Freiheit gefährdet. Sein Vorschlag geht dahin, dass eine große Zahl von Wahlvorschlägen gemacht werden soll und dann eine Selektion in mehreren Wahlgängen erfolgt, bis die gewünschte Zahl der Ratsmitglieder erreicht ist. Um die Gesellschaft in immer größerer Zahl sowie mit immer mehr Verantwortung an die Wahlen heranzuführen, schlägt Milton vor, das Land in Bezirke aufzuteilen, die eine Hauptstadt haben, in der ein eigener Rat tagt, der für Aufgaben und Fragen zuständig ist, die nicht in den Aufgabenkreis des Staatsrates fallen. Die Wahlen für diese Räte sind eine Vorübung für die Wahlen zum Staatsrat.[89]

Milton sieht in dieser Verantwortung der Bezirksverwaltungen und ihrer Räte vor allem Erziehung zur Mündigkeit und er hofft, auf diesem Wege werde es zu einer Verbesserung der Allgemeinbildung kommen, in der er die eigentliche Grundlage der staatlichen Stabilität sieht. Wenn sich einmal Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung in den Bezirken und eine allgemeine Bildung und Erziehung miteinander verbanden, wäre eine Grundlage gegeben, jedes Jahr ein Drittel der Mitglieder des Staatsrates neu zu wählen.[90]

Auf diesem Wege will Milton zu dem gewünschten Grad von staatlicher Stabilität kommen, der nötig ist, um die Freiheit mit Sicherheit und Stabilität zu verbinden.[91]

Fußnoten

  1.  ↑ Waschkuhn, A.: Politische Utopien, München 2003, S. 14
  2.  ↑ Die Robinsonade wird als eine Sonderform des Abenteuerromans gesehen. Der Terminus Robinsonade wird abgeleitet von Defoes Roman „Robinson Crusoe“ aus dem Jahre 1719. Das grundlegende Motiv ist ein exilartiger Aufenthalt in inselhafter Abgeschiedenheit. Seit dem 19. Jahrhundert nimmt die Robinsonade drei Ausprägungsformen an: als utopischer Staatsroman, als Abenteuerroman sowie als pädagogischer Roman für Jugendliche und junge Erwachsene. Vgl. dazu Stach, R.: Robinsonaden, Baltmannsweiler 1996, S. 11f
  3.  ↑ Schölderle, T.: Utopia und Utopie. Thomas Morus, die Geschichte der Utopie und die Kontroverse um ihren Begriff, Baden-Baden 2011, S. 225
  4.  ↑ Mayer, H.: Von Lessing bis Thomas Mann – Wendungen der bürgerlichen Literatur in Deutschland, Pfullingen 1959, S. 37-78
  5.  ↑ Meid, V./Springer-Strand, I. (Hrsg.): Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg, Stuttgart 1979, S. 88
  6.  ↑ Schölderle, Utopia und Utopie, a.a.O., S. 228
  7.  ↑ Meid, Springer-Strand, Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg, a.a.O., S. 601
  8.  ↑ Ebd., S. 199
  9.  ↑ Ebd., S. 602
  10.  ↑ Ebd., S. 208
  11.  ↑ Ebd., S. 246
  12.  ↑ Freier, P.: Deutsche Literatur im 18. Jahrhundert, München 1995, S. 167ff
  13.  ↑ Weber, A.: Kleine Literaturgeschichte, Berlin 1992, S. 287
  14.  ↑ Mayer, Von Lessing bis Thomas Mann – Wendungen der bürgerlichen Literatur in Deutschland, a.a.O., S. 47
  15.  ↑ Thomas Schölderle: Utopia und Utopie. Thomas Morus, die Geschichte der Utopie und die Kontroverse um ihren Begriff, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2011, S. 481
  16.  ↑ Ebd. S. 489
  17.  ↑ Ebd.
