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Reiseziel St. Petersburg

Von Margarete Lausberg

Die russische Metropole Sankt Petersburg, im Newadelta am Finnischen Meerbusen gelesen, hat eine wechselvolle Geschichte: Nach der Stadtgründung firmierte sie unter dem Namen St. Petersburg, zwischen 1914 und 1924 wurde der Name in Petrograd verändert, 1924 wurde sie nach dem Revolutionsführer in Leningrad umgewandelt. Erst 1991 nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus in der Sowjetunion bekam sie wieder ihren ursprünglichen Namen St. Petersburg.

Sankt Petersburg ist nach Moskau die zweitgrößte Stadt Russlands und ein wichtiges Kultur- und Wirtschaftszentrum. Die Stadt hat mehr als 5 Millionen Einwohner, mit den Banlieus in der Umgebung vielleicht sogar 6 oder 7 Millionen. In Sankt Petersburg existieren etwa 40 Hochschulen, zahlreiche Forschungsinstitute und wissenschaftliche Einrichtungen, etwa 50 Museen, darunter die weltberühmte Eremitage, unzählige Bibliotheken, Kultureinrichtungen und Theater. Die Russische Nationalbibliothek ist die zweitgrößte Bibliothek Russlands und eine der drei Nationalbibliotheken des Landes. Sie wurde 1795 durch Katharina II. gegründet und hat einen Bestand von über 30 Millionen Medien, davon über 450.000 Handschriften (Ostromir-Evangeliar, Codex Petropolitanus Purpureus, Codex Leningradensis u. a.). In ihrem Bestand befinden sich Bücher in 85 Sprachen. Die 1714 gegründete Bibliothek der Akademie der Wissenschaften weist über 20 Millionen Bände auf. Die Puschkin-Bibliothek besitzt mit 5000 Werken einen wertvollen Bestand von Werken aus der privaten Bibliothek des Dichters.

In wirtschaftlicher Hinsicht war und ist Sankt Petersburg ein wichtiger Hochsee- und Binnenhafen mit Kanalverbindung zum Kaspischen und Weißen Meer.

Zur Verteidigung der im Nordischen von den Schweden zurückeroberten Gebiete begann Zar Peter I. 1702/03 mit der Errichtung der Festungen Kronstadt und Schlüsselburg. Der Baubeginn der Peter-und-Pauls-Festung im Mai 1703 auf einer Insel der Newamündung galt als Gründung der Stadt. Vor einer Bebauung des sumpfigen Geländes waren umfangreiche Entwässerungensanlagen notwendig. Ab 1704 entstand die Schiffswerft (Admiralität). Mit der Verlegung der Hauptstadt von Moskau nach Sankt Petersburg, was unter den Moskowitern nicht gerne gesehen wurde, setzte ein rascher Aufschwung ein. Der Stadtbrand 1737 bremste die Entwicklung der Stadt, im Anschluss daran mussten zahlreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt werden.

Dem raschen Wachstum der Stadt und ihren Bewohnern entsprach ein Aufschwung von Handel, Handwerk und Industrie, besonders nach dem Bau der ersten Eisenbahn von Sankt Petersburg nach Zarskoje Selo 1837. Maschinenbau und Papierfabriken ergänzten die traditionellen Industriezweige Textil- und Baustoffindustrie.

Die schlechte soziale Lage der Arbeiter und wirtschaftliche Krisen 1902-1904 führten zu einer Reihe von Aufständen. Die Oktoberrevolution nahm hier mit dem Sturm auf das Winterpalais ihren Anfang. Während des 2. Weltkriegs war die Stadt 900 Tage lang von Ende 1941 bis Frühjahr 1944 von der deutschen Wehrmacht belagert (Leningrader Blockade), was zu mehr als 600.000 Opfer führte. Die Kriegsschäden in historischen Kern der Stadt wurden bald nach 1945 behoben und zu einer typischen Stadt in der sozialistischen Sowjetunion. Die frühere Residenz der Zaren als elitäres Element der Tyrannei sollte möglichst an den Rand gedrängt werden. In den Folgejahren hielt die Stadt ihren Ruf als große Industriestadt und eines der wissenschaftlichen Zentren der Sowjetunion. Das politisch-kulturelle Zentrum Russlands und der Sowjetunion lag zu dieser Zeit aber klar in Moskau.

Drei Bauepochen verleihen St. Petersburg ihr unverwechselbares Erscheinungsbild: bis 1725 entstanden erste einfache Barockbauten unter niederländischem-deutschen Einfluss (Architekt D. Trezzini), bis 1760 die italienischen barocken Großbauten unter dem Architelt Rastrelli und 1760-1850 klassizistische Bauwerke. Als erstes größeres Bauensemble entstand seit 1703 die Peter-und-Pauls-Festung mit der Peter-und-Pauls-Kathedrale (1712-1732), die 1787 noch umgebaut wurde. Trezzini erbaute den Sommerpalais Peters des Großen 1714, ungefähr gleichzeitig mit dem Menschikow-Palais durch D. Fontana und G. Schädel und der Kunstkammer 1718-1734 auf der Wassiljewinsel.

Rastrelli schuf auf dem Südufer der Newa neben der Admiralität den sogenannten Vierten Winterpalais 1754-1965. Er erbaute unter anderem auch das Smolny-Kloster mitsamt der Kathedrale. Das Kloster Smolny wurde 1748-1964 erbaut, ein klassizistischer Innenausbau wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vorgenommen. Bauten des Klassizismus sind weiterhin die Kleine Eremitage (1764-1767), die Akademie der Schönen Künste 1764-1788 durch Vallin de la Mothe, die Akademie der Wissenschaften (1783-1789 durch G. Quarenghi, die Eremitage 1775-1784 von J. M. Velten, die Alexander-Newski-Kathedrale 1776-1790 von I. E. Sturow, die Kasaner Kathedrale 1802-1812 von A.N. Woroschnin und I. E. Sturow, sowie die Isaak-Kathedrale 1817-1857 und die Neue Eremitage durch L. von Klenze.

Unter K. I. Rossi entstanden die schönsten Platzanlagen: Platz der Künste mit dem Palast des Großfürsten Michael (heute Staatliches Russisches Museum). Die südliche Fassade des Gebäudes ist mit einem Relief ("Der Ruhm Russlands") und dem kaiserlichen Wappen geschmückt. Seit 1817 nahm das Schloss eine Technikschule auf, die durch viele große russische Persönlichkeiten der Vergangenheit bewohnt wurde, den Schriftsteller Fjodor Dostojevski einschließend. Permanente Ausstellungen im Michael-Palast sind die Porträtgalerie von russischen Aristokraten des 18.-19. Jahrhunderts, und Ausstellung von Skulpturporträts des 18. Jahrhunderts. Vor der Hauptfassade ließ Paul ein Denkmal Peters des Großen aufstellen mit der Inschrift "Dem Urgroßvater vom Urgroßenkel".

Rossi schuf weiterhin die Anlage um das heutige Puschkin-Theater (1829-1832), Generalstabsgebäude und Triumpfbogen am Schlossplatz und Petersplatz mit Gebäude des Senats und der Synode. Das Alexandra- oder Alexandrinski-Theater wurde auf Erlass der Zarin Elisabeth I. 1756 gegründet. Eine aus Schülern des Kadettenkorps zusammengestellte Truppe bildete das erste ständige Theater Russlands. Erst 1832 erhielt das Ensemble sein heutiges prächtiges Gebäude, das unter Leitung des Architekten Rossi entstand. Zahlreiche russische Theaterstücke wurden auf der Bühne des Alexandrinski-Theaters uraufgeführt, darunter Werke wie „Der Revisor“ (1836) von Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Stücke von Alexander Sergejewitsch Gribojedow, 1896 „Die Möwe“ von Anton Pawlowitsch Tschechow. Zu den berühmten Regisseuren des Theaters gehörten Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold und Grigori Michailowitsch Kosinzew.

Das historische Zentrum von Sankt Petersburg wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. In der Umgebung von Sankt Petersburg entstanden die Schlösser Pawlowsk, Petrodworez und Puschkin, die allerdings in diesem Werk aus Platzgründen nicht behandelt werden können.[1]

Von den zahllosen Museen der Stadt ist die Eremitage mit 2,4 Millionen Besuchern (2009) das bestbesuchte und international bedeutendste.[2] Die Eremitage zählt in Russland neben dem „Staatliche Museum für Bildende Künste A. S. Puschkin“ in Moskau zur wichtigsten Kunstgalerie. Es sind Sammlungen über prähistorische Kultur, Kunst und Kultur der Antike, Kunst und Kultur der Völker des Ostens, westeuropäische Kunst und russische Kunst zu sehen.[3]

Im Archiv des Museums befinden sich fast drei Millionen Objekte, unter anderem archäologische Fundstücke sowie die neben dem Louvre und dem Prado bedeutendste Sammlung klassischer europäischer Kunst. In mehr als 350 Sälen sind über 60.000 Exponate ausgestellt. Zu den ausgestellten Bildern gehören Werke holländischer und französischer Meister wie Rembrandt, Rubens, Matisse und Paul Gauguin. Außerdem sind zwei Gemälde des italienischen Universalgenies Leonardo da Vinci sowie 31 Gemälde des spanischen Malers Pablo Picasso ausgestellt. Das Museum hat etwa 2.500 Mitarbeiter.

Während die Malerei der Kern der Sammlung ist, beherbergt die Eremitage auch Zeichnungen, über 50.000 Druckgraphiken (Holzschnitte, Lithographien, Radierungen) verschiedener Genres und Epochen, und umfangreiche Sammlungen angewandter Kunst. Dazu gehören insbesondere Kirchengerät des 11. bis 15. Jahrhunderts, Emailarbeiten und Elfenbeinschnitzereien des 15. bis 18. Jahrhunderts.

Daneben sammelten vor allem die Kaiser angewandte russische Kunst wie Teppiche und Porzellan. Die Sammlung an russischen Gewändern des 18. bis 20. Jahrhunderts ist beeindruckend. Unter den Gewändern befinden sich unter anderem über 300 Zarengewänder von Peter dem Großen.

Ebenfalls gehören zur Sammlung in der Eremitage 14.000 Stück Porzellan aus allen großen Manufakturen, darunter besonders Meißen und Sèvres. Ebenfalls zur angewandten Kunst zählen große und bedeutende Sammlungen an Teppichen, Gobelins und Möbelkunst. Die Sammlung der Plastiken ist mit über 2000 Objekten eine der größten der Welt. Sie enthält unter anderem Werke von Michelangelo und Rodin.

Dieses Buch hat sich zum Ziel gesetzt, Kunst und Architektur in St. Petersburg systematisch vorzustellen und im Gegensatz zu älteren Darstellungen auf den neuesten Forschungsstand zu bringen. Dies ist anhand der Fülle der Untersuchungsgegenstände nur möglich, wenn eine Auswahl der zu untersuchenden Objekte vorgenommen wird. Manches wird daher nur angerissen oder nicht in der Länge erfasst, die eigentlich notwendig wäre. Da ohne kunsthistorische und architekturgeschichtliche Exkurse vieles gar nicht verstanden und dies nicht beim Leser vorausgesetzt werden kann, wird dies an manchen Stellen notwendigerweise eingefügt.

Zunächst wird die stadtgeschichtliche Gründung und Entwicklung St. Petersburg beschrieben, bevor dann eine längere Abhandlung über die russisch-orthodoxe Kirche als Kulturträger erfolgt. Dann steht die Eremitage als wahrscheinlich bekanntestes Kulturobjekt in St. Petersburg im Mittelpunkt, wobei einige ihrer Kulturschätze genauer beleuchtet werden. Danach folgt eine Übersichtsdarstellung anderer künstlerischer und architektonischer Highlights in St. Petersburg. In der umfangreichen Literaturübersicht finden sich Werke, die sich zur Vertiefung des einen oder anderen Themas, das hier vielleicht zu kurz gekommen ist, anbieten.

Eckdaten zur Stadtgeschichte

Stadtgründung

Die Stadtgründung von Sankt Petersburg ist Gegenstand eines um Peter den Großen gewobenen politischen Mythos.[4] Danach soll der weitsichtige Zar bereits bei deren erstem Anblick eine unbewohnte und öde Sumpflandschaft an der Newa-Mündung zum Standort seiner zukünftigen Hauptstadt, eines „Fensters nach Europa“ für Russland, ausgewählt haben. Die wortmächtigste und am häufigsten zitierte Ausformulierung dieses Mythos von der eine „Hauptstadt aus dem Nichts“ erschaffenden Willenskraft Peters des Großen findet sich in dem Gedicht Der eherne Reiter (1834) von Alexander Puschkin.

Tatsächlich ignoriert diese populäre Erzählung von den Ursprüngen Sankt Petersburgs jedoch, dass der Bereich der unteren Newa schon lange zuvor Teil einer Kulturlandschaft war, des Ingermanlandes. Dort lebten seit dem 10. Jahrhundert Vertreter verschiedener finno-ugrischer Völker größtenteils von der Landwirtschaft. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts stritten Schweden und Nowgorod unentschieden um eine Kontrolle über das Gebiet. Eine als Landskrona überlieferte schwedische Siedlung an diesem Ort wurde angeblich im Jahr 1301 zerstört. Danach einigte man sich darauf, die Region als Pufferzone zwischen den Einflusssphären zu betrachten, in der keine Festungen errichtet werden durften.

In den folgenden Jahrhunderten wurde das Gebiet zumindest als Landungsstelle für die Newa befahrende Schiffe, möglicherweise aber als Handelsplatz genutzt. Letzteres gilt sicher für die Zeit einer erneuten schwedischen Dominanz in der Region nach der Errichtung der Festung Nyenschanz im Jahr 1611 und der sie bald umgebenden Siedlung Nyen. Beide lagen auf dem Stadtgebiet des heutigen Sankt Petersburg am nördlichen (oder rechten) Ufer der Newa. Es gibt Hinweise auf größere städtebauliche Ambitionen der Schweden für Nyen im 17. Jahrhundert.[5] Allerdings erlebten diese einen herben Rückschlag, als Siedlung und Festung 1656 während des Zweiten Nordischen Krieges von russischen Truppen zerstört wurden.

Dem baldigen Wiederaufbau folgte am 1. Mai 1703, während des Großen Nordischen Krieges, die endgültige Eroberung von Nyenschanz durch die newaabwärts vorrückenden Russen unter Scheremetew. Nyen war zu diesem Zeitpunkt bereits von den Schweden selbst präventiv geräumt und teilweise zerstört worden. Das Ende von Nyen und Nyenschanz markierte gleichzeitig den Beginn der Stadtgeschichte von Sankt Petersburg. Offiziell verbindet man diesen mit dem Datum 16. Mai. 1703.[6] An diesem Tag wurde auf einer Nyenschanz gegenüber gelegenen Insel im Newa-Delta der Grundstein für die nach dem Namenspatron des Zaren benannte Peter-und-Paul-Festung gelegt. In Urkunden und Karten aus der Gründungszeit finden sich neben der deutschen Bezeichnung Sankt Petersburg die niederländisch klingenden Sankt Piter Bourgh oder St. Petersburch.

Die Peter-und-Paul-Festung bildet die den Ursprung und das historische Zentrum der Stadt Sankt Petersburg.[7] Die auf der Haseninsel in der Newa gelegene Anlage beherbergt heute vor allem Ausstellungen und Museen und ist sowohl Touristenmagnet als auch Erholungsort für die St.-Petersburger. Die Festung ist zentraler Teil der zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten St.-Petersburger Innenstadt.

Die Festung, deren Grundsteinlegung am 27. Mai 1703 als offizielles Gründungsdatum Sankt Petersburgs gilt, kam nie ihrer eigentlichen Bestimmung als militärische Anlage nach. Die Schweden, gegen die sie im Großen Nordischen Krieg vor allem schützen sollte, wurden in den folgenden Jahren militärisch geschlagen und stellten seitdem keine Gefahr mehr für das Russische Reich dar. Die Festung wurde ursprünglich von etwa 20.000 Männern aus Erdwällen und Holzbefestigungen in sechs Bastionen gebaut. Von 1706 bis 1740 wurde sie komplett aus Stein neu errichtet; sie hat seitdem die Form eines unregelmäßigen Sechsecks, dessen Ecken weiterhin von Bastionen geschützt werden. Bei dem von dem Schweizer Baumeister Domenico Trezzini geleiteten Bau starben, wie bei der gesamten Gründung St. Petersburgs, Hunderte der eingesetzten Zwangsarbeiter. Ab 1720 diente die Festung als Kasernenanlage und eines der berüchtigtsten Gefängnisse des Zarenreiches. Von 1770 bis 1780 wurde die der Newa zugewandte Seite mit Granit verkleidet. Berühmtheit erlangte der aus Jaroslawl stammende Bauer und Dachdecker Pjotr Teluschkin im Jahr 1830, als er die durch einen Blitzschlag beschädigte Kirchturmspitze mit dem Engel mittels einer Strickleiter in sechswöchiger Arbeit reparierte.

War die Festung ein bedeutendes Symbol des Zarenreiches, war sie während der russischen Revolutionen ein Zentrum des Aufstandes.[8] Während der Februarrevolution stürmten die Soldaten des Paulsregiments am 27. Februar das Gefängnis und befreiten die Gefangenen. Bei einem Putschversuch der Bolschewiki erklärte sich die 8.000 Mann starke Einheit in der Festung am 4. Juli 1917 mit den Bolschewiki solidarisch, ergab sich aber zwei Tage später kampflos den Regierungstruppen.

Der größte Teil der Anlage wurde 1924 zu einem Museum erklärt. Die Festung, die die ganze Haseninsel bedeckt, wurde während der Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg beschädigt, danach aber wieder restauriert.

1991 wurde im Komplex eine von Michail Schemjakin gestaltete Bronzeskulptur Peters I. aufgestellt, die für heftige öffentliche Diskussionen in der Stadt sorgte, da Peter mit disproportional kleinem Kopf und großen Füßen und Händen dargestellt ist. Trotzdem gilt das Denkmal mittlerweile als Glücksbringer für die Petersburger.

Das Gebäude mit seinen zwölf Meter hohen Wällen und sechs Bastionen wurde schon früh als Gefängnis benutzt, in das insbesondere die politischen Gefangenen des Zarenreiches gesperrt wurden. In der Festung saßen viele berühmte Gefangene. Der erste war 1717 Alexei, der Sohn Peters I.; es folgten Teilnehmer des Dekabristenaufstandes, Fjodor Dostojewski, Maxim Gorki, Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Alexander Iljitsch Uljanow, der Bruder Lenins. Ab 1872 befanden sich diese im neu gebauten Gefängnis in der Trubezkoi-Bastion. Die 36 Einzelzellen hatten jeweils ein in die Wand eingelassenes Eisenbett und einen Tisch sowie einen Schemel. Zusätzlich gab es einen Karzer. Sie dienten um 1880 als Untersuchungsgefängnis für die zahlreichen Inhaftierten der Narodnaja Wolja, die mehrere Attentate auf Alexander II. ausgeführt hatten, u. a. Wera Figner, Ljudmila Wolkenstein, Alexander Solowjow, Michail Frolenko.[9]

Nach der russischen Februarrevolution 1917 befanden sich Hunderte von Funktionsträgern des Zarenreiches in dem Gefängnis, teilweise auch um sie vor dem Volkszorn zu schützen. Nach der Oktoberrevolution wurde die provisorische Regierung Kerenski hier inhaftiert – es handelte sich um die letzten Gefangenen in der Peter-Paul-Festung. Heute dient die Trubezkoi-Bastion als Museum, in dem unter anderem auch Wachsfiguren der berühmtesten Gefangenen ausgestellt werden.

Auf dem Gelände der Festung befindet sich die von 1713 bis 1732 gebaute Peter-und-Paul-Kathedrale, in deren Innenraum die meisten russischen Kaiser seit dem 18. Jahrhundert begraben liegen. Die Kathedrale wurde ebenfalls von Domenico Trezzini gestaltet. Ihr 122,5 Meter hoher Turm mit einem sieben Meter hohen Engelsstandbild auf der vergoldeten Spitze war für lange Zeit, wie von Peter dem Großen angeordnet, das höchste Gebäude der Stadt. Heute wird sie nur vom städtischen Fernsehturm übertroffen.[10]

Der Innenraum wurde mit Trophäen aus dem Nordischen Krieg und Wandmalereien geschmückt. Die Särge der Zaren wurden aus weißem Marmor gestaltet, einzig Alexander II. und seine Frau bekamen Särge aus grünem beziehungsweise rotem Marmor, da man sie für die Befreiung der Leibeigenen in ihrer Regierungszeit besonders würdigen wollte. Seit 1998 befinden sich in einem angeschlossenen Raum die Gräber der letzten Zarenfamilie.

Ungewöhnlich für eine russisch-orthodoxe Kirche besitzt die Peter-und-Paul-Kathedrale eine Kanzel. Angeblich wurde diese nur einmal benutzt – um Leo Tolstoi 1902 zu exkommunizieren.

Angeschlossen an die Kathedrale ist die von 1896 bis 1908 gebaute Grabkapelle.[11] In ihr wurden diverse Verwandte der Kaiser beerdigt und auch heute dient sie – nach mehreren Rechtsstreitigkeiten – wieder als Begräbnisstätte der Familie Romanow. Vor der Kathedrale befindet sich der Friedhof der Kommandanten der Peter-und-Paul-Festung, eine der ältesten erhaltenen Friedhofsanlagen Russlands, in dem – sehr ungewöhnlich für die Zeit – sowohl Protestanten als auch russisch-orthodoxe Christen liegen.

Der Festungsbau beherbergt heute diverse Museen, zum einen die Dauerausstellung zur Stadtgeschichte von 1703 bis 1924, zum anderen unter dem Namen Museum des alten Petersburg wechselnde Ausstellungen zu einem ähnlichen Themengebiet.

Direkt am Tor liegt eine weitere Ausstellungsfläche, in der abwechselnd internationale Fotografen ihre Werke zeigen. In den Kasematten befindet sich eine Druckerei, in der auf altem Originalgerät vor Zuschauern (und zum Verkauf) historische Drucke gefertigt werden.

Da sich von 1932 bis 1933 eine Forschungsstätte für sowjetische Luft- und Raumfahrt auf dem Gelände befand, ist hier heute ein Museum für Raketenbau und Raumfahrt untergebracht. Heute sind hier die nachgebildeten Konstruktionsbüros der Raketenbauer, Sputniks sowie kosmisches Zubehör wie etwa Original-Raumanzüge ausgestellt. Ebenfalls auf dem Gelände ist ein Münzmuseum mit einer funktionsfähigen Münzprägeanstalt, in der bis heute russisches Kleingeld, Orden und Medaillen geprägt werden.[12]

Die Peter-und-Paul-Festung gilt bis heute als das Herz Sankt Petersburgs. Besonders nachdrücklich wird sie den Bewohnern der Stadt täglich um zwölf Uhr mittags in Erinnerung gebracht. Seit dem 18. Jahrhundert wird um diese Zeit eine Kanone abgefeuert, ursprünglich diente dies dazu, den Stadtbewohnern die genaue Uhrzeit mitzuteilen.[13]

Entgegen dem zuvor zitierten Mythos gibt es keine Quellen, die glaubhaft belegen würden, dass Peter der Große das Bollwerk von Beginn an als Keimzelle einer größeren Siedlung oder gar seiner zukünftigen Hauptstadt angesehen hätte.[14] In erster Linie sollte die Peter-und-Paul-Festung zunächst wohl die Funktion von Nyenschanz übernehmen, also die Newa-Mündung strategisch absichern, nur jetzt für die Russen. Die äußeren Bedingungen für eine Stadtgründung waren denkbar ungeeignet, soweit stimmt die Überlieferung. Das Delta wurde häufig von Überschwemmungen heimgesucht, ein Großteil der Gegend war nicht einmal für die Landwirtschaft geeignet. Nur einige Fischer hielten sich hier in den Sommermonaten auf. Später sollte es aufgrund der ungünstigen Lage immer wieder zu Überschwemmungen kommen, bei denen zahlreiche Bewohner ihr Leben ließen.

Dass Peter der Große trotz der widrigen Gegebenheiten diesen Ort schließlich für seine neue Hauptstadt auswählte, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass hier vorzüglich ein Seehafen angelegt werden konnte und zudem der Anschluss an das binnenrussische Flusssystem gegeben war.[15] Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass das Stadtwappen neben dem Zepter einen See- und einen Binnenanker zeigt. Des Weiteren war die Nähe zu Westeuropa ausschlaggebend, ging es Peter dem Großen doch darum, Russland zu modernisieren.

Erst ab dem Jahr 1706 ist, durch die Zwangsrekrutierung zahlreicher Leibeigener für die Bauarbeiten an der Newa-Mündung, ein wirklicher Plan für die Errichtung einer neuen Stadt erkennbar. Sobald dieses Ziel vor Augen stand, wurde es mit großem Nachdruck und mit Rücksichtslosigkeit von Zar Peter in wenigen Jahren umgesetzt. Während die Stadt in ihren Grundmauern erstand, verbot er die Errichtung von Steingebäuden in ganz Russland außerhalb Sankt Petersburgs – jeder verfügbare Steinmetz sollte an der Erbauung der neuen russischen Hauptstadt arbeiten. Die Flucht von Arbeitern aus der Stadt und vom oft tödlichen Bauprojekt wurde mit harten Strafen geahndet.[16]

1706 wurden 30.000 Leibeigene im Zarentum Russland zwangsrekrutiert, 1707 waren es 40.000. Ungefähr die Hälfte von ihnen schaffte es, auf dem Weg nach Nordwesten zu fliehen. Schon während der Errichtung der Stadt kamen vermutlich Zehntausende von Zwangsarbeitern und Leibeigenen ums Leben. Sie starben an Sumpffieber, Skorbut, an der Ruhr oder einfach an Hunger und Entkräftung. Große Teile der Stadt sind auf Pfählen im Boden errichtet, aufgrund der großen Zahl von Toten beim Bau sprechen viele Leute davon, dass sie eigentlich auf Skeletten ruht. Zudem befand Russland sich noch bis 1721 im Krieg gegen Schweden, mehrere Gefechte fanden in der Nähe der gerade gegründeten Zarenresidenz statt. Erst nachdem die Schweden 1709 in der Schlacht bei Poltawa geschlagen worden waren, konnte die Stadt weitgehend als gesichert angesehen werden.

Da der russische Adel nicht bereit war, in die Stadt zu ziehen, beorderte Peter ihn nach Sankt Petersburg.[17] Die Familien mussten mit ihrem gesamten Haushalt in die Stadt ziehen, in Häuser, deren Stil und Größe genau festgeschrieben waren – selbstverständlich auf eigene Kosten. 1714 standen in Sankt Petersburg etwa 50.000 bewohnte Häuser, die Stadt war die erste in Russland, die eine offizielle Polizei sowie eine effektiv funktionierende Feuerwehr hatte. Die Innenstadt wurde abends und nachts künstlich beleuchtet, die Bewohner dazu angehalten, Bäume zu pflanzen.

Das Bauprogramm des Zaren konnte nur mit drastischen Maßnahmen durchgeführt werden.[18] Baumaterialien waren an der Newamündung ein seltenes Gut. So wurde 1710 ein Erlass herausgegeben, nach dem jeder Einwohner der Stadt jährlich 100 Steine abliefern oder aber eine hohe Geldstrafe zahlen musste. Jedes Frachtschiff, das die Stadt anlief, musste einen bestimmten Prozentsatz der Ladung Steine anliefern. Ein Erlass von 1714 besagte, dass Steinbauten nur noch in Sankt Petersburg gebaut werden durften (dieser Erlass wurde erst 1741 wieder aufgehoben). Die drakonischen Erlasse des Zaren zeigten Erfolg: Schon 1712 erklärte Peter der Große Sankt Petersburg anstelle von Moskau zur Hauptstadt des Russischen Zarentums. Bis auf ein kleines Zwischenspiel in den Jahren 1728–1732, als der Hof in Moskau weilte, blieb Petersburg seitdem und bis 1918 Hauptstadt Russlands. Beim Adel stieß die Maßnahme auf wenig Begeisterung, nur ungern gab man die bequemen Wohnsitze in Moskau auf.

Peter ließ Handwerker und Ingenieure aus ganz Europa, insbesondere aus Deutschland und den Niederlanden, kommen, die die neue Hauptstadt von Anfang an zu einem Zentrum europäischer Technik und Wissenschaft machen sollten. Zu dieser Zeit wurde die deutschsprachige St. Petersburgische Zeitung gegründet, die erste und inzwischen älteste Zeitung der Stadt.

Peter der Große leitete zahlreiche Reformprojekte ein, die in der Wissenschaft als petrinische Reformen bezeichnet werden.

Die Petrinischen Reformen sind die Bezeichnung für die Reformen in verschiedenen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, die von Zar Peter I. seit seiner Rückkehr von der Großen Gesandtschaft (1698) bis zum plötzlichen Tode des Kaisers Peter I. (1725) durchgesetzt worden sind.[19]

Sie wurden unter den Bedingungen des langjährigen und schließlich siegreichen Großen Nordischen Krieges mit Schweden eingeleitet und durchgesetzt. Vielfach improvisierte man, einen Generalplan gab es nicht. Die oft sprunghaften petrinischen Reformen betrafen das Militärwesen, die Verwaltung, die Steuern, die Wirtschaft und die Kirche. Die Menschen gleich welcher Schicht, wurden zwangsweise in den Dienst des Staates gestellt. Im Gegensatz zu früheren Zaren glaubte Peter I., dass eine wirksame Modernisierung des Landes sich nicht auf das Militärische beschränken dürfe, sondern das Ganze des zeitgenössischen Lebens umfassen müsse.

Die petrinischen Reformen brachen mit den altrussischen Traditionen (Gründung weltlicher Schulen, Zurückdrängung der Macht der Kirche) und trugen zur Modernisierung des Russischen Reiches bei, die letztlich zur Großmachtstellung Russlands im 18. Jahrhundert führte.

An der Wende zum 18. Jahrhundert öffnete Zar Peter der Große das teilweise in mittelalterlichen Strukturen erstarrte Zarentum Russland westeuropäischen Einflüssen und förderte Wissenschaft und Kultur. Russland lag technologisch zu dem Zeitpunkt hinter den meisten Staaten Westeuropas zurück. Dazu beigetragen hatte die Abschirmungspolitik des Staatsapparates und der Kirche, die nur da Lücken bot, wo man den Westen benötigte. Auch griff der Moskauer Staat im Falle kriegerischer Gefahr noch auf Adelsaufgebote zurück und war zudem wegen seiner schwachen Finanzkraft nicht in der Lage, den Schutz des riesigen, nur unzureichend erschlossenen Territoriums überall erfolgreich zu übernehmen.[20]

Der junge Herrscher hatte sich durch Aufenthalte in der Moskauer Ausländer-Vorstadt, der Nemezkaja sloboda, und seine Aufenthalte während seiner ersten großen Auslandsreise von März 1697 bis August 1698, der sogenannten Großen Gesandtschaft, in den Niederlanden und England ein genaues Bild von Westeuropa, seinem Wissen und seiner Technik gemacht.

Eine umfassende Reformierungspolitik setzte eine tragende und fähige Bürokratie voraus, die die Maßnahmen weitergeben konnte. Die vorhandenen Administrationsorgane waren für diese Zwecke aber unzulänglich. Waren die am Anfang durchgeführten Reformen in diesem Bereich noch überhastet, wurden diese nach der Schlacht von Poltawa sorgfältiger ausgearbeitet. Auch wurden vielfach ausländische Fachkräfte und Gelehrte herangezogen, die Entwürfe und Reglements ausarbeiteten.[21]

Ab 1711 stand der Senat als oberste Zentralbehörde im Mittelpunkt der Reformbemühungen. Der Senat war eine Gruppe der höchsten Würdenträger des Landes, die beratende Funktion hatten und in der Lage sein sollten, die Regierung bei Abwesenheit Peters zu führen. Mit dem Ukas vom 22. Februar 1711 wurden neun Männer zu Senatoren, wobei mit der Leibkanzlei als Teil der alten Bojarenduma auch personelle Kontinuitäten zutage traten. Der Senat hatte das Justizwesen zu leiten und das gesamte Feld der Innenpolitik. Die zuvor bestandene Bojarenduma wurde daraufhin abgesetzt. Der Senat wurde nach Möglichkeit mit Personen besetzt, die aufgrund ihrer Kompetenz ausgewählt wurden. Das Militär- und Außenministerium hatte dabei eine Schlüsselstellung, sie waren immer in engem Kontakt mit dem Zaren. Der Senat bestand mit nur wenigen Änderungen bis 1917.[22]

Die Reform der zentralen Ämter war lange vorbereitet und im Ausland beobachtet, Gottfried Wilhelm Leibniz gab beispielsweise nützliche Tipps. Andere Länder wie beispielsweise Schweden dienten teilweise als Vorbilder. Aufgrund dessen wurden – als modernste Neuerung – sogenannte Kollegien eingeführt, die in etwa die Funktion von Ministerien hatten. Peter führte von diesen Kollegien 10 ein, die folgende Ressorts hatten: Berg (Bergbau), Manufaktur (Manufakturen), Kommerz (Handel), Staatskontor (Staatsfinanzen), Kammer (Finanzen des Zaren), unterstand dem Senat, Krieg (Militär), Admiralität (Marine), Außen, Justiz, Kirchenangelegenheiten (erst 1721 dazugekommen, stand neben dem Senat).

Die Kollegien wurden vom hohen Adel gebildet.[23] Viele Probleme der Verwaltung entstanden mit den Kollegien aufgrund von Ressortüberschneidungen und Konkurrenzdenken. Doch dieses Verwaltungssystem blieb prinzipiell bis 1917 erhalten. Große Veränderungen gab es vor allem in den Bereichen Kultur, Kirche, Wissenschaft und Bildung.

Für eine erfolgreiche und nachhaltige Reorganisation des Verwaltungsapparates bedurfte es aber eines bedeutenden Signals, um mit den festgefahrenen Moskauer Traditionen zu brechen. Dieses Signal bot sich an, nachdem russische Truppen am 1. Mai 1703 bis zur Newa-Mündung vorgestoßen waren. Der Zar ließ nun nach eigenem Plan ab dem 16. Mai die Peter-und-Paul-Festung errichten mit dem Ziel, ein dauerhaftes „Fenster zum Norden“ zu etablieren und damit die Öffnung für die Modernisierung deutlich zu machen. Im November traf das erste holländische Handelsschiff ein, zugleich entstand die erste russische Waren- und Wechselbörse.

In den folgenden Jahren wurde der Ausbau der neuen geplanten Hauptstadt, Sankt Petersburg exzessiv vorangetrieben, ungeachtet aller Opfer.[24] Dafür beorderte Zar Peter seit 1704 für die Sommermonate 24.000 Arbeitskräfte in die Sümpfe des neu eroberten Mündungsdeltas der Newa. Seit 1708 stieg die Zahl auf bis zu 40.000. Es kam zu Unruhen, vor allem in Südrussland. 1712 wurde die Regierung von Moskau nach St. Petersburg verlegt. Um die neue zentrale Rolle der Stadt als Fenster nach Norden zu fördern, erzwang Zar Peter I. seit 1720 die Umleitung fast des gesamten russischen Außenhandels vom bis dato bedeutendsten russischen Außenhandelshafen Archangelsk nach St. Petersburg.

Während der Regierungszeit des Zaren Peter I. 1689 bis 1725 wurden durch Patrick Gordon, François Le Fort und Andere die Grundlagen einer modernen Armee nach westeuropäischem Vorbild geschaffen.[25] Als Initialzündung für die grundlegende Reformierung erwies sich die Katastrophe infolge der Schlacht bei Narva im Großen Nordischen Krieg im Jahr 1700, bei der sich die russische Armee als deutlich unterlegen gegenüber einer viel kleineren schwedischen Streitmacht erwies. Zu der Zeit verfügte der Zar über ein Heer von 100.000 Mann, das durch die Auflösung der Strelitzen-Regimenter 1698 und die Verstoßung der Strelitzen aus dem Heer um 30.000 Mann geschwächt wurde.

Da die schwedische Hauptarmee auf dem polnischen Kriegsschauplatz gebunden war, nutzte Zar Peter I. die Situation und baute Schritt für Schritt die Armee wieder auf.[26] Durch Rekrutierungen konnte die Armee wieder gestärkt werden und umfasste 1705 bereits wieder 200.000 Soldaten, nach 34.000 im Jahr 1700. Peter I. ernannte ausländische Experten, die die Truppen – ausgestattet mit modernen Waffen – in den Methoden der westeuropäischen Kriegsführung schulen sollten. Um die bei Narva verloren gegangene Artillerie schnell wieder aufzubauen, ließ Peter I. Kirchenglocken konfiszieren, um aus ihnen Kanonen herzustellen. So verfügte im Frühjahr 1701 die russische Armee wieder über 243 Kanonen, 13 Haubitzen und 12 Mörser. Danach wurden weitere Anstrengungen unter der Leitung geschickter holländischer Geschützgießer unternommen, um die Artillerie weiter zu modernisieren. In Lüttich, Europas ältester und wichtigster Waffenfabrik, wurden 15.000 neue Musketen gekauft.

Weitere Punkte der Heeresreform von 1705 und davor waren:[27]

Die Zaristische Armee konnte zwischen 1701 und 1706 von 40 auf 78 Regimenter vergrößert, und bis 1709 von Grund auf erneuert und reorganisiert werden, so dass sie in der Lage war, mit den disziplinierten schwedischen Truppen mitzuhalten und in der Schlacht bei Poltawa einen entscheidenden Sieg zu erringen, und die Wende des Krieges herbeizuführen.[28]

Die Schlacht bei Poltawa am 27. Juni war die entscheidende Schlacht des Russlandfeldzugs von Karl XII. im Großen Nordischen Krieg zwischen Russland unter Peter I. und Schweden unter Karl XII.[29] Die Schlacht stellte den Wendepunkt des Krieges zugunsten der antischwedischen Koalition dar. In der Schlacht kämpften 37.000 Soldaten der russischen Armee mit 28 Artilleriegeschützen. Ihnen gegenüber standen 26.000 schwedische Soldaten mit vier einsatzfähigen Geschützen.[30]

Frühe schwedische Siege bei Kopenhagen und in der Schlacht bei Narva 1700 warfen Russland und Dänemark zeitweilig aus dem Krieg. Allerdings war König Karl XII. nicht fähig, den Krieg zu Ende zu bringen. So benötigte der schwedische König weitere sechs Jahre, um den verbliebenen Gegner August von Sachsen-Polen zum Frieden zu zwingen. In der Zwischenzeit baute Zar Peter I. seine Armee wieder auf. Die neue russische Armee verfügte jetzt über gut ausgebildete Infanterie, wie sie für die Anwendung der Lineartaktik notwendig war, und zeitgemäße Feuerwaffen.

Seit Ende Februar 1709 stand die schwedische Hauptarmee zwischen dem Psjol und der Worskla, den nördlichen Nebenflüssen des Dnepr, mit dem Hauptquartier in Budischtschi nördlich der Festung Poltawa.[31] Den Vorschlag der Berater Karls, sich aufgrund der vielen Ausfälle und des Munitionsmangels nach Polen zurückzuziehen, wollte der König nicht annehmen. Im Frühjahr begann Karl XII. stattdessen die Offensive wieder aufzunehmen. Seine erste Aktion war die Belagerung der Stadt Poltawa Anfang April 1709, die er mit 8000 Mann durchführte. Der strategische Sinn der königlichen Kampftaktik bestand darin, dass von hier aus der Vormarsch über die Worskla ostwärts in Richtung Charkiw-Belgorod-Kursk auf Moskau erfolgen sollte.

Poltawa liegt am Fluss Worskla etwa 300 Kilometer ostsüdöstlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew und etwa 100 Kilometer südlich der russischen Grenze. Durch den Winter war das Schießpulver unbrauchbar geworden und es fehlte auch an brauchbarer Munition für die Kanonen. Folglich konnten die Schweden die Festung nicht bombardieren, wodurch sich die Belagerung hinzog. Die Garnison der Festung hatte eine Stärke von 4200 Soldaten unter dem Befehl des Obersten Alexei Stepanowitsch Kelin. Diese wurden durch ukrainische Kosaken und die bewaffnete Bevölkerung (insgesamt 2600 Mann) unterstützt. Es gelang ihnen während der folgenden 87 Belagerungstage die schwedischen Angriffe abzuwehren. Peter hatte so genug Zeit zum Eitsatz der Festung eigene überlegene militärische Kräfte zusammenzuziehen.[32]

Peter befand sich in der Zeit vor der Schlacht in einer akuten Notlage: Er musste seine Kräfte und seine Aufmerksamkeit zwischen der schwedischen Bedrohung im Westen und der des Aufstandes im ganzen Süden und Südwesten teilen.[33] Sein Erscheinen auf dem Hauptkriegsschauplatz verzögerte sich durch eine erneute Erkrankung, die sich von Ende April bis Anfang Juni 1709 hinzog. Schließlich kamen die russischen Streitkräfte mit insgesamt 42.500 Mann in 58 Infanteriebataillone und 17 Kavallerieregimenter und 102 Geschützen. Ende Mai auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses Worskla an. Das russische Kommando fasste auf dem folgenden Kriegsrat am 16./27. Juni den Beschluss, die Schlacht mit den Schweden zu führen. Am gleichen Tag überquerte die russische Vorhut den Fluss nördlich der Stadt Poltawa, in der Nähe des Dorfes Petrowka, und sicherte damit den Übergang der Hauptgruppe ihrer Armee, der am 20. Juni/1. Juli erfolgte. Zar Peter der Große lagerte in der Nähe des Dorfes Semjonowka. [34]

Während der rechte Flügel der Schwedischen Armee von der russischen Artillerie zurückgedrängt wurde, überwältigte die russische Kavallerie die linke, von der schwedischen Hauptarmee getrennte Flanke der Schweden unter Roos. Mit über 1000 Toten und wenig Munition war General Roos dazu gezwungen, sich in den Süden zurückzuziehen. Seine Truppen suchten Zuflucht im Wald nördlich von Poltawa, wo sie von der Kavallerie Menschikows zerschlagen wurden. Nachdem die schwedischen Truppen unter Schlippenbach und Roos kapituliert hatten, drang die Kavallerie Menschikows in Rücken und Flanke der schwedischen Hauptarmee vor. Die schwedische Kavallerie versuchte vergebens, für die Infanterie Zeit zu gewinnen. Die Schweden waren der russischen Übermacht nicht gewachsen und begannen den Rückzug, der sich in eine regelrechte Flucht verwandelte. Unter dem unaufhaltsamen Andrang der russischen Infanterie und Kavallerie gerieten die Schweden in Panik und ergriffen in chaotischem Durcheinander die Flucht.

Noch am Abend der Schlacht veranstaltete Peter ein Bankett. Zu Ehren der gefangenen schwedischen Generäle seinen Pokal erhebend, dankte er Ihnen als seinen Lehrmeistern auf dem Gebiet der Kriegsführung. Die Träger, die Karl XII. auf einer Bahre herumtrugen, fielen im russischen Feuer, die Bahre zerbrach und der König entkam erst im letzten Augenblick mit heftig blutender Wunde, von Masepa begleitet, vom Kampfplatz.

Über die russischen Verluste in der Schlacht bei Poltawa gibt es kaum Unklarheiten. Sie beliefen sich auf insgesamt 1345 Tote und 3290 Verwundete. Hingegen waren bei den Schweden 6901 Tote und Verwundete (darunter 300 Offiziere), sowie 2760 Gefangene (darunter 260 Offiziere) zu beklagen.. Unter den Gefangenen befanden sich auch Fürst Max von Württemberg, der Oberkommandierende Feldmarschall Carl Gustaf Rehnskiöld, der Premierminister Graf Carl Piper.[35]

Nach der Schlacht sammelten sich die zurückflutenden Schweden im Lager bei Puschkariwka. Insgesamt bestand die Armee mit den Truppen, die noch vor Poltawa und an den verschiedenen Flussübergängen lagen, noch aus etwa 15.000 Mann (zum größten Teil Kavallerie) und 6.000 Kosaken Als einzige Rückzugslinie stand der Weg nach Süden zur Verfügung, der ins Gebiet der Krimtataren führte. Unter deren Schutz hoffte Karl XII. seine Truppen reorganisieren und auffrischen zu können, bevor sie durch osmanisches Gebiet nach Polen zurückgeführt würden.[36]

Man beschloss daher im schwedischen Hauptquartier, dass Karl XII., die Verwundeten sowie eine Eskorte aus Schweden und Kosaken den Dnepr überqueren und durch die Steppe zum Südlichen Bug auf osmanisches Gebiet ziehen sollte.[37] Das Heer hingegen sollte die Worskla wieder hinauf marschieren und nach Überwindung des Flusses an einer Furt nach Süden zur Krim einschwenken. Von dort sollte es in Otschakow am Schwarzen Meer wieder zum König stoßen. Um 8 Uhr traf jedoch eine russische Kolonne von 6.000 Dragonern und 3.000 Kalmücken unter General Menschikow ein.

