El Greco war ein Maler griechischer Herkunft und Hauptmeister des spanischen Manierismus und der ausklingenden Renaissance.[1] Er war auch als Bildhauer und Architekt tätig. Seine künstlerische Arbeit begann auf Kreta mit der Ausbildung zum Ikonenmaler in der byzantinischen Tradition. Er siedelte nach Venedig über und kam mit der Kunst Tizians in Berührung, bevor er sich in Rom niederließ. Anschließend gelangte El Greco auf ungeklärte Weise nach Spanien und zog nach Toledo. Trotz einiger Konflikte konnte er sich dort durchsetzen und blieb bis zu seinem Lebensende.
El Greco malte hauptsächlich Bilder mit religiösen Themen und Porträts.[2] Hinzu kommen einige wenige Landschaften und Genrebilder. In Venedig und Rom adaptierte er westliche Bildthemen und künstlerische Techniken. So wandte er sich der Ölmalerei und Leinwänden als Malgrund zu. Gegen Ende seines Italienaufenthaltes fand El Greco zu einer starken Körperlichkeit seiner Figuren, was sich in Spanien fortsetzte. Dort arbeitete er an großen Altarprojekten und fertigte Porträts einflussreicher Personen an. Für seine Altarbilder entwarf El Greco oft auch das architektonische Rahmenwerk. Seine Malerei entwickelte sich weg vom Naturalismus hin zu einem Individualstil, indem er versuchte, einen neuen Ausdruck für spirituelle Phänomene zu suchen, und sich in seinem Spätwerk zunehmend auch wieder auf seine Herkunft als Ikonenmaler bezog. El Greco bereicherte die katholische Bilderwelt um neue Themen und um eine Neuinterpretation bekannter Ikonographien. Seine Kunst wurde weniger vom Adel gefördert, sondern von Intellektuellen, Geistlichen und Humanisten unterstützt.
Die Rezeption El Grecos fiel über die Zeit sehr unterschiedlich aus.[3] Mit seinem Individualstil ging er einen sehr eigenen Weg, der von der Entwicklung der Malerei in Spanien weitestgehend unabhängig war. Nach seinem Tod wurde seiner Kunst wenig Wertschätzung zuteil und sie wurde zum Teil gar nicht beachtet. Eine langsame Wiederentdeckung El Grecos setzte im 19. Jahrhundert ein, um 1900 hatte er dann seinen Durchbruch. Dieser war weniger von der Kunstwissenschaft getragen, sondern von Schriftstellern, der Kunstkritik und der künstlerischen Avantgarde. Er wurde von Künstlern der Moderne, besonders des Expressionismus, als ein wichtiger Bezugspunkt gesehen und in Werken rezipiert. Zudem wurde er von spanischen Künstlern und Intellektuellen zur Stärkung der nationalen Identität herangezogen.
Das früheste heute noch bekannte und von El Greco mit seinem bürgerlichen Namen signierte Werk ist ein Motiv der Entschlafung Mariens. Das 1567 gemalte Bild hängt seit etwa 1850 in der gleichnamigen Kirche von Ermoupoli auf der Insel Syros.
1568 war El Greco in Venedig anwesend, was durch einen Brief vom 18. August 1568 belegt ist. In ihm teilt er mit, dass er Zeichnungen an den griechischen Kartographen Giorgio Sideris, genannt Calapodas, geschickt habe. Sideris gehörte zu jenen Intellektuellen, die den langsamen Aufstieg El Grecos unterstützt hatten. Es ist möglich, dass der Kartograph sogar den Anstoß für die Übersiedlung nach Venedig gegeben hat. In der Forschung wird angenommen, dass El Greco bereits im Frühjahr oder Sommer des Jahres 1567 nach Venedig aufgebrochen war.[4]
Er hielt sich in Venedig drei Jahre lang auf und malte dort zahlreiche Bilder. Sie verbindet vor allem, dass El Greco sich in ihnen den einheimischen Künstlern wie Jacopo Bassano, Jacopo Tintoretto und Tizian annäherte. An die Stelle des Goldgrundes setzte El Greco nun einen perspektivischen Raum, wobei er etwa auf Architekturtraktate wie das von Sebastiano Serlio zurückgriff. Zudem gab er die Temperamalerei auf, wandte sich der im Westen seit Jan van Eyck verbreiteten Ölmalerei zu und begann, Leinwände als Bildträger zu verwenden. Dennoch legte er bis zu seinem Lebensende viele seiner Gemälde noch mit Temperafarben an, vollendete sie dann jedoch mit Ölfarben. Für die Lichtgestaltung und Farbwahl El Grecos war der Aufenthalt in Venedig prägend.[5]
El Grecos Bildnis von Fernando Niño de Guevara, das sich heute im New Yorker Metropolitan Museum of Art befindet, ist mit Öl auf Leinwand gemalt. Das hochformatige Gemälde misst in der Höhe 70,8 und in der Breite 108 cm.
Das ganzfigurige Porträt in Dreiviertelansicht zeigt den Kardinal in einem Lehnstuhl sitzend vor der dreiteiligen Rückwand eines Innenraums. Der hölzerne, mit Leder bezogene Lehnstuhl, bei dem es sich wohl um einen für Spanien typischen „frailero“ handelt , steht schräg im Raum und evoziert die Dreiviertelansicht der sitzenden Figur.Der graubärtige Geistliche trägt eine für die damalige Zeit äußerst moderne Fadenbrille, die mit Schnurschleifen an den Ohren befestigt ist. Er blickt mit leicht nach rechts geneigtem Kopf nahezu en face aus dem Bild heraus und scheint den Betrachter mit aufgeschrecktem Blick zu mustern). Die leicht vergrößernde Wirkung der Augengläser heben den Blick der Augen hervor. Die Arme des Prälaten ruhen auf den Armlehnen des Lehnstuhls. Während seine linke Hand die Vorderkante der Lehne umschließt, hängt seine Rechte entspannt herab.
Der Kardinal trägt neben dem mit Spitzen besetzten, weißen Chorhemd die purpurfarbene, seidene Kardinalstracht, die jedoch aufgrund starker Lichtreflexe eine eher blassrote Gesamtfarbigkeit annimmt. Die Gewandteile wirken durch Umriss- und Binnengliederung stark bewegt. Über dem Rochett trägt der hohe Geistliche die knielange, nach vorne offene Mantelletta. Den Oberkörper umschließt ein nach vorne geknöpfter Schulterkragen mit kleiner Kapuze, die Mozetta, getragen von der hohen katholischen Geistlichkeit. Auf dem Kopf trägt er das Birett. Unter dem ebenfalls roten Untergewand, das unter dem Chorhemd zum Vorschein kommt, ragen nur die Schuhspitzen rotbrauner Schuhe hervor.
Die zur Bildebene nahezu parallele Rückwand der Räumlichkeit gliedert sich in drei vertikale Wandstreifen, die mit unterschiedlichen Materialien verkleidet, beziehungsweise dekoriert sind. Ein Teil der linken Hälfte der Rückwand ist mit einer Holztäfelung mit Kassettenmuster verkleidet. An diese hölzerne Kassettenwand, die auch eine fest geschlossene Türe darstellen könnte , schließt sich ein schmaler, dunkelgrüner Vorhangsstreifen an. Die rechte Hälfte der Rückwand ist mit einer prunkvollen, goldschimmernden Tapete aus geprägtem Korduanleder bespannt.
Der aus Marmorplatten bestehende Fußboden des Raumes, der nicht konsequent perspektivisch durchkonstruiert erscheint, gliedert sich vorwiegend in perspektivisch verzerrte, braune Rechtecke und dunkle Kreisformen auf weißem Untergrund. Der schräg verlaufende, braune Plattenstreifen des Fußbodenmusters, dem die Schuhspitzen des Klerikers eingeschrieben sind, unterstreicht die schräge Position des Lehnstuhls im Raum. Zu Füßen des Kardinals liegt auf einer runden Fußbodeneinlage ein scheinbar achtlos hingeworfenes, gefaltetes Stück Papier, das Grecos Signatur in griechischen Lettern trägt. Der starke Hell-Dunkel-Kontrast zwischen dem Weiß des Schriftstücks und dem Schwarz der Bodenfliese hebt die Bedeutung der Künstlersignatur hervor.
El Grecos ganzfiguriges Kardinalsporträt zeichnet sich im Gegensatz zu anderen Porträts des Künstlers durch einen besonderen Naturalismus aus. Dieser Eindruck entsteht durch die Proportionen der Figur und durch den vom Malerischen bestimmten Farbauftrag. Die Wirklich-keitsnähe zeigt sich vorwiegend in der illusionistischen Darstellung der wertvollen Seidengewänder des Kardinals, die jedoch einem expressiven Licht- und Schattenspiel ausgesetzt sind und von der manieristischen Kunstauffassung des Künstlers zeugen.
Die stoffliche, nahezu impressionistisch wirkende Darstellung des mit Spitzen besetzten Chorhemdes belegt in besonderem Maße Grecos malerische Virtuosität. Das Weiß ist alla prima auf die dunkel grundierte Leinwand aufgetragen. Der flüchtige Farbauftrag und die durchscheinende Grundierung gliedern das Chorhemd in Licht- und Schattenzonen.
Im Jahre 1570 wies der Miniaturmaler Giulio Clovio seinen Mäzen Alessandro Farnese in Rom auf ein heute verlorenes Selbstporträt El Grecos hin, das die römischen Künstler erstaunt hätte, und empfahl, den Künstler in der Villa Farnese aufzunehmen. Er legte El Greco seinem Mäzen als Schüler Tizians ans Herz. Dieser malte daraufhin ein Porträt Clovios, das vielleicht als Gegenleistung für die Empfehlung gedacht war. Im Palazzo Farnese lernte er etwa den bedeutenden Humanisten und Bibliothekar Fulvio Orsini kennen, in dessen Sammlung sich später sieben Werke El Grecos befanden. Möglicherweise lernte er über Orsinis Freund Pedro Chacón zudem den kirchlichen Würdenträger Luis de Castilla aus Spanien kennen, mit dem El Greco in der Folge eine enge Freundschaft verband.[6]
Im Haus der Farnese war El Greco wenig beansprucht, da dort vor allem Freskomaler gebraucht wurden. Zwar wurde die Mitarbeit eines griechischen Malers an den Fresken überliefert, es lässt sich ihm aber kein Werk zuordnen. El Greco suchte sich mit seinem verlorenen Selbstporträt, dem Porträt Clovios und weiteren Werken seine eigene Marktnische als Bildnismaler. Mit innovativen Bildnissen und anderen Bildexperimenten wie dem Genrebild eines eine Kerze entzündenden Jungen machte er sich einen Namen in den Kreisen römischer Gelehrter und Intellektueller. Auch suchte er in anderen Gattungen nach Anerkennung, musste sich in Rom jedoch der Konkurrenz vieler hochrangiger Maler stellen, die in der Tradition Michelangelos wirkten. Um sich abzusetzen und seine Fremdheit als Stärke zur Geltung zu bringen, berief sich El Greco auf Tizian. In diesem Kontext steht auch die von Mancini überlieferte Anekdote, nach der El Greco dem Papst angeboten habe, das kritisierte Jüngste Gericht von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle zu übermalen. Daraufhin habe er aufgrund der Kritik der römischen Maler die Stadt verlassen müssen.[7]
El Greco wurde aus dem Haus Farnese entlassen und beschloss, eigene Wege in Rom zu gehen. Am 18. September 1572 entrichtete er die zwei Scudi Aufnahmegebühr und trat somit der römischen Lukasgilde unter dem Namen Dominico Greco bei. Er eröffnete in der Folge eine eigene Werkstatt in Rom, wobei er zuerst von dem Sieneser Maler Lattanzio Bonastri da Lucignano unterstützt wurde. Etwas später trat Francesco Prevoste, der El Greco auch später nach Spanien begleitete, der Werkstatt bei. Über die Zeit von September 1572 bis zum Oktober 1576 liegen keine Dokumente vor, die Hinweise geben könnten, was El Greco in dieser Zeitspanne tat. Auch weshalb er Italien verließ, ist nicht bekannt.[8]
Für den Oktober 1576 ist die Anwesenheit El Grecos in Spanien nachgewiesen – wie er dorthin gelangte, ist nicht bekannt. Zwischen Rom und Spanien bestanden damals enge Kontakte. In Rom hielten sich viele Spanier auf, und zahlreiche italienische Künstler zog es auf die Iberische Halbinsel. Während seines Aufenthaltes bei den Farneses konnte El Greco Kontakte zu Spaniern wie zum Beispiel Luis de Castilla knüpfen. Über de Castilla erhielt El Greco mehrere Aufträge in Toledo, vor allem in der Anfangszeit seines Spanienaufenthaltes. Auf Vermittlung von Diego de Castilla, dem Vater seines Freundes und Dekan der Kathedrale, schuf er einen Altar für das Kloster des hl. Dominikus von Silos in Toledo. Er gestaltete nicht nur das Bildprogramm, das mit der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel als zentralem Bild zur Begräbniskapelle passte, sondern entwarf auch die Architektur des Retabels, seines plastischen Schmucks und des Tabernakels.
Ebenfalls auf Vermittlung Diego de Castillas hin, der aber in diesem Fall nicht allein verantwortlich war, malte El Greco Christus wird seiner Kleider beraubt für die Kathedrale von Toledo.[9] Dabei kam es zum Konflikt um den Preis und die Gestaltung des Gemäldes, wie es ihn in der Folge auch bei weiteren Gemälden gab. Der Gemäldepreis wurde in Spanien zu dieser Zeit nach Vollendung des Gemäldes durch vom Künstler und vom Auftraggeber beauftragte Gutachter festgesetzt. El Grecos Vertreter schlug den hohen Preis von 900 Dukaten vor, während die Vertreter der Kathedrale nur 227 Dukaten zahlen wollten. Die große Abweichung wurde damit erklärt, dass es Kritik am Bild gegeben habe. Üblicherweise hätte El Greco die Kritik nacharbeiten müssen, er weigerte sich jedoch, weil er sich als Schöpfer seiner Werke und nicht als bloßes ausführendes Organ seiner Auftraggeber sah. Der Konflikt ergab sich somit aus der unterschiedlichen sozialen Stellung des Malers in Italien und Spanien. Im September 1579 gab es in diesem Streitfall eine erste Einigung auf 317 Dukaten, die jedoch nicht lange hielt. 1585 gab es einen weiteren Kompromiss, nach dem El Greco auch den Rahmen gestalten sollte. Dass der Rahmen in diesem Zusammenhang höher bewertet wurde als das Gemälde, lag in dem gegenüber der Malerei höheren Status der Skulptur im Spanien dieser Zeit. An der Ikonographie des Bildes veränderte El Greco im Laufe dieser Zeit nichts, obwohl das Bild weiterhin in der Hauptkirche des Bistums hing.
Zwischen 1577 und 1579 malte El Greco die Anbetung des Namen Jesu, mit der er sich bei König Philipp II. empfehlen wollte. In diesem Bild brachte er den König auch direkt als Figur ein.
In den Jahren 1580 bis 1582 malte El Greco Das Martyrium des heiligen Mauritius als Probebild für die Kirche des Escorial, um nach seinen Erfolgen in Toledo auch in Madrid bei Hofe Fuß zu fassen. In dieser Situation vollzog El Greco einen Stilwechsel vom Naturalismus hin zu einer Malerei, in der er nach gestalterischen Ausdrucksmöglichkeiten für Spiritualismus suchte. Der König verfolgte mit dem Bau des Escorial die Absicht, die Ideen des von ihm mitgeprägten Konzils von Trient umzusetzen. Zu diesem Zweck wollte er eigentlich Juan Fernández de Navarrete mit der Gestaltung sämtlicher Altäre betrauen. Navarrete starb jedoch, so dass neue Maler gesucht werden mussten. Vielleicht aufgrund des ersten Bildes, mit dem sich El Greco am Hof empfehlen wollte, der Anbetung des Namen Jesu, fasste der König dann den Griechen als möglichen Ersatz ins Auge. El Greco lieferte zwar ein kunstvolles Bild, doch es widersprach in seiner Wendung gegen den Naturalismus den Idealen des Konzils.
Dieses Werk wurde zwar gut bezahlt und es kam nicht zu Korrekturen, dennoch erhielt El Greco keine weiteren königlichen Aufträge, da Philipp II. das Bild als für den Bestimmungsort ungeeignet empfand.[10] Statt an dem geplanten Ausstellungsort auf dem Altar der Escorialkirche wurde das Bild an einem weniger prominenten Ort in der Kirche aufgehängt. Philipp II. erteilte Romulo Cincinato den Auftrag, ein Bild zum gleichen Thema anzufertigen. Dieser orientierte sich an der Komposition El Grecos, veränderte jedoch deren Schwerpunktsetzung. Das Verhalten des Königs zeigte die aufkommende Unterscheidung zwischen Altar- und Sammlerbild. Insgesamt steht dieses Vorgehen den Anekdoten und Berichten über den starken Einfluss der Inquisition auf die Kunstproduktion in Spanien entgegen. Gerade mit Unterstützung aufgeschlossener Kirchenkreise konnte der Grieche El Greco in Spanien barocke Bildideen entwickeln, die sich andernorts erst im 17. Jahrhundert durchsetzen konnten.[11]
El Greco hatte zweimal Kontakt mit der Inquisition. Im ersten Fall arbeitete er an neun Terminen zwischen Mai und Dezember 1582 als Übersetzer bei einem Verfahren gegen einen griechischen Diener, der wegen Häresie angeklagt, jedoch freigesprochen wurde. Der zweite Kontakt hatte direkt mit El Greco und seiner Kunst zu tun. Nach dem Fehlschlag am Hof suchte der Maler unter der Geistlichkeit von Toledo neue Mäzene. Sein Probebild war das Porträt eines Kardinales, das Fernando Niño de Guevara zeigte, der um 1600 Großinquisitor in Toledo war.
Die Zurückweisung in Madrid verstärkte El Grecos Bindung an Toledo. Im Jahre 1589 wurde El Greco in einem Dokument als Bürger der Stadt bezeichnet. Am 18. März 1586 erteilte der Priester seiner eigenen Pfarrei den Auftrag für das Gemälde Das Begräbnis des Grafen von Orgaz. Zwischen 1596 und 1600 malte El Greco das Retabel für das Augustinerkolleg der Doña María de Aragón in Madrid. Für dieses Werk erhielt er mit 6000 Dukaten den höchsten Preis, den er je für ein Gemälde erzielen konnte.[12]
Am 9. November 1597 erhielt El Greco den Großauftrag, die Capilla de San José in Toledo auszugestalten, seinen bedeutendsten Auftrag in Toledo nach Santo Domingo el Antiguo[13]. Der Vertrag umfasste die beiden Altargemälde sowie die Gestaltung und Vergoldung des Rahmens. Sein Sohn, der für ihn in diesem Jahr zu arbeiten begann, tauchte als Name in einem Dokument auf, in dem er sich verpflichtete, im Falle des Todes seines Vaters ein Werk zu vollenden. Ab 1603 findet sich der Sohn häufiger in Dokumenten zum Werkstattbetrieb.
Trotz zahlreicher gut dotierter Aufträge befand sich El Greco oft in ökonomischen Schwierigkeiten, da er einen sehr gehobenen Lebensstil pflegte. So beschäftigte er zeitweise Musikanten, die ihn während der Mahlzeiten unterhielten. Zwischen 1603 und 1607 gab es Konflikte um das Bildprogramm für das Hospital de la Caridad in Illescas. Der Vertrag enthielt für El Greco ungünstige Konditionen, so dass ihm kaum seine Kosten erstattet wurden und ein Prozess notwendig wurde. Kritik rief unter anderem hervor, dass unter dem Schutzmantel der Madonna reiche Bürger anstatt arme gezeigt wurden. Nach dem Tod El Grecos wurden aus diesem Grund die Halskrausen übermalt. In dieser Zeit bildete er Luis Tristán aus, der nach El Grecos Tod zum bedeutendsten Maler von Toledo wurde und zwischen 1603 und 1606 als Schüler in El Grecos Atelier nachweisbar ist. 1607 übernahm El Grecos Sohn an Stelle des verstorbenen Prevoste eine leitende Position im Atelier. Vater und Sohn erhielten von der Erzdiözese Toledo Aufträge, die Ausstattung von Kirchen auf die Orthodoxie ihrer Bildprogramme zu untersuchen. Im Anschluss konnten sie sich mehrmals lukrative Aufträge sichern.
Im folgenden Jahr übernahm El Greco von Pedro Salazar de Mendoza den Auftrag für drei Altarbilder für das Hospital de Tavera.[14] Dieses Werk blieb jedoch unvollendet. 1611 besuchte Francisco Pacheco El Greco in Toledo. Er fertigte sowohl ein Porträt des Malers als auch eine Biographie an, die in seinem Buch über berühmte Maler erschien. Beide Zeugnisse sind heute verschollen. In seinem 1649 erschienenen Buch El arte de la pintura veröffentlichte Pacheco Informationen über die Arbeitsweise und künstlerischen Ideen El Grecos. Von ihm wurde überliefert, dass El Greco auch als Theoretiker arbeitete. Am 7. April 1614 starb El Greco. Luis de Castilla regelte in der Folge seinen Nachlass. Zum Zeitpunkt seines Todes war El Greco hoch verschuldet. Er hinterließ kein Testament, was zur damaligen Zeit ungewöhnlich war.
El Greco wurde zunächst im Kloster des hl. Dominikus von Silos bestattet, wo er 1612 die Einrichtung einer Begräbniskapelle mit Altar und dem Altarbild der Anbetung der Hirten vereinbart hatte. 1618 starb Luis de Castilla, der Patron des Klosters, und in der Folge kam es mit den Nonnen zum Streit über den Preis. Deshalb ließ der Sohn El Grecos dessen Leichnam 1619 nach San Torcuato umbetten. Diese Kirche wurde später abgerissen, wobei die sterblichen Überreste El Grecos verlorengingen.[15]
Jorge Manuel Greco erstellte ein Inventar des Besitzes seines Vaters, worunter sich 143 meist fertige Gemälde, unter anderem drei Laokoon-Versionen, 15 Gipsmodelle, 30 Tonmodelle, 150 Zeichnungen, 30 Pläne, 200 Druckgrafiken und über 100 Bücher befanden.
El Greco malte viele religiöse Bilder und Porträts. Hinzu kamen einige wenige Genrebilder und Landschaften. Von seinen Zeichnungen haben sich nur wenige Exemplare erhalten. Sein Werk lässt sich in drei geographisch definierte Phasen unterteilen. Seine Anfänge auf Kreta waren in der Forschung lange umstritten. Heute ist es kunsthistorischer Konsens, dass El Greco dort seine künstlerische Laufbahn als Ikonenmaler begann. Die zweite Phase ist seine Zeit in Italien, wo er westliche Techniken und Kompositionen adaptierte. Er arbeitete in Venedig und Rom, bevor er nach Spanien übersiedelte. Dort fand er zu seinem eigenständigen Stil und schuf seine Hauptwerke.[16]
El Greco war ein technisch versierter Künstler, der hochwertige Materialien verwendete. Deshalb befinden sich seine Werke in der Regel in einem guten Erhaltungszustand. Er behielt von jedem Bild eine kleinformatige Ölreproduktion in seiner Werkstatt und griff Motive zu verschiedenen Zeiten erneut auf. Sein Beitrag zur künstlerischen Reform der katholischen Bilderwelt lag vor allem in der Formulierung neuer Bildthemen und Ikonographie und in der Abwandlung bereits bekannter Motive. Zudem experimentierte er mit einer neuen Bildsprache. Für sie besann er sich im hohen Alter erneut auf seine Wurzeln in der östlichen Ikonenmalerei und verknüpfte diese mit seinen westlichen Erfahrungen zu einem erfolgreichen Individualstil. El Greco maß der Zeichnung im Arbeitsprozess wohl eine wichtige Bedeutung zu. So ist es nicht verwunderlich, dass sich 1614 im Inventar seines Nachlasses 150 Zeichnungen befanden.[17] Jedoch haben sich nur sehr wenige Zeichnungen El Grecos erhalten, da diesem Medium auf der Iberischen Halbinsel keine Bedeutung zugemessen und somit keine große Aufmerksamkeit geschenkt worden war.
Das früheste bekannte Gemälde El Grecos ist ein Marientod, den er um 1567 gemalt hat und der heute in der Kirche der Entschlafung Mariens in Ermoupoli auf der Insel Syros zu sehen ist.[18] Er signierte das Gemälde mit Domenikos Theotokopoulos. Der Marientod lässt in seiner Konzeption erkennen, dass El Greco als Ikonenmaler ausgebildet worden war, jedoch löste er sich bereits von den typisierten Vorbildern, den zweidimensionalen und gleichen Formen folgenden Figuren samt Kleidung und dem aus dem Inneren der Form kommenden Licht. Die vom Heiligen Geist ausstrahlende Lichtaureole, in deren Zentrum sich eine Taube befindet, verbindet die schlafende mit der thronenden Madonna. Zudem neigt sich Christus in einer zärtlichen Geste. Ein weiteres auffälliges Detail sind die drei Kandelaber, die sich im Vordergrund befinden. Der mittlere weist an seiner Basis Karyatiden auf, die auf eine druckgraphische Vorlage verweist. Diese Bildelemente waren eigene künstlerische Beiträge des Malers, die über den bestehenden Bildtypus hinausgingen. Dass er das Bild signierte, war zudem ungewöhnlich, da Ikonen in der Regel nicht signiert wurden. Damit unterstrich er seinen humanistischen Anspruch und seine weiter gehenden künstlerischen Ambitionen.[19]
Ein weiteres Bild aus seiner kretischen Phase ist Der Heilige Lukas malt eine Ikone der Jungfrau mit dem Kind, das zwar stark beschädigt ist, aber immer noch Teile seiner Signatur trägt. Das zentrale Motiv des Evangelisten Lukas und der Maria in der Form einer Hodegetria malte El Greco in traditioneller byzantinischer Weise, während er in den Randmotiven neue Motive einführte wie etwa Malerwerkzeug, Renaissancestuhl und malerisch umgesetzte Engel. Die bekannten Werke, die El Greco auf Kreta schuf, weisen alle eine hohe künstlerische Qualität auf mit ihrer Lichtführung und dem starken Ausdruck. Zudem haben sie alle freihändige Vorzeichnungen.
Die erste Werkphase war lange Zeit umstritten, da El Greco als Ikonenmaler nicht in den westlichen Kunstkanon passte. Zudem gab es auf Kreta zwei weitere Maler namens Domenikos. Erst als der Marientod gefunden wurde, der auch den Nachnamen Theotokopoulos trug, gab es ein eindeutiges Referenzwerk, das stilistische Vergleiche zweifelsfrei zuließ. In der aktuellen Forschung ist der Beginn der künstlerischen Laufbahn auf Kreta allgemein anerkannt.
In Venedig wandte El Greco sich der Ölmalerei zu und verwendete Leinwände als Bildträger. Wie dort üblich nutzte er grobe Leinwände, die mit ihrer plastischen Textur expressive Wirkungen unterstützten. Zuerst trug er eine dünne weiße Grundierung auf, über die er nochmals eine zweite Grundierung auftrug, die rosa bis dunkelrot gefärbt war. Dann trug er mit einem Pinsel und schwarzer Farbe die Konturen der Figuren als Vorzeichnung auf und setzte zudem mit Weiß Lichtpunkte und mit Schwarz und Karmin die dunkelsten Stellen über die ganze Bildfläche. Erst in einem weiteren Schritt wurde in einem komplexen Verfahren der eigentliche Farbauftrag vorgenommen. Die Formate blieben aber weiterhin eher klein, was auch der Auftragslage El Grecos geschuldet gewesen sein kann. Technisch blieb El Greco venezianisch geprägt.
Am Übergang zwischen seiner byzantinischen und venezianischen Malweise steht der als Modena-Triptychon bekannte Tragealtar, dessen Auftraggeber wahrscheinlich aus einer kreto-venezianischen Familie stammte. Der Objekttypus mit den vergoldeten Rahmenteilen war im 16. Jahrhundert auf Kreta üblich, die Ikonographie ist jedoch deutlich westlich geprägt. Der Altar trägt die Signatur El Grecos und ist somit ein wichtiges Referenzwerk für die Beurteilung von Werken aus dieser Zeit.
El Greco malte im Laufe seines Lebens mehrmals dasselbe Thema zu verschiedenen Zeiten.[20] An diesen Bildern ist seine künstlerische Entwicklung nachvollziehbar. So malte er die erste Version der Blindenheilung in Venedig noch auf Holz. In ihr bezog er sich auf Bilder Tintorettos, aus denen er die Aufteilung in zwei Figurengruppen, den Fernblick und den in venezianischen Bildern beliebten Hund im Vordergrund entlehnte. Die Posen der Figuren beziehen sich auf verschiedene Druckgraphiken, die El Greco als Vorlagen nutzte. Die zweite Version entstand wahrscheinlich bereits in Rom und wurde auf Leinwand gemalt. Im Hintergrund ergänzte El Greco Ruinen, die Figuren ähnelten mehr antiken Skulpturen und Michelangelos Akten. Der nur leicht mit einem Tuch bekleidete Mann ähnelt dem Herkules Farnese.
Zwar blieb El Greco in seinem Schaffen zeit seines Lebens venezianischen Einflüssen treu; er nahm jedoch zum Ende seines Romaufenthaltes und zu Beginn seines Aufenthaltes in Spanien Bezüge zu Michelangelo auf.[21] So malte er in den frühen 1570er-Jahren eine Pieta auf Holz, die sich auf Michelangelos um 1550 entstandene Skulpturengruppe Pieta di Palestrina in Florenz bezog. Im Gegensatz zum Vorbild stellte El Greco an die Spitze der Komposition Maria. Er verlieh dem Bild eine Dramatik, die sich bis dahin nicht in seinen Werken fand und schon stärker in Richtung Barock wies. Die Christusfigur hatte für El Grecos Werke eine ungewöhnliche Körperlichkeit. Eine weitere Version der Pieta malte er auf Leinwand. Sie wirkt noch monumentaler und die Gewänder stärker ausgearbeitet, auch wenn sie am rechten Arm noch Probleme mit den Proportionen erkennen lässt. Formal hat das Gemälde bereits Parallelen zu den frühen in Spanien entstandenen Werken. Dass es aber dort entstanden sein soll, wird jedoch in der Forschung abgelehnt.
Diese Entwicklung zur Körperlichkeit setzte El Greco in seinen ersten Aufträgen in Toledo fort.[22] Dies ist am Altar für das Monasterio Santo Domingo el Antiguo in Toledo nachvollziehbar. Passend zur Aufstellung in der Begräbniskapelle ist das zentrale Bild eine Himmelfahrt Marias, das von den ganzfigurigen Bildern Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist eingefasst wird, sowie den Brustbildern Heiliger Bernhardt und Heiliger Benedikt. Im Giebelfeld befindet sich ein Bild des Schweißtuchs der Veronika und im folgenden Stockwerk mit der Heiligen Dreifaltigkeit ein weiteres großformatiges Bild. Der Hauptaltar wird von einer Anbetung der Hirten und der Auferstehung Christi als kleineren seitlichen Retabeln gerahmt. Dieser Altar war ein deutlich größerer Auftrag als seine von Kreta oder aus Italien bekannten Gemälde.
El Greco bereitete die Arbeiten gründlich mit Vorzeichnungen vor. Eine Vorzeichnung von Johannes dem Täufer und zwei von Johannes dem Evangelisten haben sich erhalten. In den ersten Entwürfen positionierte er die beiden in Nischen und der Evangelist war im Profil dargestellt und blickte auf die Himmelfahrt. In der zweiten Zeichnung positionierte der Künstler ihn bereits so, wie er auch gemalt wurde. Bei der endgültigen Ausführung verzichtete El Greco jedoch auf den in der Zeichnung als Symboltier beigefügten Adler.
Unter dem Einfluss Michelangelos fand El Greco zu einem sehr naturalistischen Stil mit monumentalen Figuren. Zudem folgte seine Farbwahl der römischen Schule und verlieh etwa der Himmelfahrt Marias eine große Leuchtkraft, während er bei der Heiligen Dreifaltigkeit die kontraststarken kalten Farbtöne Grün, Gelb und Blau verwendete und zudem Weiß in einer dominierenden Rolle im Bildzentrum einsetzte. Das architektonische Rahmenwerk, das El Greco entwarf, weist klare klassizistische Formen auf.
Mit dem Martyrium des Heiligen Mauritius aus den Jahren 1580 bis 1582 vollzog El Greco den Wechsel vom Naturalismus hin zu einer Malerei, in der er nach einem gestalterischen Ausdruck für spirituelle Phänomene suchte.[23] In den 1580er-Jahren wandte er sich immer mehr von den Regeln der Renaissance für Proportion und Perspektive ab. Statt lebende Modelle zu studieren, begann El Greco wie Tintoretto mit Tonmodellen zu arbeiten. Er ließ dem Licht eine deutlich stärkere symbolische Funktion zukommen, statt es bloß in natürlicher Weise zu verwenden. So entstanden starke Hell-Dunkel-Kontraste. Die verwendeten Farben wurden deutlich expressiver. Statt wie üblich den Fokus der Darstellung auf das Martyrium zu legen, zeigte El Greco vor allem das von rhetorischen Gesten begleitete Gespräch in Anlehnung an eine Sacra Conversazione. Der Stilwechsel wurde von El Greco auch in anderen Werken dieser Zeit vollzogen.
Eines seiner bekanntesten Gemälde schuf El Greco mit dem Begräbnis des Grafen von Orgaz, das er 1586 bis 1588 malte und das später zu einem Hauptwerk zum Studium des Malers wurde.[24] Das Bild ist in zwei Zonen aufgeteilt. Im unteren Teil stellte El Greco die Begräbnisfeier dar, die einem Begräbnis wie zu dieser Zeit in Toledo üblich nachempfunden worden war. Der Adelige wird von den Heiligen Stephanus und Augustinus in das Grab gelegt, womit sich der Künstler auf die Legende zum Begräbnis bezog. Rechts liest wahrscheinlich der Auftraggeber das Requiem. Die obere Zone zeigt den Himmel, in den die Seele des Verstorbenen als Kind von einem Engel eingeführt wird, die dem Weltenrichter sowie Johannes und Maria als seine Fürsprecher und weiteren Heiligen gegenübertritt. In diesem Bild verwendete El Greco Licht nur noch als symbolisches Element. Im Himmel malte er ein unruhig erscheinendes Streiflicht. Die untere Hälfte ist dagegen gut ausgeleuchtet wie eine Bühne, die dortigen Fackeln haben keine reale Lichtwirkung. Das Gemälde nimmt zum einen auf eine historische Begebenheit, die religiös verklärt wurde, Bezug, ist zum anderen aber auch ein Gruppenporträt.[25]
Ein Beispiel für ein von El Greco entwickeltes neues ikonographisches Thema ist die reuige Heilige in Halbfigur, das bereits in den folgenden Barock verweist. Eine einzelne Heiligenfigur wurde isoliert und monumental dargestellt und bot dem Betrachter die Möglichkeit, die Figur als gefühlsmäßigen Ansprechpartner zu sehen. Diese Bilderfindung kann als revolutionär eingeschätzt werden. Beispiele sind etwa Die büßende Magdalena, die im Gegensatz zu dem gleichnamigen Bild Tizians jedoch ohne erotische Bezüge auskommt, oder Der reuige Heilige Petrus. Ebenso populär waren Bilder des Heiligen Franziskus. El Greco malte Franziskus nicht wie bis dahin üblich beim Empfang der Wundmale Christi, sondern bei der Reflexion mit einem Totenkopf. Von dieser Bildidee gibt es noch etwa 40 erhaltene Versionen. Pacheco lobte, dass El Greco die in den Chroniken überlieferte Gestalt des Ordensgründers besonders gut dargestellt habe. Die Vielzahl der Bilder dieses Themas lag in der Popularität des Franziskus in Spanien begründet. Zudem setzte El Greco, wie er es aus Italien kannte, auf die druckgraphische Verbreitung, um seine Komposition zu popularisieren. Er ließ das Franziskus-Gemälde von seinem Schüler Diego de Astor nachstechen.[26]
Neben neuen Bildideen erneuerte El Greco die katholische Bilderwelt mit stilistischen Innovationen. Zum einen bezog er sich auf seine Wurzeln als kretischer Ikonenmaler wie beim Das Begräbnis des Grafen von Orgaz, das sich etwa in der Komposition auf den frühen Marientod bezog. Auf der anderen Seite zeigt sich bei einer späten Version der Tempelreinigung von 1610 bis 1614 eine hohe Abstrahierung von der Naturbeobachtung. Die Bewegung und das Licht sind in solchem Maße gesteigert, dass sie teils als „expressionistisch“ charakterisiert wurden. Das Visionäre von El Grecos Kunst lässt sich auch in dem Gemälde Die Öffnung des fünften Siegels, das die Vision des Evangelisten Johannes zum Thema hat und ein Fragment eines späten Altarprojekts war, entdecken. Im Gegensatz zu anderen Bildern, die diese Vision thematisieren, integrierte El Greco den Heiligen in das Bild und verschob somit die Bedeutung von der Darstellung des erschienenen Ereignisses hin zum Moment der Erscheinung selbst.[27]
In diesem Bild erreichte die Entmaterialisierung der Form bei El Greco ihren Höhepunkt. Erst 1908 wurde die Thematik des Bildes erkannt und hat sich in seiner Bestimmung durchgesetzt. Zuvor existierten zahlreiche Interpretationen. Der obere Teil des Gemäldes ist verloren und die Stellung im geplanten Gesamtensemble ist nicht zu rekonstruieren. Visionen, wie hier eine von El Greco gemalt wurde, sind ein häufiges Thema in der spanischen Barockmalerei. Deshalb ist dieses Gemälde kein isoliertes Werk, sondern steht im Kontext der spanischen Malereientwicklung und verwies auf sie voraus.
Eines seiner bekanntesten Gemälde schuf El Greco mit dem Begräbnis des Grafen von Orgaz, das er 1586 bis 1588 malte und das später zu einem Hauptwerk zum Studium des Malers wurde.[28] Das Bild ist in zwei Zonen aufgeteilt. Im unteren Teil stellte El Greco die Begräbnisfeier dar, die einem Begräbnis wie zu dieser Zeit in Toledo üblich nachempfunden worden war. Der Adelige wird von den Heiligen Stephanus und Augustinus in das Grab gelegt, womit sich der Künstler auf die Legende zum Begräbnis bezog. Rechts liest wahrscheinlich der Auftraggeber das Requiem. Die obere Zone zeigt den Himmel, in den die Seele des Verstorbenen als Kind von einem Engel eingeführt wird, die dem Weltenrichter sowie Johannes und Maria als seine Fürsprecher und weiteren Heiligen gegenübertritt. In diesem Bild verwendete El Greco Licht nur noch als symbolisches Element. Im Himmel malte er ein unruhig erscheinendes Streiflicht. Die untere Hälfte ist dagegen gut ausgeleuchtet wie eine Bühne, die dortigen Fackeln haben keine reale Lichtwirkung. Das Gemälde nimmt zum einen auf eine historische Begebenheit, die religiös verklärt wurde, Bezug, ist zum anderen aber auch ein Gruppenporträt.[29]
Ein Beispiel für ein von El Greco entwickeltes neues ikonographisches Thema ist die reuige Heilige in Halbfigur, das bereits in den folgenden Barock verweist. Eine einzelne Heiligenfigur wurde isoliert und monumental dargestellt und bot dem Betrachter die Möglichkeit, die Figur als gefühlsmäßigen Ansprechpartner zu sehen. Diese Bilderfindung kann als revolutionär eingeschätzt werden. Beispiele sind etwa Die büßende Magdalena, die im Gegensatz zu dem gleichnamigen Bild Tizians jedoch ohne erotische Bezüge auskommt, oder Der reuige Heilige Petrus. Ebenso populär waren Bilder des Heiligen Franziskus. El Greco malte Franziskus nicht wie bis dahin üblich beim Empfang der Wundmale Christi, sondern bei der Reflexion mit einem Totenkopf. Von dieser Bildidee gibt es noch etwa 40 erhaltene Versionen. Pacheco lobte, dass El Greco die in den Chroniken überlieferte Gestalt des Ordensgründers besonders gut dargestellt habe. Die Vielzahl der Bilder dieses Themas lag in der Popularität des Franziskus in Spanien begründet. Zudem setzte El Greco, wie er es aus Italien kannte, auf die druckgraphische Verbreitung, um seine Komposition zu popularisieren. Er ließ das Franziskus-Gemälde von seinem Schüler Diego de Astor nachstechen.[30]
Neben neuen Bildideen erneuerte El Greco die katholische Bilderwelt mit stilistischen Innovationen. Zum einen bezog er sich auf seine Wurzeln als kretischer Ikonenmaler wie beim Das Begräbnis des Grafen von Orgaz, das sich etwa in der Komposition auf den frühen Marientod bezog. Auf der anderen Seite zeigt sich bei einer späten Version der Tempelreinigung von 1610 bis 1614 eine hohe Abstrahierung von der Naturbeobachtung. Die Bewegung und das Licht sind in solchem Maße gesteigert, dass sie teils als „expressionistisch“ charakterisiert wurden. Das Visionäre von El Grecos Kunst lässt sich auch in dem Gemälde Die Öffnung des fünften Siegels, das die Vision des Evangelisten Johannes zum Thema hat und ein Fragment eines späten Altarprojekts war, entdecken. Im Gegensatz zu anderen Bildern, die diese Vision thematisieren, integrierte El Greco den Heiligen in das Bild und verschob somit die Bedeutung von der Darstellung des erschienenen Ereignisses hin zum Moment der Erscheinung selbst.[31]
In diesem Bild erreichte die Entmaterialisierung der Form bei El Greco ihren Höhepunkt. Erst 1908 wurde die Thematik des Bildes erkannt und hat sich in seiner Bestimmung durchgesetzt. Zuvor existierten zahlreiche Interpretationen. Der obere Teil des Gemäldes ist verloren und die Stellung im geplanten Gesamtensemble ist nicht zu rekonstruieren. Visionen, wie hier eine von El Greco gemalt wurde, sind ein häufiges Thema in der spanischen Barockmalerei. Deshalb ist dieses Gemälde kein isoliertes Werk, sondern steht im Kontext der spanischen Malereientwicklung und verwies auf sie voraus.
Zwischen 1610 und 1614 malte El Greco drei Versionen des Laokoon, die sein Atelier nicht verließen und nach seinem Tod im Inventar verzeichnet wurden. Nur eine Version ist erhalten geblieben. Es handelt sich um das einzige mythologische Werk El Grecos und steht in einer reichen Bildtradition, die auf Vergils Aeneis und auf der 1506 in Rom entdeckten Plastik des Laokoon basierte.[32] Das Bild konnte der Künstler vor seinem Tod nicht mehr fertigstellen, weshalb die Figuren am rechten Bildrand nicht vollständig ausgeführt wurden. Bei einer Restaurierung wurden 1955 die Pentimenti freigelegt, so dass nun ein dritter Kopf und ein fünftes Bein in der rechten Figurengruppe zu sehen sind. Diese Figuren wurden unterschiedlich interpretiert, unter anderem als Adam und Eva, womit El Greco eine Synthese von Mythos und Religion geschaffen hätte. An Stelle Trojas setzte der Maler seine Heimatstadt Toledo ins Bild.
El Greco war ein anerkannter Porträtmaler. Seit seinem Aufenthalt in Italien bis in seine letzten Lebensjahre fertigte er Bildnisse an, die ihm ein regelmäßiges Einkommen sicherten. Kurz nach seiner Übersiedlung nach Rom um 1570 malte er das Porträt von Giulio Clovio, das den anerkannten Miniaturmaler als Halbfigur mit dem Stundenbuch der Farnese in seiner Hand zeigt. Das Fenster am rechten Bildrand zeigt einen Ausblick auf eine Landschaft mit stürmischem Himmel. Das Querformat dieses Porträts ist ungewöhnlich für ein Porträt.
Eines der herausragendsten Beispiele für El Grecos Bildnismalerei ist das Ganzfigurenporträt des Malteserritters Vincenzo Anastagi, das 1571–1576 entstanden ist.[33] Der Ritter ist mit samtener Pluderhose und Brustpanzer vor einem dunklen Vorhang dargestellt. Der Raum, in dem ein Helm auf dem Boden liegt, ist sehr kahl und durch das Licht modelliert. Ein weiteres Porträt aus dieser Zeit, das El Greco zugeschrieben wird, ist das Bildnis von Charles de Guise, Kardinal von Lothringen aus dem Jahr 1572. Der sitzende Kardinal hält mit seiner rechten Hand ein Buch offen, in dem das Entstehungsjahr und das Alter des Dargestellten angegeben sind. Der Papagei im Fenster soll die Ambition des Kardinals auf das Amt des Papstes aufzeigen. In Toledo malte El Greco um 1600 mit Ein Kardinal (der Großinquisitor Fernando Niño de Guevara) ein sehr ähnliches Gemälde. Der Porträtierte trägt eine Bügelbrille, die zu der Zeit sehr modern und noch umstritten war. Dieses Attribut weist den Kardinal als dem Neuen aufgeschlossen aus, ebenso wie seine Wahl, El Greco als Künstler zu engagieren.
In Toledo war El Greco ein bedeutender Porträtmaler, der künstlerisch herausragend arbeitete.[34] Das Bildnis eines Edelmannes mit der Hand auf der Brust aus den Jahren 1583 bis 1585 hat eine in der venezianischen Tradition stehende sehr reiche Farbigkeit des Hintergrundes und der Kleidung. El Greco nutzte für das Bild im Gegensatz zu den Madrider Hofmalern eine offene Malweise in der Tradition von Tizian, bei der im vollendeten Bild der Pinselstrich noch immer erkennbar ist.[35] Die Haltung des Dargestellten mit seiner Schwurgeste ist streng. El Greco verzichtete abgesehen vom goldenen Knauf des Degens gänzlich auf Symbolik. Er porträtierte wichtige Persönlichkeiten Toledos wie den Mönch Hortensio Félix Paravicino y Arteaga, Antonio de Covarrubias und Jerónimo de Cevallos. In seinem Spätwerk findet sich zudem das Porträt des Kardinal Tavera, der unter Karl V. Großinquisitor und Regierungschef von Kastilien und zum Zeitpunkt des Malens bereits über ein halbes Jahrhundert tot war.
In seinem Spätwerk fertigte El Greco einige wenige Landschaftsgemälde an und ließ Elemente aus ihnen in andere Werke einfließen.[36] So malte er in den Jahren 1597 bis 1599 die Ansicht von Toledo, in der er zum einen auf die bedeutende Geschichte der Stadt und die zu dieser Zeit erfolgten städtebaulichen Neuerungen Bezug nahm. Er schuf eine eigenwillige Sicht auf die Stadt, die sich stark von anderen Darstellungen unterschied und sich nicht um historische Treue bemühte.
El Greco malte eine Sicht auf den östlichen Teil der Stadt mit dem Palast, der Alcántara-Brücke, der Burg von San Servando und dem nach rechts versetzten Glockenturm der Kathedrale. Damit steigerte er den Anstieg des Stadtberges in dramatischer Weise. Er ließ zudem die Stadtmauer weg und veränderte im Bild den Flusslauf im Vordergrund. Das höchstgelegene Gebäude auf der rechten Seite ist der Alcázar, das Gebäude unter ihm mit dem Arkadengeschoss als Abschluss entspricht keinem realen Gebäude in Toledo. Es wurde als symbolischer Verweis auf die vielen Stadtpaläste reicher Bürger gedeutet. In einem weiteren Gemälde Ansicht und Plan von Toledo, das zwischen 1610 und 1614 entstand, verlieh der Maler der Stadt eine innere Leuchtkraft, die sie von ihrer realen Existenz in die Richtung des Himmlischen Jerusalem entrückte. Auch in dem Altargemälde Der Heilige Joseph mit dem Christuskind, das zwischen 1597 und 1599 gemalt wurde, und in weiteren Heiligenbildern nahm El Greco in der Landschaft Bezug auf Toledo. Auch im Hintergrund seines Laokoons ist eine Ansicht von Toledo zu sehen.
El Greco entwarf für viele seiner Altargemälde zudem das architektonische Rahmenwerk und den Skulpturenschmuck.[37] Damit verschaffte er sich zusätzliche Einnahmen, vor allem den Umstand nutzend, dass damals die Skulptur in Spanien höher geschätzt und besser entlohnt wurde als die Malerei. Jedoch führte er diese Skulpturen meist nicht persönlich aus, sondern beauftragte andere Bildhauer. Dennoch stellte er wohl vor allem kleinere Skulpturen in verschiedenen Techniken her, die er meist als Modelle nutzte, wie er es bei Jacopo Tintoretto kennengelernt hatte. Diese Figuren aus Gips, Wachs oder Ton waren jedoch nicht sehr haltbar und gingen im Laufe der Zeit verloren. Daneben gab es eine Holzfigur, die sich im Besitz des Sohnes befand und zu Andachtszwecken genutzt wurde.
Es sind nur wenige Skulpturen El Grecos erhalten geblieben, zu denen zudem nur wenige Erkenntnisse vorliegen.[38] Sie bezeugen vielfältige Einflüsse und sind damit für das Werk des Künstlers charakteristisch. Zu den heute noch erhaltenen Skulpturen zählen Epimetheus und Pandora, die zwischen 1600 und 1610 geschaffen wurden. Als Aktfiguren sind sie für die spanische Kunst der Renaissance ungewöhnlich. Zudem war das mythologische Thema nicht üblich, entsprach jedoch der humanistischen Bildung des Künstlers und seines Umfeldes in Toledo. Zudem wurde der Mythos von Epimetheus und Pandora zu dieser Zeit als heidnische Version von Adam und Eva interpretiert. Technisch führte El Greco sie in spanischer Tradition in polychromatischem Holz aus. Von der Gestaltung her ähneln die Figuren dem Manierismus von Alonso Berruguete, jedoch ist die Darstellung der Körper zugleich eine individuelle Gestaltungsweise El Grecos, die sich auch in seiner Malerei findet. Eine weitere erhalten gebliebene Skulptur ist ein Auferstandener Christus, den El Greco um 1595/1598 schuf. Sie war Teil des Tabernakels des Hauptaltars im Hospital de San Juan Bautista in Toledo. Die Haltung ähnelt gemalten Christusfiguren El Grecos dieser Zeit. Der männliche Akt war für das Spanien des 16. Jahrhunderts ein ungewöhnliches Sujet, wie etwa Harold E. Wethey betonte. Somit ging El Greco auch in der Skulptur seinen eigenen künstlerischen Weg.
Neben seiner künstlerischen Tätigkeit setzte sich El Greco auch mit der Kunst- und Architekturtheorie auseinander. Seine Überlegungen sind aber nur in Fragmenten als Annotationen in Büchern aus seiner Bibliothek überliefert. Sie zählen zu den wertvollsten handschriftlichen Dokumenten El Grecos. Im 17. Jahrhundert kursierte in Spanien ein Traktat El Grecos mit seinen theoretischen Überlegungen, welches der Künstler dem König präsentiert hatte. Diese Schrift ist jedoch verlorengegangen.