  18.  ↑ Euchner, W.: John Locke zur Einführung. 3., ergänzte Auflage, Hamburg 2011, S. 15
  19.  ↑ Anstey, P.R. (Hrsg.): The philosophy of John Locke. New perspectives, London 2003, S. 137
  20.  ↑ Tully, J.: A discourse on property. John Locke and his adversaries, Cambridge 1982, S. 16
  21.  ↑ Strauss, L.: Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 66
  22.  ↑ Woolhouse, R.: Locke: A Biography, Cambridge 2009, S. 14
  23.  ↑ Anstey, P.R. (Hrsg.): The philosophy of John Locke. New perspectives, London 2003, S. 16
  24.  ↑ Brocker, M.: Die Grundlegung des liberalen Verfassungsstaates. Von den Levellern zu John Locke. Alber, Freiburg 1995, S. 51
  25.  ↑ Woolhouse, R.: Locke: A Biography, Cambridge 2009, S. 16
  26.  ↑ Ayers, M.R.: Locke. Epistemology & Ontology, London 1991, S. 26
  27.  ↑ Tully, J.: A discourse on property. John Locke and his adversaries, Cambridge 1982, S. 27
  28.  ↑ Fechtner, E.: John Locke’s „Gedanken über Erziehung“, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 2003, S. 103
  29.  ↑ Anstey, P.R. (Hrsg.): The philosophy of John Locke. New perspectives, London 2003, S. 66
  30.  ↑ Ayers, M.R.: Locke. Epistemology & Ontology, London 1991, S. 48
  31.  ↑ Woolhouse, R.: Locke: A Biography, Cambridge 2009, S. 22
  32.  ↑ Euchner, W.: John Locke zur Einführung. 3., ergänzte Auflage, Hamburg 2011, S. 17
  33.  ↑ Woolhouse, R.: Locke: A Biography, Cambridge 2009, S. 28
  34.  ↑ Ayers, M.R.: Locke. Epistemology & Ontology, London 1991, S. 57
  35.  ↑ Strauss, L.: Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 74
  36.  ↑ Waldron, J.: God, Locke, and Equality. Christian foundations of John Locke’s political thought, Cambridge 2002, S. 22
  37.  ↑ Macpherson, C. B.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes zu Locke, Frankfurt/M. 1990, S. 77
  38.  ↑ Tully, J.: A discourse on property. John Locke and his adversaries, Cambridge 1982, S. 39
  39.  ↑ Euchner, W.: Naturrecht und Politik bei John Locke, Frankfurt/M, 1979, S. 19
  40.  ↑ Euchner, W.: John Locke zur Einführung. 3., ergänzte Auflage, Hamburg 2011, S. 27
  41.  ↑ Ayers, M.R.: Locke. Epistemology & Ontology, London 1991, S. 63
  42.  ↑ Brocker, M.: Die Grundlegung des liberalen Verfassungsstaates. Von den Levellern zu John Locke. Alber, Freiburg 1995, S. 77
  43.  ↑ Waldron, J.: God, Locke, and Equality. Christian foundations of John Locke’s political thought, Cambridge 2002, S. 27
  44.  ↑ Woolhouse, R.: Locke: A Biography, Cambridge 2009, S. 39
  45.  ↑ Waldron, J.: God, Locke, and Equality. Christian foundations of John Locke’s political thought, Cambridge 2002, S. 38
  46.  ↑ Euchner, W.: Naturrecht und Politik bei John Locke, Frankfurt/M, 1979, S. 22
  47.  ↑ Waldron, J.: God, Locke, and Equality. Christian foundations of John Locke’s political thought, Cambridge 2002, S. 38
  48.  ↑ Strauss, L.: Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 63
  49.  ↑ Anstey, P.R. (Hrsg.): The philosophy of John Locke. New perspectives, London 2003, S. 54
  50.  ↑ Fechtner, E.: John Locke’s „Gedanken über Erziehung“, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 2003, S. 77ff
  51.  ↑ Euchner, W.: Naturrecht und Politik bei John Locke, Frankfurt/M, 1979, S. 25
  52.  ↑ Waldron, J.: God, Locke, and Equality. Christian foundations of John Locke’s political thought, Cambridge 2002, S. 49
  53.  ↑ Macpherson, C. B.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes zu Locke, Frankfurt/M. 1990, S. 46
  54.  ↑ Brocker, M.: Die Grundlegung des liberalen Verfassungsstaates. Von den Levellern zu John Locke. Alber, Freiburg 1995, S. 37