Angesichts der überall zutage tretenden Demoralisierungs- und Auflösungserscheinungen sowie des aktuellen Mangels an Lebensmitteln und Kriegsmaterial hielt Lewenhaupt einen erneuten Waffengang für aussichtslos und leitete sofort Verhandlungen ein, in deren Verlauf Menschikow ihm normale Kapitulationsbedingungen stellte. Nur die Kosaken würden nicht als Kriegsgefangene, sondern als Verräter behandelt werden. Lewenhaupt beriet sich mit den verbliebenen Generalen und Obristen und man einigte sich schließlich, zu kapitulieren, obwohl man den gegenüberstehenden russischen Truppen zahlenmäßig fast doppelt überlegen war. Am Morgen des 30. Juni um 11 Uhr kapitulierte das schwedische Heer mit rund 14.000 Soldaten, 34 Geschützen und 264 Fahnen. Die verbliebenen Kosaken flüchteten größtenteils auf ihren Pferden, um der Bestrafung als Verräter zu entgehen. Die Kolonne König Karls XII. erreichte wenige Tage später am 17. Juli den Südlichen Bug, wo sie jedoch zwei Tage lang aufgehalten wurde, bis der Pascha von Otschakow seine Erlaubnis erteilte, das Osmanische Reich zu betreten. Eine Nachhut von 600 Mann schaffte das Übersetzen über den Bug nicht mehr und wurde von 6.000 russischen Reitern unter General Wolkonski eingeholt und niedergemacht.[38]

Die schwedische Hauptarmee wurde völlig vernichtet, und Karl XII. war für die nächsten sechs Jahre im Exil im Osmanischen Reich außer Gefecht gesetzt.[39] Durch die Niederlage Karls verlor dieser in wenigen Stunden das Ansehen, das er sich mit seinen Siegen bis dahin in Europa erworben hatte. Die Siegesmeldungen erreichten durch spezielle Kuriere alle gekrönten Häupter in Europa. Für die europäische Öffentlichkeit war die Meldung vom Schlachtfeld bei Poltawa eine Nachricht, die anfangs ungläubiges Staunen hervorrief. Macht und Ansehen in Europa gingen fortan von Karl auf Peter über. Russland erschien nun als Großmacht der Zukunft und trat als ernsthafter Gegner aller europäischen Mächte hervor.

Die Niederlage bedeutete für Schweden den völligen Zusammenbruch des strategischen Konzepts Karls XII., die Gegner Schwedens nacheinander durch Anwendung überlegener Kriegskunst auszuschalten.[40] Dies bedeutete einen Wendepunkt des Krieges. Dennoch blieb Schweden am Tage nach der Schlacht noch immer die dominierende Großmacht in Nordeuropa mit einer Vorherrschaft im Ostseeraum.[41] Peter nutzte den erlangten Vorteil und befahl gleich nach der Schlacht die schwedischen Ostseeprovinzen zu erobern. Es folgte zugleich die Wiederherstellung der Tripelallianz zwischen Russland, Dänemark und Sachsen-Polen. Von nun an hatten Russland und seine Verbündeten Dänemark-Norwegen und Sachsen die strategische Initiative und begannen weiter beziehungsweise wieder, später gemeinsam mit ihren neuen Verbündeten Preußen sowie Braunschweig-Lüneburg, in schwedisches Territorium einzudringen.

Der Größe des Sieges entsprachen die Feiern, die der Zar in ganz Russland veranstalten ließ. Ein einprägsames Schauspiel lieferte der Triumphzug, der am 21. Dezember 1709 in Moskau veranstaltet wurde. Unter dem Donner der Geschütze von den Mauern und Wällen der Stadt herab und dem Geläut der Kirchenglocken setzte sich die Marschkolonne in Bewegung, begleitet von Trompetenschmettern und Paukenschlag, voran marschierten russische Garderegimenter mit den erbeuteten Trophäen, Fahnen und Standarten, dann folgten die gefangenen schwedischen Offiziere in aufsteigendem Rang bis zum Feldmarschall und dem Premierminister, alle zu Fuß. Der Abend schloss mit einem großen Feuerwerk.[42]

Der 200. Jahrestag des Sieges wurde besonders aufwendig begangen. Zar Nikolaus II. erschien an den Gedächtnisorten, um die Toten zu ehren und zahlreiche Gedenkstätten einzuweihen, darunter die Weiße Rotunde, ein Aussichtsplateau an der Stelle, wo sich die alte Festung befunden hatte. Im selben Jahr wurde ein Museum zur Geschichte der Schlacht gestiftet, davor steht heute Zar Peter in voller Lebensgröße. Und auch der 250. Jahrestag, der in die Tauwetter-Periode unter Chruschtschow fiel, wurde mit Salutschüssen und einem Feuerwerk begangen. Monographien, Festveranstaltungen, Sammelbände und Aufsätze komplettierten die Erinnerung an die 250-Jahr-Feier 1959.[43]

Am 10. September 1721 trat Schweden im Friedensvertrag von Nystad die Gebiete Ingermanland, Livland, Estland, die Inseln Ösel und Dagö sowie Südkarelien an Russland ab. Dafür erhielt es Finnland zurück, das Peter I. 1714 erobert hatte. Zudem leistete Russland Schweden Reparationen in Höhe von 2 Millionen Reichstalern.

Im Zuge der Friedensverhandlungen am Ende des Krieges bot Königin Ulrika Eleonora am 7. Januar 1720 auch August dem Starken einen Waffenstillstand an. Obwohl August II. mit einer Revision des Altranstädter Friedens die Anerkennung seiner polnischen Königswürde zu verknüpfen hoffte, kam es jedoch zu keinem Abschluss. An den den Großen Nordischen Krieg beendenden Friedensschlüssen war Sachsen-Polen, obwohl aktive Kriegspartei, damit nicht beteiligt. Eine beiderseitige Bekräftigung des faktischen Friedenszustandes zwischen Sachsen und Schweden fand erst im April 1729 statt. Der polnische Sejm hatte zuvor 1726 zu Grodno beschlossen, in Friedensgespräche mit Schweden einzutreten und frühere Friedensabkommen, in erster Linie den Vertrag von Oliva, zu bestätigen. Nach einer ersten Absichtsbekundung 1729 begannen erneut Verhandlungen, in deren Verlauf Schweden im Februar 1730 und Polen im September 1732 Entwürfe vorlegten, die in einer beidseitigen Friedensdeklaration mündeten.

Der Große Nordische Krieg hatte eine grundlegende Verschiebung im europäischen Mächteverhältnis zur Folge.[44] Schweden verlor seine Besitzungen im Baltikum und in Deutschland (bis auf Wismar und Vorpommern nördlich der Peene). Dadurch verlor Schweden seine Stellung als nordische Großmacht, auch wenn manche in Schweden dies noch nicht wahrhaben wollten – so wurde 1741 ein Krieg gegen Russland vom Zaun gebrochen, der in einem weiteren Desaster endete.

An die Stelle Schwedens als nordische Großmacht trat fortan das Russische Kaiserreich, das nicht nur zur neuen Vormacht an der Ostsee aufstieg, sondern auch eine entscheidende Rolle bei der Neuordnung Europas spielte.[45] Der Nordische Krieg hatte dem russischen Volk jedoch das Äußerste an Leistung abverlangt. Zeitweilig wurden 82 Prozent der Staatseinnahmen für den Krieg ausgegeben. Allein zwischen 1705 und 1713 gab es zehn Musterungen, die rund 337.000 Männer zu den Waffen riefen. Die Dienstbedingungen waren dabei so schlecht, dass während des Großen Nordischen Krieges 54.000 russische Soldaten an Krankheiten starben und nur etwa 45.000 tödlich verwundet wurden. Peters neue Hauptstadt Sankt Petersburg entstand an der Ostsee, geschützt durch breite Küstengebiete – eine Entwicklung, welche die um ihren Ostseehandel besorgte Seemacht Großbritannien unwillig mit ansehen musste. Mitten im Krieg schuf Peter der Große so die Grundlagen der russischen Großmachtstellung; um den neuen Anspruch zu unterstreichen, ließ er das Russische Zarentum in Russisches Kaiserreich umbenennen und seinen Titel offiziell von Zar in Kaiser ändern. Russland war nach der jahrhundertelangen Entfremdung, bedingt durch die Tatarenherrschaft, wieder ein festes Glied des europäischen Staaten- und Bündnissystems.[46]

Mit Russlands Aufstieg war gleichzeitig der Abstieg Polens verbunden, das in die Anarchie abglitt und in die Einflusssphäre des Zarenreichs geriet, ab 1768 de facto zu einem russischen Protektorat herabsank und bis 1795 von seinen Nachbarn vollständig aufgeteilt wurde. Der Nordische Krieg hinterließ das zu Litauen zählende Gebiet Weißrusslands vollkommen verwüstet. Das russische Heer verließ das Land erst 1719. Landwirtschaft, Handwerk und Handel lagen am Boden. Infolge der Pest starben Tausende Einwohner, so dass die Bevölkerungszahl Weißrusslands nahezu um ein Drittel reduziert wurde.[47]

Der Niedergang Schwedens und Sachsen-Polen-Litauens wiederum befreite Brandenburg-Preußen von zwei starken potentiellen Gegnern in der Region und fiel mit seinem Aufstieg zur Großmacht zusammen, auch wenn auf englische Intervention hin Schweden den nördlichen Teil Schwedisch-Pommerns behalten konnte und im Schlepptau von England fortan ein Gegengewicht gegen Brandenburg bilden sollte. Nachdem sie im Verlauf des Großen Nordischen Kriegs aus der zweiten in die erste Reihe der europäischen Staaten aufgerückt waren, komplettierten Russland und Preußen in den folgenden Jahrhunderten neben Frankreich, Österreich und Großbritannien die Pentarchie der europäischen Großmächte.[48]

Neben den teilweise drastischen Kriegsauswirkungen auf einzelne Staaten wurde der gesamte Ostseeraum während des Großen Nordischen Krieges im Zeitraum von 1708 bis 1712 von einer Pestepidemie gewaltigen Ausmaßes heimgesucht. Ausgehend von dem Seuchenzug in Polen erreichte die Pest innerhalb weniger Jahre eine tödliche Dynamik, die bis in den hohen Norden nach Stockholm ausgriff. Wesentlicher Katalysator der Pest war der Große Nordische Krieg, der eine bedeutende Anzahl Menschen innerhalb kurzer Zeit weite Teile Nord- und Osteuropa durchschreiten ließ und so ganz entscheidend zur Ausbreitung der Pest beitrug.

Die schwedische Militärmaschine wurde unter Karl XI. nach den enttäuschenden Ergebnissen aus dem Nordischen Krieg von 1674 bis 1679 einer umfassenden Reformierung unterworfen. Schweden verfügte über 50 Festungen und 40 Redouten an seinen Außengrenzen. Da die Ostsee weitestgehend ein schwedisches Gewässer war, sollten an den Grenzen des Reiches Festungen gegnerische Angriffe aufhalten solange, bis die schwedische Flotte (Seeherrschaft vorausgesetzt) ein Entsatzheer vom Mutterland über das Meer transportierte. Diese Strategie kam insbesondere am Anfang gegen Seeland, vor Narwa und vor Riga sehr erfolgreich zum Einsatz.

Eben um diese Seeherrschaft in der Ostsee wurde erbittert gekämpft. Bis 1720 wurde Russland zur stärksten Seemacht in der Ostsee.[49] Neben Gefechten zwischen Kriegsschiffen mit großem Tiefgang gab es auch Kämpfe zwischen Galeerenflotten. Diese waren besonders praktisch in flachen und inselreichen Gewässern wie sie in der Ostsee häufig vorkommen, z.B. im Finnischen Meerbusen. Auch Kämpfe auf Seen, in Lagunen und auf Flüssen hatten ihre Bedeutung. So bekämpften sich zum Beispiel auf dem Ladogasee und dem Peipussee zu Anfang des Krieges schwedische und russische Flottillen.

Der russische Kriegsführungsansatz setzte auf die Verfügbarkeit der größeren Ressourcen. Insbesondere in den Schlachten bis 1709 beruhten die russischen Siege vor allem auf der zahlenmäßigen Überlegenheit, da die nach 1700 durchgeführten Militärreformen erst langfristig ihre volle Wirkung erzielten. Zum Beispiel konnte zu Anfang des Krieges die sich erst entwickelnde russische Metallurgie bis 1712 den Bedarf der Armee an Musketen nicht decken, sodass 1707 der Anteil der Pikeniere gegenüber den Musketieren sogar erhöht wurde. Die Bemühungen Peters, eine Armee westlichen Stils wiederaufzubauen bezogen sich vor allem auf die militärische Organisation und Verwaltung.[50]

Er erschuf einen Generalstab, führte als Antwort auf die ungestümte Angriffsweise der Schweden den Infanterieangriff mit aufgesetztem Bajonett als Schocktaktik ein. Insgesamt wuchs die russische Armee zu einer kampfstarken Organisation heran, die der schwedischen oder anderen Armeen in nichts nachstand. Die russische Militärmacht betrug 1700 nach der Schlacht bei Narwa 34.000 Mann, 1705 betrug die Gesamtstärke 200.000 Mann.[51]

Da Peter der Große in seinen 36 Regierungsjahren nur in 2 Jahren keinen Krieg führte, gab es eine Vielzahl von Aushebungen. Allein zwischen 1705 und 1713 während des Großen Nordischen Krieges gab es 10 Musterungen, die rund 337.000 Männer zu den Waffen riefen. Die Dienstbedingungen waren allerdings so schlecht, dass während des Großen Nordischen Krieges etwa 45.000 russische Soldaten tödlich verletzt wurden, aber 54.000 an Krankheiten starben.

Eine weitere Reform Peters, die auch für die Erhöhung der Effizienz der Armee sehr wichtig war, war die Reform der Rangtabelle 1721.[52] Ursprünglich durfte nach der alten Rangtabelle niemand in der Armee unter jemandem dienen, dessen Rang niedriger war als der Rang des eigenen Vaters. Dies führte dazu, dass geeignete Militärs keine Führungsaufgaben in Verbänden übernehmen konnten, sofern in diesen Verbänden Söhne ranghöherer Adeliger dienten. Dadurch wurde die Schlagkraft der russischen Armee massiv geschwächt. Dieses System wurde von Sofia Alexejewna zwar außer Kraft gesetzt, aber erst durch die neue Rangordnung 1721 ersetzt. Vor allem in den Garderegimentern, die aus den Spielregimentern Zar Peters entstanden waren, wurde der Adel verpflichtet. Die Dienstpflicht wurde streng gehandhabt. Jeder männliche erwachsene Adelige musste im Regiment aktiv werden. Die Dienstzeit des Adels betrug ungefähr 25 Jahre.

Peter leitete die Organisation der neuen russischen Armee und der neu gegründeten russischen Flotte ein.[53] Er wollte Russland modernisieren und auf den technischen Stand Westeuropas bringen. Dazu war ein reger technologischer, kultureller und wirtschaftlicher Austausch erforderlich, und er war entschlossen, dafür die Kommunikation mit Europa über den Seehandel zu intensivieren. Der Zar selbst befasste sich intensiv mit dem Schiffbau und erlernte das Handwerk während seiner Großen Gesandtschaft im Rahmen einer viermonatigen Ausbildung in einer holländischen Schiffswerft. Russland war zum Ende des 17. Jahrhunderts fast völlig von den Weltmeeren abgeschnitten und besaß nur einen internationalen Seehafen in Archangelsk.

Das Zarenreich galt zu dem Zeitpunkt daher als klassische Landmacht und besaß keine Seefahrertradition.[54] Dafür verfügte Russland in überreichem Maße über alle Materialien und Rohstoffe, die für den Schiffbau erforderlich waren. Der Schiffbau im eigenen Land war sehr viel billiger als in den Niederlanden und England, was auch die Vorgänger Peters wussten. So hatte Zar Alexei I. 1662 im Ausland sondieren lassen, in welchem Maße es dort möglich wäre, Schiffe zu kaufen und Seehandelsplätze für russische Kaufleute in Pacht zu nehmen. Es wurden holländische Werftarbeiter angeworben, die in russische Dienste traten und für den Seedienst auf dem Kaspischen Meer ein großes Schiff, die Orjol, zu bauen, die 1669 in Astrachan von Stapel gelassen wurde.

Russlands Konkurrenten Schweden und das Osmanische Reich versuchten, Russland vom Zugang zu den Meeren fernzuhalten.[55] Die Notwendigkeit des Baus einer eigenen Kriegsflotte ergab sich für den jungen Zaren Peter schon nach seinem ersten militärischen Misserfolg im Kampf um Asow im Jahr 1695, als deutlich wurde, dass die Osmanen mit ihrer kampfstarken Flotte allein mit den Mitteln des Landkrieges nicht zu schlagen waren. Vor der Festungsstadt Asow mündete der Don in das Asowsche Meer. Damit sollte der Zugang zum Schwarzen Meer gewährleistet und das Tor zum Mittelmeer aufgestoßen werden. Federführend beim Aufbau der neuen Marine war François Le Fort. Für die Durchführung der zweiten Asow-Kampagne von 1696 ließ Peter als erste Flotte in der Geschichte Russlands die Asow-Flotte bauen, die aus zwei Schlachtschiffen, vier Brandern, 23 Galeeren und 1300 als Strug bezeichnete Kanonenruderboote mit Hilfssegeln bestand, die auf den Werften in und um Woronesch gebaut worden waren. Diese nahmen als Unterstützung der Armee im zweiten der Asowfeldzüge erfolgreich an der Belagerung und Eroberung von Asow teil. Der langfristige Plan sah vor, weitere Festungen am Schwarzen Meer zu erobern, weshalb der Zar seiner Bojarenduma eine Aufstellung von Umlageregelungen zur Beschaffung der zum Flottenbau benötigten Mittel vorlegte, die daraufhin am 20. Oktober 1696 einen Beschluss zum Aufbau einer Marine fasste. Dieses Datum gilt als offizieller Geburtstag der regulären russischen Marine.[56] Russland hatte zwar mit der zweiten Asowkampagne einen Zugang zum Schwarzen Meer erkämpft, besaß aber immer noch keinen Zugang zu den Weltmeeren, da der unter osmanischer Kontrolle stehende Bosporus den Zugang verhinderte und eine Weiterführung des Krieges gegen die Türken durch die Ereignisse im Norden nicht möglich war. Im Nordwesten führte der Finnische Meerbusen in die Ostsee, dieser war aber seit 1617 mit dem Frieden von Stolbowo Hoheitsgebiet des Schwedischen Reiches.

1700 brach der Große Nordische Krieg aus. Um einen Zugang zur Ostsee zu erhalten, musste zunächst das Newaumland erobert und militärisch gesichert werden. In diesen Kämpfen wurden auch Flussboote auf dem Ladogasee, Onegasee und Peipussee gebaut und eingesetzt.[57] Es folgten die Belagerung von Nyenschanz und die Belagerung von Nöteborg. Zur Sicherung der neu eroberten Gebiete wurde die Peter-und-Paul-Festung angelegt. Jetzt hatte Peter sein Fenster zum Westen und einen Marinestützpunkt an der Ostsee. Der Bau der geruderten Flotte erfolgte in den Jahren 1702–1704 auf Werften im Delta der Flüsse Sjas, Luga und Olonka statt. Daraus entwickelte sich nach und nach die Baltische Flotte. Um die eroberte Küstenlinie verteidigen und die feindlichen Seeverbindungen in der Ostsee angreifen zu können, schufen die Russen eine Flotte aus russischen und importierten Segelschiffen. Beim Bau der Flotte kamen Tausende russische Bauern zum Einsatz, die von hunderten Schiffsbauern und Offizieren angeleitet wurden, welche Peter aus Westeuropa zum Dienst anwarb.

Westliche Mathematiker, Schiffsbauer und Wissenschaftler schufen die Grundlage für die Seefahrtausbildung und Schiffsbautechnik in Russland.[58] Zunächst war der Wladimirskij Prikas für den Schiffbau zuständig, später der Admiraltejskij Prikas. Die Marineoffiziere kamen aus dem Adel und die gemeinen Seeleute aus den Reihen der Rekruten der Armee. Der Dienst in der Flotte war lebenslang. Im Jahre 1701 wurde die „Schule für mathematische und navigatorische Wissenschaften“ eingerichtet, an der ausländische Lehrer wirkten (z.B. Prof. Farwharson aus Aberdeen); an ihr stellten allerdings Kinder adliger Familien eine Minderheit dar. Die Schüler wurden häufig ins Ausland geschickt, um den Dienst in fremden Flotten zu lernen.[59]

Nachdem man sich in St. Petersburg etabliert hatte und die Angriffe der Schweden abgewehrt hatte, wurde der Erwerb eines Hafens weiter südlich zum neuen strategischen Ziel für die russische Marine, da der Hafen von St. Petersburg oft vereist und nicht nutzbar war. Dennoch blieb St. Petersburg der Hauptstützpunkt, und im Vorfeld der neuen Hauptstadt wurde die Seefestung Kronstadt erbaut. In St. Petersburg wurde auch die erste Marineakademie des Landes gegründet. Weitere Stützpunkte wurden in Wyborg, Helsinki, Reval und Åbo geschaffen. Erster Oberkommandierender der Baltischen Flotte wurde Cornelius Cruys. 1718 wurde die oberste Marinebehörde Russlands geschaffen: das Admiralitätskollegium.

Die junge russische Marine bestand in der Seeschlacht von Hanko im Juli 1714 eine wichtige Bewährungsprobe gegen die schwedische Marine. Bis zu dem Zeitpunkt hatte Schweden die Herrschaft in der Ostsee, danach konnte die russische Marine bis Dänemark vorstoßen.

1722 hatte die Kaiserliche Russische Marine 130 Segelschiffe, darunter 36 Linienschiffe, 9 Fregatten, 3 Schnauen, 5 Bombardierschiffe und 77 Hilfsschiffe. Die geruderte Flotte bestand aus 396 Schiffen, darunter 253 Galeeren und Halbgaleeren (modifizierte dreimastige Brigantine) und 143 Brigantinen. Die Schiffe wurden in 24 Werften auf Stapel gelegt, darunter die in Woronesch, Kasan, Perejaslaw, Archangelsk, Olonez, Sankt Petersburg und Astrachan.[60]

Die organisatorischen Prinzipien der Kaiserlichen Russischen Marine sowie die Erziehungs- und Übungsmethoden zur Vorbereitung des zukünftigen Kaders und die Methoden zur Durchführung militärischer Aktionen wurden in Anlehnung an Dienstvorschriften und seerechtliche Bestimmungen führender Seemächte im „Seereglement“ zusammengefasst. Peter der Große, Fjodor Apraxin, Akim Senjawin, Naum Senjawin, Michail Golizyn und andere werden allgemein als besonders wichtig für die Entwicklung russischer Kriegführung zur See betrachtet. Die Hauptprinzipien der Seekriegführung wurden ferner von Grigori Spiridow, Fjodor Uschakow und Dmitri Senjawin entwickelt. Bedingt durch die schlechten Bedingungen in der Armee, nahm zu der Zeit die Desertion große Ausmaße an. Eine von der russischen Administration unternommene Zählung ergab 198.876 Deserteure in der Zeit von 1719 bis 1727.

Peter baute auch eine merkantilistische Wirtschaft auf. Dazu zählt besonders seine starke Förderung der Manufakturen.[61] Beim Amtsantritt Peters existierten in Russland nur zehn Manufakturen.

Merkantilismus ist ein nachträglich geprägter Begriff für ein stark durch staatliche Eingriffe geprägtes Wirtschaftsmodell zur Zeit des Absolutismus.[62] Im Zentrum stand die Förderung der Wirtschaft im Lande und des Exports bei gleichzeitiger Eindämmung von Einfuhren. Durch das Merkmal der „uneingeschränkten staatlichen Regulierung“ unterscheidet sich dieses Modell von den modernen Vorstellungen des Freien Marktes. Der Merkantilismus war in Europa die vorherrschende wirtschaftliche Lehrmeinung der Frühmoderne (vom 16. bis zum 18. Jahrhundert), er war ein Spektrum verschiedener wirtschaftspolitischer Konzepte, welche sowohl geldpolitische als auch handels- und zahlungsbilanztheoretische, aber auch finanzwirtschaftliche Ansätze verband.

Mit dem Bedürfnis der absolutistisch regierten Staaten nach wachsenden, sicheren Einnahmen zur Bezahlung der stehenden Heere und des wachsenden Beamtenapparats und nach repräsentativen Bauten und Mäzenatentum der Fürsten entwickelte sich in den verschiedenen europäischen Staaten eine vom Interventionismus und Dirigismus geprägte wirtschaftspolitische Praxis, der eine geschlossene wirtschaftstheoretische und -politische Konzeption noch fehlte.[63] Gemeinsam ist dieser Praxis das Streben nach Überschüssen im Außenhandel zur wirtschaftlichen Entwicklung des eigenen Staats. Die Kapitalmenge, die durch die staatlichen Goldreserven repräsentiert wird, werde am besten durch eine aktive Handelsbilanz mit hohen Exporten und niedrigen Importen erhöht. Regierungen unterstützten demnach diese Ziele, indem sie Exporte aktiv förderten und Importe durch Anwendung von Zöllen hemmten.[64]

In der Binnenwirtschaft führte dies zu signifikanten staatlichen Eingriffen und zur Kontrolle über den Außenhandel und das Wirtschaftssystem, während gleichzeitig wichtige Strukturen des modernen kapitalistischen Systems entstanden. Der Merkantilismus belastete die damaligen zwischenstaatlichen Beziehungen durch zahlreiche europäische Kriege, der Imperialismus entstand. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Merkantilismus durch die klassische Nationalökonomie des schottischen Ökonomen Adam Smith verdrängt.

Fast alle europäischen Ökonomen, die zwischen 1500 und 1750 publizierten, werden heute im Allgemeinen als Merkantilisten betrachtet, obwohl diese sich selbst nicht als Anhänger einer gemeinsamen Ideologie begriffen.[65] Der Begriff „merkantiles System“ wurde vom Marquis de Mirabeau 1763 geprägt und von Adam Smith 1776 allgemein verbreitet. Das Wort stammt vom lateinischen mercari (Handel treiben) mercator bzw. merx (Ware) bzw. italienisch/französisch mercantile (kaufmännisch) ab. Ursprünglich nur von Kritikern wie Mirabeau und Smith verwendet, wurde der Begriff bald auch von Historikern übernommen.

Der Merkantilismus als Ganzes kann nicht als eine einheitliche, geschlossene Wirtschaftstheorie betrachtet werden.[66] Es gab keinen merkantilistischen Autor, der ein umfassendes Modell für ein ideales Wirtschaftssystem vorlegte, wie Smith dies später für die klassische Nationalökonomie tat. Stattdessen betrachtete jeder merkantilistische Autor einen anderen Teilaspekt der Wirtschaft. Einzelne problembezogene Ideen und unterschiedliche Ansätze in den europäischen Staaten stehen häufig unverbunden nebeneinander.

Der Merkantilismus betrachtet Außenhandel als Nullsummenspiel, bei dem der eine gewinnt, was der andere verliert. Deshalb ist es per definitionem unmöglich, den gesamtwirtschaftlichen Nutzen zu maximieren. Merkantilistische Schriften wurden eher dazu erstellt, politische Vorgehensweisen zu rechtfertigen, als zu untersuchen, welche Politik am nützlichsten sei.

Ausgehend von der Überlegung, dass eine permanent aktive Zahlungsbilanz eine Steigerung des Edelmetallschatzes einer Nation bewirken würde, was mit dem Reichtum der Nation gleichgesetzt wurde, kamen Forderungen nach Förderung einer aktiven Handels- und Dienstleistungsbilanz auf.[67] Als wirtschaftspolitisches Instrumentarium bediente man sich in England des Protektionismus: Die Einfuhr von Rohstoffen wurde durch günstige Zölle erleichtert, die Ausfuhr von Fertigwaren und Nahrungsmitteln durch hohe Zölle erschwert. Letzteres sollte das inländische Angebot an Fertigprodukten und Nahrungsmitteln erhöhen und damit die Preise senken in der Erwartung, dass mit sinkenden Nahrungsmittelkosten auch die Löhne fallen und letztlich die Produktionskosten gesenkt werden könnten.

Die Einfuhr günstiger Rohstoffe sollte die inländische Produktion zusätzlich anreizen. Ein Verbot des Exports von Geld und Edelmetall ins Ausland um 1600 sollte zusammen mit rigider Devisenbewirtschaftung den Abfluss von Edelmetall ins Ausland erschweren. Zudem wurde in der Navigationsakte von 1651 festgelegt, dass der Transport aller Export- und Importgüter durch englische Schiffe zu erfolgen habe, was die Kontrolle erleichtern und die Dienstleistungsbilanz aktivieren sollte. Dass diese Wirtschaftspolitik gleichzeitig aber die Konkurrenz der Produkte (Erfindungen) und Produktionsmethoden (Innovationen) mit dem Ausland herabsetzte, wurde zu einer entscheidenden Überlegung der Freihändler.[68]

Schätze der Eremitage

Die Eremitage in Sankt Petersburg an der Newa ist eines der größten und bedeutendsten Kunstmuseen der Welt.[69] Auch der Gebäudekomplex, der das Museum beherbergt und zu dem der berühmte Winterpalast gehört, wird heute zusammenfassend als Eremitage bezeichnet. Er ist ein zentraler Bestandteil der zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten Sankt Petersburger Innenstadt.[70]

Von den zahllosen Museen der Stadt ist die Eremitage mit 2,4 Millionen Besuchern (2009) das bestbesuchte und international bedeutendste.[71] Es sind Sammlungen über prähistorische Kultur, Kunst und Kultur der Antike, Kunst und Kultur der Völker des Ostens, westeuropäische Kunst und russische Kunst zu sehen.[72]

Im Archiv des Museums befinden sich fast drei Millionen Objekte, unter anderem archäologische Fundstücke sowie die neben dem Louvre und dem Prado bedeutendste Sammlung klassischer europäischer Kunst. In mehr als 350 Sälen sind über 60.000 Exponate ausgestellt. Zu den ausgestellten Bildern gehören Werke holländischer und französischer Meister wie Rembrandt, Rubens, Matisse und Paul Gauguin. Außerdem sind zwei Gemälde des italienischen Universalgenies Leonardo da Vinci sowie 31 Gemälde des spanischen Malers Pablo Picasso ausgestellt. Das Museum hat etwa 2.500 Mitarbeiter.

Während die Malerei der Kern der Sammlung ist, beherbergt die Eremitage auch Zeichnungen, über 50.000 Druckgraphiken (Holzschnitte, Lithographien, Radierungen) verschiedener Genres und Epochen, und umfangreiche Sammlungen angewandter Kunst. Dazu gehören insbesondere Kirchengerät des 11. bis 15. Jahrhunderts, Emailarbeiten und Elfenbeinschnitzereien des 15. bis 18. Jahrhunderts.

Daneben sammelten vor allem die Kaiser angewandte russische Kunst wie Teppiche und Porzellan. Die Sammlung an russischen Gewändern des 18. bis 20. Jahrhunderts ist beeindruckend. Unter den Gewändern befinden sich unter anderem über 300 Zarengewänder von Peter dem Großen.

Ebenfalls gehören zur Sammlung in der Eremitage 14.000 Stück Porzellan aus allen großen Manufakturen, darunter besonders Meißen und Sèvres. Ebenfalls zur angewandten Kunst zählen große und bedeutende Sammlungen an Teppichen, Gobelins und Möbelkunst. Die Sammlung der Plastiken ist mit über 2000 Objekten eine der größten der Welt. Sie enthält unter anderem Werke von Michelangelo und Rodin.

Ursprünglich trug nur die Kleine Eremitage diese Bezeichnung. Heute ist mit Eremitage ein Komplex aus mehreren im 18. und 19. Jahrhundert entstandenen Bauwerken gemeint. Neben der Kleinen Eremitage besteht er noch aus der Alten Eremitage, der Neuen Eremitage, dem Eremitage-Theater und dem dominierenden Teil, dem Winterpalast (auch Winterpalais genannt), der ehemaligen Hauptresidenz der russischen Zaren.[73]

In den letzten Jahren kamen neben dem eigentlichen Eremitage-Komplex noch ein Teil des Generalstabsgebäudes auf dem Palastplatz gegenüber dem Winterpalast und des Menschekow-Palais zu den Räumlichkeiten des Museums hinzu.

Der erste Winterpalast wurde 1711 gebaut, 1721 durch einen neuen ersetzt (in dem Peter I. starb), in den folgenden Jahren wieder niedergerissen und durch den Baumeister Domenico Trezzini neu gebaut.[74] Domenico Andrea Trezzini (1670-1734) war ein Schweizer Architekt; sein russischer Name war Andrej Jakimowitsch Tresin oder auch Andrej Petrowitsch Tresin.

Domenico Trezzini wurde in Astano geboren, einem kleinen Dorf im Schweizer Kanton Tessin, und hat wahrscheinlich in Rom studiert. Er war drei Mal verheiratet, was u.a. dazu führte, dass nicht nur die Geburtsjahre seiner Kinder weit auseinanderliegen, sondern einige Unklarheiten bestehen hinsichtlich der verwandtschaftlichen Beziehungen einiger Personen in dieser adligen Familie.

Sein Sohn Pietro Antonio Trezzini (1710, Astano – 1734, Astano), verliess Russland 1725. Er wird manchmal durcheinandergebracht mit dem Architekten Pietro Trezzini; wahrscheinlich aber handelt es sich doch um zwei verschiedene Personen. Wie aus russischen Archiven hervorgeht, kehrte ein weiterer Sohn, Matteo Trezzini (nach 1710 – nach 1750) mit dem russischen Namen Matvey Andreevich Trezzini, nach dem Tod seines Vaters nach St. Petersburg zurück und hat sich als Mediziner betätigt. Carlo Giuseppe Trezzini (1697, Astano – 1768, Sankt Petersburg), (russisch Ossip Petrowitsch Tresin), war als sein Schwiegersohn verheiratet mit seiner Tochter Maria Lucia Tomasina Trezzini.

Trezzini wurde vom russischen Zar Peter I. neben anderen Architekten angeboten, anlässlich der Gründung der neuen Hauptstadt St. Petersburg im Jahr 1703 dort mehrere Bauten zu planen.[75] Als Hofarchitekt trug er wesentlich zur Schaffung der repräsentativsten Gebäude der Stadt bei. Seine herausragenden Werke sind namentlich z.B. die Festung Kronstadt (1704), die Peter-und-Paul-Kathedrale (1712–33), der Sommerpalast von Peter I. (1710–14), das Alexander-Newski-Kloster (1715-22) sowie zahlreiche Bauten auf dem damaligen Hafengelände.

Elisabeth ließ diesen aufgrund mangelnder Imposanz erneut niederreißen und ab 1754 durch Bartolomeo Francesco Rastrelli wiederum neuerstellen. Von Rastrelli stammen viele Barock-Bauwerke in Sankt Petersburg, unter anderem das Stroganow-Palais, das Woronzow-Palais, das Smolny-Kloster und, teilweise, das Anitschkow-Palais (später klassizistisch umgebaut) und der Gostiny Dwor (Grundriss).

Die im Stil des Klassizismus gehaltene Kleine Eremitage von Jean-Baptiste Vallin de la Mothe wurde von 1764 bis 1775 ursprünglich als Refugium für Katharina II. gebaut und ist das kleinste Gebäude des Ensembles. Hier brachte Katharina die ersten von ihr gekauften Gemälde unter.[76]

Die Alte Eremitage, auch als Große Eremitage bezeichnet, wurde 1787 von Georg Friedrich Veldten angeschlossen, um die rasch wachsende Kunstsammlung aufzunehmen. Sie ist das schmuckloseste Gebäude des Komplexes.

Das Eremitage-Theater entstand von 1783 bis 1787. Das ehemalige Theater des Kaisers war damit das erste Theater von Sankt Petersburg.[77] Es wurde bis 1796 und wieder ab 1989 bespielt; im Winter tritt hier unter anderem das Kirow-Ballett auf. Es dient heute vor allem als Verwaltungsgebäude, aber besitzt auch noch eine Bühne und einen Zuschauersaal. Das Theater ist das kleinste der Stadt, da es ursprünglich nur für die Privatvorführungen der Zarenfamilie gedacht war. Das Eremitage-Theater ist das einzige Gebäude der Eremitage, das im Normalfall Besuchern nicht offensteht.

Leo von Klenze errichtete zwischen 1839 und 1852 die Neue Eremitage als letztes Gebäude, es ist vielleicht das einzige seiner Werke, das ohne die restriktiven Stilwünsche Ludwig I. von Bayern und somit ganz und gar nach Klenzes Vorstellungen entstand. [78]

Leo von Klenze war ein deutscher Architekt, Maler und Schriftsteller. Er gilt neben Karl Friedrich Schinkel als bedeutendster Architekt des Klassizismus.[79]

Im Alter von 16 Jahren begann Leo Klenze ein Architekturstudium in Berlin. Er lernte unter anderem bei Aloys Hirt, durch den er mit der Antike in Berührung kam, die ihn architektonisch sein Leben lang prägte. Die Eindrücke vertiefte er in seiner ersten Italienreise im Frühling und Sommer 1806 und vielen folgenden. An der Berliner Bauakademie studierte noch einmal drei Jahre und schloss als Kondukteur ab (einer Art Aufseher von Bauarbeiten). Von Anfang an legte Klenze großen Wert auf Ausbau und Pflege von Beziehungen. So lernte er in Genua Constantin La Flèche-Keudelstein kennen, der Zeremonienmeister des Königs von Westphalen Jérôme Bonaparte wurde, und ihm eine über seine Ausbildung hinausgehende Anstellung ermöglichte. Am 1. Februar 1808 wurde Leo Klenze Hofarchitekt von König Jérôme Bonaparte in Kassel.[80] Dort realisierte er seine ersten Bauten und lernte seine zukünftige Frau Felicitas Blangini kennen, die als Sängerin am Kasseler Theater tätig war.

Mit dem Untergang Napoleon Bonapartes flüchteten Felicitas und Leo Klenze gemeinsam mit Felix Blangini (Felicitas' Bruder) Ende Oktober 1813 nach München. Hier konnte sich Felix Blangini an König Maximilian I. Joseph von Wittelsbach wenden, denn er hatte seit 1805 die Stellung des bayerischen Kapellmeisters inne. Außerdem war seine Schwester Therese Blangini seit 1804 bayerische Kammersängerin und persönliche Gesangslehrerin der bayerischen Kurfürstin Karoline von Baden (ab 1806 Königin Karoline von Bayern).[81]

Nach einer ersten beruflich ergebnislosen Kontaktaufnahme mit Kronprinz Ludwig I. zog Klenze mit seiner Frau nach Paris. Als Klenze nach zwei weiteren Begegnungen mit dem bayerischen König im Oktober 1815 als dessen Privatarchitekt eingestellt wurde, zog die Familie endgültig nach München. Dort errichtete er über Jahrzehnte zahlreiche Bauten in München, die noch heute das Stadtbild prägen.[82]

Leo von Klenze starb am 27. Januar 1864 in München. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Südlichen Friedhof im Glockenbachviertel in München.

Klenzes erstes Gebäude war das Ballhaus am Schloss Wilhelmshöhe im Bergpark Wilhelmshöhe (Kassel). Das klassizistische Gebäude war 1809/1810 unter Jérôme, König von Westfalen und Bruder Napoleons, als Hoftheater errichtet worden. 1828 bis 1830 verwandelte Johann Conrad Bromeis es im Auftrag des Kurfürsten Wilhelm II. von Hessen-Kassel in einen Ballsaal.

Leo von Klenze gelangte vor allem in seiner Stellung als Hofarchitekt von König Ludwig I. von Bayern neben seinem Konkurrenten Friedrich von Gärtner zu Bedeutung. Zu seinen Aufgabenbereichen gehörte die klassizistische Umgestaltung Münchens mit z. B. dem Marstall, Königsplatz, der Ludwigstraße, der Glyptothek, dem Haslauer-Block, der Ruhmeshalle, der Alten Pinakothek oder der Residenz. Das in den Jahren 1817–1821 geschaffene Palais Leuchtenberg erhielt einen ersten geruchlosen beweglichen Abtritt, eine Innovation in der Entwicklung der sanitären Anlagen, die zuerst in Paris entwickelt wurde. Zu diesem Zweck hat Klenze eigens die französische Hauptstadt aufgesucht, um vor Ort diese technische Errungenschaft zu studieren. Zwischen 1826 und 1828 entstand das Odeon nach seinen Plänen, 1826–1829 auch die Liebfrauenkirche in Fürth. Weitere realisierte Bauwerke sind der Monopteros, ein kleiner polychrom verzierter Rundtempel im Englischen Garten (1832–1837), der als ein bedeutendes Architekturensemble in München gilt.[83]

Er schuf die Walhalla bei Regensburg, die Befreiungshalle in Kelheim, die Konstitutionssäule in Gaibach und das Kanaldenkmal am Burgberg in Erlangen. Diese wurden oftmals mit Figurengruppen des bayerischen Bildhauers Ludwig Schwanthaler komplettiert. Klenze war ab 1828 maßgeblich an der Errichtung der Landesfestung Ingolstadt beteiligt.

Zar Nikolaus I. fand bei einem Besuch in München solchen Gefallen an der Alten Pinakothek, dass er Leo von Klenze den Auftrag zur Errichtung der Neuen Eremitage in Sankt Petersburg gab, die zwischen 1839 und 1852 errichtet wurde.[84] Auch die klassizistische Umgestaltung der Stadt Athen, die allerdings durch eine spätere Umgestaltung weitgehend verschwunden ist, geht auf ihn zurück. Er lieferte die städtebauliche Konzeption hierzu im Auftrag von Otto I. von Griechenland.

Mit seiner idealistischen Vision einer modernen Wiedergeburt griechischer Architektur war er nicht unumstritten, wie u. a. zeitgenössische Reiseberichte belegen. Neben Architekturarbeiten faszinierte Klenze auch die Malerei, damals meist auch Voraussetzung zur Darstellung von Bauprojekten. Es entstanden aber eigenständige Ölgemälde.[85]

Die Kunstpolitik Ludwigs I. von Bayern ist ein typisches Beispiel für das Bestreben von Monarchen des 19. Jahrhunderts, durch Monumentalbauten und Kunstsammlungen ihre Herrschaft zu repräsentieren und zu stabilisieren, den gebildeten bzw. vermögenden Teil der Staatsbürger für sich zu gewinnen und an die bestehende politische Ordnung zu binden. Ludwig I. gelang es, München zu einem europäischen Kunstzentrum zu entwickeln, das bis nach Paris (Museumsgründungen von König Louis Philippe), London (Hearing im Unterhaus über die Kunstentwicklung in Bayern), St. Petersburg (Neue Eremitage) und Athen (Stadtgestaltung, Residenzbau, Denkmalschutz) ausstrahlte.[86]

Klenze ist Ehrenbürger der Stadt München.[87] Die Münchner Klenzestraße im Gärtnerplatzviertel, das Klenze-Gymnasium München, die Klenzestraßen in Regensburg und Tutzing am Starnberger See sowie der Klenzepark in Ingolstadt sind nach ihm benannt, ebenso die Klenzestraße und der Klenzeplatz im westfälischen Hamm-Werries. Diese liegen in der ehemaligen Zechenkolonie der Zeche Maximilian. Grund für die Benennung war, dass Klenze Lieblingsarchitekt des für die Zeche namensgebenden bayerischen Königs Maximilian II. Joseph gewesen sein soll. 1822 wurde Klenze in den persönlichen und 1833 in den erblichen bayrischen Adelsstand erhoben. Außerdem wurde er, nach der 1852 erfolgten Auszeichnung mit der Royal Gold Medal, am 31. Mai 1861 in den preußischen Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen.[88] Seine Büste fand Aufstellung in der Ruhmeshalle in München.

Der Bau der Neuen Eremitage war von Anfang an dafür bestimmt, die Kunstschätze der weiter gewachsenen Sammlung aufzunehmen.[89] In der Neuen Eremitage befindet sich unter anderem ein kompletter Nachbau eines eigentlich von Raffael im Vatikan gestalteten Ganges. Die von A. I. Terebènieff mit 150 Bildhauern und Steinmetzen in Serdabol-Granit ausgeführten 10 Telamone am Ostportal sind die heute vielleicht berühmtesten Atlas-Figuren dieser Art weltweit.

Atlas ist in der griechischen Mythologie ein Titan, der das Himmelsgewölbe am westlichsten Punkt der damals bekannten Welt stützte. Er ist somit auch die Personifizierung des Atlasgebirges.[90] Atlas war der Sohn des Titanen Iapetos und der Okeanide (Meeresnymphe) Asia auch Klymene genannt. Hyginus Mythographus, der das urweltliche der Gestalt herausstreichen wollte, machte Atlas zum Sohn von Aether und Gaia. Er hatte drei Brüder, nämlich Menoitios, Prometheus und Epimetheus.

