Antiziganismus in „Nation&Europa”
1 Einleitung
2 Zum Begriff Antiziganismus
3 Die Zeitschrift „Nation&Europa”
4 Der Konflikt um ein „nationales Holocaust-Mahnmal” in Berlin
5 „Andersartigkeit”
6 „Kriminalität”
7 „Wirtschaftsflüchtlinge”
8 „Hygiene”
9 „Primitivität”
10 Fazit
11 Literatur
1 Einleitung
Antiziganismus ist ein noch wenig untersuchter Gegenstand innerhalb der Rechtsextremismusforschung. Umso interessanter ist die Untersuchung der ältesten und immer noch einflussreichen rechtsextremen Zeitschrift „Nation&Europa” nach Ideologemen des Antiziganismus.
Nach der Begriffsbestimmung des Antiziganismus wird der Widerstand von „Nation&Europa” gegen ein Holocaust-Mahnmal für Sinti und Roma untersucht.
Danach werden die verschiedenen antiziganistischen Stereotypen in „Nation&Europa” dargestellt und interpretiert.
2 Zum Begriff Antiziganismus
Der Begriff Antiziganismus charakterisiert die Feindschaft gegenüber Sinti und Roma. [1] Die Grundlage dieser Gegnerschaft ist ein „Zigeuner”-Bild, das aus Stereotypen und Vorurteilen besteht. [2] Im sozialwissenschaftlichen Kontext sind Stereotypen Komplexe von Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die bestimmten Personengruppen zugeschrieben werden. Ferner sind Stereotype vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie besonders distinkte und offensichtliche Eigenschaften karikierend hervorheben und falsch verallgemeinern. Eine dermaßen vereinfachte Repräsentation erleichtert die alltäglichen Interaktionen mit unbekannten Personen sehr. Durch äußere Merkmale (z.B. Alter, Kleidung, Auftreten, Geschlecht) ausgelöste Stereotype dienen als Hinweisstrukturen für erwartete und zu erwartende Verhaltensweisen. Die dadurch gewährleistete Vereinfachung manifestiert sich in negativen Wertvorstellengen im sozialen Kontext. Antiziganismus bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur die Zuschreibung von negativ bewerteten Dispositionen wie Primitivität oder Kriminalität, sondern auch diejenigen quasi positiven Eigenschaften wie Lagerfeuerromantik oder Musikalität.
3 Die Zeitschrift „Nation&Europa”
Bei „Nation&Europa” handelt es sich um eines der wichtigsten Theorie- und Strategieorgane in Deutschland. [3] Die Zeitschrift wurde im Jahre 1951 als Monatszeitschrift vom ehemaligen SS-Sturmbannführer Arthur Ehrhardt sowie dem ehemaligen SA-Sturmführer und Schriftsteller Herbert Böhme gegründet und hat ihren Sitz in Coburg. Ihr ursprünglicher Titel lautete bis zum Jahre 1990 „Nation Europa. Monatszeitschrift im Dienste der europäischen Neuordnung”. Neben theoretischen Überlegungen und Strategiediskussionen für das gesamte rechtsextreme Spektrum enthält die Zeitschrift Beiträge zum aktuellen Tagesgeschehen.
4 Der Konflikt um ein „nationales Holocaust-Mahnmal” in Berlin
Als Pläne und Konzepte für ein Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden im 2. Weltkrieg in Berlin entworfen wurden, schaltete sich der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, in die Debatte ein und erinnerte daran, dass ebenfalls Sinti und Roma Opfer der rassistischen Verfolgungspolitik gewesen waren. Weiterhin stellte er die Forderung auf, dass auch dieser Opfergruppe mit einem zentralen Mahnmal gedacht werden müsse. Dieser Appell wird von „Nation&Europa” thematisiert und entschieden zurückgewiesen.
Die Zeitschrift versucht, indem sie sich auf scheinbar seriöse Wissenschaftler beruft, die Tatsache zu widerlegen, dass unter der Herrschaft des Nationalsozialismus 500.000 Sinti und Roma ermordet worden sind. Zuerst zieht sie den Historiker Eberhard Jäckel heran, der dem Zentralrat der Sinti und Roma vorwirft, seit langem ein „falsches Geschichtsbild für eigene Interessen zu instrumentalisieren”. [4] Laut Jäckel existieren wissenschaftliche Studien, nach denen die Gesamtzahlen der getöteten Sinti und Roma zwischen 90.000 und 219.000 lägen. Eine Quellenangabe oder ein Verweis auf diese angeblichen Studien sucht man allerdings vergebens. Als zweiten „Experten” zitiert „Nation&Europa” den „Zigeunerforscher” Hermann Arnold, der in der Zahl von 500.000 Opfern „willkürliche Schätzungen” sieht. Laut Arnold geht es dem Zentralrat der Sinti und Roma lediglich darum, die „Zigeunerverfolgung” dem Holocaust gleichzusetzen”. [5]
Diese angeblichen wissenschaftlichen Beweise heranziehend spricht „Nation&Europa” von fiktiven Zahlen des Zentralrats der Sinti und Roma und lehnt die Wiedergutmachungsforderungen ab.