  55.  ↑ Strauss, L.: Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 63
  56.  ↑ Waldron, J.: God, Locke, and Equality. Christian foundations of John Locke’s political thought, Cambridge 2002, S. 36
  57.  ↑ Euchner, W.: John Locke zur Einführung. 3., ergänzte Auflage, Hamburg 2011, S. 83
  58.  ↑ Anstey, P.R. (Hrsg.): The philosophy of John Locke. New perspectives, London 2003, S. 72
  59.  ↑ Fechtner, E.: John Locke’s „Gedanken über Erziehung“, Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald/Baden 2003, S. 82
  60.  ↑ Macpherson, C. B.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes zu Locke, Frankfurt/M. 1990, S. 52
  61.  ↑ Euchner, W.: John Locke zur Einführung. 3., ergänzte Auflage, Hamburg 2011, S. 88
  62.  ↑ Brocker, M.: Die Grundlegung des liberalen Verfassungsstaates. Von den Levellern zu John Locke. Alber, Freiburg 1995, S. 89
  63.  ↑ Macpherson, C. B.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes zu Locke, Frankfurt/M. 1990, S. 65
  64.  ↑ Strauss, L.: Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 37
  65.  ↑ Euchner, W.: Naturrecht und Politik bei John Locke, Frankfurt/M, 1979, S. 56
  66.  ↑ Brocker, M.: Die Grundlegung des liberalen Verfassungsstaates. Von den Levellern zu John Locke. Alber, Freiburg 1995, S. 76
  67.  ↑ Anstey, P.R. (Hrsg.): The philosophy of John Locke. New perspectives, London 2003, S. 45
  68.  ↑ Woolhouse, R.: Locke: A Biography, Cambridge 2009, S. 43
  69.  ↑ Strauss, L.: Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 55
  70.  ↑ Thiel, U.: John Locke. mit Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten, Reinbek 1990, S. 55
  71.  ↑ Tully, J.: A discourse on property. John Locke and his adversaries, Cambridge 1982, S. 33
  72.  ↑ Strauss, L.: Naturrecht und Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 63
  73.  ↑ Walesca-Tielsch, E (Hrsg.) John Milton und der Ursprung des neuzeitlichen Liberalismus, Hildesheim 1980, S: 6f
  74.  ↑ Ebd., S. 12
  75.  ↑ Meier, H.H. (Hrsg.): John Milton. Das verlorene Paradies, Stuttgart 2008
  76.  ↑ Geyer, H.: Geschichte Englands, Frankfurt/Main 1999, S. 135
  77.  ↑ Maurer, M.: Kleine Geschichte England''s'', Stuttgart, 2002, S. 109
  78.  ↑ Beer, A.: Milton: poet, pamphleteer and patriot, London 2008, S. 20ff
  79.  ↑ Ebd., S. 23
  80.  ↑ Bernhardi, W. (Hrsg.): John Miltons politische Hauptschriften, Band III, Leipzig 1876, S. 173
  81.  ↑ Beer, A.: Milton: poet, pamphleteer and patriot, London 2008, S. 26f
  82.  ↑ Ebd., S. 32
  83.  ↑ Bernhardi, W. (Hrsg.): John Miltons politische Hauptschriften, Band II, Leipzig 1876, S. 273
  84.  ↑ Lamla, M./Lamla, G.: Wahlidee, Wahlrecht und Wahlpraxis in den Prosaschriften John Miltons zur Zeit der englischen Revolution (1640–1660), Frankfurt 1981, S. 53ff
  85.  ↑ Gaden, P.: Oliver Cromwell, Berlin 1998, S. 143
  86.  ↑ Bernhardi, John Miltons politische Hauptschriften, Band III, a.a.O., S. 174ff
  87.  ↑ Ebd., S. 180
  88.  ↑ Lamla, M./Lamla, G.: Wahlidee, Wahlrecht und Wahlpraxis in den Prosaschriften John Miltons zur Zeit der englischen Revolution (1640–1660), Frankfurt 1981, S. 89
  89.  ↑ Ebd., S. 94
  90.  ↑ Ebd., S. 97
  91.  ↑ Francisco Suárez (5.1.1548-25.9.1617) war ein spanischer Theologe und Philosoph. Seine metaphysischen Schriften, vor allem die „Disputationes Metaphysicae“ (1597) und seine naturrechtlichen Schriften wurden sowohl im katholischen wie auch protestantischen Europa rezipiert. Vgl. dazu Marschler, T.: Die spekulative Trinitätslehre des Francisco Suárez S.J. in ihrem philosophisch-theologischen Kontext, Münster 2007