Atlas und sein Bruder Menoitios sahen sich nach dem Titanenkampf gegen die Olympier auf der Seite der Verlierer und wurden für ihre Loyalität zu Kronos von Zeus bestraft. Anders als die meisten anderen Titanen wurde Atlas aber nicht in den Tartaros verbannt, sondern erhielt die beschwerliche Aufgabe, an Gaias (Personifizierung der Erde) westlichem Rand zu stehen und dort den Uranos (Personifizierung des Himmels) zu stemmen, um so zu verhindern, dass jene beide ihre urweltliche Umklammerung wieder aufnähmen. In Urzeiten wurde es Gaia nämlich überdrüssig, dauernd von Uranos vergewaltigt zu werden. So wurde Atlas zum Atlas Telamon (= verankerter Atlas) und erhielt mit Koios, der die Weltachse, um die sich der Himmel dreht, personifiziert, ein Gegenstück.

In einer spät entstandenen Sage ist Zeus′ Vergeltung an Atlas indirekter Natur; Ovid erzählt dazu: Nachdem Perseus im Land der Hyperboreer die Gorgo Medusa, deren schrecklicher Anblick jeden augenblicklich zu Stein erstarren ließ, enthauptet hatte, gelangte er auf seiner Weiterreise zum Palast des Atlas. Der Titan aber verweigerte ihm die gastliche Aufnahme, weil das Orakel einst geweissagt hatte, ein Sohn des Zeus’ würde erscheinen und die Äpfel seiner Tochter rauben. Der erboste Perseus hielt ihm daraufhin das erbeutete Haupt der Medusa entgegen, worauf der Titan zu einem gigantischen Felsen, dem Atlasgebirge, versteinerte.

In seiner elften Arbeit für Eurystheus sollte Herakles die goldenen Äpfel der Hesperiden beschaffen. Diese gediehen an einem Baum, der ein Hochzeitsgeschenk der Erdgöttin Gaia an Hera war. Letztere vertraute den Apfelbaum den Hesperiden, den Töchtern des Atlas, an. Er wuchs an einem Hang des Atlasgebirges und wurde vom hundertköpfigen Drachen Ladon bewacht. Als Herakles bei seiner Exkursion auf Atlas traf und sich erklärte, anerbot sich Atlas, die Äpfel für Herakles zu pflücken, damit ihm der Kampf gegen den argwöhnischen Drachen erspart bliebe. Währenddessen sollte Herakles Atlas beim Tragen des Firmaments ablösen. Der Held bedankte sich und lud die Himmelssphäre auf seine Schultern, während der Titan die goldenen Äpfel besorgte. Berauscht von seiner neuen Freiheit wollte Atlas diese nun selbst dem Eurystheus bringen. Auch damit war Herakles zum Schein einverstanden, bat aber Atlas die Last nochmals für kurze Zeit zu übernehmen, damit er seinen Umhang neu ordnen könne, um so ein Stoffpolster zwischen Schulter und Last zu schaffen. Atlas erfüllte ihm diesen Dienst; Herakles dagegen machte sich mit der Beute auf und davon.

Ursprünglich wurde Atlas in der Bildenden Kunst meist als Träger dargestellt und als Atlant übernahm er in der Architektur sowohl eine stützende wie auch dekorative Funktion. Bei späteren Abbildungen trägt er dann die Himmelskugel oder nicht selten den Globus.[91]

Am 17.Dezember 1837 brannte der Winterpalast durch ein 30stündiges Feuer völlig aus. Kaiser Nikolaus I. ordnete eine Wiederherstellung der Residenz nach früherem Zustand an. Zu Ostern 1839 waren die Erneuerungsarbeiten am und im Winterpalast abgeschlossen. Dieser war im Wesentlichen der gleiche wie er heute an dieser Stelle steht. Im Großen Vaterländischen Krieg wurde er bei der Leningrader Blockade beschädigt und dann restauriert. Heute setzen ihm vor allem die großen Besuchermassen, die mangelnde Standfestigkeit auf Sumpfgebiet, sowie die Feuchtigkeit direkt am Fluss zu. Eine Sanierung erfolgte im Jahre 1984 und eine weitere im Jahre 2005.[92]

Die Eremitage sowohl als Gebäudekomplex als auch als eigenständige Kunstsammlung wurde von der russischen Kaiserin Katharina der Großen begründet. Sie kaufte im Jahre 1764 225 Gemälde von dem Berliner Kunsthändler Johann Ernst Gotzkowsky; dieser hatte sie ursprünglich für den preußischen König Friedrich II. erworben, der jedoch aufgrund der leeren Staatskassen nach dem Siebenjährigen Krieg verzichten musste. 1765 kaufte sie für 80.000 Taler fast 1.000 Bilder aus der Gemäldesammlung des Grafen Brühl, deren Wert in dessen Nachlassverzeichnis auf 105.329 Taler geschätzt worden war.[93]

Die Bilder wurden im Winterpalast ausgestellt. Katharina erwarb weiterhin bedeutende Gemälde, teilweise ganze Sammlungen, sowohl um ihren Anspruch als Sammlerin zu befriedigen, teilweise auch um die Aufgeklärtheit und den hohen kulturellen Stand Russlands und Sankt Petersburgs gegenüber dem westlichen Europa hervorzuheben. Als ihre Berater beim Erwerb von Kunstwerken fungierten unter anderen die Enzyklopädisten Melchior Grimm, Denis Diderot und russische Diplomaten wie Dmitri Golizyn und Alexander Stroganow.

1775 ließ Katharina im Stil der damaligen Mode von dem Architekten J. B. Vallin de la Mothe eine kleine Eremitage neben den eigentlichen Palast bauen, um sich hier privat oder in kleinen Gruppen zurückzuziehen – die spätere Kleine Eremitage. Bald musste ein zweites größeres Gebäude hinzugebaut werden, um die Sammlung zu beherbergen; die heutige Alte Eremitage wurde 1784 vom Architekten Veldten entworfen. In der Kleinen Eremitage wurden zu dieser Zeit auch schon Theaterstücke aufgeführt; ab 1783 ließ Katharina zu diesem Zweck ein eigenes Gebäude, das Eremitage-Theater, bauen. Fast zeitgleich zu diesen Gebäuden entstanden am Quai des Winterkanals die Rafael-Loggien, die eine genaue Nachbildung des Vatikanpalastes in Rom sind. Im Jahr 1797 umfasste die schnell wachsende Sammlung 3.996 Gemälde.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die verschiedenen Sammlungen geordnet und durch den Zustrom orientalischer Kunstwerke und archäologischer Fundstücke erweitert. Neu war die Anordnung der Gemälde in nationale Schulen; 1825 kamen erstmals auch Säle mit russischer Kunst des 18. Jahrhunderts dazu.

War die Gemäldesammlung bis zu dieser Zeit nur Mitgliedern des engen höfischen Kreises zugänglich, so markierte der 5.Februar 1852 einen Wendepunkt: Der Zar trennte organisatorisch die Zarenresidenz und die Eremitage-Sammlung.[94] Damit wurde das Museum erstmals, wenn auch unter starken Einschränkungen, öffentlich zugänglich. Nikolaus I. eröffnete die Neue Eremitage, die sich baulich zwar an den alten Gebäudekomplex anschloss, jedoch einen eigenen Eingang erhielt und als öffentliches Museum zugänglich war. Das neue Gebäude war in den Jahren 1839 bis 1851 unter der Leitung der Architekten Wassili Petrowitsch Stassow und Jefimow nach Plänen von Leo von Klenze erbaut worden.

Nikolaus I. kümmerte sich auch weiter um den Aufbau der Sammlung, unter anderem kaufte er von den Erben Joséphines, der Gattin Napoleons, deren während der Napoleonischen Kriege entstandene Sammlung.[95] Nach der Oktoberrevolution wurden zahlreiche Privatsammlungen enteigneter russischer Adliger, so etwa der Familien Stroganow, Scheremetew, Jussupow und Schuwalow, in die Eremitage überführt. Während des Ersten Weltkrieges dienten Teile des Winterpalastes als Hospital. Später war er Sitz der provisorischen Regierung. Die Oktoberrevolution erlebte hier einen entscheidenden Moment, als die Kerenski-Regierung im Winterpalast von den Bolschewiki inhaftiert wurde.

Das Kaiserliche Museum wurde kurz darauf in Staatliches Museum umbenannt und das Gebäude des Winterpalastes als Ausstellungsraum für die Öffentlichkeit geöffnet. Die ersten Jahre nach der Oktoberrevolution waren kulturell insbesondere im damaligen Petrograd von einer westeuropäischen und an den Idealen der Aufklärung geprägten Kunst geprägt. Das erste Ministerium für Bildung nach der Oktoberrevolution nannte sich Volkskommissariat für Bildungswesen – ein Geist, der sich in den ersten Jahren auch in der Eremitage niederschlug. Kurz nach der Revolution wurde der Winterpalast für Lesungen, Vorträge und Filmvorführungen geöffnet. Die erste Ausstellung über das antike Ägypten wurde 1920 eröffnet, ab 1922 war die Eremitage in Gänze für das Publikum geöffnet, in den ersten fünf Jahren noch ohne Eintrittsgeld. Bis in die Mitte der 1930er Jahre war im Winterpalast neben dem Eremitage-Museum noch ein Museum der Oktoberrevolution eingerichtet.[96]

In den 1920er Jahren fanden langwierige Verhandlungen mit dem heutigen Moskauer Puschkin-Museum über die Abtretung von Museumsbeständen statt. Am 28. Januar 1927 wurde eine Vereinbarung getroffen, 700 Gemälde aus dem Depot der Eremitage dem Moskauer Museum zu überlassen. Später kamen 70 Spitzenwerke aus den Ausstellungsräumen ebenfalls ins Puschkin-Museum. Hierzu gehörten Veroneses Minerva und Poussins Die Schlacht von Josef gegen die Amoriter. Weitere Werke mussten an verschiedene Provinzmuseen abgegeben werden.

Weitere Zugänge erfolgten in der Folgezeit aus der Eremitage und in großem Maße auch durch reichliche Stiftungen zahlreicher Kunstsammler. Nach der Oktoberrevolution wuchs dann durch Enteignungen der Bestand in einem rapiden Tempo an. Neben Übersendung ganzer Kollektionen aus privater Hand, wurden auch die Gemälde der westeuropäischen Schulen aus dem Rumjanzew-Museum und der Tretjakow-Galerie übernommen. In der Folgezeit konnten aus privater Hand auch weiterhin Werke erworben werden, doch wuchs die Sammlung ab den 30er Jahren nur noch in kleinen Schritten an. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Bestände ins Landesinnere ausgelagert. Das Gebäude wurde schwer beschädigt, doch begannen bereits ab 1944 die Wiederaufbauarbeiten.

In der Folgezeit gelangten neben den eigenen Beständen auch zahlreiche Bestände aus deutschen und anderen europäischen Sammlungen an das Museum, von denen nicht alle an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wurden. Der Streit um diese so genannte Beutekunst, der nicht nur deutschen, sondern auch ungarischen, niederländischen und französischen Besitz betrifft, dauert derzeit noch an.[97] 1948 brachte die Entscheidung, die Bestände des „Museums der Neuen Westeuropäischen Kunst“ auf das Puschkin-Museum und die Eremitage aufzuteilen, dem Museum noch einmal einen bedeutenden Zuwachs an Kunstwerken, insbesondere die bekannte Sammlung von Werken des französischen Impressionismus. Seit 1996 wird dort auch der Schatz des Priamos, Heinrich Schliemanns Fundstücke aus dem alten Troja, ausgestellt.[98] In der Sammlung findet man einen bedeutenden Querschnitt durch die westeuropäische Kunstgeschichte.[99]

In der Rubrik italienische Malerei vom 13. bis 18. Jahrhundert sind vertreten: Segna di Bonaventura (Kreuzigung; Maria mit dem Kinde); Lippo Memmi, Bernardo Daddi; Sano di Pietro (Hinrichtung Johannes des Täufers); Neri di Bicci; Sassetta (Hl. Laurentius; Hl. Stephanus); Bartolomeo Vivarini; Botticelli (Verkündigung); Cima da Conegliano (Kreuzabnahme; Christus auf dem Thron); Perugino (Maria mit dem Kinde); Marco d’Oggiono; Cesare da Sesto; Giovanni Antonio Boltraffio; Bernardino Luini; Paris Bordone (Maria mit dem Kinde und Heiligen); Sebastiano del Piombo (Bildnis des Kardinals Pallavicini); Paolo Veronese (Minerva; Ruhe auf der Flucht nach Ägypten); Lorenzo Lotto (Maria mit dem Kinde);

Aus der altniederländische Malerei finden sich folgende Werke: Cornelis Engelbrechtsen; Jacob van Oostsanen; Jan Mostaert, Michel Sittow (Kreuztragung); Herri met de Bles (Gang nach Golgatha); Adriaen Isenbrant; Joos van Cleve; Anthonis Mor; Adrian Key; Joachim Bueckelaer (Auf dem Markt); Jan Gossaert (Bildnis eines Mannes).[100]

Ein besonderes Merkmal ist die flämische Malerei des 16./17. Jahrhunderts mit Peter Paul Rubens (Bacchanal; Seligsprechung der Infantin Isabella; Bildnis einer Frau; Das Abendmahl; Musius Scaevola); Anthonis van Dyck (Bildnis des Jan van den Wouwer); Jacob Jordaens (Der Satyr beim Bauern; Odysseus in der Höhle Polyphems; Flucht nach Ägypten); Jan Brueghel d.Ä.; Frans Snyders (Stillleben mit Schwan); Jan Fyt, Daniel Seghers; Adriaen Brouwer (Der Schreiber; Rauferei); David Teniers der Jüngere (Die Versuchung des Heiligen Antonius).

Die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts ist durch Dirck Hals; Pieter Codde; Hendrick Avercamp (Schlittschuhlaufen); Jan van Goyen (Ansicht des Flusses Waal bei Nijmegen; Heumahd); Salomon van Ruysdael (Flusslandschaft; Übersetzen über den Fluss); Jacob Izaaksoon van Ruisdael (Blick auf das Dorf Egmond); Jan van Kessel; Nicolaes Pieterszoon Berchem, Jan Both; Jan Weenix; Simon de Vlieger; Paulus Potter, Aelbert Jacobsz. Cuyp; Jan Steen (Bauernhochzeit; Fröhliche Gesellschaft); Adriaen van Ostade (In der Schenke; Prügelei; Ländliches Fest; Flötenspieler); Gabriel Metsu (Arbeitendes Mädchen; Das Duett); Gerard Terborch (Dame mit Fächer; Musikstunde) repräsentiert.[101]

Die deutsche Kunst wird durch folgende Werke vertreten: Meister von Schloss Liechtenstein; Johann Koerbecke; Meister von Meßkirch; Hans Süß von Kulmbach (Kreuzigung mit Stiftern); Lucas Cranach d.Ä. (Maria mit dem Kinde; Früchte der Eifersucht); Anton Raphael Mengs; Angelika Kauffmann; Jakob Philipp Hackert; Anton Graff; Caspar David Friedrich (Gebirgslandschaft); Arnold Böcklin (Frühling); Adolph Menzel (Im Luxembourggarten; Wanderzirkus); Max Liebermann (Mädchen mit Kuh).[102]

Die französische Malerei des 17./18. Jahrhunderts ist hervorragend bestückt mit Simon Vouet; Valentin de Boulogne; Nicolas Poussin (Kampf Josuas gegen die Amoriter; Rinaldo und Armida; Großmut des Scipio; Landschaft mit Herkules und Cacus); Claude Lorrain (Morgen; Abend; Raub der Europa); Jean-François Millet; Sébastien Bourdon; Eustache Le Sueur; Charles Lebrun; Pierre Mignard; Nicolas de Largillière; Jean-Antoine Watteau (Biwak; Satire auf die Ärzte); Nicolas Lancret (Dame im Garten; Gesellschaft am Waldesrand); Jean-Baptiste Pater; François Boucher (Herakles und Omphale; Jupiter und Kallisto; Landschaft mit Eremiten); Jean Siméon Chardin; Jean-Honoré Fragonard (Am Feuer; Leierkastenspielerin); Hubert Robert; Jacques-Louis David (Andromache an der Leiche Hektors; Selbstbildnis).[103]

Das französische 19. Jahrhunderts wird repäsentiert durch François Gérard; Pierre Paul Prud’hon; Jean Auguste Dominique Ingres; Eugène Delacroix; Théodore Géricault; Théodore Rousseau, Jules Dupré; Charles-François Daubigny; Jean-Baptiste-Camille Corot (Italienische Fortezza; Windstoß; Heufuhre); Gustave Courbet (Hütte im Gebirge); Jean-François Millet (Schober; Reisigsammlerin); Édouard Manet (Landgasthaus; Bildnis Antonin Proust; Bildnis der Tänzerin Rosita Mauri); Claude Monet (Frühstück im Gras; Boulevard des Capucines; Möwen, Kathedrale von Rouen am Mittag); Edgar Degas (Einreiten der Rennpferde; Tänzerin beim Fotografen; Sitzende, sich den Fuß abtrocknend; Sitzende, sich den Rücken waschend; Tänzerinnen bei der Probe; Tänzerinnen in Blau); Paul Cézanne (Interieurszene; Ebene am Sainte-Victoire; Brücke über einen Teich; Blumen; Pfirsiche und Birnen; Pierrot und Harlekin; Badende Männer; Selbstbildnis; Raucher); Henri de Toulouse-Lautrec (Die Sängerin Yvette Guilbert); Vincent van Gogh (Das Meer bei Saintes-Maries; Rote Weingärten in Arles; Gefängnisrundgang; Bildnis Dr. Rey); Paul Gauguin (Café in Arles; Blumenstrauß; „Sie heißt Vairaumati“; Frau des Königs; Die Furt; Tahitianer in einem Raum; Fruchternte; Der große Buddha); Édouard Vuillard (Im Garten).

Das 20. Jahrhundert wird bestückt durch Henri Rousseau (Brücke in Sèvres; Muse und Dichter); Pablo Picasso (Wandernde Akrobaten; Alter Jude mit Knaben; Spanierin von Mallorca; Akrobatin auf einer Kugel; Bildnis Amboise Vollard; Dame mit Fächer); Maurice de Vlaminck; André Derain; Paul Signac; Pierre Bonnard; Edvard Munch; Albert Marquet; Henri Matisse (Statuette und Vase auf orientalischem Teppich; Atelier des Künstlers; Goldfische; Tanz um die Kapuzinerkresse); Maurice Utrillo; Georges Braque; Fernand Léger; Giorgio de Chirico; Raoul Dufy; Rockwell Kent; Renato Guttuso sowie Joan Miró.[104]

Weiterhin existiert eine große Sammlung der europäischen Bildenden Kunst bis 1917 (das Jahr der Oktoberrevolution). Deren besonders enge Reihung bezeichnet man als Petersburger Hängung.

Die Petersburger Hängung bezeichnet eine besonders enge Reihung von Gemälden. Häufig reichen diese bis an die Decke, die Rahmen der Werke hängen dicht beieinander. Die Bezeichnung geht auf die üppig behängten Wände der Sankt Petersburger Eremitage zurück.[105]

Sie bringt eine veränderte Intention bei der Ausstellung von Kunstwerken zum Ausdruck, die sich im Lauf der Geschichte vollzogen hat: Die Petersburger Hängung zielt darauf ab, den Betrachter durch die schiere Menge der versammelten Kunstwerke zu beeindrucken. Objekt der Bewunderung ist letztlich nicht das einzelne Bild, sondern derjenige, der über die Mittel verfügt, eine große Kunstsammlung zusammenstellen zu können. Demgegenüber lässt die heute gebräuchliche, weitaus sparsamere Hängung von Bildern das Einzelkunstwerk (und den Künstler) stärker hervortreten.

Heutzutage findet man die Petersburger Hängung noch häufig in Schlössern, die so das Repräsentationsbedürfnis ihrer einstigen Bewohner widerspiegeln. Beispiele hierfür sind etwa die Gemäldegalerien von Schloss Weißenstein in Pommersfelden oder Schloss Sanssouci in Potsdam. Das niederrheinische Museum Schloss Moyland präsentierte bis Mai 2009 Werke des Avantgarde-Künstlers Joseph Beuys in Form der Petersburger Hängung. Im zentralen Treppenhaus des Städel Museums werden einige Werke aus der Sammlung des Gründers in der Petersburger Hängung präsentiert. Dies soll einen Eindruck der ursprünglichen Sammlung des Stifters Johann Friedrich Städel in seinem Wohnhaus am Frankfurter Roßmarkt vermitteln – eine Hommage an den Gründer und die Ursprünge des Hauses.

Museen können mit der Petersburger Hängung gut ihre Depotbestände präsentieren. So zeigte das Skagen's Museum in Skagen, Dänemark, 2008 seine Erwerbungen von Skagenmalern über 100 Jahre mit einer Salonhängung, um einen repräsentativen Überblick zu gewähren. Zu seinem 150-jährigen Bestehen zeigte auch das Kölner Wallraf-Richartz-Museum 2011/2012 über 500 Gemälde in dieser Hängung unter dem Titel „Panoptikum – Die geheimen Schätze des Wallraf“.

Zur Umsetzung des ersten Fünfjahrplanes der UdSSR beschloss das Außenhandelsministerium, über die 1925 gegründete Organisation Antiquariat Kunstwerke der staatlichen Museen gegen Devisen in den Westen zu verkaufen.[106] Zwischen 1928 und 1933 gelangten über die Kunsthändler Matthiesen (Berlin), Colnaghi (London) und Knoedler (New York) 2.880 Gemälde der Eremitage ins Ausland. Hierunter waren 250 Hauptwerke und 50 Gemälde von Weltgeltung. Darüber hinaus hatten verschiedene mit der Sowjetunion geschäftlich verbundene Persönlichkeiten die Möglichkeit, direkt vor Ort aus den Beständen der Eremitage Kunstwerke auszuwählen.

Der armenische Ölmilliardär Calouste Gulbenkian wählte für seine Sammlung Bouts Verkündigung, Rubens Porträt der Helena Fourment, eine Büste der Diana von Houdon, Rembrandts Pallas Athene, Porträt des Titus, Porträt eines alten Mannes, Watteaus Mezzetin, Terborchs Musikstunde und Lancrets Badende aus und zahlte hierfür 325.000 britische Pfund. Der amerikanische Bankier und Finanzminister Andrew Mellon kaufte für seine Sammlung Jan van Eycks Verkündigung, Botticellis Anbetung der Könige, Peruginos Kreuzigung, Raffaels Georg mit dem Drachen und die Madonna Alba, Tizians Venus mit dem Spiegel, Van Dycks Porträt der Isabella Brant, Susanna Fourment und ihre Tochter und das Porträt des Lord Philip Wharton, Rembrandts Polnischer Edelmann, Mädchen mit Besen und das Porträt einer Dame mit Nelke, sowie Frans Hals Porträt eines jungen Mannes und bezahlte hierfür 6.654.033 Dollar. Auch der amerikanische Ölhändler Armand Hammer konnte in kleinerem Umfang von diesem Ausverkauf profitieren. Hammer gründete später ein eigenes Museum in Los Angeles, während die Sammlung Gulbenkian in einem eigenen Museum in Lissabon zu besichtigen ist.

Aus dem ehemaligen Besitz der Eremitage gelangten weitere Spitzenwerke in folgende Museen: Tiepolos Fest der Kleopatra in die National Gallery of Victoria nach Melbourne, Poussins Triumph des Neptun und der Aphrodite ins Philadelphia Museum of Art, Rembrandts Petrus verleugnet Christus und Antonio Moros Porträts Sir Thomas Gresham und Anne Fernley ins Amsterdamer Rijksmuseum sowie Jan van Eycks Kreuzigung und Jüngstes Gericht ins New Yorker Metropolitan Museum.

Die Eremitage war eines der Ziele der Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht. Die Stadt, an deren Bestehen laut einem Wehrmachtsbefehl kein Interesse bestünde und die mit konstantem Artilleriefeuer und Luftbombardements dem Erdboden gleichgemacht werden sollte, litt in den Jahren schwer.[107] Die Gebäude der Eremitage wurden insgesamt von 17 Artilleriegeschossen und zwei Fliegerbomben schwer getroffen. Die Bestände der Sammlung wurden teilweise im Keller des Museums gelagert; über eine Million Stücke wurden nach Jekaterinburg in Sicherheit gebracht. 12.000 Menschen lebten zu dieser Zeit in der Eremitage, um die Ausstellungsstücke zu retten und die Schäden der Sammlung durch Kälte und Bomben möglichst gering zu halten. Die erste Ausstellung mit in der Eremitage verbliebenen Stücken wurde kurz nach Ende der Belagerung bereits am 7. November 1944 eröffnet; die offizielle Wiedereröffnung des Museums fand mit allen Ausstellungsstücken am 5. November 1945 statt.[108] Die Renovierung des Gebäudes zog sich aber noch über mehrere Jahre hin.

1948 wurden die Kunstbestände aufgestockt durch einen großen Teil der Sammlung des Museums für neue westliche Kultur in Moskau. Besonders bedeutend waren davon die Sammlungen der beiden Kunstmäzene des Zarenreichs, Sergei Iwanowitsch Schtschukin und Iwan Abramowitsch Morosow.[109] Aus diesen Sammlungen kamen die meisten der sich heute in der Eremitage befindlichen Kunstwerke des 20. Jahrhunderts, unter anderem alle in der Eremitage ausgestellten Bilder von Pablo Picasso.

Schtuschkin begann seine Sammlungstätigkeit ganz traditionell mit Werken russischer Realisten. Nach einem Besuch in Paris im Jahr 1897 kaufte Schtschukin seinen ersten Monet, die Kathedrale von Rouen. Er interessierte sich hauptsächlich für Werke des Impressionismus, Post-Impressionismus und des Fauvismus. Später erwarb er unter anderem zahlreiche Werke von Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Paul Gauguin. Die Gemälde waren anfangs für sein Privathaus in Moskau bestimmt. In den Jahren ab 1897 bis 1904 stand Claude Monet im Mittelpunkt seines Interesses, von 1904 bis 1910 sammelt er vor allem Cézanne, van Gogh und Gauguin. Anschließend, von 1910 bis 1914 konzentrierte er sich auf die Werke von André Derain, Henri Matisse, und Pablo Picasso. Schtschukin war ein Sammler, der nicht nur nach russischen, sondern auch nach west-europäischen Maßstäben die gewagtesten Arbeiten des 20. Jahrhunderts erwarb.[110]

Schtschukin war besonders bekannt für seine enge Verbindung zu Henri Matisse, der Dekorationen für sein Haus und speziell für ihn eines seiner berühmtesten Gemälde, Der Tanz, schuf. Der Tanz wird oft als ein Schlüsselwerk von Matisse’ Künstlerkarriere angesehen und für die Entwicklung der modernen Kunst. Henri Matisse schuf dieses Gemälde für Schtschukin als Teil eines Auftrags, der ein zweites Bild umfasste, Music, ebenfalls aus dem Jahr 1910. Eine frühere Version von Der Tanz von 1909 ist im Museum of Modern Art in New York ausgestellt.

Schtschukins Sammlung umfasste ebenfalls zahlreiche Werke von Pablo Picasso, darunter viele seiner frühen kubistischen Werke, ergänzt durch einige Werke aus der Blauen und Rosa Periode.

Schtschukin war mit Pawel Michailowitsch Tretjakow verwandt, der ihm als Beispiel, wenn nicht als Vorbild diente. Schicksalsschläge wie der Tod seiner Frau, die Selbstmorde zweier Söhne und seines Bruders Ivan haben Schtschukins Sicht der Welt und seiner Rolle als Diener der Kunst einschneidend verändert. In der Nacht des 4. (17.) Januar 1907 vermachte er seine Sammlung testamentarisch der Tretjakow-Galerie. Anschließend, mit dem Verständnis, dass seine Sammlung der Öffentlichkeit gehöre, machte er sie auch zugänglich und öffnete 1909 sein Haus für die Öffentlichkeit. Dabei ging die Bedeutung weit über die eines Museums hinaus. Manches Gemälde fand seinen Weg noch feucht an die Wände von Schtschukin. Sein Haus wurde damit auch zu einem Salon für junge Künstler und befeuerte den Konflikt zwischen Studenten und Dozenten in den Akademien. Anfang des 20. Jahrhunderts konnte es nur die Sammlung von Leo und Gertrude Stein mit der von Schtschukin aufnehmen.

Die russische Gesellschaft der Jahrhundertwende hielt jedoch sogar die Impressionisten noch für Scharlatane, und wer ihre Gemälde zu sammeln begann, geriet in den Ruf, ein noch größerer Scharlatan zu sein. Der Kritiker Jakob Tugendhold schrieb 1914, als die Erinnerungen an die Anfangszeit von Schtschukins Kollektion noch wach waren, dass die ersten von ihm angeschafften Werke von Monet „ebenso viel Entrüstung hervorriefen wie gegenwärtig die Arbeiten von Picasso: Nicht umsonst wurde ein Gemälde von Monet aus Protest von einem Gast von Schtschukin mit einem Bleistift zerkratzt“.[111]

Nach der russischen Revolution 1917 beschlagnahmte die Regierung seine Sammlung. Schtschukin emigrierte nach Paris. 1948 wurde die Sammlung, die zwischenzeitlich mit Iwan Morosows Museum der Neuen Westlichen Kunst zusammengelegt worden war, aufgeteilt zwischen dem Puschkin-Museum und der Eremitage in Sankt Petersburg.[112]

Iwan Abramowitsch Morosow (1871-1921) war ein russischer Kunstsammler. Er besaß neben seinem Landsmann Schtschukin eine der größten Kollektionen französischer Avantgarde-Kunst vor dem Ersten Weltkrieg in Russland.

Morosows Familie gehörte zur russischen Oberschicht. Deshalb konnte er auch am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich studieren. Nach der Ausbildung übernahm er die Textilwerke seines Vaters. Morosow begann, Arbeiten junger russischer Künstler zu sammeln. Doch ab dem Jahr 1907 sammelte er auch französische Kunst, die er in den bekannten Pariser Galerien Bernheim-Jeune, Durand-Ruel und Vollard erwarb, um seine umgebaute Villa zu dekorieren. Er sammelte vor allem Impressionisten, Fauvisten wie Henri Matisse und André Derain sowie Werke der Künstlergruppe Nabis. Deren Mitbegründer, Maurice Denis, schmückte ab 1907 den Musiksaal seines Moskauer Stadthauses mit dem Zyklus Geschichte der Psyche aus, und Aristide Maillol schuf für den Saal vier Bronzefiguren. Besonders stolz war Morosow auf seine 18 Gemälde von Paul Cézanne. Bald besaß er die größte Kollektion von Werken französischer Avantgarde in Russland.[113]

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs und der Oktoberrevolution endete Morosows Sammeltätigkeit zwangsläufig. 1918 wurde seine Sammlung verstaatlicht und gemeinsam mit Sergei Schtschukins Sammlung als „Museen für moderne westliche Malerei“ geführt. Die Morosows verließen Russland. 1921 starb Iwan Morosow auf einer Reise nach Karlsbad.

Im Jahr 1948 wurden die Sammlungen von Schtschukin und Morosow auf das Puschkin-Museum in Moskau und auf das Eremitage-Museum in Sankt Petersburg verteilt. Öffentlich ausgestellt werden konnten diese Werke, die zum größten Teil nach sowjetischer Diktion des Formalismus schuldig waren, erst nach dem Tod Stalins.

Der Begriff Formalismus bezeichnet eine kunsthistorische Methode zur Interpretation eines Kunstwerkes.[114] Der Wert des Werkes liegt dabei in der Autonomie der Form. Die formalistische Betrachtung von Kunst betont Qualitäten wie z. B. Komposition, Farbe, Linien und Textur. Inhaltliche Aspekte und Bezüge wie Thema, Entstehungsgeschichte des Werkes, historischer Kontext und Biografie des Künstlers, sind sekundär bzw. werden nicht behandelt. Die Formalisten, als wichtigste Vertreter Heinrich Wölfflin und Alois Riegl, strebten eine vergleichende Stilanalyse an, die frei von persönlicher Wertung sei und das hermeneutische Problem der Kunstgeschichte zu lösen vermöge.[115] Die formalistischen Ideen des 19. Jh. dienten der Modernen Malerei als Impuls, sich freier zu entfalten und auf die ästhetische Wirkung von Form und Struktur zu konzentrieren. Der Begriff des Formalismus lässt sich somit auch auf die Bildende Kunst ausweiten, z. B. auf die Abstraktion.

Die Ursprünge des Formalismus sind bereits in der Antike zu finden, z. B. in dem Gedanken, dass das Universum von numerischen Beziehungen beherrscht wird. Der Begriff der Form verstand sich in der Antike als Qualität der Dinge, die allem innewohnt. Platon bspw. erklärt in seiner Ideenlehre die Wahrnehmung des 'eidos' (Gestalt oder Form) eines Dinges als ein bloßes Abbild des wirklich Seienden. Einige Kunsthistoriker sehen dabei die Form der Kunst als Blick auf die Wirklichkeit. Platons Schüler Aristoteles begriff die Kunst als ein Prozess der Formgestaltung analog zu den Prozessen der Natur.[116]

Diese Überlegungen wurden in der Renaissance weiterentwickelt. Der humanistische Philosoph Benedetto Varchi definierte in einem Vortrag (Due lezzione, Florenz, 1550) über ein Sonette Michelangelos die Aufgabe des Bildhauers als „Zeichner“ des Wirklichen aus dem potenziellen Sein.[117]

Im Zeitalter der Aufklärung entstand die Annahme, dass die Erfahrung eines Kunstwerks weder rein sinnlich noch rein rational sein könne, und dass eine ästhetische Erfahrung klar unterschieden werden müsse von anderen Erfahrungsarten: zum Beispiel. bei der Betrachtung eines Gemäldes mit der Darstellung der Anbetung der Könige, ein bekanntes biblisches Bildmotiv, ist man geneigt, den religiösen Inhalt zu interpretieren und vernachlässige dabei, laut der frühen formalistischen Ideen, die ästhetische Erfahrung des Gemäldes.

Der Philosoph Immanuel Kant erkannte die Bedeutung des Formalismus in seiner Kritik der Urteilskraft (1790). So bestehe „in aller schönen Kunst das Wesentliche in der Form“.[118] Des Weiteren räumte er ein, dass Schönheit als Symbol des Guten und die ästhetische Erfahrung eine moralische Resonanz hervorbringen könne.

Friedrich Schiller, die Ideen Kants in Richtung der Romantik treibend, hob den geistig therapeutischen Charakter der ästhetischen Erfahrung der Form und deren Möglichkeit, die widersprüchlichen Aspekte der menschlichen Natur in Einklang zu bringen, hervor. Er sah sogar die Ästhetik als ein Instrument der sozialen und politischen Reformen.

Bevor der Formalismus als kunsthistorischer Ansatz geprägt wurde, war er vielmehr, wie aus seiner Geschichte hervorgeht, ein Thema der Philosophie und insbesondere der Ästhetik. Dies ist damit zu begründen, dass die Kunstgeschichte selbst erst im 19. Jh. ihre Eigenständigkeit unter den akademischen Disziplinen behaupten konnte.

John Ruskin, u. a. Kunsthistoriker, führte mit The Stones Of Venice (London 1851) die deskriptive Formanalyse zu ihrem ersten Höhepunkt. Anhand venezianischer Kapitelle leitete Ruskin abstrahierte Grundformen ab, konvexe und konkave Linien. Daraus folgerte er soziale Bedingungen der jeweiligen Zeit. 1890 schrieb der französische Maler Maurice Denis in seinem Artikel Définition du Néo-Traditionnisme, dass ein Gemälde im Wesentlichen eine Oberfläche sei, bedeckt von Farben in einer bestimmten Ordnung.[119] Denis sah die Malerei, Skulptur oder Zeichnung selbst als bedeutend an, nicht das Thema der künstlerischen Arbeit. Die Betonung der Form eines Werkes brachte den Bloomsbury Kunstkritiker Clive Bell dazu, in seinem 1914 erschienenen Buch Art, zwischen der wirklichen und der 'bedeutenden' Form zu unterscheiden. Die Techniken eines künstlerischen Mediums hielten dabei das Essentielle des Werkes fest (die 'bedeutende' Form) und nicht nur die bloße äußere Erscheinung.[120]

Heinrich Wölfflin (1864–1945) strebte, mit dem Bedürfnis der Kunstgeschichte eine feste Basis zu geben, eine vergleichende Formanalyse und Stilgeschichte an. Diese sollte frei von persönlichem Werturteil sein.[121] Die Frage, was es möglich macht, einen Stil zu erkennen, lag für Wölfflin in der visuellen Erscheinung eines Kunstwerkes (Form) und der menschlichen Wahrnehmung. Nach der Wahrnehmungspsychologie, die in Wölfflins Zeit begründet wurde, bestimme die eigene Sinnesleistung der Organe die optische Erkenntnis. Wölfflin übertrug die Geschichte des Sehens auf die Form- und somit Stilentwicklung. Sowie sich die Wahrnehmung eines Neugeborenen zum Erwachsenen in Stadien entfalte, so würde sich nach Wölfflin auch die Form entwickeln.

Wölfflin unterschied zunächst in verschiedene Stile, um sein Beschäftigungsfeld abzugrenzen:[122]

Letzterer war für Wölfflin von Bedeutung, da man nur an ihm die größeren Entwicklungslinien aufzeigen könne. Im Wandel der Form von einem 'Zeit-Stil' zum nächsten sei der Wandel der Lebensideale bzw. Weltanschauung erkennbar. Daher ist es im Sinne Wölfflins nötig, seine Methodik vergleichend auf zwei Kunstwerke anzuwenden, weil nur so der gravierende Unterschied zweier Stile deutlich werden würde.[123]

Als 'Handwerkszeug' dienen dazu seine fünf Begriffspaare, u. a. Linear und Malerisch, welche er beispielhaft für Werke der Renaissance und des Barock verwendet. Wie in der Sehgeschichte, vollzieht sich der Wandel vom Einfachen, Flächigen und Objektumrissenen zum Räumlichen und Komplexen, vereint in den jeweils der Einfachheit (Lineare) bzw. Komplexität (Malerische) zugeordneten Begriffen. In der Kunst verlaufe diese Entwicklung zyklisch, einer einfachen Formensprache (Renaissance) folge eine komplexe Formenfülle (Barock) und rufe daraufhin den Wunsch zur Rückbesinnung auf die Einfachheit (Klassizismus) hervor.

Alois Riegl (1858–1905), Vertreter der Wiener Schule der Kunstgeschichte, ist der zweite große Formalist des 19. Jh. Seine größten Verdienste werden jedoch in der Beschäftigung mit der Denkmalpflege, den sogenannten 'Verfallsepochen', dem Kunstgewerbe und seiner vergleichenden empirischen Kunstgeschichte gesehen, die in neuen Erkenntnissen der Stilgeschichte gipfelten.[124]

Im Zentrum seiner Theorie steht der nur schwer fassbare Begriff des Kunstwollens. Seine Theorie wird von ähnlichen formalistischen Annahmen und Zielen wie die Wölfflins gestützt:[125]

Er unterteilt ebenso in Begriffspaare bzw. Kategorien wie Wölfflin. Sie beschreiben immer auch geistige Einstellung (Vorliebe) der Träger des Kunstwollens, sowie dessen Grundformen und Ziele. Es vollzieht sich also eine Entwicklung der Stile, Wahrnehmung und Formen vom Einfachen zum Komplexen aus einer „inneren Naturnotwendigkeit“ (oder „innerem Schicksal“). Im Gegensatz zu Wölfflin findet Riegl eine Erklärung für Werke, die sich aus seiner Stilgeschichte ausnehmen. Stile entwickeln sich nicht nur nebeneinander, sondern durchdringen sich gegenseitig und so kommt es zu „zufälligen Momenten“ (Anachronismus und Antizipation).

Clement Greenberg (1909–1994), einer der einflussreichsten US-amerikanischen Kunstkritiker des 20. Jahrhunderts, strebte stets eine Beurteilung von Kunst an, die nur auf unmittelbar Wahrnehmbares beruhen solle.[126] Er teilt somit die formalistische Grundannahme. Er konzentrierte sich im Wesentlichen auf Materialien und Techniken, die bei der Entstehung eines Kunstwerkes verwendet wurden.

Aus seinem Interesse für die Form erwächst seine besondere Wertschätzung der Modernistischen Malerei, welche er im gleichnamigen Essay von 1960 begründet. Im Prozess der Selbstkritik, dem Charakteristikum der Modernistischen Malerei, stellt sich die Malerei den Problemen, die sich aus ihrem eigenen Medium ergeben, und behauptet somit ihre Eigenständigkeit und Selbstbestimmung unter den Künsten. Die Besonderheit des Mediums Malerei liegt in der unvermeidlichen Flächigkeit. Vor allem Abstrakte Malerei gäbe sich nach Greenberg keiner Raumillusion hin und zeige nur die Wirklichkeit, die Verteilung der Farben auf die Bildfläche ("Art for Art").[127]

Von den künstlerischen Folgen seines Programmes enttäuscht, der radikalen Entledigung alles Unnötigen, wandte er sich von der Selbstkritik ab und forderte die Beurteilung von Kunst nach ihrer Qualität. Diese Qualität wiederum ließe sich nur anhand des Visuellen beurteilen, also den formalen Eigenschaften eines Kunstwerkes.

Eine der Gemeinsamkeiten zwischen Riegl und Wölfflin, die These der Wahrnehmungs- und Formentwicklung, wurde widerlegt.[128] Im Fall von Riegl belastete diese Annahme seine Theorie nachhaltig durch Ablehnung und Missverständnisse, obwohl sie nur ein geringer Teil seiner Lehren war. Dies ist ein Grund, warum sie teilweise in Vergessenheit geraten sind und nur wenige seiner Begriffe noch heute in der Kunstgeschichte existieren.[129] Doch für die Kunstgeschichte des 19./20. Jh. bedeuteten seine und Wölfflins Begriffe erstmaliges Verstehen bzw. Erklären der Wesenszusammenhänge, anstatt bloßes Konstatieren der Stilformen. Weitere Kritik wurde an dem Fehlen des 'sozialen Kontexts' geübt, der sich jedoch bei beiden indirekt in der Darstellung der 'Weltanschauung' durch die Form ausdrückt. Ein kunsthistorischer Einwand bezieht sich auf die Ungenauigkeit und Unvollständigkeit der Begriffe, die einer Erweiterung oder auch Neudefinierung bedürfen.

Wölfflins Methode unterliegt zudem einem Zirkelschluss, da sich die Begriffe aus der empirischen Beschäftigung mit den Werken der Renaissance und des Barock ableiten.[130] Im Gegensatz zu Riegl ließ Wölfflin auch weniger Freiraum für Kunst, die nicht in sein Schema passte. Die Frage, ob Wölfflins Begriffe überhaupt das 'Wesentliche' der Stilentwicklungen treffen, sei dahingestellt, denn sie dienen weiterhin als Bezugspunkte für Kunsthistoriker wie Wilhelm Worringer, Hans Sedlmayr und Otto Pächt.

Letztendlich bestand im weiteren Verlauf der Kunstgeschichte kein besonderes Interesse mehr am Formalismus (ca. ab 1918) oder anderen großen Methoden. Es stärkte sich die Annahme, dass die Darstellung der gesamten Stilgeschichte durch eine diachrone Methode unmöglich sei und zu einer mehr oder weniger falschen Vereinfachung führe.[131]

Es folgten weitere Ansätze, die sich mit der synchronen Betrachtung und Detailstudien begnügen mussten. Der Begriff des kunsthistorischen Formalismus betrifft daher im Wesentlichen nur die Modelle von Wölfflin und Riegl, wird aber nach deren Ende auch als Bezeichnung für eine formalistische Grundeinstellung genutzt, wie bei Greenberg.

Greenbergs Forderung, Werke strikt nach ihrer Form zu beurteilen, würde in letzter Konsequenz zum Ausschluss der Geistigkeit, dem intellektuellen Inhalt, der Kunst führen. Betrachtung von Kunst allein durch ein „reines Auge“, wie es Greenberg formuliert, ist jedoch unmöglich.[132] Seine Richtung des Formalismus wird daher von vielen Kunsthistorikern als dogmatisch gesehen und fand somit, ähnlich wie Wölfflins und Riegls Methoden, keine bestehende Zustimmung.

Sowjetische Bestände, die im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht entwendet und von der Roten Armee wieder sichergestellt wurden, landeten ebenso im Museum wie deutsche Beutekunst. Seit 1990 wurden Teile davon wieder zurückgegeben, andere Teile befinden sich in einer Sonderausstellung im Museum. Von 1945 bis 1947 wurden in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands durch sowjetische „Trophäenkommissionen“ zahlreiche deutsche Kulturgüter beschlagnahmt und in die Sowjetunion verbracht.[133] Zwar wurden 1955 die in der Sowjetunion gelagerten Bilder der Dresdner Gemäldegalerie zurückgegeben, doch erst 1992 hob die russische Regierung die jahrzehntelange strenge Geheimhaltung der in geheimen Magazinen versteckten Beutekunst-Bestände auf. In einem deutsch-russischen Vertrag wurde vereinbart, „unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter an den Eigentümer“ zurückzugeben. In der Folgezeit führte in Russland die Behandlung des Beutekunst-Problems zu massiven innenpolitischen Auseinandersetzungen. Mehrfach erklärte die Duma gegen den Widerstand von Präsident Boris Jelzin die Beutekunst zum ständigen Eigentum Russlands. Die Beutekunstfrage gilt als ein wesentliches, derzeit noch immer ungelöstes Problem in den deutsch-russischen Beziehungen.