Die heute bekannten Überlegungen finden sich als Anmerkungen in einer Ausgabe von Giorgio Vasaris Viten und Vitruvs De architettura aus der Bibliothek des Künstlers.[39] Insgesamt umfassen die Äußerungen El Grecos 18.000 Wörter, 7.000 zu Vasari, 11.000 zu Vitruv. Im Hinblick auf seine Position in Spanien ist bemerkenswert, dass er die religiöse Funktion der Kunst in den bekannten Äußerungen nicht behandelte. Hingegen stellte El Greco die Autonomie des Künstlers in Bezug auf die Gestaltung des Bildes heraus. Er betonte die Erkenntnisabsicht der Malerei in Hinblick auf Philosophie und Naturalismus.[40] In seinen Anmerkungen setzte er sich von der mathematisch-theoretischen Richtung ab, die stark auf ein Studium der Proportionen abzielte. Außerdem wandte sich El Greco gegen den Klassizismus, der in der Tradition Michelangelos in Spanien populär geworden war. Die Viten forderten den Maler zur Stellungnahme heraus. Er lobte Tizian, während er Michelangelos Farbbehandlung und Raffaels starke Antikenrezeption kritisierte. Zudem lehnte El Greco Vasaris Modell des Verlaufs der Kunstgeschichte ab, das die byzantinische Kunst, aus deren Tradition El Greco selbst stammte, als plump und der italienischen Kunst unterlegen.[41]
Die Rezeption El Grecos fiel im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich aus. Er wurde nicht vom Adel gefördert, sondern stützte sich vor allem auf Intellektuelle, Geistliche, Humanisten und andere Künstler. Nach seinem Tod wurde seiner Kunst wenig Wertschätzung zuteil und sie wurde zum Teil gar nicht beachtet. Seine langsame Wiederentdeckung setzte im 19. Jahrhundert ein, um 1900 hatte El Greco dann seinen Durchbruch. Dieser war weniger von der Kunstwissenschaft getragen, sondern von Schriftstellern, der Kunstkritik und der künstlerischen Avantgarde.
El Greco war die herausragende Künstlerpersönlichkeit im Spanien von Philipp II. und Philipp III.[42] Sowohl künstlerisch als auch mit seinem Auftreten, mit dem er sich als Künstler ins Zentrum seines Schaffens rückte, wirkte er revolutionär, was bei seinen Zeitgenossen zum einen Bewunderung, zum anderen aber auch Ablehnung hervorrief. Er suchte nach neuen Ausdrucksformen und reformierte die Ikonographie und die Bildthemen der religiösen Malerei. Zu seinem Lebensende hin wandte er sich in seiner Kunst wieder seinen Anfängen als kretischer Ikonenmaler zu und ließ sich damit insgesamt nur schwer in die spanische Kunst des beginnenden 17. Jahrhunderts einordnen. Selbst sein Sohn setzte seinen Individualstil nicht fort. Dennoch wirkte sein Werk als Vorbereitung des Barock.
Aufgrund seines Werkes und Auftretens war El Greco zu Lebzeiten bereits eine Berühmtheit, ihm wurde jedoch abseits seiner Porträts und seiner koloristischen und naturalistischen Werke wenig Wertschätzung zuteil.[43] Zeitgenössische Zeugnisse stammten etwa von Alonso de Villegas, Francisco de Pisa und dem Italiener Giulio Mancini, dessen um 1615 entstandene Aufzeichnungen jedoch erst 1956 publiziert wurden. Auch Pacheco hatte El Greco in Toledo besucht. Er malte ein Porträt von ihm und schrieb eine Biographie, die jedoch beide verloren gingen. Der Mönch Hortensio Félix Paravicino y Arteaga lobte El Greco in seinem 1641 erschienenen Werk Obras postumas, divinas y humanas. In ihm befand sich ein Sonett, in dem er das von ihm geschaffene Porträt seiner selbst pries. In vier weiteren Sonetten lobte er zudem allgemein die Kunst El Grecos.
El Greco wurde bereits im 17. Jahrhundert in geringem Umfang künstlerisch in Spanien rezipiert, auch wenn sich keine Nachfolge in seinem Individualstil ausbildete.[44] Diego Velázquez besaß drei Porträts von El Greco und lehnte sich in seiner Modellierung durch Licht an dessen Malweise an. Die römische Barockkunst nahm die Existenz der Kunst El Grecos jedoch kaum zur Kenntnis. In Spanien wurden besonders während des Klassizismus und der Aufklärung um 1800 die Werke El Grecos abgelehnt und der Künstler etwa aus dem Umfeld Goyas heraus kritisiert.
Der erste Schritt zur Aufwertung des Schaffens El Grecos war 1838 die Eröffnung der Spanischen Galerie im Louvre durch König Louis-Philippe I. In ihr wurden neun Gemälde des Künstlers präsentiert. Aber erst um 1900 wurde El Greco durch spanische Intellektuelle und Künstler, die auf der Suche nach einer nationalen Identität waren, als für Spanien typischer Maler rezipiert. Dabei nahm Ignacio Zuloaga eine führende Rolle ein. Er kopierte 1887 erste Werke El Grecos im Museo del Prado und adaptierte dann einige seiner Motive in eigenen Werken. 1905 erwarb er Die Öffnung des fünften Siegels, das er als „Vorbote der Moderne“ bezeichnete, und verwendete es als Hintergrund in seinem Bild Mis amigos, in dem er einige der wichtigsten Schriftsteller seiner Zeit porträtierte. Pablo Picasso hatte diese Wiederentdeckung El Grecos in Barcelona und Madrid selber erfahren.[45] In seiner ersten wichtigen Arbeitsphase, der Blauen Periode, verwies sein Bild Das Begräbnis von Casagemas auf Das Begräbnis des Grafen Orgaz. Eine Zeichnung Picassos trug sogar den Titel Yo El Greco („Ich El Greco“). In der Rosa Periode griff er in seinem als Skandal aufgenommenen Gemälde Les Demoiselles d’Avignon Motive aus Die Öffnung des fünften Siegels auf. Auch in den 1950er Jahren setzte sich Picasso in seiner Kunst noch mit El Greco auseinander.[46]
In Frankreich kopierte zudem etwa Paul Cézanne Die Dame mit dem Hermelin nach einer Reproduktion, als diese noch eindeutig El Greco zugeschrieben wurde. Julius Meier-Graefe schrieb außerdem von einer inneren Verwandtschaft zwischen Cézanne und El Greco, was in der Folge etwa von Rilke oder von Franz Marc in Der Blaue Reiter aufgegriffen wurde.[47] Das Interesse der französischen Künstler an El Greco war insgesamt groß. Édouard Manet reiste zusammen mit Théodore Duret 1865 nach Toledo. Jean-François Millet und dann Edgar Degas besaß das Porträt Kniender Domingo. Bei Eugène Delacroix findet sich unter anderem eine Pieta, die an El Grecos Komposition angelehnt ist und die wiederum von Vincent van Gogh aufgegriffen wurde. Auch Marcel Duchamp setzte sich zum Ende seines malerischen Werkes etwa mit den Bildern Portrait (Dulcinée) und Le Printemps (Jeune homme et jeune fille dans le printemps) aus dem Jahr 1911 mit El Greco auseinander.[48]
In Deutschland hatte Julius Meier-Graefes Buch Spanische Reise bedeutenden Einfluss auf die El-Greco-Begeisterung und beeinflusste die Künstler der Moderne.[49] Im unter anderem von Franz Marc verantworteten Almanach Der Blaue Reiter wurde dann auch El Grecos Heiliger Johannes auf einer Doppelseite mit dem Tour Eiffel von Robert Delaunay gezeigt. Marc betont zudem den Zusammenhang zwischen der Wertschätzung für El Greco und dem Aufstieg der zeitgenössischen Kunst. Dieser ideelle Einfluss ist bei Marc deutlich stärker als ein künstlerischer Niederschlag, was auch für August Macke gilt. Die Gegenüberstellung von Delaunay und El Greco ist einschlägig, da dieser den Spanier als einen Einfluss benennt. Sein Gemälde La Ville de Paris greift die rechte Figurengruppe des Bildes Die Öffnung des fünften Siegels auf.
Im Jahre 1912 setzte sich die Befruchtung der Moderne durch El Greco im Rheinland fort. In Köln fand die Sonderbundausstellung statt, die eine besondere Bedeutung für die Avantgarde hatte, und war mit einer Hommage an El Greco verbunden. Wie viele und welche Bilder dort gezeigt wurden, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Wahrscheinlich waren es zwei im Kontext einer retrospektiven Schau mit Werken von für die Moderne wichtigen Künstlern. Zugleich wurde in der Kunsthalle in Düsseldorf die Sammlung Nemes gezeigt, in der auch die zehn Grecos ausgestellt wurden. Bei Walter Ophey, Wilhelm Lehmbruck und Heinrich Nauen, die an der Sonderbundausstellung teilnahmen, ist die Auseinandersetzung mit El Greco nachgewiesen.
Die Rezeption El Grecos setzte sich auch abseits der klassischen Moderne fort.[50] Das Frühwerk von Jackson Pollock war von seiner Beschäftigung mit der Kunst der Renaissance beeinflusst. In den beiden umfangreichsten Zeichenbüchern aus dieser Zeit finden sich einige Skizzen nach Kompositionen von El Greco. Hinzu kommen mehr als 60 lose Blätter mit Zeichnungen nach Werken des spanischen Künstlers. Dabei verwendete er zwei verschiedene Techniken. Zum einen überführte er Kompositionen El Grecos in reduzierte Darstellungen, die die Körper in wenigen dominanten Strichen übertrugen, zum anderen fertigte er detaillierte Studien nach einzelnen Figuren an, wobei Pollock in beiden Fällen individuelle Details wie Hände und Füße wegließ. Neben den Zeichnungen fertigte Jackson Pollock zudem auch Gemälde an, die sich etwa in der Gestaltung von Licht und Schatten an El Greco anlehnten. Zugleich lehnte er aber die Bedeutung der symbolischen Komponenten der Werke El Grecos ab. Bis in die Gegenwart hinein wurde El Greco künstlerisch bearbeitet.[51] So malte Michael Mathias Prechtl in den 1980ern Bilder, die sich mit dem Spanier auseinandersetzen. Dabei schuf er etwa das ironische Werk Das Leben des Lazarillo von Tormes, das sich auf das Porträt Ein Kardinal (der Großinquisitor Fernando Niño de Guevara) bezog, dem er eine vollbusige Frau auf den Schoß setzte. Mit Der Traum Toledo – El Grecos Begräbnis schuf Prechtl ein Bild, das er der Ansicht Toledos des Spaniers nachempfunden hatte.[52]
Beeinflusst von Zuloaga reiste Rainer Maria Rilke 1912 nach Toledo, um dort Werke El Grecos zu sehen. Er schrieb in seinen Briefen dieser Zeit viel über El Greco, etwa an Auguste Rodin oder an die Fürstin von Taxis. Dabei beschrieb er die Begegnung mit dessen Werk als eines der größten Ereignisse dieser Jahre; seine Beweggründe für die Reise sei die Absicht gewesen, den Künstler in El Greco ohne großen Publikumsrummel in dessen Heimatstadt erfahren zu können. Der Schriftsteller Stefan Andres schildert in seiner 1936 erschienenen Novelle El Greco malt den Großinquisitor die Bedingungen von Kunst in einer Diktatur anhand des Porträts des Großinquisitors Fernando Niño de Guevara, das El Greco um 1600 malte.[53]
Als einer der frühesten Vertreter der neuen Kunstauffassung gilt neben Jan van Eyck der Meister von Flémalle, der heute meist mit Robert Campin identifiziert wird. Sein Hauptwerk ist das Mérode-Triptychon (um 1425), das heute im Metropolitan Museum in New York zu sehen ist.[54]
Die tatsächliche Existenz von Jan van Eycks angeblichem Bruder Hubert ist seit langem umstritten.[55] Neuere Forschungen kommen zum Ergebnis, dass der – nur in wenigen Quellen erwähnte – Hubert nur ein unbedeutender Genter Maler gewesen sein soll, der in keinerlei verwandtschaftlicher oder sonstiger Beziehung zu Jan stand.
Als Schüler Campins ist Rogier van der Weyden anzusehen, dessen Mitarbeit am Mérode-Triptychon wahrscheinlich ist. Dieser beeinflusste wiederum Dieric Bouts und Hans Memling. Zeitgenosse Memlings war Hugo van der Goes, der erstmals 1465 urkundlich wurde.
Seine künstlerische Ausbildung, die in der Regel im Alter von 12 bis 14 Jahren mit einer mindestens vierjährigen Lehre begann, liegt im Dunkeln. Spätestens 1427 heiratete er Elisabeth (Lysebette) Goffaert aus Brüssel, die Tochter des Schuhmachers Jan Goffaert und dessen Ehefrau Cathelyne van Stockem. Mit ihr hatte er u. a. zwei Söhne, die ebenfalls Künstler wurden: Jan van der Weyden (Goldschmied) und Peter van der Weyden (Maler). Der Maler Goossen van der Weyden war sein Enkel. Bereits als fertig ausgebildeter Maler trat er am 5. März 1427 bei dem Meister Robert Campin in die Werkstatt ein, bei dem auch Jacques Daret tätig war. Mit Wirkung vom 1. August 1432 wurde Rogier als freigesprochener Meister in die Malerzunft in Tournai aufgenommen.
Bald darauf ließ sich Rogier in Brüssel als Maler nieder, in der Stadt, aus der seine Ehefrau stammte. In Brüssel übertrug er seinen französischen Namen „de la Pasture“ ins flämisch-niederländische „van der Weyden“. Rogier verfügte über ein beachtliches Vermögen und war schon zu Lebzeiten berühmt und geschätzt. In den Jahren 1435 oder 1436 wurde Rogier zum Stadtmaler von Brüssel ernannt. 1450 unternahm Rogier eine Reise nach Rom und wurde dort u. a. von den Humanisten Cyriakus und Johannes Facius als „bester Maler im Norden nächst Jan van Eyck“ gerühmt. 1439 schuf er die Gerechtigkeitsbilder für das Brüsseler Rathaus. Es sind die einzigen signierten Werke Rogiers, die überliefert sind, allerdings nur in einer Kopie als Wandteppiche. In den Jahren 1460 bis 1461 war der italienische Maler Zanetto Bugatto sein Schüler.
Mit Hieronymus Bosch tritt uns der rätselhafteste Künstler dieser Gruppe entgegen, dessen Werk bis heute Anlass für zahlreiche Spekulationen ist.[56] Neben den Großmeistern der altniederländischen Malerei sind noch Petrus Christus, Colijn de Coter, Aelbert Bouts, Gerard David, Goossen van der Weyden und Quentin Massys sowie deren Werkstätten anzuführen.[57]
Hieronymus Bosch (1450-1516) hat ein bis heute faszinierendes und nachwirkendes Gesamtwerk hinterlassen, das sich in der Interpretation jeder einfachen Deutung entzieht. Es gibt einige plausible Deutungen seiner Bilder; viele Darstellungen sind jedoch rätselhaft geblieben. Bosch selbst hat keine schriftlichen Aufzeichnungen zu seinen Werken hinterlassen.
Hieronymus und seine beiden Brüder folgten alle der Familientradition und erhielten ihre Malerausbildung zumindest zeitweise in der väterlichen Werkstatt. Außerdem arbeiteten hier noch zwei Söhne Goessens. Nach dem Tod des Vaters führte Goessen als ältester Sohn die Werkstatt weiter.[58]
Hieronymus benannte sich nach seiner Heimatstadt, die auch Den Bosch genannt wird. In Spanien, wo einige seiner bedeutendsten Gemälde im Museo del Prado ausgestellt sind, spricht man von El Bosco.[59]
1488 trat er der religiösen Bruderschaft Unserer Lieben Frau bei, erst als äußeres, dann als geschworenes Mitglied des elitären inneren Zirkels (etwa 60 Personen). Diese geschworenen Brüder kamen in der Regel aus der höchsten (aristokratischen beziehungsweise patrizischen) städtischen Schicht und waren alle Geistliche verschiedenen Weihegrads.[60] Fast die Hälfte davon waren (meist weltliche) Priester, die teilweise zugleich Notare waren. Ferner gab es unter ihnen Ärzte und Apotheker sowie einige wenige Künstler (Musiker, einen Architekten und nur einen Maler: Bosch). Die Bruderschaft pflegte Kontakt zu den höchsten Kreisen des Adels, der Geistlichkeit und der städtischen Eliten in den Niederlanden. Neben dieser politisch-gesellschaftlichen Seite waren sie gleichermaßen religiös ausgerichtet und wurden von den Dominikanern betreut. In den Reihen der Brüder und durch ihre Kontakte zum Hof fand Bosch seine Auftraggeber.
Erhalten geblieben sind von Boschs Werken nur die Gemälde auf Holztafeln (wenngleich zu jener Zeit bereits auch textile Bildträger benutzt wurden) und einige Zeichnungen auf Papier. Neben der Liebfrauenbruderschaft arbeitete er für die städtische Elite und den niederländischen Hochadel. Zu seinen bedeutendsten Auftraggebern gehörten der regierende Fürst der Niederlande Erzherzog Philipp der Schöne und sein Hof. Triptychen wie Der Heuwagen und Der Garten der Lüste waren mit ihren Motiven eindeutig nicht für einen Altar gedacht, sondern zur Beeindruckung und Unterhaltung eines höfischen Publikums.
Der Garten der Lüste ist ein Triptychon.[61] Er ist heute im Museo del Prado, Madrid zu besichtigen. Es gibt keine konkreten Hinweise auf seine Entstehungszeit; die Forschung geht davon aus, dass „Der Garten der Lüste“ um 1500 gemalt wurde.
In zugeklapptem Zustand erscheint auf der Frontseite (Außenflügel) das Bild einer durchsichtigen Weltkugel. Sie stellt den dritten Tag der Schöpfungsgeschichte dar: Gott hat Wasser und Erde voneinander getrennt und die ersten Pflanzen geschaffen. Die Innenansicht des Triptychons bietet den Blick auf den „Garten Eden“ (linker Innenflügel), den „Garten der Lüste“ (Mittelteil) und die „musikalische Hölle“ (rechter Innenflügel). Ausgeklappt misst der Triptychon 220 × 390 cm.[62]
Im unteren Bildteil des linken Flügels hat Bosch die Erschaffung Evas nach dem biblischen Schöpfungsbericht in Szene gesetzt. Die drei Figuren Adam, Gott - allerdings in Gestalt Jesu - und Eva sind durch Berührungen miteinander verbunden. Die Schlange, Inbegriff für den Sündenfall ist entfernt am rechten mittleren Bildrand sich um einen Baum schlängelnd dargestellt.
Daneben präsentiert das Bild eine Reihe fantastischer Einfälle: Ein Berg im Hintergrund scheint Unterschlupf für zahllose Vögel zu sein, die aus ihm herausfliegen, in die Ferne schweifen und zurückkehren – der Wechsel von Geburt, Tod und Wiederkehr. In der Mitte befindet sich in einem klaren Teich ein bizarrer Brunnen, der Lebensbrunnen, in dessen Innern eine Eule sitzt. Um den Teich herum sind zahlreiche Tiere gemalt, die meisten von ihnen friedlich. Vorlage für die Darstellungen waren möglicherweise Bestiarien, exotische Tiere wie Giraffe und Elefanten waren Bosch wahrscheinlich nicht aus eigener Anschauung bekannt. Auch fantastische Wesen wie das Einhorn und drachenähnliche Wesen haben Eingang in diese Kompendien gefunden und wurden ebenso ernst genommen wie reale Tiere. Eine Missgeburt von einem Hund (er hat nur zwei Beine) ist zu sehen. Unheil deutet sich schon im Paradies an: einem Pfuhl mit trübem Wasser am unteren Rand entschlüpfen hässliche Kreaturen.
Der lange Zeit anhaltenden Interpretation der Mitteltafel als Warnung gegen die Todsünde Wollust setzte erstmals der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger eine völlig neue Sicht entgegen:[63] Er deutete die Darstellung als utopisches Traumbild eines Liebes-Paradieses. In der Tat zeigt Bosch auf der Mitteltafel ein fried- und freudvolles Beisammensein von Mensch und Tier. Um einen kreisförmigen Teich, in welchem Menschen baden, zieht eine Prozession von Reitern auf Pferden und Lasttieren herum; am linken Rand des Bildes sitzen zwischen den Menschen übergroße Vögel (Eisvogel, Wiedehopf, Grünspecht, Rotkehlchen und Stieglitz). Neben skurrilen Bildelementen dominiert eine unaggressive, harmonische Stimmung. Sexualität wird als von positiven Emotionen getragenes, behutsames Spiel betrachtet, sogar Dämonen, die im oberen Teil des Bildes neben dem Lebensbrunnen (sein Unterbau ist eine große Waldbeere) planschen, geben sich der positiven Stimmung hin. Überall sind überdimensionale Früchte, vornehmlich Erdbeeren, Vogel-Kirsche, Himbeeren und Brombeeren platziert, Zeichen der Lebensfülle und der Erotik.[64]
Am Rande des unteren Bildabschnitts steht eine kleine Gruppe von Frauen, deren Äußeres darauf schließen lässt, dass es sich um Nonnen handelt. Das Haupthaar ist am Schädel vorn wegrasiert (wie es bei Nonnen üblich war, damit es nicht unter der Kopfbedeckung herauslugt), eine von ihnen hat den Flagellationsriemen locker um die Oberschenkel gewunden. Die Darstellung der Nonnen in der Szene ist – trotz ihrer Nacktheit – nicht als Provokation gedacht, sondern von dem Wunsch getragen, die Kirche in diese friedvolle, harmonische Welt einzubeziehen. Im rechten Bildhintergrund hebt ein beflügelter Mensch, eine Frucht über sich tragend, ab und steigt zum Himmel auf.
Fraengers Beitrag wurde als originelle Anregung oft aufgegriffen, von Seiten der Kunsthistoriker aber fast durchweg abgelehnt. Zum einen wurde auf die vielen Momente der Belächelung in Boschs Bild verwiesen, die einer ernsthaften Vorstellung von einer „heilen Welt“ entgegenstünden. Zum anderen sei Fraenger unhistorisch vorgegangen, da die Idee einer unterdrückten Sexualität, die befreit werden könne, vorwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stamme (Sigmund Freud, Wilhelm Reich, etc.) und zu Boschs Zeiten völlig fremd gewesen sei.
Der Kunsthistoriker Erwin Pokorny verweist in seiner Analyse darauf, dass zu Boschs Zeiten das „Paradies im Jenseits“ eine Glaubensrealität war wie die „Hölle im Jenseits“.[65] Er führt Belege dafür an, dass Bosch sich von einer auf Fantasie gegründeten Sehnsucht nach einem jenseitigen Paradies distanziert. Nichts-Tun, die naive Vermischung oder gar Gleichsetzung von menschlichen Körperteilen mit überdimensionalen Früchten, Akrobatik, soziales Schaulaufen und Langeweile würden von Bosch ironisch ausgebreitet. Nach Pokorny zeigt Bosch also, wie leicht eine Sehnsucht vor allem eines werden kann: ein Spiegel der Kurzsichtigkeiten der Sehnsüchtigen.
Im unteren, helleren Bildteil ist ein Schreckensszenario dargestellt.[66] Man sieht eine wehrloses Person in die Saiten einer Harfe eingespannt, eine andere wird von einer großen Flöte niedergedrückt, eine weitere liegt unter der Laute gefangen, auf ihr Hinterteil sind Noten geschrieben, nach der die Umstehenden unter Anleitung eines Monsters singen müssen. Neben der Szene sitzt ein vogelähnliches Wesen, es trägt einen Kessel auf dem Kopf (Symbol, sich gegen den Himmel und göttliche Einflüsse abzuschirmen) und verschlingt Menschen. Diese werden wieder ausgeschieden und fallen in eine Sickergrube, die allerlei Ekel bietet: Abgesehen davon, dass eine Person dorthinein Goldmünzen ausscheidet, wird eine andere gezwungen, sich in diesen Pfuhl zu erbrechen. Das Chaos am umgestürzten Tisch im unteren Bereich des Bildes prangert auf den ersten Blick Spielsucht und Falschspiel an. Versteckt wird in der linken Ecke die Enthauptung eines Menschen angedeutet. In der rechten Ecke versucht ein Mensch, sich gegen ein mit der Oberbekleidung einer Nonne bedecktes Schwein zur Wehr zu setzen. Ein Schriftstück liegt ihm auf den Knien; ein Wesen, das seine Gesichtszüge hinter dem heruntergelassenen Visier eines Helmes verbirgt, reicht Tinte und Feder. Der bedrängte Mann soll anscheinend etwas unterschreiben. Rechts hiervon ist die einzig komplett bekleidete Person des Werkes abgebildet.[67]
In der Bildmitte zieht eine helle Figur - halb Baum, halb Mensch - den Blick auf sich.[68] Sie fußt auf zwei kleinen Booten, die im Eis festgefroren sind. Sein dem Betrachter zugewandtes, leicht ironisches Gesicht ist auf einem Korpus montiert, der an ein geborstenes Ei erinnert. Auf seiner Kopfbedeckung, einem Mühlstein, steht mittig ein hellroter Dudelsack, Symbol für sexuelle Begierde. Um diesen herum führen vier Wesen Menschen an ihren Händen: Der „Spottvogel“, die „Hoffart“ (Hochmut), der Bär (Symbol für „Zorn“) und eine dickliche Figur, die in eine abweisende Hülle eingebunden ist, möglicherweise ein Geldsack, der Habgier symbolisiere. In dem geborstenen Ei-Körper tummeln sich einige Personen in einer Wirtshausszene.
Oberhalb des Baummenschen ist ein Messer in zwei überdimensionale Ohren eingespannt. Die Ohren sind von einem Pfeil durchbohrt, ihre Bedeutung ist nicht eindeutig, es kann sich um einen Hinweis darauf handeln, dass den Geboten Gottes nicht gehorcht wurde. Dämonen zerren Menschen unter die Klinge und legen sie zurecht, damit diese von der Schneide erfasst werden. Im rechten Teil des Bildes – auch hier ist ein überdimensionales Messer in Szene gesetzt – werden Menschen in Ritterrüstung gequält und von Höllenhunden zerfleischt, darunter nackte Personen zu Reittieren abgerichtet.
Der obere Bildteil zeigt eine ruinenartige Stadtlandschaft. Im Dunkel der Nacht erhellen Feuerschein und andere Lichtquellen auf gespenstische Weise die Szenerie. In ihr bewegen sich einzelne schemenhafte Gestalten.[69]
Neuere kunsthistorische Beiträge heben den ironischen Charakter der drei Teilbilder des „Gartens der Lüste“ hervor. So sind im linken Bild „Adam und Eva im Paradies“, nicht nur Tiere einer verkehrten Welt zu sehen, wie ein großer Vogel mit drei Köpfen und ein Fisch mit gefiederten Flügeln, sondern auch ein schriller Anachronismus. Unten rechts, im Teich, steht eine Person mit einem großen Entenschnabel statt Nase und mit ihrer unteren Körperhälfte durch einen Fisch verdeckt. Sie ist bekleidet mit einer kurzärmeligen Jacke mit Kapuze. Vor sich in ihren Händen hält sie ein geöffnetes dickes Buch, in dem sie anscheinend liest.[70] Durch das Zeigen dieses weiteren, wenn auch nur halben, Menschen mit Kleidung und Buch beseitigt Bosch die übliche Distanz zwischen Bild und Betrachter. Mit dem Kontrast zwischen der gedachten Welt des Paradieses und der realen Welt der Bücher ermöglicht Bosch dem Betrachter eine Position des aufgeklärten Beobachters. Mit dem Mittel der Ironie wird daran erinnert, dass das Bild des Paradieses schließlich seinen Ursprung in einem Buch hat, der Genesis.
Ein vergleichbarer Anachronismus befindet sich auch im Hauptbild „Garten der Lüste“, und zwar wieder unten rechts.[71] Hier sieht man die einzige bekleidete Person des Hauptbildes, wie sie aus einer Höhle heraus direkt auf den Betrachter zurückblickt und dabei mit ironischem Gesichtsausdruck und ausgestrecktem Zeigefinger auf die nackte Frau vor ihm hinweist. Auch hier wird also ein Kontrast zwischen Traumwelt und Gegenwart angedeutet, und dem Betrachter die Möglichkeit eines kritischen Beobachters dieser Fantasie-Welt geboten.
Im rechten Bild, der „Hölle“, befindet sich zum dritten Mal unten rechts ein Anachronismus. Papierdokumente mit Siegelabdrücken und eine Schreibfeder sind Gegenstände der irdischen Geschäftswelt. Außerdem drängelt das Schwein mit der Schreibfeder durch Schmeichelei (Lutschen am Ohrläppchen) und nicht durch Drohung. Zum dritten Mal sieht also der Betrachter seine reale Gegenwart in ein Fantasiebild hineingemalt.[72]
Hieronymus Bosch verwendete in vielen seiner Bilder immer wieder dieselben Symbole, deren Bedeutung heute teils durch Texte überliefert ist, teils sich durch das Vergleichen seiner Werke mit anderen ergibt.[73] Über diese Symbolik bzw. Ikonographie gibt es eine Vielzahl von teilweise sehr umfangreichen philologischen und kunsthistorischen Untersuchungen.[74]
Faszinierend und erschreckend zugleich sind bei vielen Bildern Boschs die eingearbeiteten dämonischen Figuren und Fabelwesen.[75] Immer wieder sind menschliche Wesen mit Tierköpfen von Fischen, Vögeln, Schweinen oder Raubtieren ausgestattet, hässliche Gnome und Monster bevölkern die Bilder. Ihnen gemein ist, dass sie zu denen gehören, die wehrlose Menschen quälen oder sie der Verdammnis zuführen.
Die Abbildung von Fabelwesen war im Mittelalter nichts Ungewöhnliches, sie kam in den sogenannten Bestiarien vor.[76] Das Bestiarium entwickelte sich aus dem Physiologus, einem aus Alexandria (Ägypten) stammenden mythologischen „Tierkundebuch“, das im frühen Mittelalter seinen Weg nach Europa fand und übersetzt wurde. Bestiarien sind allegorische Tierbücher, die wirkliche und fantastische Tiere beschreiben und ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Eigenheiten typologisch herauszustellen suchen. Sie dienten als didaktische Medien für Belehrungen in Moral und Religion und waren sehr beliebt, da die Menschen exotische Tiere von anderen Kontinenten nur über diese Bücher kennenlernen konnten. Aber es fanden auch mythische Tiere wie das Einhorn oder der Drache Eingang in solche Werke.
Dass Bosch Bestiarien kannte und schätzte, spiegeln einige seiner Bilder wider. Immer wieder tauchen dort reale, in Europa bekannte oder aus exotischen Lebensräumen stammende Tiere auf. Die Weiterentwicklung von Fabelwesen zu furchterregenden Kreaturen geht aber im Wesentlichen auf Bosch zurück. Er wollte das Böse in den Menschen sichtbar machen.[77]
Er griff dabei die Traditionen der Marginalien aus der Buchmalerei seiner Zeit auf, die Fabelwesen, aber auch andere Themen wie das Topos der „verkehrten Welt“ oder reine Ornamentik kannten.[78]
Auf den Massenbildern, wie dem Garten der Lüste, sind die Gesichtszüge stark vereinfacht oder karikaturenhaft.[79] Es gibt jedoch auch äußerst präzise, naturalistische Gesichtsabbildungen, wie sie kennzeichnend sind für einen Maler der Renaissance. Ein Beispiel hierfür ist die Dornenkrönung Christi in London Auch die beiden Gesichter der Wanderer gehören dazu. Interessanterweise taucht in manchen Bildern und Triptychen immer wieder ein Gesicht auf, das für Bosch offenbar eine Bedeutung hatte: Es ist auf der oktogonalen Tafel in Rotterdam Der Wanderer (auch Der Landstreicher genannt) sowie Der verlorene Sohn/Der Pilger auf dem Außenflügel des Heuwagen-Triptychons in Madrid zu sehen. Ähnlichkeiten werden zwischen diesem und dem Gesicht des „Baummenschen“ ausgemacht. Die Abbildung spiegelt eine ebenmäßige Gesichtsform mit einer langen Nase wider. Der Blick scheint nachdenklich, abgeklärt. Auf dem linken Flügel des Triptychons Die Versuchung des Heiligen Antonius hilft (neben zwei Mönchen) eine weltlich gekleidete Person Antonius über eine Brücke – es ist dasselbe Gesicht, nur etwas älter. Und schließlich: Auf dem Bild Johannes auf Patmos sitzt neben dem Heiligen ein echsenähnliches Tier, und dieses trägt, ebenso wie ein kleiner geflügelter Dämon am unteren Rand des Bildes Tod eines Geizhalses, die beschriebenen Gesichtszüge.[80]
Ungeklärt ist, um wen es sich dabei handelt. Manche vermuten darin eine Selbstdarstellung Hieronymus Boschs, andere einen Auftraggeber. Fraenger sieht hier und in zahlreichen ähnlichen wiederkehrenden Porträt-Köpfen auf Bildern von Bosch den 1496 konvertierten Juden Jacop van Almaengin dargestellt, der so etwas wie Mäzen und Großmeister von Boschs Loge in s‘Hertogenbosch gewesen sei, geistiges Vorbild und Auftraggeber des Malers. Letztere Vermutung erscheint allerdings wegen der negativen Anmutung durch die Kombination des Gesichts mit monsterähnlichen Körperteilen, beispielsweise bei Johannes auf Patmos, als unwahrscheinlich. Ansonsten gibt es von Hieronymus Bosch nur ein einziges, oft kopiertes, "Porträt", eine posthume Zeichnung von ca. 1550 mit ungeklärter Herkunft und Authentizität. Seine dort ausgewiesenen Gesichtszüge entsprechen nicht der von ihm so oft gemalten Person.[81]
Da die überlieferten Abbildungen des Malers nicht als authentisch gesichert gelten, ließe sich darüber spekulieren, ob es vielleicht doch er selbst ist, der sich in seinen Bildern verewigt hat. Möglicherweise handelt es sich auch um sein „zweites Ich“, so, wie er sich innerlich sieht, nachdenklich und abgeklärt. Es könnte sich auch um einen Freund handeln, der ihm bei der Abfassung seiner Bilder und Triptychen beratend zur Seite gestanden hat.
Die Abbildung von Fabelwesen war im Mittelalter nichts Ungewöhnliches, sie kam in den sogenannten Bestiarien vor.[82] Das Bestiarium entwickelte sich aus dem Physiologus, einem aus Alexandria (Ägypten) stammenden mythologischen „Tierkundebuch“, das im frühen Mittelalter seinen Weg nach Europa fand und übersetzt wurde. Bestiarien sind allegorische Tierbücher, die wirkliche und fantastische Tiere beschreiben und ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Eigenheiten typologisch herauszustellen suchen. Sie dienten als didaktische Medien für Belehrungen in Moral und Religion und waren sehr beliebt, da die Menschen exotische Tiere von anderen Kontinenten nur über diese Bücher kennenlernen konnten. Aber es fanden auch mythische Tiere wie das Einhorn oder der Drache Eingang in solche Werke.
Dass Bosch Bestiarien kannte und schätzte, spiegeln einige seiner Bilder wider. Immer wieder tauchen dort reale, in Europa bekannte oder aus exotischen Lebensräumen stammende Tiere auf. Die Weiterentwicklung von Fabelwesen zu furchterregenden Kreaturen geht aber im Wesentlichen auf Bosch zurück. Er wollte das Böse in den Menschen sichtbar machen.[83]
Er griff dabei die Traditionen der Marginalien aus der Buchmalerei seiner Zeit auf, die Fabelwesen, aber auch andere Themen wie das Topos der „verkehrten Welt“ oder reine Ornamentik kannten.[84]
Auf den Massenbildern, wie dem Garten der Lüste, sind die Gesichtszüge stark vereinfacht oder karikaturenhaft.[85] Es gibt jedoch auch äußerst präzise, naturalistische Gesichtsabbildungen, wie sie kennzeichnend sind für einen Maler der Renaissance. Ein Beispiel hierfür ist die Dornenkrönung Christi in London Auch die beiden Gesichter der Wanderer gehören dazu. Interessanterweise taucht in manchen Bildern und Triptychen immer wieder ein Gesicht auf, das für Bosch offenbar eine Bedeutung hatte: Es ist auf der oktogonalen Tafel in Rotterdam Der Wanderer (auch Der Landstreicher genannt) sowie Der verlorene Sohn/Der Pilger auf dem Außenflügel des Heuwagen-Triptychons in Madrid zu sehen. Ähnlichkeiten werden zwischen diesem und dem Gesicht des „Baummenschen“ ausgemacht. Die Abbildung spiegelt eine ebenmäßige Gesichtsform mit einer langen Nase wider. Der Blick scheint nachdenklich, abgeklärt. Auf dem linken Flügel des Triptychons Die Versuchung des Heiligen Antonius hilft (neben zwei Mönchen) eine weltlich gekleidete Person Antonius über eine Brücke – es ist dasselbe Gesicht, nur etwas älter. Und schließlich: Auf dem Bild Johannes auf Patmos sitzt neben dem Heiligen ein echsenähnliches Tier, und dieses trägt, ebenso wie ein kleiner geflügelter Dämon am unteren Rand des Bildes Tod eines Geizhalses, die beschriebenen Gesichtszüge.[86]
Ungeklärt ist, um wen es sich dabei handelt. Manche vermuten darin eine Selbstdarstellung Hieronymus Boschs, andere einen Auftraggeber. Fraenger sieht hier und in zahlreichen ähnlichen wiederkehrenden Porträt-Köpfen auf Bildern von Bosch den 1496 konvertierten Juden Jacop van Almaengin dargestellt, der so etwas wie Mäzen und Großmeister von Boschs Loge in s‘Hertogenbosch gewesen sei, geistiges Vorbild und Auftraggeber des Malers. Letztere Vermutung erscheint allerdings wegen der negativen Anmutung durch die Kombination des Gesichts mit monsterähnlichen Körperteilen, beispielsweise bei Johannes auf Patmos, als unwahrscheinlich. Ansonsten gibt es von Hieronymus Bosch nur ein einziges, oft kopiertes, "Porträt", eine posthume Zeichnung von ca. 1550 mit ungeklärter Herkunft und Authentizität. Seine dort ausgewiesenen Gesichtszüge entsprechen nicht der von ihm so oft gemalten Person.[87]
Da die überlieferten Abbildungen des Malers nicht als authentisch gesichert gelten, ließe sich darüber spekulieren, ob es vielleicht doch er selbst ist, der sich in seinen Bildern verewigt hat. Möglicherweise handelt es sich auch um sein „zweites Ich“, so, wie er sich innerlich sieht, nachdenklich und abgeklärt. Es könnte sich auch um einen Freund handeln, der ihm bei der Abfassung seiner Bilder und Triptychen beratend zur Seite gestanden hat.
Die Maler des nördlichen Manierismus Jan Wellens de Cock (um 1475/80–1527/28), Jan Mandyn (um 1500–1560), Herri met de Bles (um 1500/10–1555/60) und Pieter Huys (um 1519/20–1581/84) werden einer Gruppe von niederländischen/flämischen Malern zugeordnet, die die Tradition von Hieronymus Bosch und seiner fantastischen Malerei, besonders seiner Antoniusversuchungen, fortführten.[88]
Der Einfluss Boschs auf den modernen Surrealismus wurde von Salvador Dalí zurückgewiesen. Laut Dalí sind „Boschs Monster (…) Produkt des nebelverhangenen Nordens und der schrecklichen Verdauungsstörungen des Mittelalters. Das Ergebnis sind symbolische Charaktere, und die Satire hat ihren Vorteil aus dieser gigantischen Diarrhoe gezogen. An diesem Universum bin ich nicht interessiert. Wir haben hier das genaue Gegenteil von Monstern, die auf andere Weise geboren werden und die im Gegensatz dazu von einem Überschuss an mediterranem Licht leben.“[89]
Nelly Sachs schrieb ein Gedicht mit dem Titel Hieronymus Bosch. Es findet sich im Band Fahrt ins Staublose (1961) im Zyklus Dornengekrönt. In Arno Schmidts Dialogroman Abend mit Goldrand (1975) ist Der Garten der Lüste das vielfach und vieldeutig referenzierte Hauptkunstwerk. Der Komponist Horst Lohse schrieb ein Triptychon zur Madrider Tafel: Die sieben Todsünden (1989) – Die vier letzten Dinge (1996/97) – Cave cave Dominus videt (2011/12).
Heute ist nur noch ein Bruchteil der Werke der altniederländischen Künstler erhalten. Zahllose Gemälde und Zeichnungen fielen den Bilderstürmen in den Wirren der Reformation und den vielen Kriegen zum Opfer. Viele altniederländische Gemälde weisen zudem starke Schäden auf und müssen aufwändig restauriert werden. Einige Hauptwerke sind nur durch – handwerklich und künstlerisch häufig hochwertige – Kopien überliefert, die Mehrzahl allerdings ist für immer verloren.
Die Werke der frühen Niederländer und Flamen werden heute in den großen internationalen Kunstmuseen ausgestellt.[90] Einige Altäre und Gemälde befinden sich jedoch auch noch an ihren alten Standorten in Kirchen, Kathedralen und Schlössern wie der berühmte Genter Altar in der St.-Bavo-Kathedrale in Gent. Aus Sicherheitsgründen ist er allerdings heute nur durch dicke Panzerglasscheiben zu studieren.
Besonders das Werk Jan van Eycks erregte in Italien, dem Ursprungsland der Renaissance, größtes Aufsehen.[91] Der Humanist Bartolomeo Facio rühmte den Meister einige Jahre nach dessen Tod gar als „Malerfürsten unseres Jahrhunderts“.[92]
Während sich die italienischen Maler komplizierter mathematischer und geometrischer Hilfsmittel (Fluchtliniensysteme u.a) bedienten, gelang es dem Flamen scheinbar mühelos, die „Wirklichkeit“ korrekt wiederzugeben. Das Bildgeschehen spielte sich nicht mehr nach gotischer Art gleichsam auf einer Bühne ab. Die Räume sind perspektivisch richtig wiedergegeben, die Landschaften nicht mehr kulissenhaft schematisiert. Weite, äußerst detailliert ausgeführte Hintergründe lenken den Blick in die Unendlichkeit. Auch Gewänder, Möbel und Ausstattungsstücke wurden oft nahezu fotorealistisch dargestellt.[93]
Die maniera Fiamminga übte einen ungeheuren Einfluss auf die Kunst des italienischen Quattrocento aus. Antonello da Messina galt deshalb lange sogar als direkter Schüler Jan van Eycks. Italienische Sammler bestellten zahlreiche Bilder bei den nördlichen Meistern, Mäzene ermöglichten jungen Künstlern die Ausbildung in flämischen Werkstätten.
Van Eyck galt lange als der „Erfinder“ der Ölmalerei.[94] Tatsächlich sind seine Gemälde jedoch in einer Mischtechnik ausgeführt, die traditionelle Temperamalerei wurde durch Elemente der Öltechnik ergänzt. Der Meister verwendete teilweise Terpentinöle (Weißlack) als Bindemittel. Die Farbe trocknet so wesentlich schneller und behält ihre intensive Leuchtkraft. Diese Neuerungen wurden rasch von anderen Künstlern in ganz Europa aufgegriffen.
Neben der ungewöhnlichen Leuchtkraft der Farben beeindruckte die Italiener besonders die „innige Frömmigkeit“ der Flamen. Die eigene Malerei war eher vom Humanismus geprägt, der nördlichen Kunst gelang die Verbindung des Naturalismus mit einer tiefen Religiosität.
Auch das benachbarte Deutschland wurde selbstverständlich von der neuen Kunstauffassung beherrscht, die neben den italienischen Schulen die abendländische Kunst für nahezu zwei Jahrhunderte prägen sollte. Giorgio Vasari zählte sogar Albrecht Dürer und dessen Vorgänger Martin Schongauer zu den Flamen. In der Tat wäre das Werk dieser beiden Künstler ohne diese Anregungen undenkbar.
Dürer war bei Michael Wohlgemut in die Lehre gegangen, der als Schüler Hans Pleydenwurffs stark von der niederländischen Malweise geprägt war. 1520/21 hatte der große Nürnberger während seiner „Niederländischen Reise“ Gelegenheit, die flämische Kunst in ihrem Ursprungsland zu studieren.[95]
Als eines der frühesten deutschen Gemälde „flämischer“ Art gilt der Kalvarienberg der Familie Wasservass.[96] Noch deutlicher wird der burgundisch-flämische Einfluss bei Stephan Lochner. Durch die räumliche Nähe wurden Köln und der Niederrhein natürlich in besonderem Maße von der niederländischen Kunst geprägt. Der Kölner Patrizier Goddert von dem Wasservass bestellte um 1455 bei Rogier van der Weyden den Columba- oder Dreikönigsaltar für seine Familienkapelle.
Die ersten Einflüsse der nördlichen Malweise in Spanien werden im Königreich Aragon sichtbar, zu dem auch Valencia, Katalonien und die Balearen gehörten.[97] König Alfonso V. sandte seinen Hofmaler Lluís Dalmau bereits 1431 nach Flandern. 1439 verlegte der Brügger Maler Luís Alimbrot (Lodewijk Allyncbrood) seine Werkstatt nach Valencia. Jan van Eyck dürfte die Stadt bereits 1427 als Angehöriger einer burgundischen Delegation besucht haben.
Valencia, damals eines der wichtigsten Zentren der mediterranen Welt, zog Künstler aus allen Teilen Europas an. Neben die traditionellen Malschulen des „Internationalen Stils“ traten flämisch beeinflusste Werkstätten und italienische Anregungen. Es entwickelte sich eine „hispano-flämische“ Kunstrichtung, als deren Hauptmeister Bartolomé Bermejo, Jaume Huguet und Rodrigo de Osona gelten.
Auch im Königreich Kastilien werden die nördlichen Einflüsse bereits früh deutlich.[98] Die einheimischen Meister verwendeten jedoch statt der üblichen Eichenbretter Pinienholz als Maluntergrund und bevorzugten weiterhin die Tempera als Malmaterial. Auffällig ist die „verschwenderische“ Verwendung von Blattgold und Goldpulver in der Malerei Kastiliens und Aragons. Weitere Besonderheiten sind die reiche Ornamentik und die oft riesigen Ausmaße spanischer Flügelaltäre.
Die kastilischen Könige besaßen einige bedeutende Werke Rogier van der Weydens, Hans Memlings und Jan van Eycks.[99]
Eine eigenständige portugiesische Malschule entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der Lissaboner Werkstatt des Hofmalers Nuno Gonçalves. Die Kunst dieses Meisters erscheint völlig isoliert, sie hatte weder Vorläufer noch Nachfolger. Die flämischen Einflüsse werden hier besonders beim Polyptychon des hl. Vincenz (Lissabon, Museu Nacional de Arte Antiga) deutlich.
Das „goldene manuelinische Zeitalter“ im frühen 16. Jahrhunderts wurde hauptsächlich von der flämisch-niederländischen Kunst geprägt. Der Flame Francisco Henriques wirkte in Lissabon und Évora. Ebenfalls aus dem Norden stammte Frei Carlos, ein Hieronymitenmönch aus einem Kloster in der Nähe von Évora. Als ein bedeutendes Beispiel der durch die Altniederländische Malerei beeinflussten portugiesischen Malerei gilt der Meister von Lourinhã.[100]
Die Niederlande durchliefen im Goldenen Zeitalter eine kulturelle Entwicklung, die sich von der ihrer Nachbarstaaten deutlich unterschied und allgemein als Höhepunkt der holländisch-niederländischen Zivilisation angesehen wird.[101] Während in anderen Ländern reiche Aristokraten Schirmherren und Gönner der Künste waren, spielten in den Niederlanden wohlhabende Händler und andere Patrizier diese Rolle. Hier bildete die aufstrebende, ungewöhnlich breite Mittelschicht zusammen mit den reichen Bauern das entscheidende Potential für die ökonomische wie auch für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes.
Sie alle stellten einen riesigen Markt für den Absatz gewerblicher und künstlerischer Erzeugnisse dar.[102] Durch ihr wachsendes gesellschaftliches Ansehen entstand bei Händlern, Handwerkern, kleinen Beamten oder Offizieren das Bedürfnis, ihren Status zur Schau zu stellen, und zwar auf eine vergleichbare Weise, wie es im Hochadel und Klerus gang und gäbe war. Dank ihrer Kaufkraft konnten sie sich diese Wünsche erfüllen.
Durch das allgemein gesteigerte Interesse an der Beschreibung der sichtbaren Welt wurde der Wunsch nach Kunstbesitz geradezu unersättlich, und die Nachfrage nach weltlicher Malerei blühte auf wie nie zuvor und nirgendwo sonst. Porträts beispielsweise sollten den gesellschaftlichen Rang der eigenen Person darstellen, wenn nicht erhöhen.[103] Das über die unbedingt erforderlichen Einrichtungsgegenstände hinausgehende Mobiliar wurde als Statussymbol betrachtet, was sich im Besitz prächtiger Eichentruhen, achteckiger Tische und teurer Betten bei den Bauern und in kostbaren Uhren, Spiegeln, Porzellan oder Besteck der Bürgerschaft ausdrückte. Der teilweise ins Unerhörte wachsende Reichtum der Niederländer garantierte somit die Lebensgrundlage der Künstler des 17. Jahrhunderts (selbst wenn nur die wenigsten vollständig davon leben konnten) und hatte zur Folge, dass es eine ungleich bessere „Kunstversorgung“ der Bevölkerung gab als irgendwo sonst in Europa.
Kunst und Kultur, dabei besonders die Malerei, entwickelten sich zusammen mit ihren neuen „Kunden“ zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor.[104] Den schon damals gültigen Gesetzen der freien Marktwirtschaft folgend, wurde das „Dienstleistungsgewerbe Kunst“ immer differenzierter, es bildeten sich zum Beispiel Fachbetriebe für bestimmte Gattungen der Malerei aus und gleichzeitig entstanden Bildgattungen, deren Motive für die Malerei Neuland waren, wie beispielsweise die Landschaftsmalerei und das Genre der Sittengemälde. Auch stilistisch wurde die Kunstlandschaft immer vielfältiger, so dass die Auftraggeber sogar Malweisen, sei es der flämisch-italienischen oder der holländischen Schule selbst bestimmen konnten.[105]
So bestimmten bürgerliche Auftraggeber die Kunstproduktion, die auf dem Selbstverständnis einer frühkapitalistischen Republik fußte, was zu einem höheren Realismus und zur Bevorzugung bestimmter Kunstgattungen wie Porträtmalerei (Einzel- und Gruppenbildnis), Genrebilder oder Stilllebenmalerei führte. Die schutterij, die Schützen mit ihrer Schützengilde und die rederijkers, die Dichter, organisiert in der rederijkerskamer, der Dichtergilde (seinerzeit „Redekammer“ genannt), waren gleichzeitig kulturelle Zentren und Förderer der Künste. Die Schützen hatten sich zu einer Art städtischen Bürgerwehr organisiert und sorgten nachts für Ruhe und Ordnung in den Städten. Alle männlichen Einwohner waren ihr zu Dienst verpflichtet.
