Rezension von:
Kwame Anthony Appiah: Der Kosmopolit. Philosophie des Welt- bürgertums.
München (C.H. Beck): 2006. 222 Seiten. EUR (D) 12,95. ISBN: 3406584888.
In seinem Werk wendet sich Kwame Anthony Appiah gegen den Neo–kon–servativen Samuel Huntington, von dem die Theorie des „Clash of Civili–sa–tion” stammt, das von einer homogenen Summe von Weltkulturen und deren unwandelbaren Eigenschaften ausgehend einen „Kampf der Kul–turen” prognostiziert. Appiahs Buch stellt die Traditionslinie einer kos–mo–politischen Ethik der Flexibilität und des kreativen Ausgleichs dar und sucht eine Balance zwischen dem Glauben an universale Werte und dem Respekt vor der Verschiedenheit nicht-westlicher Weltanschauung.
Der Begriff des Kosmopoliten geht bis auf die Kyniker (4 Jh. v.Chr.) zurück, die den Ausdruck „Bürger des Kosmos” prägten. [1] Der Kosmopol–itis–mus entwickelte sich im 18. Jahrhundert zum Ideal der europäisch-humanistischen Bildungstradition. Die bekanntesten Werke dieser Denkrichtung stammten von Christoph Martin Wieland [2], Gotthold Ephraim Lessing [3], Johann Gottfried Herder [4] und Immanuel Kant [5]. Zu den Merkmalen des europäischen Kosmopolitismus vor allem seit der Aufklärung gehörte eine besondere Liebe für die Kunst und Literatur unbekannter Kulturen und ein gesteigertes Interesse am Leben der Menschen in anderen Gegenden der Welt. In den kommunistischen Staaten des Warschauer Paktes wie der DDR oder der UdSSR galt der Kosmopolitismus als imperialistisches und nationalistisches Mittel der westlichen Großmächte, um kleinere Staaten niederzuhalten und den eigenen Natio–nalis–mus zu verschleiern. [6]
Appiah geht davon aus, dass im Begriff des Kosmopolitismus offenbar zwei Stränge ineinander verwoben sind: [7] „Der eine ist der Gedanke, dass wir Pflichten gegenüber anderen Menschen haben, die über die Blutsverwandtschaft und über die eher formale Bande einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft hinausgehen. Der zweite Strang ist die Vorstellung, dass wir nicht nur den Wert menschlichen Lebens schlechthin, sondern des einzelnen menschlichen Lebens ernst nehmen müssen, d.h., dass wir uns für die praktischen Tätigkeiten und Glaubensüberzeugungen interessieren sollten, durch die das Leben des Einzelnen erst seine Bedeutung erhält.”
Da laut Appiah so viele menschliche Möglichkeiten erkundet werden könnten, ist der Wunsch nach der Entwicklung aller Menschen zu einer einzigen Lebensweise nicht vorhanden.
Appiahs Theorie richtet sich gegen „preservationists”, die jede Kultur um ihrer selbst willen bewahren wollen. Er kritisiert auch jene „counter-cosmopolitans”, die verabsolutierte und starre kulturelle Differenzen zum Maßstab erklären: [8] „Eine Welt, in der sich Gemeinschaften klar gegenüber abgrenzen, scheint keine ernsthafte Option mehr zu sein, falls sie es denn jemals war. Abtrennung und Abschließung waren in unserer ständig umherreisenden Spezies schon immer etwas Anormales.”
Kosmopoliten sprechen sich gegen jedweden Nationalismus aus, dagegen setzen sie sich für den Pluralismus ein. Sie gehen davon aus, dass es viele Werte und Normen gibt, nach denen es sich zu leben lohnt, und dass man nicht nach all diesen Belangen leben kann. Appiahs „Goldene Regel des Weltbürgertums” findet sich bei Terenz, der in seiner Komödie „Der Selbstpeiniger” sagte: „Homo sum: humani nil a me alienum puto.” („Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.”) [9]
Ein weiteres Merkmal ist der Fallibismus — die Idee, dass das menschliche Wissen unvollkommen und provisorisch ist und aufgrund neuer Erkennt–nisse revidiert werden muss: [10] „Unser Verständnis von Toleranz besagt, dass wir respektvoll mit Menschen umzugehen haben, die unsere Sicht der Welt nicht teilen. Wir Kosmopoliten glauben, dass wir selbst von jenen etwas lernen können, die anderer Ansicht sind als wir. Wir glauben, dass die Menschen ein Recht auf ihr eigenes Leben haben.”
Dieses teilweise brilliant geschriebene, mit viel Hintergrundwissen ver–seh–ene Buch weist jedoch zwei Mängel auf. Ein wichtiger Baustein zur Erörterung des Kosmopolitismus wird nicht näher behandelt: die Identität. Appiah gibt weder eine Definition an noch findet eine Besprechung über die philosophischen Auseinandersetzungen um diesen Begriff (z.B. Aristo–teles, Hobbes, Leibniz, Habermas, Mead) statt. Außerdem wäre eine Ver–tief–ung der schon oben erwähnten kosmopolitischen Aufklärungswerke wünschenswert gewesen, da diese den Grundstock der neuzeitlichen Debatte um Kosmopolitismus bilden.
↑ Appiah, K.A.: Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums, München 2006, S.12.
↑ Wieland, C. M.: Das Geheimniß des Kosmopolitenordens, in: Teutscher Merkur, August 1788, S. 107.
↑ Lessing, G.E.: Die Erziehung des Menschengeschlechts, 4. Auflage, Köln 1978.
↑ Herder, J.G.: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit, 3. Auflage, Stuttgart 1973.
↑ Höffe, O. (Hrsg.): Immanuel Kant, zum ewigen Frieden, 2. Auflage, Berlin 2004.
↑ Vgl. dazu Coulmas, P.: Weltbürger. Geschichte einer Menschheitssehnsucht, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 75ff.