In den 1990er Jahren gingen das Puschkin-Museum und das Historische Museum in Moskau sowie die Eremitage in Sankt Petersburg dazu über, Beutekunst-Bestände aus den Geheimlagern herauszuholen und in Ausstellungen öffentlich zu zeigen.[134] So zeigte 1995 die Eremitage französische Gemälde des 19. Jahrhunderts aus den Sammlungen Carl Friedrich von Siemens, Eduard von der Heydt, Alice Meyer (Witwe von Eduard Lorenz Lorenz-Meyer), Otto Gerstenberg, Otto Krebs, Bernhard Koehler und Monica Sachse (Witwe von Paul Sachse).[135] Ein Jahr später folgte dort die Ausstellung mit Meisterzeichnungen aus deutschen Privatsammlungen. 1996 zeigte das Puschkin-Museum den so genannten Schatz des Priamos und 2007 die merowingerzeitlichen Funde aus dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, darunter die Schwertscheide von Gutenstein. Weitere bedeutende Objekte der Beutekunst in Russland sind umfangreiche Bestände der Kunsthalle Bremen (u. a. die so genannte Baldin-Sammlung), die Nachlässe von Ferdinand Lassalle und Walther Rathenau, Bestände der Gothaer Bibliothek und der fürstlichen Bibliothek in Wernigerode sowie die Rüstkammer der Wartburg. 2008 wurde bekannt, dass im Museum der ukrainischen Stadt Simferopol 87 Gemälde des Suermondt-Ludwig-Museums Aachen ausgestellt werden, die bis 2005 als verschollen galten.

Der bronzezeitliche Eberswalder Goldschatz wurde 2013 im Rahmen der Ausstellung „Bronzezeit – Europa ohne Grenzen“ in Sankt Petersburg gezeigt. In einer kurzen Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung am 21. Juni 2013 forderte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die russische Regierung dazu auf, die geraubten deutschen Kulturgüter zurückzugeben.

Am 15. Juni 1985 verübte ein Verrückter ein Attentat auf das Gemälde Danae von Rembrandt van Rijn. Er begoss es mit Schwefelsäure und stach zweimal mit seinem Messer auf das Bild ein. Die notwendige Restaurierung übernahmen hauseigene Experten. Seit 1997 ist es wieder für die Öffentlichkeit ausgestellt.

Die Eremitage galt als eines der Aushängeschilder der Sowjetunion, war allerdings im Westen kaum bekannt. Die Verwaltung und alle Entscheidungen oblagen faktisch dem Politbüro der KPdSU. Seit 1996 befindet sich die Eremitage offiziell direkt unter der Patronage des russischen Präsidenten.[136] Seit 1990 besitzt das Museum eine größere Autonomie, leidet aber unter Finanzierungsmängeln. Beispielsweise beantragte das Museum 1996 beim russischen Staat 60 Millionen US-Dollar, der Staat versprach 40 Millionen zu finanzieren und zahlte letztlich 18 Millionen. Die Zahlen für 1997 (90 Mio. / 30 Mio. / 12 Mio.) und 1998 (7,4 Mio / 5,4 Mio / 2,7 Mio) waren noch niedriger. Zusammen mit dem Bolschoi-Theater und der Lenin-Bibliothek bezeichnet die UNESCO die Eremitage als ihr wichtigstes Projekt in Russland. Betrug das Budget des Museums Anfang der neunziger Jahre gerade einmal 1 % von dem des Metropolitan Museums, ist die Zahl mittlerweile auf 10 % gestiegen. Ungefähr 60 % der Kosten werden vom russischen Staat bezahlt. Viele der 2.500 Angestellten müssen abends und nachts in weiteren Jobs arbeiten, da die Entlohnung des Museums nicht ausreicht.

Seit der Öffnung des Landes ist die Eremitage von den vielen Touristenzielen der Stadt wahrscheinlich das bedeutendste.[137] Es besteht eine langfristige Zusammenarbeit mit der Solomon R. Guggenheim Foundation. Die Niederlande haben das Museum ebenfalls seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion finanziell und technisch unterstützt. Am 24. Februar 2004 eröffnete mit der Hermitage Amsterdam ein Ableger in Amsterdam und in Verbindung mit dem Solomon R. Guggenheim Museum das Guggenheim Hermitage Museum in Las Vegas. Ein ähnliches Projekt in London sind die Hermitage Rooms im Courtauld Institute of Art. Das Museum arbeitet derzeit an einer Digitalisierung der Bestände.

Weniger die Schauräume, sondern die Keller und andere dem Publikum nicht zugängliche Räume der Eremitage, stehen im Mittelpunkt der Dokumentation „Eremitage – Palast der Katzen“. Die Fernseh-Reportage von Jan Hinrik Drevs stellt die in der Eremitage lebenden Katzen und das sie versorgende Wachpersonal vor. Katzen gibt es hier seit 1745 per Dekret von Zarin Elisabeth Petrowna, um das Inventar vor Nagetieren zu schützen.

Dem Komplex der Eremitage wurden mehrere russische Münzen aus Silber und Gold gewidmet.[138] Die meisten Münzen, die Teile der Eremitage oder besondere Kunstobjekte abbilden, wurden im Jahr 2002 zum 150-jährigen Jubiläum der Neuen Eremitage geprägt.

Gold der Skyten

Zu den bedeutenderen Teilen der Sammlung gehören zum Beispiel das Gold der Skythen, umfangreiche Sammlungen römischer und etruskischer Kultur und die größten und besterhaltenen Museumsbestände über die Hunnen. Die so bezeichnete Schatzkammer zeigt eine Geschichte des Goldschmied- und Juwelierhandwerks seit dem 3. Jahrtausend v. Chr.

Unter dem Titel „Gold der Skythen“ wurde weltweit in verschiedenen Museen eine Zusammenstellung von archäologischen Funden aus Skythen-Gräbern (Kurgane) gezeigt.[139] Neben Körperschmuck (Hals-, Arm- und Fingerringe) wurden Tausende reliefierter Aufnähplättchen aus dünnem Goldblech gefunden, die größtenteils als Gewandbesatz dienten, aber auch zur Dekoration an Wandteppichen und anderen Textilien angebracht waren.

Als Skythen werden einige der Reiternomadenvölker bezeichnet, die ab etwa dem 8./7. Jahrhundert v. Chr. die eurasischen Steppen nördlich des Schwarzen Meeres im heutigen Südrussland und der Ukraine von der unteren Wolga und dem Kuban bis zum Dnister besiedelten.[140] Sie wurden im 4./3. Jahrhundert v. Chr. von den kulturell nahestehenden Sarmaten, die sich als Stammesverband zuvor zwischen der unteren Wolga und der Südspitze des Ural gebildet hatten, unterworfen und assimiliert, ein Teil flüchtete auf die Krim, wo noch bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. skythische Stammesverbände lebten.[141]

Sie hinterließen keine bekannten schriftlichen Aufzeichnungen, und alles, was man über sie weiß, beruht auf Bodenfunden und antiken Quellen anderer Kulturen. Nach dem antiken griechischen Geschichtsschreiber Herodot nannte sich der herrschende Klan Skoloten; die Bezeichnung Skythen stammt aus griechischen Quellen, ist jedoch nicht griechisch. Ihre Sprache wird dem (alt-)nordost-iranischen Zweig der indogermanischen Sprachen zugerechnet.[142]

Griechische und römische Quellen bezeichnen manchmal pauschal das gesamte Gebiet der kulturell und wohl auch sprachlich nahe verwandten Reiternomaden Osteuropas und Mittelasiens im 1. Jahrtausend v. Chr. als Skythien. Dort lebten u.a. auch die Stammesverbände der Saken, Sarmaten und Massageten. In der Archäologie wird dieser Kulturraum Skythiens im weiteren Sinne als „skythisch-sakischer Kulturraum“ oder „Skythisch-sakischer Horizont“ bezeichnet.[143] Zu ihm zählen als älteste Kulturen (seit dem 9. Jahrhundert v. Chr.) auch einige archäologische Kulturen Südsibiriens wie die Tagar-Kultur (Minussinsker Becken), Pasyryk-Kultur (Altai), Aldy-Bel-Kultur (Tuwa) und die Tes-Stufe (Tuwa). Aufgrund des Alters dieser südsibirischen Kulturen, der archäologisch erforschten Ausbreitung dieser Kultur vom Osten in den Westen und Südwesten und Herodots Angaben, dass die Skythen aus dem Osten kamen, gehen Archäologen von einer Herkunft der Skythen, Saken u.a. aus dieser Region aus.

Nach bisherigen archäologischen Erkenntnissen waren die Stammesverbände des skythisch-sakischen Kulturraums die ersten in der Geschichte der Steppen Asiens und Europas, die (bis auf wenige Ausnahmen) auf jahreszeitlich genutzte feste Ansiedlungen mit bescheidenem Ackerbau verzichteten und zum ganzjährig nomadisierenden Leben als Reitervolk übergingen.[144]

Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. teilten die Griechen die Völker im Norden in zwei Gruppen ein: Kelten westlich des Rheins und Skythen östlich des Rheins, insbesondere nördlich des Schwarzen Meeres. Der Begriff Skythen diente später also meist nur als grober Oberbegriff für eine große Anzahl verschiedener „barbarischer“ Völker.[145] Die Verwendung des Begriffs Germanen für die östlich des Rheins siedelnden Stämme ist erstmals vom griechischen Geschichtsschreiber Poseidonios um das Jahr 80 v. Chr. überliefert. Als Kelten wurden pauschal die westlich des Rheins lebenden Stämme bezeichnet.

Als Tacitus seine Germania schrieb, war dies eine als neu bekannte, aber bereits übliche Bezeichnung. Damit war nun eine Dreiteilung der Völker des Nordens und Ostens in Kelten, Germanen und Skythen üblich.

Im 3. Jahrhundert n. Chr. sowie zur Zeit der Völkerwanderung (spätes 4. bis spätes 6. Jahrhundert) wurden alle Völker am Nordrand des Schwarzen Meeres von den klassizistisch orientierten Geschichtsschreibern als Skythen bezeichnet, etwa die Goten und später die Hunnen.[146] Beispiele sind unter anderem Ammianus Marcellinus (20,8,1) oder die Berichte des Geschichtsschreibers Jordanes. Für Jordanes grenzt Skythien an Germanien, es erstreckt sich vom Ister (der unteren Donau) bis an den Tyras (Dnister), Danaster (Donez) und Vagosola und bis zum Kaukasus und zum Araxes, einem Nebenfluss der Kura in der südlichen Kaukasusregion. Im Osten grenzte es an das Land der Seren (Kaspisches Meer), im Norden an der Weichsel an jenes der Germanen. Im Skythenland lägen die Riphäischen Berge (Ural), die Asien und Europa trennen, und die Städte Borysthenes, Olbia, Kallipodia, Chesona, Theodosia, Kareon, Myrmikon und Trapezunt.[147]

Herodot berichtete, dass die Skythen von den Persern Saken genannt wurden. Wie im spätantiken und im mittelalterlichen Europa war bei den Persern Skythe/Sake oft einfach eine allgemeine Bezeichnung für jeden „barbarischen“ Steppenbewohner.[148]

Die Saken waren iranischsprachige Nomadenverbände in Zentralasien. Im engeren Sinne bezeichnet die althistorische Forschung höchstwahrscheinlich iranische Stammesgruppen als „Saken“, die im 6.–1. Jh. v. Chr. in den Steppen des östlichen Mittelasiens lebten. In der Altiranistik bezeichnen einige Autoren die „saka“ im weiteren Sinne als alle iranischen Steppennomaden vom 6.–1. Jh. v. Chr. Die Archäologie sieht diese Saken als mittelasiatische Vertreter der Kultur der Skythen.

Nach Herodot wurden die Skythen von den Persern Saken genannt. Wie im spätantiken und mittelalterlichen Europa war bei den Persern „Skythe“/„Sake“ oft einfach eine allgemeine Bezeichnung für jeden Steppenbewohner.

Die meisten oder alle Saken im engeren Sinne, die bis zum 2. Jh. v. Chr. als Nomaden zwischen Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und West-China lebten, sprachen wohl die Sakische Sprache, die nur in zwei weit östlichen Dialekten im heutigen West-China durch alte buddhistische Texte gut belegt ist. Die Saken hatten sich dort im 3. Jahrhundert v. Chr. angesiedelt. Die Saken, die seit dem 2.Jahrhundert v. Chr. in das Gebiet zwischen Sistan und Nordwest-Indien eingewandert waren, verwendeten fremde Sprachen als Schriftsprache. Die Sakische Sprache wird heute den südostiranischen Sprachen zugeordnet. Weil iranische Sprachen in vorchristlicher Zeit noch ähnlich waren, gehen einige Forscher von einem Dialektkontinuum zwischen den im heutigen Südrussland/Ukraine bis zum 2. Jh. v. Chr lebenden skythischen Nomaden und den Saken aus, vielleicht auch mit der jüngeren Stammeskonföderation der Sarmaten, die ab dem 4. Jh. v. Chr. die älteren Skythen verdrängten oder integrierten.

Die Sarmaten waren eine Konföderation mehrerer Stämme von iranischen Reitervölkern, die von antiken Schriftquellen erstmals für das Jahr 513 v. Chr. erwähnt werden.[149] Die Sarmaten waren offensichtlich mit den Skythen verwandt und siedelten zwischen dem 6. Jahrhundert v. Chr. und dem 4. Jahrhundert n. Chr. im Steppengebiet des späteren Südrusslands und der Ukraine, das zunächst von den antiken Griechen, später auch von den Römern als Sarmatien bezeichnet wurde. Hier verdrängten oder ersetzten die Sarmaten ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. die Skythen, was zahlreiche Grabfunde belegen.[150]

Die Sprache der Sarmaten gehörte zur nordost-iranischen oder mitteliranischen Gruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie und lebt noch heute in der Volksgruppe der Osseten im Kaukasus fort.[151] Ab 370 n. Chr. zerfiel das lockere Bündnis der sarmatischen Teilstämme beim Vordringen der Hunnen aus dem Osten und der dadurch ausgelösten Völkerwanderung nach Westen.[152] Der sowjetische Historiker Boris D. Grekov definierte 1947 anhand von Kurgan-Gräberfunden eine einheitliche Kultur von Steppen-Nomaden, die sich vom Schwarzen Meer bis östlich der Wolga erstreckte, mit den Hauptfundstätten in den Ortschaften Kardaielova und Chernaya am Ural-Fluss.

Antike Schriften benutzen die Bezeichnungen „Sauromaten“ und „Sarmaten“ in unterschiedlicher Weise: zum Teil ist dasselbe Volk gemeint (griechischer/ lateinischer Name), zum Teil werden damit zwei Volksgruppen unterschieden, wobei die eine der anderen nachfolgen soll. Als glaubhaft gilt heute, dass Sauromaten Vorfahren der Sarmaten waren, vielleicht ihr eigener früherer Name.[153]

Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet, dass die Sauromaten den benachbarten Skythen um 513 v. Chr. gegen die angreifenden Perser unter Dareios I. beistanden. Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen den beiden Volksgruppen offenbar friedlich.

Die Sauromaten-Kultur wandelte sich im Verlauf des 4. Jahrhunderts v. Chr. Wahrscheinlich wurde das Weideland für die Steppen-Nomaden knapp, als neue Gruppen vom Ural-Gebirge und aus der Taiga zu den Sauromaten stießen, unter ihnen die Massageten, die wiederum mit den Saken verbündet waren. Durch gesellschaftliche Veränderungen sowie Abwanderung formierten sich nun die Sarmaten. Am Fluss Ilek im Südural wurden in Kurgan-Hügeln reich ausgestattete Gräber gefunden, offensichtlich für Angehörige der Elite. Es wird vermutet, dass in dieser Region ein Zentrum der Sarmaten lag. Herodot vermerkte in seinen „Historien“ (4.21-117), die Sauromaten seien aus der Vermischung einer Gruppe von Skythen mit den Amazonen entstanden. Dies könnte mit einer hohen Stellung sowie kämpferischen Ausstattung von Frauen in der frühen sarmatischen Gesellschaft zusammenhängen, wie weibliche Kurgan-Gräber mit Waffenbeigaben und wertvoller Ausstattung belegen.

Ab dem 3. Jahrhundert wurden Sarmaten im ganzen römischen Reich angesiedelt, kämpften mit ihren schwer gepanzerten Kataphrakten in römischen Armeen und erwarben oft die römische Staatsbürgerschaft.[154] Das römische Staatshandbuch „Notitia Dignitatum“ (zwischen 425 und 433 n. Chr.) nennt allein 18 Zentren sarmatischer Siedlungen in Gallien und Italien. Dennoch gingen römische Truppen im Auftrag Kaiser Konstantins 334 n. Chr. erfolgreich gegen sarmatische Siedlungsgebiete vor. Nahe Budapest wurde ein Zentrum später sarmatischer Keramik gefunden.[155]

Die Sarmaten im Ganzen waren kein einheitliches Volk, sondern setzten sich aus zahlreichen Volksgruppen und Teilstämmen zusammen, verbunden durch einen gemeinsamen Kulturhorizont:[156] Die Jazygen waren ursprünglich westlich des Don an der Schwarzmeerküste beheimatet.[157] Ihre Ansiedlung zwischen Donau und Theiß im 1. Jahrhundert wurde zusätzlich von Rom gefördert, um einen Keil zwischen germanisches und dakisches Territorium zu treiben. 5500 Mann ihrer Reitertruppen wurden in römischen Diensten in Britannien stationiert. Der ungarische König Béla IV. förderte noch im 13. Jahrhundert die Ansiedlung von Jazygen in der dünn besiedelten Steppe (heute Jászság) östlich von Budapest, um die Hauptstadt besser vor Angriffen der Mongolen zu schützen.

Die Alanen sind ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. im nördlichen Kasachstan und im Nordosten des Kaspischen Meeres fassbar, zogen dann ab der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in die südrussischen Steppen zwischen Wolga und Don. Sie existierten als eigener Stammesverband länger als die Sarmaten und nahmen in späterer Zeit auch andere Kulturelemente auf. Ein Teil der Alanen schloss sich in der Völkerwanderung den Vandalen an und gelangte mit ihnen im 5. Jahrhundert nach Africa.

Die Siraken waren zahlenmäßig einer der kleineren sarmatischen Stämme und ursprünglich in Kasachstan ansässig.[158] Im 5. Jahrhundert v. Chr. wanderten sie in die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres ein und siedelten sich im späten 4. Jahrhundert v. Chr. zwischen Don und Kaukasus an, wo sie schließlich die Herrschaft über das Kuban-Gebiet erlangten. Die Siraken hatten lebhafte Beziehungen mit dem Bosporanischen Reich und viele von ihnen gaben ihren halbnomadischen Lebensstil auf, wurden sesshaft und übernahmen die griechische Kultur und Sprache.

Einige Forscher führen die Bezeichnung Rus als alten Namen Russlands und der Russen bzw. Ras als alten Namen Serbiens und der Serben auf den alanischen Teilstamm der Ruchs-as oder auf die sarmatischen Roxolanen zurück.[159] Diese Rukhs-as-Theorie wird aber allgemein abgelehnt und Rus als Bezeichnung der Wikinger in Russland identifiziert. Als denkbar gilt die Herkunft des Namens der Serben (Srb) und der Kroaten Hrvat (Houravat, Houravati) von sarmatischen Stämmen. Ein direkter Zusammenhang der Ethnogenese südslawischer Völker mit sarmatischen Stämmen wurde jedoch schon im 19. Jahrhundert bezweifelt und teilweise widerlegt.

Die Skythen tauchen in den assyrischen Quellen erstmals unter Sargon II. auf.[160] Zur Zeit Assurhaddons (680–669 v. Chr.) verbündeten sie sich unter Išpakai mit dem Mannäer-Reich am Urmia-See und griffen die Assyrer an. Unter einem gewissen Bartatua/Partatua, vielleicht dem Nachfolger Išpakais, treten die Skythen als Verbündete der Assyrer auf, vielleicht wegen einer Heirat mit einer Tochter Assurhaddons.

Kimmerer und Skythen werden in den assyrischen Quellen oft als umnan-manda zusammengefasst, was jedoch ebenfalls eine recht ungenaue Bezeichnung darstellt, die sich generell auf Bergvölker bezieht. Ähnliche Bezeichnungen sind bereits von Akkadern in Zusammenhang mit älteren erwähnten Bergvölkern unbekannter Herkunft genannt worden.[161]

Das Königreich Aschkenas, das von Jeremia (51, 27) zusammen mit Ararat (Urartu), Minni (Mannäer) zu einem Angriff auf Babylon aufgefordert wird, wird meist als skythisch identifiziert. Der entsprechende Text dürfte nach 594 formuliert worden sein.

In der Völkertafel der Genesis (Gen 10,3) taucht Aschkenas als Kind Gomers, des Sohn Japhets auf. Gomer wird mit den Kimmerern gleichgesetzt, wobei sich die Völkertafel weitestgehend auf das 1. bis 3. Jh. v. Chr. bezieht. Ältere Vorstellungen entstammen wohl aus Babylonisch-assyrischen Bibliotheken während des Babylonischen Exils. Paulus erwähnt die Skythen um das Jahr 60 n. Chr. in seinem Brief an die Kolosser (3,11) und unterscheidet sie von anderen nichtgriechischen Völker.

Die Skythen wurden von dem griechischen Historiker Herodot detailliert beschrieben.[162] Danach gab es vier Hauptabteilungen der Skythen: die Aucheten, Nachkommen von Leipoxais, dem ältesten Sohn des Gründerheros Targitaus; die Katairen und Traspier, Nachkommen des mittleren Sohnes Arpoxais; und die Paralaten oder königlichen Skythen, Nachkommen des jüngsten Sohnes Kolaxais (Herodot 4,6). Dieser Name taucht auch bei Alkman von Lesbos und Valerius Balba (70–96 v. Chr.) auf. Alle diese Abkömmlinge zusammen würden sich Skoloten nennen, die Griechen nannten sie Skythen.[163]

Wenige Seiten weiter beschreibt Herodot eine weitere Aufteilung der Skythen nach der Wirtschaftsweise. Ackerbau treibende Skythen wohnten danach im Lande Hyläa zwischen Borysthenes (Dnepr) und Hypanis (Südlicher Bug), bis zum Fluss Pantikapes und elf Tagesreisen nach Norden. Sie nannten sich selbst Olbiopoliten (Olbia Polis). Östlich der Olbiopoliten beginnt die Steppe, hier lebten nomadische Skythen am Gerrhus (das Flüsschen Molotschna sowie dem größeren Tokmak, die heutige Bezeichnung des Oberlaufes der Molotschna). Wiederum östlich davon (gemeint ist östlich des Asowschen Meeres) lebten die königlichen Skythen, „die alle anderen Skythen für ihre Sklaven halten“ und am zahlreichsten waren. Ihr Siedlungsgebiet reichte bis an die Krim und den Tanais (Don). Östlich von ihnen siedeln die Sauromaten, nördlich davon die Melanchlänen, so benannt nach ihren schwarzen Mänteln, beides nach Herodot keine skythischen Stämme, obwohl die Melanchlänen skythische Sitten angenommen hatten (4,107).

Herodot gibt zahlreiche Berichte über die Entstehung der Skythen wieder. In einem davon (4,11), der vermutlich auf Hekataios von Milet und Aristeas von Prokonnesos zurückgeht, heißt es, die Skythen seien von den Massageten bedrängt worden und daraufhin über den Araxes (Aras) in das Land der Kimmerer eingefallen, die vor ihnen nach Asien flohen. Als Beleg führt Herodot zahlreiche Ortsnamen im Skythenland an, die auf die Kimmerer hinweisen.

Ob die „trefflichen Hippomolgen, dürftig, von Milch genährt“ (Ilias, 13. Gesang, 5–6) Kimmerer, Skythen oder einen anderen Stamm der nördlichen Schwarzmeerküste bezeichnen sollen, ist umstritten. Diese Stelle gilt manchen Forschern als die erste schriftliche Erwähnung der Skythen. Vermutlich sind damit pauschal geschickte Reitervölker gemeint.[164]

Nach Diodor wurde Skythes, der eponyme Heros der Skythen und König von Hylaia (am Borysthenes), ein Sohn des Zeus und einer schlangenfüßigen Göttin namens Echidna, am Tanais geboren. Seine Brüder sind Agathyrsos (vermutlich der sarmatische Stamm der Agathyrsen) und Gelonos (eventuell die Geten).

Das Werk des Hellanikos von Lesbos über die Skythen ist nur in wenigen Fragmenten überliefert. Auch Hippokrates von Kos, Aischylos (gefesselter Prometheus), Sophokles, Euripides (Iphigenie bei den Taurern, Rhesos), Pindar, Thukydides, Theopompos und Aristophanes überliefern einige Details über die Lebensweise und die Wohnsitze der Skythen und Sauromaten.

In den griechischen Quellen der klassischen Zeit werden die Skythen als typische Barbaren beschrieben, die gebrochenes Attisch sprachen und seltsame Beinkleider (Hosen) trugen.[165] Wein unverdünnt zu trinken wurde geradezu als Trinken auf skythische Art bezeichnet und auch den Germanen nachgesagt. Der Spartanerkönig Kleomenes übernahm diese Unsitte von den Skythen und starb daraufhin im Delirium. Arrian unterschied asiatische (Abier) und europäische Skythen, letztere nannte er das zahlreichste aller europäischen Völker. Die Abier bzw. Abioi kommen bereits in der Ilias vor (13,6), wo sie als gerechteste aller Erdenbewohner gerühmt wurden. Fraglich ist jedoch, ob Homer damit auch wirklich Skythen gemeint hat.

Quintus Curtius Rufus (7,7,1) nannte den Tanais als Grenzfluss zwischen den europäischen Skythen und Baktrien wie auch zwischen Europa und Asien. Dies erklärt sich daraus, dass einige antike Geographen den Amudarja für den Oberlauf des Tanais (Don) hielten und Asien in ihrer Vorstellung relativ kurz war. Von der wahren Ausdehnung Asiens hatten sie keinerlei Vorstellung. Diese Vorstellung der Welt hielt sich bis ins späte Mittelalter. Rufus sah daher die Skythen als Teil der Sarmaten an. Ihre Siedlungsgebiete lägen „unweit von Thrakien“, von der Waldgegend jenseits der Ister (Donau) bis nach Baktrien. Die damalige Vorstellungswelt kannte schlichtweg keine weiteren Völker Asiens. Rufus lobte die Skythen als nicht so roh und ungebildet wie die übrigen Barbaren, einige von ihnen seien „sogar für die Lehren der Weisheit empfänglich, soweit diese für ein immer unter den Waffen befindliches Volk fassbar sind“. (7,8,10).

Strabo unterschied Skythen und Sauromaten nicht, gilt aber ansonsten als wichtige Quelle. Unter den griechischen und römischen Autoren finden sich auch bei Plinius d. Ä., Orosius, Lukian, Horaz und Chrysostomos Angaben über die Skythen.[166]

In Athen dienten skythische Sklaven zwischen der Mitte des 5. Jh. und dem 4. Jh. als bewaffnete Schutztruppe (Toxotai/Speusinoi), wie aus einer Rede von Andokides Über den Frieden mit den Lakedaimonern (391 v. Chr.) bekannt ist.[167] Das polizeiähnliche Korps bestand aus 300, später 1000 Bogenschützen und war erst auf der Agora, später auf dem Areopag stationiert. Sie unterstanden dem Rat der 500 und sorgten primär für deren Sicherheit sowie für die Ordnung der Volksversammlungen und Gerichtsverhandlungen. Vermutlich wurden sie auch zur Unterstützung des Beamtenkollegiums der Elf eingesetzt. Die so verwendeten Skythen tauchen auch in den Komödien des Aristophanes auf (Acharner) (425), Die Ritter (424), Thesmophoriazusen (411) und schließlich Lysistrata (411) aus dem gleichen Jahr. Wahrscheinlich wurde die Einheit um 390 v. Chr. aus Kostengründen aufgelöst.

In den mittelalterlichen mappae mundi (Weltkarten) des 10. bis 13. Jhs. (Hereford-Karte, Ebstorfer Weltkarte) wurden die Skythen auf dem Gebiet der Kiewer Rus, westlich des Tanais (Don) eingezeichnet, wobei die Sarmaten zwischen Germanien und Skythien liegen.[168] Dieses Skythien liegt nördlich des Schwarzen Meeres zwischen der unteren Donau und reicht bis zum Don. Eingezeichnet wurden dabei auch drei Bezeichnungen; Scitotauri (Königsskythen) in der Region Kiev, Scirhans (Skiren) südwestlich davon sowie in Chesona. [169]

Östlich des Don zeichnete man gewöhnlich Gog und Magog in ihrem Gefängnis, der Alexanderburg, ein. Dahinter liegt das Land der Greife, das gemäß dieser Vorstellung nicht größer als Thrakien war. Über die Völker jenseits des Tanais (Don) hatten die Kartenzeichner keine genaue Vorstellung. Unmittelbar danach schließen Baktrien, China und Indien an. Mit Asien wird der Orient von Anatolien bis Indien bezeichnet. Die in Asien tatsächlich im Mittelalter ansässigen Völker (Chasaren, Petschenegen, Kumanen und Wolgabulgaren) waren zumindest im östlichen Europa bereits wohlbekannt. Die mittelalterlichen Karten orientieren sich in ihrem Aufbau an Karten oder Beschreibungen des antiken Geographen, Mathematikers und Philosophen Ptolemaios im 2. Jh., wobei Jerusalem nun in das Zentrum der Welt rückte. Weiter ergänzt wurden die Karten durch die mittelalterlichen Alexanderromane. Dies widerspricht der heute gängigen Sicht auf die Skythen, entspricht jedoch der Wortwahl des Mittelalters, in der auch Wikinger, Germanen, Slawen und Sarmaten als Skythen definiert wurden. In den ersten Mappa Mundi wurde die Welt des Ptolomaios einfach mit dem Wissen des Mittelalters erweitert.

Funde von der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts und dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. aus dem nördlichen Schwarzmeergebiet werden wegen der Angaben Herodots in der Archäologie als skythisch bezeichnet.[170] Diese spezielle materielle Kultur mit Verzierungen im skythischen Tierstil, eisernen Kurzschwertern, Lamellenpanzern, Bronzekesseln mit hohem Standfuß, speziellen Formen der Trensenknebel, Katakombengräbern unter Grabhügeln und anthropomorphen Großplastiken ist jedoch über ein wesentlich weiteres Gebiet verbreitet.

Während die meisten russischen und ukrainischen Archäologen den Begriff Skythen auf Funde zwischen dem Bug und dem Kuban und an der Küste des Asowschen Meeres beschränken, also dem Gebiet, in dem nach Herodot Stämme lebten, die sich selbst als Skythen bezeichneten, wird der Begriff im Westen meist auf die gesamte nordpontische (nördlich des Schwarzen Meeres) und westsibirische reiternomadische Kultur der frühen Eisenzeit übertragen und umfasst damit mit Sicherheit auch Stämme, die sich selbst nicht als Skythen bezeichneten.[171]

Die materielle Kultur, die traditionell den Kimmerern zugeschrieben wird (Funde bei Tschernogorowka – heute Siwersk bei Artemiwsk – und Nowotscherkassk), endet im 7. Jh. abrupt und wird durch skythische Funde abgelöst. Dies stützt die Angaben Herodots über den Einfall der Skythen, die nach Meinung einiger Forscher aus dem Altai-Gebiet gekommen sein sollen. Seit dem 7. Jh. finden sich auch in der Koban-Kultur des nördlichen Kaukasus deutliche skythische Einflüsse.[172]

Die archäologischen Funde stammen vor allem aus Ausgrabungen von Grabhügeln (Kurgane), die unter anderem Gold, Seide, Waffen, Pferde und Bestattungen enthielten. Ein unversehrter Kurgan wurde im Juli 2001 im Tal der Zaren bei Aržan in der südsibirischen Republik Tuwa entdeckt. Der teilweise sehr gute Erhaltungszustand der Überreste, wie in den Kurganen von Pazyryk, ist Mumifizierungstechniken und dem sibirischen Permafrost zu verdanken.

Im Sommer 2006 wurde im Permafrostboden des Altaigebirges in Tuwa von Hermann Parzinger und Mitarbeitern des Deutschen Archäologischen Instituts in Kooperation mit russischen Archäologen aus einer Grabkammer die Eismumie eines skythischen Reiterkriegers geborgen. Ihr Alter wurde auf 2500 Jahre geschätzt. Außerdem liegen Dendro-Daten der Kammer vor. Die Mumie trug einen prächtigen Pelzmantel und einen kunstvoll verzierten und vergoldeten Kopfschmuck. Auch ein Kompositbogen ist erhalten.

Archäologische Belege für eine skythische Präsenz in Anatolien, von der sowohl griechische als auch assyrische Quellen berichten, sind, abgesehen von dreiflügligen Pfeilspitzen, spärlich. Ein Grab aus İrminler, Provinz Amasya am Südrand des Pontus enthielt neben 21 zweiflügligen Bronzepfeilspitzen ein eisernes Langschwert mit herzförmigem Heft, einen Streitpickel, wie er für das Altai-Gebiet typisch ist, einen goldenen Armreif und eine Trensenstange. Die Grabkammer war mit einer Trockenmauer eingefasst und 2,8 m lang. Die Bestattung war modern gestört, enthielt aber Knochen von Menschen und Pferden.[173]

Ein weiterer Fund aus dem Schwarzmeergebiet (Provinz Amasya) geht auf Raubgrabungen zurück und ist ohne genauen Fundort. Hier lagen 250 zweiflüglige Pfeilspitzen in einem Grab. Die Gräber werden in das 7. und frühe 6. Jahrhundert datiert. Auch hier ist aber nicht sicher zu sagen, ob es sich um kimmerische, skythische oder sarmatische Krieger handelt; das Langschwert spricht vielleicht eher für letztere. Der Goldschatz von Ziwiye (Iran) aus einem Grab aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts enthält sowohl skythische als auch rein vorderasiatische Gegenstände, die vermutlich Kriegsbeute darstellen. Auch die Nekropole von Sé Girdan im Uschnu-Tal scheint skythische Elemente zu enthalten.[174]

Manche Archäologen wie Hans Albert Potratz nehmen einen skythischen Einfluss auf die assyrische Bewaffnung an, so im Falle der mondsichelförmigen Trensenknebel und der Bogenfutterale. Ab dem 6. Jahrhundert finden sich griechische Importe im Gebiet der Skythen, besonders rhodische Weinkrüge (Oinochen).

Schwarz- und besonders rotfigurige Vasen aus Athen zeigen skythische Bogenschützen, die an ihrer enganliegenden Kleidung mit Hosen und den spitzen skythischen Mützen zu erkennen sind. [175]Oft benutzten sie einen Reflexbogen, der jedoch auch zur Bewaffnung der Griechen gehörte (zum Beispiel Äginetenfries). Diese Darstellungen wurden als Beleg dafür gesehen, dass die Skythen athenischen Vasenmalern aus eigener Anschauung vertraut waren. Man nahm an, dass diese als Leibwache des Tyrannen Peisistratos und seiner Söhne in Athen weilten. Die Schriftquellen kennen jedoch nur thrakische Söldner und sogenannte „wolfsbeinige“ Sklaven.

Seit dem 2. Jahrhundert wird es immer schwieriger, die skythische und sarmatische materielle Kultur zu trennen. Vermutlich kam es zu einer allmählichen Assimilation. Eine genaue archäologische Abgrenzung zu den für Mittelasien überlieferten, aber aufgrund erhaltener Inschriften iranischsprachigen Saken ist ab dieser Zeit ebenfalls schwierig.

Eine sakische Stammesföderation wanderte im 1. Jahrhundert v. Chr. aus dem östlichen Mittelasien nach Indien ein und begründete dort die kurzlebige Indo-Skythische Dynastie. Eine Anmerkung auf einer alten Stele der Edikte des Ashoka anlässlich einer Staudammreparatur im Jahr 150 v. Chr. schrieb Rudradamana, ein Reichsleiter der Saken. Sie gilt als erstes schriftliches Zeugnis des Sanskrits.

Im 8. Jahrhundert v. Chr. fielen die Skythen in die Gebiete nördlich und östlich des Schwarzen Meeres ein und verdrängten die Kimmerer. Zwischen 630 und 625 v. Chr. unternahmen die Skythen einen Vorstoß nach Vorderasien, und Raubzüge bis nach Palästina. Herodot berichtet, wie sie durch Psammetich I. (670–626) gegen Lösegeld zum Abzug bewogen wurden. Auf dem Rückweg sollen sie Askalon geplündert und zerstört haben. 609 berichten babylonische Quellen, dass die Skythen in das Gebiet von Urartu eingedrungen seien, 608 wird von skythischen Ansiedlungen am Oberlauf des Tigris berichtet. Der Fall von Urartu im letzten Drittel des 7. Jahrhunderts v. Chr. wird daher auch auf Skythen zurückgeführt, wahrscheinlich aber als Verbündete des Medischen Reiches.[176]

Angaben Herodots über die Zerstörung Urartus durch Meder und Überlegungen zur Chronologie des Mächteverhältnisses in der Region lässt Forscher die Zerstörung Urartus aber hauptsächlich dem Medischen Reich zuschreiben.[177] In den Brandschichten von Bastam, das allerdings schon Mitte des 7. Jh. zerstört wurde, und von Tušpa (Van), Toprakkale, Teischebani (Kamir Blur) bei Jerewan und Argištiḫinili fanden sich dreiflügelige Bronzepfeilspitzen und „skythisches“ Pferdegeschirr. Manche Forscher nehmen allerdings an, dass die Pfeilspitzen in Teischebani, die nicht in den Mauern, sondern in Vorratsräumen gefunden wurden, auf die Anwesenheit skythischer Söldner hinweisen.[178] Vermutlich waren an der Eroberung von Urartu also auch Meder und transkaukasische Stämme beteiligt. Diese Feldzüge wurden vermutlich aus dem Kuban-Gebiet und dem nördlichen Kaukasus unternommen. Im Gebiet um Krasnodar und Stawropol wurden zahlreiche reich ausgestattete skythische Kurgane gefunden (zum Beispiel Ul'skij Aul mit über 400 Pferdebestattungen).

612 v. Chr. eroberten die Meder zusammen mit den Babyloniern und den Skythen Niniveh. Nach der Babylonischen Chronik eroberten die Skythen 609 Ägypten. Mit dem Beginn der Mederherrschaft (612 und 605 v. Chr.) ging der skythische Einfluss im vorderen Orient zurück. Herodot berichtet, die Skythen hätten 28 Jahre lang ganz Asien regiert, von dem Sieg des Madyas über den Medier Phraortes bis zur Niederlage gegen die Medier unter Kyaxares II. (624–585) im Jahr 594 v. Chr., der bei einem Gastmahl ihre Abgesandten umbringen konnte.

Einer der bekanntesten Könige der Skythen war Atheas, der im Westen bis an die Donau vordrang und 339 v. Chr. hochbetagt gegen Philipp II. von Makedonien zu Felde zog und fiel. Ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. wurden die Skythen zunehmend von den Sarmaten verdrängt. Auch Klimaveränderungen werden jedoch für den Niedergang der Skythen verantwortlich gemacht. Die letzten, stark sarmatisierten Skythen wurden schließlich von den Goten in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts nach Christus vernichtet.[179]

Nach Herodot waren die Skythen von Königen beherrscht und hielten Sklaven, die sie blendeten und zur Milchverarbeitung einsetzten. Die Diener der Könige stammten aus den weniger angesehenen Stämmen und wurden mit ihnen bestattet.

Nach Lukian wurde die soziale Stellung durch den Viehbestand bestimmt. Sogenannte „Achtfüßige“ – das sind Leute, die nur zwei Ochsen besaßen – standen an unterster Stelle. Pindar erwähnt sogar Skythen, die weder Vieh noch Wagen besaßen und denen deshalb die Bürgerrechte fehlten. Er kennt auch eine Aristokratie, die pilophorioi, also die Träger von Filzmützen.[180]

Die Sprache der Skythen wird gemeinhin zur alt-nordost-iranischen Gruppe des Indogermanischen gerechnet.[181] Die Sprache ist aber nur sehr bruchstückhaft überliefert. Herodot überliefert einige Wörter der skythischen Sprache in seinen Etymologien der Völkernamen Arimaspoi 'Einäugige' (4.27) und Oiorpata 'Männertöterinnen' (4.110). Dass die Skythen tatsächlich eine Sprache des nordöstlichen Zweiges der iranischen Sprachgruppe hatten, wird auch dadurch indiziert, dass die Sauromaten laut Herodot eine korrupte Form (d.h. einen Dialekt) der skythischen Sprache verwendeten. Die Sauromaten wiederum werden mit den später auftauchenden Sarmaten gleichgesetzt, die als Sprecher einer iranischen Sprache gelten. In den späten griechischen Inschriften der Kolonien der nördlichen Schwarzmeerküste sind rund 300 iranische Namen überliefert, die sich nur durch sarmatischen Einfluss erklären lassen.

Mit anderen Worten bildeten das Skythische, das Sarmatische und das Sakische im Altertum ein sprachliches Kontinuum, aus dem später auch das Sogdische, das Alanische und das Ossetische erwuchsen.

Ob bzw. inwieweit die Skythen nach Mitteleuropa vordrangen, ist äußerst umstritten. Archäologisch lassen sich diese Einfälle nicht sicher belegen. In den hallstattzeitlichen Siedlungen von Smolenice, Molpir und Witzen Wiscina (Slowakei und in Ungarn) wurden Brandhorizonte nachgewiesen, die dreiflügelige Pfeilspitzen enthielten. Diese dreiflügeligen Pfeilspitzen werden gerne als Beleg für die Anwesenheit der Skythen herangezogen. Solche Pfeilspitzen wurden jedoch auch von anderen Reiternomaden verwendet, auch solchen, die in römischen Diensten standen.

Der Goldschatz von Vettersfelde mit Artefakten im skythischen Stil könnte von der Anwesenheit eines skythischen Fürsten zeugen, aber auch Beutegut darstellen.[182] Der Goldschatz von Vettersfelde ist ein Schatzfund, der 1882 durch Zufall bei Vettersfelde (südliches Brandenburg, heute Witaszkowo, Polen) gemacht wurde. Es handelt sich bei diesem Schatz um den Anhänger einer geflochtenen Kette, einen massiven Halsreif, eine Schwertscheide mit Tiermustern und einen Fisch, der 41 Zentimeter lang und 608 Gramm schwer ist.[183] Ein Teil der Funde gelangte nach Berlin und gehörte zu einer skythischen Rüstung, die um 500 v. Chr. datiert. Andere kleinere Objekte des Fundes wurden verkauft und eingeschmolzen. Der goldene Fisch, der wohl einst einen Schild zierte, ist mit Tierkampfmotiven, z. B. zwischen einem Panther und einem Eber, oder einem Löwen und einem Hirsch dekoriert und ist eindeutig eine griechische Arbeit.

Der Fund gab der Forschung lange Zeit Rätsel auf. Es wurde vermutet, dass es sich um die Beigaben der Grabausstattung eines skythischen Fürsten handelt, der bis nach Brandenburg gelangte. Neuere Untersuchungen am Fundort deuten aber an, dass es sich um ein Brunnenopfer gehandelt haben dürfte, das als Beute einem skythischen Fürsten abgenommen worden war. Die Anwesenheit von Skythen in dieser Gegend ist ansonsten nur durch Funde von dreiflügeligen Pfeilspitzen belegt, die allerdings oft auch von anderen Reiternomaden verwendet wurden.[184]

Über die skythische Goldgewinnung ist relativ wenig bekannt.[185] Einige Angaben zur Rohstoffherkunft sind durch Herodot (484–425 v. Chr.) in seinen „Historien“ (I. und IV. Buch) historisch überliefert. In der Region um Krasnojarsk und Daurien wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts Goldwäschereien entdeckt, die den Skythen zugeordnet werden. Da weder im nordpontischem Raum noch in den nördlich angrenzenden Gebieten Goldlagerstätten bekannt sind, wird meist davon ausgegangen, dass das Gold von den Skythen durch Handel erworben oder auf Kriegszügen erbeutet wurde. Im Falle der griechisch-skythischen Goldarbeiten wird angenommen, dass sie nicht von skythischen Goldschmieden hergestellt wurden, sondern dass es sich um Auftragsarbeiten handelt.

Die Rohstoffquellen werden bislang in den folgenden Regionen vermutet:[186]

Fundstücke aus der Zeit der Kiewer Rus‘

Ebenso ist in der Ermitage eine umfangreiche Sammlung zur Geschichte Sibiriens vorhanden, wie Tausende schriftliche Dokumente des vierten und fünften Jahrhunderts aus den chinesischen Mogao-Grotten. Mogao ist eine Flussoase an der Seidenstraße, gelegen in der Großgemeinde Mogao der Stadt Dunhuang, ca. 25 km vom Stadtzentrum entfernt. Dunhuang gehört zu Jiuquan in der chinesischen Provinz Gansu. Hier haben buddhistische Mönche zwischen dem 4. und dem 12. Jahrhundert etwa 1000 Höhlen in die durchschnittlich 17 Meter hohen Sandsteinfelsen geschlagen und mit buddhistischen Motiven (Buddha-Statuen, Skulpturen und Wandmalereien) verziert. 492 dieser Höhlen sind heute noch erhalten.