Weiterhin wird versucht, Romani Rose als Person zu diffamieren: „Romani Rose steht zu Ignatz Bubis fast schon auf gleicher Sockelhöhe. Beide genießen den Titel ‚moralische Instanz’ — womit sich schon fast die Berechtigung verbindet, den Deutschen neue Denkmäler und Wiedergutmachungsleistungen zu verordnen.” [6]
5 „Andersartigkeit” der Sinti und Roma
Das Vorurteil, dass die Integration der Sinti und Roma in die deutsche Mehrheitsbevölkerung unmöglich wäre und ihnen kollektiv eine „Andersartigkeit” unterstellt wird, wird in „Nation&Europa” mehrfach aufgegriffen.
Der schon oben erwähnte „Zigeunerforscher” Hermann Arnold stellt die These auf, dass es „der Kultur und Wesensart” der Sinti und Roma widerspreche, sich „außerhalb des eigenen Clans” politisch zu organisieren. [7]
Berichte über die Ansiedlung von Sinti und Roma in Darmstadt versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass alle Versuche, Sinti und Roma zu „integrieren”, zum Scheitern verurteilt waren. Es bestanden „Misshelligkeiten mit der Bevölkerung wegen erheblicher Differenzen in der Lebensweise und in den Vorstellungen fremden Eigentums” [8], so dass von „Nation&Europa” die Forderung aufgestellt wurde, einen Sozialarbeiter einzustellen, um „den Zigeunern die bei uns gebräuchlichen Formen und Voraussetzungen der Arbeit beizubringen.” [9]
Als „Lehre aus dieser traurigen Geschichte” wird nochmals die „Andersartigkeit” aller Sinti und Roma hervorgehoben: „Man muß es akzeptieren, dass es in den europäischen Ländern Gruppen gibt, z.B. die Zigeuner, die ihre eigene, von der unseren sehr stark abweichenden Lebensweise beibehalten wollen.” [10]
6 „Kriminalität”
Besonders hervorgehoben wird von „Nation&Europa” die angebliche Kriminalität der Sinti und Roma. Diese angeblichen Diebstähle werden allerdings in keinem Fall durch irgendeine Quelle belegt. So sollen in über 100 Fällen Darmstädter Romakinder bei Einbruchsdiebstählen im gesamten Bundesgebiet auf frischer Tat erwischt worden sein. Das erbeutete Diebesgut würde von erwachsenen Sinti und Roma in den Niederlanden und Frankreich verkauft. [11]
Der Mord an einem Darmstädter Gastwirt im Februar 1982 wird ohne jeglichen Hinweis auf eine Tatbeteiligung den in Darmstadt wohnenden Sinti und Roma zugeschrieben: „ Einen makaberen Höhepunkt in den kriminellen Aktivitäten der Zigeuner stellte der Totschlag an einem Darmstädter Gastwirt im Februar 1982 dar, der sich durch randalierende Zigeuner in seinem Schlaf gestört fühlte und auf der Straße um Ruhe bat. Da dieser Gastwirt in seinem Viertel sehr bekannt und beliebt war, brachte die Tat die Erregung der Bevölkerung auf einen Siedepunkt. Die Täter sind übrigens bis heute noch nicht gefasst.” [12]
7 „Wirtschaftsflüchtlinge”
Vor allem Anfang der 90er Jahre wurden Sinti und Roma in Politik, Gesellschaft und Medien wiederholt als „Sozialhilfebetrüger” dargestellt. Dies war vor allem im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Änderung des Grundrechtes auf Asyl und der damit einhergehenden Ideologeme „Wirtschaftsflüchtlinge” und „Scheinasylanten” zu beobachten, denen das Recht auf Asyl abgesprochen wurde, da sie nicht politisch verfolgt seien, sondern angeblich lediglich wegen der Sozialhilfe nach Deutschland kommen würden.