Die Dichtergilden stellten Vereinigungen auf Stadtebene dar, die literarische Aktivitäten begünstigten und unterstützten. Die Städte waren ebenso stolz auf diese Gilden wie die Bürger auf ihre Mitgliedschaft, die sie sich viel kosten ließen. Große niederländische Dichter, wie zum Beispiel Pieter C. Hooft und Joost van den Vondel, waren Mitglieder einer Rederijkerskamer. Die einzelnen Gilden und Gildenmitglieder ließen sich gerne und oft bei der Ausübung ihrer Ehrenaufgabe porträtieren. Ein Beispiel dafür ist das Bild der Nachtwache von Rembrandt van Rijn.[106]
Im 17. Jahrhundert erreichte die Malerei in den Niederlanden eine derartige Blüte, dass sie gelegentlich alleine mit dem Begriff des Goldenen Zeitalters verbunden wird.[107] Schon im 16. Jahrhundert war die Kunstproduktion hoch gewesen. Allein in Antwerpen sollen 1560 mehr als 300 Meister mit Malerei und Graphik beschäftigt gewesen sein, hingegen nur 169 Bäcker und 78 Fleischer. Nun entstanden in dem dicht besiedelten Land in kurzer Zeit und auf engstem Raum viele Zentren der Malerei – neben Amsterdam etwa Haarlem, Delft, Utrecht, Leiden, Den Haag und Deventer. Bald waren Malerei und Druckgraphik geradezu allgegenwärtig, die Niederlande wurden zu einer riesigen „Kunstfabrik“.[108] Jährlich kamen 70.000 Bilder auf den Markt, wobei 650 bis 700 niederländische Maler durchschnittlich jeweils 94 Bilder im Jahr malten, berühmte und weniger berühmte Maler gemeinsam mit ihren Schülern nahezu fließbandartig produzierten.
Der soziale Status in der niederländischen Gesellschaft wurde neben dem familiären Hintergrund und der Ausbildung maßgeblich durch Vermögen und Einkommen bestimmt – ungewöhnlich im Europa des 17. Jahrhunderts, wo der persönliche Status noch überwiegend durch die Ständeordnung, also durch Geburt, vorgezeichnet war.
An der Spitze der Gesellschaft in den Niederlanden rangierten Adel und Regenten, jedoch hatte die Aristokratie das Land zusammen mit den Spaniern weitgehend verlassen oder viele ihrer Privilegien an die Städte verkauft. Bedeutende holländische Regentendynastien des Goldenen Jahrhunderts waren die Geschlechter Boelens, Loen in Amsterdam, die De Witt und Van Slingelandt in Dordrecht, sowie die Van Foreest in Alkmaar. Im Prinzip hatte jede Stadt und jede Provinz ihre eigene Regierung und eigenen Gesetze, und wurde von den miteinander eng verwandten Regenten in einem oligarchischen System beherrscht.
Während der Adel im restlichen Europa weiter die politisch und sozial privilegierte Führungsschicht bildete, gab es in den Niederlanden kaum mehr Geburtsadel. Selbst der Klerus konnte nur wenig weltlichen Einfluss ausüben: Die Katholische Kirche war weitgehend unterdrückt, die junge protestantische Kirche geteilt. Hier herrschte also kein König, kein Adel und kein Klerus, sondern bestimmten die Regenten zusammen mit den Bürgern der Oberschicht (reichen Kaufleuten, Reedern, Bankiers, Unternehmern, hochrangigen Offizieren) das politische und gesellschaftliche Leben, gefolgt von einer breiten Mittelschicht aus Handwerkern, Händlern, Schiffern, kleineren Beamten und niederrangigen Offizieren, die in kleineren Städten und weniger wichtigen Gemeinden bereits politische Verantwortung übernahmen. Nicht zuletzt durch die Einwanderung religiös Verfolgter, unter ihnen zahlreiche Angehörige der Oberschicht und des Bildungsbürgertums, Schriftsteller und Gelehrte, wies das Land die niedrigste Zahl an Analphabeten in Europa auf Gleichzeitig half eine ausgeprägte Spendenbereitschaft der Bürgerschaft, die rasante wirtschaftliche Entwicklung sozial verträglich abzufedern. Armenküchen, Waisenhäuser, Altenheime und andere soziale Einrichtungen verdankten ihre Existenz der Mildtätigkeit der Bürger. Aufgrund dieses – natürlich erst rudimentär vorhandenen – sozialen Netzes war für die Randgruppen, die Armen und die Schwachen so weit gesorgt, dass sich Unruhen im Gegensatz zum übrigen Europa weitgehend auf politische oder religiöse Themen beschränkten.
Eine wichtige Rolle spielt die 1602 gegründete Niederländische Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie oder VOC), die sich rasch zum größten Handelsunternehmen des 17. Jahrhunderts entwickelte und ein niederländisches Monopol im Asienhandel aufbaute, das sie zwei Jahrhunderte lang innehaben sollte. Ihre Handelsrouten erstreckten sich längs der afrikanischen und asiatischen Küste.. Für den Handel mit Westafrika und Amerika wurde die Westindische Kompanie (Geoctroyeerde West-Indische Compagnie oder WIC) gegründet, dem heutigen New York, verwaltete. Weitere Handelszweige waren der Ostseehandel, der Handel mit Russland und die straatvaart, auch als Levantvaart bekannt.
1609 wurde die Amsterdamer Wechselbank gegründet – die weltweit erste Zentralbank und eine der ersten europäischen Notenbanken – und 1611 die Amsterdamer Warenbörse. Die Wechselbank verbesserte die Voraussetzungen für den Handel und förderte den Zahlungsverkehr, der bis dahin aufgrund der Vielzahl in Umlauf befindlicher unterschiedlicher Währungen erschwert wurde. Günstige Zinssätze, feste Devisenkurse und eine hohe Darlehensbereitschaft der niederländischen Banken zogen Kapitalanleger und Finanzleute aus ganz Europa an.
Spätestens nach der Erlangung der vollständigen Handelsfreiheit (einem durch Schutzzölle nicht mehr beengten internationalen Handel) im Rahmen des Westfälischen Friedens 1648 beherrschten die Niederländer den Welthandel. Um 1670 verfügte die Republik über etwa 15.000 Schiffe, das Fünffache der englischen Flotte, was einem Transportmonopol auf dem Meer gleichkam. Besonders der Handel mit den Kolonien bescherte den Niederlanden großen Reichtum. Aus Niedrländisch-Indien, Bengalen, Ceylon und Malakka wurden Gewürze, Pfeffer, Seide und Baumwollstoffe eingeführt. Im Laufe der Zeit siegte doch die Habgier, denn es handelte sich dabei um ein sehr lukratives Geschäft. Man berief sich zur Rechtfertigung auf die Bibel: Schließlich seien die Afrikaner die Söhne und Töchter Hams, der von seinem Vater Noah verflucht worden sei, was die Ausbeutung der „frei“ zur Verfügung stehenden schwarzen afrikanischen Arbeitskraft rechtfertige
Da die Vereinigten Provinzen der Niederlande aus dem Widerstand gegen religiöse Unterdrückung entstanden waren, gewährten sie ihren Bürgern von Anfang an Religionsfreiheit. Die Kunde dieser Toleranz verbreitete sich schnell und hatte zur Folge, dass Protestanten und andere religiös Verfolgte aus Spanien, Portugal und anderen Nationen – vor allem aus den spanisch besetzten Südprovinzen – ins Land strömten. Calvinismus wurde zum vorherrschenden Glauben, jedoch wurde das Land zu Anfang des Jahrhunderts durch den Streit über die Prädestinationslehre..
Auch der Humanismus mit seinem einflussreichsten Vertreter Erasmus hatte sich etabliert und war für den kulturellen und sozialen Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ebenso verantwortlich wie für die Bildungsbewegung und teilweise für das Klima der Toleranz.
Im frühen 16. Jahrhundert war der Niederländer Erasmus von Rotterdam der angesehenste und einflussreichste Humanist nördlich der Alpen.[109] Von großer Tragweite war seine Bemühung, eine reine, unverfälschte Fassung des Neuen Testaments durch Rückgriff auf dessen griechischen Text zu gewinnen. Einen außerordentlich starken Widerhall fanden – auch außerhalb von Gelehrtenkreisen – seine Schriften auf dem Gebiet der Lebensberatung.
1487 wurde Erasmus Regularkanoniker im Kloster der Augustinerchorherren in Steyn bei Gouda. Als Chorherr wurde er im April 1492 zum Priester geweiht und verließ im folgenden Jahr im Dienst des Bischofs von Cambrai das Kloster, das er später nie mehr betrat. Von 1495 bis 1499 studierte er an der Sorbonne und unterrichtete zugleich die Brüder Heinrich und Christian Northoff aus Lübeck. Von dort aus gelangte er mit seinem Schüler Lord Mountjoy nach England, wo er unter anderen Thomas Morus und John Colet kennenlernte, später auch William Warham, John Fischer und den jungen Prinzen Heinrich, den späteren König Heinrich VIII.. Er lernte in England auch das höfische Leben kennen (und schätzen) und entwickelte sich vom Kanoniker zum weltgewandten Gelehrten.[110]
Von 1500 bis 1506 hielt er sich abwechselnd in den Niederlanden, in Paris und in England auf. In den Jahren 1506 bis 1509 bereiste er Italien, wo er intensive Schriftstudien betrieb und in Turin zum Doktor der Theologie promovierte, damit verbunden erhielt er den Rang eines Reichsbarons. In Venedig lernte er den Verleger Aldus Manutius kennen und ließ bei ihm einige seiner Werke drucken.
Anschließend reiste er wieder nach England, wo er in Cambridge Griechisch lehrte und 1511 auch die Pfarrei von Aldington erhielt. Er pendelte danach jahrelang zwischen England, Burgund und Basel. Ab 1515 wirkte Erasmus einige Jahre am Hofe von Burgund in Löwen, unter anderem als Erzieher (Rat) des Prinzen Karl, des späteren Kaisers Karl V.
Von 1514 bis 1529 lebte und wirkte Erasmus in Basel, um seine Schriften in der Werkstatt seines späteren Freundes Johann Froben drucken zu lassen. Er begegnete 1524 erstmals Johannes a Lasco, dem späteren Reformator Frieslands, der zu einem seiner Lieblingsschüler wurde. Als sich die von Johannes Oekolampad betriebene, an Zwingli angelehnte Reformation in Basel durchsetzte, ging er 1529 nach Freiburg. Dort wohnte er zuerst im Haus Zum Walfisch und kaufte sich 1531 – inzwischen wohlhabend – das Haus Zum Kindlein Jesu.
Im Jahre 1535 kehrte er nach Basel zurück und verstarb dort am 12. Juli 1536. Sein hohes Ansehen zeigt sich auch darin, dass er als katholischer Priester in der Zeit heftigster konfessioneller Auseinandersetzungen im protestantischen Basler Münster beigesetzt wurde. Teile seines Nachlasses sind im Historischen Museum Basel ausgestellt.
Erasmus sprach meistens lateinisch und schrieb ausschließlich auf Latein oder Griechisch.[111] Er war ein Vielschreiber und hat nach heutiger Erkenntnis etwa 150 Bücher geschrieben. Darüber hinaus sind über 2000 Briefe von ihm erhalten. Wegen seiner feinen Ausdrucksweise genossen seine Briefe in Europa große Aufmerksamkeit. Man schätzt, dass er täglich etwa 1000 Wörter zu Papier gebracht hat. Seine gesammelten Werke sind 1703 in zehn Bänden herausgegeben worden.
Er sah sich als ein Vermittler von Bildung: „Menschen werden nicht als Menschen geboren, sondern als solche erzogen!“[112] Als Textkritiker, Herausgeber und Grammatiker begründete er die neuzeitliche Philologie. Auf ihn geht die heute in westlichen Ländern übliche Aussprache, insbesondere die Betonung des Altgriechischen zurück. Die korrekte Aussprache ist heute umstritten und wohl nicht mehr zweifelsfrei klärbar, obwohl es eine in der Wissenschaft weitgehend akzeptierte Rekonstruktion gibt.
Sein heute bekanntestes Werk ist die Satire Lob der Torheit (Laus stultitiae) aus dem Jahr 1509, die er seinem Freund Thomas Morus widmete. In dieser „Stilübung“ (wie er sie nannte) trat er mit Spott und Ernst tief verwurzelten Irrtümern entgegen und setzte sich für vernünftige Anschauungen ein. Dafür fand er die ironischen Worte: „Die christliche Religion steht einer gewissen Torheit recht nahe; hingegen mit der Weisheit verträgt sie sich schlecht!“
Auch in der Satire Julius vor der verschlossenen Himmelstür (1513), die er nach dem Tode des „Soldatenpapstes“ Julius II. schrieb, zeigte sich Erasmus als begnadeter Formulierer, der die Ironie liebte.[113]
1516 veröffentlichte Erasmus eine kritische Edition des griechischen Neuen Testaments, diligenter ab Erasmo Rot. Recognitum et Emendatum, mit einer neuen, von ihm selbst durch Überarbeitung der Vulgate erstellten lateinischen Übersetzung und Kommentar. Erasmus’ Neues Testament war der erste erhältliche vollständige gedruckte griechische Text des Neuen Testaments (ein anderes, schon früher begonnenes Projekt zum Druck des Textes war ins Stocken geraten und kam letztlich erst später auf den Markt). Offenbar sah Erasmus den griechischen Text zuerst nur als Beiwerk zu seiner neuen lateinischen Fassung an, um seine Änderungen gegenüber der Vulgata begründen zu können. Er widmete die Ausgabe Papst Leo X und nutzte dabei wiederentdeckte Manuskripte, die mit griechischen Flüchtlingen aus Konstantinopel in den Westen gelangt waren.[114]
Nach dem Erfolg der Erstausgabe nannte er das Werk von der zweiten Auflage (1519) an schlicht Novum Testamentum. Es wurde von den Übersetzern der King-James-Bibel benutzt und diente auch Luther als Ausgangstext für seine deutsche Bibelübersetzung. Erasmus besorgte drei weitere, jeweils überarbeitete Auflagen 1522, 1527 und 1535.
In den Jahren 1522 bis 1534 setzte sich Erasmus in verschiedenen Schriften mit den Lehren und Schriften Luthes auseinander.[115] Zwei Jahre vor seinem Tod versuchte er mit der Schrift De sarciendas ecclesiae concordia noch einmal, die zerstrittenen Glaubensparteien zu befrieden. In den grundlegenden Glaubensfragen wäre man einig, war Erasmus überzeugt, weniger Wichtiges, die Adiaphora, könne man den einzelnen Gläubigen und ihren Gemeinden freistellen. In den von Kaiser und Fürsten initiierten Religionsgesprächen versuchten bedeutende Theologen bis ins 17. Jahrhundert hinein, die Konfessionen auf der erasmischen Grundlage wieder zusammenzuführen. Sie blieben erfolglos.
1536 schrieb Erasmus sein letztes Werk, De puritate ecclesiae christianae, eine Auslegung von Psalm 14, die er einem einfachen Leser, einem Zöllner, mit dem er sich auf einer seiner vielen Reisen angefreundet hatte, widmete. Sein Einfluss war bis in das Zeitalter der Aufklärung in Europa von überragender Bedeutung.[116]
Erasmus hat sich besonders um die Bibelexegese verdient gemacht, in der er die Grundlagen für die reformatorische Theologie legte.[117] Sein schlechter Ruf, er habe vor allem auf die ethische Seite der Religion Wert gelegt, beruht auf einem kleinen Frühwerk von 1503, dem Handbuch des christlichen Streiters, das zu seiner Zeit sehr beliebt war und in der Forschung lange als ein Hauptwerk von Erasmus galt. Zunächst der Reformation gegenüber offen, wandte sich der Humanist von ihr ab, als er Martin Luther in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur katholischen Kirche sah. Sie war auch die Ursache für seinen Streit mit Ulrich von Hutten.
1516 schrieb er Die Erziehung des christlichen Fürsten, die er als neuernannter Rat des Fürsten dem späteren Karl V. widmete. Das Werk sieht in christlich-moralischen Lebensgrundsätzen des Regierungsoberhauptes die wichtigste Voraussetzung für eine friedliche, segensreiche Politik. Dieser Fürstenspiegel war bei den zeitgenössischen Fürsten sehr beliebt. Ferdinand I. soll es auswendig gelernt haben.
1517 erschien Die Klage des Friedens, in der Erasmus während des erbarmungslosen Machtkampfes um die Oberherrschaft in Italien dem Friedenswillen eine Stimme verlieh. Er hat damit eine dezidierte pazifistische vertreten und lehnte Kriege mit einer Ausnahme ab: Nur wenn das gesamte Volk sich für einen Krieg ausspreche, sei er legitim. In seinem 1528 herausgegebenen Dialogus Ciceronianus trat Erasmus für eine individuell gestaltete Lebensweise ein, die sich nicht nur an antiken Vorbildern orientieren sollte.[118]
In den letzten Lebensjahren vervollständigte Erasmus eines seiner umfangreichsten Hauptwerke, die Adagia. Es ist eine Sammlung von antiken Weisheiten und Sprichwörtern (als Fortsetzung seines Erstwerkes Antibarbari, vor 1500 begonnen), die er schrittweise von etwa 800 auf über 4250 Zitate ausbaute. Es wurde sein erfolgreichstes Werk und bis in die Zeit der Aufklärung gelesen (auch Goethe hatte es stets zur Hand). Ein ähnliches Werk, eine Sammlung von fast 3000 Anekdoten und Zitaten berühmter Männer und Frauen aus der Antike, sind die Apophthegmata, die er 1534 für den Herzog Wilhelm von Cleve veröffentlichte.[119]
Seine Colloquien (1518) und sein Buch De civilitate (1530) wurden in den Schulen gelesen. Erasmus wandte sich gegen kirchliche Missstände, die Veräußerlichung der Religion und den Dogmenzwang. Er beklagte: „Wenn man sich die Durchschnitts-Christen ansieht, besteht nicht all ihr Tun und Lassen in Zeremonien?“ [120]Auch Täufer und Spiritualisten beriefen sich auf ihn.
Erasmus und Luther haben sich persönlich nicht kennengelernt, korrespondierten jedoch mehr oder weniger öffentlich ab 1519 miteinander. Während Luther eine „harte Linie“ gegen das aus seiner Sicht dekadente Papsttum der römisch-katholischen Kirche vertrat, setzte sich Erasmus für „innere Reformen“ ein und bat Luther um Mäßigung.[121]
Auch in religiösen Fragen zeigten sich bald Unterschiede. Während Erasmus die These aufstellte, Gott habe dem Menschen einen freien Willen gegeben, zwischen dem Guten und dem Bösen zu wählen, der freilich nur mit Gottes Gnade wirksam werden könne, argumentierte Luther mit der Erbsünde und der Allmacht Gottes, durch die jede Tat des Menschen vorausbestimmt sei. Luther verglich den menschlichen Willen mit einem Pferd, „das der Teufel reitet“ oder das Gott lenkt.[122] Es sei unmöglich, einen der beiden Reiter loszuwerden, denn jedes menschliche Schicksal sei vorbestimmt und endet entweder in der Hölle oder im Himmel. Gottes Liebe und Hass seien ewig und unverrückbar, schrieb Luther in seiner Erwiderung an Erasmus, sie seien schon gewesen, „ehe der Welt Grund gelegt ward“, noch ehe es einen Willen oder Werke des Willens gab.[123]
1521 erschien Luthers assertio omnium articulorum M. Lutheri per Bullam Leonis X novissiman damnatorum, zugleich als deutsche Schrift unter dem Titel Grund und Ursache aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind. 1524 veröffentlichte Erasmus seine Entgegnung: De libero arbitrio (Vom freien Willen), ein Werk, mit dem der Bruch mit Luther endgültig besiegelt wurde. Seine letzte kritische Auseinandersetzung mit dem Titel Hyperaspistes kommentierte Luther mit dem bekannten Ausspruch: „Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig.“[124]
Einerseits sparte Erasmus nicht mit beißender Kritik an frömmelnden Christen, heuchlerischen Mönchen, korrupten Päpsten, katholischen Riten und dem Ablasshandel. Andererseits verteidigte er das Papsttum, distanzierte sich von jeder Veränderung durch Gewalt und versagte den Reformatoren seine Unterstützung.[125]
Auch manche Historiker – insbesondere aus dem protestantischen Lager – teilten später diese Einschätzung und kritisierten die als unentschlossen empfundene Haltung des Erasmus. Auch die Tatsache, dass er sich in der Reuchlin-Affäre, die viele humanistische Gemüter in Wallung brachte, zu einigen antijudaistischen Bemerkungen gegen Pfefferkorn hinreißen ließ, hat ihm Kritik eingebracht.[126] Für Erasmus, der das Neue Testament gegenüber dem Alten als übergeordnet ansah und Talmud wie auch Kabbala ablehnend gegenüberstand, spielten Juden auch eine negative Rolle in den Konflikten mit den Täufern und im Bauernkrieg. Eine potentielle Gefahr sah er ebenso in jüdischen Konvertiten, die seiner Ansicht nach trotz Taufe an ihren jüdischen Traditionen festhielten und das Christentum angeblich von innen zersetzten. Im Gegensatz dazu hat Erasmus aber bei anderen Gelegenheiten gegen Antijudaismus protestiert.[127]
Als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Repräsentanten des europäischen Humanismus wurde der Theologe durch seine kirchenkritische Haltung und seinen der historisch-kritische Exegese verpflichteten theologischen Schriften zum Vorreiter der Reformation. Durch sein Eintreten für relative Religionsfreiheit nahm er eine humanistische Position jenseits des katholischen wie auch des lutherischen Dogmatismus ein. Ihn als Verteidiger „religiöser Toleranz“ zu bezeichnen, ist insofern missverständlich, weil er selbst stattdessen die Begriffe Frieden und Konkordanz verwendet (tolerantia nur für die Wahl des Geringeren von zwei Übeln, was bei Konflikten religiöser Doktrinen nicht vorliegt).[128] Ernsthafte Irrlehren, zu denen er letztlich auch die Reformation zählte, sollten auch seiner Meinung nach unterdrückt werden, ggf. auch durch Anwendung der Todesstrafe.
Erasmus zählte zu den geachtetsten Gelehrten seiner Zeit, man nannte ihn „den Fürsten der Humanisten“.[129] Er korrespondierte mit fast allen Herrschern und Päpsten seiner Epoche und wurde allseits für seine offenen Worte und den brillanten Stil bewundert und geachtet, beispielsweise vom englischen König Heinrich VIII, dem er im September 1517 unter anderem schrieb: „Könige werden weise durch den Verkehr mit weisen Männern, zumal unter den vielen Reichsgeschäften, ja, ,Welthändeln‘, mit denen Du zu tun hast, kaum ein Tag vorübergeht, an dem Du nicht etwas Zeit auf Bücherlesen verwendest und gerne mit jenen alten Weisen ins Gespräch kommst, die am allerwenigsten Dir nach dem Munde reden (…) Wie ein verständiger und frommer Fürst an alle denkt, für alle wacht, für alle insgemein sorgt, da er ein öffentliches Amt hat, kein privates, so ziemt es sich, dass jeder an seinem Teil nach Kräften diese Sorgen und Mühen zu unterstützen sucht. Da ich für meinen Teil nur durch meine kleinen wissenschaftlichen Studien den Königen diese Pflicht leisten kann, habe ich vorlängst die Schrift des Plutarch ,Über Art und Weise, einen Schmeichler von einem Freund zu unterscheiden‘, aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen und Deiner Majestät gewidmet (…).“[130]
Der Priester und Mönch Erasmus übte scharfe Kritik an Missständen in der Kirche und trat für eine innere Reform der katholischen Kirche ein und gilt daher auch als Kirchenreformer.[131] Er galt als einer der ersten „Europäer“ und hoffte auf die „Vernunft“ der Herrschenden, auch ohne Krieg zu einem dauerhaften Frieden zu kommen.[132] Er legte Wert auf Neutralität und Toleranz und sah die Gefahren der Religionskriege voraus. Seine eigene Lebensleistung schätzt er in einem Brief an Willibald Pirckheimer wie folgt ein: „Meine Lebensleistung bestand darin, dass ich eine begrabene und vergessene Literatur zu neuem Leben erweckt und dass ich die Theologen von ihren philosophischen Haarspaltereien zur Kenntnis des Neuen Testaments zurückgeführt habe.“[133]
Wegen seiner kritischen Haltung zur römisch-katholischen Kirche wurden seine Werke auf dem Konzil von Trient auf den Index gesetzt. Der holländische Kultur-Historiker und Erasmus-Biograph Johan Huizinga charakterisiert. Erasmus trefflich als einen geistigen Typus der ziemlich seltenen Gruppe, die zugleich unbedingte Idealisten und durchaus Gemäßigte sind, „sie können die Unvollkommenheit der Welt nicht ertragen, sie müssen sich widersetzen; aber sie fühlen sich bei den Extremen nicht zu Hause, sie schrecken vor der Tat zurück, weil sie wissen, dass diese immer ebenso viel zerbricht als aufbaut; und so ziehen sie sich zurück und rufen weiter, alles müsse anders werden; aber wenn die Entscheidung kommt, wählen sie zaudernd die Partei der Tradition und des Bestehenden. Auch hier liegt ein Stück von der Tragik im Leben des Erasmus: Er war der Mann, der das Neue und Kommende besser sah als irgend jemand; der sich mit dem Alten überwerfen musste und doch das Neue nicht ergreifen konnte.“[134]
Als kritischer Denker seiner Zeit zählte Erasmus zu den Wegbereitern der europäischen Aufklärung und wurde gleichermaßen von späteren Geistesgrößen wie Spinoza, Rousseau, Voltaire, Kant, Goethe, Schopenhauer, und Nietzsche geachtet.
Diese Toleranz gegenüber Katholiken aufrechtzuerhalten, war nicht einfach, nachdem die Religion im Unabhängigkeitskrieg eine wichtige Rolle gespielt hatte. Feindliche Neigungen pflegte man dennoch möglichst mit Geld zu überbrücken. Deshalb konnten sich Katholiken die Privilegien zur Abhaltung von Feierlichkeiten beispielsweise erkaufen, öffentliche Ämter blieben ihnen indes versagt. Gleiches galt für die niederländischen Mennoniten und Juden. Das Niveau der religiösen Toleranz war jedenfalls ausreichend hoch, um Religionsflüchtlinge aus anderen Ländern anzuziehen, wobei besonders jüdische Händler aus Portugal viel Wohlstand mitbrachten. Auch ließ die Annullierung des Edikts von Nantes in Frankreich (1685) zahlreiche französische Hugenotten in die Niederlande einwandern; viele von ihnen waren ebenfalls Kaufleute. Jeder konnte für acht Gulden – was freilich immerhin der Jahresheuer eines niederländischen Seemanns entsprach und so zusätzlich die Staatskassen füllte – in die Provinzen einwandern, in denen sich bald viele der klügsten Köpfe Europas sammelten.
Die Toleranz hatte jedoch ihre Grenzen. Der Philosoph Baruch Spinoza veröffentlichte seinen Traktatus, in dem er sich für Glaubensfreiheit und Toleranz einsetzt und einen Staat fordert, der die Freiheiten seiner Bürger wahrt, anonym und mit einer falschen Angabe der Herausgeberadresse, weil er kirchliche und staatliche Konsequenzen fürchtete. Schließlich war schon Adriaan Koerbagh, ein Freund und Anhänger Spinozas, wegen der angeblichen Publikation aufhetzender Schriften verhaftet worden und war nach einem Jahr in Gefangenschaft gestorben. Der Tractatus wurde 1674 tatsächlich verboten.
Die Niederlande waren die große Wirtschaftsmacht des mittleren 17. Jahrhunderts, Konkurrent Großbritannien schickte sich erst in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts an, diese Position zu übernehmen. Wirtschaftskraft lag in jener Zeit weniger im Geldbesitz als in der Fähigkeit, aus Warenhandel und Finanzverkehr Mehrwerte zu schaffen und die Wertschöpfung zu optimieren. Die Niederlande demonstrierten dies als räumlich kleiner, einwohnerschwacher Staatsverband, der über keine Rohstoffe verfügt und dessen landwirtschaftliche Produktion unbedeutend war. Amsterdam wurde zum wichtigsten europäischen Handelsplatz. Theoretisch bewegten finanzielle Transfers Unsummen an Edelmetall, mit denen die aus dem Handel resultierenden Zahlungen beglichen wurden; tatsächlich wurde an der Börse über ein Wechselsystem weitgehend bargeldlos gehandelt: Geld blieb als finanzielle Deckung der Handelsgeschäfte an den Orten, die miteinander handelten. Je größer die Warenlieferungen, die eine Handelsstadt anbieten konnte, desto größer wurde ihre Bedeutung – das ist verkürzt das System, das im 17. Jahrhundert Amsterdams Börse zum dominierenden Finanzumschlagplatz machte. Die niederländische Wirtschaft im Goldenen Zeitalter war so stark, dass nicht einmal die Tulpenmanie merkbaren Einfluss auszuüben vermochte.
Die traditionellen kirchlichen Bildthemen wurden seit der Reformation indessen als „katholisch“ abgelehnt, die protestantischen Bürger wollten ihre Religiosität, ihre Lebensführung und ihre ureigenen Themen und Probleme – in erster Linie also sich selbst in ihrem beruflichen und privaten Umfeld, und in möglichst vorteilhafter Weise – verewigt sehen. Dies führte zur Ausprägung neuer Bildgattungen (z.B. Tronjes) und zur Erfindung neuer Bildthemen.[135] Es entstanden geradezu massenweise Einzelporträts und Gruppenbildnisse, auf denen die Familie, die Verwandtschaft, die Gildemitglieder, das Ratskollegium oder Festivitäten und Feierlichkeiten festgehalten waren; Stillleben gewährten Einblicke in das tägliche Leben des Bürgertums mit protzigen, sinnesfreudigen Interieurs hinter äußerlich unscheinbar und klassizistisch streng daherkommenden, schmalen Bürgerhäusern. Vanitas-Motive rechtfertigten die Zurschaustellung von Reichtum und Macht durch ihre warnende Botschaft.
Eine nie da gewesene Spezialisierung innerhalb der Malerei setzte ein.[136] Willem Claesz. Heda und Willem Kalf malten nur Stillleben. Ihre „Ontbijtjes“, ihre „Frühstücks“-Stillleben, hatten sie sogar auf wenige Gegenstände reduziert, die sie mit geringen kompositorischen Änderungen wieder und wieder variierten. Jan van Goyen, Jacob van Ruisdael und Meindert Hobbema standen für die Landschaftsmalerei, Jan Steen, Adriaen van Ostade und Adriaen Brouwer für die Bauernsatire, Gerard ter Borch und Pieter de Hooch für das Gesellschaftsstück (einer Variation des Genrebildes, das bäuerliche Festlichkeiten thematisiert), Pieter Jansz Saenredam und Emanuel de Witte für die Architekturmalerei, Thomas de Keyser und Frans Hals für Porträts.[137]
Gerard ter Borch gilt als einer der Hauptmeister des holländischen Genrebildes. Seine erste Ausbildung als Zeichner erhielt er von seinem Vater Gerard ter Borch d. Ä. Erste Werke, die der Vater sorgfältig aufbewahrte, stammen aus dem Jahr 1625 und sind noch heute erhalten. Diese zeigen Genreszenen und vor allem Landschaften aus der Umgebung von Zwolle.
1634 erhielt er das Meisterrecht und durfte seine Bilder signieren. So stammt das früheste von ihm bekannte Werk auch aus dem Jahr 1635. Noch im Sommer des gleichen Jahres begab er sich nach London, wo sein Onkel Robert van Voerst erfolgreich als Kupferstecher tätig war. Dort kam er in Kontakt zu Anthonis van Dyck. Gegen 1636 kehrte er für kurze Zeit nach Zwolle zurück, von wo aus er Studienreisen nach Italien und Spanien unternahm. In Madrid malte er ein Porträt des spanischen Königs Philipp IV., das jedoch nicht erhalten ist. Zwischen 1640 und 1645 befand er sich wieder in Holland, wo er vor allem in Holland und Amsterdam tätig gewesen ist. Dort erwachte in ihm das Interesse an der Genremalerei.
Zwischen 1644 und 1645 war er in Amsterdam als vielbeschäftigter Porträtist tätig und erlangte dadurch eine große Popularität.[138] Dort ist es Ter Borch gelungen sich in den vornehmsten Amsterdamer Regentenkreisen Einzug zu verschaffen. Neben Portraits der Familien Six, De Graeff, Pancras, De Vicq hatte er auch Bildnisse von angesehenen Gelehrten wie Caspar van Baerle angefertigt. Diesem Bekanntheitsgrad verdankte er es, dass ihn 1646 der holländische Gesandte Adriaan Pauw bat, ihn zu den Friedensverhandlungen zwischen den Niederlanden und Spanien nach Münster zu begleiten. Dort durfte er viele der anwesenden Diplomaten porträtieren, wodurch er die Aufmerksamkeit des spanischen Gesandten, dem Grafen von Peñeranda, erregte. Dieser nahm Gerard ter Borch in seine Dienste, so dass dieser Augenzeuge des am 15. Mai 1648 geschlossenen Separatfriedens zwischen den Niederlanden und Spanien wurde.
Das Ereignis hielt er in seinem berühmten Gemälde Der Friedensschluß zu Münster fest, das heute im Rijksmuseum in Amsterdam gezeigt wird.[139] Noch im gleichen Jahr kehrte er nach Holland zurück, wo er in den nächsten Jahren in den verschiedensten Städten tätig war. Abwechselnd lebte er in Amsterdam, Den Haag, Haarlem, Kampen und Zwolle. Sein Hauptbetätigungsfeld war nun die Genremalerei, wo er in kurzer Zeit zu einer Meisterschaft heranreifte, so dass er heute als einen der bedeutendsten Vertreter dieser Gattung gilt. Nach seiner Heirat am 14. Februar 1654 ließ sich Gerard ter Borch endgültig in Deventer nieder.
Ab 1660 wandte er sich wieder vermehrt der Porträtmalerei zu, so dass nur noch wenige Genrebilder entstanden.
Trotz seines ausgedehnten Wanderlebens blieb Gerard ter Borch zeitlebens der holländischen Schule treu. Schon in seinen frühen Werken, die deutlich von den Amsterdamer Genremalern Pieter Codde und Willem Duyster beeinflusst sind, zeigt sich sein Interesse für die Wiedergabe menschlicher Figuren, die vorrangig von einer Seite beleuchtet werden und sich in Räumen mit spärlicher Einrichtung befinden. In diesem Genre der Malerei waren seine Werke den größten Entwicklungen unterworfen. Malte er anfangs vor allem Szenen aus dem Volks- und Soldatenleben, spezialisierte er sich ab 1648 auf Interieurszenen mit einigen wenigen Figuren, die galante Paare und meist Damen beim Lesen, Schreiben, Musizieren oder der Toilette zeigen.[140]
Dürer galt als Vorbild für niederländische Maler. Albrecht Dürer machte sich einen Namen als Künstler und Mathematiker und schwang sich zu einem der Vordenker des deutschen Humanismus auf.[141]
Dürer machte sich 1497 selbstständig, und wohl ab 1503 konnte er in der Nürnberger Altstadt eine Werkstatt mit Hans Schäufelein, Hans von Kulmbach und Hans Baldung Grien als Mitarbeiter betreiben. Er arbeitete sehr intensiv an seinen Werken. In diese erste Periode seines Künstlerlebens fallen vorwiegend Porträts und einige Selbstporträts: das Bildnis seines Vaters (1497) in London, sein Selbstporträt (1498) im Prado in Madrid, das des Lindauer Kaufmanns Oswald Krell (beschriftet „Oswolt Krel. 1499“) in München (Bayerische Staatsgemäldesammlung), sein Selbstporträt (1500) ebenfalls in München, Bildnis Friedrichs des Weisen (1494/97) in Berlin (Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz) u. a. Von 1500 stammt auch der kleine Christus am Kreuz in der Dresdner Galerie, ein Bildchen von unvergleichlicher Feinheit der Ausführung, und aus derselben Zeit ein Altarwerk ebenfalls in Dresden („Die sieben Schmerzen Mariä“ und Maria das Kind anbetend, Mitteltafel in München), der „Dresdner Altar“.[142]
Hauptsächlich widmete er sich jedoch dem Kupferstich und dem Vorlagenzeichnen für den Holzschnitt.[143] Besonders den Kupferstich erprobte er schon sehr früh; das erste datierte Blatt ist von 1497, dem aber gewiss schon verschiedene andere vorangegangen waren. Aus dieser Zeit stammen ferner: Die Offenbarung des Johannes (1498)[144], eine Folge von 16 Holzschnitten, Adam und Eva (1504), ein Kupferstich und Der verlorene Sohn bei den Schweinen, dessen Tierdarstellung maßgeblich für die Rückzüchtung des so genannten Albrecht-Dürer-Schweins wurde.
Dürers Verbindung zum Humanismus kommt u. a. in den Illustrationen zu Conrad Celtis’ Schrift Quatuor libri Amorum (1502) zum Ausdruck, der seinerseits Dürer zuvor bereits als zweiten Apelles gepriesen hatte.
Im Jahr 1505 unternahm er eine belegbare Reise nach Venedig, wo damals die größten Renaissancemaler der venezianischen Schule, Tizian, Giorgione, Palma il Vecchio, tätig waren.[145] Vor allen aber beeindruckte ihn Giovanni Bellini, den er in einem Brief als den „pest in gemell“ (Bester in der Malerei) pries. Wenn ihn sein ernstes Studium, sein Fleiß und seine Einsicht schon früher in der Heimat den Wert der Korrektheit der Zeichnung und eine wahre Naturauffassung schätzen lehrten, so sah er hier eine ungeahnte Kraft und Tiefe des Kolorits, die nachhaltig auf ihn einwirkten.
Die deutschen Kaufleute (deren Oberältester Herr Fugger aus Augsburg war) zu Venedig bestellten für die Bartholomäuskirche ein großes Bild, das Rosenkranzfest, welches Kaiser Rudolf II. später für eine große Summe erwarb und von vier Männern nach Prag tragen ließ, wo es sich jetzt in der Národní Galerie (Nationalgalerie) befindet (zuvor im dortigen Kloster Strahow). Es stellt eine Krönung der Madonna durch zwei Engel dar. Die Jungfrau reicht dem Kaiser, das Christuskind dem Papst Rosenkränze, ebenso der heilige Dominik und mehrere Engel den Umstehenden. In dem durch Übermalung sehr verdorbenen Bild ist der venezianische Einfluss deutlich zu erkennen. In Venedig malte Dürer auch ein paar Portraits, wie bspw. 1506 Burkhard von Speyer. Obgleich Dürer in Venedig hohe Anerkennung fand und der Rat von Venedig ihm ein Jahresgehalt von 200 Dukaten anbot, wenn er sich in der Stadt dauerhaft niederlassen würde, trat er doch die Rückreise in seine Vaterstadt an.[146]
Ab 1509 war Dürer Gesandter des Größeren Rats in Nürnberg, und so kann man davon ausgehen, dass er maßgeblich an der Planung künstlerischer Projekte der Stadt beteiligt war.
Während dieser Jahre veröffentlichte Dürer außer vielen kleineren Arbeiten in Kupferstich und Holzschnitt drei beeindruckende Holzschnittfolgen; in diesen Werkkomplexen zeigt sich Dürers Meisterschaft auf dem Gebiet der Grafik ganz besonders. Damals machte Dürer auch Versuche, mit der kalten Nadel auf Kupfer zu ritzen; so entstanden Die heilige Veronika von 1510, Der Leidensheiland und der büßende Hieronymus, beide von 1512.[147] Von dieser Zeit an überwiegen die Arbeiten Dürers in Holzschnitt und Kupferstich, und man begegnet seltener Gemälden von seiner Hand.
Von den Gemälden kennt man aus dem Jahr 1512 das Tafelbild Maria mit der Birnenschnitte. In dasselbe Jahr fällt zum großen Teil eine Reihe kleiner Kupferstiche, die eine dritte Darstellung der Passion umfassen. Auch erhielt Dürer einen Freibrief von seinem Gönner Kaiser Maximilian zum Schutz vor der Nachbildung seiner Holzschnitte und Kupferstiche. Als hervorragende Werke aus dem Jahr 1512 sind noch zu erwähnen die Stiche: Maria auf der Rasenbank, Christus der Dulder, beides Nadelarbeiten, der heilige Hieronymus in der Felsenschlucht vor dem Betpult, sowie die Auferstehung, weiterhin 1513 Das Schweißtuch der Veronika, von zwei Engeln gehalten (ein sehr ähnliches Motiv entstand 1516 als Eisenradierung) und 1514 der Dudelsackpfeifer.[148]
Dürer hat mehrfach im Auftrag des Kaisers Maximilian I. gearbeitet. Seit spätestens 1510/11 gab es Verbindungen, die eventuell Willibald Pirckheimer vermittelt hatte. Alle Werke dienten zumindest mittelbar der Ehre und dem Ruhm des Kaisers – neben Dürer waren in diesem Sinne z. B. die Künstler Hans Burgkmair, Hans Schäufelin und Beck oder auch Albrecht Altdorfer, Lucas Cranach und Jörg Breu tätig.[149]
Weitere Werke sind: Illustrationen zu den Hieroglyphen des Horapollon in der Übersetzung von Willibald Pirckheimer; Der Triumph (Ehrenpforte Maximilians I. und Großer Triumphwagen), für den Dürer und dessen Werkstatt-Mitarbeiter Hans Springinklee und Wolf Traut den größten und bedeutendsten Teil zu liefern hatten; das möglicherweise für den St. Georgs-Orden bestimmte Gebetbuch Maximilians I.
Zu dieser Zeit entstanden parallel seine berühmten Stiche: Ritter, Tod und Teufel (1513), Der heilige Hieronymus im Gehäus (1514), Melencolia I (1514) sowie vielleicht das ursprünglich für die Nürnberger Katharinen-Kirche bestimmte, jetzt in der Münchener Pinakothek befindliche Altarblatt der Geburt Christi mit den beiden Stifterbrüdern Paumgartner, bekannt als Paumgartner-Altar.[150] Im gleichen Jahr hat er auch ein einzelnes tanzendes Bauernpaar gestochen und die vierschrötigen Tänzer recht lebendig geschildert. Zwei Monate vor deren Tod 1514 fertigt er eine Kohlezeichnung seiner Mutter an; das erste Porträt eines sterbenskranken Menschen. Seit 1515 sind auch Eisenradierungen von Dürer überliefert.
Im Jahr 1515 entstand der Holzschnitt Rhinocerus, eines der bekanntesten Werke Dürers.Von 1518 bis 1520 widmete er sich intensiv den theoretischen Arbeiten wie beispielsweise der Proportionslehre.
Im Sommer 1518 war er als Vertreter der Stadt Nürnberg auf dem Reichstag in Augsburg, wo er Jakob Fugger und andere bedeutende Persönlichkeiten im Werk verewigte.[151] Vom 12. Juli 1520 ab begab sich Dürer mit seiner Frau über Bamberg (dem Bischof Georg III. übergab er eine gemalte Madonna, ein Marienleben, eine Apokalypse und für einen Gulden Kupferstiche), Frankfurt, Mainz, Köln nach Antwerpen und in andere niederländische Städte; von dort kam er erst im Herbst des folgenden Jahres zurück.
Die Reise in die Niederlande war ein wahrer Triumph, überall wurde der Meister auf das Glänzendste gefeiert; der Antwerpener Magistrat bot ihm vergeblich ein Jahresgehalt von 300 Philippsgulden, Steuerfreiheit, ein schönes Haus zum Geschenk, freien Unterhalt und außerdem Bezahlung aller seiner öffentlichen Arbeiten an, um ihn zum ständigen Verbleiben in Antwerpen zu bewegen. Fürsten, fremde Botschafter, Gelehrte, so Erasmus von Rotterdam, und Künstler ehrten ihn und machten ihn zum Mitglied ihrer Gesellschaft. Am 20. Oktober 1520 traf Dürer zur Krönung von Karl V. in Aachen ein.[152]
Der neugewählte Kaiser Karl V. bestätigte ihm die früher gewährten Privilegien und bezeugte ihm außerdem seine besondere Gunst. Von hoher Bedeutung für ihn waren der Anblick der niederländischen Kunstschätze und die Bekanntschaft mit den hervorragenden dortigen Künstlern. Sein während dieser Reise geführtes Tagebuch ist im von Rupprich herausgegebenen Schriftlichen Nachlaß enthalten. Auch eine große Anzahl Bildnisse von Geistlichen, fürstlichen Personen, Künstlern usw. sind ein Ergebnis seiner niederländischen Reise. Am 2. Juli 1521 trat er die Rückreise an.
Nach seiner Heimkehr in die Vaterstadt widmete sich Dürer wieder der künstlerischen Tätigkeit.[153] In den Jahren 1520/21 leitete er die heute verlorene Ausschmückung des Nürnberger Rathauses, die in Nachzeichnungen von 1530 in Wien, Albertina, überliefert ist. Das Programm für die Fassadenmalereien hatte Pirckheimer entworfen.
Aus dem Jahr 1526 besitzt die Alte Pinakothek in München zwei monumentale Tafeln, die zu den bedeutendsten Werken des Künstlers gehören: die lebensgroßen Figuren der vier Apostel Paulus und Petrus und der Evangelisten Markus und Johannes (Seitenstücke), zugleich die vier Temperamente verbildlichend (siehe Temperamentenlehre). Diese Tafeln hatte Dürer ursprünglich der Stadt Nürnberg geschenkt, sie waren im dortigen Rathaus ausgestellt. Aus dem Jahr 1526 stammt auch das Ölbild des Hieronymus Holzschuher in Berlin, das beste aller Bildnisse von der Hand Dürers, und ferner das Bildnis Jakob Muffels. Besonders erwähnenswert – nicht zuletzt auch wegen des ungewöhnlichen Darstellungstypus – ist das Bildnis Johann Kleeberger, welches sich im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet. Es stammt aus dem Jahr 1526 und soll das letzte Gemälde sein, das Albrecht Dürer gemalt hat.[154]
In den letzten Jahren widmete sich Dürer vermehrt der Kunsttheorie; dabei kommt er zu Einsichten, die durchaus denen der Italiener widersprechen.[155] Dürer starb überraschend am 6. April 1528, kurz vor seinem siebenundfünfzigsten Geburtstag, wohl an den Folgen eines Fiebers. Vielfach wurde gemutmaßt, Dürer habe seit dem Aufenthalt in den Niederlanden Ende 1520 an Malaria gelitten. Das könnte ein Symptom einer Malaria-Erkrankung andeuten, die sogenannte Splenomegalie, allerdings ist die Zeichnung vermutlich bereits vor dem Aufenthalt in den Niederlanden entstanden. Sowohl die klimatischen Bedingungen während seiner winterlichen Reise als auch seine Krankheitsgeschichte (Dürer hatte bereits seit 1507 immer wieder Fiebererkrankungen) und die Entwicklung nach 1520 passen insgesamt nicht zum typischen Verlauf einer Plasmodium vivax-Infektion.
Bis zu seinem Tod war er produktiv tätig, wobei er wohl zuletzt an der Vorbereitung zum Druck einer theoretischen Hauptschrift zur Proportionslehre arbeitete.[156]
Nicht weit entfernt von dem Grab seines Freundes Willibald Pirckheimer) ruhten die irdischen Reste Dürers auf dem St. Johannisfriedhof zu Nürnberg lange unter einer einfachen Metallplatte, die sein Schwiegervater Frey für sich und seine Familie errichten ließ, bis 1681 Joachim von Sandrart das verfallene Grab neu errichtete .
Dürer hat für die Entwicklung des Holzschnittes und des Kupferstiches Bedeutendes geleistet.[157] Den Holzschnitt hat er aus dem „Dienst der Buchillustration“ befreit und ihm den Rang eines eigenständigen Kunstwerks verliehen, das dem gemalten Bild an die Seite gestellt werden konnte. Dürer schuf durch Verfeinerung der Linien und eine Erweiterung des künstlerischen Vokabulars eine reichere Tonigkeit bzw. feinere Farbabstufungen und führte den Holzschnitt so formal in die Nähe des Kupferstichs.
Wie den Holzschnitt, so perfektionierte und revolutionierte Dürer auch die Techniken des Kupferstichs. Durch Blätter wie Ritter, Tod und Teufel und Melencolia I wurde er in ganz Europa bekannt. Dürer hat genau wie Tizian, Michelangelo und Raffael die Bedeutung der Druckgrafik darin gesehen, den eigenen künstlerischen Ruf zu verbreiten und durch den Vertrieb zu Einnahmen zu kommen.[158] Benutzten die Italiener die Grafik zur Verbreitung ihrer Gemälde, so erhebt Dürer den Holzschnitt selbst zum Kunstwerk. In diesem Zusammenhang spricht man von Reproduktionsgrafik und Originalgrafik. Dürer hat seine druckgrafischen Zyklen im eigenen Verlag verlegt und über den Buchhandel vertrieben. Der Vertrieb druckgrafischer Blätter hatte zur Folge, dass neue künstlerische Entwicklungen schnell und gleichmäßig in ganz Europa Verbreitung fanden.
Das gesteigerte Selbstbewusstsein und die vielschichtige Selbstreflexion deutet sich in Dürers zahlreichen Selbstporträts an.[159] In ihnen thematisiert der Künstler seinen eigenen gesellschaftlichen Stand und darüber hinaus die hohe Wertigkeit der bildenden Kunst als intellektuelle Disziplin in einer Zeit, als diese noch zum gemeinen Handwerk gezählt wurde.
Neben seinem künstlerischen Schaffen schrieb Dürer Werke über das Perspektivproblem in der Malerei, darunter Underweisung der Messung, und betätigte sich mit der Befestigung von Städten. Ein wichtiger Ratgeber war ihm dabei der römische Architekt und Architekturtheoretiker Vitruv mit seinen zehn Büchern De architectura.[160]
In der Geschichte der Mathematik zeichnet sich die Renaissance als ein Zeitraum aus, in der wesentliche mathematische Fortschritte gehäuft von Praktikern kamen, so von dem Ingenieur Simon Stevin, dem Uhrmacher Jost Bürgi, dem Juristen François Viète, dem Kartografen Gerhard Mercator oder dem Künstler Piero della Francesca.
Der „mathematischste Kopf“ unter den Künstlern seiner Zeit war jedoch Albrecht Dürer.[161] So erwarb er 1507 ein Exemplar der ersten Ausgabe der von Zamberti in das Lateinische übersetzten Elemente des Euklid von 1505, des ersten Buchdrucks dieses Werks überhaupt, und wirkte 1515 im Auftrag von Kaiser Maximilian I. an einer von dem Hofastronomen Johannes Stöberer entworfenen Karte der Erdhalbkugel mit („Stabius-Dürer-Karte“). Sein Kupferstich Melencolia I enthält einige mathematische Andeutungen: Zum einen ist ein magisches Quadrat abgebildet, dessen Zeilen, Spalten, Diagonale, die Zahlen in den 4 Quadranten, die 4 Zahlen im Zentrum und die 4 Zahlen in der Ecke stets dieselbe Summe 34 ergeben und das in seinen beiden mittleren unteren Feldern das Entstehungsjahr 1514 angibt – in den Feldern links und rechts daneben zeigen zudem die Ziffern 4 und 1 die Initialen Dürers im Alphabet an (4 entspricht dem vierten Buchstaben des Alphabets, also dem D wie Dürer, die 1 dem ersten Buchstaben, also dem A wie Albrecht); zum anderen wird ein Polyeder gezeigt, der durch Streckung zweier diametral gegenüberliegender Ecken eines Würfels zu einem Rhomboeder und durch anschließendes Abschneiden der beiden Spitzen senkrecht zu dieser Achse entsteht, so dass er wieder eine Umkugel wie der ursprüngliche Würfel besitzt.