Das älteste bekannte Zeugnis mongolischer Schrift, der sogenannte Dschingisstein, befindet sich ebenso in der Eremitage wie umfangreiche Fundstücke aus der Zeit und Gegend des Kiewer Rus.[187] Die Kiewer Rus war ein mittelalterliches Großreich mit Zentrum in Kiew, das als Vorläuferstaat der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Weißrussland angesehen wird.

Der Begriff wurde erst im 19. Jahrhundert vom russischen Historiker Nikolai Karamsin als zeitliche Abgrenzung gegenüber der späteren Wladimirer Rus und der Moskauer Rus geprägt. Die mittelalterlichen Quellen nennen das Land „Rus“ oder „russisches Land“.[188] Die modernere russische und weißrussische Wissenschaft tendiert dazu, den Begriff Altrussischer Staat zu verwenden. Der Grund dafür ist, dass der Begriff Kiewer Rus den Beginn der Staatlichkeit in Nowgorod unter Rurik vor der Verlegung der Hauptstadt nach Kiew im Jahre 882 traditionell zwar mitumfasst, aber vom Namen her nicht berücksichtigt. Wie viele multiethnische mittelalterliche Großreiche kann dieser Herrschaftsverband nicht mit den heutigen Kategorien eines Nationalstaats definiert werden.

Seit dem 8. Jahrhundert fuhren skandinavische Fernhändler die Flüsse Dnjepr und Don entlang auf dem Weg ins Byzantinische Reich.[189] Um 750 gründeten sie die erste Siedlung in Ladoga. In skandinavischen Texten und Runensteinen wird das Gebiet als Gardarike bezeichnet. Das Gebiet wurde in dieser Zeit von finno-ugrischen, baltischen und slawischen Gruppen besiedelt. 862 riefen die Stämme der Tschuden, Wes, Kriwitschen und Slowenen angeblich einen skandinavischen Waräger Rjurik und seine Brüder Truwor und Sineus, um über sie zu herrschen. Rjurik begann im Jahr 862, in Weliki Nowgorod zu herrschen und wurde zum Begründer der Rurikiden-Dynastie, die Russland bis ins Jahr 1598 regieren sollte.

882 eroberte Fürst Oleg Kiew, das bis dahin von Askold und Dir beherrscht worden war. Er verlegte die Hauptstadt dorthin und begründete damit die Kiewer Rus.[190] Die Rus kontrollierten nun den gesamten Handelsweg zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Um diese Hauptader herum wuchs von nun an ihr Staat.

Der Staat umfasste bald alle ostslawischen Gebiete und erstreckte sich von den großen Handelsstädten Alt-Ladoga, Nowgorod und Beloosero im Norden bis zu den Schwarzmeer-Exklaven Beresan und Tmutorokan im Süden. In Ost-West-Richtung erstreckte es sich von den alten slawischen Städten Galitsch und Isborsk im Westen bis zu den Neugründungen Jaroslawl und Murom im Osten. Dort stießen die slawischen Siedler zunehmend in dünn besiedelte finno-ugrische Gebiete vor, gründeten neue Städte und assimilierten die lokale Bevölkerung. Im Süden des Reiches lag, nicht weit von Kiew, die Grenze zum sogenannten Wilden Feld. Unter diesem Namen waren die Steppengebiete bekannt, aus denen immer wieder Angriffe der turkstämmigen Reiternomaden erfolgten. Die Rus stellten zunächst den Großteil der Adels-, Händler- und Kriegerschicht des Staates. Die dominierende Kultur und Sprache war Slawisch.

Das 10. Jahrhundert kennzeichnete den Höhepunkt der Kiewer Macht: Oleg von Kiew konnte nach einem erfolgreichen 907 dem Byzantinischen Reich einen Diktatfrieden mit zahlreichen Handelsprivilegien für Kiew aufzwingen.[191] Fürst Swjatoslaw zerstörte das Chasaren-Reich und eroberte vorübergehend weite Teile des Balkans, unter anderem das Bulgarische Zarenreich.

Durch den hauptsächlich auf Konstantinopel ausgerichteten Handel kam es, trotz anfänglicher Eroberungsversuche seitens der Rus, zu engen Kontakten mit Byzanz, die zur christlichen Missionierung und schließlich im Jahre 988 in der Herrschaftszeit Wladimirs des Heiligen zum Übertritt der Rus zum orthodoxen Glauben führten. So entstand zur ersten Jahrtausendwende aus der Verschmelzung von Skandinaviern und Ostslawen mit byzantinischer Kultur und Religion das altrussische Volk der Kiewer Rus, aus dem in späteren Jahrhunderten Russen, Ukrainer und Weißrussen hervorgegangen sind.

Wladimir I. Swjatoslawitsch (genannt Wladimir der Große) war von 978/980 bis 1015 Großfürst von Kiew.[192] Er gilt als der bedeutendste Fürst der Kiewer Rus. Wladimir wird in der Russisch-Orthodoxen Kirche und der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche als apostelgleicher Heiliger verehrt. Gedenktag ist der 15. Juli (Sterbetag), und auch der 28. Juli (Tauftag, in Russland).

Wladimir war ein Sohn von Großfürst Swjatoslaw I. von Kiew und von Maluscha, einer Dienerin der Fürstin Olga. Sein Geburtsjahr ist unbekannt, wahrscheinlich um 960. Nach dem Tod des Vaters 971 wurde Wladimir Fürst von Nowgorod, dem zweitwichtigsten Zentrum der Rus, trotz seiner nicht standesgemäßen Herkunft. Sein Onkel Dobrynja unterstützte ihn als Woiwode. 972 kam Olav Tryggvason, der spätere norwegische König, mit seiner Mutter nach Nowgorod. Deren Bruder Sigurd diente dort als Waräger.

977 brach ein Streit zwischen seinen Halbbrüdern Oleg und Jaropolk I. aus. Jaropolk ermordete Oleg und eroberte Nowgorod. Wladimir floh nach Norwegen zu Håkon Jarl. Er kehrte mit einem Warägerheer zurück und eroberte Nowgorod zurück. Danach eroberte er Polozk, tötete den dortigen Fürsten Rogwolod und nahm dessen Tochter Rogneda zur Frau. Kampflos fiel ihm die Hauptstadt Kiew in die Hand. Darauf lud er seinen Halbbruder Jaropolk zu Verhandlungen ein und ließ ihn umbringen, wodurch er zum Alleinherrscher der Kiewer Rus wurde.

Seine Macht festigte Wladimir durch weitere Feldzüge.[193] 981 eroberte er die Burg Tscherwen und das Tscherwener Burgenland. An den südlichen Grenzen seines Landes ließ er „Hilfsvölker“ ansiedeln, welche das Reich schützten (so beispielsweise die turkstämmigen Torki und Berendei). Weitere Feldzüge führte er gegen Wjatitschen, Radimitschen, die baltischen Jatwinger und Aestier, die Wolgabulgaren und die Petschenegen. Insgesamt vergrößerte er die Rus durch die Unterwerfung der verschiedenen benachbarten Völker so, dass es bereits unter ihm vom Dnepr bis zum Ladogasee und bis an die Düna reichte.

Das wichtigste Ereignis der Regierungszeit Wladimirs war die Christianisierung der Kiewer Rus im Jahre 988 anlässlich seiner Vermählung mit Prinzessin Anna von Byzanz, Tochter des byzantinischen Kaisers Romanos II. Dafür erhielt er auch den Beinamen der Heilige und wurde nach seinem Tod in den Stand eines Heiligen der orthodoxen Kirche erhoben.[194]

Vor seiner eigenen Taufe im Jahre 987 beschreibt ihn die Heiligenlegende als Wüstling mit sieben Hauptfrauen und 800 Mätressen. Er ließ überall Götzenbilder aufstellen und war ein eifriger Anhänger des Heidentums. Zum christlichen Glauben brachte ihn der Überlieferung zufolge die Vernunft. Angeblich ließ er sich von allen Religionen Gelehrte schicken, und er wählte die beste aus.

Tatsächlich war Wladimirs Taufe aber ein diplomatischer Schachzug: Ziel war die Verbindung mit dem byzantinischen Kaiserhaus.[195] Kaiser Basileios II. benötigte Hilfe gegen die Bulgaren, die gemeinsamen Feinde Wladimirs und des oströmischen Kaisers. Wladimir schickte ein Heer von 6000 Rus nach Konstantinopel. Außerdem übte er durch Angriffe auf das byzantinische Chersones auf der Krim Druck auf den Kaiser aus. Schließlich willigte dieser ein: Wenn sich Wladimir taufen ließe, so würde Basileios II. ihm für die militärische Unterstützung seine Schwester Anna zur Frau geben. So geschah es, und Wladimir I. bekam als erster europäischer Herrscher eine Purpurgeborene zur Frau. Die Taufe des Knjasen wurde in Kiew als großer Akt zelebriert: Nach dem Niederreißen der heidnischen Götterbilder fand eine Massentaufe im Dnepr statt. Offenen Widerstand gegen die Christianisierung scheint es nicht gegeben zu haben, obgleich sich das Heidentum vor allem in ländlichen Gebieten lange halten konnte. Die Kirche begann dennoch schnell mit dem Aufbau eines Netzes von Kirchen und Klöstern, das erheblich zur Festigung des Kiewer Reiches beitrug. Darüber hinaus entwickelte sich die Region durch den neuen Glauben auch kulturell weiter. Die Orthodoxie hatte damit endgültig eine dominierende Stellung in der Rus erreicht. Zugleich war Wladimir durch die Annahme des Christentums und die Eheverbindung mit dem byzantinischen Kaiserhaus zu einer Figur von diplomatischer Bedeutung geworden. Im Zusammenhang mit der Christianisierung übernahm man, nicht nur im kirchlichen Alltag, jedoch die altbulgarische bzw. altkirchenslawische Schriftsprache, was zum ersten südslawischen Einfluss führte.[196]

Solcherart abgesichert trieb er den inneren Ausbau seines Territoriums voran. In neuen Burgstädten entlang der Dnjepr-Nebenflüsse siedelte er Ilmenslawen (Slowenen), Kriwitschen, Wjatitschen und Tschuden an, die die Angriffe der Petschenegen abwehren sollten. Die Verwaltung der einzelnen Regionen der Kiewer Rus vertraute er seinen zwölf Söhnen an. Allerdings schwächte diese faktische Teilung das Reich. Ein erster schwerer Konflikt brach noch zu Wladimirs Lebzeiten um die reiche Handelsstadt Nowgorod aus. Der (nach dem Tod seines älteren Bruders Wyscheslaw) designierte Thronfolger Jaroslaw erhielt diese nach Kiew wichtigste Stadt. Im Jahre 1014 weigerte sich Jaroslaw, seinem Vater den Tribut zu zahlen. Zu einem Feldzug Wladimirs gegen seinen Sohn kam es nicht mehr, weil Wladimir am 15. Juli 1015 starb.[197]

Die Kiewer Fürsten waren hoch angesehen und heirateten in ganz Europa; so schlossen sie dynastische Verbindungen unter anderem mit Norwegen, Schweden, Frankreich, England, Polen, Ungarn, dem Byzantinischen Reich und dem Heiligen Römischen Reich.[198] Eine kulturelle Blütezeit erreichte die Kiewer Rus unter den Großfürsten Wladimir dem Heiligen (Herrschaftszeit 978–1015) und Jaroslaw dem Weisen (1019–1054). Letzterer ließ im ganzen Reich nach byzantinischem Vorbild viele Kirchen, Klöster, Schreibschulen und Festungsanlagen errichten, reformierte die ostslawische Gesetzgebung, hielt sie erstmals schriftlich fest (Russkaja Prawda) und gründete in Kiew die erste ostslawische Bibliothek.

Die Kiewer Rus war jedoch ähnlich wie das Heilige Römische Reich kein einheitlicher Staat, sondern bestand aus einer Vielzahl von autonomen Teilfürstentümern, die von den Rurikiden regiert wurden.[199] Einer von ihnen erbte jeweils nach dem Senioratsprinzip die Großfürstenwürde und zog zum Regieren nach Kiew. Zu den russischen Teilfürstentümern zählten im 11. und 12. Jahrhundert Kiew, Tschernigow, Perejaslaw, Smolensk, Polozk, Turow-Pinsk, Rostow-Susdal, Murom-Rjasan und Galizien-Wolhynien sowie die Republik Nowgorod.

Die Kiewer Rus litt während ihres gesamten Bestehens an der geographischen Randlage in Europa an der Grenze zum sogenannten Wilden Feld. Wegen des Fehlens natürlicher Barrieren kamen aus den südlichen und südöstlichen Steppen immer neue Reitervölker wie Alanen, Petschenegen oder Kyptschaken (Polowzer), die das Reich mit ihren Überfällen immer im Kriegszustand hielten. Nicht selten war jedoch die aus Berufskriegern zusammengestellte Druschina des Großfürsten gegen die riesigen Reiterheere machtlos. Von einem solchen unglücklichen Feldzug gegen die Polowzer handelt das altrussische Igorlied.[200]

Es behandelt den im Jahre 1185 unternommenen missglückten Feldzug des Fürsten Igor Swjatoslawitsch von Nowgorod-Sewersk gegen die Polowzer, der ihn in Gefangenschaft brachte, aus der er jedoch entkam. Das Igorlied beklagt die Uneinigkeit der Russen und das Fehlen eines zentralen Herrschers.[201]

Die Dichtung ist mit 218 Strophen nicht sehr umfangreich. Das Manuskript wurde 1795 entdeckt, als der Gutsbesitzer Alexei Iwanowitsch Mussin-Puschkin es den Mönchen des Klosters in Jaroslawl mit anderen Manuskripten abkaufte. Er fertigte für Katharina die Große eine Abschrift an und veröffentlichte das Lied 1800 mit Hilfe der Paläographen Alexei Malinowski und Nikolai Bantysch-Kamenski. Die einzige erhaltene Originalhandschrift verbrannte während Napoleons Invasion 1812 beim großen Brand von Moskau mit der Bibliothek von Mussin-Puschkin. Im 19. Jahrhundert wurde das Werk vor allem in Osteuropa populär, aber auch in Deutschland, wo es unter anderem von Rainer Maria Rilke übersetzt wurde. Alexander Borodins Oper Fürst Igor mit den berühmten Polowetzer Tänzen basiert auf dem Igorlied. Die Echtheit des Igorliedes wurde früher und wird zum Teil noch heute von einigen Forschern angezweifelt. Ein wichtiger Punkt ist dabei das Verhältnis zum Epos von der Schlacht am Don, mit dem es Textteile gemeinsam hat.

Ein anderes großes Problem war die Erbfolgeregelung nach dem Senioratsprinzip, die bei fast jedem Thronwechsel in Kiew zu kriegerischen Feudalfehden unter den rurikidischen Anwärtern und ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zur zunehmenden Unabhängigkeit der einzelnen Fürstentümer sowie zum Herabsinken der führenden Rolle Kiewer Rus führten.[202] Nach dem Tod der einflussreichen Großfürsten Wladimir Monomach (1125) und seines Sohnes Mstislaw I. (1132), die die zerstrittenen Fürsten noch einmal unter der Oberherrschaft Kiews einen konnten, kam es zum endgültigen Zerfall der Kiewer Rus. Unter Juri Dolgoruki wurden in dieser „Salessje“ („Land hinter dem Wald“) genannten Region zahlreiche Städte gegründet, das politische Gewicht der neubesiedelten Gebiete stieg rasant. Sein Sohn Andrei Bogoljubski, Fürst von Wladimir-Susdal, konnte 1169 Kiew einnehmen und die Großfürstenwürde an sich reißen. Als erster Großfürst löste er diese vom Standort Kiew und regierte fortan aus Wladimir.

Die feudale Zersplitterung der Rus erleichterte es den ab 1223 einfallenden Mongolen, die ostslawischen Fürstentümer nacheinander zu unterwerfen. Das Erbe der Kiewer Rus ist heute in der russischen, ukrainischen und weißrussischen Historiographie teilweise umstritten. Dabei handelt es sich bei dieser Auseinandersetzung nicht um eine wissenschaftliche, sondern eine politische Frage.

Eine direkte Herrschaftsfolge zwischen dem Kiewer und Moskauer Reich ist in das russische Geschichtsverständnis eingegangen, da sich die rurikidischen Moskauer Großfürsten und Zaren als direkte Nachfahren und die einzig verbliebenen legitimen Erben der Kiewer Fürsten sahen.[203] Darüber hinaus wird in der russischen Historiographie das Kiewer Reich traditionell als einheitliches ostslawisches (russisches) Reich verstanden. In der Zarenzeit herrschte die Ansicht vor, dass es sich bei den Groß-, Klein- und Weißrussen um drei Linien des russischen Volkes handelt, das schon zur Zeit der Kiewer Rus bestand. In der Sowjetunion hatten die Ukrainer und die Weißrussen im Gegensatz dazu den Status eigenständiger Völker, die sich jedoch, wie auch das russische, aus einem zwischenzeitlich vollständig herausgebildeten altrussischem Volk entwickelten. Sowohl das Russische Kaiserreich als auch die Sowjetunion besaßen das Selbstverständnis eines „gemeinsamen Staates der Ostslawen“ und sahen sich nicht nur dazu berechtigt, sondern auch in der historischen Pflicht, alle ostslawisch geprägten, ehemaligen Gebiete der Kiewer Rus in sich zu vereinen.[204]

Fabergé- Eier

Zu den Sammlungen russischer Kunst gehören Ikonen seit dem 12. Jahrhundert, unter anderem aus Kiew, Nowgorod und Moskau, Juwelen aus der Fabergé-Werkstatt und eine große Zahl historischer Kostüme.

Als Fabergé-Eier werden Schmuckgegenstände in Form von Ostereiern bezeichnet, die zwischen 1885 und 1917 in der Werkstatt von Carl Peter Fabergé in St. Petersburg angefertigt wurden.[205] Dabei wird unterschieden zwischen Prunkeiern, die im Auftrag des Zaren hergestellt wurden (Kaiserliche), und solchen als Auftragsarbeiten von Personen, die es dem Zaren gleichtun wollten − wie dem Goldminenbesitzer Alexander Kelch oder dem Ölmagnaten Emanuel Nobel. Heute sind die Fabergé-Eier ein Inbegriff höchster Goldschmiedekunst und ein Symbol für Luxus.[206]

Mit normalen Hühnereiern fing die Produktion an. Dann kamen aus Holz gedrechselte hinzu, bemalt und häufig lackiert. Bald folgten welche aus Porzellan, Glas oder Metall. Denn zu Ostern, dem wichtigsten Fest der orthodoxen Kirche Russlands, ist es seit dem 17. Jahrhundert Brauch, sich am Tage der Auferstehung Jesu Christi geschmückte Eier und drei Küsse zu schenken.[207] Während sich die einfachen Leute zu diesem Anlass häufig mit zwei Eiern als Gabe begnügen mussten, durfte es am Zarenhof schon etwas Besonderes sein. Mit dem Ei, welches der Zar 1885 beim Hofjuwelier Fabergé in Auftrag gab, erhielt dieser Brauch eine neue Dimension.[208] Zar Alexander III. schenkte in diesem Jahr seiner Gattin Maria Fjodorowna mit dem Hennen-Ei ein Kleinod der Goldschmiedekunst. Die Begeisterung für das Werk war in der Folgezeit so groß, dass Alexander fortan jedes Jahr seiner Gattin ein Ei aus der Manufaktur Fabergés zu Ostern überreichte; insgesamt zehn bis zu seinem Tode (1895). Sein Sohn und Nachfolger Zar Nikolaus II. führte bis zu seinem Sturz (1917) die Tradition seines Vaters fort und ließ weitere 40 Eier herstellen, die er dann jeweils zu Ostern an seine Mutter und Gemahlin überreichte; lediglich unterbrochen durch den Russisch-Japanischen Krieg (1904/05).[209]

Mit der Zeit betrieben Fabergé und seine Werkstattmeister (v. a. Michael Perchin und Henrik Wigström) einen immer größeren Aufwand bei der Herstellung der Eier. Entsprechend dem Produktionsaufwand stiegen auch deren Preise: Kostete das Hennen-Ei noch 4.115 Rubel, waren es für das aus Elfenbein geformte und mit Perlen und Diamanten besetzte Maiglöckchen-Ei (1898) schon beachtliche 6.700 Rubel. Das bei weitem teuerste Ei war das 1913 produzierte Winter-Ei mit 24.600 Rubel. Kreiert wurde es für die Zarenmutter aus Anlass des 300-jährigen Bestehens der Romanow-Dynastie. Äußerlich war es in Erinnerung an einen besonders strengen Winter gestaltet. Im Inneren des Eis befindet sich ein kleiner aus Platin und Diamanten geflochtener Blumenkorb. Die Blumen im Korb sind wiederum aus Quarz geschnitten, wobei die Stängel und Staubbeutel aus Gold und die Blätter aus Nephrit gearbeitet sind.

Die weitere Geschichte der 50 Eier ist bestimmt durch die politischen Geschehnisse in Russland.[210] So nahm die Zarenmutter zu Beginn der Oktoberrevolution das letzte an sie verschenkte Ei, das St.-Georgsorden-Ei (1916), mit auf ihre Flucht nach Dänemark. Die restlichen Eier ließ Lenin beschlagnahmen. Anfang der 1920er Jahre verkaufte er die Eier schließlich an westliche Kunsthändler, wie etwa an den Geschäftsmann Armand Hammer, der nicht weniger als 13 Schmuckeier erstand.

Die größte Sammlung kaiserlicher (9) und nicht-kaiserlicher Eier (6) trug der amerikanische Verleger Malcolm Forbes zusammen.[211] Zur Royal Collection der britischen Königin gehören drei der kaiserlichen Eier. Fünf Eier erwarb der US-amerikanische Unternehmer John Lee Pratt, die er nach seinem Tod dem Virginia Museum of Fine Arts in Richmond überließ. Ein anderes befindet sich in Monaco, zwei weitere gehören der schweizerischen Sandoz-Stiftung; der Rest verteilt sich auf bekannte und unbekannte private Sammlungen. Im Februar 2004 kaufte der russische Oligarch Wiktor Wekselberg über seine The Link of Times Cultural and Historical Foundation für umgerechnet 100 Millionen Dollar zehn Eier aus der Forbes-Sammlung, welche seit dieser Zeit in Ausstellungen innerhalb und außerhalb Russlands betrachtet werden können.

Das erste kaiserliche Überraschungsei von 1885 ist eine fast exakte Kopie eines königlichen Ostereies aus dem 18. Jahrhundert, welches derzeit auf Schloss Rosenborg in Kopenhagen verwahrt wird.[212] Es sieht mit seiner weiß emaillierten Eierschale einem echten Ei sehr ähnlich. Die erste Überraschung ist der im Inneren befindliche Dotter aus Gold, der sich wiederum öffnen lässt und eine Henne offenbart, hergestellt aus Vierfarbgold, verziert mit Rubin-Augen. Ursprünglich lag darin eine kleine Zarenkrone, an der zwei Rubin-Eier hingen, als Schlussüberraschung.

Im Inneren des 8,2 cm hohen und mit einem Cabochonsaphiren und einem Rosendiamanten verzierten Eis von 1887 befindet sich eine Uhr der Uhrenmanufaktur Vacheron Constantin. Das Ei galt seit 1922 als verschollen, bis es 2014 von einem Schrotthändler auf einem Antiquitätenmarkt in den USA wiederentdeckt wurde. Nachforschungen haben ergeben, dass das Ei bereits 1964 bei Parke-Bernet versteigert, aber nicht als Fabergé-Ei erkannt worden war. Es wurde über den Antiquitätenhändler Wartski an einen privaten Sammler verkauft.[213]

Das im Louis-XVI-Stil gehaltene Osterei von 1890 wird durch sechs vertikale und drei horizontale Diamantrosen- und Lorbeerbänder in zwölf Sektionen unterteilt, wobei jeder Schnittpunkt mit einem Smaragdcabochon mit rosagoldenem Blumenornament verziert ist. Gekrönt wird dieses Ei durch ein Medaillon aus strahlenförmigen, ziselierten Akanthusblättern, in deren Mitte sich ein graublauer Sternsaphircabochon mit Diamantenrosenumrandung befindet. Das Akanthusblattmedaillon wird auch am unteren Teil des Eis verwendet.

Im Ei befindet sich ein faltbarer, zehnteiliger Goldrahmen; jede Tafel wird von einem Flechtbandfries umrandet, von einem ziselierten, vierfarbgoldenen Blumenkranz mit seitlichen Lorbeerzweigen gekrönt und steht auf griechischen Mäanderfüßen.

Die äußere Eierschale des Azova-Eis von 1891 besteht aus Heliotrop (oder Blutjaspis) und ist mit diamantenbesetzten Goldrocaillen ornamentiert. Der Verschlussmechanismus setzt sich aus einem Rubin und zwei Diamanten zusammen. Das mit grünem Samt ausgeschlagene innere Ei enthält eine aus Gold und Platin gearbeitete Miniaturnachbildung des Kreuzers Pamjat Asowa. Mit diesem Kreuzer hatte der damalige Zarewitsch Nikolaus 1890/91 die Welt umrundet. Die Bullaugen sind mit Diamanten besetzt, und der Name des Schiffes ist ins Heck geprägt. Das Schiff schwimmt auf einem goldfarbenen Aquamarin-Meer und lässt sich mittels einer Öse aus seinem Untersatz lösen.[214]

Das Kaukasusei im (späten) Louis-XV-Stil von 1893 hat jeweils in der Mitte vier ovale Medaillons mit Klappdeckeln. Diese sind an den Rändern mit Perlen verziert und haben in der Mitte einen ovalen, mit Bändern durchflochtenen Lorbeerkranz aus Diamanten, der sich wiederum um eine abermals aus Diamanten gefertigte Ziffer windet, wobei die vier Ziffern zusammen die Jahreszahl 1893 ergeben. Jedes Medaillon wird durch eine diamantenbesetzte Säule flankiert, an deren Enden jeweils eine goldene Perle sitzt. Auf der Spitze des Werkes befindet sich ein großer, von Diamantrosen und einem Lorbeerkranz eingeschlossener Porträtdiamant, darunter das Bildnis des Großfürsten Georg Alexandrowitsch (1871–1899), dem dritten Sohn des Zarenpaares, in seiner Marineuniform. Von der Eischulter hängen Rosengirlanden aus Vierfarbgold mit diamantenbesetzten Platinschleifen und Rosenzweiganhängern herab. Der untere Teil des Eis ist ähnlich verziert, mit kleineren Porträtdiamanten am Fuße. Auf jedem Medaillon befindet sich eine auf Elfenbeingrund gemalte Miniatur mit verschiedenen Ansichten der kaiserlichen Jagdhütte Abastuman im Kaukasus, in welcher der an Tuberkulose erkrankte Großfürst Georg Alexandrowitsch den größten Teil seines Lebens verbrachte und 1899 starb.

Das jahrzehntelang als verschollen gegoltene Rosenknospen-Ei von 1895 war das erste Geschenk von Zar Nikolaus II. an seine Gemahlin Alexandra Fjodorowna. Die Spitze des Eis wird von einem Porträt Nikolaus' II. gekrönt, während am Fuß die Jahreszahl mit Diamanten eingelassen ist. Im Ei befindet sich eine aufklappbare gelbe Rosenknospe, in der sich ursprünglich zwei weitere Überraschungen verbargen: eine Miniaturkopie der kaiserlichen Krone und ein eiförmiger Rubinanhänger. Beides war nahezu identisch mit der Krone und dem Anhänger des allerersten kaiserlichen Ostereies und wurde ebenfalls vom Ei getrennt, bevor die Sowjets dieses in den zwanziger Jahren verkauften.

Das teuerste unter allen royalen Schmuckeiern wurde von Sotheby's auf 24 Mio. Dollar taxiert.[215] Das Ei von 1897, das Zar Nikolaus II. seiner deutschen Gemahlin Alexandra überreichte, ist äußerlich dem Krönungsmantel der Zarin nachempfunden. Ein Tafeldiamant, unter dem die in Diamantrosen und Rubinen ausgelegten Initialen der Zarin zu sehen sind, ziert die Spitze des Eis. Am Fuß des Eis ist unter einem Tafeldiamanten die Jahreszahl 1897 eingelassen. Als Überraschung enthält das Krönungs-Ei ein von Georg Stein geschaffenes Modell der Kutsche, in der Zar Nikolaus II. und Zarin Alexandra Fjodorowna nach der Krönung gefahren wurden. Sie ist aus Gold, Platin sowie Emaille und mit diversen Juwelen besetzt. An der Decke der Kutsche hing ursprünglich ein winziges, dicht mit Diamanten besetztes Ei. Die Detailtreue der Kutsche geht soweit, dass sich beim Öffnen der Tür sogar ein kleiner Steg entfaltet.

Das Maiglöckchen-Ei ist vom Art-Nouveau-Stil charakterisiert.[216] Diesen Stil setzte Fabergé auch bei seinen Objets d'art an. Das Maiglöckchen-Ei wurde auf der Weltausstellung 1900 in Paris ausgestellt, während sich die Art-Nouveau-Euphorie in Paris auf dem Höhepunkt befand. Die äußere Schale ist mit den Lieblingsblumen und Lieblingsjuwelen (Perlen und Diamanten) der jungen Zarin verziert. Die Überraschung im Inneren besteht aus drei von Johannes Zehngraf geschaffenen Miniaturporträts von Zar Nikolaus II. und seinen beiden ältesten Töchtern, Großfürstin Olga und Tatjana, die durch eine Drehung des Perlknopfes aus dem inneren an der Spitze des Eis hervorkommen und sich entfalten.

Die auf einem rechteckigen Sockel stehende Uhr ist mit einem gelbgoldenen, transluziden Email auf guillochiertem Grund verziert. Die Uhr ihrerseits wird von einem zarten, aus Onyx gearbeiteten Lilienstrauß gekrönt. Die Blütenstempel sind dabei mit kleinen Diamanten besetzt, Blätter und Stängel sind aus gefärbtem Gold. Der Körper der Uhr wird durch diamantenverzierte Bänder in zwölf Sektionen untergliedert. Der ebenso mit Diamanten besetzte pfeilförmige Zeiger ist fest im Sockel verankert. Ein Emailleband mit zwölf diamantenverzierten römischen Ziffern dreht sich um den Perimeter des Eis und gibt dadurch die genaue Zeit an. Der mit Rosetten geschmückte Sockel trägt das in Diamanten gesetzte Produktionsjahr 1899.[217]

Die zum Stiefmütterchen-Ei von 1899 gehörende Überraschung besteht aus einer goldenen Miniaturstaffelei mit einem diamantengeschmückten, weißen Emailleherz, auf dem elf ovale Medaillons aus roter Emaille sichtbar sind. Jedes Medaillon ist aufklappbar und trägt in sich ein Porträt eines Mitgliedes der kaiserlichen Familie.

Ein Ei aus Silber mit aufklappbarem Deckel, geschmückt mit farbigem Email, auf weißem Onyx-Sockel stehend. Das zentrale Silberband ist graviert mit dem Streckenverlauf der Transsibirischen Eisenbahn und der Schrifttafel: Große Sibirische Eisenbahnstrecke im Jahr 1900.[218] Der Deckel des Eis ist mit grüner Emaille überzogen sowie mit eingelegten Akanthusblättern verziert. Gekrönt wird das Ei von einem dreiköpfigen Kaiseradler aus Silber und Gold, der eine Krone emporhält. Das Ganze wird von drei aus vergoldetem Silber gegossenen Greifen mit Schwert und Schild getragen. Der dreiseitige Sockel wurde aus weißem Onyx gefertigt, mit konkaven Seiten und abgerundeten Ecken. In den Sockel wurde ein vergoldetes Silberband eingearbeitet. Der dreiteilige Miniaturzug besteht aus einer Platin-Lokomotive mit Rubinscheinwerfern und Rücklichtern aus Diamanten und fünf goldenen Waggons mit Bergkristall-Fenstern.

Das Ei mit Liebestrophäen ist eine Kreation im Louis-XVI-Stil.[219] Es wird von einem goldenen Korb mit emaillierten Rosen gekrönt und von mit vier Laub- und Rosengirlanden verbundenen Pfeilköchern gerahmt.

Das im Rokoko-Stil gestaltete Pfauen-Ei besteht aus zwei Hälften aus geschliffenem Bergkristall.[220] Auf einer Hälfte ist mittig das Monogramm Maria Fjodorownas, auf der anderen das Datum graviert. Entlang der goldenen Fassung verlaufen gravierte Rocaillen. Das Ei liegt auf einem ebenfalls in Rocaillen ausgeführten Ständer. Die Überraschung stellt einen mechanischen Pfau dar, der auf einem Baum sitzt. Der Pfau besteht aus Gold mit Email. Der Mechanismus wurde 2008 überholt. Wird der Pfau aufgezogen beginnt er zu laufen, den Kopf zu bewegen sowie die Schwanzfeder zu öffnen und zu schließen. Die Entwicklung des Pfaues hat drei Jahre gedauert. Als Inspiration gilt eine Uhr aus dem 18. Jahrhundert, die Kathrina der Großen als Geschenk erhalten hat und ebenfalls einen auf einem Baum sitzenden Pfauen darstellt. Sie ist heute in der Eremitage ausgestellt.

Das Alexanderpalast-Ei ist ein Nephrit-Ei mit fünf Miniaturporträts der Kinder Nikolaus' II.; als Überraschung im Inneren befindet sich eine dreidimensionale Replik des Alexanderpalastes in Zarskoje Selo. Der obere und untere Teil des Eis ist jeweils mit einem rechteckigen Diamanten besetzt und trägt das Monogramm A.F. (Alexandra Fjodorowna), beziehungsweise die Jahreszahl 1908. Die Diamanten werden umkränzt von Einlegearbeiten in Form goldener Kränze aus diamanten- und rubinbesetzten Blättern und Blumen. Über die äußere Schale ziehen sich fünf diamantenbesetzte Bänder, die durch goldene Girlanden mit Einlegearbeiten aus Rubinrosen miteinander verbunden werden. In den dadurch entstandenen Sektionen befinden sich fünf Medaillons mit den Porträts der Kinder des Zarenpaares, ausgeführt in Aquarell auf Elfenbein und von Diamanten gerahmt.[221]

Jedes der Porträts wird von einem Diamantenmonogramm des abgebildeten Kindes gekrönt. Unter den Medaillons hängen zwei zu einer Schlaufe geflochtene Goldzweige. Auf der Rückseite der Porträts befindet sich im Inneren des Eis das eingravierte Geburtsdatum eines jeden Kindes, jeweils mit zwei ornamentalen Zweigen verziert. Als Überraschung befindet sich im Ei-Inneren eine Miniaturreplik des Alexanderpalastes mit seinen Gartenanlagen. Sie ist aus gefärbtem Gold und Emaille hergestellt und liegt auf einem runden Piedestal mit fünf hohen Beinen auf, welche am unteren Ende miteinander verbunden sind. Der Sockel trägt die mit einem Lorbeerkranz geschmückte Inschrift: Der Alexanderpalast in Tsarkoe Selo.

Im Inneren des Eis mit Reiterstatue Alexanders III. (1910) steht eine Goldreplik eines Reiterdenkmals Alexanders III. auf einem rechteckigen, mit zwei Rosenbändern garnierten Lapislazuli-Sockel.[222] Das Miniaturdenkmal ruht in einem aus Bergkristall gemeißelten Ei, dessen äußere Schale mit platiniertem, von Rosen durchsetztem Filigran überzogen ist. Die Replik ist eine Nachbildung eines Denkmals des Fürsten Pawel Trubezkoi. Die Eispitze wird von einem großen Tafeldiamanten gekrönt, unter dem die Jahreszahl 1910 eingraviert ist. Der Diamant wird umkränzt von einem Band aus kleinen Rosen, von dem sich Akanthusblätter aus Platin rosettenförmig ausbreiten. Auf beiden Seiten der Schale befinden sich doppelköpfige Adler aus Platin mit kleinen Diamantkronen. Der untere Teil des Eis dient dem Miniaturdenkmal als Plattform und wird von gegossenen Platin-Voluten mit Cherubimköpfen getragen. Diese ruhen auf einem Bergkristall-Sockel in Gestalt einer vierblättrigen Rosette. Auf der Rechnung vom 17. April 1910 ist dieses Ei aufgeführt als „Großes Ei aus graviertem Topas in massiver Platinmontierung im Renaissancestil, auf einem ähnlichen Oberteil aus dem gleichen Topas, 1318 Diamantrosen und 1 großer Diamant. Innen eine auf einem Lapislazulisockel stehende, mattgoldene Reiterstatue von Zar Alexander III., mit der Aufschrift „in St. Petersburg, 12. Juli 1910.“

Das Ei wurde aus Anlass des 15. Thronjubiläums Nikolaus' II. geschaffen und ist mit Miniaturen von Wassili Sujew bedeckt.[223] Die Miniaturen zeigen den Zaren und seine Familie sowie wichtige Ereignisse seiner Herrschaft (Krönung, Friedensschluss). Von allen kaiserlichen Prunkeiern bringt dieses Ei eine Reihe sowohl sehr privater Momente der Familie als auch öffentlicher Leistungen des Zarenpaares am besten zum Ausdruck. Das Ei bebildert die Ehe des Zarenpaares (die Vermählung war am 12./26. November 1894) und die fünf Kinder sowie Ereignisse der bisherigen Regentschaft.[224]

Das im Empirestil gestaltete Napoleonische Ei von 1912, wird durch sechs vertikale und vier horizontale Doppelbänder aus Diamantrosen, zwischen denen goldene Lorbeer-Bordüren verlaufen, in grüne Guilloché-Emaillefelder unterteilt und erinnert an den Sieg über Napoléon 100 Jahre vorher.[225] Die sechs zentralen Felder tragen getriebene und gegossene Goldapplikationen: abwechselnd den kaiserlichen Doppeladler und Kriegstrophäen. Auf den Bändern oberhalb und unterhalb der Mittelfelder befinden sich abwechselnd Rosetten aus Diamantrosen und runde Ornamente aus rotem Email, dazwischen sind traditionelle Blatt- und Rocaille-Applikationen angebracht. Die Spitze des Eis verzieren diamantenbesetzte Bordüren mit Sonnenstrahlenmotiven, im Zentrum ein Tafeldiamant mit Krone und dem Monogram der Zarenwitwe MF. Unten befindet sich ein kleinerer Diamant mit der Jahreszahl 1912. Das in der Mitte aufklappbare Ei enthält einen sechsteiligen, achteckigen Faltrahmen mit Miniaturen der Regimenter der Zarin, signiert und datiert von Wassili Sujew auf das Jahr 1912.

Die Rahmen der Miniaturen bestehen aus inneren Diamantrosenbändern und äußeren grün emaillierten Lorbeerkränzen. Scharniere in Form von Faszes mit diamantenbesetzten Bändern. Rückseite der Tafeln mit Monogramm MF (Maria Fjodorowna) auf rundem grünem Guilloché-Emaillefeld.

Beim Ei zum 300. Herrschaftsjubiläum der Romanow-Dynastie (1913) handelt es sich um ein goldenes Ei mit 18 Miniaturbildnissen aller Romanow-Zaren auf Piedestal in Gestalt eines dreiseitigen kaiserlichen Adlers.[226] Das Schmuck-Ei ist mit transparenter weißer Email auf guillochiertem Grund überzogen. Die 18 in Diamanten gerahmten Bildnisse von Wassili Sujew umschließen die Romanow-Zaren von Michael Feodorowitsch bis Nikolaus II. Die Zwischenräume zwischen den Medaillons schmücken Einlegearbeiten mit heraldischen Adlern, Zarenkronen und floralen Elementen. Die Ei-Spitze ziert ein großer Tafeldiamant, darunter die Jahreszahlen 1613 und 1913. Das untere Ende des Eis schmückt ein großer dreieckiger Diamant mit den Initialen AF (Alexandra Fjodorowna). Das Innere des Eis ist mit opalisierendem Email auf guillochiertem Grund ausgelegt. Es enthält einen drehbaren Stahlglobus mit dunkelblauem Emailleüberzug, auf dem je Halbrund die russischen Gebiete von 1613 und 1913 in Gold dargestellt sind. Der Purpurin-Sockel ist mit kleinen emaillierten Emblemen verziert und ruht auf drei gegossenen Füßen in Form von flachgedeckten Gewehrkugeln.

Das Mosaik-Ei stammt aus dem Jahre 1914. Der aus Platinmaschen bestehende Eikörper ist mit einer großen Anzahl an kalibrierten Edel- und Halbedelsteinen durchsetzt. Die im Ei-Inneren durch zwei goldene Clips gehaltene Überraschung besteht aus einem goldenen, transparent-grün und opak-weiß emaillierten Bilderständer, der mit Perlen, Diamanten und grünen Granaten besetzt ist und von einer diamantenen Kaiserkrone gekrönt wird. Das ovale Medaillon zeigt die grau emaillierten Profile der Zarenkinder auf rosa Grund.[227]

Dieses Stück ist ein weiß emaillisiertes Osterei mit zwei erdbeerroten Guilloché-Emaille-Kreuzen auf der Vorder- und Rückseite. Im Zentrum des Kreuzes auf der Rückseite befindet sich ein Medaillon mit dem Bildnis der Großfürstin Olga, auf der Vorderseite ein Miniaturporträt der Großfürstin Tatjana. Die beiden ältesten Zarentöchter sind jeweils in ihren Rotkreuz-Uniformen abgebildet. Die beiden vorderen Teile des Eis lassen sich zu einem Triptychon aufklappen. Im zentralen Motiv sind die Höllenqualen dargestellt. Jesus Christus steht über den Pforten der Hölle, welche er gerade eingerissen hat. Er ergreift Adam an der rechten Hand und ist umgeben von Patriarchen und Propheten.

Die zentrale Szenerie wurde in natürlichen Farben gemalt, den internationalen Vorschriften für solch ein Sujet folgend jedoch in einer allgemeinen Goldtönung gehalten. Die aufklappbaren Flügel des Triptychons sind in natürlichen Farben auf Goldgrund gemalt. Die Ränder und größeren Inschriften sind aus opaker weißer Email. Zum Ei gehören zusätzlich eine Schatulle aus weißem Samt und ein goldener Ständer, der vermutlich erst in neuerer Zeit angefertigt wurde. Die Inschriften auf dem Ei: Monogramm und kaiserliche Krone für Alexandra Fjodorowna; die Jahreszahl 1915; kyrillische, altkirchenslawische und lateinische Buchstaben identifizieren die Heiligen Olga und Tatjana und beschreiben wahrscheinlich das zentrale Szenarium des Triptychons.[228]

Ein Stahl-Ei mit Goldapplikationen, gekrönt von einer goldenen Krone und getragen von vier Artilleriegeschossen.[229] Zwei dünne horizontale Linien untergliedern das Ei in drei Sektionen. Auf dem breiten Mittelband goldene Einlegearbeiten; Darstellung: Georg der Eroberer in diamantenförmigem Lorbeerblattrahmen, Jahreszahl 1916 im Lorbeerkranz, russischer Kaiseradler unter drei Kronen und Monogramm der Zarin Alexandra Fjodorowna, gleichfalls im Lorbeerkranz. Die vier Artilleriegeschosse, auf denen das Ei ruht, stehen auf einem quadratischen, doppelstöckigen Nephrit-Sockel. Als Überraschung enthält das Ei eine Miniaturstaffelei aus Stahl mit dem Monogramm der Zarin AF. Auf der Staffelei steht ein Rahmen aus Gold und weißem Email, gekrönt vom Emblem des St.-Georgsordens und einer goldenen Krone. Die Malerei von Wassili Sujew zeigt den Zaren Nikolaus II. und seinen Sohn an der Front.[230]

Hintergrund der Produktion dieses weniger extravaganten und formstrengen Eis war die Verleihung des St. Georgsordens an den Zaren Nikolaus II. Hinter der Medaille des Ordens befindet sich ein Miniaturporträt des Zaren, das per Knopfdruck zum Vorschein kommt. Auf der Rückseite öffnet sich ein Medaillon mit einem Bildnis des Zarensohns Alexej.

Mittel- und westeuropäische Kunstsammlung

Da der größte Teil der russischen Kunst mittlerweile in das Russische Museum ausgelagert wurde, ist die mittel- und westeuropäische Kunst und Kultur der bedeutsamste Teil der Sammlung.

Von Beginn an, jedoch vor allem durch die Sammeltätigkeit im 18. Jahrhundert, lag der Schwerpunkt der Eremitage auf der mittel- und westeuropäischen Kunst. In ganz Europa entstanden in dieser Zeit umfangreiche Sammlungen von bedeutenden Kunstwerken – der russische Kaiserhof genoss in dieser Zeit einen besonderen Ruf als einer der größten Aufkäufer von wertvollen Sammlungen. 1772 ging eine der berühmtesten Kollektionen der Zeit, die Sammlung Crozat, in russischen Besitz über. Darunter waren Tizians Danaë, Raffaels Heilige Familie, Rubens Bildnis einer Kammerfrau und viele andere.