„Nation&Europa” beteiligte sich an dieser Hetze, was verschiedene Meldungen aus der Rubrik „ Nachrichten von der Überfremdungsfront” belegen. [13]
Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Berichterstattung von „Nation&Europa” über den Fall der Romni Nidar Pampurova aus Köln. Um ihrer drohenden Abschiebung nach Mazedonien zu entkommen, flüchtete Pampurova in die Illegalität. Die im Kölner Stadtrat vertretene rechtsextremistische „Deutsche Liga für Volk und Heimat”(DLVH) druckte daraufhin Steckbrief-Plakate mit dem Konterfei der Asylbewerberin und setzte eine Belohnung für ihre Ergreifung aus. Diese Hetzjagd wertete Nation&Europa als „Akt aktiven Bürgersinns”. [14]
Als Pampurova von der Polizei gefasst und nach Mazedonien abgeschoben worden war, verklagte sie die DLVH beim Landgericht Köln auf Schmerzensgeld. Das Landgericht verurteilte daraufhin die Partei zur Zahlung von 10.000 DM an die klagende Romni. Nation&Europa kommentierte dieses Urteil folgendermaßen:„ Bürger, die andere warnen und sich an der Bekämpfung von Sozialmissbrauch und Kriminalität beteiligen, sind hierzulande ‚Täter’ und werden von der Polizei und ihrer Justiz unnachsichtig verfolgt.” [15]
8 „Hygiene”
„Nation&Europa” greifen in ihrer Berichterstattung über Sinti und Roma das Vorurteil über die mangelnde Hygiene auf. Dieser Stereotyp dient auch als Hauptargument gegen das Zusammenleben der deutschen Mehrheitsbevölkerung mit Sinti und Roma innerhalb eines Ortes. Als auf Einladung des Oberbürgermeisters Sabais Sinti und Roma sich in Darmstadt ansiedelten, hieß es in „Nation&Europa”: „Nach dem Abzug der Zigeuner befanden sich die Wohnungen in einem unbeschreiblichen Zustand. Zurückgelassen wurde Unrat, Dreck und Ungeziefer, halb verweste Tiere, Teile eines geschlachteten Schweins, Ratten tauchten auf. Die Zimmer waren übersät mit Unrat und Exkrementen. Das vorhandene Mobiliar war mit Ausnahme weniger Wertgegenstände zerstört und beschädigt.” [16]
9 „Primitivität”
In den Darstellungen in „Nation&Europa” geht es häufig um die angebliche „Primitivität” von Sinti und Roma. Dies wird unter anderem an der mangelnden Schulbildung oder der Analphabetenquote festgemacht: „ (…) acht Kinder, die ziemlich regelmäßig zur Schule gehen — damit stellen sie eine Minderheit unter den Zigeunerkindern dar.” [17] Weiterhin wird von „Nation&Europa” der Versuch unternommen, ihnen eine Tauglichkeit zum Leben in industrialisierten Ländern abzusprechen:” Nur noch verkohlte Trümmer hinterließen die Zigeuner, die monatelang den Düsseldorfer Landtag belagert hatten. Sie hatten dort ihre Hütten abgerissen und verbrannt. Vorher feierten sie ihren Abzug und brieten in der Nacht noch einen Hammel über dem Feuer.” [18] Durch das Bild der in Hütten wohnenden und einem über offenem Feuer bratenden Hammel erscheinen Sinti und Roma als „Wilde” und „Naturmenschen”, die unzivilisiert und rückständig sind.
„Nation&Europa” unterstellt ferner, dass Sinti und Roma ausschließlich ein patriarchalisches — und damit dem westlichen Modell der Gleichberechtigung rückständiges — Weltbild besitzen: „Die Frauen und Kinder lebten und leben in ärmlichen Verhältnissen, obwohl sie lange Zeit Sozialhilfe erhielten. Die Männer fahren große und teure Wagen und werfen mit Geld um sich. (…) Die Männer nahmen den Frauen das Geld ab und schickten sie wie eh und je mitsamt ihren Kindern zum Betteln.” [19]
10 Fazit
Antiziganismus besitzt eine jahrhundertealte Tradition, seine Ideologeme halten sich beständig bis in die Gegenwart.. [20] Dies bestätigt die hier vorgenommene Untersuchung. Anhand der Berichterstattung von „Nation&Europa” werden Vorurteile konstruiert, die immer vom einzelnen Menschen abstrahieren und von unwandelbaren biologistischen Tatsachen ausgehen.
„Nation&Europa” zielt darauf ab, aus dem angeblich unerträglichen Sozialverhalten der Sinti und Roma Verständnis für die ablehnende Haltung der deutschen Mehrheitsbevölkerung abzuleiten. Rassistisch motivierte Pogrome wie in Rostock-Lichtenhagen oder die Ereignisse in Dolgenbrodt werden dadurch bagatellisiert und entkriminalisiert.
11 Literatur
Der Spiegel 32/1993
Nation&Europa 2/1981
Nation&Europa 5/1984
Nation&Europa 2/1991
Nation&Europa 3/1991
Nation&Europa 2/1992
Nation&Europa 9/1999
Nation&Europa 9/2000
Solms, W./Strauß, D.: „Zigeunerbilder” in der deutschsprachigen Literatur, Heidelberg 1995
Pfeiffer, T.: Für Volk und Vaterland. Das Mediennetz der Rechten — Presse, Musik, Internet, Berlin 2002
taz vom 23.09.1993
Winckel, Ä.: Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland, Münster 2002
Wippermann, W.: Wie die Zigeuner — wie die Juden. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich, in: Butterwegge, C. (Hrsg.): NS-Vergangenheit, Antisemitismus und Nationalismus in Deutschland, Baden-Baden 1997, S. 69-84
Fußnoten
↑ Wippermann, W.: Wie die Zigeuner — wie die Juden. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich, in: Butterwegge, C. (Hrsg.): NS-Vergangenheit, Antisemitismus und Nationalismus in Deutschland, Baden-Baden 1997, S. 69-84, hier S. 69
↑ Solms, W./Strauß, D.: „Zigeunerbilder” in der deutschsprachigen Literatur, Heidelberg 1995, S. 8
↑ Vgl. dazu: Pfeiffer, T.: Für Volk und Vaterland. Das Mediennetz der Rechten – Presse, Musik, Internet, Berlin 2002, S. 145-176