Wissenschaftshistorisch bemerkenswert jedoch ist seine Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt in Linien ebnen unnd gantzen corporen, das erste Mathematikbuch deutscher Sprache mit bedeutenden neuen Erkenntnissen.[162] Im Titel ist das Wort „Messung“ im Zusammenhang mit der damals vorherrschenden Übersetzung „Messkunst“ für das griechische Wort Geometrie zu verstehen und bedeutet im heutigen Wortsinn eher „Konstruktion“. In der Underweysung definiert Dürer spezielle Kurven, insbesondere erstmals die Muschellinie und die Pascalsche Schnecke, gibt eine neue Konstruktion einer Ellipse an, erkennt Ellipse, Parabel und Hyperbel als Kegelschnitte, zeigt ein neuartiges und sehr genaues Verfahren zur Winkeldreiteilung und stellt die Tangens-Funktion grafisch dar.[163]
In der Art der Anordnung und Darstellung der Figuren beschritt Gerard ter Borch völlig neue Wege und wurde damit zum Wegbereiter für jüngere Meister, die sich an ihn orientierten. Beispielhaft seien hier nur Gabriel Metsu, Pieter de Hooch und Jan Vermeer genannt. Seinen Porträtstil entwickelte Garard ter Borch unter dem Einfluss des Haarlemer Malers Hendrick Pot. Bereits in den 1640er Jahren war dieser voll ausgereift und kaum Wandlungen unterworfen. Seine Modelle sind meist schwarz gekleidet und vor neutralen grauen Hintergründen abgebildet.
Mit der Frührenaissance sind endgültig die Goldgründe mittelalterlicher Heiligenbilder durch Landschaften ersetzt, zunächst noch, wie bei Giotto, als kulissenartige Zusammenstellung einzelner Motive, später als einheitlicher Hintergrund.[164]
Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts entstand nördlich der Alpen ein neues, vorher unbekanntes Naturempfinden. Die Natur erhielt in Bildern der Donauschule einen eigenständigen Rang; Naturstudien ohne Menschendarstellungen sind keine Seltenheit. Das erste reine Landschaftsgemälde ohne jegliche Figuren ist das Bild Donaulandschaft mit Schloss Wörth, entstanden um 1522 von einem Maler der Donauschule, Albrecht Altdorfer.[165] Frühe Beispiele aus dem nördlichen Europa für die Wiedergabe einer konkreten Landschaft - des Genfer Sees – sind Der wunderbare Fischzug des Konrad Witz - oder einer realistischen Darstellung von bewegtem Wasser auf dem um 1435 entstandenen Christophoros des gleichen Malers.[166]
Sowohl in Venedig als auch in Florenz fanden die Anregungen aus dem Norden und die Entdeckungen der Perspektive in Italien auf unterschiedliche Weise ihren Niederschlag. In Piero della Francescas Montefeltro-Diptychon schaut der Betrachter aus der Vogelperspektive auf eine sich weit ausbreitende, lichte Landschaft, wobei sich Porträt und Landschaft auf unterschiedlichen und unverbundenen Bildebenen befinden. Leonardo da Vinci († 1519), von dem auch die erste reine Landschaftszeichnung stammt, stellte als Hintergründe einiger seiner Gemälde, wie der Felsgrottenmadonna, der Mona Lisa oder der Anna Selbdritt, alle im Louvre in Paris, keine Abbilder einer realen Natur dar. Diese Landschaften sind vielmehr eine Art Überblick über die elementaren Erscheinungsformen der Natur: Erde, Wasser, Fels und Luft, Nähe und Ferne, Wärme und Kälte.
Als ein Vermittler niederländischer Malkunst in Venedig gilt Antonello da Messina († 1479), der sich um 1475 in Venedig aufhielt.[167] Ebenso folgenreich für die Landschaftsdarstellungen venezianischer Maler waren Dürers Holzschnitte, während seine Landschaftsaquarelle aus der Italienreise nicht publiziert waren und schon wegen ihrer Funktion als Arbeitsskizzen keine öffentliche Wirkung hatten.[168] Bei den Venezianern Bellini, Giorgione und Tizian entfaltete sich die für die venezianische Malerei charakteristische Verschmelzung von Figuren und Landschaft, Licht und Farbe zu einer stimmungsvollen Bildeinheit von poetischer und lyrischer Qualität. Giorgione malte mit seinem Gewitter um 1515 das erste Bild, in dem die Figuren an den Rand gerückt sind und Landschaft zum Bildthema wird.[169]
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts kam es in den Niederlanden zu einer ersten Blüte der Landschaftsmalerei, die mit den Namen Joachim Patinir, Gerard David, Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel verknüpft ist.[170] Von Joachim Patinier († 1524) stammen die überblicksartigen Weltlandschaften, in denen biblische oder mythologische Figurengruppen fast nur den Rang von Staffagefiguren einnehmen. Auch auf Breughels Bild Sturz des Ikarus von 1558 ist das eigentliche – mythologische – Thema an den äußersten Rand gerückt zu Gunsten der Darstellung einer weiten Landschaft im Licht der Morgensonne, zu deren harmonischem Einklang auch der tätige Mensch gehört.[171]
Die Hauptperson ist ein pflügender Bauer, hinter ihm steht ein Hirte, und am rechten unteren Bildrand sitzt ein Angler. Der Blick öffnet sich auf eine bis zum Horizont reichende Bucht mit der Sonnenscheibe am Horizont. Am Meer kreuzen Schiffe, und in der rechten oberen Ecke ragt ein weißes Felsengebirge auf. Schräg über dem pflügenden Bauern liegt eine befestigte Felseninsel (offenbar eine Anspielung auf das Labyrinth aus dem Mythos) und dahinter eine Hafenstadt. Links unten im Vordergrund ist ein Geldbeutel zu erkennen, in dem ein Schwert steckt, daneben liegt ein voller Getreidesack. Hinter dem Pferd, im Gebüsch, ist ein Gesicht im Halbschatten zu sehen, ein Toter, der von dem pflügenden Bauern, ebenso wie der im Hintergrund herabstürzende Ikarus unbeachtet bleibt. Der verunglückte Ikarus ist nur klein, gewissermaßen nur als Bilddetail am Rand in der unteren rechten Bildhälfte über dem Angler zu erkennen.[172]
Der Hirte befindet sich annähernd im Mittelpunkt des Bildes.[173] Sein aufwärtsgewandtes Gesicht liegt im Schnittpunkt der Haupt- und Nebendiagonalen. Der Standpunkt des Betrachters liegt auf einer Anhöhe. Der Bauer ist von schräg oben dargestellt, der Hirte etwas mehr von der Seite und das Segelschiff darüber frontal. Durch diese Winkelverschiebung verstärkt der Maler den Eindruck weiter Entfernung. Die Farbtöne gelb, grün und braun dominieren, auffallend ist jedoch das rote Hemd des Bauern.
Ikarus ist aus der griechischen Mythologie bekannt: Sein Vater Dädalus hatte Flügel konstruiert, mit denen er und sein Sohn aus der Gefangenschaft auf Kreta flohen. Als Ikarus jedoch übermütig der Sonne zu nah kam, schmolz das Wachs, das die Federn zusammenhielt, und er stürzte in den Tod.[174] Der Dichter Ovid beschreibt dies in seinen Metamorphosen (VIII, 183–235) und der Ars amatoria (II, 21–96).
Vor seiner Verbannung nach Kreta warf Dädalus aus Missgunst seinen zwölfjährigen Schüler Perdix von der Akropolis, da dieser trotz seiner Jugend Säge und Zirkel erfunden hatte. Athene fing den Buben jedoch auf und verwandelte ihn in ein Rebhuhn, das nahe dem Boden fliegt und seine Nester in Hecken baut, denn es „fürchtet die Höhe, des einstigen Sturzes gedenkend“. Der Vogel sitzt in dem Gemälde links vom Angler auf einem Ast. Im Mythos fliegt er zur Beerdigung Ikarus’ herbei.
Bezeichnend ist, dass der Maler den verunglückten Ikarus nur nebensächlich darstellt: Rechts unten sieht man ihn ins Wasser stürzen, mit seinen nackten, strampelnden Beinen macht er dabei eine eher lächerliche Figur. Über ihm sind noch einige fliegende Federn zu erkennen. Dädalus, immerhin eine der Hauptpersonen, fehlt sogar im Bild. Bedeutung gibt das Gemälde dagegen Nebenpersonen wie Bauer, Hirte und Fischer.[175]
Der Angler sitzt jedoch unten am Wasser, der Hirte ist in der Mitte platziert, der Bauer bestellt seinen Acker und allen gemeinsam ist, dass sie dem Sturz des Ikarus kein Interesse entgegenbringen. So bedeuten das Schwert im Geldbeutel und der Getreidesack im Vordergrund die flämischen Sprichwörter: „Geld und Schwert brauchen gute Hände“ und „Auf Felsen Gesätes wächst nicht“. Es sind Anspielungen auf die Nutzlosigkeit von Ikarus’ Handeln. Der Aphorismus zu der halb versteckten Leiche im Unterholz heißt: „Kein Pflug hält wegen eines Sterbenden an“.[176] Bauer, Hirte und Fischer gehorchen stoisch den Gesetzen der Natur und des Kosmos. Selbst das Rebhuhn Perdix, das sich im Mythos über Ikarus’ Tod freut, ignoriert den Verunglückten und das (bei Ovid nicht erwähnte) Schiff entfernt sich mit geblähten Segeln von der Unfallstelle.
Bruegel hat die Sage von Ikarus ganz in seine Zeit gesetzt, dafür sprechen die Landschaft und die für das 16. Jahrhundert typischen Mittelmeer-Karacken. Diese Schiffe wurden damals in niederländischen Werften gebaut und der Maler hält sie mit großer Genauigkeit fest. Entgegen der Sage, in der Ikarus der Sonne zu nah kam, stürzt er in diesem Bild an fast entgegengesetzter Stelle ab, die Sonne hingegen geht entweder auf oder unter.
Nach Jacques van Lennep ist folgende Deutung möglich: Der Bauer im Vordergrund wäre eine Anspielung auf die alchemistische Kunst. Alchemisten verglichen ihr Handwerk mit dem Ackerbau und hielten Metalle für Organismen, die wachsen und sich vermehren können. Der auf dem Stab gestützte Schäfer stellt den Gott Hermes dar, der in seiner Jugend mit seinem Bruder Apollo die Herden des Admetos hütete. Das Schiff soll auf einen Kompostbehälter anspielen und das Meer auf Quecksilber. Dies deshalb, weil eine lange gefährliche Prozedur nötig ist, bis Quecksilber eine chemische Verbindung eingeht und man dies mit den Gefahren einer Schiffsreise verglich. Die aufgehende Sonne kann auch die Erneuerung der Welt durch Alchemie bedeuten, demnach wäre Ikarus ein gescheiterter Alchemist.[177]
In der als Kupferstich verbreiteten Zeichnung Kriegsschiff mit dem Fall des Icarus hält sich Bruegel scheinbar enger an das Thema: So steht dort die Sonne hoch am Himmel und der Vater fliegt unter dem stürzenden Sohn. Dennoch interessiert sich der Künstler wesentlich mehr für das detailgetreu dargestellte Schiff.[178]
Das Interesse an Landschaftsbildern ging einher mit einer grundsätzlichen Tendenz zum Beobachten und Erforschen der Natur, dem Aufblühen der Kartografie, für die durch das Wachsen des holländischen Überseehandels ein starker Bedarf bestand, der sicheren Beherrschung perspektivischer Darstellung und mit Fortschritten in Naturwissenschaften und Technik, durch die neue Hilfsmittel bereitstanden.[179] Im Bereich der Kartografie und Landesvermessung arbeiteten Mathematiker und Geodäten (Landvermesser), Kartografen, Maler und Kupferstecher Hand in Hand. So sind Landkarten der Zeit häufig am Rand mit Veduten eingefasst, berühmtes Beispiel Jan Vermeers Allegorie der Malerei.[180] Land- und Seekarten wurden von den gleichen Druckern publiziert wie Reproduktionen von Landschaftsgemälden in Kupferstichen oder Radierungen. Der Handel mit Reproduktionen war entscheidend für die rasche Verbreitung niederländischer Landschaftsmalerei in ganz Europa.[181]
Das Genre fächerte sich bald eine Reihe von Themen auf, auf die sich die einzelnen Maler konzentrierten. Es gab Spezialisten für Phantasielandschaften, italianisierende Landschaften, Gebirgs-, Wald-, Küsten- und Flusslandschaften, Seestücke, topografische Landschaften, Winterszenen usw.[182] Die thematisch oft wenig spektakulären Bilder zeichnen sind durch eine reiche Skala von Farbabstufungen, eine feine Luftperspektive und differenzierte Lichteffekte aus, die die Grundstimmung des Bildes bestimmen. Eine den Stillleben der Zeit vergleichbare Aufladung mit allegorischen Bedeutungen ist in den Landschaften schwieriger nachzuweisen, kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Anfänge einer Landschaftsmalerei als unabhängiges Genre kann man in Flandern mit den Weltlandschaften Patiniers datieren, in denen Landschaft das Hauptthema ist und nicht die Figuren.[183] Pieter Brueghel fertigte neben Gemälden wie den Jahreszeiten oder dem Fall des Ikarus auch Zeichnungen nach der Natur, sowohl während seiner Italienreise als auch von der Stadt Brabant. Neben dem von Flandern ausgehende Impuls wurden Einflüsse aus Italien wirksam über die Reproduktion der Bilder Adam Elsheimers durch den Utrechter Kupferstecher Hendrick Goudt.
Mit Esaias van de Velde, Pieter Moleyn, Jan van Goyen und Salomon van Ruisdael verstärkte sich eine naturalistische Bildauffassung zusammen mit einer Vorliebe für einfachere Motive, einheitliche Komposition und einer verstärkten Aufmerksamkeit für das Erscheinungsbild des Wolkenhimmels und die wechselnden Beleuchtungen auf dem Land. In der Farbwahl gab es zwischen 1625 und 1650 eine Vorliebe für monochrome Bilder in Blau-, Grün- und Erdtönen.
Die großen Landschaftsmaler des späten 17. Jahrhunderts, Jacob van Ruisdael und Aelbert Cuyp lassen italienische Einflüsse sowohl in der Komposition als auch in der Lichtführung der Bilder erkennen[184]. Ruisdaels oft düstere und schwermütig wirkende Landschaften mit ihren dramatischen Wolkenformationen, absterbenden Bäumen und sich herabstürzenden Wasserfällen werden zu Ausdrucksträgern subjektiver Empfindung, ein Grund für die hohe Wertschätzung seiner Bildern durch die Romantiker. Cuyps idealisierte Bilder dagegen sind erfüllt von einer heiteren, pastoralen Stimmung, einer Fülle von warmem Licht. Sie zeigen oft kleine ländliche Szenen. Schüler Ruisdaels war Meindert Hobbema, der auf Waldszenen und Wassermühlen spezialisiert war. Eins der berühmtesten und oft reproduzierten Bilder niederländischer Landschaftsmalerei ist seine Allee von Middelharnis von 1689.[185]
Maler in den südlichen Niederlanden wie Rubens und Rembrandt malten Landschaften in warmen und lebhaften Farben. Rembrandt widmete sich seit 1640 intensiv in seinen Radierungen der Landschaftsdarstellung, und Rubens schuf in seinen letzten Lebensjahren eine Reihe brillanter Landschaften.[186]
Mit dem 18. Jahrhundert ließ zwar das Interesse an der Landschaftsmalerei bei Sammlern und Liebhabern nach, es wuchs aber die Nachfrage nach topografisch genauen Darstellungen bestimmter Orte. Zu nennen sind hier die venezianischen Vedutenmaler Bellotto, Canaletto und Guardi und der in Rom tätige Luigi Vanvitelli. Guardi pflegte als Landschaftsmaler das Genre des Capriccios, Landschaften, die aus erfundenen und realen Partien zu einer Idealkomposition zusammengesetzt sind. Charakteristisch für die französische Malerei der Zeit sind die zarten und luftigen Landschaftshintergründe in den Bildern Watteaus und Fragonards.[187]
Im England des 18. Jahrhunderts bezog man sich in der Landschaftsmalerei gerne auf italienische Vorbilder, besonders auf Claude Lorrain. Richard Wilson malte nach seinem Aufenthalt in Rom stimmungsvolle melancholische Landschaften, ebenso wie John Robert Cozens, dieser mit einer Tendenz zum Idyllisch-Arkadischen.[188] Im späten 18. Jahrhundert entwickelte sich bei Malern ein Interesse am Erhabenen in der Natur. Burkes Untersuchung von 1756 von über das Erhabene (Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful) führte zu gedanklichen und künstlerischen Auseinandersetzung mit seinen Ideen nicht nur in England sondern auch in der ästhetischen Debatte in Deutschland.[189]
Um die Jahrhundertwende kündigte sich in der bildenden Kunst sowohl eine neue Einstellung zu einem subjektiven Erleben der Welt an als auch eine Wandlung in der Wahrnehmung von Erscheinungen, wie es sich in Bildern eines Turner, C. D. Friedrich oder Delacroix zeigt. Der Paradigmenwechsel der Moderne wird nicht zuletzt in der Darstellung von Landschaft sichtbar.
1796 stellte Turner sein erstes Ölgemälde (Fischer auf See) aus und wurde drei Jahre später außerordentliches Mitglied der Royal Academy of Arts.[190] Zu der Zeit war Turner bereits finanziell unabhängig, so dass er aus seinem Elternhaus auszog und sich in der Harley Street einmietete. Nach einem Besuch bei William Beckford (1799), einem seiner Förderer, war Turner von zwei Werken Claude Lorrains so beeindruckt, dass er selbst sofort große historische Bilder malen wollte.[191]
Mit 26 Jahren wurde Turner als Vollmitglied in die Royal Academy aufgenommen. Der Friede von Amiens ermöglichte es ihm 1802, zwischen den Napoleonischen Kriegen, nach Frankreich und in die Schweiz zu reisen, um die von Napoleon geraubten und im Louvre ausgestellten Bilder anzuschauen. Seit 1804 war er so finanzstark, dass er an seinem Haus eine Galerie anbauen ließ, in der er seine eigenen Werke ausstellte. Dies war bis dato etwas Einmaliges in der englischen Kunstwelt.
Nach dem Vorbild von Claude Lorrain mit dessen Libri de verita (Bücher der Wahrheit) wollte Turner ursprünglich seine Stiche nach Kategorien herausgeben: Sie wurden als eine Art Anleitung zum Gestalten von Landschaftsmotiven vertrieben.[192] Charles Turner war ein Meister der Mezzotinto-Radierung. Während seiner Karriere erstellte er mehr als 600 Druckplatten, von denen 400 Porträts waren. 1810 gab es jedoch einen handfesten Krach, als William im Fenster eines Geschäfts für Drucke eine Radierung nach seinem eigenen Werk Shipwrecked (Schiffbrüchig) entdeckte. Irgendwann war der Streit jedoch beigelegt, denn Charles erstellte von William ein Porträt, und letzterer benannte Charles als seinen Testamentsvollstrecker. Für die restlichen Drucke benötigte Turner acht weitere Graveure, und bei elf Drucken musste er selbst Hand anlegen. Die Sammlung und weitere Veröffentlichungen zogen sich bis 1819 hin, und sie bestand am Ende aus 71 Blättern.[193]
Im Jahr 1811 wurde er Professor für Perspektive an der Royal Academy. Inzwischen war Turner neben John Constable einer der führenden englischen Landschaftsmaler. Viele seiner Werke wurden 1819 in zwei größeren Ausstellungen gezeigt.
Im selben Jahr war Turners Italienreise der Auslöser für eine radikale Wende in seinem Schaffen.[194] Anscheinend hatte Italien ihn ganz und gar beeindruckt – das südliche Licht sollte ihn nicht mehr loslassen. Innerhalb von vier Monaten schuf er mehr als 2000 Bleistiftskizzen von Rom und seiner Umgebung. Wieder in England angekommen, begann er seine Auffassung von der Kraft des Lichts darzustellen.[195] Ein Beispiel ist das 1819 entstandene Ölgemälde Modern Rome – Campo Vaccino. Zwar änderte Turner seinen Stil nicht abrupt, doch zog er eine klare Trennung zwischen seinen Auftragsarbeiten und seinen Experimenten, in denen sich seine Ideen voll entfalteten. Knapp zehn Jahre später (1828) fuhr er erneut nach Rom.[196]
William Turner konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Motive und Farben. Er zeichnete jedoch nicht genau, sondern veränderte die Höhe der Berge, verengte Täler und verschob Gebäude. In der frühen Phase seiner Malerei nutzte Turner Aquarellfarben, die bekannteren Spätwerke jedoch sind zumeist in Öl gemalt. Bei vielen seiner Kunstwerke hat er Tupfer einer schmutzigen Spachtelmasse zusammengesetzt und auf die Leinwand geworfen. Es handelt sich somit um einen pastosen Farbauftrag. Seine Motive entstanden beim Reisen. Turner füllte auf diesen Reisen zahlreiche Skizzenbücher, diese Skizzen verwendete er später für seine Werke.
Seine Malweise wurde zunehmend freier und widersprach in seinem Spätwerk häufig dem Zeitgeschmack. „In seinen letzten Landschaftsbildern ist die gegenständliche Lesart immer weniger eindeutig, sie wirken unabgeschlossen und skizzenhaft.“[197] Vor allem diese Spätwerke fanden bei den Impressionisten begeisterte Aufnahme. Turner gilt als „Schlüsselfigur für den Übergang der Malerei zur historischen Moderne“. Mit seinem Vorstoß ins rein Malerische wurde er nicht nur zum Vorbild der Impressionisten, sondern auch der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts.
William Turner litt unter einer Trübung der Linse des Auges, Katarakt genannt. Bildende Künstler, die unter dieser Erkrankung leiden, benutzen zur Gestaltung ihrer Bilder eher dumpfe, weniger kontrastreiche Farben. Das liegt daran, dass die Linse durch die Trübung eine gelbliche Farbe erhält und damit blaues Licht stärker absorbiert, so dass weniger davon an den Photorezeptoren des Auges ankommt. Dies führt zu einer veränderten Farbwahrnehmung, die sich auch in der Farbgestaltung ihrer Werke niederschlägt.
1815 war im Pazifik der Vulkan Tambora ausgebrochen, weltweit die größte Eruption seit dem Ausbruch des Lake Taupo vor über 20.000 Jahren. Die vulkanischen Stäube verbreiteten sich global und führten 1816 zum Jahr ohne Sommer und auch danach zu einer deutlichen vulkanisch bedingten Klimaabkühlung mit katastrophalen Auswirkungen. Darüber hinaus kam es für Jahrzehnte nach dem Ausbruch zu merklichen Veränderungen im Tageslicht. Besonders ausgeprägt war dies abends und morgens infolge der dann längeren Lichtpassage durch die Atmosphäre mit erheblich stärkerer Brechung der Sonnenstrahlen durch Vulkanstaub.[198]
Die biedermeierlichen Sonnenuntergänge in Europa waren von nie dagewesener Pracht – in allen Schattierungen von Rot, Orange und Violett, gelegentlich auch in Blau- und Grüntönen.[199] Die grandiosen Abendstimmungen und die intensiven Erdfarben, Ocker und Gelbtöne Turners, die außerhalb von Landschaften mit entsprechender natürlicher Farbgebung (etwa der Toskana und der Camargue) fast unwirklich erscheinen, haben davon merklich profitiert.
Künstler wie Gustave Courbet verwarfen die überkommenen Prinzipien und Normen der Malerei, wie sie in den Kunstakademien seit der Renaissance herausgebildet worden waren, und wendeten sich neuen Themen aus dem bürgerlichen Milieu und der Arbeitswelt zu. Der braune „Akademieton“ von Bildern wurde obsolet, sowohl die perspektivische Darstellung als auch eine mimetische Nachahmung der Natur wurden abgelehnt. Nicht nur die Impressionisten wählten jetzt helle und grelle Farben.[200]
Gustave Courbet, der die realistische Kunst als Selbstbehauptung der Persönlichkeit gegen die akademische Tradition verstand, und sich über seine Vorreiterrolle hinsichtlich dieser Einstellung bewusst war, formulierte dazu: „Der Kernpunkt des Realismus ist die Verneinung des Ideals (…) Bis heute hat dies noch kein Künstler entschieden zu äußern gewagt (…) Indem ich das Ideal so wie alles ablehne, was daraus folgt, gelange ich zur vollen Selbstbefreiung des Individuums bis hin zur Verwirklichung der Demokratie.“. Courbet sieht also die Kunst als Selbstverwirklichung des Individuums, das sich von dogmatischen, hierarchischen Gefügen und einem institutionalisierten Regulativ abgrenzt, und dabei auf ein selbstgewisses Originalgenie setzt. Darüber hinaus wird seine Forderung deutlich - die Kunst mit demokratischen Aufgabenstellungen zu füllen.
Das Schöne, das durch romantisierende Bestrebungen für Courbet vergeblich dargestellt wird, weil es nicht wahr, nicht real gegeben ist, findet er in der Wirklichkeit der Natur mit ihren verschiedensten Erscheinungsformen. Wenn dabei in der Kunst eine Einbildungskraft eine Rolle spiele, dann nur in dem Maße „den vollständigsten Ausdruck einer vorhandenen Sache zu finden, niemals aber darin, diese Sache selbst zu setzen oder zu erschaffen.“ Demnach ist das Schöne, das die Natur hervorzubringen vermag, höher zu bewerten als alle Konventionen, denen ein Künstler verpflichtet zu sein glaubt. Wie die Wahrheit ist das Schöne abhängig von der Zeit, in der man lebt, und vom Individuum, das Kraft seines Wahrnehmungsvermögens, seiner Auffassungsgabe imstande ist, es zu begreifen.
Durch die unmittelbare Gegenwart motiviert, solle das Ergebnis des künstlerischen Schaffensprozesses sich wieder in diese Gegenwart einfügen: „Imstande zu sein, die Sitten, die Vorstellungen, das Gesicht meiner Epoche nach meinem Dafürhalten zu übertragen, nicht nur Maler, sondern auch ein Mensch zu sein – mit einem Wort, lebendige Kunst zu machen, das ist mein Ziel.“ Diese Auffassung Courbets, dass der Künstler in erster Linie ein gewöhnlicher Mensch und kein herausgehobenes Sonderwesen sein solle, stand diametral zur damals verbreiteten Kunstauffassung. Der Ansatz der Individualität des Künstlers, und in diesem Zusammenhang die Ablehnung jeglicher Lehrunterweisung in der Kunst, findet sich an anderer Stelle wider, wo Courbet jegliche Lehrtätigkeit in einem Atelier ablehnt: „Da ich glaube, dass jeder Künstler sein eigener Meister sein muß, kann ich nicht daran denken, mich zum Lehrer aufzuwerfen , (…) denn ich lehne den Kunstunterricht ab.“
Das 1849 entstandene Werk Die Steinklopfer, das der Maler 1851 in Paris ausstellte, kann als richtungsweisendes Werk für seinen Realismus angesehen werden. Die zwei, unter der prallen Sonne, schuftenden Arbeiter in einem Steinbruch, darunter ein Kind und ein alter Mann, lösten in der Kunstöffentlichkeit Entrüstung aus. Einige Besucher versuchten gar, das auffällig großformatige Bild zu beschädigen. Die Anstrengung und Ärmlichkeit und nicht zuletzt die Belastung der Schwachen der Bevölkerung waren Aspekte, die Courbet in seinem Werk verband und in dieser Form dem bourgeoisen Kunstpublikum präsentierte. Das Unverständnis, das Courbet in Paris entgegengebracht wurde, nahm ein Jahrzehnt später in Deutschland einen analogen Verlauf. Auf der Münchner Internationalen Kunstausstellung von 1869 kritisierte die Kunstkritik Courbets Steinklopfer umfassend und warf ihm die „Verherrlichung des Arbeiterstandes“ vor. Die Frage, ob diese Arbeiter überhaupt ein Recht auf Bildwürdigkeit hätten, stand in Frankreich und später auch in Deutschland im Mittelpunkt der Diskussion. Die Ausstellungsbesucher waren derartig drastische Schilderungen und Darstellungen nicht gewohnt, was in erster Linie den vorherrschenden idealisierenden und euphemistischen Bildern geschuldet war. Durch diese Konditionierung des Kunstpublikums überrascht es auch nicht, dass die Wirklichkeit der Realisten nicht anerkannt wurde, sondern vielmehr der Eindruck und der Vorwurf entstanden, sie würden gesellschaftliche Zustände dramatisieren und die abgebildeten Menschen absichtlich hässlich malen.
Sein Gemälde Der Ursprung der Welt aus dem Jahre 1866 war skandalträchtig für die damalige Zeit. Das Bild zeigt eine Nahsicht der behaarten Vulva einer liegenden, nackten Frau mit gespreizten Schenkeln. Der Rest des Körpers ist, mit Ausnahme des Bauches und einer Brust mit Brustwarze, nicht abgebildet. Die naturalistische Darstellung des unverhüllten weiblichen Geschlechts im Zentrum des Bildes wird durch die weichen Linien des seidenartigen Stoffes, der den Körper der Frau zum Teil verhüllt, noch unterstrichen. Der braune Bildhintergrund steht im Kontrast zu der hellen, gleichsam glänzenden menschlichen Haut im Bildvordergrund.
Gustave Courbet malte „Der Ursprung der Welt“ 1866 als Auftragsarbeit für den türkischen Diplomaten und Kunstsammler Halil Şerif Paşa, auch als Khalil Bey bekannt, der neben anderen Aktbildern Courbets auch „Das türkische Bad“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres besaß. Unklar ist, wer die Abgebildete war. Hierfür kommt neben der Geliebten von Khalil Bey vor allem Joanna Hiffernan in Frage, welche Courbet mehrfach als Aktmodell zur Verfügung stand. Während Khalil Bey die anderen Aktbilder seiner Sammlung in seinem Salon auch Besuchern zeigte, hielt er das Bild „Der Ursprung der Welt“ vor Gästen verborgen. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten musste Khalil Bey 1868 seine Kunstsammlung versteigern.
„Der Ursprung der Welt“ ging zunächst an den Antiquitätenhändler Antoine de la Narde. Als Edmond de Goncourt das Bild 1889 in dessen Laden entdeckte, war es hinter einer Abdeckung aus Holz versteckt, die mit dem 1874–1877 entstandenen Bild „Le château de Blonay“ dekoriert war. Der Holzrahmen dieser Darstellung einer Schneelandschaft mit Kirche ließ sich nur mit einem Schlüssel öffnen, wodurch das Bild „Der Ursprung der Welt“ dahinter neugierigen Blicken verborgen blieb.
Der ungarische Sammler Baron Ferenc von Hatvany kaufte das Bild „Der Ursprung der Welt“ 1910 von der Pariser Galerie Bernheim-Jeune und brachte es nach Budapest. Dort verblieb es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Familie lagerte Hatvany 1942 die wertvollsten Bilder seiner Kunstsammlung in verschiedenen Budapester Banktresoren ein. Das Bild „Der Ursprung der Welt“ deponierte er unter dem Namen seines nichtjüdischen Sekretärs János Horváth, wodurch es von den deutschen Besatzern unentdeckt blieb. Nachdem 1945 russische Truppen die Banktresore geöffnet hatten, gelangte „Der Ursprung der Welt“ zunächst auf den Budapester Schwarzmarkt. Von einem Händler gelang es Hatvany 1946, das Bild für 10.000 Forint zurückzuerwerben. Da er das Bild bei seiner Emigration nach Paris 1947 nicht mitnehmen konnte, schmuggelte es kurze Zeit später Claire Spiess nach Frankreich, die Frau seines Neffen. Hier zeigte Hatvany das Bild 1949 dem Kunsthändler Fritz Nathan.
1955 kaufte der Psychoanalytiker Jacques Lacan das Original aus unbekannter Privathand. Er und seine Frau, die Schauspielerin Sylvia Bataille, hängten es in ihrem Landhaus in Guitrancourt auf. Aber auch dort wurde es den Blicken der Öffentlichkeit entzogen: Lacan bat seinen Schwager André Masson, ihm einen verschiebbaren Doppelrahmen dafür zu bauen, der vorn ein anderes Gemälde zeigte. Masson malte daraufhin eine Landschaft, die exakt der Linienführung des Originals folgte. Um den Surrealismus dieser Version zu verstärken, trug es denselben Namen („L’Origine du monde“). Erst mit Lacans Tod 1981 tauchte das Bild wieder auf und gelangte zunächst wieder nach Frankreich. Im Brooklyn Museum in New York City wurde es 1988 erstmals öffentlich präsentiert. Seit 1995 ist es im Musée d’Orsay in Paris ausgestellt.
„Der Ursprung der Welt“ als Bildbezeichnung verweist auf die Doppelnatur des weiblichen Geschlechtsorgans: einerseits als Objekt der sexuellen Begierde und Eingang der Vereinigung, andererseits als Ausgang der Geburt, von wo aus jedes Kind zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt. Insofern ist der Unterleib der Frau der Ursprungsort des Menschen, der jegliche Welterfahrung erst möglich macht. In diesem übertragenen Sinn stellt das Bild den „Ursprung“ alles Existierens, Wahrnehmens und Gestaltens der menschlichen Welt dar. Der Titel wurde vielfach als metaphysische Anspielung aufgefasst. Der Mensch ist in dieser Perspektive der Ursprung der geordneten „Welt“ (monde), im Gegensatz zu der wilden Ursprünglichkeit der „Erde“ (terre). Ist der Mensch Daseinsgrund eines die „Erde“ transzendierenden und beherrschenden Netzes von sozialen Ordnungen und Ortungen, so ist der weibliche Schoß im Wortsinn der „Ursprung der Welt“.
Das Interesse verlagerte sich vom Motiv auf die Malweise. Cézanne fasste das Bild nicht mehr im Sinne Albertis als Fenster zur Welt auf, auf der ebenen Fläche wird kein dreidimensionaler Raum vorgetäuscht, das Bild ist vielmehr ein zweidimensionales Feld, in dem Ordnung von Formen und Farben relevant ist. Das Bild selbst ist eine parallele Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Welt und nicht deren Abbildung.[201]
Gegen Ende des Jahrhunderts verstärkten sich die Tendenzen zu einer subjektiven Interpretationen der Welt und zur Dominanz einer persönlichen Handschrift, wie es sich in den expressiven Landschaften eines van Gogh zeigt sowie einer vermehrten Vielfalt künstlerischer Perspektiven, ein Kennzeichen der Malerei der Moderne.
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts richtete sich das Interesse des Publikums verstärkt auf die Landschaftsmalerei.[202] Angeregt durch Schriften Jean-Jacques Rousseaus, in denen eine neue Sensibilität für die Natur und deren Wirkung auf die seelische Verfasstheit des Menschen erkennbar ist, sahen Dichter und Künstler der Romantik in der Natur einen Quell leidenschaftlichen Gefühls und eine metaphysische Dimension. Nach der Infragestellung von überkommenen Glaubensgewissheiten im Zeitalter der Aufklärung suchten Maler wie Caspar David Friedrich in der Natur und der Landschaft einen transzendentalen Bezug. Nach dem Verlust alter Ideale sollte es Aufgabe der Kunst sein, Utopien sichtbar zu machen und ein neues Leit- und Idealbild herzustellen. Als beispielhaft gilt hier sein Tetschener Altar von 1808, der in literarischen und philosophischen Kreisen eine heftige Grundsatzdebatte über eine mögliche religiöse Funktion von Landschaftsbildern auslöste.[203]
Romantische Landschaften zielen auf die Auslösung emotionaler Prozesse, auf eine Bildmagie, die einen inneren Dialog zwischen Betrachter und Bild bewirken soll.[204] Zur gleichen Zeit malten Künstler wie Koch, Reinhart, Hackert oder Wolf, die einem Klassizismus verpflichtet waren. Sie orientierten sich an den alten Vorbildern Poussin und Claude Lorrain, da aus der Antike selbst keine Landschaftsbilder bekannt waren.[205] Diese Maler sahen in ihren Bildern die Aufgabe, einen idealen Weltentwurf sichtbar zu machen im Sinne einer Wiederbelebung des antiken Geistes.
Jacob van Ruisdael war der einzige Sohn des Landschaftsmalers und Rahmenbauers Isaack van Ruisdael, bei dem er wahrscheinlich auch seine Ausbildung machte, sowie der Neffe von Salomon van Ruysdael und der Vetter von Jacob Salomonsz. van Ruysdael.[206] Seine Jugend verbrachte er also wohl in Haarlem, das bis zur Jahrhundertmitte eine prosperierende Stadt mit blühendem Bier- und Textilgewerbe war. Die Landschaftsmalerei hatte sich um 1600 unter anderem durch Adam Elsheimer und Paul Bril als eigenständige Gattung der niederländischen Malerei etabliert und wurde im wohlhabenden Haarlem besonders gepflegt.[207]
Bereits von 1646 stammen die ersten Gemälde des 17-jährigen, nicht weniger als 13 signierte und datierte Landschaften sind aus diesem Jahr erhalten. Zunächst noch abhängig von der Manier seines Onkels und dessen Haarlemer Altersgenossen, z. B. Cornelis Vroom oder Pieter de Molijn, findet Ruisdael schnell zu einem eigenen Stil. Ihn kennzeichnen dramatische Akzente durch kontrastreiche Lichtführung, kraftvolle Bildmotive und die differenzierte Wiedergabe von Naturformen.[208] Genaue Naturbeobachtungen in der Wald- und Dünenlandschaft rund um Haarlem spiegeln sich in den erhaltenen Handzeichnungen, die, vor dem Motiv ausgeführt, zur Grundlage der malerischen Ausführung im Atelier dienten. 1648 trat er in die Malergilde seiner Heimatstadt ein. Mit seinem Haarlemer Freund Nicolaes Berchem unternahm er um 1650 eine Reise nach Bentheim, dessen Schloss in der Folgezeit auf zwölf seiner Landschaften auftaucht. Seit den Reisen dieser Jahre, die ihn auch durch die Niederlande und an den Mittelrhein führten, wird der Bildaufbau in den Landschaften Ruisdaels nochmals kraftvoller: majestätische Baumpartien und imposante Wolkengebilde werden zu erhabenen Kompositionen gefügt. Um 1655 ging Ruisdael nach Amsterdam, wo er 1657 Mitglied der reformierten Kirche wurde. Am 15. Januar 1659 erwarb er das Bürgerrecht von Amsterdam, das poorterrecht.[209]
In den 1650er und mehr noch 1660er Jahren zeigt er sich stark beeinflusst von den Wasserfall-Motiven, die Allart van Everdingen (auch er ging in den 1650er Jahren von Haarlem nach Amsterdam) aus Norwegen mitgebracht und in seinen dramatischen, oft hochformatigen Landschaften verarbeitet hatte.[210] Andere Bilder der späten Jahre bieten weite Sichten ins flache Land, wobei starke Lichtkontraste und aufgetürmte Wolken eine Stadtansicht inszenieren und die Vorstellung eines schönen, in die Natur eingebetteten, aber arbeitsamen Gemeinwesens (in den verschiedenen Ansichten der Bleichwiesen vor Haarlem) hervorrufen können. Mehrere Fassungen eines düsteren Waldsumpfs oder des Judenfriedhofs zeigen auch einen melancholischeren Aspekt in der reichen Skala der Ausdrucksmöglichkeiten des Malers.[211]
Gewässer spielen in seinem Werk eine gewisse Rolle, wie schon Houbraken betonte, doch reine Marinebilder sind eher selten. Topographische Verlässlichkeit ist von Ruisdaels Ansichten nicht prinzipiell zu erwarten, sie ist in der Regel künstlerisch kompositorischen Zielen untergeordnet. Wie wirklichkeitsnah er jedoch im Detail arbeitete, zeigt ein (dem Kunstbetrachter in vielen Galerien möglicher) direkter Vergleich zwischen dem von Jakob präzise gemalten Blattwerk und dem summarisch getupften Bewuchs der Bäume seines Onkels Salomon. Der Bedeutungsgehalt seiner Motive geht immer wieder über das Gegenständliche hinaus, doch sind die möglichen Erklärungen (z. B. Wege als Lebenspfade, Mühlenflügel als Kreuzsymbole, patriotische Konnotation der kultivierten Landschaft), die etwa aus der zeitgenössischen Emblematik erschlossen werden können, wie häufig in der niederländischen Malerei, eher variable Optionen als eindeutig determinierte Festlegungen.[212]
Einer seiner Auftraggeber war der Amsterdamer Regent Cornelis de Graeff, welchen Ruisdael beim Einzug auf sein Landgut Soestdijk zeigt. Am 8. Juli 1660 gab Ruisdael an, der Maler Meindert Hobbema sei einige Jahre sein Lehrling gewesen, 1668 war er dessen Trauzeuge.[213]
Ruisdaels Werk wurde zunächst in Kupferstichen reproduziert und verbreitet; einige Blätter hat Ruisdael selbst radiert, auch sie dürften zum Nachruhm des Malers beigetragen haben, dessen Motive und Kompositionen die Landschaftsmalerei bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einzigartig beeinflusst haben.[214]
Meindert Hobbema (1638-1709) war neben Jacob van Ruisdael der bedeutendste niederländische Landschaftsmaler in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.[215]
Zunächst stand das Werk Hobbemas unter dem Einfluss von Cornelis Vroom und Anthonie van Borssom. Um 1656 nahm er ersten Kunstunterricht bei Jacob van Ruisdael, der gerade von Haarlem nach Amsterdam gezogen war. Hobbemas Lehrzeit bei Ruisdael scheint nicht sehr lang gedauert zu haben, da seine erste signierte Arbeit aus dem Jahr 1657 zeigt, dass er sich bis dahin als unabhängiger Meister etabliert hatte. Hobbema blieb auch nach seiner Lehrzeit mit Ruisdael freundschaftlich verbunden. Zusammen reisten sie durch die niederländischen Provinzen bis in die Region von Twente und über die Grenze nach Bentheim. Vermutungen, Hobbema hätte nach seiner Bestellung zum Eichmeister die Malerei nur als Liebhaberei fortgesetzt, gilt angesichts des umfangreichen Werkes als unwahrscheinlich. Zudem ist sein als Hauptwerk geltendes Gemälde Die Allee von Middleharnis erst 1689 entstanden.[216]
Das stark von Ruisdael beeinflusste Werk ist thematisch beschränkt auf Waldszenen, Flussläufe und vereinzelt Ansichten holländischer Städte.[217] Während Ruisdael auch Felsformationen malte und sich von der reinen Landschaftsmalerei hin zum moralisch-didaktischen Anspruch des memento mori entwickelte, blieb Hobbema weniger dramatisch und grüblerisch. Häufig ist in seinen Bildern eine ansprechende helle Farbgebung vorherrschend, wobei funkelndes Tageslicht seine Landschaften durchdringt und der Himmel im intensiven Weiß und Blau leuchtet. Die Farbpalette der Landschaften geht von einem olivgrünen Ton bis hin zum Grau und Rotgelb. Variantenreich und meisterlich in der Ausführung sind die Darstellungen des Laubwerks. Mit erstaunlicher Feinheit durchdringt das Licht die Wolken und belichtet den Boden, oder aber es scheint durch die Blätter auf andere Teile des Blattwerkes und vervielfacht so die Lichtdurchlässigkeit des Bildes. In einigen Bildern werden diese Effekte noch durch Lichtspiegelungen auf Flussläufen oder Teichen verstärkt. Vorausgegangen ist der Malerei eine intensive Naturbeobachtung in der Umgebung von Amsterdam und auf Reisen bis an die westfälische Grenze.[218] Die wiederkehrenden Motive wurden facettenreich bei verschiedenen Lichtverhältnissen, mit verschiedenen Farbtönen und zu allen Jahreszeiten variiert.
Das Werkverzeichnis von Georges Broulhiet aus dem Jahr 1938 weist über 500 Werke des Künstlers auf.[219] Dieser Umfang erscheint heute jedoch fraglich. Hobbema war zu Lebzeiten wenig erfolgreich und starb als verarmter Mann. Im 17. Jahrhundert geriet sein Name in den Niederlanden in Vergessenheit und in Kunstbeschreibungen des 18. Jahrhunderts (Houbraken, Van Gool) wird sein Name nicht erwähnt. Stattdessen erlebte die Kunst Ruisdaels eine größere Nachfrage, was dazu führte, dass Hobbemas Signaturen entfernt und seine Bilder ebenfalls als Bilder von Ruisdael gehandelt wurden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann dann die Nachfrage nach Hobbemas Bildern insbesondere in England zu steigen. Das Frühwerk des Malers Thomas Gainsboroughs ist von der Malerei Hobbemas beeinflusst. Als Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt auch amerikanische Sammler seine Werke auf dem Kunstmarkt nachfragten und die Preise sich entsprechend nach oben entwickelten, kam es vielfach zu Umdatierungen, falschen Signaturen oder kompletten Fälschungen.
Willem van de Velde hatte sich auf Schiffe spezialisiert, Paulus Potter malte Tierbilder, bald nur noch Rinder, Philips Wouwerman Pferde, hauptsächlich Schimmel, Melchior d’Hondecoeter beschränkte sich fast ausschließlich auf Vögel, Jan van Huysum auf Blumen und Abraham van Beijeren auf Austern, Hummer und Früchte, während Pieter Claesz der Mann für feines Silberzeug war.[220]
Die Preise der zunächst meist auf offener Straße, auch auf Jahrmärkten, angebotenen Bilder waren im Allgemeinen sehr niedrig, und der wachsende Bedarf zog eine rasante Erhöhung der Produktion und damit ein stetiges Anwachsen des Malerstandes nach.[221]
Diese Überzahl von Künstlern innerhalb einer regelrechten Bilderindustrie führte zur Entwicklung eines Kunstproletariats.[222] Viele, heute hochgeschätzte Maler mussten ihren Lebensunterhalt anderweitig finanzieren, die wenigsten konnten allein von der Malerei leben. Jan Steen betrieb ein Wirtshaus, Jakob Ruisdael war Arzt, Jan van Goyen handelte mit Tulpen, Meindert Hobbema war Steuereintreiber, die Malerfamilie van de Velde betrieb ein Leinwandhaus. Viele Künstler nahmen auch Tätigkeiten als sogenannte Grobmaler an, wenn die Aufträge als Feinmaler ausblieben. Beide Gruppen, Grob- und Feinmaler, gehörten ohnehin lange derselben Gilde an.[223]
Singuläre Spitzenkräfte wie Rembrandt oder Vermeer waren keineswegs zeittypisch und wurden in ihrer Genialität damals von nur wenigen erkannt. Im Gegensatz zu ihren hoch spezialisierten Kollegen machten sie sich verschiedene Genres zu Eigen und hinterließen ein vielseitiges Œuvre.
Das große Geld hingegen verdienten andere, wie zum Beispiel Gerard Dou und Gerrit van Honthorst: Maler, die für die Hofhaltung des Statthalters arbeiteten oder – wie Rubens – sich gleich im feudal und klerikal gebliebenen Flandern niederließen beziehungsweise Hofmaler in Italien, Frankreich oder Spanien wurden.[224]
Mit dem breiten Interesse am Gemälde und dem Beginn der Kommerzialisierung der Kunst entwickelte sich ein anderes Verhältnis zwischen Maler und Auftraggeber; der Beruf des Kunsthändlers beziehungsweise Bildermaklers entstand.[225] Gehandelt wurden ausschließlich Staffeleibilder mit vorwiegend profanen Themen, eine Nachfrage nach Altarbildern oder anderen großformatigen religiösen Gemälden bestand wegen des protestantischen Bekenntnisses nicht. Da die meist kleinformatigen und dementsprechend mobilen Bilder oft nicht auf Bestellung, sondern für den freien Markt und einen sich beständig erweiternden Kreis an bürgerlichen Sammlern geschaffen wurden, entwickelte sich sowohl ein reger Kunsthandel als auch das Ausstellungswesen.
Auch auf dem Gebiet der Architektur und des Städtebaus haben die Niederlande eine lange Tradition vorzuweisen. Stand das 16. Jahrhundert noch ganz im Zeichen einer Auseinandersetzung mit der italienischen Renaissance, die in ihrer niederländischen Umsetzung oftmals völlig anders interpretiert wurde, so leitete das Ende des Jahrhunderts vom Manierismus zum Frühbarock über (hier besonders die Arbeiten des städtischen Baumeisters Lieven de Key mit dem Rathaus und der Fleischhalle in Haarlem) und setzte ansonsten schon Anfang des 17. Jahrhunderts ein an Palladio angelehnter, sich schnell zum strengen holländischen Klassizismus entwickelnder Stil ein, der mit seinem fast puritanischem Willen zur Vereinfachung dem damaligen „Zeitgeist“ als Gegenmodell zum barocken Feudalismus sehr entgegenkam.
Als Meisterwerk von Jacob van Campen, dem Begründer des nordniederländischen Klassizismus, gilt das 1642 bis 1648 errichtete ehemalige Amsterdamer Rathaus (stadhuis), in dem sich heute der Königliche Palast befindet.[226] Es demonstrierte die Vormachtstellung der Stadt Amsterdam in der einflussreichsten Provinz Holland der niederländischen Generalstaaten und ist zugleich der größte Bau dieser Art in seiner Zeit – im Übrigen gleichzeitig eine ingenieurtechnische Meisterleistung, mussten doch zunächst 13.569 Pfähle in den sumpfigen Boden gegründet werden.[227]
Durch die florierende Wirtschaft breiteten sich die Städte schnell aus.[228] Der auf der morastigen Amstelmündung entstandene Amsterdamer Grachtengürtel mit seinen Grachtenhäusern spiegelt die wirtschaftliche und kulturelle Blüte wider, die die Stadt erlebte. Hier und in den anderen niederländischen Städten wirkte besonders der Architekt Hendrick de Keyser, der neben zahlreichen Amsterdamer Kirchen, öffentlichen Gebäuden und privaten Herrenhäusern das Delfter Rathaus errichtete.
Dem stand Den Haag nur wenig nach, das sich zur eleganten Diplomatenstadt entwickelte, wo van Campen und Pieter Post 1640 Moritz von Nassaus Stadtpalais Mauritshuis errichteten (im übrigen der erste in den Niederlanden in Grund- und Aufriss rein klassizistische Bau) und wo Bartholomeus van Bassen Kirchen, Brücken, öffentliche Gebäude und Hofjes baute, in denen ein Teil der ärmeren Bevölkerung unterkam.[229] Utrecht am Rheindelta erlebte mit seinen hochherrschaftlichen Giebelhäusern und vielen Kirchen und Klöstern genauso einen Bauboom, wie Leiden, Haarlem oder Gouda. Auch Delft, wo Architekten wie Hendrik Swaef oder Paulus Moreelse wirkten, entwickelte sich zu einem blühenden Handelszentrum, in dem Tuchweberei, Bierbrauerei und Porzellanmanufakturen angesiedelt waren.[230] Hier wurden nur wenige öffentliche Gebäude im klassizistischen Stil errichtet, hingegen vermehrt auf bereits bestehende Gebäude zurückgegriffen. Das beste zeitgenössische Beispiel ist die Vleeshal (Fleischhalle) von Swaef aus dem Jahr 1650.
Typisch für viele zeitgenössische Architekten war es, dass sie ursprünglich Architekturmaler oder Bildhauer waren und zusätzlich Innenräume und sogar Möbel entwarfen und somit das gesamte Interieur der Bauwerke komponierten. Die Innenausstattung der Zunft- und Wohnhäuser zeigte im Übrigen weiter deutliche französische, teilweise barocke Einflüsse.[231]
Die niederländische Bildhauerkunst konnte von den Errungenschaften des 17. Jahrhunderts nicht in dem Maße profitieren wie die anderen Schönen Künste.[232]
Ab 800 n. Chr. wurden Bildhauerarbeiten hauptsächlich als architektonischer Schmuck für Fassaden und Grabmäler verwendet und ab dem 11. Jahrhundert kamen Kult- und Heiligenbilder hinzu. Widersprachen schon die gradlinigen, schnörkellosen Formen des Klassizismus gegenüber der Verspieltheit und Figurbetonung von Rokoko und Barock einem Einsatz allzu vieler dekorativer Elemente, so betrafen gerade Statuen das gespannte Verhältnis der protestantischen Kirche zur Bildenden Kunst. Ein weiterer Grund für die schwache Nachfrage war der Rückzug der Aristokratie aus dem Land.