Pierre Crozat (1661 oder 1665-1740) war ein sehr vermögender französischer Steuereinnehmer, Finanzmann, Kunstsammler und Mäzen, der unter anderem den Kunstmaler Jean-Antoine Watteau förderte. Im Vergleich zu seinem noch reicheren Bruder Antoine Crozat, genannt „der Reiche“ wurde er – selbstverständlich zu Unrecht – „Crozat der Arme“ genannt. Pierre Crozat war der Sohn des einflussreichen Finanzmannes und Magistrats oder „capitouls“ Antoine Crozat und dessen Gemahlin Catherine Saporta. Er machte als „trésorier de France“ in Montauban und „trésorier des États“ der Provinz Languedoc Karriere. Um das Jahr 1700 zog er nach Paris.[231]

In Montmorency, nördlich von Paris, kaufte er im Jahr 1702 das frühere, seit 1689 unbewohnte Anwesen des ersten Hofmalers Charles Le Brun. Er ließ das dazugehörige, sogenannte Petit château renovieren und im Osten des etwa zwanzig Hektar großen Parks von dem Architekten Sylvain Cartault ein prächtiges neues Schloss errichten, das 1709 vollendet war. Im Jahr 1719 entstand nach den Plänen von Gilles-Marie Oppenord (1672–1742) die – im Gegensatz zu den Schlössern – noch heute existierende halbkreisförmige Orangerie. In Montmorency, dessen Park Watteau als Motif diente, residierte Crozat – abgesehen von seinen Aufenthalten in Paris – bis zu seinem Tod im Jahr 1740.[232]

Des Weiteren erwarb er im Jahr 1704 in Paris eine große, an der Rue de Richelieu bei den heutigen Hausnummern 91 und 93 gelegene Parzelle und gab bei Sylvain Cartault den 1706 vollendeten Bau eines luxuriösen hôtel particuliers (Stadtresidenz) in Auftrag. Die zur Gartenseite gelegene große Galerie schmückte Charles de La Fosse aus, für den Speisesaal schuf Crozats Schützling Watteau die „Vier Jahreszeiten“.

Der avisierte Kunstliebhaber und -sammler empfing sowohl in Paris als auch in seinem Landhaus in Montmorency zahlreiche Künstler, Kunstkenner und Kritiker. Nahezu ständig anwesende Stammgäste waren Charles de La Fosse (1640–1716), der in seinem Haus starb, und Crozats junger Schützling Watteau (1684–1721), den er von 1715 bis 1717 beherbergte. [233]

Zu dem Besucherkreis, der sich wöchentlich zusammenfand gehörten neben dem Porträtisten François de Troy (1645–1730), der wie der Gastgeber selbst aus dem Languedoc stammte, und seinem Sohn Jean François de Troy (1679–1752) der Pariser Maler Nicolas de Largillière (1656–1746), der Sammler und Gönner Watteaus Jean de Julienne (1686–1766), der Kupferstecher und Archäologe Graf von Caylus (1692–1765) und der Pariser Kupferstecher, Sammler und Kunstkritiker Pierre-Jean Mariette (1694–1774). Weitere Gäste waren der Pariser Bildhauer Pierre Le Gros (1666–1719) sowie die jungen Maler Natoire (1700–1777) und François Boucher (1703–1770). Crozat empfing auch den im flämischen Milieu des Bezirkes Saint-Germain-des-Près aufgewachsenen Nicolas Vleughels (1668–1737), der sich längere Zeit in Venedig aufgehalten hatte, und renommierte ausländische Künstler wie beispielsweise die Venezianer Sebastiano Ricci (1659–1714), Giovanni Antonio Pellegrini (1675–1741) und die Pastellmalerin Rosalba Carriera (1675–1757).

Crozats Kunstsammlung war die größte private Sammlung dieser Art in Frankreich des 18. Jahrhunderts. Er wurde schon früh durch seine zahlreichen Geschäftsreisen nach Italien zum Kunstliebhaber und -sammler; sein Ansehen als Kenner war so groß, dass er 1715 vom Duc d’Orleans als Sachverständiger bestellt wurde und für den Herzog Kunstwerke aus italienischen Sammlungen einkaufte.

Die meisten Werke in der Sammlung Crozat waren italienischer Herkunft, wobei die venezianische Schule überwog. Nach Gattungen kategorisiert, offenbart die Sammlung eine Vorliebe für die Historienmalerei, also einen traditionellen Geschmack. Die niederländischen Künstler waren nicht annähernd so zahlreich wie die Italiener vertreten, die flämische und holländische Schule mit je knapp fünfzig Werken dennoch recht umfangreich.[234]

Diese einzigartige Sammlung ging zunächst auf Crozats Neffen Louis François Crozat (1691–1750) über und nach dessen Tod erhielt Louis-Antoine Crozat, Baron de Thiers (1699–1770) die Kunstsammlung, der sie mit seiner eigenen Kollektion vereinigte, die vor allem französische und niederländische Künstler enthielt. Später erbte er noch die Bildersammlung seines jüngeren, kinderlosen Bruders Joseph-Antoines Baron de Tugny (1696–1751) und führte die Sammlungen zusammen. Auch setzte Louis-Antoine Crozat die Sammeltätigkeit fort und bereicherte die Sammlung erneut. Sie wurde schließlich im Jahr 1772 mit Unterstützung des Philosophen Denis Diderot von der russischen Zarin Katharina der Großen aufgekauft, so dass die Sammlung Crozat sich heute größtenteils in der Ermitage in Sankt Petersburg befindet.[235] Die grafische Sammlung wurde 1741 bereits versteigert, der vom Kupferstecher und Kunsthändler Pierre-Jean Mariette besorgte Katalog zählt fast 2000 Nummern, wobei viele Nummern mehrere Blätter – auch verschiedener Künstler – zusammenfassen.

In 120 Räumen befinden sich vor allem Werke italienischer, französischer, niederländischer und flämischer Maler, ebenso gibt es die Themenbereiche englische und deutsche Kunst.

Die italienische Malerei bildet im Bereich der klassischen europäischen Kunst wahrscheinlich den wichtigsten Teil der Sammlung. Berühmt und meist von Besuchern umlagert sind zwei der weltweit bekannten zwölf Originale von Leonardo da Vinci, die Madonna mit einer Blume (1478) und die Madonna Litta (1490/91).[236]

Die „Madonna mit der Blume“ wird nach ihrem letzten Vorbesitzer allgemein als „Madonna Benois“ bezeichnet. Bekannt wurde das Bild 1909, als es ohne Zuschreibung an einen bestimmten Künstler auf einer Ausstellung mit Meisterwerken aus russischem Privatbesitz in St. Petersburg gezeigt wurde. Veranstalter der Ausstellung war das Magazin „Starye Gody“ (Die frühen Jahre). Dort wurde die Tafel von Baron Ernst von Liphart, Archivar aller kaiserlich russischen Museen, entdeckt, der sie noch im gleichen Jahr als eine eigenhändige Arbeit des Leonardo da Vinci publizierte.[237] Trotz einiger kleinerer Mängel – das leere Fenster im Hintergrund, die hohe, fast glatzenartige Stirn, der faltige Hals oder die nur schwach angelegten, kaum sichtbaren Zähne –, die vermutlich darauf zurückzuführen sind, dass das Bild nicht ganz vollendet wurde, fand die Zuschreibung allgemeine Anerkennung.

Als mögliche Vorarbeiten gelten die Zeichnungen „Madonna bietet dem Kind eine Fruchtschale“ im Louvre in Paris und „Die Madonna mit dem Kinde, das eine Katze umarmt“ im British Museum in London.

Das Bild kam vermutlich schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Russland, wo es bereits 1824 von seinem alten Bildträger, einer Holztafel, gelöst und auf Leinwand übertragen wurde.[238] Nacheinander befand es sich in den Sammlungen der Generäle Korsakow und Kurakin, bevor es in den Besitz der russischen Gattin des französischstämmigen Malers Léon Benois überging. Von ihr erwarb es 1914 der russische Zar Nikolaus II. für die Eremitage zu einem Preis von umgerechnet rund 1,5 Millionen US-Dollar. Damit war es das bis dahin am teuersten verkaufte Gemälde.

Das Bild der „Stillenden Madonna“, die nach ihrem langjährigen Besitzer allgemein als „Madonna Litta“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist, gilt als eines der bekanntesten Werke von Leonardo da Vinci, obwohl die Mehrheit der Kunstwissenschaftler sie ihm heute nicht mehr zuschreibt.[239] Schon lange wird versucht, Giovanni Antonio Boltraffio als ihren Schöpfer festzulegen. Neuere Forschungen gehen allerdings davon aus, dass es nur teilweise von ihm stammt und wesentliche Teile von Marco d’Oggiono ausgeführt worden sind. Es ist belegt, dass beide Maler innerhalb der Leonardo-Werkstatt gemeinsame Aufträge ausführten, wofür die ehemals ebenfalls Leonardo zugeschriebene „Auferstehung Christi mit den Heiligen Lionardo und Lucia“ in der Berliner Gemäldegalerie ein imposantes Beispiel ist.[240]

Die ältesten Hinweise auf das Bild stammen vermutlich aus dem Jahr 1583. Zu der Zeit befand sich in der Sammlung Pietro Contarini in Venedig eine Madonnentafel, die überwiegend mit der „Madonna Litta“ identifiziert wird. Gegen 1784 gehörte die Tafel anscheinend zur Sammlung des Prinzen Belgioioso, bevor sie 1813 in die Sammlung Litta kam, aus der sie durch Erbschaft in die der Visconti von Mailand überging. Dort galt sie traditionell als ein eigenhändiges Werk Leonardos, was Zar Alexander II. 1865 dazu veranlasste, sie für die Eremitage zu erwerben. Als Bestätigung für die Zuschreibung galt die 1855 von Vallardi entdeckte Zeichnung Kopfstudie, die sich heute im Louvre in Paris befindet.

Gleich nach dem Ankauf wurde das Werk von seinem alten Bildträger, einer Holztafel, getrennt und auf Leinwand übertragen. Hierbei kam es zu erheblichen, irreparablen Beschädigungen.

Zwischen 1880 und 1886 wurde die Autorenschaft von Leonardo da Vinci durch Morelli erstmals bezweifelt.[241] Er schrieb die Tafel Bernardino de’ Conti zu. Dieser Meinung schlossen sich 1896 Harck, 1902 Delarow, 1907 Wolynski und erstmal auch Berenson an. Abgelehnt wurde die Zuschreibung von Hildebrandt, Seidlitz und A. Venturi, die in dem Werk eine Arbeit der damals erst wenig erforschten Brüder Evangelista und Ambrogio de Predis sehen wollten. Bode, Botari, Poggi, Sirén und L. Venturi gingen sogar so weit, die Tafel nur als die Arbeit eines unbekannten Meisters der Mailänder Schule zu betrachten, der sie nach einem Karton oder Zeichnungen von Leonardo ausführte. Suida schlug dann erstmals Marco d’Oggiono als Schöpfer vor.

Trotz dieser neuen Zuschreibungsversuche hielten zahlreiche Kunstkritiker an der traditionellen Zuschreibung an Leonardo fest, so 1899 Somof, 1901 Cook, 1912 Liphart und 1952 Goldscheider. Goldscheider räumt allerdings ein, dass Teile von fremder Hand gemalt worden seien. Als ihren Urheber schlägt er Giovanni Antonio Boltraffio vor. Dies gewann immer mehr Befürworter, und bald überwogen die Zuschreibungen an Boltraffio. Eine Bestätigung erfolgte 1984 durch Ballarin, der im Berliner Kupferstichkabinett eine Gewandstudie für die „Madonna Litta“ als Werk von Boltraffio erkannte. Bereits 1902 hatte Loeser Boltraffio als Zeichner vorgeschlagen, doch war das Blatt durch falsche Ablage bald darauf wieder in Vergessenheit geraten. 1929 wurde es noch einmal von Suida als Werk eines lombardischen Künstlers publiziert, bevor es erst Anfang der 1980er Jahre wieder Beachtung fand. Die Zuschreibung an Boltraffio ist, außer durch Brown (der die Zeichnung als Arbeit von Marco d’Oggiono publizierte), allgemein anerkannt.

Obwohl die Zuschreibung an Leonardo da Vinci heute als widerlegt gilt, wird die „Madonna Litta“ in der Eremitage bis heute als ein eigenhändiges Werk von ihm ausgestellt.[242]

Einen ebenso hohen Status genießen die Madonna Conestabila (1502/03) und Die Heilige Familie (1506) von Raffael. Zudem befindet sich ein, allerdings wesentlich späterer, Nachbau der vatikanischen Raffael-Loggias im Museum. Das Museum beherbergt weitere Werke von Tizian, vor allem aus seiner späteren Phase, Giorgiones Judith sowie Bilder von Michelangelo, Paolo Veronese, Caravaggio, Annibale Carracci, Luca Giordano, Salvator Rosa, Giuseppe Maria Crespi, Tiepolo, Stefano Torelli und Francesco Guardi.

Bekannteste Namen der Sammlung spanischer Malerei sind El Greco (Die Apostel Petrus und Paulus), Jusepe de Ribera (Christus am Kreuz – das erste datierte Bild der realistischen Schule der spanischen Malerei), Francisco de Goya (Porträt von Antonia Zarate, etwa 1811, nur ein Gemälde in der Eremitage) und Velazquez. Weiterhin hängen dort Werke von Murillo, Zurbaran und Juan Pantoja de la Cruz.

Die Eremitage beherbergt etwa 500 Gemälde von über 140 Künstlern aus der bedeutendsten Phase der flämischen Schule.[243] Insbesondere hat sie eine bedeutende Sammlung der Werke von Jacob Jordaens sowie von Peter Paul Rubens und seiner Schüler Anthonis van Dyck, und Frans Snyders. Allein von Rubens befinden sich 22 Gemälde (unter anderem Perseus und Andromeda und Bacchus) und 19 Zeichnungen in der Sammlung. Begründet wurde dieser Teil der Sammlung 1769, als der russische Staat von den Erben Heinrich von Brühls 600 flämische, holländische und französische Gemälde kaufte. Darunter waren Rembrandts Bildnis eines Gelehrten und Bildnis eines alten Mannes in Rot sowie vier Landschaftsgemälde von Jacob Izaaksoon van Ruisdael.

Neben der Malerei des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ist wahrscheinlich die Ausstellung der Bilder Rembrandts der bekannteste Teil der Kunstsammlung. Das Museum beherbergt mit über 20 Gemälden die größte Sammlung außerhalb der Niederlande; bedeutende Gemälde sind beispielsweise Saskia als Flora (1634), Danae (1630er/40er) und Die Rückkehr des verlorenen Sohnes (1668/69).

Saskia als Flora ist ein von Rembrandt gemaltes Porträt aus dem Jahr 1634. Das 125 Zentimeter hohe und 101 Zentimeter breite Gemälde zeigt Rembrandts Ehefrau Saskia van Uylenburgh in der Rolle der Flora, die in der römischen Mythologie die Gottheit der Blüte und des Frühlings war.[244]

Das Porträt Saskia als Flora zeigt Rembrandts Ehefrau, Saskia van Uylenburgh, im Jahr ihrer Hochzeit. Sie ist das zentrale Bildmotiv; stehend abgebildet. Die Kleidung ist mit opulenten Stickereien verziert und hebt sich hell vom dunklen Bildhintergrund ab. Saskia wird mit Blumenelementen als Attribute eindeutig als Flora ausgewiesen. Sie trägt Blumenschmuck auf dem Kopf und hält einen mit Blumen geschmückten Stab in der Hand. Das Gesicht Saskias wird von Rembrandt durch die Lichtführung betont.

Das Porträt wird durch die Blumen-Attribute allgemein als Darstellung der Flora anerkannt. Ob es jedoch wirklich Saskia darstellt, ist umstritten. Von den Befürwortern werden Ähnlichkeiten zwischen einer Zeichnung von ihr, die Rembrandt 1633 kurz nach ihrer Verlobung anfertigte, einem Porträt von Saskia als Flora in der National Gallery in London und dem Sankt Petersburger Porträt angeführt. Auch wenn die Malgründe unterschiedlich sind, könnten die Ähnlichkeiten der Gesichter und Körper nicht zufällig sein. Die Experten des Rembrandt Research Projects haben sich in ihrem Werk A Corpus of Rembrandt Paintings Volume II. aus dem Jahr 1986 nicht davon überzeugt gezeigt.

Daneben sind weitere 1000 Stücke niederländischer Maler ausgestellt. Vertretene Künstler sind Lucas van Leyden, Rogier van der Weyden, Jacob van Utrecht, Jan van Goyen, Jacob van Ruisdael, Jan Steen, Gerard ter Borch, Pieter de Hooch, Adriaen van Ostade, Isaac van Ostade, Paulus Potter, Willem Claesz Heda, Willem Kalf und von Frans Hals.

Die Eremitage beherbergt eine große Auswahl klassischer französischer Maler.[245] Dazu gehören Nicolas Poussin, Claude Gellée, Gemälde der Brüder Le Nain, von Antoine Watteau, François Boucher, Jean-Honoré Fragonard, Hubert Robert, Jean Baptiste Greuze und Jean Siméon Chardin. Besonders bekannt ist sie aber für ihre große Sammlung früher moderner Malerei, die – bis zum historischen Bruch 1917 – einen umfassenden Einblick in die Entwicklung der Malerei erlaubt. Dazu gehören sieben Bilder von Claude Monet, weitere von Édouard Manet, Pierre-Auguste Renoir, Alfred Sisley, Paul Cézanne, Paul Gauguin, 37 Bilder von Henri Matisse und 31 Bilder von Pablo Picasso.

Andere vertretene Maler sind u. a. Lucas Cranach der Ältere, Johann Friedrich Tischbein, Caspar David Friedrich, Vincent van Gogh, Joshua Reynolds, Thomas Gainsborough, William Allan usw.

Russische Avantgarde

In der Ermitage werden auch Bilder der russischen Avantgarde gezeigt. Mit dem Begriff russische Avantgarde wird eine künstlerische Epoche in Russland bezeichnet, die zwischen etwa 1905 und 1934 stattfand. Hierbei kam auch die Integration von Bildender Kunst, Literatur, Musik und Theater in Bühnenbild-, Figurinen- und Plakatentwürfen zur Geltung.[246]

Die russische Avantgarde war ein Prozess der Umwälzung und Erneuerung in allen Bereichen der Kunst Russlands. Einerseits orientierte sie sich an den neuesten französischen Kunstentwicklungen, während sie sich andererseits mit ihren engen Bezügen zur bildnerischen Volkstradition identifizierte. Alle Künstler dieser Epoche vereinte das Bestreben, eine Synthese zu schaffen aus volkstümlichen Elementen, modernen Strömungen und der zeitgemäßen Tendenz der Abstraktion gerecht zu werden. Mit letzterem wurde versucht, an die technischen Errungenschaften der damaligen Zeit anzuknüpfen. Zwischen westlichen Einflüssen und östlichen Traditionen entstand so eine Kunst von großer Souveränität. Eine ganze Reihe von Kunstströmungen wie Neoprimitivismus, Kubofuturismus, Rayonismus Konstruktivismus, aber auch analytische Kunst, Projektionismus und Kosmismus prägten diese Entwicklung.[247]

Als einer der Höhepunkte dieser Epoche wird die Ausstellung „Karo-Bube“ vom Dezember 1910 bis Januar 1911 definiert und die sich im Oktober 1911 aus den beteiligten Künstlern formell gegründete gleichnamige Künstlergruppe „Karo-Bube“.

Der Karo-Bube war eine in Moskau von 1910 bis 1917 bestehende Gruppe, die sich nach der gleichnamigen Kunstausstellung von 1910/1911 in Moskau benannte. Sie gilt als wesentlicher Teil der russischen Avantgarde in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Der Name der Künstlergruppe, der sich auf die Spielkarte Karo-Bube bezieht, war wegen der Nebenbedeutung „Spitzbube“ provokativ: so wurde im zaristischen Russland die Häftlingskleidung mit einem aufgenähten schwarzen Quadrat markiert und im französischen Kartenspielerjargon wurde der Karobube mit dem Betrüger assoziiert.[248] Bube ist auch als Symbol der Jugend und des Enthusiasmus zu verstehen.

Die Künstler des Karo-Buben orientierten sich am Post-Impressionismus Paul Cézannes, am Fauvismus und am Kubismus, aber auch an den Traditionen des russischen Lubok und der Gestaltung volkstümlichen Spielzeugs.[249]

Die ersten Mitglieder waren Moskauer Maler, später kamen auch Künstler aus Sankt Petersburg und anderen russischen Städten sowie auch aus Deutschland und Frankreich hinzu.[250] 1912 verließen die zu Primitivismus, Kubofuturismus und Abstrakter Malerei tendierenden Brüder Dawid und Wladimir Burljuk sowie Natalija Gontscharowa, Kasimir Malewitsch und Michail Larionow die Gruppe, um die unabhängige Vereinigung Eselsschwanz zu gründen. Die Gruppe Karo-Bube bestand bis Dezember 1917. Sie veranstaltete insgesamt sechs Ausstellungen, darunter eine Wanderausstellung, dazu drei Vortragsveranstaltungen, die Dispute, im Polytechnischen Museum, Moskau. Im März 1927 wurde in der Tretjakow-Galerie eine retrospektive Ausstellung der Künstler der Gruppe veranstaltet.[251]

Die Ausstellung kam durch die Künstler Aristarch Lentulow, Michail Larionow, Kasimir Malewitsch und Natalia Gontscharowa zustande.

Aristarch Wassiljewitsch Lentulow (1882- 1943) war ein russischer und sowjetischer Maler, Bühnenbildner und Pädagoge. Geboren in der Familie eines orthodoxen Geistlichen, studierte Lentulow Malerei an den Kunsthochschulen in Pensa (1898–1900 und 1905–1906) und Kiew (1900–1905), danach privat bei Dmitri Kardowski in Sankt Petersburg (1906–1907). Er nahm an Ausstellungen 1907 in St. Petersburg Zeitgenössische Strömungen und in Kiew Der Bund, gefolgt 1909–1910 von Ausstellungen des Verbandes russischer Künstler teil.

Von 1910 bis 1911 studierte Lentulow in Paris im Studio Le Fauconnier und arbeitete im deren Atelier Académie de la Palette. Dort lernte er Fernand Léger und Robert Delaunay kennen. Nach der Heimkehr 1912 beeinflusste er die Entwicklung des russischen Futurismus, u.a. von Wassily Kandinsky und Kasimir Malewitsch, mit späterer Überleitung zum Kubo-Futurismus. Seit 1913 malte Lentulow in einem kubistischen Verfahren russische Kirchen und andere architektonische Motive.[252]

Noch vor der Oktoberrevolution begann Lentulow Bühnenbilder für das Moskauer Kammertheater („Die lustigen Weiber von Windsor“ von William Shakespeare, 1916) und für das Bolschoi-Theater („Promethée. Le Poème du feu“ von Alexander Nikolajewitsch Skrjabin, 1919) zu entwerfen. Die Erste Russische Kunstausstellung inBerlin 1922 zeigte seine Gemälde Portrait, Landschaft, Zwei Frauen, Stilleben, Landschaft.[253]

1925 nahm er an der Pariser „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ teil und wurde für das Bühnenbild zur Rubinsteins Oper „Der Dämon” mit einem Ehrendiplom ausgezeichnet. 1928 wurde Lentulow Mitglied des Vereins Moskauer Künstler und dessen Vorsitzender. Viele Mitglieder des Vereins waren ehemalige Mitglieder der „Karo-Buben“-Gruppe.

Lentulow ging von der Suche nach Form und Licht aus, was so typisch für die Nachfolger der Schule von Paul Cézanne ist, die in Russland noch besonders durch ihr berückendes orientalisches Kolorit gekennzeichnet sind. Während Lentulow 1913 Bilder mit einer strahlenden volkstümlichen Farbigkeit malte, übernahm er ein Jahr später Cézannes gedeckte Farbpalette. Lentulow beschäftigte sich auch mit der Didaktik. Seit 1919 hielt er Vorlesungen an der Wchutemas, 1937 wurde er zum Professor am Moskauer Surikow-Institut berufen.

Michail Fjodorowitsch Larionow (1881- 1964) war ein russischer Maler, der zur Russischen Avantgarde zählte. Er gilt als Begründer des Rayonismus.[254]

Larionow studierte an der Moskauer Hochschule für Malerei, Bildhauerei und Architektur und lernte dort 1900 Natalija Gontscharowa kennen. 1906 reiste er das erste Mal nach Paris. Beeinflusst von den Strömungen der westeuropäischen Kunst gründete er 1910 gemeinsam mit Natalija Gontscharowa die Künstlervereinigung Karo-Bube, von der sie sich allerdings Anfang 1912 wieder trennten, um die Vereinigung Eselsschwanz zu gründen. Auf der ersten Ausstellung Zielscheibe zeigten sie erstmals rayonistische Bilder.[255]

1914 engagierte Sergej Djagilew Larionow und Gontscharowa als Kostüm- und Bühnenbildner für das Ballets Russes. Von dieser Zusammenarbeit versprach sich Djagilew Frische und Spontanität. So schuf Larionow gleichzeitig vulgäre und anspruchsvolle Kostüme unter anderem für Soleil de Nuit (1915), Histoires Naturelles (1915, nicht produziert), Chout (1921) und Le Renard (1922).[256] Larionow wurde 1914 eingezogen und kämpfte an der Front bis er nach einer schweren Verletzung 1915 demobilisiert wurde. 1915 verließen Larionow und Gontscharowa Russland und lebten ab 1918 in ihrer Pariser Wohnung.

Natalja Sergejewna Gontscharowa (1881-1962) trug maßgeblich zum künstlerischen Entwicklungsprozess in Russland bei. In Moskau besuchte sie das Gymnasium für Mädchen, ab 1898 studierte sie Bildhauerei/Skulptur an der Moskauer Hochschule für Malerei, Bildhauerei und Architektur. Dort begegnete sie dem Maler Michail Larionow. Larionow ermunterte sie, das Bildhauereistudium zugunsten eines Malereistudiums aufzugeben. Die beiden gingen eine Liebesbeziehung ein, Larionow blieb zeit ihres Lebens Gontscharowas Wegbegleiter und Kollege.[257] 1906 zeigte sie ihre Arbeiten anlässlich des Pariser Salon d’Automne erstmals im westlichen Ausland. Zusammen mit Michail Larionow nahm sie in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg an einer Reihe weiterer Ausstellungen im Ausland teil, u.a. am Blauen Reiter 1912 in München und am Ersten Deutschen Herbstsalon 1913 in Berlin.[258]

In Moskau war sie derweil Teilnehmerin an avantgardistischen Ausstellungen, wie beispielsweise 1908 und 1909 an den durch die Kunstzeitschrift Das Goldene Vlies veranstalteten Ausstellungen. 1910 war sie zusammen mit Larionow Gründerin der Künstlervereinigung Karo-Bube, verließ diese aber bald wieder. 1912 gründeten die beiden die Gruppe Eselsschwanz. Auch hier distanzierte Gontscharowa sich schnell wieder, da ihr Stil und ihre Ambitionen sich teilweise von denen der Mitglieder abhoben.

1913 begann ihre produktivste Phase. Gontscharowa war Kennerin der Ikonenmalerei und der russischen Volkskunst, in der die Lubki eine bedeutende Rolle spielen. Die Stile dieser Gattungen brachte sie nun in ihre Bilder ein und entwickelte den neoprimitivistischen Stil der russischen Avantgarde. Provokativ distanzierte sie sich von der westlichen Kunst.

Parallel zu ihrem Schaffen neoprimitivistischer Bilder experimentierte sie mit dem Kubofuturismus und dem Rayonismus, dessen Konzept sie gemeinsam mit Larionow entwickelte. Außerdem hielt sie, wie Larionow, enge Kontakte zur literarischen Szene der russischen Avantgarde. So illustrierte Gontscharowa verschiedene Bücher russischer Futuristen. Gleichzeitig schrieb Ilja Schdanewitsch die erste Monographie über die Künstlerin. 1913 veranstaltete sie gemeinsam mit Larionow die Ausstellung „Zielscheibe“, in der erstmals rayonistische Arbeiten gezeigt wurden.[259]

1914 reiste Gontscharowa nach Paris, um dort Bühnenbildvorschläge für Sergej Diaghilews Ballets Russes-Produktion „Le Coq d´Or“ an der dortigen Oper auszustellen. Ihre Dekorationen und Kostüme zeichneten sich durch Farbenreichtum aus und waren folkloristisch inspiriert. Sie gefielen dem Pariser Publikum sehr gut, so dass Gontscharowa 1915 gemeinsam mit Larionow Russland verließ, um nach Paris zu ziehen. 1916 unternahm sie gemeinsam mit Sergej Diaghilew und Larionow eine Reise nach Spanien, bei der sie eine Faszination durch spanische Frauen in prächtigen Kleidern und Gewändern entwickelte. Spanier(innen) sollten nach der Reise eine zeitlang ihr favorisiertes Thema sein. Ab 1918 lebten Gontscharowa und Larionow kontinuierlich in Paris. Bis 1929, dem Todesjahr Diaghilews, schuf sie dort sehr erfolgreich Bühnenbilder für die Ballets Russes. Anschließend wurde sie weiterhin weltweit als Bühnenbildnerin engagiert, u.a. in New York, Litauen, Lateinamerika, London und Russland.[260]

1948 entdeckte der Schriftsteller Michel Seuphor den Rayonismus wieder und initiierte eine wichtige Ausstellung mit dem Titel „Der Rayonismus“ in Paris, die Larionow und Gontscharowa zu den führenden Künstlern der russischen Avantgarde erklärte. Erst 1955 heiratete das Paar, dessen letzte Lebensjahre von Schmerz und Armut geprägt waren. Ab 1958 litt Gontscharowa unter starker Arthritis, 1962 verstarb sie.

Für Gontscharowa spielten Recherche und Vorbereitung in ihrem Schaffen stets eine große Rolle. Sie besuchte Museen, studierte Kostüme, Design und Architektur und diskutierte mit den Bauern, die ihr so wichtige Motive schenkten. Gemeinsam mit den Brüdern David und Wladimir Burliuk, mit Michael Larionow und Kasimir Malewitsch war Natalja Gontscharowa eine entschiedene Verfechterin des Neoprimitivismus, einer Erneuerungsbewegung der russischen Kultur, deren Quelle die Volkskunst war, und die sich besonders eindrucksvoll auch in der Literatur und der Musik manifestierte, beispielsweise bei Igor Strawinsky.[261]

Im Jahr 1989 wurde gemäß der testamentarischen Verfügung der Pariser Nachlass an die Staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau übergeben. 2007 wurde ihr Gemälde Apfelernte wurde für 4,948 Millionen Pfund Sterling, also für rund 10 Millionen Dollar, bei Christie’s versteigert. Im Juni 2008 wurde ein weiteres ihrer Gemälde, das Stillleben Blumen aus dem Jahre 1912, ebenfalls bei Christie’s in London zum Preis von 10,8 Millionen US-Dollar verkauft.

Im Kölner Museum Ludwig befinden sich die Gemälde Stillleben mit Tigerfell (1908), Rusalka (1908), Die jüdische Familie (1912), Porträt Michail Larionow (1913) und Orangenverkäuferin (1916).

1912 folgte die Ausstellung „Eselsschwanz“. Eselsschwanz ist der Name der ersten Ausstellung einer in Moskau gegründeten Gruppe russischer Avantgardemaler, die ebenfalls für kurze Zeit eine Künstlergruppe unter diesem Namen bildete. Die erste Ausstellung der Gruppe fand 1912 unter dem Titel La queue de l’âne (Eselsschwanz) in Moskau statt. 1913 trennte sich die Gruppe wieder.[262]

Der Name „Eselsschwanz“ geht auf eine Ausstellung des Jahres 1910 im Salon des Indépendants in Paris zurück.[263] Dort wurde ein Gemälde eines fiktiven Italieners namens Joachim-Raphaël Boronali mit dem Titel Sonnenuntergang über der Adria ausgestellt – eine Meereskomposition mit Boot, versehen mit wirren Linien. Der Journalist Roland Dorgelès, einer der Urheber der Aktion, gestand später, dass diese, gemeint als Angriff auf die Kunst der Avantgarde, auf dem Gemälde von einem Eselsschwanz produziert worden seien. Der Esel hieß Lolo und gehörte Père Frédé, dem Betreiber des bekannten Pariser Kabaretts Le Lapin Agile. Der Name „Boronali“ des angeblichen Künstlers geht als Anagramm auf den bekannten Esel „Aliboron“ aus den Fabeln von La Fontaine zurück.

Zwei Jahre später nahmen Michail Fjodorowitsch Larionow und Natalija Sergejewna Gontscharowa Bezug auf die Pariser Ausstellung. Sie nannten ihre erste Ausstellung in Moskau La queue de l’âne – Eselsschwanz. Der Titel stammte von Larionow, der die französische Avantgarde damit lächerlich machen wollte, seiner Meinung nach könne man in Paris die Malerei nicht mehr von Machwerken unterscheiden, die selbst ein Esel ausführen könne.

Zu der Künstlergruppe zählten neben Larionow und Gontscharowa als Gründer unter anderem Kasimir Malewitsch, Marc Chagall und Wladimir Tatlin.[264] Mit der Eselsschwanz-Gründung wollten sie für die Befreiung der russischen Kunst von ausländischer Beeinflussung sorgen. Die Formensprache der Vereinigung erinnert an die Ikonen-Malerei und die russische Volkskunst in Form von Bilderbogen, genannt Lubok. Malewitsch distanzierte sich nach kurzer Zeit von Larionow und malte im Stil des Kubofuturismus, während Larionow sich dem Rayonismus zuwandte.

Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch (1878-1935) war Maler und Hauptvertreter der Russischen Avantgarde, Wegbereiter des Konstruktivismus und Begründer des Suprematismus.[265] Beeinflusst wurde er von den französischen Spätimpressionisten, Fauves und Kubisten. Sein abstraktes suprematistisches Gemälde Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund aus dem Jahr 1915 gilt als ein Meilenstein der Malerei der Moderne und wird als „Ikone der Moderne“ bezeichnet.[266]

Ein Initialerlebnis bedeutete für Malewitsch im Jahr 1904 der Anblick von Claude Monets Gemälde der Kathedrale von Rouen, das sich in der Sammlung des Kunstmäzens Sergei Schtschukin in Moskau befand. Von 1905 bis 1910 setzte er seine Ausbildung mit einem Studium am privaten Atelier von Fjodor Rerberg in Moskau fort.[267]

1907 siedelte Malewitschs Familie endgültig nach Moskau über, und im gleichen Jahr fand seine erste öffentliche Ausstellung von zwölf Skizzen im Rahmen der 14. Ausstellung des Verbandes der Moskauer Künstler statt neben ebenfalls noch weitgehend unbekannten Künstlern wie Wassily Kandinsky, Michail Fjodorowitsch Larionow, Natalija Sergejewna Gontscharowa. Im Jahr 1909 heiratete Malewitsch in zweiter Ehe Sofija Rafalowitsch, die Tochter eines Psychiaters. Im folgenden Jahr nahm er an der von Larionow und Gontscharowa veranstalteten Ausstellung der Künstlergruppe „Karo-Bube“ teil. Ab 1910 begann seine neoprimitivistische Periode, in der er beispielsweise die Dielenbohnerer malte, ein Gemälde mit deutlich reduzierter Raumperspektive.[268]

Gontscharowa und Larionow trennten sich 1912 von der ihnen verwestlicht erscheinenden Gruppe „Karo-Bube“ und begründeten die Künstlervereinigung „Eselsschwanz“ in Moskau, an der sich Malewitsch beteiligte. Auf einer Ausstellung dieser Vereinigung traf er auf den Maler und Komponisten Michail Wassiljewitsch Matjuschin. Die Bekanntschaft führte zu einer anregenden Zusammenarbeit, und es entwickelte sich zwischen beiden Künstlern eine lebenslange Freundschaft.

Larionow war bisher Führer der Avantgarde gewesen, doch infolge des wachsenden Anspruchs Malewitschs entwickelte sich eine Rivalität um die Führungsrolle, die ihre Ursache auch in unterschiedlichen künstlerischen Konzepten hatte. Malewitsch wandte sich dem Kubofuturismus zu, den er in St. Petersburg bei der „Union der Jugend“ während eines Vortrags als einzig vertretbare Richtung in der Kunst darstellte. Er malte bis 1913 einige Bilder in diesem Stil, beispielsweise das Gemälde Der Holzfäller. Sein Werk war auch in Übersee in der Armory Show (International Exhibition of Modern Art) in New York im Jahr 1913 vertreten.

Im Sommer 1913 begannen unter Malewitschs Mitwirkung in Uusikirkko (Finnland) die Arbeiten an der Komposition der Oper Sieg über die Sonne. Das futuristische Werk wurde am 3. Dezember 1913 im Lunapark-Theater in Sankt Petersburg uraufgeführt. Welimir Chlebnikow verfasste den Prolog, Alexei Krutschonych das Libretto, die Musik stammte von Michail Matjuschin und das Bühnenbild sowie die Kostüme von Malewitsch. Auf einen Bühnenvorhang malte er das erste Schwarze Quadrat. Darin liegt auch der Grund, weshalb Malewitsch die Geburtsstunde des Suprematismus in das Jahr 1913 verlegte und sich nicht auf die im eigentlichen Sinne suprematistischen Bilder von 1915 berief. Im März/April 1914 fand im „Salon des Indépendants“ in Paris eine Ausstellung statt, auf der Malewitsch mit drei Gemälden vertreten war.

Im Jahr 1915 schrieb er das Manifest Vom Kubismus zum Suprematismus. Der neue malerische Realismus – mit dem Schwarzen Quadrat auf dem Umschlag − und stellte im Dezember in der Ausstellung Letzte futuristische Ausstellung „0.10“ erstmals sein suprematistisches Gemälde Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund in der Galerie Dobytschina in Petrograd aus, das im Katalog als Viereck bezeichnet wurde. Die geheimnisvolle Zahl 0.10 bezeichnet eine Denkfigur: Null, weil man erwartete, dass nach der Zerstörung des Alten die Welt von Null wieder beginnen könnte, und zehn, weil sich ursprünglich zehn Künstler beteiligen wollten. Tatsächlich waren es vierzehn Künstler, die an der Ausstellung teilgenommen hatten.[269]

Malewitsch hängte sein Quadrat schräg oben in die Wandecke unter die Decke des Raumes, dort hatte gewöhnlich eine russische Ikone ihren traditionellen Platz. Zu den Ausstellenden gehörten neben Malewitsch Wladimir Tatlin, Nadeschda Udalzowa, Ljubow Popowa und Iwan Puni.[270]

Die Ausstellung, die vernichtende Kritiken erhielt, markiert jedoch den Durchbruch zur gegenstandslosen, abstrakten Kunst; das bahnbrechende Ereignis in der Kunstgeschichte fand zu dieser Zeit nicht die länderübergreifende Beachtung, da in Europa der Krieg ausgebrochen war. Malewitsch wurde im Jahr 1916 zur zaristischen Armee einberufen und verbrachte die Zeit bis zum Kriegsende in einer Schreibstube. In dieser Zeit arbeitete er weiter an seinen Gemälden sowie an den theoretischen Schriften und korrespondierte mit Matjuschin. Obgleich die russischen Avantgardegruppen unterschiedliche Theorien vertraten, was zu Kontroversen führte, gab es unter den harten Kriegsbedingungen gemeinsame Kunstausstellungen der Suprematisten unter Malewitschs Führung sowie der Konstruktivisten, deren Leitung Tatlin innehatte. Malewitsch stellte beispielsweise auf Tatlins Wunsch in gewollter Abgrenzung ältere kubofuturistische Arbeiten zur Verfügung wie Ein Engländer in Moskau, die in dessen Ausstellung Magasin in einem Kaufhaus aufgenommen wurden.

Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde Malewitsch mit der Aufsicht über die nationalen Kunstsammlungen des Kremls betraut.[271] So wurde er Vorsitzender der Kunstabteilung des Moskauer Stadtsowjets und Meister an der zweiten „Freien staatlichen Kunstwerkstätte“ (SWOMAS) sowie Professor an den „Freien staatlichen Kunstwerkstätten“ in Petrograd. Im engeren Sinn war er weder ein engagierter Funktionär noch Revolutionär, er nutzte nur die neuen Machthaber für die Durchsetzung seiner künstlerischen Ambitionen. Seine Malerei hatte sich in der Kunstszene durchgesetzt, er erhielt beispielsweise im Herbst 1918 mit Matjuschin den Auftrag, die Dekoration für einen Kongress über die Dorfarmut im Winterpalais zu schaffen.

Auf Einladung von Marc Chagall zur Mitarbeit in der von ihm 1918 organisierten Volkskunstschule traf Kasimir Malewitsch 1919 in Witebsk ein. Malewitsch gründete dort 1920 die Gruppe UNOWIS (Bestätiger der Neuen Kunst) und konnte nach kurzer Zeit viele Anhänger um sich scharen. Seine Tochter Una wurde geboren, ihr Name leitet sich von der Künstlergruppe ab. Chagall, der in den Auseinandersetzungen über die künstlerische Ausrichtung der Schule den Machtkampf gegen Malewitsch bereits 1921 verloren hatte, emigrierte 1922 über Berlin nach Paris.[272]

Der Architekt und Grafikdesigner El Lissitzky war ein Mitglied des Instituts; in seinem Atelier gestaltete er unter anderem auch Texte von Malewitsch wie Suprematismus 34 Zeichnungen (1920). In dieser historischen Periode wurde unter Malewitschs Leitung nicht nur die Schule selbst, das Unterrichtssystem, das Kulturleben der Stadt Witebsk verändert, sondern sie beeinflusste auch den weiteren Kunstprozess der Welt. Während Malewitschs Wirken in Witebsk (Witebsker Periode) waren die Ideen des Suprematismus theoretisch und konzeptionell vollendet. Sie benötigten ein neues Milieu für die Entwicklung und für den mehrfunktionalen Dialog des Erneuerungsverhaltens dem Leben gegenüber. Zu diesem Milieu ist Witebsk geworden, das man zu dieser Zeit das zweite Paris nannte. In Witebsk wurde die Idee zur Gründung eines Museums für Moderne Kunst von Marc Chagall geboren und verwirklicht. Heute wird diese Periode „Witebsker Renaissance“ oder „Witebsker Schule“ genannt.

Im April 1922, nach Streitigkeiten mit den Behörden, die die Russische Avantgarde bekämpften, verließen Malewitsch und ein größerer Teil seiner Studenten Witebsk in Richtung Sankt Petersburg.[273] Von 1923 bis 1926 war Malewitsch Leiter des Instituts für künstlerische Kultur. Die regimekonforme Künstlergruppe AChRR beherrschte inzwischen jedoch die sowjetische Kunstkultur – die stalinistische Ära hatte begonnen und mit ihr die Ablehnung avantgardistischer Kunst – sodass Malewitsch in Ungnade fiel und 1926 seine Stellung verlor. Daher nahm er eine Beschäftigung am Staatlichen Institut für Kunstgeschichte an.[274]

Im Frühjahr 1927 erhielt Malewitsch ein Visum und reiste über Warschau nach Berlin, wo während der „Großen Berliner Kunstausstellung“ in der Galerie van Diemen 70 Gemälde und seine Architektona, Gipsmodelle seiner Architekturentwürfe, gezeigt wurden. In Dessau besuchte er das Bauhaus und konnte die Publikation seiner Schrift Die gegenstandslose Welt vereinbaren, die als elfter Band in der Reihe der Bauhausbücher veröffentlicht wurde, allerdings mit einem distanzierten Vorwort der Herausgeber. Im Gegensatz zu seinen Erwartungen wurde Malewitsch zwar als bedeutender Vertreter der russischen Avantgarde aufgenommen, doch dem Bauhaus lag zu diesem Zeitpunkt der russische Konstruktivismus näher als der Suprematismus, der in Deutschland mit seinem philosophischen System der Welterkenntnis als überholt erschien. In Dessau suchte man einen Weg zu einem gestalterischen Weltentwurf, ähnlich wie die niederländische Gruppe De Stijl, deren Mitbegründer Piet Mondrian wie Malewitsch ein früher Meister der Abstraktion war. Mondrians im Jahr 1920 geschaffene Stilrichtung Neoplastizismus war beeinflusst vom emotionalen Suprematismus Malewitschs.[275]

Im Juni kehrte Malewitsch nach Leningrad zurück; er hinterließ in Deutschland wegen der unsicheren politischen Verhältnisse in der Sowjetunion seine Schriften bei seinem Gastgeber Gustav von Riesen und die mitgebrachten Werke bei dem Architekten Hugo Häring, der sie für Malewitsch verwahrte. Zu dem geplanten erneuten Besuch Malewitschs kam es nicht mehr, sodass die Gemälde erst im Jahr 1951 wiederentdeckt und 1958 für rund 120.000 Mark vom Stedelijk Museum, Amsterdam angekauft wurden. Malewitsch nahm seine Tätigkeit am Staatlichen Institut für Kunstgeschichte wieder auf, entwarf Pläne für Satellitenstädte in Moskau, beschäftigte sich mit Entwürfen für Porzellan und bemühte sich, seine Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Indem er seine dogmatischen Ansichten leicht zu revidieren suchte, war er auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und Wegen für seine Kunst.

Die wesentlichen Werke, die er in Deutschland zurückgelassen hatte, begann Malewitsch wiederherzustellen, indem er „verbesserte“ Repliken malte, das galt auch für impressionistische Motive. Er datierte die Arbeiten zurück, was später zu großer Verwirrung in Kunstkreisen führen sollte. Die Bilder dienten zur Vervollständigung seiner großen Werkschau, die im Jahr 1929 geplant war.

Einen radikalen Umbruch ab Ende der 1920er Jahre in Malewitschs Werk stellte die Rückkehr zur figurativen Malerei mit suprematistischen Elementen dar; er stellte sie in den Dienst der geliebten Bauern, die unter der Kollektivierung der Landwirtschaft zu leiden hatten, was sich in seinem neuen Stil ausdrückte. In seiner Malweise wurden die Menschen nach und nach zu verstümmelten Puppen, zu Gefangenen eines verbrecherischen Gulags.[276]

Die weitere Arbeit am Staatlichen Institut für die Geschichte der Kunst wurde ihm 1929 untersagt und das Institut wenig später geschlossen. Zwei Wochen im Monat durfte er im Kunstinstitut in Kiew arbeiten. Im November des Jahres stellte er in der Tretjakow-Galerie in Moskau anlässlich einer Retrospektive seine Werke aus, erntete aber überwiegend negative Kritik. Kurz darauf wurde die Ausstellung nach Kiew übernommen, wurde aber nach wenigen Tagen bereits wieder geschlossen. Im Jahr 1930 wurde Malewitsch festgenommen und zwei Wochen lang zu Verhören vorgeführt.[277]

In seiner letzten künstlerischen Phase, kurz vor seinem Tod, kehrte er zur Malweise „realer“ Porträts zurück, diese entsprechen jedoch nicht dem Stil des „Sozialistischen Realismus“, sondern ähneln Werken der Renaissance, die sich in der Bekleidung der Porträtierten ausdrückt. Charakteristisch an diesen Gemälden sind die ausdrucksvollen Gesten der dargestellten Personen.

1932 erhielt er die Leitung an einem Forschungslabor des Russischen Museums in Leningrad, wo er bis zu seinem Tod arbeitete. Trotz der staatlichen Anordnung, die avantgardistische Tendenzen verbot und die Stilrichtung des Sozialistischen Realismus forderte, wurde sein Werk im Rahmen der Ausstellung „Fünfzehn Jahre Sowjetkunst“ noch einmal gezeigt. Ab 1935 gab es jedoch keine Ausstellung seiner Werke mehr in der UdSSR; erst nach der Perestroika fand im Jahr 1988 in Sankt Petersburg eine umfassende Retrospektive mit Werken von Malewitsch statt.

Im Jahr 1935 starb Malewitsch an einem Krebsleiden in Leningrad. Sein Grab lag in Nemtschinowka bei Moskau auf dem Gelände seiner Datscha, auf dem ein von Nikolai Suetin entworfener weißer Kubus mit einem schwarzen Quadrat auf der Vorderseite aufgestellt war. Die Grabstätte existiert heute nicht mehr.

Malewitsch orientierte sich zu Beginn seiner künstlerischen Arbeit an den Neuerungen der europäischen Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. So malte er anfangs im impressionistischen Stil und nahm sich Monet und später Cézanne zum Vorbild. In seinem Frühwerk entstanden ebenfalls Gemälde im symbolistischen und pointillistischen Stil. Viele Elemente der russischen Volkskunst Lubok finden sich in seiner Druckgrafik. Der Bauernkopf aus dem Jahr 1911 ist ein Beispiel für die häufige Verwendung der bäuerlichen, farbenfrohen russischen Motive. Er wurde auf der zweiten Ausstellung des Blauen Reiters in München ausgestellt.[278]

Kasimir Malewitschs künstlerische Entwicklung im Vorfeld des Suprematismus (bis 1915) ist durch drei Hauptphasen bestimmt: Primitivismus, Kubofuturismus und Alogismus. Im Primitivismus von 1910 bis etwa 1912 herrschten stark vereinfachte, flächige Formen und eine expressive Farbgebung vor. Die Bildthemen bezogen sich auf Alltagsszenen; ein Beispiel hierfür ist der Badende aus dem Jahr 1911.[279]

Im Gegensatz zum Primitivismus brachte der Kubofuturismus, eine russische Abwandlung des französischen Kubismus und italienischen Futurismus, die Rückbesinnung auf traditionelle Formen der russischen Volkskunst mit sich. Malewitsch verwendete kubistisch orientierte Grundformen wie Kegel, Kugel und Zylinder zur Darstellung der Figuren und ihrer Umgebung; die Farbe, häufig erdfarben getönt, diente verstärkt zur Hervorhebung der Plastizität. Auf vielen Bildern dieser Periode zerlegte er die Fläche in Facetten.

In der dritten Phase folgten die sogenannten alogischen Gemälde. Überlieferte Bildbedeutungen wurden durch alogische Zusammenstellungen von Zahlen, Buchstaben, Wortfragmenten und Figuren ersetzt. Ein Beispiel zeigt das Gemälde Ein Engländer in Moskau aus dem Jahr 1914.[280] Die Vorgeschichte des Suprematismus erklärt Malewitschs radikalen Schritt zum gegenstandslosen Stil des Suprematismus, indem sie das Nebeneinander, die kurze Anwendung unterschiedlicher Stile und den Bruch mit der Logik des Bildinhalts aufzeigt.

Das bekannteste seiner Bilder ist das suprematistische Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund von 1915, mit dem Malewitsch durch die im Kubismus begonnene Abstraktion einen Höhepunkt erreichte.[281] Malewitsch leugnete in seinem die Ausstellung „(0,10)“ begleitenden Manifest jede Beziehung der Kunst und ihrer Darstellungen zur Natur. Er ließ damit selbst die damals aktuellen Tendenzen der Avantgarde hinter sich, denn der Kubismus forderte nicht die absolute Gegenstandslosigkeit des Bildinhalts, wie Malewitsch sie nun in seinen Werken anwandte. Die Struktur des Schwarzen Quadrats wurde durch kleine impressionistische Pinselstriche geschaffen, nicht mit dem Lineal und einer einheitlichen Farbfläche, die Ränder des Vierecks sind zerfasert. In den Jahren 1923 und 1929 sollte er weitere Bilder mit dem Thema „Schwarzes Quadrat“ schaffen. Ebenfalls im Jahr 1915 malte er Das Rote Quadrat. Nach einem gelben Parallelogramm auf Weiß folgte 1919 Weißes Quadrat, ein weißes Quadrat auf weißem Grund, mit dem die Quadratserie abgeschlossen wurde. In seinen suprematistischen Gemälden findet man außer Schwarz und Weiß die Grundfarben der Palette: Rot, Blau, Gelb und Grün.[282]

Die drei Phasen des Suprematismus beschrieb Malewitsch in seiner Schrift Suprematismus 34 Zeichnungen und erklärte die Bedeutung seiner monochromen Quadrate wie folgt: „Als Selbsterkenntnis in der rein utilitaristischen Vollendung des ‚Allmenschen‘ im allgemeinen Lebensbereich haben sie eine weitere Bedeutung bekommen: das schwarze als Zeichen der Ökonomie das rote als Signal der Revolution, und das weiße als reine Wirkung.“[283] Vom statischen Stadium seiner Gemälde der Quadrate ging er über in das dynamische, beziehungsweise kosmische Stadium, das sich beispielsweise in Acht Rechtecke und Flugzeug im Flug zeigt, beide Bilder sind im Jahr 1915 entstanden. Durch seine neue Kunstform kam Malewitsch auf den Gedanken, dass die Menschheit nicht nur den irdischen Raum, sondern auch den Kosmos beherrschen könnte.

Nach seiner Rückkehr aus Berlin und Dessau im Jahr 1927 kehrte Malewitsch gelegentlich zu impressionistischen Motiven zurück, in die er suprematistische Elemente integrierte und die er vordatierte auf die Zeit ab 1903, da er seine Ausstellung in der Tretjakow-Galerie 1929 um die in Berlin zurückgelassenen Bilder ergänzen wollte.[284] Seine Gedanken zur Neuinterpretation des Impressionismus schrieb er in seiner Schrift Isologie nieder, ein Kunstbegriff, den er wie beispielsweise Suprematismus selbst erfunden hatte, und gab sie in Vorträgen an seine Anhänger weiter.

Als sein Spätwerk vor 20 Jahren aus russischen Depots freigegeben wurde, gab es Kritik, dass der Maler der radikalen Abstraktion zum Renegaten der Avantgarde geworden sei. In seinen postsuprematistischen Werken der 1930er Jahre kehrte Malewitsch nämlich zur figurativen Malerei zurück; Bauernszenen waren dabei seine bevorzugten Motive. Aus dem System des Suprematismus heraus konstruierte Malewitsch ein neues symbolisches Menschenbild, das weit entfernt von jedem Realismus war. Er bezeichnete die Figuren als „Budetljanje“ („Zukünftler“): Seine Bauern werden zunehmend zu Robotern ohne Gesicht, ohne Bart und später ohne Arme.

Motive des Suprematismus tauchen beispielsweise auf in der Form des Quadrats bei Häusern ohne Fenster. Das Gemälde Kopf eines Bauern enthält vier suprematistische Formen, von denen die zwei Vierecke, die den Bart bilden, als die Pflugscharen bezeichnet werden können. Aber der Kopf ist auch eine Ikone, ein Porträt, das an eine bäuerliche Christusfigur erinnert. Am Himmel sind Flugzeuge zu sehen, die an Vögel als schlechte Vorboten erinnern; sie sind gekommen, um die Freiheit und die traditionelle Kultur der Bauern zu zerstören.

In Malewitsch letzter Phase, von ihm als „Supranaturalismus“ bezeichnet, werden größtenteils Frauen als Porträt des neuen Menschen in naturalistischer Form dargestellt, die einer anderen, einer zukünftigen Welt angehören.[285] Ein Beispiel ist die Arbeiterin als Mitglied einer neuen Religion, eine Mutter und Kind-Darstellung, in der das fehlende Kind durch die Armhaltung ersetzt wird und die mit dieser verschlüsselten Geste kommuniziert. Das bekannteste Beispiel für diese letzte Phase ist sein Selbstporträt aus dem Jahr 1933. Malewitsch stellt sich in der Kleidung eines Renaissancemalers dar, seine Hand formt das abwesende Quadrat. Sein Schwarzes Quadrat bildet die Signatur. Malewitsch fasst damit die Geschichte seiner Malerei zusammen mit der Botschaft, dass das Leben des Menschen auf eine Geste reduziert werden kann.[286]

Ab 1923 befasste sich Malewitsch mit Architekturstudien; seine Architektone genannten räumlichen Projekte, Gipsmodelle in suprematistischer Form, waren bei den Bauhaus-Architekten 1927 nicht auf Gegenliebe gestoßen und standen auch in Petrograd im Gegensatz zu Tatlin und seiner Gruppe. Wohnsiedlungen für den Weltraum (Planiten) und Satellitenstädte (Semljaniten) waren innerhalb seiner Studien ein Thema. Malewitsch beschäftigte sich ebenfalls mit Produktgestaltung und schuf Porzellan-Services im konstruktivistischen Stil.

Im Jahr 1927 fasste Malewitsch seine Reflexionen im Bauhaus-Buch Die gegenstandslose Welt zusammen, es war seine einzige Buchpublikation zu Lebzeiten in Deutschland.[287] Der für ihn wichtige Begriff „Empfindung“, der bereits in den Texten der Witebsker Periode auftauchte, ist am deutlichsten in der Bauhausschrift beschrieben worden: „Unter Suprematismus verstehe ich die Suprematie der reinen Empfindung in der bildenden Kunst. Vom Standpunkt des Suprematismus sind die Erscheinungen der gegenständlichen Natur an sich bedeutungslos; wesentlich ist die Empfindung – als solche, ganz unabhängig von der Umgebung, in der sie hervorgerufen wurde.“ Und Malewitsch selber hat das Thema seines Spätwerks darin begründet: „Die Maske des Lebens verdeckt das wahre Gesicht der Kunst. Die Kunst ist uns nicht das, was sie uns sein könnte.“[288]

Neben seinen kunsttheoretischen Schriften verfasste Malewitsch in den Jahren 1925 bis 1929 mehrere Aufsätze über den Film und ein Drehbuch.[289] Es gibt eine Veröffentlichung Das weiße Rechteck. Schriften zum Film (1997), die zum größten Teil erstmals in deutscher Sprache vorliegende Texte enthält Malewitsch ordnet die Melodramen mit Mary Pickford, die Komödien mit Monty Banks, die Filme von Sergej Eisenstein, Dsiga Wertow, Walter Ruttmann und Jakow Protasanow in sein historisches Modell des Aufkommens der Moderne von Cézanne über den Kubismus, Futurismus – hin zum Suprematismus. Dabei handeln fast alle seine Aufsätze vom verpaßten Rendezvous zwischen Film und Kunst. Denn Malewitsch begreift den Film nicht als Vervollkommnung des Naturalismus, sondern als Prinzipien der neuen Malerei: Dynamismus und Gegenstandslosigkeit.

Die erste Reaktion auf das Schwarze Quadrat in der Ausstellung „0.10“ im Jahr 1915 war eindeutig negativ: Es war ein Affront gegenüber der akademischen und realistischen Malweise; die Kritiker schmähten das Bild als das „tote Quadrat“, das „personifizierte Nichts“.[290] Der Kunsthistoriker und Malewitsch-Gegner Alexander Benois bezeichnete es in der Petrograder Zeitschaft „Die Sprache“ als „den aller-, allerabgefeimtesten Trick in der Jahrmarktsbude der allerneusten Kunst.“ Marc Chagall, der Malewitsch in der Auseinandersetzung um die Führung der Kunstschule in Witebsk unterlegen war, schrieb resigniert im Jahr 1920 an Pawel D. Ettinger: „Die Bewegung ist auf ihrem Siedepunkt angelangt. Eine verschworene Gruppe von Studenten hat sich um Malewitsch gebildet, eine andere um mich. Wir gehören beide der Linken an, haben aber völlig unterschiedliche Vorstellungen von ihren Zielen und Methoden.“

Seine künstlerische Wandlung rief großes Erstaunen hervor, war sie doch in der Rückkehr zur figurativen Malerei konträr zum bisher bekannten Höhepunkt seines Schaffens, dem abstrakten Suprematismus. Die erste Katalogisierung erfolgte nach der Datierung der Bilder, die Malewitsch selbst vorgenommen hatte. Die impressionistisch beeinflussten Bilder wurden in das erste Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts aufgenommen, so wie der Künstler sie beschriftet hatte. Tatsächlich aber sind die meisten dieser Arbeiten erst in den dreißiger Jahren entstanden. Malewitsch hat damals praktisch sein Frühwerk rekonstruiert und die Datierung vorverlegt.[291]

Die im Frühjahr 2007 in Hamburg eröffnete Ausstellung Das schwarze Quadrat – Hommage an Malewitsch, für die der Installationskünstler Gregor Schneider einen mit schwarzem Stoff behangenen Kubus, den Cube Hamburg 2007, auf dem Vorplatz des Museums entworfen hatte, war ein Publikumsmagnet. Da der schwarze Kubus nicht nur an das Schwarze Quadrat erinnert, sondern auch an die muslimische Kaaba in Mekka, waren terroristische Anschläge befürchtet worden, die jedoch nicht eintraten. Das Gemälde Das schwarze Quadrat wurde in der Fassung aus dem Jahr 1923 ausgestellt.[292]

Malewitschs Zeitgenossen, El Lissitzky und Alexander Rodtschenko, peppten mit Ableitungen und Varianten ihre konstruktivistischen Graphiken, Architekturentwürfe und Raumkonstruktionen auf.[293] Künstler der amerikanischen Minimal-Art und der Konzeptkunst wie Donald Judd, Carl Andre oder Sol LeWitt vervielfachten das Quadrat und schufen aus leicht verfügbaren Industriematerialien wie Stahl serielle Skulpturen. Auch ihnen ging es um eine elementare Formensprache. Sie distanzierten sich damit radikal von der gestischen Malerei ihrer Zeit, dem Action Painting und Abstrakten Expressionismus.

Von der bolschewistischen Kulturpolitik wurde diese Entwicklung anfangs gefördert. Der Suprematismus, den Malewitsch entwickelte, war für eine kurze Zeit nach der Oktoberrevolution von 1917 sogar eine Art Massenagitationsmittel. Malewitsch und El Lissitzky wurden auf Lehrstühle der Moskauer Kunsthochschule berufen.

El Lissitzky (1890-1941) war ein bedeutender russischer Avantgardist und hat durch vielfältige Aktivitäten in den Bereichen Malerei, Architektur, Grafikdesign, Typografie und Fotografie sowohl theoretisch als auch praktisch maßgeblich zur Realisierung und Verbreitung konstruktivistischer Ideen beigetragen.

Nach Kindheit und Jugend in Smolensk bewarb sich El Lissitzky 1909 an der Kunsthochschule von Sankt Petersburg, wurde dort aber als Jude abgewiesen. Wie viele andere Russen in seiner Lage ging er daraufhin nach Deutschland und studierte 1909–1914 Architektur und Ingenieurwissenschaften an der Technischen Hochschule Darmstadt; das Studium schloss er mit dem Diplom 1915 ab.[294]

In der Oktoberrevolution 1917 sah Lissitzky einen künstlerischen und sozialen Neubeginn für die Menschheit. Die Themen seines Werks sind stark von seiner politischen Einstellung geprägt. 1918 wurde er Mitglied der Abteilung für Bildende Künste (ISO) der Kulturabteilung NARKOMPROS in Moskau.

El Lissitzky übte verschiedene Lehrtätigkeiten aus, unter anderem ab 1919 an der Kunsthochschule im weißrussischen Wizebsk (vom damaligen Direktor Marc Chagall angeworben; an der Hochschule lehrte auch Kasimir Malewitsch). 1920–1921 war er Leiter der Architekturabteilung der Wchutemas in Moskau. Die Erste Russische Kunstausstellung Berlin 1922, für deren Organisation und Gestaltung Lissitzky aktive Mitarbeit leistete und dessen Katalog seine Titelseite prägte, zeigte seine Gemälde Stadt, Proun 2c und Proun 19d sowie Buchillustrationen und weitere Werke.[295]

Er prägte mit seinem Stil die Gestaltung seiner Zeit. Er war Mitbegründer des Konstruktivismus und stark beeinflusst durch den Suprematismus. Geometrische Elemente wurden in einen für jedermann verständlichen politischen Symbolismus verwandelt. In dieser Zeit entstanden auch seine experimentellen Entwürfe mit dem Namen Proun, einem Akronym für „Projekt für die Behauptung des Neuen“, welches als Weiterführung des Suprematismus in die dritte Dimension verstanden werden kann. Seine Proun-Bilder sind Bildkompositionen aus geometrischen Figuren, die eine räumliche Wirkung auf der zweidimensionalen Fläche erzielen. Als ausgebildeter Architekt sah El Lissitzky seine Arbeit als Interaktion zwischen Architektur und Malerei. Sein Werk beeinflusste dann die De-Stijl-Bewegung und das Bauhaus.[296]

1923 erkrankte er an Tuberkulose, die er in einem Sanatorium in Locarno behandeln ließ. In Berlin gab er mit Ehrenburg die dreisprachige Kunstzeitschrift Vešč – Objet – Gegenstand heraus. Zusammen mit Kurt Schwitters arbeitete er an der Zeitschrift Merz. Nach längerem Aufenthalt in Deutschland und der Schweiz (1921–1925) kehrte er 1925 in die Sowjetunion zurück und unterrichtete bis 1930 an der Moskauer Kunsthochschule Wchutemas in der Abteilung Stahl und Metalle.[297]

Er pflegte Künstlerbekanntschaften mit Hans Arp (gemeinsame Arbeit an der Schrift Die Kunstismen, die 1925 veröffentlicht wurde), Kasimir Malewitsch, Jan Tschichold und Willi Baumeister. 1927–1928 bekam er den Auftrag zur Gestaltung des Abstrakten Kabinetts in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover. 1928 war er künstlerischer Leiter bei der Gestaltung des Sowjet-Pavillons auf der internationalen Presseausstellung Pressa in Köln.

In Hannover hatte er 1922 die Kunsthistorikerin Sophie Küppers kennengelernt, 1927 heiratete das Paar und lebte in Moskau. In den 1930er Jahren war er Mitglied der Künstlerbewegung Abstraction-Création in Paris. Seit 1931 war er leitender Künstler-Architekt der ständigen Bauausstellung im Kulturpark Gorki in Moskau und ab 1932 ein ständiger Mitarbeiter als Buchkünstler für die Zeitschrift USSR im Bau.[298]

Von 1909, dem Jahr des Studienantritts in Darmstadt, und bis zu seinem Tod am 30. Dezember 1941 (durch Tuberkulose), pendelte El Lissitzky zwischen Deutschland und Russland, weshalb auch ein Teil seines Werkes eher mit der westlichen, zumal der deutschen und holländischen Avantgarde verbunden ist, ein anderer Teil jedoch - und das gilt vor allem für die Theorie -, der östlichen, russischen Avantgarde näher steht.

Lissitzky beschäftigte sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Methoden und Ideen; dies hatte eine große Auswirkung auf die zeitgenössische Kunst, insbesondere auf den Gebieten Grafikdesign, Ausstellungsgestaltung und Architektur. Einige seiner Werke wurden postum auf der documenta III im Jahr 1964 in Kassel gezeigt.[299]

Im Oktober 2013 wurde bekannt, dass der private Nachlass El Lissitzkys und seiner Frau Sophie Lissitzky-Küppers von dem Sohn Jen Lissitzky dem Sprengel Museum Hannover überlassen wird.

Die Idee einer Rednertribüne entstand 1920 in Witebsk, wo Lissitzky bei Marc Chagall als Professor der Höheren Kunstwerkstätten seit 1919 tätig war. Dort stellte er seinen Schülern die Aufgabe, eine Rednertribüne zu entwerfen. Der Entwurf von Ilja Grigorjewitsch Tschaschnik ist die Grundlage für die von Lissitzky 1924 weiter entwickelte Tribüne. Der Entwurf zeigt eine dynamische Anordnung von Farbflächen, die horizontal und diagonal orientiert sind. Verbunden wird dieses lineare Schema durch eine kranartige Eisenkonstruktion, welche auf einem Quadrat als Basis aufliegt. Ein verschiebbares Flächenelement lässt die Tribüne je nach Stellung offen oder geschlossen erscheinen. Ein räumlicher Eindruck wird lediglich durch die Überlagerung von Linien und Flächen erzeugt. [300]

Die die das Konzept der Tribüne bestimmende Leitidee ist die räumliche Organisation von Bewegungsabläufen, die in der Körpersprache des Agitators gipfelt. Dabei blieben die konstruktiven oder technischen Merkmale der Tribüne von sekundärer Bedeutung. Lissitzky selbst nennt die 12 m hohe Tribüne „Rednertribüne für öffentliche Plätze“. Das Temporäre des Entwurfs wird durch die Konstruktion dokumentiert – die Tribüne kann fast komplett zerlegt werden, um später an anderer Stelle wieder aufgebaut zu werden.[301] Die diagonal ausziehbare, leiterähnliche Konstruktion mit zwei Plattformen (Warteraum für Gäste und Rednerkanzel) besaß einen gläsernen Aufzug, der die Vortragenden bzw. Gäste zu den jeweiligen Plattformen beförderte. Der Kubus, auf dem die Eisenkonstruktion aufliegt, enthält den Maschinenraum und die Fahrkanzel, die ebenfalls völlig verglast sein sollte.

Eine am Ende der Eisenkonstruktion anzubringende Leinwand, die schnell zu entfalten war, diente der Verbreitung von Tagesparolen und sollte nachts als Kinoprojektionsfläche genutzt werden. Sie ist als Hinweis Lissitzkys zu verstehen, dass der Träger über sich selbst hinausweisen soll. In seiner Perspektive lässt Lissitzky das Wort Proletarier erscheinen.[302]

Lissitzky ersann in dem 1924 entworfenen Projekt Wolkenbügel eine völlig neuartige Gestalt des Bürohauses. Fasziniert von amerikanischer Ingenieurleistung kritisiert er beim „Skyscraper“ den Widerspruch zwischen moderner Konstruktion und historischer Gestaltung. Darüber hinaus lehnte er das amerikanische Hochhaus als Symbol des Kapitalismus ab. In diesem Spannungsfeld entsteht das Wolkenbügel-Projekt als Antithese zum Wolkenkratzer. Er beschäftigt sich mit einer nationalen Ausdrucksform für ein in die Struktur integriertes Hochhaus, das sich in der Betonung der Horizontalen deutlich vom „Skyscraper“ abgrenzen soll.

Städtebaulich integriert sich der Wolkenbügel, indem er den Verkehr der Stadt in sich aufnimmt. Halbkreisförmig um den Moskauer Ring angeordnet geben die acht Wolkenbügel ein Bild von symbolhaften Stadttoren mit der Bedeutung von Triumphbögen einer neuen Zeit ab.[303]

Allerdings wurde das Projekt, wie viele Entwürfe mit extremen Tragwerken, nie realisiert und ist hauptsächlich im Gebiet der Architekturtheorie anzusiedeln.[304]

Die russischen Avantgardisten verstanden die neue kommunistische Herrschaft dabei als Förderer und Wegbereiter avantgardistischer Kunst.

Am 3. April 1921 öffnete in Petrograd das Museum für Künstlerische Kultur seine Pforten und präsentierte sich mit 257 Arbeiten von 69 Künstlern dem Publikum. Sein wichtigstes Organisationsmerkmal bestand darin, dass ausschließlich die Künstler der Avantgarde selbst über das Museum verfügen sollten. Nach ihren Vorstellungen sollte ein Arbeitsplan zur revolutionären Neufassung der Kunstgeschichte erstellt werden. Alle führenden Köpfe der Petrograder Avantgarde waren an diesem Experiment beteiligt: Kandinsky, Tatlin, Malewitsch, Filonow, Matjuschin, dazu Theoretiker mit dem Kunsthistoriker und Schriftsteller Nikolai Nikolajewitsch Punin an der Spitze.

Wassily Kandinsky (1866-1944) war ein russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker, der auch in Deutschland und Frankreich lebte und wirkte. Mit Franz Marc war er Mitbegründer der Redaktionsgemeinschaft Der Blaue Reiter, die am 18. Dezember 1911 ihre erste Ausstellung in München eröffnete.[305] Der Blaue Reiter ging aus der 1909 gegründeten Neuen Künstlervereinigung München hervor, in der er zeitweise Vorsitzender war.[306]

Kandinsky war ein Künstler des Expressionismus und einer der Wegbereiter der abstrakten Kunst. Er wird häufig nach eigenen Angaben als Schöpfer des ersten abstrakten Bildes der Welt genannt, das aber möglicherweise mit der Angabe des Jahres 1910 statt 1913 vordatiert ist.[307]

Nach dem Abitur 1885 am humanistischen Gymnasium in Odessa begann er 1886 in Moskau Rechtswissenschaften, Nationalökonomie und Ethnologie an der Lomonossow-Universität zu studieren. Während des Studiums malte er und besuchte Kunstausstellungen. 1889 unternahm Kandinsky eine Expedition in das nördliche Ural-Gebirge, um dort das Rechtssystem der Syrjanen zu studieren. Ihn faszinierten die mythischen, abstrakten Bemalungen der Trommeln dieses Urvolkes. Der Einfluss dieser Eindrücke ist in Kandinskys Frühwerk deutlich zu erkennen. 1892 beendete er sein Studium mit dem juristischen Staatsexamen und heiratete seine Cousine Anja Tschimiakin. Im folgenden Jahr wurde er Assistent der juristischen Fakultät an der Moskauer Universität, promovierte mit der Dissertation Über die Gesetzmäßigkeit der Arbeiterlöhne und wurde zum Attaché der juristischen Fakultät ernannt.[308]

Eine Berufung an die estnische Universität in Dorpat lehnte er im Jahr 1896 ab, entschied sich für die Malerei und zog nach München, wo er zunächst von 1897 bis 1899 an der privaten Malschule von Anton Ažbe, ab 1900 an der Kunstakademie München bei Franz von Stuck studierte.

1901 war er zusammen mit Wilhelm Hüsgen und anderen Künstlern einer der Gründer der Künstlergruppe Phalanx und Leiter der dazugehörigen „Schule für Malerei und Aktzeichnen“.[309] Die Resonanz war allerdings so gering, dass der Ausstellungs- und Lehrbetrieb 1904 eingestellt werden musste. 1902 war Kandinsky zum ersten Mal in der Berliner Secession ausgestellt. In den Jahren 1903 bis 1904 machte er Reisen nach Italien, in die Niederlande und nach Nordafrika, zudem Besuche in Russland. Ab 1904 war er im Salon d’Automne in Paris vertreten. 1906 bis 1907 verbrachte er in der französischen Stadt Sèvres bei Paris. Nach ihrer Rückkehr 1908 nach München brach das Paar im Frühjahr nach Lana in Südtirol auf, wo beide immer noch im spätimpressionistischen Stil malten.[310]

Für Kandinskys künstlerische Weiterentwicklung war Murnau am Staffelsee eine entscheidende Station. Dort kam es im Sommer 1908 für ihn und Münter zur bedeutungsvollen Zusammenarbeit mit Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky. Unter dem stilistischen und maltechnischen Einfluss von Werefkin und Jawlensky wurden Münter und Kandinsky zu jenem „großen Sprung vom Naturabmalen mehr oder weniger impressionistisch zum Fühlen eines Inhalts, zum Abstrahieren zum Geben eines Extraktes inspiriert“.[311] In kurzer Zeit entwickelten sich Kandinsky und Münter durch die weit fortschrittlicher malenden Kollegen zu expressionistischen Malern. In diesem Jahr lernte er Rudolf Steiner kennen, dessen damalige Theosophie und nachherige Anthroposophie sein späteres Schaffen inspirierte und beeinflusste.[312]

Möglicherweise hatte sich nach dem ersten gemeinsamen Murnauer Aufenthalt das Verhältnis zwischen den beiden Malerpaaren kurzfristig getrübt. Vieles weist darauf hin, denn Weihnachten 1908 konzipierten Werefkin, Jawlensky, Adolf Erbslöh und Oscar Wittenstein im „rosafarbenen Salon“ der Werefkin allein die Idee, die Neue Künstlervereinigung München (N.K.V.M.) ins Leben zu rufen. Münter und Kandinsky waren jedenfalls an dem Projekt zunächst nicht beteiligt. Darüber ärgerte sich Kandinsky noch Jahre später, was zu einem gewissen Grad sein zögerliches Verhalten erklärt, als man ihm im Januar 1909 anbot, den Vorsitz der N.K.V.M. zu übernehmen.

Seit 1908 war Kandinsky Mitglied der Berliner Secession. Auf Grund einer Meinungsverschiedenheit mit dem Maler Charles Johann Palmié führte Kandinsky die sogenannte „Vierquadratmeter-Klausel“ in die Satzung der N.K.V.M. ein, gegen die er 1911 willentlich verstoßen sollte. In dieser Vereinigung hatte man sich zum Ziel gesetzt, „Kunstausstellungen in Deutschland wie im Ausland zu veranstalten“. Innerhalb dieses Kreises kam es zu drei bedeutenden Gemeinschaftsausstellungen in der Modernen Galerie Heinrich Thannhauser in München. In diese Zeit fällt auch seine Entwicklung hin zur abstrakten Malerei.[313]

Unter dem Eindruck der neuartigen Musik Schönbergs malte Kandinsky kurz darauf das Bild Impression III (Konzert) und schrieb dem ihm unbekannten Komponisten einen Brief, womit er eine inhaltliche Diskussion auslöste, in der Kandinskys „Thesen von der Verwandtschaft der Dissonanzen in der Kunst in der aktuellen Malerei wie in der musikalischen Komposition von Schönberg (…) aufgegriffen und fortgesetzt wurden.“[314] Am 4. Februar 1911 wurde Franz Marc Mitglied der N.K.V.M. und zugleich zum 3. Vorsitzenden der Vereinigung ernannt.

Als es in der N.K.V.M. immer häufiger zu Unstimmigkeiten gekommen war, die sich an Kandinskys zusehends abstrakter werdender Malerei entzündete, legte Kandinsky im Januar 1911 den Vorsitz der N.K.V.M. nieder. Er blieb aber vorerst Mitglied des Vereins. Im Juni entwickelte er Pläne zu eigenen Aktivitäten außerhalb der N.K.V.M. Eine „Art Almanach“, den er zunächst „Die Kette“ nennen wollte, gedachte er herauszubringen. Franz Marc gewann er zum Mitmachen, indem er ihm die gemeinschaftliche Redaktion des Buches Der Blaue Reiter anbot.[315]

Im Sommer beschlossen Kandinsky und Marc eine Abspaltung von der N.K.V.M. Insgeheim bereiteten sie für den kommenden Winter eine eigene Gegenausstellung zur Ausstellung der N.K.V.M. vor. Kandinsky malte das legendäre abstrakte Gemälde mit dem bedeutungsvollen Titel Das Jüngste Gericht/Komposition V, das mit über fünf Quadratmetern eindeutig gegen die Satzung der N.K.V.M. verstieß. Am 2. Dezember wurde das Bild der Jury präsentiert und fiel folgerichtig durch. „Protest“ vortäuschend, verließen Kandinsky und Marc die N.K.V.M. Münter und Alfred Kubin schlossen sich ihnen an.

Am 18. Dezember 1911 wurde die erste Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter in der Modernen Galerie Thannhauser in München eröffnet. Begleitend zur Ausstellung erschien Kandinskys Buch Über das Geistige in der Kunst, insbesondere in der Malerei.[316] Hierbei handelt es sich um eine Publikation, die Vorläufer in dem Buch mit dem Titel Grundprobleme der Malerei. Ein Buch für Künstler und Lernende hat. Es stammt von Werefkins und Jawlenskys Schüler Rudolf Czapek. Kandinsky kannte und besaß Czapeks Abhandlung. Auffallenderweise zitiert er Czapeks Werk jedoch nicht. Verblüffende Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen lassen sich im Vergleich beider Bücher feststellen.

Der Einfluss zur Abstraktion in seinem ersten theoretischen Kompendium, das er bereits 1910 geschrieben hatte, entstand auch unter dem Einfluss der neuesten physikalischen Entdeckungen Max Plancks und Albert Einsteins sowie der anthroposophischen Bewegung um Rudolf Steiner. Kandinsky formulierte Grundlegendes zur synästhetischen Wirkung der Farbe: „(…) muss freilich das Sehen nicht nur mit dem Geschmack, sondern auch mit allen anderen Sinnen im Zusammenhang stehen, (…) manche Farben können unglatt, stechend aussehen, wogegen andere wieder als etwas Glattes, Samtartiges empfunden werden, so dass man sie gerne streicheln möchte“.[317] Synästhesie war vorbereitet durch Henry van de Velde, Wilhelm Worringers Schrift Abstraktion und Einfühlung (1907) und der Eurhythmie der Anthroposophen.

Der Almanach „Der Blaue Reiter“ erschien ein halbes Jahr später, im Mai 1912.[318] Das Wort „Almanach“ musste auf Wunsch des Verlegers Piper aus dem Titelholzschnitt von Kandinsky vor Drucklegung entfernt werden. Geplante weitere Ausgaben erschienen nicht mehr, dafür wurde 1914 eine zweite Auflage mit neuem Vorwort Marcs nachgedruckt. Die in diesen Schriften zusammengetragenen Gedanken waren für die weitere Entwicklung der abstrakten Malerei von grundlegender Bedeutung. 1912 entwarf Kandinsky für die älteste Parfüm-Fabrik der Welt, Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz in Köln, einen Parfüm-Flacon.

Ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Kandinsky in der Armory Show in New York mit Improvisation Nr. 27 und mit sieben Bildern im Ersten Deutschen Herbstsalon in Berlin vertreten.[319] Nach der deutschen Kriegserklärung gegen Russland am 1. August 1914 konnte er nicht in Deutschland bleiben und floh mit Gabriele Münter am 3.August in die Schweiz. Von dort aus reiste er im November ohne Münter über Zürich weiter nach Russland und ließ sich in Moskau nieder.

Kandinsky erhielt verschiedene Professuren und gründete eine „Akademie der Kunstwissenschaften“. Im Januar 1918 wurde Kandinsky zum Mitglied der Abteilung der visuellen Künste (IZO) im Narkompros. Seine wichtigste Funktion aber übernahm er 1920 als erster Leiter des Instituts für Künstlerische Kultur (INChUK) in Moskau, wo er auf die führenden Künstler der russischen Avantgarde traf, auf Malewitsch, Tatlin und Rodtschenko. Nach der russischen Revolution verlor er sein Vermögen, das dank der Erbschaft von einem Onkel nicht unbedeutend gewesen war.[320]

Die Verhältnisse in der neuen Sowjetunion – die Einschränkungen der Kunstfreiheit durch die neuen Machthaber – wurden für ihn zunehmend unerträglich. Das Ehepaar reiste im Dezember 1921 über Riga nach Berlin aus, und Kandinsky nahm im Juni 1922, dem Ruf von Walter Gropius folgend, eine Lehrtätigkeit an der Werkstatt für Wandmalerei am Bauhaus in Weimar auf. Er konnte zwar legal ausreisen und nahm zwölf seiner Bilder mit, die restlichen verblieben jedoch im Depot des Moskauer Museums.

Bis zur Schließung des Bauhauses im Jahr 1933 durch die Nationalsozialisten war Kandinsky als Lehrer in Weimar, Dessau und Berlin tätig, wo er in Kontakt mit dem russischen Konstruktivismus kam. In dieser Zeit setzten sich endgültig die geometrischen Strukturen in seinen Bildern durch. In Dessau war er gemeinsam mit Paul Klee einer der Bewohner der Meisterhäuser des Bauhauses.

1924 gründete er mit Lyonel Feininger, Paul Klee und Alexej von Jawlensky die Künstlergruppe Die Blaue Vier.[321] 1926 erschien seine theoretische Schrift: Punkt und Linie zu Fläche. 1928 erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft. 1929 fand seine erste Einzelausstellung von Aquarellen und Zeichnungen in der Galerie Zack in Paris statt. Im Jahr 1930 traf er in Dessau mit Solomon R. Guggenheim zusammen. Guggenheim kaufte einige Bilder; nach und nach wurde daraus mit über 150 Arbeiten eine der größten Sammlungen von Kandinsky-Werken, die im Museum of Non-Objective Painting, dem heutigen Guggenheim-Museum, zu sehen sind.[322]

Mit der Schließung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 verließ das Ehepaar Kandinsky Deutschland und zog nach Neuilly-sur-Seine bei Paris, wo es am Boulevard de la Seine 135 eine Wohnung bezog. Kandinsky hatte es schwer, hier Fuß zu fassen, da die abstrakte Kunst wenig Anerkennung fand und kubistische sowie surrealistische Werke in den Galerien vorherrschten. Lediglich zwei kleine avantgardistische Galerien setzten sich für ihn ein: Jeanne Bucher mit ihrer kleinen Montparnasse-Galerie sowie Christian und Yvonne Zervos, die ihre Galerie im Büro der Kunstzeitschrift Cahiers d’Art führten.[323] 1934 nahm er an der Ausstellung der Künstlerbewegung Abstraction-Création in Paris teil. 1936 folgte die Teilnahme an den Ausstellungen Abstract and Concrete in London und Cubism and Abstract Art in New York. 1939 nahm das Ehepaar die französische Staatsbürgerschaft an, und er beendete seine letzte große Arbeit im Bereich der „Kompositionen“, die Komposition X.

1937 wurden 57 seiner Werke in deutschen Museen von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und 14 dann in der Ausstellung Entartete Kunst in München gezeigt. Im selben Jahr beteiligte er sich an der Pariser Ausstellung Origines et Dévellopment de l’Art International Indépendant im Musée Jeu de Paume. 1944 fand seine letzte Ausstellung, die er miterlebte, in der Pariser Galerie l’Esquisse statt. Wassily Kandinsky, der bis Ende Juli 1944 täglich malte, starb am 13. Dezember des Jahres in Neuilly-sur-Seine. Einige seiner Werke wurden postum auf der documenta 1 (1955), der documenta II (1959), der documenta III (1964) und auch der documenta 8 im Jahr 1987 in Kassel gezeigt. Die um 27 Jahre jüngere Nina Kandinsky hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Nachlass zu verwalten. Durch sie gelangten hinterlassene Bilder durch Verkauf oder Stiftung an große Museen, beispielsweise schenkte sie 30 Gemälde und Aquarelle dem Pariser Centre Pompidou.

Kandinsky besaß eine außergewöhnliche bildnerische Intelligenz und hatte ein ausgeprägtes Empfinden für Farbe und Form. Er ordnete den Farben tiefere Bedeutungen und Assoziationen zu und stellte sie in Gegensatzpaaren gegenüber:[324]

Kandinsky ging von der Synästhesie (Verschmelzen verschiedener Sinneseindrücke) aus und ordnete den Farben verschiedene andere Sinneseindrücke zu, der Farbe Blau beispielsweise die Eigenschaften „weich“ und „aromatisch“, der Farbe Gelb hingegen „scharf“ und „stechend“.[325]

Mit dem zunehmenden Abstraktionsgrad seiner Bilder entwickelte Kandinsky eine Art Grammatik, die es ihm möglich machte, in der Gegenstandslosigkeit zu arbeiten. Als Vorbild diente ihm hierbei die Musik, wo es möglich ist, Gefühle durch Noten auszudrücken. Ähnlich wie in der Musik teilte er seine Werke in drei Gruppen ein:

Die Grundidee bei diesen Bildern ist das Hören von Farben bzw. das Sehen von Klängen. Ziel der Kunst ist die Farbharmonie und das Berühren der menschlichen Seele. Dazu ordnet er „Farbklänge“ zu „Farbsymphonien“ an, die – ähnlich wie die Töne und Klänge in der Musik – Harmonie- oder Dissonanzgefühle auslösen.[326]

Obwohl sich Kandinsky zur japanischen Kunst offensichtlich nie geäußert hat, belegen japanische Holzschnitte in seinem Nachlass, dass er nicht nur fernöstliche Kunst sammelte, sondern sich auch mit ihr auseinandersetzte. Zu den überkommenen Objekten gehören drei Färberschablonen (katagami) aus dem 19. Jahrhundert und Drucke, u.a. Blätter von Hokusai, Hiroshige, und Kuniyoshi. Diese erklären japanische Einflüsse auf sein Werk, z.B. dass sich in seinen Bildern mit mittelalterlichen, biedermeierlichen oder russische Szenen gelegentlich typisch „japanische Motive, etwa Vogelschwärme oder Wolkenformationen“ finden.[327]

Ein anderes markantes Motiv, das Kandinsky 1909 mit geradezu wissenschaftlicher Akribie untersuchte und in seinem Gemälde Naturstudie aus Murnau I/Kochel-Gerade Straße untersuchte, ist die „japanische forcierte Perspektive“.[328] Erwähnenswert ist im Zusammenhang des Japonismus bei den Künstlern des Kreises um den Blauen Reiter, dass man Kandinskys Korrespondenz mit Marc die Kenntnis verdankt, dass letzterer in ostasiatische Specksteine seinen Namen bzw. sein Monogramm in japanischen Schriftzeichen schneiden ließ, um sie als Stempel zu verwenden.

Kandinsky war ein Synästhetiker, empfand also Farben nicht nur als optische, sondern z. B. auch als akustische Reize.[329] Er ordnete den Farben Klänge, Gerüche, Formen usw. zu. So empfand er Gelb als eine „spitze“ Farbe, die sich in Verbindung mit der spitzen Form des Dreieckes steigere. Daher versuchte er Bilder zu malen, wie man Musik komponiert; er sprach von „Farbklängen“ und verglich die Harmonie von Farben mit der Harmonie von Klängen.[330] Kandinsky sah auch die Gefahren für die abstrakte Kunst und schrieb, dass die Schönheit der Farbe und der Form kein genügendes Ziel der Kunst sei.

Wladimir Jewgrafowitsch Tatlin (1885-1953) war ein russischer Maler und Architekt. Neben Kasimir Malewitsch prägte er die Epoche der russischen Avantgarde.[331] 1902 trat er in die Moskauer Kunstfachschule für Malerei, Bildhauerei und Baukunst ein, wo er bis 1903 und in den Jahren 1909/1910 studierte. 1905 bis 1909 studierte er russische Ikonenmalerei an der Kunstschule in Pensa, nachdem er 1904 erneut als Matrose auf einem Schiff im Schwarzen Meer gearbeitet hatte. 1912 war er Mitglied der Künstlergruppe Eselsschwanz in Moskau.[332]

1914 hielt er sich länger in Berlin und Paris auf. In den Jahren 1918 bis 1921 unterrichtete er an den staatlichen Künstlerisch-Technischen Werkstätten (Wchutemas) in Moskau und ging anschließend nach Petrograd, wo er an der Kunstakademie unterrichtete. 1927 bis 1930 arbeitete er wieder in Moskau, am staatlichen Künstlerisch-Technischen Institut (Wchutein), 1925 bis 1927 in Kiew am dortigen Kunstinstitut.