Dennoch wurden Skulpturen für Regierungs- und private Gebäude sowie kirchliche und weltliche Außenanlagen in Auftrag gegeben. Daneben gab es einen größeren Kundenkreis für profane Kunst; beispielsweise waren Skulpturen für Grabsteine und Büsten begehrt.[233]
Die führenden niederländischen Bildhauer des 17. Jahrhunderts waren der bereits oben als Architekt besprochene Hendrick de Keyser, der 1618 das erste nicht religiöse Standbild der Niederlande, die Erasmus-Statue in Rotterdam, schuf, sowie Artus Quellinus I., Artus Quellinus II. und Rombout Verhulst, alle aus den südlichen Niederlanden.[234] Weiterhin zu nennen sind Bartholomeus Eggers, der zwar einen Auftrag für das Mauritshuis erhielt, ansonsten hauptsächlich für den Kurfürsten von Brandenburg arbeitete, sowie Johannes Blommendael.[235]
Die große Zeit der Musikgeschichte der Niederlande ist eng verknüpft mit der Niederländer Schule und endet mit ihr ausgangs des 16. Jahrhunderts.[236] Unter dem dominierenden Einfluss der calvinistischen Kirche konnten sich die großen Formen der Musik – Oper, Passion, Kantate – nicht entfalten; die Musik beschränkte sich auf die Bedürfnisse der bürgerlichen Gesellschaft. So bestimmten Einflüsse aus dem Ausland, allen voran durch Komponisten wie Jean-Baptiste Lully und Johann Sebastian Bach, die zeitgenössische Musik, die in den Niederlanden keinen eigenen Stil ausbildete.
Das Orgelspiel nahm einen bedeutenden Rang ein. Auch Musizieren in den Familien war ein bevorzugter Zeitvertreib des 17. Jahrhunderts, die Hausmusik wurde intensiv gepflegt, es bildeten sich Collegia musica genannte private Musikverbände. Gebräuchliche Instrumente waren Laute, Cembalo, Gambe und Flöte. Viele Gesangbücher wurden veröffentlicht, wenngleich ab Mitte des 17. Jahrhunderts die instrumentale Musik deutlich vorherrschte.
Lyrische Dramen, Ballett und Opern wurden in dem 1638 eröffneten Amsterdamer Opernhaus aufgeführt, die meist französischen und italienischen Ursprungs waren.[237] Lediglich Constantijn Huygens, Jan Pieterszoon Sweelinck, Organisten und Komponisten von Oratorien und Kantaten, Adriaen Valerius, Dichter von geistlichen und patriotischen Liedern, auch der sogenannten Geusenlieder (Geusen waren im 16. Jahrhundert niederländische Freiheitskämpfer gegen die Spanier), der Glockenspieler Jacob van Eyck sowie der bereits als Autor besprochene Constantijn Huygens mit schätzungsweise 800 Musikstücken, konnten eine gewisse, wenn auch heute weitgehend in Vergessenheit geratene Bedeutung erlangen und landestypische Akzente setzen.[238]
Zeugnisse einer Darstellung von Landschaft als Hintergrund für eine Bilderzählung tauchen seit dem ausgehenden Mittelalter mit dem Übergang zur Renaissance in den Niederlanden auf. In Kalendarien und Stundenbüchern gibt es eine große Vielfalt von Landschaftsdarstellungen, sei es auf den Monatsbildern der Kalender oder als Hintergründe biblischer oder historischer Szenen. Hervorragende Beispiele der burgundisch-niederländischen Miniaturmalerei sind die sechs Stundenbücher für den Herzog von Berry. In der Gestaltung von Tiefenraum und Landschaft, den ersten Versuchen, Atmosphärisches oder die besondere Erscheinungsform von Tageszeiten im Bild darzustellen, ist die Buchmalerei der Tafelmalerei ihrer Zeit weit voraus. Erst mit dem Beginn der Ölmalerei werden dann auch für die Tafelmalerei die technischen Voraussetzungen bereitgestellt, die neuen Entwicklungen in der Buchmalerei im Tafelbild nachzuvollziehen.
Beispielhaft ist der Niederländer Jan van Eyck, der eine entscheidende Wende in der europäischen Tafelmalerei einleitete. Er arbeitete zunächst als Buchmaler, zwei der Blätter aus dem Stundenbuch des Duc de Berry stammen von ihm, von seiner Hand ist das Turin-Mailänder Stundenbuch, – als auch als Tafelmaler. Sein berühmter Genter Altar zeigt im unteren Teil eine Versammlung von Heiligen bei der Anbetung des Lammes, eingebettet in eine paradiesische Ideallandschaft, die sich bis zu einem in weiter Ferne erscheinenden Horizont erstreckt.
Der Altar ist ein Auftragswerk des reichen Genter Patriziers Joos Vijd und dessen Frau Elisabeth Borluut. Er war bestimmt für die ebenfalls von Vijd gestiftete Seitenkapelle in Sint-Jans, dem heutigen St. Bavo. Der Auftrag wurde um 1420 vergeben und wahrscheinlich 1432 vollendet. 1435 vermachte Vijd der Kirche ein Stück Land, damit von dessen Erträgen auch in Zukunft an dem Altar Messen für die Stifter gelesen werden konnten.
Mit dem Altar ist eine wechselvolle und abenteuerliche Geschichte verbunden. Im 16. Jahrhundert wurde er zum ersten Mal einer Restaurierung unterzogen, bei der angeblich die von Marcus van Vaernewyck voet genannte Predella vernichtet wurde. 1550 reinigten die Maler Lancelot Blondeel und Jan van Scorel den Altar. Während des niederländischen Bildersturms versteckte man ihn im Kirchturm und brachte ihn erst nach der Rekatholisierung Flanderns 1569 wieder an seinen Platz in der Vijd-Kapelle zurück. 1578 demontierten die Calvinisten den Altar erneut und stellten ihn im Rathaus auf. Er kehrte zwanzig Jahre später wieder nach St. Bavo zurück. 1662 wurden die Tafeln in einen barocken Altaraufbau eingesetzt.
1781 mussten die Tafeln mit Adam und Eva entfernt werden, angeblich, weil Kaiser Joseph II. an den nackten Voreltern Anstoß nahm. Allerdings passte der Stil der Gemälde auch nicht mehr zum frühklassizistischen Zeitgeschmack. Nach der Eroberung Flanderns durch französische Truppen in den Revolutionskriegen wurden auf Geheiß Napoleons die Mittelteile des Altars nach Paris verschleppt und dort im Musée Napoléon, dem heutigen Louvre, ausgestellt, während man die Flügel rechtzeitig verstecken konnte..
Die Seitentafeln aber waren zu diesem Zeitpunkt – nach damaliger Auffassung legal – an einen Händler verkauft und von diesem an den englischen Kaufmann Edward Solly weiterveräußert worden. Solly verkaufte die Seitentafeln 1821 für 400.000 Gulden an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. Währenddessen waren die vier Mitteltafeln in St. Bavo verblieben. 1822 wurden sie bei einem Brand des Dachstuhl evakuiert und nur knapp vor der Zerstörung bewahrt. Dabei wurde die Malschicht der Lammanbetung beschädigt, und diese Tafel brach horizontal entzwei. 1823 ließ Gustav Christoph Waagen in Berlin die großenteils übermalte Inschrift auf den unteren Rahmenleisten der Außenseite freilegen, von der bisher nur der Name Hubertus unter dem Stifterbild zu lesen war. 1829 wurden die nach Berlin gelangten Tafeln in eine Vorder- und eine Rückseite zerteilt, damit man beide Seiten besser betrachten konnte. Diese Tafeln wurden zunächst im 1830 eröffneten Alten Museum von Karl Friedrich Schinkel aufgestellt, als Hauptwerk der Berliner Galerie direkt neben den Hauptwerken der italienischen Renaissance-Sammlung.
In Belgien wurden die zersägten Tafeln wieder zusammengefügt, mit den inzwischen in das Brüsseler Museum gelangten Adam- und Eva-Flügeln vereinigt und in der Genter St.-Bavo-Kirche wieder als Hochaltar aufgestellt. 1934 wurden die Tafeln mit den Gerechten Richtern und Johannes dem Täufer gestohlen. Letztere wurde zurückgegeben. Für die ungleich wertvolleren Gerechten Richter wurde jedoch, wahrscheinlich von Arseen Goedtier, ein Lösegeld von einer Million belgische Francs gefordert. Da die Summe nicht gezahlt wurde, erfolgte keine Rückgabe. Dieses Bild ist nach wie vor verschollen. Die heute ausgestellte Bildtafel ist eine Kopie, die von dem Kunstmaler und Restaurator Jozef van der Veken stammt.
Nach dem Krieg wurde der Altar in Brüssel einer umfassenden Restaurierung unterzogen und von später hinzugefügten Malschichten so weit wie möglich befreit. Anschließend wurde er wieder am Ort seiner Bestimmung, der Vijd-Kapelle aufgestellt. Seit 1989 stand das im Großen und Ganzen sehr gut erhaltene Werk nach erneuter umfänglicher Restaurierung in der tageslichtfreien nördlichen Turmseitenkapelle von St. Bavo, geschützt und klimatisiert in einer hermetischen Panzerglasvitrine. Allerdings beeinträchtigt die grünliche Tönung des dicken Panzerglases die originale Farbigkeit, insbesondere bei der ausschließlichen Beleuchtung durch Kunstlicht. Zudem ist die Betrachtung des geschlossenen Altars dadurch unmöglich geworden, mithin die Einheitlichkeit von dessen Bildmotiven – Verkündigung, Stifter und beide Johannes – zerrissen.
Seit September 2012 wird der Altar erneut einer Restaurierung unterzogen. In drei Phasen von je anderthalb Jahren wird jeweils ein Drittel des Werks im Genter Museum für Schöne Künste bearbeitet. Dort kann man die entsprechenden Tafeln, wenn die Arbeit ruht, hinter einer Glaswand betrachten. Die übrigen zwei Drittel des Originals sind wie bisher in der St.-Bavo-Kathedrale zu sehen, wobei die fehlenden Tafeln durch Schwarz-Weiß-Reproduktionen ersetzt sind. Von der Wirkung des Altars bei Tageslicht bekommt man am ursprünglichen Aufstellungsort in der Vijd-Seitenkapelle eine Vorstellung, wo eine originalgroße Farb-Fotokopie des Altars zu sehen ist, so dass alle Bildtafeln des Altars – auch im geschlossenen Zustand – betrachtet werden können.
Die Errungenschaften der niederländischen Ölmalerei in ihren Möglichkeiten für die differenzierte Darstellung von Lichtwirkung und Atmosphäre wurden durch die engen Handelsbeziehungen zwischen Italien und den Niederlanden schnell in Italien bekannt und angewendet.
Mit dem Beginn der Renaissance und der Erneuerung der Kunst in Italien, von Vasari als renascità schon bei Cimabue († nach 1302) und Giotto († 1337) angesetzt, kam es zu der folgenreichen Wende in der Geistesgeschichte, die mit dem Aufkommen des Individualismus, einer neuen Aneignung der Antike und einer Hinwendung zur naturwissenschaftlichen Erforschung der Welt verbunden wird.
Ab dem ausgehenden 14. Jahrhundert spricht man von der Epoche der Renaissance, die sich bis in das 17. Jahrhundert erstreckt. Der Tross und starke geistlich geprägten Einstellungen der mittelalterlichen Menschen verschwanden allmählich und mit Hilfe der aufblühenden Naturwissenschaften konnten nun auch „göttliche“ Naturphänomene erklärt werden. Infolgedessen änderte sich ebenso die Naturwahrnehmung, was wiederum Auswirkungen auf die Kunst besaß. Doch warum und wie genau widmeten sich die Künstler der Zeit nun der landschaftlichen Darstellung? Der Maler Albrecht Dürer versucht darauf eine Antwort zu geben: „Dann wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie herausreißen kann, der hat sie.“ Sicherlich outet sich Dürer mit diesen Worte nicht gerade als Naturalist, man erkennt aber dennoch ein gewisses Interesse an der Natur, die er benötigt, bzw. „herausreißt“, um detailgetreue Naturstudien anzufertigen. Der Maler ist gewillt, die Natur auf realistische Weise wiederzugeben, so wie dies in der Kunst zuvor noch nicht geschehen ist.
Im Gegensatz zum Mittelalter versteht sich der Mensch der Renaissance als Maß aller Dinge und so wird er die Natur betrachten, wie er gerade heraus über sie denkt. Dies verdeutlichen die Worte Leonardo da Vinci`s, der sagte: „(...) will er von hohen Berggipfeln weite Gefilde vor sich aufgerollt sehen und hinter diesen den Meereshorizont erblicken, er ist Gebieter darüber“ Wenn da Vinci hier von einem Gebieter redet, so meint er natürlich Gott, der dem Künstler alle Möglichkeiten offeriert, die Natur so darzustellen, wie er sich diese gerade wünscht. „Das göttliche Wesen der Wissenschaft des Malers bewirkt, dass sich sein Geist in ein Abbild göttlichen Geistes verwandelt; frei schaltend und waltend, schreitet er zur Erschaffung mannigfaltiger Arten verschiedener Tiere, Pflanzen, Früchte (...) und auch von angenehmen, lieblichen und reizenden Wiesen mit bunten Blumen, die von sanften Lüften leicht gewellt dem von ihnen scheidenen Wind nachblicken (...)“
Mit diesen ersten reinen, sogenannten metaphysischen landschaftlichen Darstellungen will der Künstler im besonderen auch das Verhältnis zwischen Gott und der Welt erfassen. Dies versucht er, indem er mit seinen Bildern das Sichtbare hinterfragt, um das Verborgende und das Mystische mit Hilfe von detailgetreuen Naturstudien darzustellen. Dabei werden thematisch für den Bereich der metaphysischen Natur insbesondere das Wirken der Naturkräfte von Himmel, Wasser und Erde als Motive hervorgehoben, wobei die Natur entweder in göttlicher oder in infernaler Sphäre von dem jeweiligen Künstler wiedergeben wird.
Solche Bilder entstanden in der Renaissancekunst um 1500 und sie zeigen relativ deutlich, dass der Mensch zu dieser Zeit seine Dominanz gegenüber der Natur verliert. Der Betrachter eines solchen Kunstwerkes kann diesen Rückschluss darin erkennen, dass der Mensch auf dieser Art von Bildern nur klein, verängstigt und am Rande gezeigt wird und dass die Natur mit ihren Naturereignissen eine für den Menschen nicht kontrollierbare Übermacht darstellt.
Dennoch bleibt der Mensch, wenn auch als nebensächliche Randerscheinung, als ein wichtiges Element der Landschaftsbilder des 16. Jahrhunderts bestehen. Dadurch nimmt der Mensch zum einen an der Natur teil, ist also ein Bestandteil derer, auf der anderen Seite jedoch wird er von ihr abgestoßen, womit die Künstler eine Zwiespältigkeit im Verhältnis zwischen Mensch und Natur schildern wollten. In kompositorischer Hinsicht wird dieser Effekt durch „das Spiel mit dem Licht“, einem Wechsel von Hell und Dunkel, erreicht. Schaut man sich die religiösen Landschaftsbilder Claude Lorrains (1600-1682) an, so wird das Auge des Betrachters durch eine Stufung von Dunkelheit zum Sonnenlicht nach und nach von dem Vordergrund über den Mittelgrund hin zum Hintergrund geführt. Diese Stufung hat immer eine symbolisch-religiöse Bedeutung. Der Maler macht sich hier die Natur zu Nutzen, um durch sie das Göttliche ausdrücken zu können, welches stets den Bildmittelpunkt bildet und meist durch die Sonne, den Mond, aber auch gelegentlich durch überdimensionierte Bäume charakterisiert werden soll. „Lorrains Landschaften sind daher verträumt und zeitlos, harmonisch und unbewegt.“
Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts entstand nördlich der Alpen ein neues, vorher unbekanntes Naturempfinden. Die Natur erhielt in Bildern der Donauschule einen eigenständigen Rang; Naturstudien ohne Menschendarstellungen sind keine Seltenheit. Das erste reine Landschaftsgemälde ohne jegliche Figuren ist das Bild Donaulandschaft mit Schloss Wörth, entstanden um 1522 von einem Maler der Donauschule, Albrecht Altdorfer. Frühe Beispiele aus dem nördlichen Europa für die Wiedergabe einer konkreten Landschaft - des Genfer Sees – sind Der wunderbare Fischzug des Konrad Witz - oder einer realistischen Darstellung von bewegtem Wasser auf dem um 1435 entstandenen Christophoros des gleichen Malers.
Sowohl in Venedig als auch in Florenz fanden die Anregungen aus dem Norden und die Entdeckungen der Perspektive in Italien auf unterschiedliche Weise ihren Niederschlag. In Piero della Francescas Montefeltro-Diptychon schaut der Betrachter aus der Vogelperspektive auf eine sich weit ausbreitende, lichte Landschaft, wobei sich Porträt und Landschaft auf unterschiedlichen und unverbundenen Bildebenen befinden. Leonardo da Vinci († 1519), von dem auch die erste reine Landschaftszeichnung stammt, stellte als Hintergründe einiger seiner Gemälde, wie oder der Anna Selbdritt alle im Louvre in Paris, keine Abbilder einer realen Natur dar. Diese Landschaften sind vielmehr eine Art Überblick über die elementaren Erscheinungsformen der Natur: Erde, Wasser, Fels und Luft, Nähe und Ferne, Wärme und Kälte.
Als ein Vermittler niederländischer Malkunst in Venedig gilt Antonello da Messina († 1479), der sich um 1475 in Venedig aufhielt. Ebenso folgenreich für die Landschaftsdarstellungen venezianischer Maler waren Dürers Holzschnitte, während seine Landschaftsaquarelle aus der Italienreise nicht publiziert waren und schon wegen ihrer Funktion als Arbeitsskizzen keine öffentliche Wirkung hatten. Bei den Venezianern Bellini, Giorgone und Tizian entfaltete sich die für die venezianische Malerei charakteristische Verschmelzung von Figuren und Landschaft, Licht und Farbe zu einer stimmungsvollen Bildeinheit von poetischer und lyrischer Qualität. Giorgione malte mit seinem Gewitter um 1515 das erste Bild, in dem die Figuren an den Rand gerückt sind und Landschaft zum Bildthema wird.
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts kam es in den Niederlanden zu einer ersten Blüte der Landschaftsmalerei, die mit den Namen Gerald David, Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel verknüpft ist. Von Joachim Patinier († 1524) stammen die überblicksartigen Weltlandschaften, in denen biblische oder mythologische Figurengruppen fast nur den Rang von Staffagefiguren einnehmen. Auch auf Breughels Bild Sturz des Ikarus von 1558 ist das eigentliche – mythologische – Thema an den äußersten Rand gerückt zu Gunsten der Darstellung einer weiten Landschaft im Licht der Morgensonne, zu deren harmonischem Einklang auch der tätige Mensch gehört.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kam es in Bologna u. a. durch die Carracci unter dem Eindruck der venezianischen Malerei zu einer Neubegründung der Landschaftsdarstellung. Annibale Carracci veränderte seine strenge, am Manierismus orientierte Malweise und verband genaues Naturstudium mit einer venezianischen Farbigkeit. 1595 verlegte er seine Werkstatt nach Rom. Von 1596 stammt sein Gemälde Fischfang, das in seiner dramatischen Lichtinszenierung, seiner expressiven Farbigkeit und der Bewegtheit der Figuren auf das Barock verweist. Seine Malweise war von großem Einfluss auf die römischen Malerkollegen und in Bezug auf die Landschaftsmalerei insbesondere auf Nicolas Poussin und Claude Lorrain.
Bis ins frühe 17. Jahrhundert bleiben Landschaften in der Tafelmalerei und auf Freskos auf den Hintergrund beschränkt. Eine Weiterentwicklung erfuhr die Landschaftsmalerei in Rom durch eine Gruppe von Malern um den Frankfurter Adam Elsheimer.
Er absolvierte eine fünf Jahre dauernde Ausbildung in seiner Heimatstadt bei dem Maler Philipp Uffenbach, der ihn mit den Werken Albrecht Dürers und Matthias Grünewalds bekannt machte. Zudem beeinflussten ihn die niederländischen Landschaftsmaler Lucas van Valckenborch und Gillis van Coninxloo.
1598 verließ er Frankfurt und ging nach München, wo er in der Werkstatt von Johann Rottenhammer arbeitete und die Werke der venezianischen Malerei kennenlernte. Nach einem weiteren Studienaufenthalt in Venedig ließ er sich im Jahr 1600 in Rom nieder, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Er heiratete 1606 Carla Antonia Stuart (ital.: Stuarda), eine Frankfurterin schottischer Herkunft. Elsheimer lebte ständig in finanziell beengten Verhältnissen. Einer seiner „Schüler“ war Hendrick Goudt, der sieben seiner Gemälde in Form von Kupferstichen europaweit bekanntmachte. Diese Bekanntschaft trug jedoch auch zum Untergang Elsheimers bei. Goudt war nicht nur Gast, Schüler und Mäzen; angeblich brachte er ihn auch in den Schuldturm, Beweise dafür gibt es aber nicht.
Als Elsheimer mit nur 32 Jahren an den Folgen der Haft verstarb, stand er in hohem Ansehen; die römische Malergilde trug ihn feierlich zu Grabe. Aus Rubens’ Brief an Dr. Faber: „… eine der grausamsten Nachrichten, nämlich des Todes unseres geliebten Adam, der mich auf das schmerzlichste traf. Nach einem solchen Verlust sollte sich unsere ganze Zunft in tiefe Trauer hüllen … Er ist in der ganzen Kraft seines Könnens gestorben und seine Ernte stand noch in ihren Keimen.“
Der Maler wurde in der römischen Kirche San Lorenzo in Lucina begraben. Sein Grabdenkmal ist nicht erhalten. Im Jahr 2010 wurde nach Beendigung der Ausgrabungen in dieser Kirche vorne am ersten linken Pfeiler eine Gedenktafel aus Marmor angebracht, die ihn rühmt als einen der Ersten, die beim Malen des Sternenhimmels ein Teleskop verwendeten.
Weitere Schüler waren Paul Juvenell der Ältere und Johann König.
Während seiner Lehrzeit in Frankfurt dürfte Elsheimer von Gemälden von Albrecht Dürer (Heller-Altar), Hans Holbein d. Ä. und Matthias Grünewald beeinflusst worden sein. In Venedig lernte er die Arbeiten von Tintoretto und Veronese kennen und arbeitete bei Hans Rottenhammer als dessen Werkstattgehilfe. In Rom wiederum sah er die Hell-Dunkel-Malerei Caravaggios.
Seine meist kleinen Bilder sind – wie bei Rottenhammer – überwiegend auf Kupfer und in miniaturhaft feiner Ausführung unter Zuhilfenahme einer Lupe gemalt. Seine Federzeichnungen und Radierungen zeugen von Einfühlungsvermögen und künstlerischer Selbständigkeit. Er bevorzugte religiöse und mythologische Themen, häufig verbunden mit Landschaften in „romantischer“ Beleuchtung und poetischer Stimmung. Mit dieser verband er einen neuen Realismus und begründete damit einen neuen Stil in der europäischen Landschaftsmalerei. Elsheimer markiert damit die Abkehr vom Manierismus.
Aufgrund seines frühen Todes und seiner langsamen Malweise, die auch von Depressionen behindert wurde, hat er nur wenige Werke hinterlassen. Bisher sind 40 Gemälde und 30 Zeichnungen und Gouachen bekannt. Die 7 Tafeln des Frankfurter Kreuzaltares sind eines seiner Hauptwerke. Es galt lange Zeit als verschollen. 1951 bis 1981 erwarb das Städelsche Kunstinstitut die einzelnen Tafeln Stück für Stück. Dank einer ausführlichen Beschreibung und Zeichnung aus der Entstehungszeit konnte der Altar rekonstruiert werden.
Seine Gemälde belegen eine ungewöhnliche künstlerische Spannweite: in der Taufe Christi verband er altdeutsche Landschaftsmalerei mit hochbarockem Raumgefühl; seine Procris nahm die Erotik Poussins und Rubens’ vorweg; vor Elsheimer gab es keine Darstellung der himmelweiten Landschaft wie in der Aurora
„Seit Jahrzehnten hat die Literatur sich darum bemüht, die Bilder zwischen Elsheimer, seinen Mitarbeitern, seinen Nachfolgern, seinen Kopisten aufzuteilen...wobei manche Zu- und Abschreibungen immer noch ungesichert sind.“
Adam Elsheimer war der erste Maler, der den Sternenhimmel fast naturgetreu dargestellt hat. Zwar sind die Sternbilder keineswegs mit der Genauigkeit eines Himmelsatlas wiedergegeben, doch malte Elsheimer als erster Künstler die Milchstraße als eine Ansammlung unzähliger einzelner Sterne (eine damals revolutionäre Vorstellung) und stellte den Mond „auf den Kopf“ (ein Indiz für ein Instrument), mit Details, die mit bloßem Auge unsichtbar wären. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat er im Sommer 1609 den Himmel über Rom mit einem Fernrohr oder einem Hohlspiegel betrachtet. Seine Beobachtungen brachte er auf dem Bild Die Flucht nach Ägypten zum Ausdruck.
Zu der Gruppe zählte der Niederländer Paul Bril, der sich schon seit 1582 in Rom aufhielt. Er hatte sich auf idealisierte Landschaften spezialisiert, in denen ausgewählte Elemente realer Landschaften zu einer Ideallandschaft komponiert sind. Kulissenartig aufgebaute Partien im Vordergrund oder Repoussoirs aus Bäumen und Architekturen eröffnen die Sicht in eine weite Ferne. Menschen auf den Bildern sind nur noch Staffage. Ab 1600 lebte auch der Frankfurter Elsheimer, der mit Bril befreundet war, in Rom. Elsheimer malte kleinformatige Landschaftsbilder auf Kupfergrund voller winziger Details, angereichert mit mythologischen oder biblischen Szenen, die sich durch eine metallische Farbigkeit auszeichnen. Sein Umgang mit unterschiedlichen Lichtquellen im Bild, zum Beispiel in seinem berühmten Nachtstück Die Flucht nach Ägypten von 1609, ist ein wesentliches Mittel für die Wirkung seiner Landschaften.
Die Bilder Annibale Carraccis, Adam Elsheimers und Paul Brils waren von fundamentaler Bedeutung für die Landschaftsbilder von Nicolas Poussin und Claude Lorrain.
In Deutschland wird dies im 16. Jahrhundert von der Donauschule um Albrecht Altdorfer aufgegriffen und weiterentwickelt. Im Gegensatz dazu entwickelt sich zur gleichen Zeit in Italien die „klassische“ Landschaft, ein arkadisch anmutender, idealisierender Landschaftstypus, oft mit mythologischen Themen. Künstler, die sich vornehmlich dieser „Unterart“ der Landschaftsdarstellung widmen, sind Annibale Carracci in Italien, der Flame Paul Bril und der aus Deutschland stammende Adam Elsheimer. Zur Vollkommenheit geführt wird die klassische Landschaft im 17. Jahrhundert schließlich durch Claude Lorrain und Nicolas Poussin. Auch in Holland ist das 17. Jahrhundert äußerst fruchtbar im Bereich der Landschaftsmalerei. Dort wird die Schönheit des eigenen Landes entdeckt und es entstehen Werke, die sich in realistischer Weise mit der typisch holländischen Küstenlandschaft auseinandersetzen, worin die menschliche Gestalt nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Der Weite des Himmels mit den sich immer wieder verändernden Wolkenformationen wird hierbei erstmals besondere Aufmerksamkeit zuteil. Man denke nur an die exemplarischen Gemälde von Jan van Goyen und Jacob van Ruisdael.
Laubwald mit dem Heiligen Georg ist ein Gemälde Altdorfers aus dem Jahr 1510 und zeigt eine Szene aus der Drachentöterlegende des Heiligen Georg. Ein Alternativtitel ist Drachenkampf des heiligen Georg.
Das Bild zeigt im unteren Viertel den schwarz gerüsteten Heiligen auf weißem Pferd und daneben einen eher unscheinbaren roten Drachen. Das Pferd erschrickt vor dem Untier, das Georg mit gesenkter Lanze starr betrachtet. Den restlichen Raum füllt größtenteils Laubwerk aus; in der rechten unteren Bildhälfte lichtet sich der Wald und gibt den Blick auf eine Landschaft mit Feldern und Bergen frei. Das kleinformatige Bild ist mit Ölfarben auf Pergament gemalt; eine solche Kombination ist recht ungewöhnlich. Altdorfer verwendet die seit dem 16. Jahrhundert bekannte Alla-Prima -Technik, die auf schichtweisen Aufbau, also Untermalung und Lasur, verzichtet, nur die gelbgrünen Laubschnörkel sind ins Dunkel gemalt und die Glanzlichter darin gehöht.
Seit Beginn des 16. Jahrhunderts gewinnen Landschaftsdarstellungen immer mehr an Bedeutung und religiös/mythologische Motive treten in den Hintergrund, auch Altdorfer scheint die Naturdarstellung bevorzugt zu haben. Er wählt überdies einen Wald als Schauplatz und nicht etwa den Platz vor einer Höhle oder eines Sees, auch trifft sein Georg auf den Drachen, aber tötet ihn nicht. Schließlich fehlt die Königstochter Margarete die der Heilige rettet. Der Entschluss Altdorfers die Szene in einen Wald zu verlegen könnte teilweise auf die Legenda aurea zurückgehen: Dort heißt die bedrohte Stadt Silena und ihre Einwohner Silenen. Dies dürfte eine Umdeutung der ehedem waldbewohnenden kentauren ähnlichen Elementargeister der Satyroi und der Silenoi sein, seit dem 4. Jahrhundert ist außerdem der Waldgott Silenos bekannt, der Lehrer des Dionysios.
Der Umstand dass Georg den Drachen nicht bekämpft, sondern starr betrachtet kann ein Bezug auf den griechischen Drachentötermythos des Kadmos sein, denn darin wird eine fatale Prophezeiung ausgesprochen: In den Metamorphosen wird erzählt, dass Jupiter in Gestalt eines weißen Stieres Europa, die Tochter des Agenor, entführt hatte. König Agenor schickte nun seinen Sohn Kadmos aus und befahl ihn nur dann zurückzukehren, wenn er Europa gefunden hätte. Nach langer erfolgloser Suche nahm der nunmehr Verbannte das unberührte Land Böotien als neue Heimat in Besitz. In einem dichten Wald erstach er eine riesige Schlange des Mars, die zuvor seine Diener getötet hatte.
Tatsächlich wird am Ende seines Lebens Kadmos zusammen mit seiner Frau Harmonia in eine Schlange verwandelt. Jacobus de Voragine berichtet in seiner Legenda aurea, dass ein Drache in Libyen nahe der Stadt Silena in einem meergroßen See gehaust habe. Als die Städter hinauszogen um ihn zu töten, kam der Drache bis zu den Stadtmauern und tötete viele mit seinem Gifthauch. Um das Untier zu besänftigen, beschlossen die Bewohner ihm täglich zwei Schafe zu opfern und als die Tiere knapp wurden, ein Schaf und einen Menschen. Eines Tages fiel das Los auf die jungfräuliche Königstochter. Der Herrscher wollte dies verweigern, aber das Volk drohte dafür sein Schloss anzuzünden. Die Königstochter wurde zu einem Felsen am Seeufer gebracht, wo sie ihr Schicksal erwarten sollte. Dort ritt der aus kappadokischen Geschlecht stammende Georg vorbei, dem sie alles erzählte. Trotz ihrer eindringlichen Warnungen beschloss Georg das Untier zu töten. Als dieses aus dem See kroch, ritt er darauf zu und machte es mit einem Lanzenstich vorerst unschädlich. Nun legte die Königstochter auf Geheiß Georgs ihren Gürtel um den Hals des Ungeheuers und führte es in die Stadt. Die Städter flohen panisch, aber Georg bot an den Drachen zu töten, wenn sich alle taufen ließen. Nachdem 20.000 Bewohner, Frauen und Kinder nicht mitgezählt, getauft waren tötete Georg das Untier mit dem Schwert und befahl den Kadaver aus der Stadt zu schaffen. Dazu waren vier Ochsenpaare nötig. Der König ließ zu Ehren der Muttergottes und Georgs eine Kirche errichten, aus deren Altar eine Heilquelle sprudelte. Georg selbst jedoch ließ alle Geldgeschenke des Königs den Armen geben und trug ihm auf Kirche und Priester zu beschützen, die Heilige Messe zu hören und den Armen Almosen zu geben. Danach ritt er davon.
Tatsächlich wird am Ende seines Lebens Kadmos zusammen mit seiner Frau Harmonia in eine Schlange verwandelt. Jacobus de Voragine berichtet in seiner Legenda aurea, dass ein Drache in Libyen nahe der Stadt Silena in einem meergroßen See gehaust habe. Als die Städter hinauszogen um ihn zu töten, kam der Drache bis zu den Stadtmauern und tötete viele mit seinem Gifthauch. Um das Untier zu besänftigen, beschlossen die Bewohner ihm täglich zwei Schafe zu opfern und als die Tiere knapp wurden, ein Schaf und einen Menschen. Eines Tages fiel das Los auf die jungfräuliche Königstochter. Der Herrscher wollte dies verweigern, aber das Volk drohte dafür sein Schloss anzuzünden. Die Königstochter wurde zu einem Felsen am Seeufer gebracht, wo sie ihr Schicksal erwarten sollte. Dort ritt der aus kappadokischen Geschlecht stammende Georg vorbei, dem sie alles erzählte. Trotz ihrer eindringlichen Warnungen beschloss Georg das Untier zu töten. Als dieses aus dem See kroch, ritt er darauf zu und machte es mit einem Lanzenstich vorerst unschädlich. Nun legte die Königstochter auf Geheiß Georgs ihren Gürtel um den Hals des Ungeheuers und führte es in die Stadt. Die Städter flohen panisch, aber Georg bot an den Drachen zu töten, wenn sich alle taufen ließen. Nachdem 20.000 Bewohner, Frauen und Kinder nicht mitgezählt, getauft waren tötete Georg das Untier mit dem Schwert und befahl den Kadaver aus der Stadt zu schaffen. Dazu waren vier Ochsenpaare nötig. Der König ließ zu Ehren der Muttergottes und Georgs eine Kirche errichten, aus deren Altar eine Heilquelle sprudelte. Georg selbst jedoch ließ alle Geldgeschenke des Königs den Armen geben und trug ihm auf Kirche und Priester zu beschützen, die Heilige Messe zu hören und den Armen Almosen zu geben. Danach ritt er davon.
Voragine erwähnt anschließend eine weitere Version, nach der Georg den Drachen sofort getötet habe, als dieser die Königstochter angriff.
Gemälde, die nach streng rationalen Prinzipien aufgebaut sind, deren idealisierte Landschaft in ein mildes Licht getaucht sind, deren Architekturen der klassischen Antike entnommen sind und deren Figuren vorzugsweise aus der antiken Mythologie oder auch aus der Welt der Bibel stammen, werden mit dem Begriff heroische Landschaften bezeichnet. Hauptvertreter dieser Art von Landschaftsmalerei war der seit 1624 in Rom lebende Franzose Nicolas Poussin.
Der zweite hervorragende Landschaftsmaler in Rom war der ebenfalls aus Frankreich stammende Claude Lorrain, seit 1613 dort ansässig. Lorrains Bilder, ebenfalls nach rationalen Formprinzipien aufgebaut, mit ländlichem oder biblischem Personal als Staffagefiguren, den typischen Repoussoir aus Gehölzen oder antiken Architekturen, die häufig den Blick auf ein Meer, das im Glanz von Abend- oder Morgensonne schimmert, öffnen, werden wegen ihrer heiteren Grundstimmung idyllisch-arkadische Landschaften genannt.
Über die Kindheit von Lorrain ist wenig bekannt. Er arbeitete zunächst als Pastetenbäcker und dieser Beruf führte ihn wohl schon früh nach Italien. Mit 13 Jahren lebte er in Rom. Dort begann er eine Lehre bei Agostino Tassi, der illusionistische Deckengemälde entwarf. Es ist möglich, dass Lorrain Tassi bei der Ausgestaltung der Villa Lante des Kardinal Montalto in Bagnaia geholfen hat. Ebenso ungesichert, aber wahrscheinlich, ist sein Aufenthalt in Neapel beim flämischen Landschaftsmaler Gottfried Wals. 1625 kehrte er nur kurz nach Frankreich zurück. Hier arbeitete er als Gehilfe von Claude Deruet an den Fresken der Karmeliterkirche in Nancy mit. Danach ging er wieder nach Rom – diesmal für immer.
Um 1630 malte er dort Fresken im Palazzo Crescenzi, danach malte er nur noch an der Staffelei. Daneben arbeitete er bis auf einen Gehilfen stets allein. Lorrain war ein sehr nachdenklicher Mensch, der ein intuitives Gespür für Themen hatte. Biblische oder mythologische Sujets setzte er in einfühlsame bildliche Szenerien um. In diesen Jahren hatte er sich auch als führender Landschaftsmaler etabliert. Lorrain wohnte zu Füßen des Hügels, auf dem die Kirche Santissima Trinità dei Monti steht. Ab 1635 wird die Dokumentation zu Lorrains Schaffen besser, denn der Künstler selber führte nun Buch über seine Aufträge. Neben einfachen Bürgern zählten auch die herrschenden Päpste, neben deren Familien und Gefolgschaft zu seinen Kunden. Im selben Jahr erhielt er einen Auftrag von Philipp IV. von Spanien. Lorrain steuerte mindestens sieben große Landschaftsbilder zur Ausgestaltung seines Palastes bei. Der religiösen Thematik entsprechend, passte er Charakter und Stimmung der Landschaften einfühlsam an.
Die groß angelegten Gemälde verführten ihn zu einem schwungvollen, kühnen und monumentalen Stil, der im Gegensatz zu den früheren, in nördlicher Tradition eher kleinen, detaillierten Werken steht. Sein Biograph Joachim von Sandrart schilderte, wie sie mit anderen Künstlern durch die nähere Umgebung Roms streiften und Skizzen anfertigten. Oft führten diese Ausflüge tief in die Landschaft an malerische Plätze. Berühmt war zu dieser Zeit der Tempel der Sibylle in Tivoli, der sich in vielen Werken Lorrains wieder findet. Trotz präziser Naturbeobachtung als Grundlage für sein Schaffen floss auch seine Fantasie in die Bilder ein. So idealisierte er die Natur, verzichtete auf alles Weltliche. Dadurch erscheinen seine Landschaftsbilder so ruhig und oft geradezu majestätisch.
Lorrain war zwar nie verheiratet, doch kam 1653 eine Tochter (Agnese) zur Welt. Ab 1660 nahm das Familienleben zu, denn zwei seiner Neffen lebten bei ihm. Mit zunehmendem Alter schuf er weniger Bilder. Dafür waren diese wenigen umso ausgereifter und für einen exklusiven Kundenkreis. Da die Wahl der Sujets oft den Auftraggebern überlassen war, die meist sehr gebildet waren oder gelehrte Ratgeber hatten, sind die Themen, die er verarbeitete, selten bis einmalig in der Kunstgeschichte. So malte er für den Herzog von Paliano, Lorenzo Onofrio Colonna, zehn große Bilder. Lorrains Stil wurde zum Schluss epischer und heroischer. Mit seinem letzten Bild („Ascanius erlegt den Hirsch der Silvia“) kehrte er noch einmal in die Heldenwelt von Vergils Aeneis zurück, das Thema, das ihn in seiner späteren Schaffensperiode sehr beschäftigte. 1682 starb Lorrain und wurde in der Kirche Santissima Trinità dei Monti beigesetzt, zu deren Füßen er Jahrzehnte gelebt hatte.
Um ein Landschaftserlebnis hervorzurufen, das den Bildern Claude Lorrains entsprach, benutzten Maler und Reisende des 18. Jahrhunderts als Hilfsmittel sogenannte Claude-Gläser. Bei diesen Gläsern handelt es sich um in Form und Tönung präparierte Hohlspiegel. Betrachtet man eine Landschaft in diesen Spiegeln – kehrte man also der Landschaft den Rücken – ergab sich im Hohlspiegel ein Landschaftseindruck, der sich in Proportionen und Farbgebung den gemalten Bildern anglich. Zwei Jahrhunderte später sieht Meyer's Konversations-Lexikon allerdings in seinem Stil die „bedenkliche Gefahr der Naturwidrigkeit“. Der Einfluss Claude Lorrains auf die Landschaftswahrnehmung seiner Zeit ging jedoch noch weiter, seine idealisierten Landschaftsbilder wurden Vorbild für die Landschaftsgestaltung. „Das bei Claude erreichte Gleichgewicht der Teile, die sichtbar gewordene Harmonie zwischen Mensch, Natur und Geschichte, wurde zum Vorbild nicht nur für viele Maler der kommenden Jahrhunderte, sondern auch für manchen Privatmann, sich seine Umgebung nach diesem Muster als Garten zu gestalten.“
Beide Maler galten als Vorbilder für die klassizistische Landschaftsmalerei und für die Maler heroischer Landschaften im 19. Jahrhundert. Im frühen 19. Jahrhundert wurde dieser Begriff für dramatisch-bewegte Landschaften und für Hochgebirgslandschaften übernommen. Poussins Schwager Gaspard Dughet konzentrierte sich dagegen auf die Wiedergabe realer Landschaften aus der römischen Campagna und der Gegend um Tivoli während der Neapolitaner Salvator Rosa eine Vorliebe für pittoreske und phantasievolle Landschaften pflegte, bei denen man eine Nähe zur romantischen Landschaftsmalerei erkennen könnte.
Nicolas Poussin (15.6.1594-19.11.1665) war ein französischer Maler des klassizistischen Barock.[239] Poussin wurde 1594 in Les Andelys geboren und wird schon früh als künstlerisch begabt eingeschätzt. Im Jahre 1612 siedelte er nach Paris über, das das künstlerische Zentrum Frankreichs dieser Zeit war. In den königlichen Kunstsammlungen studierte er Werke von Raffael und Tizian.
Er fühlte sich vor allem der spätmanieristischen Schule von Fontainebleau hingezogen.[240] Die Schule von Fontainebleau ist die Bezeichnung für eine Gruppe von Künstlern und für den von ihnen vertretenen Manierismus, die vom 16. bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts vom Schloss Fontainebleau, der bevorzugten Residenz des französischen Königs Franz I., ausging. Wurde Die Schule von Fontainebleau entwickelte sich zu einem Zentrum für die Verbreitung der Ideenwelt der Renaissance und der Kunst des Manierismus im nördlichen Europa. Die zweite Schule von Fontainebleau in den Jahren 1590-1620, zu der Ambroise Dubois aus Antwerpen und die Pariser Toussaint Dubreil, Antoine Caron und Martin Fréminet sowie eine Reihe anonymer Künstler zählten, verzichtete auf religiöse Malerei und bevorzugte stattdessen Themen aus der griechischen und römischen Mythologie, darunter auch erotische und sexistische Sujets.[241]
Einer seiner Förderer war der italienische Dichter Giambattista Marino, der Poussin für die griechische und römische Mythologie, insbesondere für die Metamorphosen Ovids begeisterte. Poussin fertigte für Marino 16 Federzeichnungen zu den Metamorphosen Ovids bzw. seinem Epos L’Adone, wo Marino in Versen die Liebesgeschichte von Venus und Adonis nachzeichnete, an.
Ab 1624 hielt Poussin sich hauptsächlich in Rom auf. Er fand dort Anschluss an den Kreis um den Bildungsphilister und Mäzen Cassiano dal Pozzo. Dal Pozzo gehörte zu einem Kreis von adligen Kunstsammlern, Gelehrten, Buchhändlern und Verlegern, die sich für die Antike, die Wissenschaften und die zeitgenössische Kunst interessierten. Ab 1623 war er Sekretär des Kardinals Francesco Barberini, eines Neffen Papst Urbans VIII.. Poussin studierte antike Kunstwerke auch in dal Pozzos Sammlung und Archiv. Dies führte dazu, dass er sich in der Folgezeit auf Bilder in kleineren Formaten mit mythologischen, religiösen, politischen und historischen Themen auseinandersetzte. Dal Pozzo selbst gab 40 Bilder bei Poussin in Auftrag; darunter die berühmten Sieben Sakramente und das Berliner Selbstbildnis. Wahrscheinlich im Auftrag des Kardinals Francesco Barberinis malte Poussin sein erstes aufsehenerregendes Werk, den „Tod des Germanicus“. Der „Tod des Germanicus” ist wahrscheinlich das eindrucksvollste Historienbild Poussins.[242]
Die an der klassischen Antike erinnernde Haltung der Figuren, die Harmonie der Posen und Linien mit den altertümlichen Gewändern und Rüstungen vor einer klassischen Architekturkulisse verleiht der Sterbeszene Erhabenheit und Realismus. Poussin galt spätestens seit diesem Bild als Schöpfer der ins Ideale und Erhabene gesteigerten klassischen Landschaften, in denen in antike Gewänder gehüllte bekannte Figuren in Natursituationen mit klassischen Bauten erscheinen. Anschließend entsteht das Bild „Triumpf der Flora“ für einen Kardinal. Danach lebt Poussin von Aufträgen für Altarbilder. Mitte der 1630er Jahre entstehen die „Anbetung des Goldenen Kalbes“ und der „Raub der Sabinerinnen“ im klassizistischen Stil.[243]
In Frankreich schaffte Poussin durch drei von Kardinal Richelieu bestellte Bilder „Triumph des Pan, des Bacchus und des Neptun“ seinen künstlerischen Durchbruch. 1641 kehrte Poussin auf Druck des französischen Königs Ludwig XIII. und des Kardinals Richelieus nach Paris zurück. Ludwig XIII gab Poussin den Posten des Direktors der Ausstattung der königlichen Bauten und beauftragte ihn mit der Ausmalung der Grande Salle im Louvre und mit Entwürfen für die Teppichweberei. Für Richelieu malte er das allegorische Bild „Die Zeit entzieht die Wahrheit den Angriffen des Neides“. Poussin konnte sich aber mit seiner Rolle und seinen Aufgaben am königlichen Hof nicht anfreunden. Seine herausragende Stellung erweckte den Neid anderer Künstler, was für heftige Spannungen sorgte. Dies führte dazu, dass Poussin bereits im Herbst 1642 Paris verließ und kehrte nach Rom zurückkehrte.
Ende der 1640er Jahre entwarf Poussin die mythologischen Landschaften Pyrymus und Thisbe sowie Orpheus und Eurydike. 1665 bekam er eine Nachricht vom französischen König Ludwig XIV., dass er als Erster Maler Frankreichs ausgezeichnet wurde. Kurz danach verstarb er und wurde in der Kirche San Lorenzo in Lucina beigesetzt.
Seine detaillierte Kenntnis antiker Quellen war die Voraussetzung dafür, dass in seinen Bildern die Figuren, Architektur, Gegenstände und Landschaften quasi originalgetreu wiedergegeben wurden. Poussin verwendete bevorzugt unvermischte Lokalfarben, die seinen Bildern Intensität und Reinheit verliehen. Poussin war ein Anhänger des Stoizismus, dessen Ideen über Tod, Leben und das Ausgeliefertsein der Menschheit an eine höhere Macht er in seinen Werken zum Thema machte. Die Tatsache, dass er sich im Zeitalter des Barocks an der Kunst der Antike orientierte, führte dazu, dass er in der Kunstgeschichte bevorzugt als Maler des Barock-Klassizismus eingeordnet wurde.[244]
Die beiden Bilder der arkadischen Hirten gehören mit zu den bekanntesten Werken Poussins.[245] Die schwer zugängliche Landschaft Arkadien auf dem Peloponnes galt schon in der Antike als glücksseliges ruhiges Hirtenland. Das von Theokritos in den Eidyllia verherrlichte sizilianische Bauerntum wurde von Vergil auf die griechische Landschaft Arkadien auf dem Peloponnes übertragen. Für Vergil war Arkadien das Ursprungsland der Dichtung und der Musik.[246] Der Realismus des Hirtenlebens in den Gedichten von Moschos und Bion von Smyrna weicht einer Verklärung und Idealisierung desselben als ein idyllisches und sorgenfreies Leben.
In der Zeit des Hellenismus wurde die Zuschreibung erweitert; Arkadien war nun auch der Ort des Goldenen Zeitalters, wo die dort lebenden Menschen unbelastet von schwerer Arbeit und Kriegen naturverbunden als glückliche Hirten wohnten.[247] Ohne dass jemand eine exakte Vorstellung über Arkadien entwickelte, galt das Land als Symbol für die Schilderung eines idyllischen Landlebens.
Zwischen Mitte des 15. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts griff die Literatur in Europa den Sehnsuchtsort Arkadien auf. Mindestens 100 verschiedene Phantasien des mythischen Hirtenlandes sind allein in Italien überliefert. Größere Berühmtheit erlangten die volkssprachlichen Schäferdichtungen Jacopo Sannazaros Arcadia aus dem Jahre 1502. Konstituierend für das Genre und von großer Wirkung auf die gesamteuropäische Produktion wurde aber Jorge de Montemayors Diana aus dem Jahre 1559. Nach seiner Ausbreitung vor allem in Großbritannien und Italien erreichte das Genre mit Honoré d´Urfés L´Astrée (1607-1627) in Frankreich einen Höhepunkt.
Die griechische Landschaft Arkadien wurde in der Renaissance und im Barock zum Symbol für das Goldene Zeitalter, wo die Menschen als freie Hirten im Einklang mit der Natur lebten und sich der Ruhe, der Dichtung, der Musik und der freien Liebe hingaben. Hier diente Senecas Vorstellung vom Goldenen Zeitalter als Orientierungspunkt.[248] Laut Seneca gab es ein Goldenes Zeitalter, wo das eine Grundübereinstimmung zwischen der äußeren Natur und dem Menschen bestand. Die Natur stellte dem Menschen das zur Verfügung, was seinen wahren Bedürfnissen entspricht. Dieser Zustand änderte sich erst, als die Habsucht und die widernatürliche Begierde nach Überflüssigem aufkamen und die Genussgier den Anreiz zu Erfindungen bot. In Senecas Tragödie Medea ist die mythische Argonautenfahrt der Ausdruck des menschlichen Strebens nach Beherrschung des Meeres durch die Seefahrt, deren Einführung das Ende des urzeitlichen Einklangs von Mensch und Naturordnung markiert. Noch heute gibt es eskapistische Darstellungsmuster, die Arkadien als Ort mit einem glücksseligen einfachen Leben gleichsetzen. Vor allem in der Ökologiebewegung seit 1980 wurde das Motiv Arkadiens wieder rezipiert.
Das erste Bild zu dem Satzfragment „Et in Arkadia ego“ entwarf um das Jahr 1620 der italienische Maler Guernico. Die Inschrift „Memento mori“ ist auf einem Mauerstück geschrieben, auf dem ein Totenkopf liegt. Der Totenkopf, der mit den beiden Hirten den Mittelpunkt des Bildes ausmacht, ist als Symbol für die Vergänglichkeit zu verstehen. Die Inschrift mahnt die Hirten inmitten der idyllischen Landschaft an den Tod, der jedes glückliche Leben einmal beendet.[249]
In zwei Gemälden mit dem Titel „Die Hirten von Arkadien“ griff Poussin die Thematik auf und entwickelte sie durch Eingriffe in die Komposition wesentlich weiter. Die entscheidendste Veränderung Poussins ist, dass er das Mauerstück durch einen Sarkophag ersetzt.
Poussin malte zwei dem Bild Guernicos ähnliche Fassungen.[250] Das erste Bild mit der Grabinschrift „Et in Arkadia ego“ entstand um 1630. Dort werden zwei Hirten und eine Schäferin gezeigt, die auf die Inschrift an einem Sarkophag mit Totenschädel gestoßen sind. Im Vordergrund ist ein Flussgott zu sehen, der durch Arkadien fließt.
Das zweite Bild mit demselben Titel und derselben Grabinschrift entstand vermutlich zwischen 1650-1655. Das Bild ist geometrisch aufgebaut und vermittelt eine viel positivere Stimmung als das erste. Die Inschrift „Et in Arkadia ego“ befindet sich nicht mehr auf einem Sarkophag, sondern auf einem schlichten Monument. Diesmal werden drei Hirten und eine Frau in einem prunkvollen Gewand abgebildet. Poussin betrachtet sie einzeln, es ist keine Gruppe mehr. Über Kreuz treten sie Figuren in Verbindung und scheinen miteinander zu kommunizieren. Sie betrachten die Inschrift, wo der Totenkopf fehlt. Der Arm eines knienden Hirten wirft einen sensenförmigen Schatten auf die Inschrift, wobei die Sense als Symbol des Todes gedeutet werden kann.
Im zweiten Bild wird in einer symbolischen Ebene der Tod analog der Wirklichkeit gesetzt; die Präsenz des Todes inmitten eines idyllischen Lebens wird Teil der Realität gesehen.[251] Das Schöne, wie von Platon in den Enneaden als ewig, unwandelbar und zeitlos dargestellt, wird von Poussin als vergänglich demaskiert.
Die beiden Bilder mit den arkadischen Hirten werden kontrovers diskutiert. Johannsen bemerkt: „Es ist die mit der Benennung der Dinge und mit der Reflexion einsetzende Bewusstwerdung des Menschen, die Poussin (…) malt; der Verlust der Unschuld, auch die Vertreibung aus dem Paradies. Einmal ihrer selbst bewusst, vom Tod wissend, werden die Hirten nie mehr nach Arkadien zurückkehren können, es nicht mehr finden.“[252] Alf Hermann hat folgenden Deutungsansatz: „Statt des Todes scheint nun der Tote zu uns zu sprechen, der hier seine ewige Ruhe gefunden hat. ‚Auch ich war in Arkadien‘ teilt er uns wehmütig mit, war also ein Mensch, der die Annehmlichkeiten des Lebens in vollen Zügen genossen hat und nun diejenigen, die noch am Leben sind, an die Vergänglichkeit ihres Aufenthalts auf Erden erinnern.“[253]Aus psychoanalytischer Sicht deuten Becht-Jördens und Wehmeier das Bild folgendermaßen: Weil der Tod selbst in Arkadien herrscht, seine Herrschaft also keine Grenzen kennt, herrscht auch die Malkunst dort und überall da, wo er am Werk ist. Denn er bzw. das Bewusstsein seiner unausweichlichen Realität sei es, weswegen der Mensch der Kunst und des Trostes bedürfte, den sie aufgrund ihrer Befähigung zur Repräsentanz des Abwesenden gewährt.[254]
Es gab eine breite Rezeption von Poussins arkadischen Hirten mit der Inschrift „Et in Arcadia ego“ Schillers Gedicht „Resignation“, das 1787 abgedruckt wurde, beginnt mit den Worten „Auch ich war in Arkadien geboren“. Carl Wilhelm Kolbes Werk aus dem Jahre 1801 trug den Titel „Auch ich war in Arkadien“, zwischen 1834 und 1838 schrieb Joseph von Eichendorff eine Erzählung mit dem gleichnamigen Titel. Ingeborg Bachmann schrieb 1952 einen Roman mit dem Titel „Auch ich habe in Arkadien gelebt“. Das 2. Streichquartett von Moritz Eggert aus dem Jahre 1997 nannte sich „Et in Arcadia ego“.[255]
Poussin galt bis ins 20. Jahrhundert als einer derbedeutendsten Maler der französischen Barockzeit. Nachfolgende Künstler wie Cezanne, Picasso, Francis Bacon und Lüpertz beschäftigten sich intensiv mit seinen Werken. Die Beschäftigung Cézannes mit Poussin lässt sich mit dem berühmten Ausspruch Cézannes „refaire Poussin sur nature“ und „eine Kunst wie die der Museen“[256] gut charakterisieren. Dies bedeutet keine Rückkehr zum Klassischen der alten Kunst“ beschreiben. Durch ein intensives Studium der Werke Poussins entwickelte Cézanne Erkenntnisse für das eigene „in seiner Originalität durchaus voraussetzungsloses Schaffen“.[257]
Diese Rückbesinnung auf alte Traditionen geht jedoch von der Gegenwart aus und will diese weiterentwickeln. Machotka fasst zusammen:„But for Cézanne classicism meant not a return to tradition, but the logical expression of his sensation, inspired by the systematic methods of earlier artists.“[258] Eine große Poussin-Ausstellung im Louvre im Jahre verlieh ihm posthum erneutes Prestige und erneuerte die Auseinandersetzung mit seinen Werken und Ideen.
In Flandern hat sich seit dem 16. Jahrhundert eine Landschaftsmalerei eigener Prägung entwickelt. Hierbei ist zunächst der Gedanke der „Weltlandschaft“ vorherrschend, die von einem erhöhten Standpunkt aus einen panoramaartigen Ausblick über eine mit unzähligen Details ausgefüllte Landschaft bietet. In diesem Bereich bringt es vor allem Joachim Patinir zu ausgesprochener Meisterschaft. Daraus gehen später Phantasie- und Waldlandschaften, sowie topographische Landschaften hervor, die dann in den moralisierenden Bildern Pieter Bruegels ihren ersten Höhepunkt erreichen. Im 17. Jahrhundert wird dieser Weg fortgeführt und gipfelt schließlich in den dramatisch beleuchteten und atmosphärisch gestimmten Landschaften Peter Paul Rubens’.
In seiner vornehmlichen Beschäftigung mit der Landschaftsdarstellung steht Aelbert Cuyp in der Tradition der europäischen Landschaftsmalerei, wobei sich diese im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten Bildgattungen entwickelt hat. Während sie in früheren Jahrhunderten als einer niederen Gattung zugehörig betrachtet wurde (mit der Historienmalerei als Maß aller Dinge), hat sie sich bis in unsere Zeit kontinuierlich hochgearbeitet, so dass man jetzt davon sprechen kann, dass die Landschaft den wichtigsten Platz innerhalb der Bildgattungen einnimmt.
Bezüglich seiner Lebenszeit ist Aelbert Cuyp voll und ganz ein Mensch des 17. Jahrhunderts. 1620 geboren, stirbt er 1691, kurz vor Ende desselben Jahrhunderts. Um das Besondere seiner Kunst vollständig würdigen zu können, ist es wichtig, einen Blick auf die allgemeinen Entwicklungen – natürlich immer im Hinblick auf die Malerei, besonders die Landschaftsmalerei – im Europa des 17. Jahrhunderts zu werfen. Das 17. Jahrhundert wird in der Kunstgeschichte allgemein als das Jahrhundert des Barock bezeichnet, das die Kunst Europas von ca. 1580 / 1600 bis ca. 1750 umfasst. Der Begriff „Barock“ selbst lässt sich vom portugiesischen Wort „barucca“ ableiten, das eine unregelmäßig geformte Perle bezeichnet. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird „Barock“ als Stilbegriff für die Epoche des 17. Jahrhunderts verwendet. Ausgangspunkt für den Barock ist Italien. Von dort breitet er sich Ende des 16. Jahrhunderts als bewusste Abkehr vom Manierismus aus und findet dann in ganz Europa seine unterschiedlichsten, nationalen Ausprägungen. Beeinflusst durch die sich anbahnenden politischen, gesellschaftlichen und religiösen Veränderungen in ganz Europa reagieren einige Länder früher, andere später auf diesen neuen Stil.Die das 17. Jahrhundert prägenden Kräfte, der Absolutismus und die Bewegung der Gegenreformation, nehmen nicht unwesentlich Einfluss auf die Entwicklung des Barock. Die absolutistischen Herrscher sowie die Kirche versuchen, ihre Macht durch gewaltige Bauvorhaben und prachtvolle künstlerische Ausstattung von Gebäuden plastisch zu demonstrieren. Kennzeichnend für diese auf Repräsentation und Selbstverherrlichung zielende Kunst ist dabei sowohl in der Architektur als auch in Malerei und Skulptur eine Bewegtheit der Formen, die Tendenz zum Illusionismus und zur Darstellung des Außerordentlichen, kontrastreiche Farbigkeit und Lichtführung sowie eine starke Dynamik in der Komposition. Der Versuch, ein gefälliges Gesamtkunstwerk durch eine Synthese der einzelnen Kunstgattungen zu erreichen, ist ein weiteres typisches Merkmal des Barock.
Im Bereich der Malerei zeigen sich besonders deutlich die national unterschiedlichen Ausprägungen des 17. Jahrhunderts. In Italien besinnt man sich, in Abkehr zum Manierismus mit seinen unnatürlichen Proportionen, zurück auf die Antike sowie die Renaissance und widmet sich der naturgetreuen Darstellung. Dabei lassen sich zwei Richtungen unterscheiden. Die eine bildet sich um Annibale Carracci, der sich an antiken Bildmotiven orientiert, die andere um Michelangelo da Caravaggio, der eine realistische Darstellung in extremem Hell-Dunkel bevorzugt. In Frankreich werden die Neuerungen Caravaggios aufgegriffen, später jedoch bald überwunden und durch die von der kurz zuvor gegründeten Pariser Akademie festgelegten Ideale ersetzt. In Anlehnung an die Antike entstehen nun die klassischen Landschaften Claude Lorrains und Nicolas Poussins. Erst durch diese neuartigen Landschaftsgemälde Lorrains, die u.a. bei der europäischen Aristokratie sehr beliebt waren, wird die Landschaftsmalerei nach und nach nicht mehr als untergeordnete Gattung betrachtet, sondern als eine, die durchaus neben der damals so hochgeschätzten Historienmalerei bestehen kann.
In Spanien sind ebenfalls die Neuerungen Caravaggios bestimmend. Sie werden besonders von Francisco de Zurbaran und Jusepe de Ribera aufgegriffen und in ein spezifisch spanisches Idiom übersetzt. Durch die beherrschende Stellung der katholischen Kirche und die zahlreichen Orden überwiegen hier besonders die religiösen Themen. Diego Velázquez wendet sich dann von dem extremen Hell-Dunkel Caravaggios ab zugunsten einer skizzenhaften Malweise mit reduzierter Farbigkeit. Es lässt sich erkennen, dass das 17. Jahrhundert mit seiner dekorativen Fülle und seinem Überschwang, geprägt von den auf Repräsentation fokussierten absolutistischen Herrschern sowie den Glaubenskämpfen, an sich nicht die idealen Vorraussetzungen zur Entwicklung einer herausragenden Landschaftsmalerei bietet.
Gemessen an den allgemein im 17. Jahrhundert vorherrschenden künstlerischen Bedingungen bezüglich Auftraggeber, Themenwahl und Malweise erscheint es umso erstaunlicher, dass sich zu dieser Zeit in den Niederlanden eine völlig andere Art und Weise der Malerei, besonders auch der Landschaftsmalerei, herausbildet. Dies ist unter anderem auf die besonderen historischen Umstände, die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden herrschen, zurückzuführen. Auf diese soll deshalb zunächst kurz eingegangen werden.
In Bezug auf die Niederlande wird das 17. Jahrhundert als das „goldene Zeitalter“ bezeichnet. Dies lässt sich nicht nur auf die Kunst (insbesondere die Malerei) anwenden, sondern auch im Allgemeinen. Die Niederlande können sich durch den achtzigjährigen spanisch-niederländischen Unabhängigkeitskrieg (1586-1648) als Großmacht innerhalb Europas etablieren und zur führenden See- und Handelsnation aufsteigen. Im Westfälischen Frieden 1648 wird dann auch die endgültige Teilung der Niederlande sanktioniert. Im Norden liegt nun die protestantische Republik der Vereinigten Niederlande, auch Generalstaaten genannt (bestehend aus den Provinzen Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Groningen, Friesland, Overijssel), im Süden befinden sich die katholischen Niederlande (Flandern, Brabant, Limburg), die weiter unter spanischer Herrschaft bleiben.
Diese Spaltung hat auch Auswirkungen auf die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. In den nach wie vor katholisch geprägten, südlichen Niederlanden herrschen immer noch kirchliche und adlige Auftraggeber vor, was nicht unwesentlich Einfluss auf die Wahl der Motive hat. Religiöse Bildthemen werden weiter bevorzugt. In den protestantischen, nördlichen Provinzen (Holland fällt dabei schnell die Führungsrolle zu) dagegen entwickelt sich das Bürgertum zur wichtigsten Schicht der Auftraggeber. Hier werden profane Themen bevorzugt, was auch zu einem Aufschwung der bisher eher abschätzig betrachteten Gattungen, wie Stillleben-, Genre- oder Landschaftsmalerei führt.
Dabei sollte jedoch nie vergessen werden, dass Unterschiede zwischen der Malerei im Norden der Niederlande (holländische Malerei) und im Süden (flämische Malerei) zwar vorhanden sind, diese sich aber in vielen Bereichen auch wieder berühren (beispielsweise durch flämische Künstler, die nach Holland kommen), voneinander lernen und letztlich auch einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben.
Aufgrund dieser besonderen, historischen Umstände im niederländischen 17. Jahrhundert soll nachfolgend die spezifische Entwicklung der Landschaftsmalerei, sowohl in Flandern als auch in Holland, mit ihren wichtigsten Künstlern kurz skizziert und Aelbert Cuyp mit seinem Werk dort positioniert werden.
Den Ausgangspunkt für die Landschaftsmalerei in den Niederlanden bildet im 15. Jahrhundert das Stundenbuch des Duc de Berry der Gebrüder Limburg, welches Landschaft als Hintergrund für die einzelnen Monatsdarstellungen zeigt. Jan van Eyck (um 1390-1441) entwickelt dies weiter und setzt eine minutiös beobachtete Landschaft als Hintergrund in religiös inspirierten Gemälden ein. Als erster „richtiger“ Landschaftsmaler kann dann im 16. Jahrhundert der Flame Joachim Patinir (um 1475/80-1524) bezeichnet werden. Er entwickelt die sogenannte flämische Weltlandschaft, die sich durch einen weiten Panoramablick auszeichnet, mit erhöhtem Horizont, zum Teil mehreren Blickpunkten und einer Fülle von Details. Diese Landschaften erscheinen wie aus der Vogelperspektive betrachtet, das Hauptaugenmerk liegt darauf, einen Ausschnitt der Welt in seiner ganzen Fülle zu zeigen. Der Anspruch, einen topographisch korrekten Ausschnitt wiederzugeben, wird hier jedoch nicht erhoben. Wirklich naturalistisch sind diese Bilder noch nicht, Ansätze dazu lassen sich alleine in den Details finden. Dieser Bildtypus wird auch von Herri met de Bles (um 1480-1560/70) sowie Lucas Gassel (um 1495/1500-1568/69) aufgegriffen und entwickelt sich im flämischen Bereich zur auf lange Zeit vorherrschenden Bildgattung.
Auch Pieter Bruegel der Ältere (um 1525/30-1569) steht in der Tradition der Patinirschen Weltlandschaft. Er wendet sich jedoch nun auch der Malerei nach der Natur zu, seine Weltlandschaften zeigen eine genauere Beobachtung der realen Landschaft. Dies zeigt sich besonders an den Zeichnungen, die er auf seiner Italienreise 1551-1554 anfertigt. Hier ist die Landschaft zum ersten Mal Hauptgegenstand, nicht nur Hintergrund für eine wie auch immer geartete, figürliche Szenerie. Einflussreicher als seine Weltlandschaften ist in der weiteren niederländischen Landschaftsmalerei aber der von Bruegel neu kreierte Typus der Waldlandschaft. Sie wird von Gillis van Coninxloo (1544-1606) ebenso wie auch von Lucas van Valckenborch (vor 1535-1597) und David Vinckboons (1576-1632) aufgegriffen.
Bruegels neue Formen der Landschaftsdarstellung werden einem breiterem Publikum durch Radierungen zugänglich, die nach seinen Landschaften gemacht werden. Zu erwähnen wären hier die Radierfolgen von Hieronymus Cock (1518-1570) und Claes Jansz Visscher (1587-1652). Visschers Radierungen, im holländischen Amsterdam herausgegeben, beeinflussen so auch die Landschaftsmaler in Holland. Die Ideen der flämischen Landschaftsmalerei werden auch durch die nach Holland emigrierenden flämischen Künstler weiterverbreitet. Krieg, wirtschaftliche Missstände, sowie religiöse Verfolgung lassen Maler wie Hans Bol (1535-1593), Roelandt Savery (1576-1639) und Gillis van Coninxloo vom katholischen Süden in den protestantischen und toleranteren Norden fliehen, von wo aus diese die Errungenschaften der Flamen auch holländischen Künstlern zugänglich machen.
So wird von diesen Künstlern auch der Holländer Abraham Bloemart (1564-1651) beeinflusst. Er bleibt der flämischen Tradition lange verhaftet. Bloemart konzentriert sich vor allem darauf, bestimmte Ausschnitte einer Landschaft darzustellen, anstatt einen Überblick über einen größeren Landschaftsabschnitt zu geben. Neben Bloemart lassen sich noch zahlreiche andere holländische Künstler von der flämischen Kunst inspirieren. Dies ist zunächst vor allem in der Druckgraphik zu spüren. Der bereits erwähnte Claes Janz Visscher aus Amsterdam sowie der aus Haarlem stammende Hendrick Goltzius (1558-1617) setzen sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts in ihren Graphiken als erste in Holland mit dem Versuch einer naturalistischen Landschaftswiedergabe auseinander. Sie zeigen ihr Heimatland in all seinen Facetten, von Ansichten einzelner Städte bis zu einfachen Landschaftsszenen, und wollen damit nicht mehr als die Gegenwart, wie sie sich im Moment gerade darstellt, wiedergeben. Man vermutet, dass dieses Aufblühen einer naturalistischen Kunst auch damit zu erklären ist, dass die Holländer durch ihren – letztendlich auch vom Erfolg gekrönten – Kampf gegen die spanische Herrschaft ein Gefühl des Stolzes für ihr eigenes Land entwickeln, der seinen Ausdruck in eben dieser naturgetreuen Darstellung der eigenen Umgebung findet.
Im Bereich der Malerei greift Esaias van de Velde (1591-1630) die naturalistische Landschaftsdarstellung auf. Er befreit sich von den vielen Details, die oft noch frühere Landschaftsdarstellungen bestimmen und konzentriert sich allein auf die einfache, ländliche Szenerie des damaligen Holland. Darüber hinaus wendet er sich von der dekorativen Farbigkeit früherer Landschaften ab, er verwendet nur mehr eine reduzierte Farbpalette und setzt seinen Horizont tiefer als seine Vorgänger. Dies gibt seinen Werken eine in der Landschaftsmalerei noch nie vorher da gewesene räumliche Einheitlichkeit. Erich Steingräber zufolge war es, neben Jan van Goyen und Hendrik Averkamp, Esaias van de Velde, der „als erste [r ] den Schritt zur realitätsbezogenen holländischen „Nationallandschaft“ [vollzog ], die sich gegen die italienisch-französische, aber auch gegen die flämische Landschaftsauffassung entschieden absetzt.“
Ebenfalls im Stil von Esaias van de Velde arbeitet später sein aus Leiden stammender Schüler Jan van Goyen (1596-1656). Auch er geht zunächst von den Neuerungen, die flämische Maler nach Holland bringen, aus, wendet sich dann jedoch der naturalistischen Malweise zu. In Anlehnung an van de Velde malt er ebenfalls Landschaften mit tief liegendem Horizont und einer auf grau-braun Töne begrenzten Farbpalette. Um seine Gemälde zu einem einheitlichen Gebilde werden zu lassen, reduziert er nach und nach sowohl Motive wie auch die Farbigkeit, um letztendlich bei einer in einem einheitlichen Gesamtton gehaltenen, auf Fernsicht angelegten, vom Himmel dominierten „leeren“ Landschaft anzukommen. Die Perspektive wird dabei nicht mehr durch die aus Italien bekannte Diagonalkomposition erreicht, sondern allein durch die Farbigkeit und die Valeurs.
Beeinflusst durch Jan van Goyen wird auch der in Haarlem wirkende Salomon van Ruysdael (1600/03-1670), der seine Gemälde in derselben Art ausführt und zusammen mit van Goyen als einer der „führenden Meister der Haarlemer Tonmalerei“ gilt. Erwähnt werden müssen auch die beiden überragenden Künstlerpersönlichkeiten des 17. Jahrhunderts, der Flame Peter Paul Rubens (1577-1640) und der Holländer Rembrandt Harmensz van Rijn (1606-1669). Beide haben sich jedoch nur am Rande mit der Landschaftsmalerei beschäftigt und wenig Einfluss auf diesem Gebiet ausgeübt.
Darüber hinaus empfängt die niederländische Landschaftsmalerei aus Italien bedeutende Anregungen. Rom, als Zentrum des Barock, ist unter den Künstlern aus Holland und Flandern ein beliebtes Reiseziel, um die Kunst der Antike und der Renaissance vor Ort zu studieren. Der Flame Paul Bril (1554-1626) war Ende des 16. Jahrhunderts einer der ersten Niederländer in Rom. Ausgehend von der im 16. Jahrhundert vorherrschenden Strömung des Manierismus, kommt er in Italien zu einer von Carracci beeinflussten, ausgewogeneren Kunst. Er schafft klassische Landschaften, die jedoch – in stärkerem Maß als die gleichzeitigen italienischen Landschaftsgemälde und in Anlehnung an die flämische Kunst – überborden mit einzelnen Details, wie unzähligen Tieren, Pflanzen, Staffagefiguren und Architekturelementen. Gleichzeitig mit Paul Bril hält sich auch der Deutsche Adam Elsheimer (1578-1610) in Rom auf. Obwohl er nur sehr wenige Landschaften malt, sind seine Neuerungen wegweisend für die weitere Landschaftskunst. Durch die graphische Verbreitung von Elsheimers Werken, besonders durch den Holländer Hendrik Goudt, werden diese auch in den Niederlanden bekannt. Elsheimer führt die Diagonalkomposition zur Darstellung von Perspektive in die Landschaftsmalerei ein, welche die traditionelle Art, Räumlichkeit durch hintereinander gestaffelte Ebenen darzustellen, ablöst. Auch die feine und nuancierte Lichtgestaltung hinterlässt bleibende Eindrücke bei den niederländischen Künstlern. Anregungen von Bril und Elsheimer nehmen besonders Pieter Lastman (1583-1633) und Cornelis van Poelenburgh (um 1586-1667) auf.
Um 1630 reisen nochmals vermehrt niederländische Künstler nach Italien, um sich dort der Landschaftsmalerei zu widmen. Zu dieser Gruppe können neben Herman van Swanevelt (um 1600-1655), Jan Both (um 1618-1652) und Jan Asselijn (um 1610-1652) auch Karel Dujardin (um 1622-1678), Nicolaes Berchem (1620-1683), Adam Pynacker (1623-1673) und Jan Baptist Weenix (1621-1660) gezählt werden. Sie widmen sich der sogenannten „italianisierenden“ Landschaftsmalerei, die sich dadurch auszeichnet, dass ihre – oft pastorale Themen behandelnden – Landschaften wie in goldenes Licht getaucht erscheinen und sich dadurch entschieden von den typisch holländischen Landschaften unterscheiden. Hierbei ist auch der Einfluss von Claude Lorrain (1600-1682) nicht unwesentlich.
Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts lässt sich dann – angeregt durch die unterschiedlichsten Einflüsse – eine unglaubliche Vielfalt an Landschaftsgemälden in den Niederlanden finden. Viele Künstler spezialisieren sich auf bestimmte „Unterarten“ der Gattung „Landschaft“ und kommen dort zu einer ihnen eigenen Auffassung von Landschaftsmalerei. Aert van der Neer (1603/03-1677) konzentriert sich auf Winter- und Mondscheinlandschaften, Frans Post (um 1612-1680) malt brasilianische Landschaften, die er auf einer Expedition sieht und Allaert van Everdingen (1621-1675) spezialisiert sich auf wilde Gebirgslandschaften, wie er sie auf einer Reise durch Skandinavien kennenlernt. Jan van de Capelle (1624/25-1679) und Willem van de Velde d.J. (1633-1707) zählen zu den bestimmenden Vertretern der Marinemalerei. Adriaen van de Velde (1636-1672) und Paulus Potter (1625-1654) dagegen widmen sich hauptsächlich der Weidelandschaft und der Darstellung von Tieren in der Landschaft.
In diesen Bereich lässt sich auch das Werk Aelbert Cuyps (1620-1691) einordnen. Den Großteil seines Oeuvres bilden die oben erwähnten Weidelandschaften und Tierdarstellungen. Was seine Landschaften jedoch besonders auszeichnet, ist das für südliche Länder typische, goldene Sonnenlicht. Ausgehend von Jan van Goyen orientiert Cuyp sich später an den italianisierenden Landschaftsmalern, besonders an Jan Both, die ihn in seiner Lichtgestaltung beeinflussen. Dadurch kommt er zu seiner sehr eigenen Lösung, gerade an sich typisch holländische Landschaften in „italienischer“ Atmosphäre darzustellen, wie sie sich in der Natur nie finden würden.
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts kam es in den Niederlanden zu einer ersten Blüte der Landschaftsmalerei, die mit den Namen Joachim Patinir, Gerard David, Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel verknüpft ist.[259] Von Joachim Patinier († 1524) stammen die überblicksartigen Weltlandschaften, in denen biblische oder mythologische Figurengruppen fast nur den Rang von Staffagefiguren einnehmen. Auch auf Breughels Bild Sturz des Ikarus von 1558 ist das eigentliche – mythologische – Thema an den äußersten Rand gerückt zu Gunsten der Darstellung einer weiten Landschaft im Licht der Morgensonne, zu deren harmonischem Einklang auch der tätige Mensch gehört.[260]
Die Hauptperson ist ein pflügender Bauer, hinter ihm steht ein Hirte, und am rechten unteren Bildrand sitzt ein Angler. Der Blick öffnet sich auf eine bis zum Horizont reichende Bucht mit der Sonnenscheibe am Horizont. Am Meer kreuzen Schiffe, und in der rechten oberen Ecke ragt ein weißes Felsengebirge auf. Schräg über dem pflügenden Bauern liegt eine befestigte Felseninsel (offenbar eine Anspielung auf das Labyrinth aus dem Mythos) und dahinter eine Hafenstadt. Links unten im Vordergrund ist ein Geldbeutel zu erkennen, in dem ein Schwert steckt, daneben liegt ein voller Getreidesack. Hinter dem Pferd, im Gebüsch, ist ein Gesicht im Halbschatten zu sehen, ein Toter, der von dem pflügenden Bauern, ebenso wie der im Hintergrund herabstürzende Ikarus unbeachtet bleibt. Der verunglückte Ikarus ist nur klein, gewissermaßen nur als Bilddetail am Rand in der unteren rechten Bildhälfte über dem Angler zu erkennen.[261]
Der Hirte befindet sich annähernd im Mittelpunkt des Bildes.[262] Sein aufwärtsgewandtes Gesicht liegt im Schnittpunkt der Haupt- und Nebendiagonalen. Der Standpunkt des Betrachters liegt auf einer Anhöhe. Der Bauer ist von schräg oben dargestellt, der Hirte etwas mehr von der Seite und das Segelschiff darüber frontal. Durch diese Winkelverschiebung verstärkt der Maler den Eindruck weiter Entfernung. Die Farbtöne gelb, grün und braun dominieren, auffallend ist jedoch das rote Hemd des Bauern.
Ikarus ist aus der griechischen Mythologie bekannt: Sein Vater Dädalus hatte Flügel konstruiert, mit denen er und sein Sohn aus der Gefangenschaft auf Kreta flohen. Als Ikarus jedoch übermütig der Sonne zu nah kam, schmolz das Wachs, das die Federn zusammenhielt, und er stürzte in den Tod.[263] Der Dichter Ovid beschreibt dies in seinen Metamorphosen (VIII, 183–235) und der Ars amatoria (II, 21–96).
Vor seiner Verbannung nach Kreta warf Dädalus aus Missgunst seinen zwölfjährigen Schüler Perdix von der Akropolis, da dieser trotz seiner Jugend Säge und Zirkel erfunden hatte. Athene fing den Buben jedoch auf und verwandelte ihn in ein Rebhuhn, das nahe dem Boden fliegt und seine Nester in Hecken baut, denn es „fürchtet die Höhe, des einstigen Sturzes gedenkend“. Der Vogel sitzt in dem Gemälde links vom Angler auf einem Ast. Im Mythos fliegt er zur Beerdigung Ikarus’ herbei.
Bezeichnend ist, dass der Maler den verunglückten Ikarus nur nebensächlich darstellt: Rechts unten sieht man ihn ins Wasser stürzen, mit seinen nackten, strampelnden Beinen macht er dabei eine eher lächerliche Figur. Über ihm sind noch einige fliegende Federn zu erkennen. Dädalus, immerhin eine der Hauptpersonen, fehlt sogar im Bild. Bedeutung gibt das Gemälde dagegen Nebenpersonen wie Bauer, Hirte und Fischer.[264]
Der Angler sitzt jedoch unten am Wasser, der Hirte ist in der Mitte platziert, der Bauer bestellt seinen Acker und allen gemeinsam ist, dass sie dem Sturz des Ikarus kein Interesse entgegenbringen. So bedeuten das Schwert im Geldbeutel und der Getreidesack im Vordergrund die flämischen Sprichwörter: „Geld und Schwert brauchen gute Hände“ und „Auf Felsen Gesätes wächst nicht“. Es sind Anspielungen auf die Nutzlosigkeit von Ikarus’ Handeln. Der Aphorismus zu der halb versteckten Leiche im Unterholz heißt: „Kein Pflug hält wegen eines Sterbenden an“.[265] Bauer, Hirte und Fischer gehorchen stoisch den Gesetzen der Natur und des Kosmos. Selbst das Rebhuhn Perdix, das sich im Mythos über Ikarus’ Tod freut, ignoriert den Verunglückten und das (bei Ovid nicht erwähnte) Schiff entfernt sich mit geblähten Segeln von der Unfallstelle.
Bruegel hat die Sage von Ikarus ganz in seine Zeit gesetzt, dafür sprechen die Landschaft und die für das 16. Jahrhundert typischen Mittelmeer-Karacken. Diese Schiffe wurden damals in niederländischen Werften gebaut und der Maler hält sie mit großer Genauigkeit fest. Entgegen der Sage, in der Ikarus der Sonne zu nah kam, stürzt er in diesem Bild an fast entgegengesetzter Stelle ab, die Sonne hingegen geht entweder auf oder unter.
Nach Jacques van Lennep ist folgende Deutung möglich: Der Bauer im Vordergrund wäre eine Anspielung auf die alchemistische Kunst. Alchemisten verglichen ihr Handwerk mit dem Ackerbau und hielten Metalle für Organismen, die wachsen und sich vermehren können. Der auf dem Stab gestützte Schäfer stellt den Gott Hermes dar, der in seiner Jugend mit seinem Bruder Apollo die Herden des Admetos hütete. Das Schiff soll auf einen Kompostbehälter anspielen und das Meer auf Quecksilber. Dies deshalb, weil eine lange gefährliche Prozedur nötig ist, bis Quecksilber eine chemische Verbindung eingeht und man dies mit den Gefahren einer Schiffsreise verglich. Die aufgehende Sonne kann auch die Erneuerung der Welt durch Alchemie bedeuten, demnach wäre Ikarus ein gescheiterter Alchemist.[266]
In der als Kupferstich verbreiteten Zeichnung Kriegsschiff mit dem Fall des Icarus hält sich Bruegel scheinbar enger an das Thema: So steht dort die Sonne hoch am Himmel und der Vater fliegt unter dem stürzenden Sohn. Dennoch interessiert sich der Künstler wesentlich mehr für das detailgetreu dargestellte Schiff.[267]
Das Interesse an Landschaftsbildern ging einher mit einer grundsätzlichen Tendenz zum Beobachten und Erforschen der Natur, dem Aufblühen der Kartografie, für die durch das Wachsen des holländischen Überseehandels ein starker Bedarf bestand, der sicheren Beherrschung perspektivischer Darstellung und mit Fortschritten in Naturwissenschaften und Technik, durch die neue Hilfsmittel bereitstanden.[268] Im Bereich der Kartografie und Landesvermessung arbeiteten Mathematiker und Geodäten (Landvermesser), Kartografen, Maler und Kupferstecher Hand in Hand. So sind Landkarten der Zeit häufig am Rand mit Veduten eingefasst, berühmtes Beispiel Jan Vermeers Allegorie der Malerei.[269] Land- und Seekarten wurden von den gleichen Druckern publiziert wie Reproduktionen von Landschaftsgemälden in Kupferstichen oder Radierungen. Der Handel mit Reproduktionen war entscheidend für die rasche Verbreitung niederländischer Landschaftsmalerei in ganz Europa.[270]
Das Genre fächerte sich bald eine Reihe von Themen auf, auf die sich die einzelnen Maler konzentrierten. Es gab Spezialisten für Phantasielandschaften, italianisierende Landschaften, Gebirgs-, Wald-, Küsten- und Flusslandschaften, Seestücke, topografische Landschaften, Winterszenen usw.[271] Die thematisch oft wenig spektakulären Bilder zeichnen sind durch eine reiche Skala von Farbabstufungen, eine feine Luftperspektive und differenzierte Lichteffekte aus, die die Grundstimmung des Bildes bestimmen. Eine den Stillleben der Zeit vergleichbare Aufladung mit allegorischen Bedeutungen ist in den Landschaften schwieriger nachzuweisen, kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Anfänge einer Landschaftsmalerei als unabhängiges Genre kann man in Flandern mit den Weltlandschaften Patiniers datieren, in denen Landschaft das Hauptthema ist und nicht die Figuren.[272] Pieter Brueghel fertigte neben Gemälden wie den Jahreszeiten oder dem Fall des Ikarus auch Zeichnungen nach der Natur, sowohl während seiner Italienreise als auch von der Stadt Brabant. Neben dem von Flandern ausgehende Impuls wurden Einflüsse aus Italien wirksam über die Reproduktion der Bilder Adam Elsheimers durch den Utrechter Kupferstecher Hendrick Goudt.
Mit Esaias van de Velde, Pieter Moleyn, Jan van Goyen und Salomon van Ruisdael verstärkte sich eine naturalistische Bildauffassung zusammen mit einer Vorliebe für einfachere Motive, einheitliche Komposition und einer verstärkten Aufmerksamkeit für das Erscheinungsbild des Wolkenhimmels und die wechselnden Beleuchtungen auf dem Land. In der Farbwahl gab es zwischen 1625 und 1650 eine Vorliebe für monochrome Bilder in Blau-, Grün- und Erdtönen.
Die großen Landschaftsmaler des späten 17. Jahrhunderts, Jacob van Ruisdael und Aelbert Cuyp lassen italienische Einflüsse sowohl in der Komposition als auch in der Lichtführung der Bilder erkennen[273]. Ruisdaels oft düstere und schwermütig wirkende Landschaften mit ihren dramatischen Wolkenformationen, absterbenden Bäumen und sich herabstürzenden Wasserfällen werden zu Ausdrucksträgern subjektiver Empfindung, ein Grund für die hohe Wertschätzung seiner Bildern durch die Romantiker. Cuyps idealisierte Bilder dagegen sind erfüllt von einer heiteren, pastoralen Stimmung, einer Fülle von warmem Licht. Sie zeigen oft kleine ländliche Szenen. Schüler Ruisdaels war Meindert Hobbema, der auf Waldszenen und Wassermühlen spezialisiert war. Eins der berühmtesten und oft reproduzierten Bilder niederländischer Landschaftsmalerei ist seine Allee von Middelharnis von 1689.[274]
Maler in den südlichen Niederlanden wie Rubens und Rembrandt malten Landschaften in warmen und lebhaften Farben. Rembrandt widmete sich seit 1640 intensiv in seinen Radierungen der Landschaftsdarstellung, und Rubens schuf in seinen letzten Lebensjahren eine Reihe brillanter Landschaften.[275]
Mit dem 18. Jahrhundert ließ zwar das Interesse an der Landschaftsmalerei bei Sammlern und Liebhabern nach, es wuchs aber die Nachfrage nach topografisch genauen Darstellungen bestimmter Orte. Guardi pflegte als Landschaftsmaler das Genre des Capriccios, Landschaften, die aus erfundenen und realen Partien zu einer Idealkomposition zusammengesetzt sind. Charakteristisch für die französische Malerei der Zeit sind die zarten und luftigen Landschaftshintergründe in den Bildern Watteaus und Fragonards.[276] Romantische Landschaften zielen auf die Auslösung emotionaler Prozesse, auf eine Bildmagie, die einen inneren Dialog zwischen Betrachter und Bild bewirken soll.[277] Zur gleichen Zeit malten Künstler wie Koch, Reinhart, Hackert oder Wolf, die einem Klassizismus verpflichtet waren. Sie orientierten sich an den alten Vorbildern Poussin und Claude Lorrain, da aus der Antike selbst keine Landschaftsbilder bekannt waren.[278] Diese Maler sahen in ihren Bildern die Aufgabe, einen idealen Weltentwurf sichtbar zu machen im Sinne einer Wiederbelebung des antiken Geistes.
Jacob van Ruisdael war der einzige Sohn des Landschaftsmalers und Rahmenbauers Isaack van Ruisdael, bei dem er wahrscheinlich auch seine Ausbildung machte, sowie der Neffe von Salomon van Ruysdael und der Vetter von Jacob Salomonsz. van Ruysdael.[279] Die Landschaftsmalerei hatte sich um 1600 unter anderem durch Adam Elsheimer und Paul Bril als eigenständige Gattung der niederländischen Malerei etabliert und wurde im wohlhabenden Haarlem besonders gepflegt.[280]
Zunächst noch abhängig von der Manier seines Onkels und dessen Haarlemer Altersgenossen, z. B. Cornelis Vroom oder Pieter de Molijn, findet Ruisdael schnell zu einem eigenen Stil. Ihn kennzeichnen dramatische Akzente durch kontrastreiche Lichtführung, kraftvolle Bildmotive und die differenzierte Wiedergabe von Naturformen.[281] Genaue Naturbeobachtungen in der Wald- und Dünenlandschaft rund um Haarlem spiegeln sich in den erhaltenen Handzeichnungen, die, vor dem Motiv ausgeführt, zur Grundlage der malerischen Ausführung im Atelier dienten. 1648 trat er in die Malergilde seiner Heimatstadt ein. Mit seinem Haarlemer Freund Nicolaes Berchem unternahm er um 1650 eine Reise nach Bentheim, dessen Schloss in der Folgezeit auf zwölf seiner Landschaften auftaucht. Seit den Reisen dieser Jahre, die ihn auch durch die Niederlande und an den Mittelrhein führten, wird der Bildaufbau in den Landschaften Ruisdaels nochmals kraftvoller: majestätische Baumpartien und imposante Wolkengebilde werden zu erhabenen Kompositionen gefügt. Um 1655 ging Ruisdael nach Amsterdam, wo er 1657 Mitglied der reformierten Kirche wurde. Am 15. Januar 1659 erwarb er das Bürgerrecht von Amsterdam, das poorterrecht.[282]
In den 1650er und mehr noch 1660er Jahren zeigt er sich stark beeinflusst von den Wasserfall-Motiven, die Allart van Everdingen (auch er ging in den 1650er Jahren von Haarlem nach Amsterdam) aus Norwegen mitgebracht und in seinen dramatischen, oft hochformatigen Landschaften verarbeitet hatte.[283] Andere Bilder der späten Jahre bieten weite Sichten ins flache Land, wobei starke Lichtkontraste und aufgetürmte Wolken eine Stadtansicht inszenieren und die Vorstellung eines schönen, in die Natur eingebetteten, aber arbeitsamen Gemeinwesens (in den verschiedenen Ansichten der Bleichwiesen vor Haarlem) hervorrufen können. Mehrere Fassungen eines düsteren Waldsumpfs oder des Judenfriedhofs zeigen auch einen melancholischeren Aspekt in der reichen Skala der Ausdrucksmöglichkeiten des Malers.[284]
Der Bedeutungsgehalt seiner Motive geht immer wieder über das Gegenständliche hinaus, doch sind die möglichen Erklärungen (z. B. Wege als Lebenspfade, Mühlenflügel als Kreuzsymbole, patriotische Konnotation der kultivierten Landschaft), die etwa aus der zeitgenössischen Emblematik erschlossen werden können, wie häufig in der niederländischen Malerei, eher variable Optionen als eindeutig determinierte Festlegungen.[285]
Einer seiner Auftraggeber war der Amsterdamer Regent Cornelis de Graeff, welchen Ruisdael beim Einzug auf sein Landgut Soestdijk zeigt. Am 8. Juli 1660 gab Ruisdael an, der Maler Meindert Hobbema sei einige Jahre sein Lehrling gewesen, 1668 war er dessen Trauzeuge.[286] Ruisdaels Werk wurde zunächst in Kupferstichen reproduziert und verbreitet; einige Blätter hat Ruisdael selbst radiert, auch sie dürften zum Nachruhm des Malers beigetragen haben, dessen Motive und Kompositionen die Landschaftsmalerei bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einzigartig beeinflusst haben.[287]
Meindert Hobbema (1638-1709) war neben Jacob van Ruisdael der bedeutendste niederländische Landschaftsmaler in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.[288]
Zunächst stand das Werk Hobbemas unter dem Einfluss von Cornelis Vroom und Anthonie van Borssom. Um 1656 nahm er ersten Kunstunterricht bei Jacob van Ruisdael, der gerade von Haarlem nach Amsterdam gezogen war. Hobbemas Lehrzeit bei Ruisdael scheint nicht sehr lang gedauert zu haben, da seine erste signierte Arbeit aus dem Jahr 1657 zeigt, dass er sich bis dahin als unabhängiger Meister etabliert hatte. Hobbema blieb auch nach seiner Lehrzeit mit Ruisdael freundschaftlich verbunden. Zusammen reisten sie durch die niederländischen Provinzen bis in die Region von Twente und über die Grenze nach Bentheim. Vermutungen, Hobbema hätte nach seiner Bestellung zum Eichmeister die Malerei nur als Liebhaberei fortgesetzt, gilt angesichts des umfangreichen Werkes als unwahrscheinlich. Zudem ist sein als Hauptwerk geltendes Gemälde Die Allee von Middleharnis erst 1689 entstanden.[289] Das stark von Ruisdael beeinflusste Werk ist thematisch beschränkt auf Waldszenen, Flussläufe und vereinzelt Ansichten holländischer Städte.[290] Häufig ist in seinen Bildern eine ansprechende helle Farbgebung vorherrschend, wobei funkelndes Tageslicht seine Landschaften durchdringt und der Himmel im intensiven Weiß und Blau leuchtet. Die Farbpalette der Landschaften geht von einem olivgrünen Ton bis hin zum Grau und Rotgelb. Variantenreich und meisterlich in der Ausführung sind die Darstellungen des Laubwerks. Mit erstaunlicher Feinheit durchdringt das Licht die Wolken und belichtet den Boden, oder aber es scheint durch die Blätter auf andere Teile des Blattwerkes und vervielfacht so die Lichtdurchlässigkeit des Bildes. In einigen Bildern werden diese Effekte noch durch Lichtspiegelungen auf Flussläufen oder Teichen verstärkt. Vorausgegangen ist der Malerei eine intensive Naturbeobachtung in der Umgebung von Amsterdam und auf Reisen bis an die westfälische Grenze.[291] Die wiederkehrenden Motive wurden facettenreich bei verschiedenen Lichtverhältnissen, mit verschiedenen Farbtönen und zu allen Jahreszeiten variiert. Das Werkverzeichnis von Georges Broulhiet aus dem Jahr 1938 weist über 500 Werke des Künstlers auf.[292]
Diese Überzahl von Künstlern innerhalb einer regelrechten Bilderindustrie führte zur Entwicklung eines Kunstproletariats.[293] Viele, heute hochgeschätzte Maler mussten ihren Lebensunterhalt anderweitig finanzieren, die wenigsten konnten allein von der Malerei leben. Jan Steen betrieb ein Wirtshaus, Jakob Ruisdael war Arzt, Jan van Goyen handelte mit Tulpen, Meindert Hobbema war Steuereintreiber, die Malerfamilie van de Velde betrieb ein Leinwandhaus. Viele Künstler nahmen auch Tätigkeiten als sogenannte Grobmaler an, wenn die Aufträge als Feinmaler ausblieben.[294]
Singuläre Spitzenkräfte wie Rembrandt oder Vermeer waren keineswegs zeittypisch und wurden in ihrer Genialität damals von nur wenigen erkannt. Im Gegensatz zu ihren hoch spezialisierten Kollegen machten sie sich verschiedene Genres zu Eigen und hinterließen ein vielseitiges Œuvre. Das große Geld hingegen verdienten andere, wie zum Beispiel Gerard Dou und Gerrit van Honthorst: Maler, die für die Hofhaltung des Statthalters arbeiteten oder – wie Rubens – sich gleich im feudal und klerikal gebliebenen Flandern niederließen beziehungsweise Hofmaler in Italien, Frankreich oder Spanien wurden.[295]
Die großen Landschaftsmaler des späten 17. Jahrhunderts, Jacob van Ruisdael und Aelbert Cuyp lassen italienische Einflüsse sowohl in der Komposition als auch in der Lichtführung der Bilder erkennen. Ruisdaels oft düstere und schwermütig wirkende Landschaften mit ihren dramatischen Wolkenformationen, absterbenden Bäumen und sich herabstürzenden Wasserfällen werden zu Ausdrucksträgern subjektiver Empfindung, ein Grund für die hohe Wertschätzung seiner Bildern durch die Romantiker. Cuyps idealisierte Bilder dagegen sind erfüllt von einer heiteren, pastoralen Stimmung, einer Fülle von warmem Licht. Sie zeigen oft kleine ländliche Szenen. Schüler Ruisdaels war Meinert Hobbema, der auf Waldszenen und Wassermühlen spezialisiert war. Eins der berühmtesten und oft reproduzierten Bilder niederländischer Landschaftsmalerei ist seine Allee von Middelharnis von 1689.
Maler in den südlichen Niederlanden wie Rubens und Rembrandt malten Landschaften in warmen und lebhaften Farben. Rembrandt widmete sich seit 1640 intensiv in seinen Radierungen der Landschaftsdarstellung, und Rubens schuf in seinen letzten Lebensjahren eine Reihe brillanter Landschaften.
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts kam es in den Niederlanden zu einer ersten Blüte der Landschaftsmalerei, die mit den Namen Joachim Patinir, Gerard David, Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel verknüpft ist. Von Joachim Patinier († 1524) stammen die überblicksartigen Weltlandschaften, in denen biblische oder mythologische Figurengruppen fast nur den Rang von Staffagefiguren einnehmen. Auch auf Breughels Bild Sturz des Ikarus von 1558 ist das eigentliche – mythologische – Thema an den äußersten Rand gerückt zu Gunsten der Darstellung einer weiten Landschaft im Licht der Morgensonne, zu deren harmonischem Einklang auch der tätige Mensch gehört.
Die Hauptperson ist ein pflügender Bauer, hinter ihm steht ein Hirte, und am rechten unteren Bildrand sitzt ein Angler. Der Blick öffnet sich auf eine bis zum Horizont reichende Bucht mit der Sonnenscheibe am Horizont. Am Meer kreuzen Schiffe, und in der rechten oberen Ecke ragt ein weißes Felsengebirge auf. Schräg über dem pflügenden Bauern liegt eine befestigte Felseninsel (offenbar eine Anspielung auf das Labyrinth aus dem Mythos) und dahinter eine Hafenstadt. Links unten im Vordergrund ist ein Geldbeutel zu erkennen, in dem ein Schwert steckt, daneben liegt ein voller Getreidesack. Hinter dem Pferd, im Gebüsch, ist ein Gesicht im Halbschatten zu sehen, ein Toter, der von dem pflügenden Bauern, ebenso wie der im Hintergrund herabstürzende Ikarus unbeachtet bleibt. Der verunglückte Ikarus ist nur klein, gewissermaßen nur als Bilddetail am Rand in der unteren rechten Bildhälfte über dem Angler zu erkennen.
Der Hirte befindet sich annähernd im Mittelpunkt des Bildes. Sein aufwärtsgewandtes Gesicht liegt im Schnittpunkt der Haupt- und Nebendiagonalen. Der Standpunkt des Betrachters liegt auf einer Anhöhe. Der Bauer ist von schräg oben dargestellt, der Hirte etwas mehr von der Seite und das Segelschiff darüber frontal. Durch diese Winkelverschiebung verstärkt der Maler den Eindruck weiter Entfernung. Die Farbtöne gelb, grün und braun dominieren, auffallend ist jedoch das rote Hemd des Bauern.
Ikarus ist aus der griechischen Mythologie bekannt: Sein Vater Dädalus hatte Flügel konstruiert, mit denen er und sein Sohn aus der Gefangenschaft auf Kreta flohen. Als Ikarus jedoch übermütig der Sonne zu nah kam, schmolz das Wachs, das die Federn zusammenhielt, und er stürzte in den Tod. Der Dichter Ovid beschreibt dies in seinen Metamorphosen (VIII, 183–235) und der Ars amatoria (II, 21–96).
Vor seiner Verbannung nach Kreta warf Dädalus aus Missgunst seinen zwölfjährigen Schüler Perdix von der Akropolis, da dieser trotz seiner Jugend Säge und Zirkel erfunden hatte. Athene fing den Buben jedoch auf und verwandelte ihn in ein Rebhuhn, das nahe dem Boden fliegt und seine Nester in Hecken baut, denn es „fürchtet die Höhe, des einstigen Sturzes gedenkend“. Der Vogel sitzt in dem Gemälde links vom Angler auf einem Ast. Im Mythos fliegt er zur Beerdigung Ikarus’ herbei.
Bezeichnend ist, dass der Maler den verunglückten Ikarus nur nebensächlich darstellt: Rechts unten sieht man ihn ins Wasser stürzen, mit seinen nackten, strampelnden Beinen macht er dabei eine eher lächerliche Figur. Über ihm sind noch einige fliegende Federn zu erkennen. Dädalus, immerhin eine der Hauptpersonen, fehlt sogar im Bild. Bedeutung gibt das Gemälde dagegen Nebenpersonen wie Bauer, Hirte und Fischer.
Der Angler sitzt jedoch unten am Wasser, der Hirte ist in der Mitte platziert, der Bauer bestellt seinen Acker und allen gemeinsam ist, dass sie dem Sturz des Ikarus kein Interesse entgegenbringen. So bedeuten das Schwert im Geldbeutel und der Getreidesack im Vordergrund die flämischen Sprichwörter: „Geld und Schwert brauchen gute Hände“ und „Auf Felsen Gesätes wächst nicht“. Es sind Anspielungen auf die Nutzlosigkeit von Ikarus’ Handeln. Der Aphorismus zu der halb versteckten Leiche im Unterholz heißt: „Kein Pflug hält wegen eines Sterbenden an“. Bauer, Hirte und Fischer gehorchen stoisch den Gesetzen der Natur und des Kosmos. Selbst das Rebhuhn Perdix, das sich im Mythos über Ikarus’ Tod freut, ignoriert den Verunglückten und das (bei Ovid nicht erwähnte) Schiff entfernt sich mit geblähten Segeln von der Unfallstelle.