Den Kubismus und wahrscheinlich auch den Futurismus lernte er in Paris kennen, wo er stark von der Arbeit Picassos beeinflusst wurde. Berühmt wurde er nicht zuletzt durch seinen utopischen Entwurf für das Monument der Dritten Internationale 0 10 aus dem Jahre 1919. Tatlins Werk zeichnet sich durch die den Kubisten und Futuristen eigene Expressivität aus. So sollten sich die Dynamik der Revolution und des Aufbruches in den Arbeiten wiederfinden.

Im Besonderen trat Tatlin als Begründer der Maschinenkunst hervor, welche die Ästhetik der Technik betonte, um sich besonders von einem romantisch bürgerlichen Kunstverständnis abzugrenzen. „Die Kunst ist tot. Es lebe die neue Maschinenkunst Tatlins“ – so stand es im Juni 1920 auf einem Schild anlässlich der Dada Ausstellung Erste Internationale Dada-Messe.[333] Tatlins Arbeiten stehen auch für Begriffe wie Dynamik, Schwerelosigkeit, Transparenz, Kraft und Konstruktion. Besonders sein 400 m hohes Turmprojekt Monument der Dritten Internationale 0 10, aber auch die Flugmaschine Letatlin zeugen von seinem Anliegen.

Der so genannte Tatlin-Turm sollte eine gigantische Maschine werden, die Konferenzräume, Aufzüge, eine Treppe und einen Radiosender beherbergen und deren Säule im Inneren sich nach den Gestirnen ausrichten können sollte. Das ehrgeizige Architekturprojekt wurde aus Kostengründen nicht gebaut, gilt aber bis heute als architekturhistorischer Meilenstein.[334]

Pawel Nikolajewitsch Filonow (1882-1941) war ein herausragender russischer Maler, Kunsthistoriker und Dichter. Pawel Filonow besuchte von 1894 bis 1896 in Moskau eine städtische Gemeindeschule, die er mit Auszeichnung abschloss. Nach dem Tod des Vaters und der Mutter zog er zu der Familie seiner Schwester nach St. Petersburg, wo er fünf Jahre lang Malerei in den Abendkursen an der Schule der Gesellschaft zur Förderung der Künste lernte. In dieser Zeit arbeitete er als Anstreicher und Dekorateur, entwarf Werbebilder und fertigte Drucklithografien, um sich vielseitige technisch-künstlerische Kompetenz zu erwerben.

Von 1903 bis 1908 nahm er dann Unterricht im Atelier von Lew Dmitijew-Kawkasski und besuchte danach als Gasthörer die Petersburger Kunstakademie, die er jedoch im Herbst 1910 ohne Abschluss verlassen musste. Auf Grund seiner Aussagen 1906–1907 wurden in seinem Werk bereits „naturalistische und abstrakte Determinanten eingeführt, bis zu dem Punkt, dass man die physiologischen Prozesse in den Bäumen malte und drumherum den von ihnen ausgehenden, ausströmenden Duft. Die Prozesse malen, die in ihnen vorgehen und die um sie herum eine Reihe von Phänomenen in der Sphäre bilden.“[335]

Zunächst suchte Filonow noch nach weiteren Anregungen, die er auf vielfältigen Reisen sammelte – auf der Wolga bis nach Astrachan, auf dem Meer bis Baku und Batumi, auf einer Pilgerfahrt über Konstantinopel nach Palästina (es scheint belegt zu sein, dass er 1908 in Jerusalem war), und schließlich 1912 auf einer sechsmonatigen Rundreise über Deutschland nach Italien und Frankreich, besucht Rom und viele andere italienische Städte wie auch Lyon und Paris – hierbei auf weiten Strecken zu Fuß wo er einige Bilder malte, ohne sich von der dortigen Moderne inspiriert zu füllen.

Filonow schloss sich als Gründungsmitglied von 1910 bis 1914 dem „Bund der Jugend“ an, einer Petersburger Künstlervereinigung initiiert und geleitet von Jelena Guro und Michail Matjuschin, an deren Ausstellungen sich einige Symbolisten und Künstler des Jugendstil beteiligten. Er selbst nahm an drei von der Gruppe organisierten Ausstellungen teil, publizierte Manifeste und schrieb alogische Verse. Während dieser Zeit hat er bereits eine ganze Reihe von wichtigen Werken geschaffen.

Eine Untersuchung der Berührungspunkte Filonows Kunst mit den Symbolisten, vor allem der klaren Führung einer Linie von Wrubel, aber auch den Einflüssen von James Ensor, Odilon Redon oder Jan Toorop bei denen ein subjektiver Impuls jedem Mal-Akt vorausging, steht noch aus. Allerdings hat er wohl aus dem Symbolismus die Notwendigkeit zur Änderung von Proportionen, um zum Kern der äußeren Erscheinungswelt vorzudringen, hergeleitet.

Am 11. März 1912 wurden seine Arbeiten auch in Moskau bei einer gleichnamigen Ausstellung mit der Künstlergruppe Eselsschwanz gezeigt. Bereits gegen Ende dieses Jahres verfasst Filonow den Aufsatz „Kanon und Gesetz“, in dem erstmals die Prinzipien der analytischen Kunst dargelegt werden: „Wir haben durch unsere Lehre das Leben als solches in die Malerei aufgenommen, und es ist klar, dass alle weiteren Folgerungen und Entdeckungen nur von ihr ausgehen werden, weil alles vom Leben ausgeht und außerhalb des Lebens nicht einmal Leere existiert; von nun an werden die Menschen in den Gemälden leben, wachsen, sprechen und denken, und sie werden sich in alle Geheimnisse des großen und armseligen Menschenlebens, des gegenwärtigen und zukünftigen, verwaldeln, dessen Wurzeln in uns liegen und die ewige Quelle ebenfalls.“[336] 1913 gestaltete er die recht großen Bühnenbilder für die Tragödie „Wladimir Majakowski“, in der weiterhin wichtige Dichter Majakowski selbst die Hauptrolle spielte.

In den Jahren 1914 bis 1915 schuf er Illustrationen für futuristische Bücher, darunter auch für den Sammelband „Brüllender Parnass“ zur Herausgabe von Iwan Puni und Michail Matjuschin sowie den Gedichtband von Welimir Chlebnikow mit dem Filonow viele Ansätze im Hinblick auf die lettrische Entwicklungen in der Malerei mit regelrechten Schrift-Bildern, auf denen Wörter grafisch vereinzelt und zu eigenständigen Bildzeichen umgewertet werden, teilte.

Zu dieser Zeit entstand in der Russischen Avantgarde eine originelle aber die kurzlebige Stilrichtung Kubo-Futurismus basierend auf den westlichen Kunstrichtungen Futurismus aus Italien mit der Begrüßung von Urbanismus „Maschinenzivilisation“ und Kubismus aus Frankreich mit den Anfängen im Pariser „Salon der Unabhängigen“. Dieser Stil ist in der Zeichnung Drei Figuren zu sehen. Aber bei ihm dominiert nicht die Fläche, die Konstruktion beruht auf der Linie. Dadurch wird eine gewisse Dynamik der Komposition erzeugt, die noch durch die Haltung der Figuren unterstützt wird.

Filonows analytische Malerei strebte jedoch ins „Pflanzenhaft-Organische“ sowie „Mystisch-Kosmische“.[337] Dem sehenden Auge sind Farbe und Form des Objektes untergeordnet. Das wissende Auge entdeckt aufgrund seiner Intuition verborgene Prozesse, und der Künstler malt sie abstrakt als zu erfindende Form, welche der Maler in das Bild zugleich in „Serien von Verwandlungsprozessen“ projiziert.

In diese Zeit bereits fällt die Entstehung seiner ersten Gedanken zum fortwährenden Bereich Analytische Kunst von der atomaren Analyse bis zur Synthese von Makrostrukturen. Mit der Gründung einer sog. „Intimen Werkstatt der Maler und Zeichner Gemachte Bilder“ als eine Vereinigung von Gleichgesinnten, die im März 1914 ein gleichnamiges Manifest als Druckfaltblatt veröffentlichten, unternimmt der Maler die ersten Schritte in seine ganz eigene Kunstrichtung. Einer seiner wenigen Freunde war der futuristische Dichter und Musiker Alexej Krutschonych, der Filonow viel später in seinem Nachtruf einen „Zeugen des Unsichtbaren“ nannte. Im März 1915 wurden dann sein eigener Band „Lied der weltweiten Blüte“ mit transrationalen Gedichten bzw. als rhythmische Prosa und eigenen Illustrationen vom Verlag „Schurawl“ in St. Petersburg als „Gesangbuch vom Weltgewächs“ herausgegeben. Im gleichen Jahr verfasste Filonow das theoretische Manifest „Gemachte Bilder“.

Vom Herbst 1916 bis Anfang 1918 (Februarrevolution) musste er einen Militärdienst an der rumänischen Front ableisten. 1918 kehrte er nach Petrograd zurück und nahm im Mai-Juni 1919 an der „Ersten Staatlichen Freien Ausstellung künstlerischer Werke“ im Winterpalast teil, wo er den 22 Gemälde umfassenden Zyklus „Einführung ins Welterblühen“ zeigte.

1922 nahm Filonow an der Ausstellung „Vereinigung neuer Richtungen in der Kunst“ im Museum für künstlerische Kultur teil. Filonow zeigte gemeinsam mit anderen Künstlern alle seine Arbeiten, angefangen mit den akademischen Studien. Später stellte er sie nicht mehr aus. Die Erste Russische Kunstausstellung Berlin 1922 zeigte seine „Komposition“, während weitere Werke au der Fünften Ausstellung der „Künstlergemeinde“ in Petrograd zu sehen waren.

Ab 1923 war er Mitglied des GINChUK, das unter der Leitung von Kasimir Malewitsch stand. Filonow leitete dort zeitweise die Abteilung für Allgemeine Ideologie. Erhalten blieb das Forschungsprogramm des Künstlers: „Grundlage des Unterrichts der bildenden Kunst nach dem Prinzip der reinen Analyse, als höchste Stufe des Schaffens.“ In dieser Zeit pflegte er auch Kontakte mit Wissenschaftlern u.a. dem Physiker Jakow Frenkel und der bekannten russischen Genetikerin R. Berg.

1925 gründete er die Künstlergruppe „Meister der Analytischen Kunst“, die einen regen Zulauf zu verzeichnen hatte, jedoch offiziell erst 1927 anerkannt wurde.[338] Im Herbst 1925 fand in der Akademie der Künste eine dreitägige Ausstellung von Arbeiten der Gruppe statt. Am 17. April 1927 dann im Leningrader Haus der Presse eine „Ausstellung der Meister der analytischen Kunst. Die Filonow-Schule“. Am 1. November ist Filonow in einer Ausstellung neuester Kunstrichtungen im Russischen Museum vertreten. Filonows Grundkonzept lautete „die Darstellung des Gegenstandes nicht durch seine äußere, sichtbare Form, sonder mittels der Vergegenwärtigung der inneren Funktionen und Prozesse, die sich im Gegenstand ereignen.“. Er empfahl „nicht große, sondern kleine Pinsel“, um „buchstäblich jedes Atom zu machen“. In den „lebendigen Köpfen“ mit ihrer offen gelegten Zellstruktur werden organische Komponenten des Menschen dargestellt – eine Vorgehensweise, die einige Jahrzehnte später in der Bionik zur Anwendung kam. Offiziell funktionierte die Gruppe der Anhänger der Analytischen Kunst dann noch aktiv bis 1932, Arbeitstreffen in Filonows Atelier gab es aber noch bis zu seinem Tod im Jahr 1941.

Vom Herbst 1929 bis Dezember 1930 wurde seine geplante Einzelausstellung im Staatlichen Russischen Museum eingerichtet, jedoch letztendlich für die Öffentlichkeit nicht eröffnet. Danach wurde er an der Arbeit gehindert und seine Werke konnten nur noch in wenigen Ausstellungen sehr eingeschränkt gesehen werden, in denen sich die Komplexität der Beziehung zwischen Abstraktion und Figuration spiegelten. Seine selbst noch in der Abstraktion erzählerischen, vielschichtigen und transistorischen Bilder sind nur noch einem engen Kreis der Anhänger zugänglich geblieben.[339]

Pawel Filonow starb im Dezember 1941 in der Karpowka 19, wo er seit 1919 wohnte und arbeitete, ausgehungert und mit einer Lungenentzündung während der Belagerung von Leningrad im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Tod des Künstlers befand sich praktisch sein gesamtes Werk lange Zeit im Haus seiner Schwester. Später schenkte sie erst einige Bilder dann 1977 das ganze Erbe in seinem Sinne dem Staatlichen Russischen Museum, wo jetzt diese Sammlung konzentriert ist. Eine große Ausstellung wurde in Leningrad erst 1988 nachgeholt, und nach einer Zwischenstation in Moskau auch im Pariser Centre Pompidou und in der Kunsthalle Düsseldorf.

Michael Wassiljewitsch Matjuschin (1861-1934) war ein russischer Maler und Komponist. Von 1876 bis 1881 erhielt er eine Ausbildung am Moskauer Konservatorium und arbeitete von 1882 bis 1913 als Violinist im Hoforchester von Sankt Petersburg. Parallel dazu studierte er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Jelena Genrichowna Guro Kunst an einer privaten Kunstschule und malte in dieser Zeit eine Serie von Landschaftsbildern.

Als Mitbegründer des Bundes der Jugend bildete er mit Jelena Guro ab 1910 den Mittelpunkt der Avantgarde in St. Petersburg; er entwickelte seine Ideen in engem Austausch mit Nikolai Kulbin, Pawel Filonow und Kasimir Malewitsch.

Matjuschin zählte als einer der Begründer des Futurismus in der Kunst. Mit Malewitsch verband ihn eine lebenslange Freundschaft; 1913 entwarfen sie mit zwei weiteren Künstlern die Oper „Sieg über die Sonne“, zu der Malewitsch das Bühnenbild schuf, welches ihn zur Entwicklung des Suprematismus inspirierte. Matjuschin schrieb zu der Oper die Musik, der Dichter Welimir Chlebnikow den Prolog.

Von 1921 bis 1923 arbeitete er im Museum für künstlerische Kultur, deren „Abteilung für wissenschaftliche Erforschung der organischen Kunst“ er ab 1923 leitete, und gehörte dem Museumsvorstand an. Diese Stelle behielt er auch inne, als das Institut 1924 in das GINChUK, „Staatliches Institut für künstlerische Kultur“, umgewandelt wurde.[340]

1929–1932 arbeitete er mit seinen Schülern an der Erstellung eines Handbuchs für Farbstudien: „Gesetzlichkeit der Veränderung von Farbkombinationen: Nachschlagewerk für Farben“, das 1932 in 400 Exemplaren aufgelegt wurde. Seine „Theorie des erweiterten Sehens“ war ein Versuch, innerhalb der Avantgarde eine Gegenströmung zu bilden.

Dawid Dawidowitsch Burljuk (1882-1967) war ein russisch-amerikanischer Dichter und bildender Künstler, der zur Russischen Avantgarde zählte. Seine Geschwister Ljudmila, Wladimir und Nikolaj waren ebenfalls Avantgardeküstler.[341]

Dawid Burljuk besuchte von 1898 bis 1902 abwechselnd die Kunsthochschulen in Kasan und Odessa. Gemeinsam mit seinem Bruder Wladimir Burljuk studierte er ab 1902 in München an der Schule von Anton Ažbe und an der Königlichen Akademie der Schönen Künste bei Wilhelm von Diez, 1904/05 bei Fernand Cormon an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris.

1907 kehrte Burljuk nach Russland zurück. Dort wurde er eine der führenden Persönlichkeiten der Avantgarde.[342] Burljuk war Mitbegründer und Mitglied avantgardistischer künstlerischer Vereinigungen (Hyläa, Eselsschwanz) und nahm an zahlreichen avantgardistischen Ausstellungen teil: Der Kranz in Moskau (1907–1908), Das Dreieck in St. Petersburg (1910), Karo-Bube, Bund der Jugend (1910–1912). 1908 organisierte er die Ausstellung Sweno in Kiew, zu der er auch sein erstes Manifest herausgab.[343]

1911 schrieb Burljuk einen Beitrag für den Katalog der zweiten Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.) und 1912 den Beitrag Die „Wilden“ Russlands für den Almanach Der blaue Reiter; in der Ausstellung der Künstlergruppe wurden die Gemälde Kopf und Pferde gezeigt, im Almanach war der Kopf reproduziert. 1913 nahm er gemeinsam mit Bruder Wladimir am Ersten Deutschen Herbstsalon in der Berliner Galerie „Der Sturm“ von Herwarth Walden teil, von ihm wurden fünf Bilder zum Verkauf angeboten. In Zusammenarbeit mit den Dichtern Wladimir Majakowski und Wassili Kamenski organisierte er 1913/1914 eine Tournee der Futuristen durch 17 russische Städte.

Dawid Burljuk war auch Autor vieler futuristischer Publikationen (Der brüllende Parnaß, Das Altarbuch der Drei, Garten der Richter u.a.); ab 1915 war er Redakteur des Ersten Futuristischen Journals und ab 1918 Mitherausgeber der Zeitung der Futuristen.[344] Nachdem er sich während der Oktoberrevolution von 1917 bis 1919 im Ural und in Sibirien aufhielt, entschied er sich, Russland zu verlassen. In den Jahren 1920 bis 1922 bereiste er Japan und den Südpazifik und emigrierte ab 1922 für den Rest seines Lebens in die USA.

Welimir Chlebnikow (1885-1922) war ein Dichter des russischen Futurismus, dessen Werk und Einfluss aber weit über diese Bewegung hinausreicht.[345]

Die Bereiche Chlebnikows Studiums – Mathematik, Naturwissenschaften, Sanskrit und Slawistik – deuten nur auf die wesentlichen Gebiete hin, die sich in seinem Schaffen niederschlugen. Seine ungewöhnliche Persönlichkeit rief höchste Achtung, Unverständnis, aber auch Spott hervor. Er legte keinen Wert auf materiellen Besitz und lebte meist ohne ständigen Wohnsitz. Chlebnikow beeinflusste die russische Dichtung wie kein anderer. Er gehörte der bedeutsamsten Futuristengruppe Gileas an. Zusammen mit Wladimir Majakowski, Dawid Burljuk und Alexei Krutschonych veröffentlichte er 1912 das Manifest Eine Ohrfeige dem allgemeinen Geschmack, das auch als Manifest des russischen Futurismus gilt.[346]

Zu seinen bekanntesten Werken zählen Bobeobi (1908/09), Grashüpfer (1908/09), Kolokol Uma (1913) und die so genannte Über-Erzählung Sangesi. Zusammen mit Aleksei Krutschonych (Text) und Michail Matjuschin (Musik), zu Dekorations- und Kostümentwürfen von Kasimir Malewitsch, gehörte er zu den Autoren der ersten futuristischen Oper Sieg über die Sonne (Pobeda nad solnzem); einem Schlüsselwerk der russischen und europäischen Avantgarde, uraufgeführt in Petersburg im Dezember 1913.[347]

Die Oper ist das Ergebnis einer interdisziplinären Kollektivarbeit der russischen Künstler Alexej Krutschonych (Libretto), Welimir Chlebnikow (Prolog), Michail Matjuschin (Musik) und Kasimir Malewitsch (Lichtregie, Kostüme und Bühnenbild), die nach dem ersten panrussischen Kongress der Futuristen (der „Sänger der Zukunft“) in Uusikirkko, dem heutigen russischen Poljany, im Juli 1913 begann. Ziel der Zusammenkunft war es, ein futuristisches Theater als Angriff auf „das Bollwerk des künstlerischen Elends“, das russische Theater zu schreiben. Die Aufführungen wurden von der Künstlergruppe Sojus Molodeschi (Union der Jugend) organisiert. Die Miete für das Theater soll einen Großteil der Mittel für die Produktion in Anspruch genommen haben.

Sieg über die Sonne gliedert sich in einen Prolog, zwei Aufzüge und sechs Bilder. Vier Bilder sind für den ersten Aufzug vorgesehen, zwei Bilder für den zweiten. Es wurden hauptsächlich Laiendarsteller als kontrapersonale, stark stereotype Charaktere vorgestellt.[348]

Der Prolog des Stückes steht in keiner Beziehung zum weiteren Inhalt der Oper, sondern soll die Aufmerksamkeit des Publikums erregen.[349] Die eigentliche Handlung fokussiert dann hauptsächlich auf den Erlebnissen eines Zeitreisenden, der von einer veränderten Gesellschaft im 35. Jahrhundert erzählt, „dort ist Kraft ohne Gewalt, und die Rebellen kämpfen mit der Sonne und obwohl dort kein Glück ist, sehen alle glücklich und unsterblich aus. (…) Kein Wunder, dass ich ganz staubig bin.“ Der Kampf der „futuristischen Kraftmenschen“ gegen die Sonne wird gewonnen und die Sonne in ein „Haus aus Beton“ eingeschlossen. Der zweite Aufzug schildert die Perspektiven der Gesellschaft ohne Sonne „in zehnten Ländern“, ohne Vergangenes und ohne Erinnerung: „Wir haben auf das Vergangene geschossen. Ist denn etwas geblieben? Keine Spur.“[350]

Es zeigt sich, dass die Befreiten mit ihrer gewonnenen Freiheit wenig anfangen können: „Allen wurde leicht zu atmen und viele wissen nicht, was sie mit sich tun sollen vor unwahrscheinlicher Leichtigkeit. Einige versuchen sich zu ertränken, die Schwachen haben den Verstand verloren, sie sagten: wir können doch schrecklich und stark werden. Das hat sie beschwert. Am Ende steht die Schlussfolgerung: „Anfang gut, alles gut, wir sind ohne Ende. Geht auch die ganze Welt zugrund, wir sind ohne Ende.“[351] Der Handlungsverlauf wird von teils unverständlichen und alogischen Episoden überblendet, die das lineare Verstehen der Geschichte erheblich erschweren. „Wir praktizieren in einer Opernaufführung die totale Zerschlagung der Begriffe und Worte, der alten Dekoration und der musikalischen Harmonie. Wir schufen ein neues, von konventionellem Erleben befreites Werk, – voll in sich selbst in scheinbarer Sinnlosigkeit der Worte, der Malerei und der Laute, – wir schufen die neuen Zeichen der Zukunft“.[352]

Die Distanz zur eigentlichen Handlung, die durch Stilmittel, wie absichtliches Falschsingen oder Onomatopöie sowie ein umgestimmtes Klavier anstelle des üblichen Orchesters erreicht wird, lässt letztlich keine Schlussfolgerungen hinsichtlich etwaiger politischer Absichten der Autoren zu, obwohl die Zeit, in der die Oper entstand und aufgeführt wurde, deutlich reflektiert und kommentiert wird. Die Absichten hinsichtlich einer Erneuerung der Theaterkultur und der russischen Kunst und Kultur im Allgemeinen waren dabei offensichtlich: „Die Schauspieler waren inmitten der Zuschauer positioniert, schrieen diese im Laufe des Stückes an, griffen nach ihnen und bespuckten sie. Das eigentliche Ziel (…) war (…) die Einbeziehung des Zuschauers in die Darstellung, um geistige und körperliche Ausbrüche zu provozieren und so Kunst spürbar zu machen.“[353]

Die Oper „vergegenwärtigt den Kampf der Erdbewohner gegen die Sonne –Symbol der Lebenskraft, aber auch der Vernunft, der Aufklärung– sowie die endgültige Bezwingung des Gestirns durch die moderne Technik, vor allem durch den Einsatz von Flugmaschinen“.[354] Krutschonych bedient sich an mehreren Stellen der von ihm entwickelten transrationalen Zaum-Sprache, eines lauthaften Vorläufers von Dada und konkreter Poesie. Matjuschin komponierte die Musik unter Verwendung von Vierteltonintervallen (erste Vierteltonexperimente) und Geräuschen, so Propeller- und Maschinengeräuschen, Kanonendonner. Der Bühnenvorhang zeigte das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch, das substanzgewordene Nichts, eines der Schlüsselwerke der Kunstgeschichte, des Futurismus und Initialwerk des Suprematismus.[355]

Durch die kubofuturistischen Kostüme waren die Möglichkeiten hinsichtlich der Bewegungsabläufe reduziert. Bühnenbild und Kostüme wurden durch den Einsatz von Scheinwerfern und Lichteffekten in ihrer Wirkung auf die Zuschauer verstärkt, die Körper der Schauspieler oft nur teilweise beleuchtet. Die Kostüme aus Draht und Pappe orientierten sich an den geometrischen Grundformen und den Farben Schwarz, Gelb, Rot und Blau.

Eines der erklärten Ziele der Oper war es, den Übergang vom Kubismus zur Gegenstandslosigkeit in Szene zu setzen. Mehr als bei vielen anderen Ereignissen muss der historisch-politische, insbesondere aber auch der künstlerisch-kulturelle Zusammenhang für eine Interpretation hinzugezogen werden. Der politische Hintergrund ist –wenn auch die Absichten der Autoren schwer zu bewerten sind– weit offenbarer als der künstlerische. So kann das Stück nahtlos in die prärevolutionären Entwicklungen in Russland seit 1905 gestellt werden.

Der Kampf gegen die Sonne symbolisiert den Kampf gegen das Althergekommene und spiegelt die industrielle Revolution des blühenden spätzaristischen Russland wider.[356] Die ironische Brechung durch die aufgeführten künstlerischen Stilmittel lässt dabei unterschiedliche Schlussfolgerungen zu und stellt den revolutionären Gehalt zum Teil auf den Kopf. Denkbar offen ist der Spielraum für mögliche Interpretationen. Der Skandal kam indes wohl vor allem durch die konsequente Verwendung der zu seiner Zeit noch befremdenden Stilmittel zustande.

Aber auch inhaltlich zeigt sich Distanz. Nach der Gefangennahme der Sonne heißt es: „Wir sind frei. Zerschlagen ist die Sonne. Es lebe die Dunkelheit, die schwarzen Götter, ihr Liebling – das Schwein.“ Das Licht der Sonne ist ins Innere verlegt: „Von Angesicht sind wir dunkel. Unser Licht ist in uns.“[357] Die Aufführungen der Oper sollen zu handfesten Auseinandersetzungen mit dem Publikum geführt haben, die meisten Kritiker lehnten das Werk rundherum ab.

Von der Oper selbst sind nur Bruchstücke erhalten. Bisher gibt es wenige nennenswerte Rekonstruktionen des Stücks.[358] Eine stammt vom Los Angeles County Museum of Art in Zusammenarbeit mit dem California Institute of the Arts unter der Regie von Robert Benedetti (Victory over the Sun) und wurde bei den Berliner Festspielen 1983 aufgeführt. In dieser Fassung wird der Aspekt des Sprechtheaters stärker berücksichtigt. 1984 erarbeitete die Theaterunie Amsterdam (Regie: Chaim Levano, Musikalische Leitung: Huub Kerstens) die Produktion "Overwinning op de Zon", die die Konzeption des biomechanischen Maschinentheaters betonte.

Eine dritte Version aus dem Jahr 1993 versteht sich eher als Entwicklung des Materials und stammt vom österreichischen K&K Musiktheater unter der Leitung von Dieter Kaufmann, Musik: Sergei Dreznin, Bühnenbild und Film: Klaus Karlbauer. Der Komponist und Pianist Sergei Dreznin ist in Wsewolod Meyerholds Biomechanik geschult, die bereits für die Treppenszene von Panzerkreuzer Potemkin angewendet wurde. Diese Fassung berücksichtigt stärker den opernhaften Charakter des Originals. Eine weitere Fassung unter der Leitung von Julia Hollander, Musik: Jeremy Arden, wurde 1999 in London aufgeführt. Darüber hinaus hat die Oper zahlreiche Künstler in ihrem Schaffen beeinflusst, so El Lissitzky, der Sieg über die Sonne 1923 mit einem Mappenwerk thematisierte.

In seinem Werk experimentierte Chlebnikow mit der russischen Sprache.[359] Er ging zu ihren Wurzeln zurück und erfand unzählige Neologismen. Zusammen mit Krutschonych entwickelte er die Kunstsprache Zaum, die eine Universalsprache, eine Sternen- oder auch Vogelsprache werden sollte. Er war außerdem fasziniert von slawischer Mythologie und konzipierte eine Synthetisierung der euroasiatischen Geisteswelt. Er sah sich selbst als Vorsitzenden der Erdkugel, praktizierte eine „Schicksalswissenschaft“, die er im Grenzbereich zwischen Poesie und Mathematik angesiedelt hatte und die es ihm ermöglichte, den Untergang des Zarenreiches, den Zweiten Weltkrieg und die Befreiung Afrikas von der Kolonisierung vorauszusagen.[360] Auf der documenta 8 im Jahr 1987 in Kassel wurden Aufnahmen von ihm im Rahmen der „Archäologie der akustischen Kunst 1 und 2: Radiofonia Futurista und Dada-Musik“ als offizieller Ausstellungsbeitrag aufgeführt.

Olga Wladimirowna Rosanowa (1886-1918) war eine russische Malerin, Lyrikerin und Kunsttheoretikerin, deren Werke den Stilen Suprematismus, Neoprimitivismus und Kubofuturismus zugerechnet werden.[361] Ab 1905 besuchte Rosanowa gemeinsam mit Nadeschda Udalzowa in Moskau eine von den Künstlern Konstantin Juon und Iwan Dudin geleitete Schule. Parallel dazu absolvierte sie zwischen 1904 und 1912 ein Studium der angewandten Kunst an der Bolschakow-Schule und an der Stroganow-Schule für angewandte Kunst in Moskau. Im Jahre 1910 zog sie von Moskau nach Petersburg (damals Petrograd) um, wo sie ein Gründungsmitglied des Künstlerverbandes „Union der Jugend“ wurde.

Zwischen 1912 und 1913 folgte ein Studium an der Swanzewa-Kunstschule in St. Petersburg. In dieser Zeit freundete sie sich mit Velimir Chlebnikow und Kasimir Malewitsch an. Zwischen 1911 und 1917 nahm Rosanowa an den Ausstellungen des Verbandes der Jugend teil, sowie an mehreren Avantgarde-Ausstellungen wie Tramway V, 0.10, Karo-Bube.

Im Jahre 1913 wurden Zeichnungen Rosanowas für den Lyrikband Ein Entennest von schlechten Wörtern von Alexej Krutschenych für den italienischen Künstler und Begründer des Futurismus Marinetti in die Buchseiten als Bild montiert. Dieses Buchprojekt bedeutete wesentliche Neuerungen für die Typographie und die Buchkunst. Es fasst „sozusagen alle Strömungen der Russischen Avantgarde-Malerei des Jahres 1913 zusammen: neben dem Rayonismus findet man den Neoprimitivismus und Kubofuturismus mit seiner Formenfülle: „Manchmal gibt es eine reine Illustration ohne Text, in der man einen Einfluß des Rayonismus feststellen kann, manchmal - und das ist eine wesentliche Neuheit - besteht das Blatt aus einem handgemalten Text, der von Farbe durchzogen wird.“[362]

Anfang 1914 wurden fünf ihrer Werke auf der von Marinetti in Rom veranstalteten „Internationalen Futuristenausstellung“ gezeigt, so auch die Illustrationen zum Buch „Entennest“ ihres Mannes Aleksei Kruchenykh, Dichter des Futurismus, den sie 1916 heiratete.

Fußnoten

  1.  ↑ Vgl. Dazu Perigi, I.: Leningrad und die Schlösser der Umgebung, Stuttgart 1984
  2.  ↑ Norman, G.: The Hermitage. London 1997, S. 12
  3.  ↑ Norman, G.: The Hermitage. London 1997, S. 27
  4.  ↑ Kusber, J.: Kleine Geschichte St. Petersburgs, Regensburg 2009, S. 28
  5.  ↑ Schlögel, K./ Schenk, F. B./Ackeret, M. (Hrsg.): Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte, Frankfurt am Main 2007,
  6.  ↑ Kusber, J.: Kleine Geschichte St. Petersburgs, Regensburg 2009, S. 37
  7.  ↑ Talbot Rice, T.: Die Kunst Russlands. Zürich 1965, S. 164
  8.  ↑ Doroschinskaja, J.: Leningrad und Umgebung. Moskau 1980, S. 131
  9.  ↑ Talbot Rice, T.: Die Kunst Russlands. Zürich 1965, S. 165
  10.  ↑ Doroschinskaja, J.: Leningrad und Umgebung. Moskau 1980, S. 130
  11.  ↑ Moll, M.: Architektur in Russland, Aachen 1990, S. 132
  12.  ↑ Moll, M.: Architektur in Russland, Aachen 1990, S. 134
  13.  ↑ Doroschinskaja, J.: Leningrad und Umgebung. Moskau 1980, S. 130
  14.  ↑ Volkov, S.: St. Petersburg. A Cultural History, New York 1995, S. 76
  15.  ↑ Schlögel, K.: Petersburg. Das Laboratorium der Moderne 1909–1921, Frankfurt am Main 2009, S. 36
  16.  ↑ Volkov, S.: St. Petersburg. A Cultural History, New York 1995, S. 123
  17.  ↑ Schlögel, K.: Petersburg. Das Laboratorium der Moderne 1909–1921, Frankfurt am Main 2009, S. 42
  18.  ↑ Simons, P.: Die Liebenden von Leningrad, Augsburg 2008, S. 102
  19.  ↑ ext. ReferenzHellmann, M. u.a.: Weltgeschichte – Russland, Band 31, Frankfurt am Main 1998, S. 221
  20.  ↑ ext. ReferenzSchmidt, C.: Russische Geschichte 1547–1917, München 2003, S. 145
  21.  ↑ Hellmann, M. u.a.: Weltgeschichte – Russland, Band 31, Frankfurt am Main 1998, S. 224ff
  22.  ↑ Granin, D.: Peter der Grosse, Berlin 2001, S. 45
  23.  ↑ ext. ReferenzSchmidt, C.: Russische Geschichte 1547–1917, München 2003, S. 154
  24.  ↑ ext. ReferenzHellmann M./ Zernack, K./ Schramm, G.: Handbuch der Geschichte Russlands, Band 6, Berlin/Wien 2008, S. 290
  25.  ↑ Granin, D.: Peter der Grosse, Berlin 2001, S. 58
  26.  ↑ ext. ReferenzArouet de Voltaire, F. M.: Geschichte Karls XII., Königs von Schweden. Deutscher Bücherbund, Hamburg/Stuttgart 1963, S. 54
  27.  ↑ ext. ReferenzHellmann M./ Zernack, K./ Schramm, G.: Handbuch der Geschichte Russlands, Band 6, Berlin/Wien 2008, S. 324
  28.  ↑ ext. ReferenzHellmann, M. u.a.: Weltgeschichte – Russland, Band 31, Frankfurt am Main 1998, S. 245
  29.  ↑ ext. ReferenzRichter, B.: Verbrannte Erde – Peter der große und Karl XII. Die Tragödia des ersten Russlandfeldzuges. MatrixMedia Verlag, Göttingen 2010, S. 105f
  30.  ↑ ext. ReferenzEnglund, P.: The Battle That Shook Europe – Poltava and the Birth of the Russian Empire, London 2002, S. 78
  31.  ↑ ext. ReferenzMassie, R. K.: Peter der Große – Sein Leben und seine Zeit, Frankfurt/Main 1987, S. 65
  32.  ↑ ext. ReferenzRichter, B.: Verbrannte Erde – Peter der große und Karl XII. Die Tragödia des ersten Russlandfeldzuges. MatrixMedia Verlag, Göttingen 2010, S. 76
  33.  ↑ ext. ReferenzEnglund, P.: The Battle That Shook Europe – Poltava and the Birth of the Russian Empire, London 2002, S. 107
  34.  ↑ ext. ReferenzMassie, R. K.: Peter der Große – Sein Leben und seine Zeit, Frankfurt/Main 1987, S. 82
  35.  ↑ ext. ReferenzEnglund, P.: The Battle That Shook Europe – Poltava and the Birth of the Russian Empire, London 2002, S. 97
  36.  ↑ ext. ReferenzBremm, K.-J.: Im Schatten des Desasters – Zwölf Entscheidungsschlachten in der Geschichte Europas, Norderstedt 2003, S. 76
  37.  ↑ ext. ReferenzArouet de Voltaire, F. M.: Geschichte Karls XII., Königs von Schweden. Deutscher Bücherbund, Hamburg/Stuttgart 1963, S. 79f
  38.  ↑ ext. ReferenzRegan, G.: Battles that changed History. 2. Auflage, London 2002, S. 64
  39.  ↑ ext. ReferenzMassie, R. K.: Peter der Große – Sein Leben und seine Zeit, Frankfurt/Main 1987, S. 137
  40.  ↑ ext. ReferenzRegan, G.: Battles that changed History. 2. Auflage, London 2002, S. 90
  41.  ↑ ext. ReferenzArouet de Voltaire, F. M.: Geschichte Karls XII., Königs von Schweden. Deutscher Bücherbund, Hamburg/Stuttgart 1963, S. 136
  42.  ↑ ext. ReferenzBremm, K.-J.: Im Schatten des Desasters – Zwölf Entscheidungsschlachten in der Geschichte Europas, Norderstedt 2003, S. 89
  43.  ↑ ext. ReferenzEnglund, P.: The Battle That Shook Europe – Poltava and the Birth of the Russian Empire, London 2002, S. 138
  44.  ↑ Frost, R. I.: The Northern Wars. War, State and Society in Northeastern Europe, 1558–1721, Harlow u. a. 2000, S. 28f
  45.  ↑ Englund, P.: The Battle that Shook Europe. Poltava and the Birth of the Russian Empire, London u. a. 2003,S. 18
  46.  ↑ Englund, P.: The Battle that Shook Europe. Poltava and the Birth of the Russian Empire, London u. a. 2003, S. 68
  47.  ↑ Fiebig, E. S.: Der Große Nordische Krieg 1700–1715/21, in: Dies./ Schlürmann, J. (Hrsg.): Handbuch zur nordelbischen Militärgeschichte. Heere und Kriege in Schleswig, Holstein, Lauenburg, Eutin und Lübeck 1623–1863/67, Husum 2010, S. 367–408, hier S. 403
  48.  ↑ Duffy, C.: Russia's Military Way to the West. Origins and Nature of Russian Military Power, 1700–1800, London u. a. 1981, S. 73
  49.  ↑ Fiebig, E. S.: Der Große Nordische Krieg 1700–1715/21, in: Dies./ Schlürmann, J. (Hrsg.): Handbuch zur nordelbischen Militärgeschichte. Heere und Kriege in Schleswig, Holstein, Lauenburg, Eutin und Lübeck 1623–1863/67, Husum 2010, S. 367–408, hier S. 382
  50.  ↑ Duffy, C.: Russia's Military Way to the West. Origins and Nature of Russian Military Power, 1700–1800, London u. a. 1981, S. 87
  51.  ↑ Frost, R. I.: The Northern Wars. War, State and Society in Northeastern Europe, 1558–1721, Harlow u. a. 2000, S. 77
  52.  ↑ ext. ReferenzHellmann, M. u.a.: Weltgeschichte – Russland, Band 31, Frankfurt am Main 1998, S. 226
  53.  ↑ Donnert, E.: Peter der Große, Leipzig 1988, S. 56ff
  54.  ↑ Hans-Heinrich Nolte: Kleine Geschichte Rußlands, Ditzingen 2003, S. 112
  55.  ↑ ext. ReferenzSchmidt, C.: Russische Geschichte 1547–1917, München 2003, S. 140
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  57.  ↑ Findeisen, J.-P.: Das Ringen um die Ostseeherrschaft, Berlin 1992, S. 128
  58.  ↑ ext. ReferenzSchmidt, C.: Russische Geschichte 1547–1917, München 2003, S. 146
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  60.  ↑ Löwe, H.-D.: Volksaufstände in Russland. Von der Zeit der Wirren bis zur „Grünen Revolution“ gegen die Sowjetherrschaft, Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Band 65, Wiesbaden 2006, S. 26
  61.  ↑ Westermann, A./Westermann, E.: (Hrsg.): Wirtschaftslenkende Montanverwaltung – Fürstliche Unternehmer – Merkantilismus. Zusammenhänge zwischen der Ausbildung einer fachkompetenten Beamtenschaft und der staatlichen Geld- und Wirtschaftspolitik in der Frühen Neuzeit, Husum 2009, S. 48
  62.  ↑ Isenmann, M. (Hrsg.): Merkantilismus. Wiederaufnahme einer Debatte (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte. 228), Stuttgart 2014, S. 28ff
  63.  ↑ ext. ReferenzSchmidt, C.: Russische Geschichte 1547–1917, München 2003, S. 154
  64.  ↑ Wallerstein, I.: Das moderne Weltsystem. Band 2: Der Merkantilismus. Europa zwischen 1600 und 1750, Wien 1998, S. 82
  65.  ↑ Westermann, A./Westermann, E.: (Hrsg.): Wirtschaftslenkende Montanverwaltung – Fürstliche Unternehmer – Merkantilismus. Zusammenhänge zwischen der Ausbildung einer fachkompetenten Beamtenschaft und der staatlichen Geld- und Wirtschaftspolitik in der Frühen Neuzeit, Husum 2009, S. 65
  66.  ↑ Wallerstein, I.: Das moderne Weltsystem. Band 2: Der Merkantilismus. Europa zwischen 1600 und 1750, Wien 1998, S. 75f
  67.  ↑ Isenmann, M. (Hrsg.): Merkantilismus. Wiederaufnahme einer Debatte (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte. 228), Stuttgart 2014, S. 52
  68.  ↑ ext. ReferenzHellmann M./ Zernack, K./ Schramm, G.: Handbuch der Geschichte Russlands, Band 6, Berlin/Wien 2008, S: 147
  69.  ↑ Norman, G.: The Hermitage. London 1997, S. 17
  70.  ↑ Sergei Varshavsky, S.: The ordeal of the Hermitage, the siege of Leningrad, 1941–1944. Leningrad 1986, S. 67
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  73.  ↑ Butenschön, M.: Ein Zaubertempel für die Musen. Die Ermitage in St. Petersburg, Köln 2008, S. 18f
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  75.  ↑ Butenschön, M.: Ein Zaubertempel für die Musen. Die Ermitage in St. Petersburg, Köln 2008, S. 69
  76.  ↑ Fischer-Neumann, H.: Die russischen Zaren, Berlin 1993, S. 95
  77.  ↑ Küppers, R.: Russland und der aufgeklärte Absolutismus, Bonn 1985, S. 147
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  81.  ↑ ext. Referenzvon Buttlar, A.: Leo von Klenze. Leben – Werk – Vision. 2. Auflage, München 2014, S. 92
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  86.  ↑ ext. ReferenzDunkel, F./ Körner, H.-M./ Putz, H. (Hrsg.): König Ludwig I. von Bayern und Leo von Klenze. Symposion aus Anlaß des 75. Geburtstags von Hubert Glaser, München 2006, S. 99
  87.  ↑ ext. ReferenzSchneede, M.: Leo von Klenzes "Anweisung zur Architectur des christlichen Cultus", München, 1974, S. 130
  88.  ↑ ext. Referenzvon Buttlar, A.: Leo von Klenze. Leben – Werk – Vision. 2. Auflage, München 2014, S. 126
  89.  ↑ ext. Referenzvon Buttlar, A.: Leo von Klenze. Leben – Werk – Vision, München 1999, S. 72
  90.  ↑ Gebauer, H.: Griechische Mythologie, Köln 1987, S. 74
  91.  ↑ Peters, H.: Antike Mythologie, Frankfurt/Main 1990, S. 387
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  94.  ↑ Frindt, N.: Die Zeit vor der Oktoberrevolution, München 1994, S. 87
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  97.  ↑ ext. ReferenzKöltzsch, G.-W. (Hrsg.): Morosow, Schtschukin, die Sammler : Monet bis Picasso, Köln, 1993, S. 48
  98.  ↑ ext. ReferenzSiehe Tolstikow, W.P./Trejster, M.J.: Der Schatz aus Troja : Schliemann und der Mythos des Priamos-Goldes, Stuttgart, 1996
  99.  ↑ ext. ReferenzIrina Antonova, I.: Das Staatliche Puschkin-Museum der Bildenden Künste, Moskau, 1996, S. 43ff
  100.  ↑ ext. ReferenzPiotrovsky, B.B. (Hrsg.): The Hermitage catalogue of Western European painting. Gosudarstvennyj Ermitaz, Leningrad/St. Petersburg 1983, S. 72ff
  101.  ↑ ext. ReferenzNorman, G.: The Hermitage. London 1997, S. 154f
  102.  ↑ ext. ReferenzButenschön, M.: Ein Zaubertempel für die Musen. Die Ermitage in St. Petersburg, Köln 2008, S. 89f
  103.  ↑ ext. ReferenzPiotrovsky, B.B. (Hrsg.): The Hermitage catalogue of Western European painting. Gosudarstvennyj Ermitaz, Leningrad/St. Petersburg 1983, S. 152
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