Bruegel hat die Sage von Ikarus ganz in seine Zeit gesetzt, dafür sprechen die Landschaft und die für das 16. Jahrhundert typischen Mittelmeer-Karacken. Diese Schiffe wurden damals in niederländischen Werften gebaut und der Maler hält sie mit großer Genauigkeit fest. Entgegen der Sage, in der Ikarus der Sonne zu nah kam, stürzt er in diesem Bild an fast entgegengesetzter Stelle ab, die Sonne hingegen geht entweder auf oder unter.
Nach Jacques van Lennep ist folgende Deutung möglich: Der Bauer im Vordergrund wäre eine Anspielung auf die alchemistische Kunst. Alchemisten verglichen ihr Handwerk mit dem Ackerbau und hielten Metalle für Organismen, die wachsen und sich vermehren können. Der auf dem Stab gestützte Schäfer stellt den Gott Hermes dar, der in seiner Jugend mit seinem Bruder Apollo die Herden des Admetos hütete. Das Schiff soll auf einen Kompostbehälter anspielen und das Meer auf Quecksilber. Dies deshalb, weil eine lange gefährliche Prozedur nötig ist, bis Quecksilber eine chemische Verbindung eingeht und man dies mit den Gefahren einer Schiffsreise verglich. Die aufgehende Sonne kann auch die Erneuerung der Welt durch Alchemie bedeuten, demnach wäre Ikarus ein gescheiterter Alchemist.
In der als Kupferstich verbreiteten Zeichnung Kriegsschiff mit dem Fall des Icarus hält sich Bruegel scheinbar enger an das Thema: So steht dort die Sonne hoch am Himmel und der Vater fliegt unter dem stürzenden Sohn. Dennoch interessiert sich der Künstler wesentlich mehr für das detailgetreu dargestellte Schiff.
Das Interesse an Landschaftsbildern ging einher mit einer grundsätzlichen Tendenz zum Beobachten und Erforschen der Natur, dem Aufblühen der Kartografie, für die durch das Wachsen des holländischen Überseehandels ein starker Bedarf bestand, der sicheren Beherrschung perspektivischer Darstellung und mit Fortschritten in Naturwissenschaften und Technik, durch die neue Hilfsmittel bereitstanden. Im Bereich der Kartografie und Landesvermessung arbeiteten Mathematiker und Geodäten (Landvermesser), Kartografen, Maler und Kupferstecher Hand in Hand. So sind Landkarten der Zeit häufig am Rand mit Veduten eingefasst, berühmtes Beispiel Jan Vermeers Allegorie der Malerei. Land- und Seekarten wurden von den gleichen Druckern publiziert wie Reproduktionen von Landschaftsgemälden in Kupferstichen oder Radierungen. Der Handel mit Reproduktionen war entscheidend für die rasche Verbreitung niederländischer Landschaftsmalerei in ganz Europa.
Das Genre fächerte sich bald eine Reihe von Themen auf, auf die sich die einzelnen Maler konzentrierten. Es gab Spezialisten für Phantasielandschaften, italianisierende Landschaften, Gebirgs-, Wald-, Küsten- und Flusslandschaften, Seestücke, topografische Landschaften, Winterszenen usw. Die thematisch oft wenig spektakulären Bilder zeichnen sind durch eine reiche Skala von Farbabstufungen, eine feine Luftperspektive und differenzierte Lichteffekte aus, die die Grundstimmung des Bildes bestimmen. Eine den Stillleben der Zeit vergleichbare Aufladung mit allegorischen Bedeutungen ist in den Landschaften schwieriger nachzuweisen, kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Anfänge einer Landschaftsmalerei als unabhängiges Genre kann man in Flandern mit den Weltlandschaften Patiniers datieren, in denen Landschaft das Hauptthema ist und nicht die Figuren. Pieter Brueghel fertigte neben Gemälden wie den Jahreszeiten oder dem Fall des Ikarus auch Zeichnungen nach der Natur, sowohl während seiner Italienreise als auch von der Stadt Brabant. Neben dem von Flandern ausgehende Impuls wurden Einflüsse aus Italien wirksam über die Reproduktion der Bilder Adam Elsheimers durch den Utrechter Kupferstecher Hendrick Goudt.
Mit Esaias van de Velde, Pieter Moleyn, Jan van Goyen und Salomon van Ruisdael verstärkte sich eine naturalistische Bildauffassung zusammen mit einer Vorliebe für einfachere Motive, einheitliche Komposition und einer verstärkten Aufmerksamkeit für das Erscheinungsbild des Wolkenhimmels und die wechselnden Beleuchtungen auf dem Land. In der Farbwahl gab es zwischen 1625 und 1650 eine Vorliebe für monochrome Bilder in Blau-, Grün- und Erdtönen.
Die großen Landschaftsmaler des späten 17. Jahrhunderts, Jacob van Ruisdael und Aelbert Cuyp lassen italienische Einflüsse sowohl in der Komposition als auch in der Lichtführung der Bilder erkennen. Ruisdaels oft düstere und schwermütig wirkende Landschaften mit ihren dramatischen Wolkenformationen, absterbenden Bäumen und sich herabstürzenden Wasserfällen werden zu Ausdrucksträgern subjektiver Empfindung, ein Grund für die hohe Wertschätzung seiner Bildern durch die Romantiker. Cuyps idealisierte Bilder dagegen sind erfüllt von einer heiteren, pastoralen Stimmung, einer Fülle von warmem Licht. Sie zeigen oft kleine ländliche Szenen. Schüler Ruisdaels war Meindert Hobbema, der auf Waldszenen und Wassermühlen spezialisiert war. Eins der berühmtesten und oft reproduzierten Bilder niederländischer Landschaftsmalerei ist seine Allee von Middelharnis von 1689.
Maler in den südlichen Niederlanden wie Rubens und Rembrandt malten Landschaften in warmen und lebhaften Farben. Rembrandt widmete sich seit 1640 intensiv in seinen Radierungen der Landschaftsdarstellung, und Rubens schuf in seinen letzten Lebensjahren eine Reihe brillanter Landschaften.
Mit dem 18. Jahrhundert ließ zwar das Interesse an der Landschaftsmalerei bei Sammlern und Liebhabern nach, es wuchs aber die Nachfrage nach topografisch genauen Darstellungen bestimmter Orte. Guardi pflegte als Landschaftsmaler das Genre des Capriccios, Landschaften, die aus erfundenen und realen Partien zu einer Idealkomposition zusammengesetzt sind. Charakteristisch für die französische Malerei der Zeit sind die zarten und luftigen Landschaftshintergründe in den Bildern Watteaus und Fragonards. Romantische Landschaften zielen auf die Auslösung emotionaler Prozesse, auf eine Bildmagie, die einen inneren Dialog zwischen Betrachter und Bild bewirken soll. Zur gleichen Zeit malten Künstler wie Koch, Reinhart, Hackert oder Wolf, die einem Klassizismus verpflichtet waren. Sie orientierten sich an den alten Vorbildern Poussin und Claude Lorrain, da aus der Antike selbst keine Landschaftsbilder bekannt waren. Diese Maler sahen in ihren Bildern die Aufgabe, einen idealen Weltentwurf sichtbar zu machen im Sinne einer Wiederbelebung des antiken Geistes.
Jacob van Ruisdael war der einzige Sohn des Landschaftsmalers und Rahmenbauers Isaack van Ruisdael, bei dem er wahrscheinlich auch seine Ausbildung machte, sowie der Neffe von Salomon van Ruysdael und der Vetter von Jacob Salomonsz. van Ruysdael. Die Landschaftsmalerei hatte sich um 1600 unter anderem durch Adam Elsheimer und Paul Bril als eigenständige Gattung der niederländischen Malerei etabliert und wurde im wohlhabenden Haarlem besonders gepflegt.
Zunächst noch abhängig von der Manier seines Onkels und dessen Haarlemer Altersgenossen, z. B. Cornelis Vroom oder Pieter de Molijn, findet Ruisdael schnell zu einem eigenen Stil. Ihn kennzeichnen dramatische Akzente durch kontrastreiche Lichtführung, kraftvolle Bildmotive und die differenzierte Wiedergabe von Naturformen. Genaue Naturbeobachtungen in der Wald- und Dünenlandschaft rund um Haarlem spiegeln sich in den erhaltenen Handzeichnungen, die, vor dem Motiv ausgeführt, zur Grundlage der malerischen Ausführung im Atelier dienten. 1648 trat er in die Malergilde seiner Heimatstadt ein. Mit seinem Haarlemer Freund Nicolaes Berchem unternahm er um 1650 eine Reise nach Bentheim, dessen Schloss in der Folgezeit auf zwölf seiner Landschaften auftaucht. Seit den Reisen dieser Jahre, die ihn auch durch die Niederlande und an den Mittelrhein führten, wird der Bildaufbau in den Landschaften Ruisdaels nochmals kraftvoller: majestätische Baumpartien und imposante Wolkengebilde werden zu erhabenen Kompositionen gefügt. Um 1655 ging Ruisdael nach Amsterdam, wo er 1657 Mitglied der reformierten Kirche wurde. Am 15. Januar 1659 erwarb er das Bürgerrecht von Amsterdam, das poorterrecht.
In den 1650er und mehr noch 1660er Jahren zeigt er sich stark beeinflusst von den Wasserfall-Motiven, die Allart van Everdingen (auch er ging in den 1650er Jahren von Haarlem nach Amsterdam) aus Norwegen mitgebracht und in seinen dramatischen, oft hochformatigen Landschaften verarbeitet hatte. Andere Bilder der späten Jahre bieten weite Sichten ins flache Land, wobei starke Lichtkontraste und aufgetürmte Wolken eine Stadtansicht inszenieren und die Vorstellung eines schönen, in die Natur eingebetteten, aber arbeitsamen Gemeinwesens (in den verschiedenen Ansichten der Bleichwiesen vor Haarlem) hervorrufen können. Mehrere Fassungen eines düsteren Waldsumpfs oder des Judenfriedhofs zeigen auch einen melancholischeren Aspekt in der reichen Skala der Ausdrucksmöglichkeiten des Malers.
Der Bedeutungsgehalt seiner Motive geht immer wieder über das Gegenständliche hinaus, doch sind die möglichen Erklärungen (z. B. Wege als Lebenspfade, Mühlenflügel als Kreuzsymbole, patriotische Konnotation der kultivierten Landschaft), die etwa aus der zeitgenössischen Emblematik erschlossen werden können, wie häufig in der niederländischen Malerei, eher variable Optionen als eindeutig determinierte Festlegungen.
Einer seiner Auftraggeber war der Amsterdamer Regent Cornelis de Graeff, welchen Ruisdael beim Einzug auf sein Landgut Soestdijk zeigt. Am 8. Juli 1660 gab Ruisdael an, der Maler Meindert Hobbema sei einige Jahre sein Lehrling gewesen, 1668 war er dessen Trauzeuge. Ruisdaels Werk wurde zunächst in Kupferstichen reproduziert und verbreitet; einige Blätter hat Ruisdael selbst radiert, auch sie dürften zum Nachruhm des Malers beigetragen haben, dessen Motive und Kompositionen die Landschaftsmalerei bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einzigartig beeinflusst haben.
Meindert Hobbema (1638-1709) war neben Jacob van Ruisdael der bedeutendste niederländische Landschaftsmaler in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Zunächst stand das Werk Hobbemas unter dem Einfluss von Cornelis Vroom und Anthonie van Borssom. Um 1656 nahm er ersten Kunstunterricht bei Jacob van Ruisdael, der gerade von Haarlem nach Amsterdam gezogen war. Hobbemas Lehrzeit bei Ruisdael scheint nicht sehr lang gedauert zu haben, da seine erste signierte Arbeit aus dem Jahr 1657 zeigt, dass er sich bis dahin als unabhängiger Meister etabliert hatte. Hobbema blieb auch nach seiner Lehrzeit mit Ruisdael freundschaftlich verbunden. Zusammen reisten sie durch die niederländischen Provinzen bis in die Region von Twente und über die Grenze nach Bentheim. Vermutungen, Hobbema hätte nach seiner Bestellung zum Eichmeister die Malerei nur als Liebhaberei fortgesetzt, gilt angesichts des umfangreichen Werkes als unwahrscheinlich. Zudem ist sein als Hauptwerk geltendes Gemälde Die Allee von Middleharnis erst 1689 entstanden. Das stark von Ruisdael beeinflusste Werk ist thematisch beschränkt auf Waldszenen, Flussläufe und vereinzelt Ansichten holländischer Städte. Häufig ist in seinen Bildern eine ansprechende helle Farbgebung vorherrschend, wobei funkelndes Tageslicht seine Landschaften durchdringt und der Himmel im intensiven Weiß und Blau leuchtet. Die Farbpalette der Landschaften geht von einem olivgrünen Ton bis hin zum Grau und Rotgelb. Variantenreich und meisterlich in der Ausführung sind die Darstellungen des Laubwerks. Mit erstaunlicher Feinheit durchdringt das Licht die Wolken und belichtet den Boden, oder aber es scheint durch die Blätter auf andere Teile des Blattwerkes und vervielfacht so die Lichtdurchlässigkeit des Bildes. In einigen Bildern werden diese Effekte noch durch Lichtspiegelungen auf Flussläufen oder Teichen verstärkt. Vorausgegangen ist der Malerei eine intensive Naturbeobachtung in der Umgebung von Amsterdam und auf Reisen bis an die westfälische Grenze. Die wiederkehrenden Motive wurden facettenreich bei verschiedenen Lichtverhältnissen, mit verschiedenen Farbtönen und zu allen Jahreszeiten variiert. Das Werkverzeichnis von Georges Broulhiet aus dem Jahr 1938 weist über 500 Werke des Künstlers auf.
Diese Überzahl von Künstlern innerhalb einer regelrechten Bilderindustrie führte zur Entwicklung eines Kunstproletariats. Viele, heute hochgeschätzte Maler mussten ihren Lebensunterhalt anderweitig finanzieren, die wenigsten konnten allein von der Malerei leben. Jan Steen betrieb ein Wirtshaus, Jakob Ruisdael war Arzt, Jan van Goyen handelte mit Tulpen, Meindert Hobbema war Steuereintreiber, die Malerfamilie van de Velde betrieb ein Leinwandhaus. Viele Künstler nahmen auch Tätigkeiten als sogenannte Grobmaler an, wenn die Aufträge als Feinmaler ausblieben.
Singuläre Spitzenkräfte wie Rembrandt oder Vermeer waren keineswegs zeittypisch und wurden in ihrer Genialität damals von nur wenigen erkannt. Im Gegensatz zu ihren hoch spezialisierten Kollegen machten sie sich verschiedene Genres zu Eigen und hinterließen ein vielseitiges Œuvre. Das große Geld hingegen verdienten andere, wie zum Beispiel Gerard Dou und Gerrit van Honthorst: Maler, die für die Hofhaltung des Statthalters arbeiteten oder – wie Rubens – sich gleich im feudal und klerikal gebliebenen Flandern niederließen beziehungsweise Hofmaler in Italien, Frankreich oder Spanien wurden.
Mit dem breiten Interesse am Gemälde und dem Beginn der Kommerzialisierung der Kunst entwickelte sich ein anderes Verhältnis zwischen Maler und Auftraggeber; der Beruf des Kunsthändlers beziehungsweise Bildermaklers entstand. Gehandelt wurden ausschließlich Staffeleibilder mit vorwiegend profanen Themen, eine Nachfrage nach Altarbildern oder anderen großformatigen religiösen Gemälden bestand wegen des protestantischen Bekenntnisses nicht. Da die meist kleinformatigen und dementsprechend mobilen Bilder oft nicht auf Bestellung, sondern für den freien Markt und einen sich beständig erweiternden Kreis an bürgerlichen Sammlern geschaffen wurden, entwickelte sich sowohl ein reger Kunsthandel als auch das Ausstellungswesen.
François Boucher wurde als Sohn des Entwurfzeichners für Möbel und Dekorationen Nicolas Boucher und seiner Ehefrau Elisabeth Lemesle geboren. Er lernte 1720 bei François Lemoyne und Jean Cars. Ihn beeinflussten Tizian, Veronese und Tintoretto. 1723 zeichnete die Académie royale de peinture et de sculpture ihn mit ihrem ersten Preis aus, dem Grand Prix de Rome, der ihm einen vierjährigen Aufenthalt in Italien ermöglichte. 1731 wurde Boucher an der königlichen Akademie als Historienmaler mit dem Gemälde Rinaldo und Armida aufgenommen. 1733 heiratete er Jeanne Buseau. Ab 1734 war er für das französische Königshaus Ludwigs XV. tätig. Boucher wurde Günstling der Maitresse des Königs, der einflussreichen Marquise de Pompadour, der er auch Malunterricht gab. Er war Dekorateur der Oper und übernahm 1755 nach dem Tod von Jean-Baptiste Oudry dessen Position als künstlerischer Leiter der Manufacture royale des tapisseries in Beauvais. Seit 1742 war er Hofmaler des Königs und um 1765 wurde er erster Hofmaler des Königs (peintre du roi). 1761 wurde er Rektor der königlichen Akademie.
Boucher vervollkommnete eine Technik zur Herstellung von Faksimiles aus farbigen Kreidegemälden. Bilder wurden zu dieser Zeit durch Kopien in Kupferstichen bekannt. Seine Zeichnungen und Radierungen, darunter Buchillustrationen (Molière-Ausgabe 1734) zeigen seine Virtuosität.
Boucher malte vor allem für adlige Kundschaft; seine Bilder sind über ganz Europa verteilt. Boucher widmete sich, ganz der damaligen Zeit der Galanterie entsprechend, der Grazie und Anmut. Sein bevorzugtes Thema, der nackte weibliche Körper, behandelte er mit einer einfühlsamen Fülle und Nuancierung, die in der Geschichte der Malerei ohne Vorbild ist. In seinen Gemälden, häufig Pastorallandschaften, mythologische Darstellungen und Porträts finden sich lichte, virtuos gemalte Farbtöne, ähnlich wie bei Tiepolo, so z. B. bei Diana im Bade. Anlass für das wohl bekannteste Werk Bouchers, das ganzfigurige Porträt der Marquise de Pompadour war die Ernennung zur Hofdame der Königin. Es zeigt die Marquise in lässiger Haltung auf einer Chaiselongue in einem Boudoir, in einer Umgebung von Dingen des Luxus und der Kultur. Boucher zeigt sein ganzes Können bei der Wiedergabe von Stoffen und bei der Darstellung von Stillleben. Als Meister der dekorativen Kunst (in Gemälden, bei Deckenmalereien, Innendekorationen, Entwürfe für die Gobelin-Manufaktur in Béauvais, für Opernbühnenbilder und Entwürfen für die Porzellanmanufaktur in Sèvre) prägte er jahrzehntelang den Stil am Hofe von Ludwig XV. Seine Gemälde fanden sich auf den Fürstenhöfen in ganz Europa. Sie ähneln den Motiven Antoine Watteaus, den er bewunderte. Er arbeitete hart, malte eine große Zahl Bilder (die Bekanntheit stieg mit der Verteilung) und brachte es schon zu einer regelrechten Produktion, wie sich in ihm auch bereits ein industrieller Geist ankündigte. Er unterhielt ein Atelier mit Schülern, die oft seine Werke fertig ausführten, wiederholte Ausschnitte in verschiedenen Zusammenhängen und malte oft Kopien seiner Bilder (sog. „eigenhändige Repliken“) für verschiedene Auftraggeber, wie etwa im Fall der Marie-Louise O’Murphy. Als offizieller königlicher Maler wurde Boucher sehr von Diderot und den Enzyklopädisten kritisiert. Man warf ihm vor allem während der Revolution vor, ein leichtlebiges und frivoles 18. Jahrhundert dargestellt zu haben. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde er wieder als großer Maler geschätzt. Seine berühmtesten Schüler waren Jean-Honoré Fragonard und Jacques-Louis David. Mit Claude-Henri Watelet, den er häufig in dessen Gartenanlage Moulin Joly besuchte, war er ebenso befreundet, wie mit Hubert Robert.
Seine Bilder hängen unter anderem in der Münchner Alten Pinakothek, im Schloss Charlottenburg in Berlin, im Louvre, der Sankt Petersburger Eremitage und im Wallraf-Richartz-Museum in Köln.
Boucher war ein glänzender Zeichner, der eine Vielzahl an Techniken beherrschte und ein Meister der dekorativen Kunst. Neben der Landschaftsmalerei waren historische und mythologische Motive Gegenstand seiner Malerei. Mag sein, dass seine letzte Schaffensperiode umstritten ist. Es gebührt ihm neben Watteau ein Hauptplatz in der französischen Malerei des 18. Jahrhunderts, deren Wesen er verkörperte wie kein anderer. Er beeinflusste die gesamte dekorative Kunst zur Zeit Ludwig XV. Gegen ihn wandten sich die Schüler des Klassizismus und insbesondere Diderot. Die Monographie von G. Brunel und die Ausstellung New York, Detroit, Paris (1986/87) haben es ermöglicht, die Bedeutung des Malers zu ermessen
Mit dem 18. Jahrhundert ließ zwar das Interesse an der Landschaftsmalerei bei Sammlern und Liebhabern nach, es wuchs aber die Nachfrage nach topographisch genauen Darstellungen bestimmter Orte. Guardi pflegte als Landschaftsmaler das Genre des Capriccios, Landschaften, die aus erfundenen und realen Partien zu einer Idealkomposition zusammengesetzt sind. Charakteristisch für die französische Malerei der Zeit sind die zarten und luftigen Landschaftshintergründe in den Bildern Watteaus und Fragonards.
Nachdem er sich um 1702 nach Paris begeben hatte, war er, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, anfangs für Bilderhändler tätig, bis er mit Claude Gillot bekannt wurde, der ihn als Schüler aufnahm, und von dem er die Vorliebe für Darstellungen aus Bühnenstücken übernahm. Doch war Watteau nur kurze Zeit bei Gillot tätig. Von diesem ging er zu dem Dekorationsmaler Claude Audran III, dem Verwalter der Galerie du Luxembourg, in dessen Auftrag er zahlreiche Wanddekorationen, sogenannte panneaux, malte, deren geistvolle Kompositionen sich jedoch nur in Nachbildungen durch Stiche erhalten haben.
Im Palais du Luxembourg studierte er auch die Gemälde von Rubens, dessen Liebesgarten auch das Vorbild für Watteaus fête galante war. Um 1708 wurde Watteau Schüler der Königlichen Akademie für Malerei und Skulptur und bewarb sich anlässlich einer Ausstellung um ein Stipendium in Rom, den Grand prix, erhielt im nächsten Jahr aber nur den zweiten Preis. Danach begab er sich in seine Vaterstadt, von wo er um 1711 wieder nach Paris zurückkehrte.
Auf Anregung des Malers Charles de La Fosse bewarb er sich um die Mitgliedschaft der Akademie und wurde auch zugelassen, aber erst 1717 als Mitglied aufgenommen, da er das vorgeschriebene Aufnahmebild (die Einschiffung nach Kythera, 1717, Öl auf Leinwand, 129 x 194 cm, Musée du Louvre, Paris) erst in diesem Jahr einreichte.
Einschiffung nach Kythera ist der Titel dreier Gemälde. Die älteste und kleinste Fassung entstand 1710 und befindet sich im Städel, Frankfurt am Main. Sieben Jahre später entstand eine weitere Version, die wahrscheinlich die bekannteste ist. Sie befindet sich heute im Louvre in Paris und entstand 1717 als verspätete Arbeit Watteaus zur Aufnahme in die französische Akademie. Die jüngste und größte Fassung, die 1717 oder 1718 entstand, befindet sich im Schloss Charlottenburg, Berlin. Mit diesen sogenannten „Fêtes galantes“-Gemälden schuf Watteau eine neue Bildtradition, bei denen Rubens und dabei insbesondere dessen Gemälde Liebesgarten das Vorbild waren. Watteau begründete mit ihnen jedoch eine Bildtradition der Darstellung gesellschaftlichen Lebens im Garten, die bis zu den Impressionisten prägend war.
Alle drei Gemälde zeigen eine vornehme Gesellschaft junger Leute, die wie auf einer Bühne an einem Ufer versammelt sind. Sie scheinen zu warten; eine erkennbare gemeinsame Handlung gibt es nicht. Jean-Antoine Watteau bezog seine Anregung von dem Lustspiel Die drei Cousinen von Florence Dancourt, das 1700 in Paris uraufgeführt wurde. Die Verse, auf die das Bild sich bezieht, lauten:
Kommt zu der Insel Kythere, Der Pilgerfahrt schließt euch an. Ein Mädchen kommt zurück schwere, Sei's ohne Freund oder ohne Mann; Man macht dort die größte Affäre Aus zärtlichstem Amusement.Auf der ältesten Fassung stehen drei junge Frauen in glänzenden Gewändern im Mittelpunkt. Sie halten alle drei den Blick gesenkt, die mittlere versucht die anderen mit sich zum Schiff zu ziehen, wobei sie von einem jungen Mann unterstützt wird. Der Hochzeitgott Hymen, der in seiner linken Hand eine Fackel trägt, schwebt am Himmel und in der linken Bildhälfte erwarten Amoretten die höfische Gesellschaft. Mehr im Bildvordergrund steht ein Paar, das dem Betrachter den Rücken zugekehrt hat. Er weist mit einladender Geste auf das links wartende Schiff und scheint die Gruppe der jungen Frauen, die noch zögern, aufzufordern, mit dorthin zu ziehen.
Die Pariser und die Berliner Fassung sind sich sehr ähnlich. Auf diesen beiden Fassung findet sich in der Bildmitte eine gelb gekleidete Frau, die sehnsuchtsvoll zurückblickt, während ihr Begleiter zum Aufbruch zum bereitliegenden Schiff drängt. Beide Gemälden zeigen rechts auf einem leicht erhöht liegenden Hain eine Statue der Liebesgöttin Venus. Auf der Pariser Fassung ist die rosenumkränzte Statue starr und gerade. Auf der Berliner Fassung winden Amoretten eine Rosengirlande um die Statue, die hier deutlich bewegter dargestellt ist. Diese Statue findet sich nahezu identisch auch auf Antoine Watteaus Gemälde Das Liebesfest aus dem Jahre 1717.
Auf allen drei Gemälden findet sich im Hintergrund, zum Teil nur sehr schwach angedeutet, die Insel Kythera, eine griechische Insel vor der Südostspitze der Peleponnes. Es ist der Ort, an dem Venus der Sage nach aus dem Schaum des Meeres an Land gestiegen sein soll. Eben an dieser Stelle haben sich zahlreiche Liebespaare versammelt.
Die Insel Kythera galt im 18. Jahrhundert als ein Reich der Liebe, fern aller Konflikte. Watteau hatte sich mit dem Thema bereits längere Zeit beschäftigt und erst kurz zuvor einen Pilgerzug zur Insel Kythera bei der Akademie in Paris eingereicht. Es ist deshalb umstritten, ob hier nicht vielleicht das Verlassen der Insel Kythera dargestellt ist. Dafür spricht auch der sehnsüchtig rückwärts gewandte Kopf der Frau in der Bildmitte.
Um 1716 nahm ihn der Kunstsammler Pierre Grozat in sein Haus auf, wo dessen große Sammlung von Handzeichnungen ihm eine reiche Studienquelle eröffnete, und wo er mit Kunstkennern wie Jean de Julienne und anderen Bekanntschaft schloss. Im Herbst 1720 machte er eine Reise nach London, von der er Anfang 1721 zurückkehrte.
Er hat mit seinen Schäferstücken, galanten Festen, ländlichen Vergnügungen und Schauspielerdarstellungen eine neue Gattung der Malerei begründet und durch seine Figuren, deren Kostüm er zumeist des Theaters entlehnte, einen Einfluss auf die Modetracht seiner und der späteren Zeit ausgeübt. Schon zu seiner Zeit kamen die Coiffures à la Watteau auf, zu denen sich später ganze Kostüme à la Watteau, die Watteauhäubchen, die Negligés à la Watteau u. a. m. gesellten.
Mit großer Sicherheit und Lebendigkeit der Zeichnung verband er eine geistreiche und leichte, wenn auch bisweilen flüchtige Pinselführung und ein fein ausgebildetes Naturgefühl, das sich besonders in den landschaftlichen Hintergründen seiner Gemälde zeigt. Die größte Zahl von Gemälden Watteaus (19) befindet sich, von Friedrich dem Großen angekauft, im Besitz der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (in Schloss Charlottenburg und im Neuen Palais in Potsdam), darunter eine in der Komposition veränderte Wiederholung der Einschiffung nach Kythera, der Liebesunterricht, ein ländliches Vergnügen, die tanzende Iris und das Firmenschild des Kunsthändlers Gersaint, und demnächst im Louvre zu Paris (Der Fehltritt, La finette, l'Indifferent, Der italienische Harlekin Gilles und Die Gesellschaft im Park). Eine große Anzahl von Bildern Watteaus befindet sich auch in englischem Privatbesitz (die hervorragendsten in der Londoner Wallace Collection).
Von seinen übrigen Werken sind hervorzuheben: Die italienische sowie die französische Komödie und der Tanz in der Gemäldegalerie Berlin, zwei galante Feste im Freien (in der Dresdner Galerie), der junge Savoyarde und das Menuett (in der Eremitage zu St. Petersburg), die Dorfhochzeit (im Soanemuseum zu London), der Ball und die Jagdgesellschaft (im Dulwich College bei London).
Der überwiegende Teil des künstlerischen Werks von Watteau (nahezu 800) sind von Claude Audran III, Pierre Aveline, François Boucher, Anne-Claude-Philippe, Comte de Caylus, Charles Nicholas Cochin, Gabriel Huquier, Larmessan, Jean-Baptiste Scotin, Simon Thomassin u. a. gestochen worden (eine Auswahl davon auf 60 Tafeln mechanisch reproduziert in Dekorationen und Malereien von A. Watteau, Berlin 1888). Seine Malweise wurde eine Zeitlang durch seine Schüler Nicolas Lancret und Jean-Baptiste Pater fortgesetzt.
Dieser vierbändige Korpus gehört zu den bedeutendsten, berühmtesten und seltensten graphischen Werken des 18. Jahrhunderts. Er ist benannt nach Watteaus Freund und Förderer Jean de Jullienne (1686–1766), dessen Anliegen es war, mit diesem Werkverzeichnis Watteaus Kunst zu bewahren und zu dokumentieren. 621 Radierungen erschienen zwischen 1726 und 1735 als enorm kostspielige Prachtbände in 100 kompletten Sätzen. Der französische König Ludwig XV. besaß 10 Exemplare dieses Werkes. Um die Blätter einzeln verkaufen zu können, wurden später zahlreiche Sammelbände zerlegt. Die beiden ersten Bände erschienen 1726 und 1728 und enthielten Watteaus 350 zeichnerische Detailvorlagen für Gemälde auf hervorragender Papierqualität in Übergröße (Format grand jésus). Dafür beschäftigte Jullienne 13 Kupferstecher, darunter Jean Audran und François Boucher. Jullienne selbst stellte 20 Radierungen her. Die Bände 3 und 4 wurden schließlich mit 16 der besten Graveure Frankreichs ausgeführt, darunter Jacques-Philippe Le Bas, Louis Crépy, Charles Nicolas Cochin und Jean Audrans Sohn Benoit. Das Format grand aigle war noch größer, wurden doch hier die Gemälde selbst zum Gegenstand.
Seit dem 18. Jahrhundert hat es in der Rezeption des Werkes Watteaus verschiedene Positionen gegeben. Nach dem Tod des Künstlers bemühten sich seine Freunde und Bekannten, u. a. der oben genannte Comte de Caylus, um eine ausführliche Darstellung seiner Arbeiten und seines Lebens. Seine Zeitgenossen beschrieben seine Werke in erster Linie als „fröhlich“ und „heiter“. Dennoch geriet Watteaus Werk in den darauf folgenden Jahrzehnten in Vergessenheit. Erst der romantisch-melancholische Blick auf seine Bilder im 19. Jahrhundert, beispielsweise durch Gedichte der Brüder Edmond und Jules de Goncourt, brachte ihn wieder ins Bewusstsein der Kunstwelt. Die historisierende Vorstellung von Watteau als eines leidenden und einsamen Künstlers war bis in die 1980er Jahre präsent. Unterstützt wurde sie durch die nur schwer lesbare, „mystische“ Bildsprache des Künstlers und durch den Umstand, dass er an Schwindsucht starb. In den 1980er Jahren wurde das in den Fêtes galantes primär sichtbare Sujet der Liebe wiederaufgenommen. Seit den 1990er Jahren unterstützt eine Vielzahl von Wissenschaftlern den Standpunkt, dass der Aspekt der galanten Liebe in Watteaus Bildinhalten ambivalent zu lesen ist. Auf der Basis galanter Konversationen komponiert der Maler, mittels Gesten und Mimiken, in nicht eindeutig lesbaren Figurenkonstellationen ein „semantisches Vakuum“
Im England des 18. Jahrhunderts bezog man sich in der Landschaftsmalerei gerne auf italienische Vorbilder, besonders auf Claude Lorrain.
Im späten 18. Jahrhundert entwickelte sich bei Malern ein Interesse am Erhabenen in der Natur. Burkes Untersuchung von 1756 von über das Erhabene (Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful) führte zu gedanklichen und künstlerischen Auseinandersetzung mit seinen Ideen nicht nur in England sondern auch in der ästhetischen Debatte in Deutschland.
Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts bildete sich in England in bewusstem Gegensatz zum architektonischen Garten Frankreichs eine neue Gartenkunst aus, deren Architekten sich an Bildern Lorrains und Poussins orientierten und die Grenze zwischen Gartenanlage und freier Landschaft verwischten. An Stelle von Gartenfluchten, Achsen und Symmetrien trat nun der natürliche Baumwuchs und die von der Romantik inspirierte Ruinen-Idylle. Wie es Adrian von Buttlar formuliert, werden „Gartenszenen nach den Regeln der Landschaftsmalerei mit Massen, Zwischenräumen, Farbe, Licht und Schatten sowie das Gesamtbild rahmenden Repoussoirs“ komponiert.
Turners Vater war Barbier, seine Mutter Tochter eines Schlachters. Sie lebten in einer Wohnung in Maiden Lane, im Stadtteil Covent Garden, nahe der Themse in London. Vermutlich weil seine Mutter seit spätestens 1786 psychisch krank war (sie wurde 1799 ins Hospital eingeliefert, wo sie vier Jahre später starb), hielt sich der junge Turner viel bei Verwandten auf dem Lande auf. Hier lernte er, Kupferstiche zu kolorieren und er begann sie zu kopieren und bald auch seine Skizzenbücher mit Zeichnungen nach der Natur zu füllen. Der Vater schätzte das Talent des Sohnes und stellte dessen Zeichnungen in seinem Geschäftslokal aus, wodurch 1789 Förderer auf ihn aufmerksam wurden und ihm noch im gleichen Jahr ein Stipendium an der Royal Academy ermöglichten.
Zugleich verdiente er zusammen mit seinem Freund Thomas Girtin sein Geld mit der dekorativen Vervollständigung von Architekturzeichnungen oder dem Kolorieren von Kupferstichen, machte sich aber auch bald einen Namen mit eigenständigen topographischen Aquarellen, eines war bereits 1790 in der Jahresausstellung der Akademie zu sehen. Turner bereiste 1792 und 1795 Wales im Norden Englands. Er lieferte Vorzeichnungen zu Landschaftskupferstichen für das Copper-Plate Magazine (1794–1798) und den Oxford Almanach (1798–1804). Seit den 1790er Jahren folgten koloristische und zeichnerische Auftragsarbeiten für Edward Lascelles, 1st Earl of Harewood, den Architekten und Sammler John Soane, Sir Richard Colt Hoare, und andere Sammler, Kunsthändler und Stecher. Seit 1794 waren Turner und Girtin Teilnehmer im "Monro Circle", einem Kreis junger Künstler, die in einer Art privaten Akademie des Arztes Dr. Thomas Monro im Zeichnen mit Wasserfarben gefördert und angeleitet wurden und einen eigenen Aquarellstil entwickelten. Als Student der Royal Academy erlernte er auch 1795 die Ölmalerei, die seitdem in seinem Werk eine wachsende Rolle spielte.
1796 stellte er sein erstes Ölgemälde (Fischer auf See) aus und wurde drei Jahre später außerordentliches Mitglied der Royal Academy of Arts. Zu der Zeit war Turner bereits finanziell unabhängig, so dass er aus seinem Elternhaus auszog und sich in der Harley Street einmietete. Durch einen Besuch bei William Beckford (1799), einem seiner Förderer, wurde Turner angeregt, sich mit den großen Traditionen der europäischen Malerei auseinanderzusetzen. Um die Jahrhundertwende ging das architektonisch-topographische Interesse in den Bildthemen Turners zugunsten einer Bevorzugung von Natur und Landschaft deutlich zurück. Der Friede von Amiens ermöglichte es ihm 1802, also zwischen den Napoleonischen Kriegen, nach Frankreich und in die Schweiz zu reisen, um die von Napoleon geraubten und im Louvre ausgestellten Bilder anzuschauen.
Im gleichen Jahr wurde Turner als Vollmitglied in die Royal Academy aufgenommen, schon 1803 gehörte er vorübergehend zum Vorstand. Er blieb ihr zeitlebens verbunden, auch wenn seine Stellung dort nicht unangefochten blieb. Auch wenn er von der zeitgenössischen Kunstkritik angefeindet wurde, erwarb sich Turner doch schon früh die Anerkennung von Sammlern und Kollegen und blieb bis zu seinem Tode finanziell unabhängig. Schon 1804 war er so vermögend, daß er an seinem Haus eine Galerie anbauen lassen konnte, in der er seine eigenen Werke ausstellte. Dies war in der englischen Kunstwelt etwas völlig Neues.
Im Jahr 1807 wurde er Professor für Perspektive an der Royal Academy, hielt aber nur von 1811 bis 1828 Vorlesungen. Inzwischen war Turner neben John Constable einer der führenden englischen Landschaftsmaler. Viele seiner Werke wurden 1819 in zwei größeren Ausstellungen gezeigt.
Im selben Jahr unternahm Turner seine erste Italienreise. Das südliche Licht bestätigte ihn in seiner Auffassung von Licht und Farbe. Innerhalb von vier Monaten schuf er mehr als 2000 Bleistiftskizzen von Stadt- und Naturlandschaften auf der Route Rom-Neapel-Venedig. Wieder in England angekommen, begann er seine Auffassung von der Kraft des Lichts auch in der Ölmalerei zu realisieren. Ein Beispiel ist das 1819 entstandene Gemälde Modern Rome – Campo Vaccino. Zwar änderte Turner seinen Stil nicht abrupt, doch zog er eine klare Trennung zwischen seinen Auftragsarbeiten und seinen Experimenten, in denen sich seine Ideen voll entfalteten. 1829 starb sein Vater, der seinen Haushalt organisiert, seine Geschäfte erledigt und Leinwände grundiert hatte. Seitdem hielt er sich häufig länger bei einem seiner Förderer auf, dem Earl of Egremeont der in einen freizügigen Lebensstil pflegte und Turner ein Atelier einrichtete. 1828/29 fuhr er erneut nach Rom, 1833 und 1840 nach Venedig. Sein Interesse verlagerte sich immer stärker auf elementare Erscheinungen. Andere Reisen, oft im Zusammenhang mit verlegerischen Projekten, führten bis 1845 in die Schweiz, nach Savoyen, Frankreich, Wales und Schottland. Um 1840 entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung mit John Ruslkin, der mit seinen Modern Painters (1843) zum einflussreichsten Parteigänger Turners wurde.
Viele seiner besten Bilder entstanden in den letzten Lebensjahren. Turner zog sich nach dem Kauf eines Hauses in Chelsea über 70-jährig aus der Öffentlichkeit zurück, auch weil sich seine Gesundheit mehr und mehr verschlechterte. Das letzte Bild, das Turner an die Royal Academy schickte, war Der Besuch am Grabe.
Turner war eine nicht immer angepasste, in mancher Hinsicht schrullige und exzentrische Persönlichkeit. Obwohl er viel Aufmerksamkeit genoss, blieb er verschlossen, schweigsam und zuweilen auch mürrisch, er war nachlässig in seinem Äußeren, seine Arbeitsmethoden hütete er eifersüchtig, und über sein Privatleben hüllte er sich in Schweigen. So wissen wir kaum etwas Sicheres über seine Beziehung zu Sarah Danby, der Witwe seines Freundes John Danby mit der er seit etwa 1800 wohl zwei Töchter hatte und nur wenig mehr über Sophia Booth, die ab etwa 1833 bis zu seinem Tode für ihn sorgte. Verheiratet war er nie.
Folgen von Kupferstichen mit Landschaftsdarstellungen waren in England seit dem 18. Jahrhundert beliebt und verbreitet. Einzelblätter dienten als Wandschmuck, Mappenwerke befriedigten den Sammlermarkt. Die Bevorzugung der englischen Topographie verdeutlicht dabei, daß dieses Genre als Ausdruck patriotischer Gesinnung verstanden wurde. Turner war fast jedes Jahr auf Reisen durch Großbritannien und die Länder Mitteleuropas und füllte dabei zahlreiche Skizzenbücher. Diese teils aquarellierten Ansichten wurden für ihn zu einem nachhaltig verwerteten Motivfundus. Daneben entstanden Einzelblätter mit bildhaft ausgearbeiteten Aquarellen, für die es einen lukrativen Markt gab. Ab 1814 lieferte Turner das sorgfältig in Sepia oder Wasserfarbe ausgearbeitete Vorzeichnungsmaterial zu Folgen von Radierungen und Buchillustrationen die meist von anderen Künstlern auf Druckplatten umgesetzt wurden:
Unter den topographischen Zyklen spielt der mit einem programmatischen Ansatz geplante Liber Studiorum eine besondere Rolle. Mit ihm ahmt er den Liber Veritatis nach, in dem Claude Lorrains Landschaftskompositionen in England verbreitet worden waren. Auch wenn das 1807-1819 herausgegebene Werk kein geschäftlicher Erfolg war vermittelte es doch dem englischen Publikum Turners Vorstellungen von Landschaftskunst, ihrer thematischen Unterteilung und ihrer idealen Darstellungsweise. Es erschien in 14 Lieferungen, jede enthielt fünf Blätter aus je einer der Kategorien Pastorale, Seetück Berglandschaft, Architektur, historische Landschaft oder episch-ländliche Landschaft, mit dem radiertes Titel 71 Blatt. Turner lieferte nicht nur die in Sepia ausgeführten Vorlagen, sondern radierte auch erhebliche Teile selbst. Sein (mit ihm nicht verwandter) Namensvetter Christian Turner, ab Folge 5 dann andere Stecher, vervollständigten die in Schabkunsttechnik (Mezzotinto)ausgeführten Druckplatten.
So revolutionär und "unzeitgemäß" Turner auch erscheint, so war sein Stil doch weder völlig voraussetzungslos, noch abseits des Zeitgeistes. Das Interesse am Unwirklichen in der romantischen Literatur, die Vorliebe der Zeitgenossen für das Aquarell und seine Eignung zu lichtheller Landschaftsdarstellung, die dramatischen Lichteffekte Rembrandts, die atmosphärischen Szenerien Lorrains, und die Farbenlehre Goethes flossen in den Malstil Turners ein. Noch 1833 reist er über Berlin, Dresden, Prag und Wien, um in den großen Museen die Alten Meister zu studieren. Um 1800 stehen die manchmal eher dunklen Gemälde noch unter dem Einfluss Richard Wilsons, des Malers der Erhabenheit englischer Landschaften. 1802 dürfte ihn im Louvre die rauhe, pastose Malweise Tizians beeindruckt haben. Im zweiten Jahrzehnt hellte sich die Palette auf, seine erste Reise nach Italien (1819) verschaffte ihm Eindrücke, die ihn zum Maler des Lichts werden ließen. Schon in den Werken seiner Jugendzeit wird es effektvoll eingesetzt, wenn es, die Bilderzählung dramatisch steigernd, aus den Wolken hervorbricht.
Die Sonne selbst, vor Turner kaum einmal als Lichtquelle Gegenstand der Malerei (Ausnahme: Claude Lorrain), taucht schon in den frühen Landschaften auf, die meist eine morgendlich oder abendlich beleuchtete Stimmung wiedergeben. Sind hier die Einzelheiten noch eher detailliert ausgeführt und mit Staffagefiguren bevölkert, entmaterialisieren sich die Sujets im Spätwerk immer mehr und die Konturen lösen sich in diffuse Übergänge auf. Ein Minimum an Gegenständlichem ist mit einem Höchstmaß an atmosphärischen Farb- und Helligkeitsabstufungen wiedergegeben. Diese Gemälde sind es, die Turner als Vorläufer der Abstrajten Kunst erscheinen lassen, doch ging es Turner nicht um formale Experimente sondern seine Darstellungsweise war immer Ausdruck von sinnlich Erfahrenem und ebenso sinnlich Wahrzunehmendem. Seine Malweise, vor allem in den Landschaften, bei denen es nicht um topographische Treue ging, folgte keiner peniblen Vorzeichnung. Oft ging der Maler von skizzenhaft mit dem Palettmesser auf die Leinwand gebrachten Spachtelstrichen aus, die im weiteren Malprozess, die Anregungen des Zufalls einbeziehend, ausgearbeitet wurden. Auch ist daran zu erinnern, daß zwar seine vielen Zeichnungen, nur wenige seiner Aquarelle, aber keinesfalls größere Ölgemälde vor der Natur entstanden, denn dies setzte Tubenfarben voraus, die erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Verfügung standen und die Freilichtmalerei der Impressionisten ermöglichten.
Sein eindrucksvolles Selbstbildnis darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Bildnis im Werk Turners praktisch keine Rolle spielt. Überhaupt kommt Figürliches nur am Rande vor, zum Beispiel als Staffage in den historischen Landschaften oder als den Naturgewalten ausgesetzte, kaum erkennbare Kreatur. Nach dem Vorbild niederländischer Marinemaler, etwa Willem van de Velde, stellte er zu Anfang des Jahrhunderts gerne Schiffe in stürmischer See dar. Seit 1798 hatte die Royal Academy erlaubt, den ausgestellten Gemälden Gedichte oder Zitate hinzuzufügen. Turner machte davon intensiv Gebrauch, doch tragen seine Verse nicht immer zur Klärung der Bildintention bei. Manche scheinen nachträglich zugeordnet, es scheint sogar, daß "Turner in Worten dem nachtastete, was er an seinem Bild erlebte".In seinen mythologischen und Historienbildern (diese Gattung wurde zu seiner Zeit noch gegenüber der Landschaftsmalerei als höherrangig angesehen) spielt die figurale Aktion nur eine nebensächliche Rolle. Auch hier gilt: Licht, Wasser, Natur und Landschaft sind die eigentlichen Bildthemen. Die Elemente der Landschaft erscheinen teils idyllisch und anmutig, oft aber als bedrohlich: ein Seesturm, ein Vulkanausbruch, ein Unfall im Gebirge, die Sintflut, zerschellende Schiffe oder brennende Gebäude sind typische Motive. Hinter den malerischen Mitteln, diese Dramatik darzustellen, sind immer wieder Aussagen verborgen, die Turners Wahrnehmung seiner Zeit, Umwelt und Gesellschaft erkennen lassen: Das von einem Dampfschiff im Licht der untergehenden Sonne zum Abwracken geschleppte Segelschiff Temeraire (1838), das Sklavenschiff (1840), die dem Gewitter auf schmaler Brücke trotzende Große West-Eisenbahn (1844), sind in dieser Epoche noch seltene Zeugnisse für die künstlerische Wahrnehmung technischer Neuerungen oder sozialer Mißstände. Auch im Brand des Parlamentsgebäudes (1834) sieht man heute neben der reportagehaften Aktualität im "strafenden Eingriff des Lichts" die Vergänglichkeit gesellschaftlicher Verhältnisse als symbolischen Nebensinn ausgedrückt. Dreimal war Turner in Venedig, der Stadt, in der er seine wichtigsten Stadtansichten malte, immer vom Wasser her gesehen. Die frühe Rialtobrücke (1820) ist noch traditionell im Stil der überkommenen Vedutenmalerei ausgearbeitet, die zahlreichen späteren Bilder dagegen lassen die Lagunenstadt im flirrenden Licht verschwimmen
Das Interesse verlagerte sich vom Motiv auf die Malweise. Cezanne fasste das Bild nicht mehr im Sinne Albertis als Fenster zur Welt auf, auf der ebenen Fläche wird kein dreidimensionaler Raum vorgetäuscht, das Bild ist vielmehr ein zweidimensionales Feld, in dem Ordnung von Formen und Farben relevant ist. Das Bild selbst ist eine parallele Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Welt und nicht deren Abbildung.
Gegen Ende des Jahrhunderts verstärkten sich die Tendenzen zu einer subjektiven Interpretationen der Welt und zur Dominanz einer persönlichen Handschrift, wie es sich in den expressiven Landschaften eines van Gogh zeigt sowie einer vermehrten Vielfalt künstlerischer Perspektiven, ein Kennzeichen der Malerei der Moderne.
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts richtete sich das Interesse des Publikums verstärkt auf die Landschaftsmalerei. Angeregt durch Schriften J.J. Rousseaus, in denen eine neue Sensibilität für die Natur und deren Wirkung auf die seelische Verfasstheit des Menschen erkennbar ist, sahen Dichter und Künstler der Romantik in der Natur einen Quell leidenschaftlichen Gefühls und eine metaphysische Dimension. Nach der Infragestellung von überkommenen Glaubensgewissheiten im Zeitalter der Aufklärung suchten Maler wie Friedrich in der Natur und der Landschaft einen transzendentalen Bezug. Nach dem Verlust alter Ideale sollte es Aufgabe der Kunst sein, Utopien sichtbar zu machen und ein neues Leit- und Idealbild herzustellen. Als beispielhaft gilt hier sein Tetschener Altar von 1808, der in literarischen und philosophischen Kreisen eine heftige Grundsatzdebatte über eine mögliche religiöse Funktion von Landschaftsbildern auslöste.
Romantische Landschaften zielen auf die Auslösung emotionaler Prozesse, auf eine Bildmagie, die einen inneren Dialog zwischen Betrachter und Bild bewirken soll.
Zur gleichen Zeit malten Künstler wie Koch, Reinhart, Hackert oder Wolf, die einem Klassizismus verpflichtet waren. Sie orientierten sich an den alten Vorbildern Poussin und Claude Lorrain, da aus der Antike selbst keine Landschaftsbilder bekannt waren. Diese Maler sahen in ihren Bildern die Aufgabe, einen idealen Weltentwurf sichtbar zu machen im Sinne einer Wiederbelebung des antiken Geistes.
Bilder der Romantiker hatten ihre Wirkung auf die Landschaftsmaler in England und in den USA. Maler wie William Blake und Turner teilten Friedrichs Interesse an einer symbolischen Aufladung von Landschaften. Turner setzte sich in seinen unzähligen Landschaftsskizzen und seinen expressiven und farbintensiven Gemälden mit der Wirkung von Licht und Raum auseinander. In den USA bezogen sich die Maler der Hudson River School auf die deutsche romantische Malerei.
In niederländischer Tradition steht der Düsseldorfer Maler J. Metzler, der von Niederrhein aus nahezu alle bedeutenden Landschaften malte.
Die Schule von Babizon, deren Mitglieder in die freie Natur gingen und dort ihre Bilder malten, anstatt - wie bisher üblich - im Atelier nach Skizzen aus der Natur auszuführen, war von außerordentlich großem Einfluss auf die Malerei der kommenden Generation, vor allem auf die Impressionisten. Ziel der Maler von Barbizon war es, die Natur oder eine konkrete Landschaft mit all ihren unterschiedlichen Beleuchtungssituationen realistisch und objektiv wiederzugeben.
Die Schule von Barbizon wurde von einer Gruppe französischer Landschaftsmaler Mitte des 19. Jahrhunderts gebildet. Die Künstler hielten sich in dem Dorf Barbizon am Wald von Fontainebleau auf. Es handelt sich nicht um eine Schule im engeren Sinne. Die Maler strebten weder eine einheitliche Ästhetik noch eine feste Schulstruktur an. Was sie einte, war vielmehr die Ablehnung der akademischen Lehre zugunsten eines unmittelbaren Zugangs zur Natur
Die Malerkolonie, die um 1830 von Theodore Rousseau gegründet wurde und bis etwa 1870 bestand, beeinflusste maßgeblich die Landschaftsmalerei in ganz Europa, so vor allem den Impressionismus.
Statt der vom klassischen Kanon geforderten Bilder mit historischen, religiösen oder mythologischen Themen malten die Vertreter der Schule von Barbizon kleinformatige Landschaften. Kennzeichnend für die Schule war die Hinwendung zur realistischen Naturdarstellung im Gegensatz zur klassisch-idealistischen Landschaftskomposition. Diese neue Sicht der bereits zum Impressionismus überleitenden Paysage intime zu einem Markenzeichen der Gruppe.
Da weniger die Hinwendung zu einem bestimmten Ziel, als vielmehr die Abwendung vom akademischen Klassizismus das verbindende Element der Gruppe war, unterschieden sich die Maler durch ihre jeweilige Auffassung.
Während die meisten der Gemälde heutzutage als eher sentimental geprägt gesehen werden, galten einige zur Entstehungszeit wegen ihres sozialen Realismus als radikal, so zum Beispiel das Bild Ährenleserinnen von Millet.
Die Schule von Barbizon hatte entscheidenden Einfluss auf die Impressionisten. Diese begaben sich oft auf der Suche nach Orten für ihre Pleinairmalerei in den Wald von Fontainebleau, wo sie auf die Maler von Barbizon trafen.
Die Impressionisten sahen die Welt ausdrücklich durch ihre Maleraugen. Sie bestanden darauf, ihren Zeitgenossen im richtigen Sehen voraus zu sein. So hoben sie hervor, dass sich die farbige Erscheinung eines Gegenstandes je nach Umgebung und Beleuchtung verändert; ebenso dass Schatten durch ihre Umgebung bestimmt sind und verschiedenartige Farbwerte annehmen können. Ferner sei es unerheblich, so behaupteten sie gelegentlich, welchen Gegenstand man male, die Lichtverhältnisse seien entscheidender. Oftmals wird in ihren Werken der Effekt einer bestimmten Tages- bzw. Jahreszeit hervorgehoben.
Das Wort Impressionismus, abgeleitet von lat. impressio (Eindruck) bzw. frz. impressionnisme, etablierte sich als kunstwissenschaftlicher Begriff bereits 1874. Der Kunstkritiker Louis Leroy leitete aus dem Gemälde Impression — soleil levant (Impression — Sonnenaufgang) von Claude Monet die abschätzig gemeinte und von den Betroffenen zunächst ungeliebte Bezeichnung ab. Das Werk wurde 1874 in der ersten gemeinsamen Ausstellung einer Gruppe junger Maler gezeigt, die sich um den etwas älteren, damals 44-jährigen Camille Pissarro in der Umgebung von Paris gebildet hatte. Sie entschlossen sich schließlich, den vom Urheber negativ gemeinten Begriff anzunehmen und künftig selbst, quasi als „Nom de guerre“, gegen die etablierte Kunstwelt des Salon de Paris einzusetzen, deren ablehnende Haltung Anlass für die selbst organisierte Ausstellung gewesen war.
Die Namengebung wurde begünstigt, da die von Monet eingesandten Arbeiten durch ihre monotonen Bildtitel wie Eingang zum Dorf, Ausgang aus dem Dorf, Morgen im Dorf, Edmond Renoir, den Bruder Auguste Renoirs, verärgerten. Da Monet das von ihm eingesandte Bild nun nicht mehr Ansicht von Le Havre nennen durfte, antwortete er Edmond Renoir: „Schreiben Sie Impression“. Im Katalog erschien die Arbeit als Impression — soleil levant.
Die Impressionisten malten oftmals unter freiem Himmel und sur le motif (vor dem Motiv). In vielen Bildwerken betonten sie die Reflexion des Lichtes und die Spektralfarben.
Für das Kunstleben, das Ausstellungswesen, den Kunsthandel und die Geschmacksbildung war Paris die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Entstehung und Ausbreitung der impressionistischen Malerei bedurften der Lebensweise und des kulturellen Klimas von Paris.
Die gesellschaftliche Entwicklung hatte es mit sich gebracht, dass Kunstwerke vorwiegend von unabhängigen Personen geschaffen wurden. Zwischen den Künstlern und den Käufern von Werken waren mit wachsender Bedeutung die Kunsthändler angesiedelt, die zur Herstellung der notwendigen Kontakte in ihren Galerien Kunstwerke präsentierten. Die Künstler wurden so zusätzlich in die Konkurrenzkämpfe ihrer Händler hineingezogen. Der Impressionismus nimmt eine Schlüsselposition in der Geschichte des Ausstellungswesens ein. Ohne die Streitigkeiten um Annahme oder Zurückweisung gerade impressionistischer Bilder wäre sie nicht verständlich.
In Frankreich überragte eine Ausstellungsmöglichkeit alle anderen an Bedeutung: der Salon de Paris. Der Salon befand sich im Louvre. In dem politisch und kulturell seit langem besonders zentralistisch orientierten Land ließen sich gültige Wertmaßstäbe nur in der Hauptstadt festlegen. Seit 1673 gab es regelmäßige Ausstellungen von Mitgliedern der königlichen Akademie der Künste. Nach der Revolution von 1789 ließ man 1791 auch Nichtakademiker zu. Über die Zulassung entschied eine Jury, die bis 1863 aus Mitgliedern der Académie des Beaux-Arts bestand, einer Abteilung des Institut de France, des vornehmsten Instruments staatlicher Kulturpolitik.
Die Kunstkritik befasste sich recht ausführlich mit dem Salon. Die Mehrheit des Publikums verließ sich in ihrem unselbständigen Urteil weitgehend auf die Expertenentscheidungen der Jury. Ein auf dem Keilrahmen als refüsiert, als zurückgewiesen markiertes Bild verkaufte sich nur selten.
In der klassizistischen Malerei war das Studium von musterhaften alten Kunstwerken, das Befolgen von Gestaltungsregeln, dem Naturstudium übergeordnet. Auf Farbigkeit konnte ein strenger Klassizist im Prinzip auch verzichten. Hauptvertreter des Klassizismus war Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780–1867), der noch als patriarchalische Autorität wirksam war, als die angehenden Impressionisten ihre künstlerische Auffassung zu profilieren begannen.
Als Gegenpol zu Ingres erschien Eugène Delacroix (1789–1863). Da ihm Farbe und nicht die Linie das ausschlaggebende Gestaltungsmittel war, verweigerten ihm die Klassizisten der Académie Française siebenmal, bis 1857, die Zuwahl in dieses höchste Gremium französischer Künstler. Delacroix wurde zum Vorbild vieler Impressionisten, die sich entschieden von der romantischen Schule und dem Klassizismus abgrenzten.
Einige Charakteristika impressionistischer Landschaftsmalerei, so u. a. unter freiem Himmel, sur-le-motif (vor dem Motiv), finden sich schon in der Schule von Barbizon, den Werken von William Turner (1775–1851), John Constable (1776–1837), Richard Bonington (1801–1828) und Johan Barthold Jongkind (1819–1891). So wurde die Landschaftsmalerei, die in der herrschenden klassischen Kunstlehre nur einen niedrigen Rang (petit genre) einnahm, bereits salonfähiger.
Für die Entwicklung des Realismus in der Malerei waren die Landschaftsmaler der Schule von Barbizon von größter Bedeutung. Die Beobachtung der Natur lenkte die Aufmerksamkeit der Maler auf die wechselnden Phänomene des Lichts und seine Bedeutung für die farbige Erscheinung der Dinge. Derartige künstlerische Interessen traten damals in nahezu allen europäischen Ländern auf. Diese Haltung wurde für den Impressionismus zu einem entscheidenden Motor.
Die Haltung realistischer Maler mit ihrem Hauptstreiter Gustave Courbet wurde ebenfalls grundlegend für den Impressionismus. So vertrauten diese ihrem Augensinn und machten ihre Bilder gleichsam zu Fenstern. Diese Treue zur Natur, wie man statt Realität auch sagte, die in ihren Augen erst ein wahrhaftiges Bild ergab, musste erlernt und jedes Mal hart erarbeitet werden. Auch das Sehen selbst galt es zu üben und zu verfeinern. So erfuhren die Maler, dass sie erst im Prozess ihres Tuns ein anderes Sehen erlernten.
Beim Impressionismus ist ein Mangel an klaren, fest umgriffenen Formen zu beobachten. Die Umrissformen der Objekte werden gezielt verwischt. Die Künstler stellten erstmals Farbigkeit von Schatten heraus. Es wurden ungebrochene Primär- und Sekundärfarben verwendet und auf der Leinwand gemischt, um der Helligkeit natürlicher Beleuchtung nahe zu kommen. Die Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie deren Komplementärfarben Grün, Lila und Orange wurden mit kurzen Pinselstrichen nebeneinander gesetzt. Somit entsteht erst bei angemessener Betrachtungsentfernung ein Bildeindruck. Der Impressionismus erforderte auch Schnelligkeit, die die Absicht des Festhaltens momentaner Eindrücke verlangte. Somit bevorzugten die Impressionisten die Technik der Skizze. Die Perspektivenwirkung fiel weg und die Flächigkeit wurde betont. Die Impressionisten stellten den augenblicksgebundenen natürlichen Eindrucks eines Objektes dar. Milchfarben und lichte Töne wurden verwendet; dadurch entstand ein sinnlicher Eindruck. Der fragmentierte Pinselstrich war jedoch wesentlich mehr als ein bloßes Mittel zum schnelleren Malen. Durch geschicktes Ausnutzen von Kontrasten und Komplementärfarben gelang es den Impressionisten, mit dieser Technik die Leuchtkraft und Farbintensität ihrer Bilder ganz wesentlich zu steigern. Indem sie so ihre Aufmerksamkeit dem Licht und der Farbe selbst mit ihren gesetzmäßigen Wirkungen widmeten und nicht mehr dem Motiv, schufen sie eine bis dahin unerhört helle, lichtdurchflutete Malerei, die im völligen Gegensatz zur dunklen, von Schwarztönen dominierten akademischen Malweise stand.
Im Zusammenhang mit dem Malen in freier Natur steht auch die Prima-Malerei , deren Signifikanz darin bestand, das Werk in einem Arbeitsgang zu vollenden. Wurden die Gemälde normalerweise grundiert und exakt vorgezeichnet, änderte sich diese Vorgehensweise nun grundlegend. Die neue Maxime hieß, das Gemälde in einem Zug und mit der endgültigen Fassung auf die noch weiße Leinwand zu bringen. Auch diese Vorgehensweise unterliegt dem Grundsatz des Impressionismus, den Augenblick festzuhalten, den bestimmten Moment, der von der Natur mit allen ihren Farben und Formen wahrgenommen wird. Um diesen einzigartigen Augenblick so auf das Papier bringen zu können, wie er sich dem Betrachter in diesem Moment darstellt, sollte eine Vorzeichnung oder Überarbeitung eigentlich hinfällig machen. Dennoch kam es trotz aller Bemühungen nicht selten dazu, dass der Arbeitsgang unterbrochen werden musste und das Werk korrigiert wurde.
Eine weitere Eigenschaft des Impressionismus ist die charakteristische flüchtige Zeichentechnik, die Spontaneität und Unmittelbarkeit zum Ausdruck bringt. Da die Motive in der freien Natur ständigen Änderungen der Licht- und Schattenverhältnisse und verschiedenen Bewegungen, beispielsweise durch den Wind, unterworfen sind, sollte nur der flüchtige und transitive Augenblick festgehalten werden. Um diesen Eindruck der Unmittelbarkeit wiedergeben zu können, war eine „artistische Maltechnik“ nötig, denn nur durch jahrelanges Training konnte es gelingen, die Malzeit so zu verkürzen, dass man auch mit flüchtigen Phänomenen, wie beispielsweise dem von den Tageszeiten abhängigen Lichteinfall, mithalten konnte . So kristallisierte sich die Stricheltechnik heraus, die geprägt ist von spezifische Pinselstriche- oder Punkte, die einzelne optische Eindrücke wiedergeben. Auch die Nuancierung der Farben spielt hier eine große Rolle: die Farben werden nicht, wie es sonst in der Malerei üblich ist, mit weiß oder schwarz gemischt, sondern ihnen wird eine individuelle Note verliehen, um so das Bild in der Gesamtheit zu schaffen. Eine harmonische Synthese des Gemäldes kann deshalb nur gelingen, wenn die minimalistisch aufgetragenen einzelnen Nachbarfarben zusammen in Einklang gebracht werden können.
Eugène Delacroix zählt in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts neben Louis André Théodore Gericault zu den führenden Vertretern einer neuen künstlerischen Strömung, die als „Romantische Schule“ in Frankreich bekannt wird. Delacroix entwickelt zum wichtigsten geistigen Wegbereiter des Impressionismus in Frankreich. Der sterbende Mensch und das Erlöschen des Lebens bilden Delacroix` Grundthematik in seiner existentiellen künstlerischen Auseinandersetzung in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts. Im Bild „Das Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 thematisiert Delacroix explizit Zerstörung und Tod mit einhergehender Trauer und schmerzhaftem Leid inmitten eines Kriegsschauplatzes. Hier reiht sich das Gemälde „Der Tod des Sardanapal“ ein. Dargestelltes wird zum psychologischen Spiegelbild des Malers und des Betrachters.
Das Gemälde „La mort de Sardanapale“ des französischen Malers Eugène Delacroix zählt zu den brisantesten Bildern der Kunstgeschichte. Es entsteht 1827 in Frankreich an der Schwelle zwischen Klassizismus und Romantik. „Der Tod des Sardanapal“ bezieht sich auf Byrons Drama „Sardanapalus“ aus dem Jahr 1821 und zeigt das Ende des assyrischen Herrschers Sardanapal dessen Palast von Aufständischen belagert wird. In seiner Erwartung der bevorstehenden eigenen Ermordung durch die Eindringlinge lässt Sardanapal alle seine Reichtümer zerstören und seine Frauen umbringen.
Das großformatige Gemälde fügt sich in den Kontext einer sich herausbildenden romantischen Schule Frankreichs, bei der die subjektiven psychischen Zustände des Künstlers in sinnbildlichen Aspekten wie Hölle, Nacht und Traum zum Anlass und zum Thema künstlerischer Auseinandersetzung werden um dabei den idealisierten Helden aus dem formalen und inhaltlichen Bildzentrum zu vertreiben. Das Bild benennt die Geburtsstunde einer Malerei, bei der die Farbe selbst konkreter wird und zum Bildausdruck bzw. Bildinhalt heranwächst. Der klassizistische, plastisch theatralische Bildraum[2] und seine illustrative Gegenständlichkeit werden im Werk von Eugène Delacroix in radikaler Weise zu Gunsten der bevorzugten Rangstellung der Farbe zerstört. Die Bilder „Dante-Barke“ von 1822 und das „Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 gehen dem Bild „Der Tod des Sardanapal“ voraus. Parallel dazu entstehen Delacroix` „Faust Illustrationen“ in den Jahren 1824 bis 1827. Etwas später malt er „Die Freiheit führt das Volk“.
Nachdem „Der Tod des Sardanapal“ 1827 im Salon auf großes Entsetzen und kollektive Ablehnung stößt, wird das Bild erst wieder 1862 ausgestellt und schließlich 1921 vom Louvre in Paris angekauft, wo es heute zu sehen ist. Im Bild „Das Massaker von Chios“ aus dem Jahr 1824 thematisiert Delacroix explizit Zerstörung und Tod mit einhergehender Trauer und schmerzhaftem Leid inmitten eines Kriegsschauplatzes. Hier reiht sich das Gemälde „Der Tod des Sardanapal“ ein. Dargestelltes wird zum psychologischen Spiegelbild des Malers und des Betrachters.
Delacroix sucht nach den verborgenen, dunklen Seiten des eigenen Ichs und der Seele des Körpers. Er untersucht eine schwarze Welt und die Verstrickungen der eigenen Psyche mit allen Widersprüchlichkeiten wie Erotik und Schmerz, Macht und Hingabe, Lust und Leid, Leben und Tod. Die eigene Psyche treibt den Maler Delacroix zum künstlerischen Umgang mit Farbe. Subjektive Betrachtungsweisen unter dem Gesichtspunkt der Erotik zeigen, dass es im „Tod des Sardanapal“ darum geht, die eigenen Begierden, die eigene Lust im Bild zuzulassen und sie als Antrieb und Thema künstlerischer Arbeit zu akzeptieren.
In dunkel anmutenden Sinnbildern von Hölle, Nacht und Traum entwickelt Delacroix im „Tod des Sardanapal“ vor einem „Schwarzthema“ leuchtende Farben, indem er sie aus dem Dunkel des Hintergrundes, wie aus dem Nichts, malerisch über Grauabstufungen nach vorn heraus treten lässt. Es entfalten sich intensive aufregende Farbwelten durch das kontrastreiche Gegenüber von Licht und Dunkel, in der Entsprechung von Leben zu Tod und anderen Gegensätzlichkeiten unterbewusster Ängste die interpretiert werden können. Die Farbe wird dabei zum eigentlichen Argument des Bildes. „Der Tod des Sardanapal“ setzt sich in diesem Aspekt eindringlich von dem etwas früher entstandenen Gemälde „Das Floß der Medusa“ von Jean Louis André Théodore Gericault aus den Jahren 1818 und 1819 ab, da es die dreidimensionale Illusion des Gegenstandes innerhalb eines plastisch angelegten Tiefenraumes negiert um zu einem malerischen Bildraum in der Fläche vorzudringen, also die konkret gemalte Farbigkeit an der Oberfläche und ihre innewohnende Dramaturgie, aufzuzeigen.
Eugène Delacroix selbst verwendet die Metapher des „Massakers“. Er nimmt Bezug zu seinem früheren Gemälde „Das Massaker von Chios“ und bezeichnet das Bild „Der Tod des Sardanapal“ als sein „Massaker Nr.2“. Zunächst benutzt er diese Metapher angesichts der extrem negativen Aufnahme des Bildes beim Publikum während der Ausstellung im Salon von 1827, um seinen Selbstzweifel zu benennen. Die öffentliche Meinung spricht vom „Ende alles Romantischen“. Darüber hinaus ist das „Massaker“ in erster Linie ein von Delacroix bewusst verwendetes künstlerisches Mittel um der angestrebten Zerstörung einer veralteten Kunstauffassung Ausdruck zu verleihen. Strenge klassizistische Kompositionsprinzipien innerhalb etablierter, idealisierter Heldenbilder haben kein Potenzial weil sie artig und nicht brisant genug sind. Nur durch deren Überwindung können neue gestalterische Wege gefunden und mit modernen inhaltlichen Problematiken verknüpft werden.
Delacroix hinterfragt andere zeitgenössische künstlerische Standpunkte seiner Zeit radikal. Er entwirft psychologisch komplexe Gestalten in denen die dunkle Seite dominiert und benutzt keine vorgefundenen, gesellschaftlich sanktionierten Vorbilder oder Idealgestalten: Der Held weicht in den Hintergrund. Delacroix deckt neue Ausdrucksformen auf um letztlich individuelle Konfliktpotenziale mit gesellschaftlichen Spannungspotenzialen zu vereinen. Gegensätzlichkeiten werden jetzt zum Bildthema.
Das Gemälde schwankt zwischen erotisch-intimen Aspekten und der Darstellung eines historischen Ereignisses, der Belagerung des Palastes des Sardanapal, hin und her. Der Schrecken einer Untergangsstimmung und die Schönheit des Rausches einer nächtlichen Orgie begegnen sich in zwiespältig dramatischer Gegensätzlichkeit im Bild. Eine gewalttätige Szenerie mit dem Ineinander von Erotik und Gewalt löst ein bildzentrales Chaos aus. Hingabe und Zerstörung bestimmen das monumentale Gemälde. Hier wird das Motiv des Orients benutzt, weil freie Erotik und Sexualität in einer Kanalisierung von familiärer Ehe, unter dem Druck der Moralvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft, nicht möglich sind. Der Orientalismus ermöglicht hier ein gemeinschaftlich akzeptiertes Spiegelbild der westlich-europäischen Gesellschaft zu gestalten, weil der Orient als etwas Fremdes angesehen werden kann.
Am 29.4.1874 schrieb der Kunstkritiker Jules Castanary in der Zeitung Le Siecle folgendes: „Sie sind Impressionisten in dem Sinn, daß sie nicht eine Landschaft wiedergeben, sondern die von ihr hervorgerufenen Sinneswahrnehmung.“ Dabei bezog er sich auf eine Ausstellung der Künstler Camille Pissarro, Claude Monet, Alfred Sisley, Auguste Renoir und Berthe Morisot. Erst zwei Jahre zuvor hatte Monet der künstlerischen Richtung zu ihrem Namen verholfen. Auf einer Ausstellung nach dem Titel eines Werkes gefragt, das eine Hafenansicht im Nebel zeigte, antwortete der Maler, es handele sich einfach um eine Impression, einen Sinneseindruck.
Nicht nur an dem einfachen Motiv, auch an der Technik und insbesondere an der Skizzenhaftigkeit des Werkes störten sich Publikum und Kunstkritiker. Zusammen mit diesem Bild stellte Monet im Jahre 1874 den Boulevard des Capucines aus, von dem zwei Fassungen existieren. Mit einzelnen Pinselstrichen sind Häuser, Bäume und Menschen wiedergegeben. Eine eindeutige Perspektive ist nicht erkennbar, ebenso wenig sind die dargestellten Figuren durch Konturen abgegrenzt. Zwei Herren mit Zylinder, die auf einem Balkon stehen, verschwinden größtenteils am rechten Bildrand. Formen und Bildraum lösen sich nur durch farbliche Kontraste aus der Fläche. Monets Anliegen war es dabei, den flüchtigen Eindruck des Lichtes und das Farbenspiel in der Natur zu einer bestimmten Tageszeit wiederzugeben. In kurzen Pinselzügen trug er reine, ungemischte Farbe auf die Leinwand auf. Dabei griff er zurück auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen der Beobachter in der freien Natur weniger eine einzelne Gegenstandsfarbe ausmacht als ein Gemisch von Farbtönen, die sich erst im Auge zu Flächen formen.
In skizzenhafter Malweise die Stimmung eines kurzen Moments zu zeigen, was allerdings nicht nur Monets Anliegen. Schon Mitte der 1860er Jahre malten Frédéric Bazille, Auguste Renoir und Alfred Sisley zusammen mit Monet im Wald von Fontainebleau Landschaften, in denen sie den Wechsel des Lichts festhielten. Die Aufwertung der Landschaftsmalerei trug dazu bei, dass sich das Malen in freier Natur größerer Beliebtheit erfreute. Monet zeigte in seinen Bilderserien auch die verschiedenen Stimmungen, die durch die Brechungen des Lichts entstanden. Seine gewählten Motive waren vielfältig: die Kathedrale von Rouen, Seerosen oder ein einfacher Heuschober. Einige Bilder von Monets Künstlerkollegen zeigen ihn beim Malen in der freien Natur, etwa in seinem Garten in Giverny, wo auch die Seerosen-Bilder entstanden.
Die impressionistischen Künstler haben aber nicht ausschließlich unter freiem Himmel gemalt. Diese Möglichkeit der Ölmalerei unter freiem Himmel bot sich überhaupt erst durch eine technische Neuerung: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten die Künstler Ölfarben in Tuben kaufen und waren nicht mehr auf das aufwendige Mischen von Bindemitteln und Pigmenten angewiesen.
Für die Impressionisten war jede Veränderung der Lichtstimmung von Bedeutung, die Tageszeit, die Jahreszeit, die Wetterlage ergaben jeweils neue Ansichten desselben Motivs und deren Wiedergabe war vor allem eine Frage der Farben. 1890/91 entstand eine Serie mit einem im ländlichen Gebiet alltäglichen Motiv, dem aufgetürmten Heu auf den Wiesen. In Claude Monets Gemälde Heuhaufen im Spätsommer herrscht ein goldgelben Grundton mit bläulichem Schatten vor. In seinem anderen Werk Verschneite Heuhufen im Winter verwendet er kalte Farbtöne, doch auch der von der blassen Wintersonne beleuchtete Schnee hat blaue Schatten.
Die Metropole Paris übte auch eine große Faszination für die Künstler des Impressionismus aus und bot ihnen zugleich unzählige Motive und Studienobjekte. Auguste Renoir liebte es, gesellschaftliche Anlässe wie Ballabende und Volksfeste darzustellen, während das Treiben auf den Straßen und Boulevards, flanierende Menschen und Passanten sowie die Lichter der Großstadt, das Thema zahlreicher Studien Camille Pissarros wie in dem Bild Boulevard Montmartre bei Nacht aus dem Jahre 1897 war.
Die Seine-Landschaft mit ihrem langen und gewundenen Flussverlauf, bot den impressionistischen Künstlern die Möglichkeit, das Spiel der Farben und die Reflexe des Wassers in allen Variationen zu studieren. Monet mal 1869 das Gemälde La Grenouillere, das dafür als Beispiel dienen kann. Die Pariser Bevölkerung liebte es, die Sonntage im Freien zu verbringen, in öffentlichen Parks und Gärten oder bei den zu jener Zeit sehr beliebten Regatten. Die impressionistischen Maler bannten einfach das auf die Leinwand, was sie sahen. Sie fanden bei diesen Anlässen unzählige Motive und Sujets für ihre Bilder.
Das Interesse der Impressionisten galt neben dem Licht, der Landschaft und der Atmosphäre auch den Szenen aus dem Alltag und den diversen Vergnügen im gesellschaftlichen Leben. Edgar Degas bevorzugte in seinen Werken als Hauptmotiv die menschliche Figur in Bewegung und stellte sie vor allem in Innenräumen dar. Das klassische Ballett erfreute sich auch in Paris zu jener Zeit großer Beliebtheit. Degas malte daher unzählige Schülerinnen in duftigen weißen Kostümen auf der Bühne oder während des Tanzunterrichtes. Das Werk Tanzstunde aus dem Jahre 1879 gibt dies beeindruckend wieder. Eine weitere Leidenschaft der Pariser Bevölkerung war der Gesellschaftstanz. Ballabende und Volksfeste verzeichneten einen unerwartet großen Zulauf. Sie sind das Thema dreier großer Gemälde von Renoir, wo glückliche und heitere Menschen dargestellt werden.
Von seinem Boot aus malte Monet bevorzugt Flusslandschaften, die er dann nachher häufig in seinem Atelier überarbeitete. Der Pariser Maler Edouard Manet hielt im Jahre 1874 Monet mit Camille in seinem Atelier-Boot auf Leinwand fest. Der junge Maler wurde von berühmten Künstlern wie Franz Hals, Diego Velázquez, Tizian, Tintoretto, Goya und Delacroix beeinflusst. Dieser Bann macht sich in seinen Werken motivisch und maltechnisch bemerkbar. Er kopierte diese Gemälde meist aus dem Louvre oder auf ausgedehnten Auslandsreisen nach Deutschland, Österreich, Italien, Niederlande und Spanien. 1856 bezieht Manet mit einem Freund sein erstes Atelier in Paris. Er malte Genrebilder, auf denen er das Alltagsleben der armen Menschen darstellte. Aber in dieser Zeit entstanden auch Kaffeehausszenen und Stierkampfszenen. 1859 versucht er das erste Mal im Salon auszustellen, doch Manets Bilder werden abgelehnt, weil seine Bilder zu realistisch sind, wie zum Beispiel „Der Absinthtrinker“. 1860 richtet er sich ein neues Atelier ein und bezieht gemeinsam mit seiner Frau Suzanne und seinem Sohn eine Wohnung. 1861 wird das erste Bild von Manet im Pariser Salon ausgestellt. Mit einer Auszeichnung für das Bild "Gitarrenspiel", bekam er die ersehnte Bestätigung als Künstler. Ein Jahr darauf stirbt sein Vater und Manet wird durch sein Erbe reich. 1863 wollte der Künstler wieder im Salon ausstellen und stößt wiederum auf Ablehnung.
Daraufhin werden seine Bilder im Salon des Refusés ausgestellt, wo abgewiesene Maler ihre Kunstwerke präsentieren können. Das Gemälde „Frühstück im Grünen“ (1861) verursacht einen großen Skandal und Entrüstung. 1865 stellt Manet weitere Bilder aus, unter ihnen lösen seine Gemälde die "Verspottung Christi" und die "Olympia" erneut Empörung aus. Im gleichen Jahr reiste Manet nach Spanien. Außerdem besucht er das Café Guerbois, wo er sich mit jungen Pariser Malern trifft, wie zum Beispiel Nadar, De Nittis, Fantin-Latour, Bazille, Degas, und Monet. 1867 wird Manet von der Pariser Weltausstellung ausgeschlossen und so macht er seine eigene Messe, aber nicht mit dem erhofften Erfolg. Seine Bilder anlässlich der Erschießung Kaiser Maximilians 1869 in Mexiko werden verboten.
Die Jahre darauf zeigt er einige Gemälde wie zum Beispiel das „Porträt Zolas“ und „Frühstück im Atelier“ im Salon. 1870 geht Manet freiwillig zur Nationalgarde im Deutsch-Französischen Krieg. Manet verkauft Bilder und stellt im Salon aus, mit einigen Gemälden hat er große Erfolge. Durch die Beeinflussung von Claude Monet beschäftigte sich Manet mit der Freiluftmalerei. Er holte sich Anregungen für Lichteffekte und Farbkombinationen. Die Konsequenz daraus war, dass er eine freundlichere, lockere und sanftere Pinselführung entwickelte. Seine Farbpalette hellte sich auf und seine Themen wandelten sich von Landschaften, Alltagsszenen bis hin zum Stillleben. Er verstand es eine große Farbfläche aufzulösen und somit die Zweidimensionalität zu unterstreichen. Manet löste sich in seinen Bildern von dem perspektivischen und leitete somit ein Teil der modernen Kunst ein. Er wird auch als Bahnbrecher des Impressionismus genannt. Manet selbst bezeichnete sich nie als Impressionist und hatte sich den jungen Künstlern nur freundschaftlich angeschlossen. Er lehnt sogar eine Teilnahme an der ersten Gruppenausstellung seiner Freunde ab. Aber für die jungen Maler war Manet ein Vorbild und so hatte er großen Einfluss auf die Entwicklung des Impressionismus.
1876 gibt es erste Anzeichen einer Rückenmarksschwindsucht, welche als solche nicht erkannt wird. Trotz seiner Erfolge in den vergangenen Jahren, werden 1877 einige Kunstwerke immer noch zurückgewiesen und nicht zur Ausstellung zugelassen, wie zum Beispiel der „Nana“. So bleibt Manet stets umstritten. Doch die Weltausstellung 1878 in Paris und auch Jahre später in New York und Boston sind große Erfolge gewesen. Er bekommt auf einige Bilder Medaillen und wird zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.
Seine Krankheit zwang ihn auf das Malen im Freien zu verzichten. Manet beschäftigte sich also mit der Pastell-Technik und der Miniaturmalerei, welche ihm noch ermöglichten weiter zu malen. Damals entstanden sehr viele Porträts, die in der Öffentlichkeit mit großer Begeisterung aufgenommen wurden sind. Außerdem entstanden emotionale und empfindsame Gemälde, wie zum Beispiel die „Blonde Frau mit entblößten Brüsten“ (1878).
Manet malte im Sommer 1874 zusammen mit Monet und Renoir im südlich von Paris gelegenen Argenteuil. Unter dem Einfluss von Monet nahm Manet die impressionistische Malweise auf. Er verzichtete auf eine Modellierung seiner Figuren mit Licht und Schatten und wandte sich starken Farbkontrasten zu Auch der Maler vor seiner Leinwand ist nur durch die hellen Farben seiner Kleidung abgegrenzt. Die Darstellung von Figuren im Freien erforderte eine schnelle Arbeitsweise, da sich die Lichtverhältnisse im Gegensatz zum Atelier rasch veränderten. Der Fluss zum Beispiel ist in Manets Arbeiten mit breiten Pinselstrichen in Blau, Weiß- und Gelbtönen zusammengesetzt, die die Brechung des Lichts dann wiedergeben. Manets Herkunft aus dem französischen Großbürgertum gestattete ihm größere Freiheiten. Er nahm an keiner der insgesamt acht Impressionistenausstellungen zwischen 1874 und 1886 teil, reichte ganz im Gegenteil viele seiner Bilder zu den Salonausstellungen ein. Sein Bild von Monet im Atelier-Boot stellte einen Wendepunkt in seinem Schaffen dar, denn seit dieser Zeit malte Manet auch oft in freier Natur.
Die impressionistischen Künstler haben aber nicht ausschließlich unter freiem Himmel gemalt. Diese Möglichkeit der Ölmalerei unter freiem Himmel bot sich überhaupt erst durch eine technische Neuerung: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten die Künstler Ölfarben in Tuben kaufen und waren nicht mehr auf das aufwendige Mischen von Bindemitteln und Pigmenten angewiesen.
Für die Impressionisten war jede Veränderung der Lichtstimmung von Bedeutung, die Tageszeit, die Jahreszeit, die Wetterlage ergaben jeweils neue Ansichten desselben Motivs und deren Wiedergabe war vor allem eine Frage der Farben. 1890/91 entstand eine Serie mit einem im ländlichen Gebiet alltäglichen Motiv, dem aufgetürmten Heu auf den Wiesen. In Claude Monets Gemälde Heuhaufen im Spätsommer herrscht ein goldgelben Grundton mit bläulichem Schatten vor. In seinem anderen Werk Verschneite Heuhufen im Winter verwendet er kalte Farbtöne, doch auch der von der blassen Wintersonne beleuchtete Schnee hat blaue Schatten.
Die Metropole Paris übte auch eine große Faszination für die Künstler des Impressionismus aus und bot ihnen zugleich unzählige Motive und Studienobjekte. Auguste Renoir liebte es, gesellschaftliche Anlässe wie Ballabende und Volksfeste darzustellen, während das Treiben auf den Straßen und Boulevards, flanierende Menschen und Passanten sowie die Lichter der Großstadt, das Thema zahlreicher Studien Camille Pissarros wie in dem Bild Boulevard Montmartre bei Nacht aus dem Jahre 1897 war.
Die Seine-Landschaft mit ihrem langen und gewundenen Flussverlauf, bot den impressionistischen Künstlern die Möglichkeit, das Spiel der Farben und die Reflexe des Wassers in allen Variationen zu studieren. Monet mal 1869 das Gemälde La Grenouillere, das dafür als Beispiel dienen kann. Die Pariser Bevölkerung liebte es, die Sonntage im Freien zu verbringen, in öffentlichen Parks und Gärten oder bei den zu jener Zeit sehr beliebten Regatten. Die impressionistischen Maler bannten einfach das auf die Leinwand, was sie sahen. Sie fanden bei diesen Anlässen unzählige Motive und Sujets für ihre Bilder.
Das Interesse der Impressionisten galt neben dem Licht, der Landschaft und der Atmosphäre auch den Szenen aus dem Alltag und den diversen Vergnügen im gesellschaftlichen Leben. Edgar Degas bevorzugte in seinen Werken als Hauptmotiv die menschliche Figur in Bewegung und stellte sie vor allem in Innenräumen dar. Das klassische Ballett erfreute sich auch in Paris zu jener Zeit großer Beliebtheit. Degas malte daher unzählige Schülerinnen in duftigen weißen Kostümen auf der Bühne oder während des Tanzunterrichtes. Das Werk Tanzstunde aus dem Jahre 1879 gibt dies beeindruckend wieder. Eine weitere Leidenschaft der Pariser Bevölkerung war der Gesellschaftstanz. Ballabende und Volksfeste verzeichneten einen unerwartet großen Zulauf. Sie sind das Thema dreier großer Gemälde von Renoir, wo glückliche und heitere Menschen dargestellt werden.
Von seinem Boot aus malte Monet bevorzugt Flusslandschaften, die er dann nachher häufig in seinem Atelier überarbeitete. Der Pariser Maler Edouard Manet hielt im Jahre 1874 Monet mit Camille in seinem Atelier-Boot auf Leinwand fest. Der junge Maler wurde von berühmten Künstlern wie Franz Hals, Diego Velázquez, Tizian, Tintoretto, Goya und Delacroix beeinflusst. Dieser Bann macht sich in seinen Werken motivisch und maltechnisch bemerkbar. Er kopierte diese Gemälde meist aus dem Louvre oder auf ausgedehnten Auslandsreisen nach Deutschland, Österreich, Italien, Niederlande und Spanien. 1856 bezieht Manet mit einem Freund sein erstes Atelier in Paris. Er malte Genrebilder, auf denen er das Alltagsleben der armen Menschen darstellte. Aber in dieser Zeit entstanden auch Kaffeehausszenen und Stierkampfszenen. 1859 versucht er das erste Mal im Salon auszustellen, doch Manets Bilder werden abgelehnt, weil seine Bilder zu realistisch sind, wie zum Beispiel „Der Absinthtrinker“. 1860 richtet er sich ein neues Atelier ein und bezieht gemeinsam mit seiner Frau Suzanne und seinem Sohn eine Wohnung. 1861 wird das erste Bild von Manet im Pariser Salon ausgestellt. Mit einer Auszeichnung für das Bild "Gitarrenspiel", bekam er die ersehnte Bestätigung als Künstler. Ein Jahr darauf stirbt sein Vater und Manet wird durch sein Erbe reich. 1863 wollte der Künstler wieder im Salon ausstellen und stößt wiederum auf Ablehnung.
Daraufhin werden seine Bilder im Salon des Refusés ausgestellt, wo abgewiesene Maler ihre Kunstwerke präsentieren können. Das Gemälde „Frühstück im Grünen“ (1861) verursacht einen großen Skandal und Entrüstung. 1865 stellt Manet weitere Bilder aus, unter ihnen lösen seine Gemälde die "Verspottung Christi" und die "Olympia" erneut Empörung aus. Im gleichen Jahr reiste Manet nach Spanien. Außerdem besucht er das Café Guerbois, wo er sich mit jungen Pariser Malern trifft, wie zum Beispiel Nadar, De Nittis, Fantin-Latour, Bazille, Degas, und Monet. 1867 wird Manet von der Pariser Weltausstellung ausgeschlossen und so macht er seine eigene Messe, aber nicht mit dem erhofften Erfolg. Seine Bilder anlässlich der Erschießung Kaiser Maximilians 1869 in Mexiko werden verboten.
Die Jahre darauf zeigt er einige Gemälde wie zum Beispiel das „Porträt Zolas“ und „Frühstück im Atelier“ im Salon. 1870 geht Manet freiwillig zur Nationalgarde im Deutsch-Französischen Krieg. Manet verkauft Bilder und stellt im Salon aus, mit einigen Gemälden hat er große Erfolge. Durch die Beeinflussung von Claude Monet beschäftigte sich Manet mit der Freiluftmalerei. Er holte sich Anregungen für Lichteffekte und Farbkombinationen. Die Konsequenz daraus war, dass er eine freundlichere, lockere und sanftere Pinselführung entwickelte. Seine Farbpalette hellte sich auf und seine Themen wandelten sich von Landschaften, Alltagsszenen bis hin zum Stillleben. Er verstand es eine große Farbfläche aufzulösen und somit die Zweidimensionalität zu unterstreichen. Manet löste sich in seinen Bildern von dem perspektivischen und leitete somit ein Teil der modernen Kunst ein. Er wird auch als Bahnbrecher des Impressionismus genannt. Manet selbst bezeichnete sich nie als Impressionist und hatte sich den jungen Künstlern nur freundschaftlich angeschlossen. Er lehnt sogar eine Teilnahme an der ersten Gruppenausstellung seiner Freunde ab. Aber für die jungen Maler war Manet ein Vorbild und so hatte er großen Einfluss auf die Entwicklung des Impressionismus.
1876 gibt es erste Anzeichen einer Rückenmarksschwindsucht, welche als solche nicht erkannt wird. Trotz seiner Erfolge in den vergangenen Jahren, werden 1877 einige Kunstwerke immer noch zurückgewiesen und nicht zur Ausstellung zugelassen, wie zum Beispiel der „Nana“. So bleibt Manet stets umstritten. Doch die Weltausstellung 1878 in Paris und auch Jahre später in New York und Boston sind große Erfolge gewesen. Er bekommt auf einige Bilder Medaillen und wird zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.
Seine Krankheit zwang ihn auf das Malen im Freien zu verzichten. Manet beschäftigte sich also mit der Pastell-Technik und der Miniaturmalerei, welche ihm noch ermöglichten weiter zu malen. Damals entstanden sehr viele Porträts, die in der Öffentlichkeit mit großer Begeisterung aufgenommen wurden sind. Außerdem entstanden emotionale und empfindsame Gemälde, wie zum Beispiel die „Blonde Frau mit entblößten Brüsten“ (1878).
Manet malte im Sommer 1874 zusammen mit Monet und Renoir im südlich von Paris gelegenen Argenteuil. Unter dem Einfluss von Monet nahm Manet die impressionistische Malweise auf. Er verzichtete auf eine Modellierung seiner Figuren mit Licht und Schatten und wandte sich starken Farbkontrasten zu Auch der Maler vor seiner Leinwand ist nur durch die hellen Farben seiner Kleidung abgegrenzt. Die Darstellung von Figuren im Freien erforderte eine schnelle Arbeitsweise, da sich die Lichtverhältnisse im Gegensatz zum Atelier rasch veränderten. Der Fluss zum Beispiel ist in Manets Arbeiten mit breiten Pinselstrichen in Blau, Weiß- und Gelbtönen zusammengesetzt, die die Brechung des Lichts dann wiedergeben. Manets Herkunft aus dem französischen Großbürgertum gestattete ihm größere Freiheiten. Er nahm an keiner der insgesamt acht Impressionistenausstellungen zwischen 1874 und 1886 teil, reichte ganz im Gegenteil viele seiner Bilder zu den Salonausstellungen ein. Sein Bild von Monet im Atelier-Boot stellte einen Wendepunkt in seinem Schaffen dar, denn seit dieser Zeit malte Manet auch oft in freier Natur.
Der Versuch, das künstlerisch wiederzugeben, was man sieht, nicht das, was man weiß, erstreckte sich nicht nur auf die freie Natur: Paris mit seinen Boulevards und Plätzen, Cafés und Varietés voller Menschen, mit Parks, Bahnhöfen oder Pferderennbahnen bot ebenso zahlreiche Motive. Auch die Wiedergabe von Bewegung faszinierte viele Impressionisten, nicht nur in Frankreich. In den deutschen Kunstzentren Berlin und München malten Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth im impressionistischen Stil.
Die deutsche Variante des Impressionismus fand ihren geistig - künstlerischen Höhepunkt in den 1890er Jahren, also 20 Jahre später als in Frankreich, doch lassen sich die Folgeerscheinungen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beobachten. Anders als der französische Impressionismus, der sich bei erster Betrachtung als eine weitgehend homogene, auf Paris und dessen Umgebung konzentrierte künstlerische Bewegung darstellt, ist der deutsche Impressionismus stärker an einzelne Künstlerpersönlichkeiten gebunden. „In Deutschland gab es durch das Gefüge zahlreicher Einzelstaaten keinen Zentralismus, die Akademien waren der Verfügungsgewalt und damit auch dem Geschmacksurteil des jeweiligen Regenten unterstellt. Im Zuge der deutschen Reichsgründung 1871 und der Ernennung von Berlin zur Reichshauptstadt bildete sich dort in den 1890er Jahren ein neues kulturelles Zentrum heraus, das der alten Hauptstadt der Kunst, München, den Rang abzulaufen begann.“
Auch aus den anderen Kulturmetropolen, neben München waren dies vor allem Dresden und Düsseldorf, wanderten damals zahlreiche avantgardistisch orientierte Künstler nach Berlin ab. Dies galt ebenfalls für das impressionistische Maler Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt, die im Rahmen der Berliner Sezession eine fast schon missionarische Tätigkeit für die neue Malerei entfalteten. Die Gemeinsamkeiten der einzelnen Vertreter des deutschen Impressionismus sind weniger klar und umfangreich als die der französischen Impressionisten. Vergleichbar ist vor allem die seit den 1890er Jahren bei den deutschen Malern skizzenhafte Technik wie auch die Vorliebe für die Freilichtmalerei, die allerdings in Deutschland auf ganz eigenen Vorbedingungen beruhte.
Darüber hinaus stellte der Impressionismus für viele deutsche Künstler lediglich ein kurzes Durchgangsstadium dar. „Die deutschen impressionistischen Maler kamen überwiegend aus dem naturalistischen Lager. So wirkt der deutsche Impressionismus auf den ersten Blick wegen seiner stärker sozial ausgerichteten Themen problematischer und aufgrund der zum Teil vorherrschenden tonalen Palette trüber und dunkler als der französische. Überdies blieb das graphische Element für die deutschen Impressionisten stets bedeutsamer als für die Franzosen. Nur wenige deutsche Vertreter gingen in der impressionistischen Formauflösung so weit, daß sie die pointillistische Technik anwandten.“
Der deutsche Impressionismus beruht also keineswegs einseitig auf französischen Einflüssen, ist aber dennoch ohne diese nicht denkbar. Neben der Rezeption der modernen französischen Malerei wurde der deutsche Impressionismus vor allem von der holländischen Malerei des 17. und 19. Jahrhunderts sowie der Entwicklung der Freilichtmalerei in Deutschland inspiriert. Dies muß nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zahlreichen, unabhängigen Künstlergruppen und Sezessionen gesehen werden. Entscheidend für die Generation jener Künstler, die den impressionistischen Stil in den 1890 Jahren in Deutschland entwickelten, war zunächst die Auseinandersetzung mit der Malerei von Wilhelm Leibl (1844-1900) und seinen Künstlerfreunden, des sogenannten Leibl-Kreises.
Auf der ersten Ausstellung der 1898 neugegründeten Berliner Sezession wurden Leibls Arbeiten als exemplarisch für einen neuen, als richtungweisend empfundenen Ansatz in der Malerei gezeigt, der Maler selbst 1900 zum Ehrenmitglied ernannt. Zahlreiche Vertreter aus dem Leibl-Kreis arbeiteten später entweder selbst im impressionistischen Stil, darunter Wilhelm Trübner (1851-1917) und Carl Schuch (1846-1903), oder sie vermittelten der jüngeren Generation impressionistischer Maler entscheidende Anregungen: Schuch zum Beispiel dem befreundeten Karl Hagemeister (1848-1933), Trübner an Max Slevogt und Lovis Corinth. Max Liebermann soll bereits bei seiner Übersiedelung nach München den Wünsch geäußert haben, Schüler von Leibl zu werden. Neben Leibl war auf der ersten Berliner Sezessionsausstellung, auch der hochgeschätzte Adolph Menzel (1815-1905) vertreten. Menzels Bildmotive, die später in einer unpolitisch – ästhetischen Rezeption aufgrund der lockeren, skizzenhaften Malweise und der subtilen Lichtführung als Gestaltungsmittel in Bezug zum deutschen Impressionismus gesehen wurden, waren allerdings zu dieser Zeit noch nicht bekannt. Dazu gehörten Arbeiten wie das „Balkonzimmer“(1905) und „Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn“(1847).“
In Deutschland trat Impressionismus erst wesentlich später ein. Immer wieder taucht dabei die Vermutung auf, daß die deutsche Impressionisten ihre entscheidenden Impulse vielleicht doch während ihrer Parisaufenthalte erhalten könnten. “ Auch Wilhelm Leibl weilte bereits 1869/70 in Paris, um dort vor allem den Kontakt zu dem befreundeten realistischen Maler Gustave Courbet zu erneuern, den Leibl 1869 anläßlich der
Liebermann studierte an der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin, später an der Universität Weimar. 1868 reiste er erstmals nach München für einen kurzen Aufenthalt, 1871 nach Holland. Im selben Jahr macht er die Bekanntschaft mit Theodor Hagen im Düsseldorfer Atelier Munkacsys. Ein Jahr später entsteht das bekannte Gemälde mit dem Titel „Gänserupferinnen“ und „Gemüseputzerinnen“.
Der Künstler reist ernuet nach Holland und nach Paris, wohin er 1873 übersiedelt. In den folgenden Jahren, auch als „Pariser Zeit“ bezeichnet, besucht der Deutsche öfter den Ort Barbizon und die dort schaffende Künstlergemeinschaft, ausserdem reist er nach Holland. Frans Hals Bilder beeindrucken Liebermann, er fertigt zahlreiche Kopien von dessen Bildern an. Ab 1878 lebt der Künstler in München. Kaum ein Jahr in der bayerischen Hauptstadt, da sorgte Liebermann bereits für einen öffentlichen Skandalmit seiner Interpretation des Sujets „Jesus unter den Schriftgelehrten“. Er zieht sich nach Dachau und Etzenhausen zurück, wo er unter anderem die Bekanntschaft mit den Münchner Künstlern Leibl und Sperl macht.
Ab 1880 erfahren Liebermanns Werke internationale Aufmerksamkeit und Annerkennung. Beispielsweise die Gemälde „Altmännerhaus“, „Freistunde im Amsterdamer Waisenhaus“ und die „Schusterwerkstatt“, die auf der Ausstellung im Pariser Salon großen Erfolg erzielten. Die beiden letzten Bilder werden sogar vom Kunstsammler Faure käuflich erworben. Im selben Jahr, 1882, reist Liebermann nach Holland und malt das berühmte Bild „Der Weber“. Außerdem wird im die Ehre zuteil, als Mitglied in den Pariser „Cercle des XV“ aufgenommen zu werden.
1883 entstehen die Studien zum „Münchner Biergarten“. Das Ölgemälde wird schon ein Jahr später im Pariser Salon ausgestellt. Im selben Jahr vermählt sich Liebermann in Berlin, die Münchner Jahre sind damit beendet.
Es folgt eine weitere Reise nach Holland, die „Judengasse in Amsterdam“ entsteht und Liebermann macht die Bekanntschaft von Anton Mauve. 1885 ist der „Münchner Biergarten“ Teil der Weltausstellung in Antwerpen. Der Maler wird Mitglied im Verein Berliner Künstler und erhält 1888, reichlich verspätet, eine erste offizielle Anerkennung in seiner Heimat - die Kleine Goldene Medaille für „Stille Arbeit“. Ein Jahr später vollendet er die „Netzflickerin“ und die „Frau mit Ziege“, für das er drei Jahre später die Grosse Goldene Medaille erhält. Das Bild wird auf einer großen Einzelausstellung beim Münchner Kunstverein durch die Neue Pinakothek erworben, wo es noch heute zu sehen ist.
Fußnoten